Читать книгу Die Elfenprinzessin Keleia - Gabriele Marchner-Trieb - Страница 5
ОглавлениеKapitel 2
Als meine Tochter noch klein war, sind wir oft durch die heimischen Wälder gewandert. Ich habe ihr dann immer fantasievolle Geschichten erzählt. Wir haben jeden Baumstumpf untersucht, um Eingänge ins Zwergenreich zu finden, und jedes Geräusch deutete ich meinem Kind als Elfen- und Zwergengetrampel. Meine Tochter erzählte mir dann ganz aufgeregt, dass die Elfe dort drüben, die soeben vorbeigehuscht war, ein wunderschönes, kobaltblaues Kleid trug. Ich freute mich darüber, mit welch herrlich ausgeprägter Fantasie mein Kind ausgestattet war und dass wir die Welt gemeinsam anders sehen konnten. Jahre vergingen und meine Tochter wurde erwachsen. Wir besuchten einen Vortrag, bei dem uns erzählt wurde, wie man mit dem kleinen Volk Kontakt aufnehmen kann. Ich kam aus dem Stauen nicht mehr heraus. Das alles hörte sich für mich so ungeheuer unglaubwürdig an. Meine Tochter sagte begeistert zu mir: „Weißt du noch, wie wir die Elfe mit dem kobaltblauen Kleid im Wald gesehen haben?“ „Wieso wir?“, entgegnete ich sprachlos. Sie hatte als Kind wirklich die Freude erlebt, einer echten Elfe zu begegnen, und ich habe gedacht, dies wäre nur ihrer Fantasie entsprungen. Die Vortragende erklärte uns, dass Kinderherzen anders schlagen. Wenn Elfen, Kobolde und Zwerge spüren, dass es sich um eine reine Seele handelt, werden sie für einen Moment sichtbar.
Mitten im Wald befand sich ein lieblich anzusehender Teich, in dem sich allerlei Fischlein und Frösche tummelten und der selbstverständlich für Menschen nicht zu sehen war. In der Mitte des Teiches blühten das ganze Jahr über die schönsten Seerosen. Fliegen, Mücken und viele andere Insekten spielten und tanzten gemeinsam an der Wasseroberfläche. Die Libellen, die so schön grün und blau im Sonnenlicht glänzten, sausten durch am Schilf und Gräser hängenden Spinnennetze. Eine Spinnendame erschreckte so sehr, dass sie beinahe ins Wasser plumpste. „Müsst ihr so übermütig sein und mir immer mein Netz zerstören, ihr Rowdys?“, schimpfte sie auf die Libellen ein. „Oh Entschuldigung, Frau Langbein! Ist dieser Tag heute nicht herrlich?“, schwärmten die fliegenden Geschöpfe und sogleich waren sie schon wieder am anderen Ende des Teiches. Unter einer Weide am Teichufer stand ein hübscher Tisch mit Bänken, die Tischlermeister Severin Koboldus in liebevoller Handarbeit aus einer großen Baumwurzel für die Prinzessin angefertigt hatte. An solch schönen, sonnigen Tagen war Keleia dort nach ihren täglichen Prinzessinnenverpflichtungen anzutreffen.
„Einen wunderschönen Tag wünsche ich dir, liebe Prinzessin!“, begrüßte Tipsy, die Libelle seine Elfenfreundin und landete am Wurzeltisch, wobei er sich noch von einer hängen gebliebenen Spinnenwebe befreien musste.
„Es ist heute wieder herrlich“, schwärmte Keleia. Sie lehnte sich zurück und genoss das lustige Treiben der Teichbewohner. „Willst du mit mir um die Wette schwimmen, Prinzessin?“ Eine Kröte kletterte an Land und die Wassertropfen perlten lustig von ihrem Körper. „Ja, lieber Moritz! Das wäre eine willkommene Abkühlung.“ Keleia streifte ihr rosaglitzerndes Tüllkleidchen ab und sobald sie ins Wasser hüpfte, nahmen die beiden lachend und plusternd ihren Wettkampf auf. Moritz ließ immer die Prinzessin gewinnen, die sich dann über alle Maßen darüber freute. Keleia planschte mit den Fischen, entdeckte kleine Krebse und tauchte mit den Fröschen um schöne Steine. Tipsy, der mittlerweile seine Loopings über den Teich ausprobierte, vernahm aus der Ferne ein leises Weinen. Er flog seiner Wahrnehmung entgegen und entdeckte zwischen zwei Tannenbäumen, auf dem moosbewachsenen Waldboden einen Knaben sitzen, der den Kopf in den Schoss gelegt hatte und bitterlich weinte. Die Libelle näherte sich vorsichtig dem Menschenkind. Der Bub erblickte Tipsy und wischte sich mit seinen Jackenärmel die Tränen aus dem Gesicht. „Bist du eine schöne Libelle! Ob du mir Glück bringst? Könnte ich gut gebrauchen“, schluchzte der Knabe und fing wieder herzzerreißend zu weinen an. Tipsy tat der kleine Mensch leid. Aber wie sollte er helfen? Er flog in Windeseile zum Teich zurück. „Keleia! Keleia!“, rief er aufgeregt. „Ich brauche deine Hilfe, wenn das möglich ist!“ Tipsy erzählte der Prinzessin von dem traurigen Buben. „Es ist mir aber verboten worden, mich sichtbar zu machen.
Letztes Mal habe ich fürchterlich Ärger deswegen bekommen“, erinnerte die Elfenprinzessin ihren Freund. „Sina wird nie etwas davon erfahren und von uns wird dich auch keiner verraten!“, versuchte Tipsy, Keleia zu überzeugen. „Nur du kannst dem armen Buben helfen. Wir Tiere können uns nicht mit Menschen verständigen“, unterstützen jetzt auch die Insekten und Frösche die Libelle. „Also gut! Tipsy, bring mich zu der Stelle, wo der kleine Junge ist.“ Keleia verwandelte sich in ein winzig kleines Elfchen und setzte sich auf den Rücken der Libelle, hielt sich gut fest und auf ging es Richtung Wald. Tipsy setzte seine Freundin sanft ab und zack, hatte sie wieder ihre normale Größe. Der Bub erschreckte sich, da aus dem Nichts auf einmal ein Mädchen vor ihm stand. Er schnäuzte sich in ein großes Lattichblatt. Es war ihm sehr peinlich, von einem Mädchen beim Weinen erwischt worden zu sein. „Wo kommst du denn auf einmal her? Im Dorf wohnst du aber nicht und aus der Schule kenne ich dich auch nicht? Oder haben dich die anderen Kinder geschickt, um mich auszuspionieren?“ „Weißt du, ich bin eine Elfenprinzessin und heiße Keleia. Das ist Tipsy, mein bester Freund. Er hat dich hier entdeckt. Wir dachten, du brauchst Hilfe.“ Der Junge konnte es kaum fassen und zwickte sich selbst in die Backe, weil er meinte, zu träumen. „Autsch! Also träumen tu ich nicht. Ich habe geglaubt, so etwas wie Elfen und Zwerge gibt es nur in Märchenbüchern. Ich heiße Luca und wohne da drüben im Dorf“, berichtete der Knabe von sich. Er konnte es immer noch nicht fassen, wie ihm geschah. Luca hatte aber schnell Vertrauen zu Keleia und Tipsy und erzählte, warum er sich in den Wald geflüchtet hatte und weinend zwischen den Bäumen saß. „Da sind zwei Buben aus meiner Klasse. Die haben mich schon seit Anfang des Schuljahres am Kieker. Bei jeder Gelegenheit hänseln sie mich, verstecken meine Hefte und Bücher oder zerreißen sie. Die ganze Klasse haben sie schon gegen mich aufgehetzt. Eigentlich traue ich mich gar nicht mehr in die Schule. Alle lauern mir auf, bewerfen mich mit Steinen und neuerdings verlangen sie sogar mein Taschengeld. Meinen Eltern traue ich mich nicht, das zu erzählen, und die Lehrer wollen sich nicht einmischen und schauen weg.“ Luca war jetzt erleichtert, weil ihm einmal wer zugehört hatte. Keleia kullerten große Tränen über ihre roten Bäckchen und sie streichelte Luca liebevoll durch seine blonden Locken. „Lieber Luca! Wir werden dir helfen. Dies versprechen wir dir!“, sagte die Prinzessin. Luca lächelte. Jetzt war ihm viel leichter ums Herz und er hatte großes Vertrauen zu Keleia und Tipsy gefasst.