Читать книгу Eine unberechenbare Zeugin - Gabriele Schillinger - Страница 4
Die Parkgarage
ОглавлениеElena lief bereits eine knappe Stunde. Ihre Wut wechselte auf Traurigkeit und danach auf den Gedankengang, wie die Trennung vonstattengehen sollte. Sie gab Ben eine Chance, die er nicht nutzte. Nach so kurzer Zeit wieder den gleichen Fehler zu begehen war unverzeihlich. Die Beziehung musste beendet werden, bevor sie sich an das Chancengeben gewöhnte und in einer unglücklichen Partnerschaft stecken blieb, aus der sie aus eigener Kraft nicht mehr herauskam. So schmerzlich es auch war, nicht sie hatte die gemeinsame Zukunft kaputt gemacht, sondern er.
Plötzlich hörte Elena einen lauten Streit in der naheliegenden Parkgarage. Vorsichtig näherte sie sich und sah fünf Männer in Anzügen. Zwei standen sich direkt gegenüber und schrien sich an. Was machten sie um diese Zeit in einer öffentlichen Garage?
Der Streit zwischen den Männern spitzte sich zu. Unerwartet zog einer von ihnen eine Waffe aus der Jacke und schoss. Elena erschrak derart, dass sie eine leere Dose am Boden umstieß. Prompt wanden die Männer ihren Blick in Elenas Richtung, die sich schnell duckte. Sie wartete eine Weile und schaute erneut vorsichtig über die Mauer in die Garage.
Der Mann mit der Waffe schickte zwei seiner Leute, um nachzusehen was das war. Mit gezogener Waffe machten sie sich auf den Weg und Elena begann zu laufen.
Sie rannte so schnell sie konnte, doch die Männer waren ihr dicht auf den Fersen. Der gegenüberliegende Park sollte ihr ein wenig Schutz bieten. Immerhin kannte sie sich dort gut aus und sollten die Verfolger Fremde sein, dann konnten sie sich im finsteren Park nicht so gut wie sie zurechtfinden.
Der Park war groß und die Verfolgung dauerte länger an, als sie dachte. Schließlich kletterte sie schnell auf einen der Bäume hoch und versuchte sich still zu verhalten. Die Männer suchten noch einige Zeit nach ihr. Einmal gingen sie direkt beim Baum vorbei, doch zum Glück schaute keiner von ihnen nach oben. Dann brachen sie die Verfolgung ab und begaben sich wieder zum Parkhaus. Elena holte ihr Handy aus der Hosentasche und rief die Polizei an. Besser sie blieb noch eine Weile am Baum sitzen. Zumindest bis sie die Sirenen hören konnte.
Die Zeit schien sehr langsam zu vergehen und die Polizei ließ sich lange nicht blicken.
Endlich konnte sie die Einsatzwägen hören. Vorsichtig hüpfte sie von ihrem Versteck und ging zum Ausgang des Parks. Spontan beschloss Elena, sich hinter einer Hecke zu verstecken und dem Gespräch der Polizisten zu lauschen.
Sie konnten keinerlei Hinweis auf ein Verbrechen in der Garage finden und meinten, es wäre ein dummer Scherzanruf. Da sie sich furchtbar über diesen unnötigen Aufwand aufregten, überlegte Elena, ob sie sich überhaupt zu erkennen geben sollte.
Vielleicht war besser, nicht im Protokoll als Zeugin geführt wurde. Immerhin hatte sie keine Ahnung, wie gefährlich die Männer aus der Garage waren. Zudem würde man in ihrem Leben herumstochern und herausfinden, dass sie sich eben von ihrem Freund getrennt hatte. Für die Polizei war sie dann wahrscheinlich keine zuverlässige Zeugin.
Sie blieb hinter einem Strauch hocken und hoffte, dass niemand in ihr Versteck schauen würde.
Die Polizei zog nach einer Weile wieder ab. Elena beschloss, über einem anderen Parkausgang nach Hause zu laufen.
Ben lag im Bett und schnarchte. Elena hatte keine Lust sich neben ihn zu legen, also machte sie es sich auf dem Wohnzimmersofa bequem. Schlafen konnte sie jedoch nicht gut, denn all diese Vorfälle an einem Tag verfolgten sie in den Träumen. Sie schreckte des Öfteren auf. Zum Glück rief sie die Polizei mit unterdrückter Nummer an, so hatte sie noch Zeit um nachzudenken, was sie weiterhin tun wollte. War es die richtige Entscheidung den Beamten nichts zu sagen?
Am nächsten Morgen meldete sie sich am Arbeitsplatz krank. Sie beschäftigte sich viel zu sehr mit ihren privaten Problemen, als dass sie sich auf die Teilnehmer konzentrieren konnte. Als Ben die Wohnung verließ, stellte sie sich schlafend. Auf keinen Fall wollte sie mit ihm über seine Untreue diskutieren, dafür war sie viel zu müde.
Bei einer Tasse Kaffee überlegte Elena, wie es mit ihrer Partnerschaft weitergehen sollte. Wahrscheinlich hätte sie ihm einen Ausrutscher im Laufe der Zeit verzeihen können. Zwei oder mehr allerdings nicht. Er hatte nicht einmal abgewartet, bis ihre erste Wunde verheilt war. Dieser zweite Seitensprung zeigte ihr, dass er es immer wieder tun würde und so wollte Elena einfach keine Beziehung führen. Entschlossen ging sie ins Schlafzimmer, öffnete den Kasten und packte einen Koffer mit Bens Sachen. Ihr Traum, gemeinsam mit ihm ein Haus mit Garten zu kaufen, löste sich in Luft auf. Zum Glück hatte er noch rechtzeitig sein wahres Gesicht gezeigt.
Ein paar Stunden später standen drei Koffer im Vorraum. Sie packte ihm alle wichtigen Dinge darin ein. Danach rief sie ein Taxi, welches die Sachen zu Ben in die Firma brachte.
Es war eine wahrhaftig peinliche Situation, als der Fahrer mit dem Gepäck in seinem Büro auftauchte. Sofort versuchte er Elena anzurufen, doch sie hob nicht ab. Kurz darauf bekam er eine Nachricht auf sein Handy. Sie schrieb ihm, dass er die Verantwortung für sein Tun übernehmen musste. Falls sie etwas vergessen hatte einzupacken, könnte sie es ihm gerne nachschicken. Ben war aus allen Wolken. Hatte er etwa gedacht, Elena würde sich seine Untreue einfach so gefallen lassen?
Ein beauftragter Schlosser wechselte die Schlösser aus. Falls Ben auf die Idee kam, am Abend wieder nach Hause zu kommen, sollte er nicht mehr hineinkönnen.
Traurig, aber doch erleichtert, lehnte sie sich im Schreibtischsessel zurück. Erleichtert deswegen, weil sie die Beziehung konsequent beendet hatte. Würde sie länger darüber nachdenken, hätte sie vielleicht nicht mehr die Kraft für eine Trennung gehabt. Ben und sie waren lange zusammen. Da er nun auch mehr verdiente, wollten sie auf ihr Traumhaus sparen und möglicherweise doch noch eine Familie gründen. Ben gab das Geld fürs Haus allerdings für Schmuck aus, den er einer anderen Frau schenkte. Er hatte ihren Traum von einer gemeinsamen Zukunft zerstört, das war unverzeihlich.
Natürlich gab es auch schöne Zeiten, aber die lagen in der Vergangenheit. Besser es war ein schneller Schlussstrich. Nicht so, wie manche Frauen jahrelang unglücklich neben einem Mann zu verwelken drohen.
Viktor versuchte Elena telefonisch zu erreichen. Es war ungewöhnlich, dass sie sich derart unerwartet krankmeldete. Elena hatte allerdings keine Lust mit irgendjemandem zu sprechen.
Abwechselnd kamen Traurigkeit und Wut in ihr hoch. Wenn ihr Blick durch das Wohnzimmer schweifte, sah sie Dinge, die sie mit Ben in Verbindung brachte. Gemeinsame Fotos warf sie in eine Schublade, übersehene Bücher in eine große Schachtel, in welche auch die restlichen Dinge kamen, die sie nicht haben wollte.
Plötzlich sprang sie aus dem Sessel, öffnete alle Fenster und ging ins Schlafzimmer, um die Bettwäsche zu tauschen. Sie konnte seinen Geruch nicht mehr ertragen. Die Waschmaschine lief auf Hochtouren. Selbst Vorhänge und die Wohnzimmerdecken landeten in der Maschine. Es würde zwar noch einige Zeit dauern, bis nichts mehr in der Wohnung auf ihn hindeutete, doch dies war ein guter Anfang.
Abends war es still in den Räumen. Ben kannte Elena gut und wusste genau, dass sie ihn nicht in die Wohnung lassen würde, also nahm er sich vorerst einmal ein Hotelzimmer.
Elena hatte allerdings noch ein weiteres Problem. Der Vorfall in der Nacht. Sie drehte den Fernseher auf. Vielleicht kam etwas in den Nachrichten? Immerhin wurde jemand erschossen.
Der Nachrichtensprecher redete von einem Hausbrand, einer Messerstecherei in einem anderen Bundesland, einem Autounfall und einem vermissten Politiker. Nichts was auf den Toten in der Garage hinwies. Aber vielleicht hatte er ja auch Glück und lebte noch?
Möglich war auch, dass ein paar Leute einen Amateur Film drehten. Andererseits, warum hatte man sie dann bewaffnet verfolgt?
Elena zog sich ihre Sportsachen an und joggte zum Tatort. Vorsichtig ging sie in die Parkgarage, um nach Spuren zu suchen. Genau dort, wo auf den Mann geschossen wurde, befand sich ein großer Ölfleck. Wahrscheinlich hatten die Verbrecher Blutspuren damit verdeckt. Elena erschrak, ein Auto fuhr in die Garage um einzuparken. Sie lief schnell wieder aus dem Gebäude, joggte eine Runde um den Park und rannte die Stufen zu ihrer Wohnung empor. Als hätte sie jemand verfolgt, verschloss sie hektisch die Eingangstüre. Nachdem Elena mit der Dusche fertig war, nahm sie am Schreibtisch Platz und suchte im Internet nach Hinweisen zu dem Verbrechen. Doch wollte sich einfach nichts finden lassen. Irgendwann fielen ihr die Augen zu. Ohne sich die Zähne zu putzen, legte sie sich erschöpft ins Bett.
Der leere Magen weckte sie zur Mittagszeit. Zuerst fuhr sie erschrocken hoch, in dem Glauben, verschlafen zu haben. Dann dämmerte es ihr langsam, dass sie im Krankenstand war.
Im Radio wurde wieder über den vermissten Sekretär vom Verteidigungsminister gesprochen. Auch die Unruhen rechtsradikaler Gruppen wollten sich nicht beruhigen. Schlaftrunken setzte sie sich mit ihrer Müslischüssel zum Küchentisch.
Was sollte sie wegen des Vorfalls in der Garage tun? Am liebsten wäre sie zur Polizei gegangen, doch die glaubten an einen falschen Notruf. Nichts wies auf ein Verbrechen hin, lediglich sie hatte es gesehen. Doch was war ihre Aussage ohne Beweise wert? Wahrscheinlich dachte man, Elena wäre durcheinander. Niemand würde ihr glauben. Zweifelte doch sogar sie schon langsam an sich selbst. Was, wenn sie wirklich durcheinander war und die Realität nicht mehr von bösen Träumen trennen konnte?
Ben versuchte Elena zu erreichen. Noch war sie nicht bereit mit ihm zu reden, aber irgendwann musste sie wohl.
Eine Woche später rief sie ihn an. Seine Ausreden und sein Flehen nach Verständnis wollte sie nicht hören, also legte sie gleich wieder auf. Zwei Tage später trafen sie sich in einem Lokal. Elena ging es nur darum, was er noch von der Wohnung brauchte. Ben begriff schnell, dass seine Freundin einen endgültigen Schlussstrich unter die Beziehung gemacht hatte. Obwohl er sie vermisste und seine Taten bereute, musste er ihre Entscheidung akzeptieren. Gegen ihren überaus konsequenten Rausschmiss konnte er auch nichts tun. Die Wohnung gehörte Elena.
Das Gespräch verlief ruhig, nahezu schweigsam. Ben legte Elena einen Zettel mit seiner neuen Adresse auf den Tisch. Er hatte nicht lange gebraucht um eine Frau zu finden, bei der er wohnen konnte. War er etwa sexsüchtig? Elena war erschüttert, dass sie in so vielen Jahren nicht bemerkte, wie Ben wirklich war. Vielleicht ging er schon viel früher fremd und sie bemerkte es nur nicht. Natürlich war auch Wehmut dabei, immerhin liebte sie ihn noch. Aber ohne Vertrauen funktionierte einfach keine Beziehung mehr. Hätte er bloß offen mit ihr über sein Verlangen nach anderen Frauen gesprochen. Elena war nicht prüde und zum richtigen Zeitpunkt vielleicht sogar zu einer Übereinkunft offen gewesen, doch die Lügen gingen einfach nicht.
Zurück in der Wohnung klebte sie Bens Kisten zu. Er schickte einen Freund vorbei der sie abholte und zu seiner neuen Adresse brachte. Der Vorraum schaute leer aus, als Bens Sachen weg waren. Lediglich am Boden lag Schmutz herum, den Elena mit einem Besen wegkehrte. Der Platz, an dem immer Bens Schuhe standen, war frei. Nie mehr würden dort welche von ihm stehen.
Nun war es endgültig. Elena krümmte sich auf dem Bett zusammen und weinte.
Da sie sich weiterhin krankschreiben ließ, stand eines Tages Viktor vor ihrer Türe.
Elena sah tatsächlich krank aus. Krank vor Kummer.
Viktor trat ein und umarmte sie wieder. Er war für Elena wie ein großer Bruder, der sich um sie sorgte.
Sie setzten sich ins Wohnzimmer und redeten. Allerdings ging es nur um ihre Trennung von Ben, das beobachtete Verbrechen wollte sie lieber verschweigen.
Im Nachhinein tat Elena das Gespräch mit ihrem Freund gut. Möglicherweise hätte sie ihn schon früher einweihen sollen. Er wusste bislang nur von Bens erstem Fehltritt. Viktor war daher noch im Glauben, es würde sich zwischen den beiden wieder zum Guten wenden. Auch er war über Bens Verhalten erschüttert. So hatte er ihn nicht eingeschätzt.
Als Elena wieder zur Arbeit ging, erwarteten sie neue Teilnehmerinnen für den Verteidigungskurs. Die Gruppe zuvor übernahm ihr Kollege. Zudem war ihr Kurs schon zu Ende. Nur Eva sah Elena noch ab und zu bei Viktor trainieren. Das Boxen half ihr ihre Wut unter Kontrolle zu bekommen und was noch wichtiger war, sie akzeptiere Viktor, obwohl er ein Mann war.
Elena wusste, es gab in jeder Gruppe eine Eva und es gelang nicht, jeder zu helfen. Die Frauen mussten bereit dazu sein. Bei einigen gelang es einfach nicht, an sie heran zu kommen. Manchmal mussten sie auch von der Gruppe hinausgenommen werden, weil sie die anderen verletzten. Ihre aufgestauten negativen Gefühle waren kaum im Zaum zu halten. Elena bedauerte jeden dieser Rauswürfe, bot ihnen jedoch immer einen alternativen Kurs an, welchen allerdings die wenigsten annahmen.
Es war einfach nicht ihre Aufgabe Soldatinnen auszubilden, sondern lediglich Frauen und Männer, die sich wehren konnten, wenn es darauf ankam. Ja, sie hatte auch manchmal Männergruppen. Es waren weniger als die reinen Frauengruppen, weil Männer sich schwerer taten um Hilfe zu bitten. So fanden auch nur drei im Jahr statt.
Die meisten von ihnen waren schon als Kind unterdrückt worden. Es war dann schwierig im Erwachsenenalter selbstbewusst aufzutreten. Sie wurden zum Magnet von dominanten Menschen und von welchen mit hohem Aggressionspotenzial.
Männer, die wie Eva waren, kamen entweder zu Viktor, oder zu ihrem Kollegen Paul. Es waren auch immer wieder ehemalige Häftlinge dabei, die versuchten, mit dem Kampfsport ihre Emotionen im Zaum zu halten. Aber auch Kinder, bei denen eine Gesprächstherapie nicht ausreichte. Meist wurden sie vom Jugendamt geschickt.
Die Arbeit ließ Elena ihre eigenen Probleme vergessen. Ben war bereits Geschichte und das beobachtete Verbrechen geriet immer mehr in Vergangenheit. Obwohl es Elena nach wie vor widerstrebte, nichts zur Aufklärung beitragen zu können.
An einem schönen Samstag war sie bei Viktor und seinem Freund zum Grillen eingeladen. Weiteres kamen noch ein schwules, ein lesbisches Paar und eine alleinstehende Frau. Es war nett von den beiden, dass sie Elena mit ihr verkuppeln wollten, doch, obwohl sie auch Frauen nicht abgeneigt war, interessierte sie sich noch nicht für eine neue Beziehung. Trotz allem war es ein wirklich schöner Tag. Viktor erwies sich als guter Koch. Er bereitete die Salate, die Soßen und Beilagen zu. Sein Freund Karl stand am Grill.
Es wurde viel gelacht und irgendwie schmeichelten Elena die Annäherungsversuche von Melani. Sie war eine sehr hübsche Frau, aber Elena wollte an diesem Abend niemanden mit zu sich nach Hause nehmen.
Gegen einen kleinen Flirt hatte sie allerdings nichts einzuwenden.
Viktor war nicht enttäuscht, er freute sich einfach nur, dass Elena endlich wieder unter Leute ging.
Schon etwas angetrunken dachte Elena nach Hause zu gehen. Sie war müde von dem langen, anstrengenden Tag. Melani gab ihr zum Abschied einen flüchtigen Kuss auf den Mund und einen Zettel mit ihrer Telefonnummer in die Hand. Beide lächelten, wussten aber, dass sie wahrscheinlich nie anrufen würde.