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Die deutschen Fürsten und der Sport

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In den zahlreichen Schriften Friedrich Jahns über die »Turnkunst« findet sich neben allgemeinen Theorien über Gymnastik eine Auswahl von insgesamt siebzehn Sportarten, deren Ausführung darin auch genau beschrieben wird. Wenn ich mich beim Zählen nicht geirrt habe, hat Herzog Maximilian in Bayern, der Vater der späteren Kaiserin Elisabeth, zumindest acht davon in das Erziehungs- und Sportprogramm seiner Kinder übernommen. Denn die jungen Prinzen und Prinzessinnen wurden im Gehen, Laufen, Springen, Steigen, Klimmen, Schwimmen, Fechten und Reiten unterrichtet, was in dieser Menge und Ansammlung im frühen 19. Jahrhundert in Fürstenkreisen sicherlich außergewöhnlich war. Denn, selbst wenn man bei seinen Kindern ein gewisses Maß an körperlicher Ertüchtigung für nötig hielt, so erschöpfte es sich meist im Erteilen von Reitunterricht (der, wie schon früher erwähnt, nötig war, um sich in Zeiten ohne motorbetriebene Fahrzeuge fortbewegen zu können) und im Promenieren. Allerdings hat sich da innerhalb der folgenden Generationen eine Menge geändert. Denn in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts schlug der Reitpädagoge von Heydebrand in einem Buch für Mädchen vor, daß junge Damen, die reiten lernen, zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit auch gymnastische Übung machen sollten. Dafür empfahl er »Freiübungen im Turnen, welche Arme, Schultern und Brust stärken … Die Schwingübungen mit nicht zu schweren Hanteln … machen bei festgestellten unteren Gliedmaßen den Oberkörper beweglich. Der Gebrauch des elastischen Brustausdehners, eines etwa ½ m langen, an beiden Enden mit Handgriffen versehenen Gummistranges, dessen Stärke man nach den Kräften der jungen Dame zu bemessen hat (gemeint ist der auch in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts sehr beliebte Expander), ist wie die Tonleitern und die Fingerübungen beim Pianospielen zu betrachten …« (ders., S. 35)


Königin Marie Antoinette von Frankreich, Tochter Kaiserin Maria Theresias, nimmt vor ihrer Hinrichtung Abschied von ihrer Tochter. Sie wurde – wie viele ihrer Kollegen aus Fürsten- und Adelskreisen – ein Opfer der Französischen Revolution.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das – mittlerweile unpolitische – Turnen ein beliebter Volkssport und Bestandteil des Schulunterrichts für Burschen und sogar für Mädchen geworden. In Adelskreisen blieben »Leibesübungen« allerdings lange Zeit verpönt, weil man das zwangsläufig dabei auftretende Keuchen und Schwitzen als wenig elegant empfand. Das schloß aber nicht aus, daß einige europäische Herrscher doch bald den Wert des durchtrainierten Körpers erkannten und ihre Kinder deshalb schon früh im Turnen und anderen wenig feinen Sportarten unterrichten ließen. Aber Souveräne brauchten sich nicht den Kopf über elegantes Auftreten zu zerbrechen. Ihre Schicht kannte andere Werte und andere Probleme. So hatte die Französische Revolution des Jahres 1789, die auf so vielen verschiedenen Ebenen so viele Änderungen bewirkt hatte, auch in Fürstenkreisen ein großes Umdenken veranlaßt. Denn in der Folge des Terrorregimes, als Flucht oft die einzige Möglichkeit zum Überleben darstellte, war die eigene körperliche Konstitution und die der Kinder plötzlich sehr gefragt. Um für die Zukunft vorzubauen, wurde der übliche Lehrunterricht für Prinzen und Prinzessinnen um ein strenges sportliches Training erweitert (die Habsburger und einige ihrer Amtskollegen führten darüber hinaus für ihre Familienmitglieder eine ordentliche Berufsausbildung ein, damit sie sich im Ernstfall selbst erhalten konnten).

Eine andere wenig elegante Sportart, die im 19. Jahrhundert aber bald die meisten europäischen Prinzen und Prinzessinnen beherrschten, war das Schwimmen. Es wurde – wie sich leicht denken läßt – ebenfalls aus Sicherheitsgründen unterrichtet. Da in vergangenen Zeiten (vor Einführung und Ausbau des Eisenbahnnetzes und vor dem »automobilen« Verkehr) das rascheste Fortkommen die Fahrt mit dem Schiff darstellte, mußte man sich vor möglichen Unfällen auf Reisen schützen. Um das Sinken eines Wasserfahrzeuges – oder auch nur das Hinausstürzen aus einem Boot – zu überleben, war es daher dringend nötig, sich über Wasser halten zu können. Und das beherrschten die meisten Habsburger der kaiserlichen Linie (wie auch Wettiner und Wittelsbacher, also auch die spätere Kaiserin Elisabeth und ihre Geschwister) von klein auf. Etliche Schlösser verfügten schon damals über eine eigene »Schwimmschule«, wie die Becken damals genannt wurden. Am Ende der Schwimmausbildung stand für jeden Erzherzog – und wahrscheinlich auch für die meisten anderen Prinzen – eine Prüfung, die in Wien auf der Donau stattfand. Der fertig Ausgebildete mußte den Fluß, der damals noch breiter und bewegter war als heute, einmal vollständig queren.


Erzherzogin Anna von Österreich-Toskana, eine Nichte des Kaiserpaares, beim Sprung in den Bodensee (1897). Sie scheint eine der kühnsten Schwimmerinnen der kaiserlichen Familie gewesen zu sein.

Sonderbarerweise gab es bei den Habsburgern nur wenige Schlittschuhläufer, obwohl diese Sportart eine sehr lange Tradition aufweisen konnte (man denke nur an die zahlreichen Genrebilder der Holländer im 17. und 18. Jahrhundert, wo es auf zugefrorenen Teichen nur so von Schlittschuhläufern wimmelt). Einer der wenigen Habsburger, der sich zumindest als Zuschauer dafür interessierte, war Erzherzog Carl Ludwig, ein Bruder Kaiser Franz Josephs. Während der Jahre, die er in Graz lebte, besuchte er im Winter beinahe täglich den Hilmteich, um dort der fröhlichen Gesellschaft auf dem Eis zuzusehen. Der bekannteste und eifrigste Schlittschuhläufer der Familie war der junge Erzherzog Carl Franz Joseph, der spätere Kaiser Karl, Enkel des »Grazer Hilmteich-Besuchers«. Allerdings stieß ihm in seiner Jugend dabei ein schwerer Unfall zu, an dessen Folgen er bis an sein Lebensende zu tragen hatte. Ein Mehrfachbruch im Bereich eines Unterschenkels verheilte nur schlecht und schmerzte jahrelang. Zudem blieb das Bein steif und verursachte ein leichtes Hinken (wenn man alte Filme ansieht, kann man die Behinderung manchmal erkennen. Allerdings hat sich der Kaiser immer große Mühe gegeben, sie zu überspielen).

Geerbt hatte der junge Erzherzog die Begeisterung für das Schlittschuhlaufen wohl von seinen sächsischen Verwandten. Denn bei den Wettinern, von denen Karls Mutter abstammte, war es außerordentlich populär. Der König von Sachsen, als Bruder von Kaiser Karls Mutter ein direkter Onkel, war allgemein einer der sportlichsten Herrscher seiner Zeit. Wie die meisten seiner Standesgenossen ritt er hervorragend, unternahm wie die Habsburger lange und ausgiebige Spaziergänge und Klettertouren mit seinen Kindern und war – als seltenes Beispiel von Monarchen – eben auch ein leidenschaftlicher Schlittschuhläufer. »Sobald das Wetter günstig war, ging er von seinen langen Spaziergängen zum Eislauf über, und dafür wählte er die öffentliche Eisbahn auf dem Carola-See am Großen Garten (Anm: in Dresden). Ein Hofwagen brachte ihn dorthin, wo er mitten zwischen den anderen Leuten sich seine Schlittschuhe anschnallte. Auf Angebote, ihm zu helfen, sagte er: ›Danke sehr, aber ich mach das lieber selber, dann weiß ich, daß sie richtig sitzen.‹ Ganz allein, ohne Begleitung oder Polizeibewachung, mitten unter den Schlittschuhläufern aller Klassen und Altersstufen fuhr er seine Bogen. Manchmal wurde er auch angeeckt, wie das auf dem Eis nicht zu vermeiden ist. Dann wurde dieser kleine Zwischenfall durch ein freundliches Wort oder einen kleinen Witz ausgeglichen … Bei Frau Gasse, der Unternehmerin der Eisbahn, gab es noch in der warmen kleinen Kantine Streuselkuchen und ein Schälchen ›Heeßen‹, wie man in Sachsen trivial den Kaffee bezeichnet. Dann ging es heim ins Residenzschloß.« (Sachsen, S. 14) Daß das Eislaufen – wie etliche Sportarten damals – aber nicht wirklich fein war, erfährt man in einem Nachsatz derselben Geschichte: »Dazu sei bemerkt, daß Kaiser Wilhelm II. der Prinzessin Friedrich-Leopold von Preußen (seiner Schwiegercousine Luise Sophie, geborene Prinzessin von Schleswig-Holstein) das Schlittschuhlaufen untersagte, weil sich dies für eine königliche Prinzessin nicht gehörte.« (ebenda)


Der Hilmteich in Graz war im 19. Jahrhundert eine Vergnügungsstätte der obersten Gesellschaftsschichten. Hier traf sich die vornehme Jugend im Sommer zu Bootspartien und im Winter zum Schlittschuhlaufen.

Aber König Friedrich August III. von Sachsen, ein wenig hochmütiger Monarch, hat von solchen Gesellschaftsregeln nicht viel gehalten. Allerdings stand er mit dieser Meinung unter den europäischen Herrschern ziemlich alleine dar. Denn außer seinem Neffen, Kaiser Karl, und ihm haben sich nur wenige Wittelsbacher, Wettiner und schon gar nicht ein Habsburger so nahe an das Volk herangewagt. Weder Kaiser Franz Joseph noch seine Ehefrau wären auf die Idee gekommen, einen öffentliche Eislaufplatz zu besuchen. Wäre Kaiserin Elisabeth gerne Schlittschuh gelaufen, hätte sie in Wien oder in Gödöllö einen Platz für sich alleine anlegen lassen. Und für den Fall, es hätte sie während einer ihrer Reisen nach Eislaufen gelüstet, dann wäre über die Vermittlung ihres Obersthofmeisters der Besitzer der nächstbesten öffentlichen Eisbahn aufgefordert worden, ihr sein Unternehmen – wohl gegen Kostenersatz – zur Verfügung zu stellen und für die Dauer ihres Aufenthaltes zu sperren. Die heute so populäre Kaiserin hätte sich niemals freiwillig unters Volk gemischt.

Vor allem beim Schwimmen wollte Elisabeth alleine sein. Wenn sie während ihrer Reiseaufenthalte den Hotelpool benutzte, dann durfte das zur selben Zeit niemand anderer machen. Etwas schwieriger gestaltete es sich, dieses Anliegen am Meer durchzusetzen, denn der Atlantik und das Mittelmeer waren auch vom kaiserlichen Hofmeisteramt nicht so einfach zu sperren. Selbstverständlich mußte aber das von ihr verwendete Areal mit Bojen und Schnüren abgegrenzt werden. Am liebsten hätte die Kaiserin alle Sportarten, die sie ausübte, völlig abgeschieden von der Welt durchgeführt. Allerdings war das eben nicht immer möglich. Denn abgesehen davon, daß sie bei einem Bad im Meer das Gewässer zwangsläufig mit anderen teilen mußte, konnte man auch die Landschaft, in der sie spazierenging, wanderte oder kletterte, nicht zu ihrer ausschließlichen Benützung zur Verfügung halten. Also mußte einer ihrer zahlreichen Tricks angewendet werden, damit sie sich hinaus in die freie Natur wagte: Wenn sich Elisabeth schon unter das wenig geliebte Volk mischen mußte, dann sollte sie wenigstens niemand erkennen. Aus diesem Grund trug sie beinahe immer einen Schleier vor dem Gesicht oder verbarg es mit einem Fächer. Dadurch konnte man ihre Züge tatsächlich nicht sehen, was aber nicht bedeutet, daß sie in dieser Verkleidung nicht erkannt wurde. Denn im ganzen Reich war nur sie in dieser Aufmachung unterwegs. Der Rest der naturliebenden Damenwelt wanderte und spazierte auch damals mit unbedecktem Gesicht.


Oben: Der spätere König Friedrich August III. von Sachsen anläßlich seiner Verlobung mit Erzherzogin Luise von Österreich-Toskana, sowie (re.) seine Schwester Maria Josepha mit ihrem Ehemann, Erzherzog Otto. Unten: Friedrich Augusts damals 16jähriger Neffe Erzherzog Karl, der spätere letzte Kaiser von Österreich.


Ein in den Tagen der österreichisch-ungarischen Monarchie bekanntbedecktes Gesicht: die verschleierte Kaiserin Elisabeth.

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