Читать книгу Der geheimnisvolle Brandstifter - Gabriele Schillinger - Страница 5

Familie

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Hanna war Rebeccas beste Freundin. Sie versuchte nach ihrer Karenzzeit wieder Fuß im Berufsleben zu fassen und arbeitete Teilzeit bei einem Rechtsanwalt. Ihr kleiner Sohn Lukas war normalerweise im Kindergarten, aber leider erwische ihn ein hartnäckiger Husten und musste im Bett bleiben. Rebecca sprang deshalb an ihren freien Tagen als Kindermädchen ein, damit Hanna nicht gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit Pflegetage in Anspruch nehmen musste.

Rebecca mochte den kleinen Lukas. Sie selbst hatte keine Kinder und auch keinen aktuellen Freund. Eigentlich hatte sie noch überhaupt keine längere Beziehung. Sie lebte gerne alleine, deshalb hatte sie immer nur kurze Bekanntschaften. Immer, wenn einer der Männer von Zukunft sprach, war die Verliebtheit rasch verflogen. Rebecca bevorzugte es ihr Leben selbst zu bestimmen. Vielleicht hatte sie aber auch Angst, nicht beziehungsfähig zu sein, nicht zu wissen, wie eine funktionierende Familie lief. Immerhin hatte ihr niemand vorgelebt wie es ist Eltern oder Geschwister zu haben. Rebecca war jedoch nicht unglücklich darüber. Sie hatte ihre Freunde, dessen Kinder sie Tante nannten und wenn sie körperliche Nähe brauchte, dann suchte sie im Internet nach einer kurzen Bekanntschaft.

Als Rebecca am Mittwoch wieder ins Geschäft kam, sah sie die neue Eingangstüre. Die Besitzerin hatte sie mit einem qualitativ hochwertigeren Glas austauschen lassen.

Ihre Vorgesetzte hatte ihre eigene Art bezüglich der Anordnung der Blumen, was Rebeccas kreativen Blick jedoch schmerzte. Also begann sie gleich einmal damit, alles an seinen richtigen Platz zu räumen. Ebenso legte sie großen Wert darauf, dass der Kunde beim Betreten des Geschäftes nicht sofort nur die Kasse erblickte, die ihre Geldbörse schmälerte. Besser war, die Kunden zuerst mit farbenprächtigen Blumen zu verführen, für die sie gerne ihr Geld gaben. Nein, sie schob nicht das schwere Verkaufspult durch den Raum, sondern stellte eine saftig grüne Pflanze vor die Kasse.

Der Tag lief gemütlich an, doch später passierte etwas Ungewöhnliches. Ein Mann stand im Geschäft und Rebecca bemerkte, dass er weniger an den Blumen interessiert war als an ihr. Nach einiger Zeit kam er ans Verkaufspult und fragte, ob sie Rebecca hieß. Warum er ihren Namen kannte, verwirrte sie. Rebecca überlegte, ob es vielleicht einmal ein flüchtiger Bekannter aus einer Bar oder dem Internet war. Andererseits sprach sie nie darüber wo sie arbeitete, um etwaigen unangenehmen Besuchen wie diesem aus dem Weg zu gehen. Möglicherweise kam er auch nur zufällig in das Blumengeschäft und erkannte sie wieder. Leider hinterließ er bei ihr keinen so tiefen Eindruck, dass sie ihn in Erinnerung behielt.

Bald stellte sich heraus, dass sie ihn zuvor noch nie gesehen hatte. Zumindest nicht so, wie er jetzt aussah. Rebecca konnte sich unmöglich an ihn erinnern, denn die letzte Begegnung war schon sehr, sehr lange her.

Der Mann stellte sich als David Leitner vor. Überrascht hob Rebecca ihre Augenbrauen. Leitner war auch ihr Familienname. Wer war dieser geheimnisvolle Mann?

David streckte ihr seine Hand hin, lächelte und sagte, sie bräuchte keine Angst vor ihm zu haben. Er war kein Stalker, sondern nur ihr Bruder. Rebecca schaute ihn mit großen Augen an. Sie konnte sich an keinen Bruder erinnern. War er ein Betrüger? Was erlaubte sich dieser dahergelaufene seltsame Mann sie derart zu erschrecken?

David verstand Rebeccas Zurückhaltung, immerhin war sie noch ein Baby als sie sich zuletzt gesehen hatten. Nochmals versicherte er, kein Verrückter oder gar Hochstapler zu sein. Er würde sich nur wünschen in Ruhe ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Rebecca überlegte. Der Mann war gepflegt und seine Stimme angenehm ruhig. Hätte er nicht ihren Namen gewusst, wäre er einfach nur ein netter Kunde, der das Geschäft betrat.

Trotz ihrer Zweifel stimmte sie zu, sich mit ihm nach der Arbeitszeit zum Essen zu treffen.

Rebecca konnte sich an diesem Tag kaum konzentrieren. Ständig mit den Gedanken an den unerwarteten Besuch von David bemerkte sie sogar den einen oder anderen Kunden erst, als er genau vor ihr stand. Die Verabredung kam immer näher und ihre Nervosität schien keine Obergrenze zu kennen. Hektisch wurden alle paar Minuten die Blumen in den Kübeln geschlichtet oder auf die Uhr gesehen, doch die Zeiger darauf bewegten sich kaum. Die Zeit verging einfach viel zu langsam, also versuchte sie sich krampfhaft von den Gedanken an diesen Mann abzulenken. Rebecca griff zum Telefonhörer und rief Hanna an, um zu fragen, wie es Lukas ging. Von David wollte sie ihr noch nichts erzählen, also fiel ihr die Konzentration beim Telefonat noch viel schwerer als gedacht. Hanna redete wie ein Wasserfall und bemerkte überhaupt nicht, dass ihre Freundin mit den Gedanken ganz wo anders war. Doch Hanna war immer so. Hauptsache sie stand im Mittelpunkt und konnte darauf los plappern. Währenddessen überlegte Rebecca, ob sie mit diesem Mann wirklich verwandt sein könnte. Ihre Mutter hatte nie einen Bruder erwähnt. Vielleicht war er nur ein Halbbruder, also von ihrem Vater, den sie ja auch nicht kannte. Könnte sie etwa durch ihn ihren Vater kennen lernen?

Hätte Rebecca das Telefonat nicht irgendwann beendet, würde Hanna heute noch reden. Die gedankliche Abwesenheit von Rebecca hatte sie bis zum Schluss nicht bemerkt.

Endlich war es soweit, die Öffnungszeit ging dem Ende zu. Rebecca räumte die Blumen vom Gehweg ins Geschäft und rechnete die Kassa ab. Nun erreichte ihre Nervosität ihren Höhepunkt.

Rebecca stand vor dem vereinbarten Restaurant. Unentschlossen, ob sie in das Lokal hinein gehen sollte, trat sie von einem Fuß auf den anderen. Vielleicht war es besser, diesem Mann aus dem Weg zu gehen. Er könnte immerhin auch gefährlich sein. Möglicherweise war er aus dem Kinderheim und kannte ihre Geschichte? Gerade, als sie sich zum Gehen entschied, stand plötzlich David vor ihr. Er war eben erst gekommen und bemerkte Rebeccas Unentschlossenheit. Nun konnte sie nicht mehr aus und betrat zaghaft mit ihm das Restaurant. David hatte einen Tisch reservieren lassen, denn das Lokal war sehr gut besucht. Sie bestellten ihre Getränke, dann vergrub sich Rebecca vorerst einmal in der Speisekarte, um ihn nicht ansehen zu müssen.

David fiel die Entscheidung, seine Schwester aufzusuchen, nicht leicht. Er hatte lange darüber nachgedacht. Immerhin würde diese Begegnung einen großen Einfluss auf ihr Leben nehmen.

Der Kellner brachte die Getränke und nahm die Essensbestellung auf. Eigentlich hatte niemand von ihnen wirklich Hunger, also bestellten sie einfach eine Speise, die sie ansonsten immer gerne aßen.

Nachdem sie sich etwas von ihrer Nervosität erholte, hatte Rebecca viele Fragen. David wusste, dass er zuerst einmal beweisen musste wer er war, deshalb bat er sie einfach mal nur zuzuhören.

Zuerst zog er die Heiratsurkunde seiner Eltern hervor, die er nach dem Tod seines Vaters am Dachboden fand. Tatsächlich stand der Name von Rebeccas Mutter darauf. Sie heiratete fünf Jahre vor ihrer Geburt einen Erich Leitner. Diese Urkunde bewies allerdings nicht, dass dieser Erich ihr Vater war. David holte eine weitere Urkunde aus seiner Mappe und legte ihr seine eigene Geburtsurkunde auf den Tisch. Darauf waren Jutta und Erich Leitner als Eltern angegeben. Also könnte es wirklich sein, dass sie die gleichen Eltern hatten?

Der Kellner brachte die Speisen. Nachdenklich stocherte Rebecca in ihrem Teller herum. Das Essen war wirklich gut, nur war der Magen mit verwirrten Gedanken gefüllt und ließ lediglich kleine Bissen zu. Auch David aß langsamer als gewöhnlich. Es fiel ihm nicht leicht, Rebeccas Leben auf den Kopf zu stellen. Nachdem beide die Teller zur Seite stellten und Zeit zum Nachdenken hatten, wurde weitergesprochen. Nun zog David erneut etwas aus seiner Mappe und legte es Rebecca vor. Es war tatsächlich Rebeccas Geburtsurkunde auf der die gleichen Eltern angegeben waren. Etwas erschrocken starrte sie das Dokument an. Sie selbst hatte nur eine Kopie ihrer Geburtsurkunde und dort war der Vater als Unbekannt angegeben. Diese jedoch schien ein Original zu sein. Hatte ihre Mutter die Urkunde etwa gefälscht, damit sie nicht erfuhr, wer ihr Vater war? David erklärte, dass auch er eine Kopie von seiner hatte, auf der der Name seiner Mutter unleserlich war. Er erzählte seiner Schwester, dass er, nachdem sein Vater verstarb, sein Haus räumte und dabei die Unterlagen in einem Karton gefunden hatte. Danach begann er mit Recherchen, ob die Urkunden tatsächlich echt waren und wie es zu seiner falschen Geburtsurkunde kam. Es dauerte sehr lange, bis er alle Informationen beieinander hatte. David war zwei Jahre älter als Rebecca. Als sie gerade ein halbes Jahr alt war, zerstritten sich die Eltern. Den Grund bekam David nicht heraus, doch war es ein wirklich heftiger Streit, der sie dazu brachte, sich scheiden zu lassen. Damals wurde vereinbart, dass die Tochter bei der Mutter leben sollte und der Sohn bei dem Vater. Der Bruch war derart schlimm, dass sie jeglichen Kontakt zwischen ihnen unterbanden und dies sollte auch für ihre Kinder gelten.

Es dauerte eine Weile bis Rebecca Davids Geschichte Glauben schenkte. Die beiden bestellten sich noch ein Bier und ihr Gespräch wurde zunehmend lockerer. David war sehr neugierig, wie ihre Mutter war. Er stellte viele Fragen nach ihrer Persönlichkeit. Zudem hatte er absolut keine Ahnung wie sie ausgesehen hatte und fragte nach einem Foto. Rebecca versprach ihm beim nächsten Treffen eines mitzunehmen, wenn auch er eines von dem Vater mitbrachte. Also stand fest, dass sie sich wiedersehen würden um sich über ihre Eltern auszutauschen. David war sehr froh darüber, es hätte auch gut sein können, dass seine Schwester keinen Kontakt zu ihm wollte.

Die Geschwister waren tief in ihr Gespräch vertieft, als der Kellner an sie trat, um sie an die Sperrstunde zu erinnern. Die Zeit war wie im Flug vergangen. Sie bezahlten ihre Rechnung und verabredeten sich für den nächsten Tag.

Gleich am Morgen rief Rebecca ihre Freundin Hanna an. Aufgeregt erzählte sie von dem letzten Abend. Hanna kam dieses plötzliche Auftauchen des angeblichen Bruders recht seltsam vor. Nach dem Telefonat kam Rebecca wieder Zweifel auf. Ihre Freundin hatte Recht, sie sollte dem Fremden nicht gleich vertrauen.

David stand am Abend vor dem Blumengeschäft, um seine Schwester abzuholen. Diesmal gingen sie in ein weniger nobles Restaurant. Ein Gasthaus mit gutem Bier tat es auch.

Sie zeigten sich gegenseitig die mitgebrachten Fotos. David schien generell mehr aus der Vergangenheit zu besitzen. Er hatte ein Foto an dem er mit seinem Vater und einem kleinen Baby abgebildet war. Die Decke, in die das kleine Kind eingewickelt war, erkannte Rebecca. Genauso eine hatte sie bei ihr zu Hause. Ihre Mutter meinte immer, dass es ihre Babydecke war. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Wenn die Decke auf dem Foto ihre war, dann stimmte Davids Geschichte vielleicht doch. Hatte sie ihr Vater tatsächlich auf dem Arm gehalten? Er schaute so glücklich aus. Wie konnte er dann bloß den Kontakt zu ihr total aufgeben? David hatte die gleichen Gedanken, nur im Bezug zu seiner Mutter. Jeder Teil ihrer Eltern trennte sich von einem ihrer Kinder. Normalerweise würde Rebecca, hätte sie nicht ihre Mutter als liebevollen und guten Menschen gekannt, solche Eltern als herzlos bezeichnen.

Es herrschte einige Zeit Stille. Die Fotos gingen ihnen aus vielen Gründen sehr nahe. Sie suchten nach optischen Ähnlichkeiten. Doch wurde mit den Fotos auch Sehnsucht und Traurigkeit hervorgerufen. Rebecca bemerkte die feuchten Augen ihres Bruders. Diese Reaktion konnte er nicht spielen. Es war echt. Ihr Bruder war echt.

Die beiden trafen sich oft und mit ihren Erzählungen konnten sie sich ein umfassendes Bild ihrer Eltern machen. Vieles fügte sich zusammen, was in der Vergangenheit gesagt wurde und erst jetzt Sinn ergab. Doch am meisten beschäftigte das Geschwisterpaar, warum sich ihre Eltern derart hassten, dass sie sogar die Kinder voneinander fernhielten.

David sagte ein Treffen ab, er hatte beruflich viel zu tun. Rebecca rief daraufhin ihre Freundin Erika an, die spontan Zeit hatte. Erika war zurzeit auf Jobsuche, also war es kein Problem für sie sich an einem Montagabend mit Rebecca zu treffen. Beide konnten sich am Tag darauf ausschlafen.

Hanna war bezüglich David noch immer ein bisschen skeptisch. Erika hingegen hatte keine Zweifel an der Geschichte und freute sich riesig für ihre Freundin.

Ziel war ein Tanzlokal, welches zwar unter der Woche nicht besonders gut besucht war, aber das störte sie nicht. Zuerst saßen sie oben im Lokal. Sie hatten sich schon länger nicht mehr gesehen und da gab es vorerst einmal viel zu plaudern. Erika wollte einfach alles wissen und da sie gerade Single war, interessierte sie sich für Davids Aussehen. Sie fragte nach seinem Familienstand, was er beruflich machte, aber auch welche Hobbys er hatte. Nach all diesen Fragen bemerkte Rebecca, dass sie eigentlich nicht so viel über ihren Bruder wusste. Meist sprachen sie von der Vergangenheit und weniger über die Gegenwart. Was machte David eigentlich beruflich? Er erzählte immer nur, er hätte viel zu tun. Doch was?

Nachdem die Freundinnen zwei Wodka- Orange getrunken hatten, begaben sie sich in den Keller auf die Tanzfläche. Es tat gut, die Gefühle beim ausgelassenen Tanzen herauszulassen. Einige Zeit später begaben sie sich an die Bar und bestellten sich noch ein drittes Glas.

Der geheimnisvolle Brandstifter

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