Читать книгу Namaste geht immer - Gabriele Prattki - Страница 9

Оглавление

1983 – Erste Indienreise

Sabina strich mit beiden Händen über ihren Bauch. Vor einigen Wochen war sie aus Indien zurückgekommen und hatte sich im Krankenhaus behandeln und im Hamburger Tropeninstitut untersuchen lassen müssen. Eine somatische Ursache für ihre anhaltenden Durchfälle war nicht gefunden worden.

Der Hausarzt fragte, ob sie Stress oder Angst während der Reise gehabt hätte.

Schon vor der Reise hatte sie Angst gehabt, das aber verdrängt. Die Globetrotter, die bereits in Indien gewesen waren, hatten fasziniert von allem berichtet, was sie dort erlebt hatten: die Schönheit der Berge Kaschmirs, Rituale der Hindus, Leichenverbrennungen am Ganges, traumhafte Strände. Ashrams schienen beliebte Aufenthaltsorte für Menschen auf spiritueller, manchmal auch sexueller Suche zu sein. Von Toten auf den Straßen, um die sich niemand zu kümmern schien, hatte Sabina gehört. Unvorstellbar musste die Armut in Städten wie Kalkutta oder Benares sein. Für die Rucksackreisenden war alles interessant, exotisch und für einige wie ein Rausch gewesen.

Etwas in der Art hatte sich auch Sabina versprochen. Doch während ihrer sechsmonatigen Vorbereitung auf das Land hatten sich auch Zweifel eingestellt. So viel bittere Armut! Wollte sie sich das antun? Zusehen – wie Menschen in Deutschland Unfälle begafften – ohne helfen zu können? Doch ihre Freude an Menschen und exotischen Landschaften, die Neugier auf das Fremde und die Ahnung, dass die Klöster im Himalaja eine starke Anziehung auf sie ausüben könnten, überwogen ihre Bedenken. Wahrscheinlich, so hatte sie sich beruhigt, würde sie im Nordosten Indiens gar kein Elend sehen. Denn mit Ella, ihrer Freundin und auf fünf Kontinenten erfahrenen Globetrotterin, wollte sie nach Ladakh reisen und buddhistische Klöster besuchen.

Rückblick

Sabina und Ella hatten sich als Kolleginnen kennengelernt. Als Ella erfuhr, dass Sabina eine Wohnung suchte, vertraute sie ihr an, dass sie Probleme mit ihrem Mann hatte und eine neue Bleibe suchte. Ohne ein einziges Möbelstück zog Ella bei Sabina ein. Über sie lernte Sabina die anderen Globetrotter kennen und erfuhr von deren Art zu reisen, die sie nicht kannte. Da sie zu der Zeit selbst gesundheitliche und ebenfalls Beziehungsprobleme hatte, schien jede Veränderung ein Lichtblick zu sein.

So hatte sie 1982 Ellas Vorschlag zu einer Reise nach Westafrika gern angenommen und sich bei den Vorbereitungen um nichts gekümmert, weil sie Ella und ihrer Erfahrung vertraute.

In Côte d`Ivoire hatten sie Kontakt zu sogenannten Entwicklungshelfern, bei denen sie ein paar Tage bleiben durften. Der Techniker in Abidjan arbeitete nur deshalb noch dort, weil er sein Gehalt und den Luxus liebte, den er sich zu Hause nicht hätte leisten können. Er sammelte und exportierte heimlich wertvolle Kunstgegenstände. In den acht Jahren seiner Tätigkeit sei er zum Rassisten geworden, erklärte er, weil die Einheimischen eine andere Arbeitsmentalität hätten und nervtötend langsam wären. Oft würden sie so tun, als ob sie ihn nicht verstehen könnten. Das machte ihn rasend. Entsprechend menschunwürdig behandelte er seine Hausangestellten, was Sabina und Ella betreten zur Kenntnis nahmen.

In Ferkessedougou, einer Stadt im Norden des Landes, war die Frau eines anderen Technikers an einer lebensgefährlichen Form von Malaria erkrankt und wurde in Deutschland behandelt. Der Mann nahm Ella und Sabina eines Nachts mit zu einer Dorfzeremonie. Ella war erfreut und neugierig, Sabina erst ängstlich, dann fasziniert und wie betäubt von den fremden Gerüchen, Trommelgeräuschen und tanzenden Gestalten, die sie und Ella bald mit in ihren Kreis aufnahmen. Jene Nacht blieb eine Erinnerung voller Magie.

In einem einfachen Restaurant im damaligen Obervolta kamen Kinder an ihren Tisch und starrten hungrig auf das Essen für Sabina und Ella. Sabina konnte kaum einen Bissen zu sich nehmen, schob den Teller beiseite und blickte die Kinder an. Die stritten sich um die Reste.

Ella hatte herausgefunden, dass es östlich von Ouagadougou, der Hauptstadt des Landes, ein Dorf mit einem Häuptling geben musste, der Französisch sprach. Nachdem sie und Sabina aus einem Buschtaxi mitten in der weiten, trostlosen Wüstenlandschaft der Sahara ausgestiegen waren, suchte Ella danach. Der Himmel war rot vom Wüstenwind. Einige Kinder kamen ihnen entgegen, die sie nach gestenreicher Verständigung zu jenem Dorf führten. Ella war begeistert, als sie dem Häuptling, einem jungen Mann, vorgestellt wurden und sie ihn zum Dorfleben befragen durfte. Bei der Führung durch den Kral wurden sie, die fremden Frauen, freundlich und oft zahnlos lächelnd begrüßt.

Für das Jahr 1983 plante Ella, die schon einige Male in Indien gewesen war, eine Reise nach Ladakh und fragte Sabina, ob sie mitkommen wolle. Sie war unsicher, sagte aber schließlich zu.

2012

Während der Besichtigungstour durch New Delhi informiert der Reiseleiter die Gruppe über den Fortschritt in Indien und New Delhi seit der Jahrhundertwende.

Sabina notiert Stichworte. Zahlreiche indische Bauern sind durch Landverkauf reich geworden. Die Städte haben sich wegen der ständig zunehmenden Anzahl an Menschen immer weiter ausgedehnt. Dort, wo früher Bauern ihr Land bestellten, stehen heute kilometerweit Hochhäuser und kleinere Häuser mit Apartments.

Reiche indische und ausländische Investoren kaufen Boden und Immobilien. Slums werden an vielen Stellen abgerissen, doch an den Rändern der Neubaugebiete entstehen sie wieder. Die dort lebenden Menschen zahlen Miete für die wenigen Quadratmeter, auf denen sie hausen, nutzen aber Strom und Wasser kostenlos. Das soll vermieden werden. Megastädte wie New Delhi bieten den Slumbewohnern Wohnraum gegen Bezahlung an. Die Umsiedlungspläne scheitern jedoch am geringen Einkommen dieser Menschen.

Riesige Drahtgeflechte hängen über den Straßen, ein Wirrwarr aus Leitungskabeln an Holzpfählen und Straßenlaternen. Sabina staunt, dass das Gewimmel aus Menschenmassen und Verkehrsmitteln zu fließen scheint. Bettler tauchen aus der Menge auf, sobald die Touristengruppe aus dem Bus steigt. Menschen liegen unter Decken auf kleinen, mit Bäumen begrünten Arealen an Kreuzungen. Kinder turnen, verbiegen ihre Körper wie Akrobaten, um Geld von den Autofahrern zu bekommen, die im Stau oder an einer Ampel halten. Heute leben die Slumbewohner wohl nicht mehr in Müllbergen wie damals, oder wird das nicht gezeigt?

Namaste geht immer

Подняться наверх