Читать книгу Die Provinzen des Imperium Romanum - Gabriele Wesch-Klein - Страница 13
Leitlinien der römischen Provinzpolitik
ОглавлениеBis ins späte 3. Jahrhundert v. Chr. beschränkte sich Rom darauf, Einfluss auf Dritte mittels diplomatischer Beziehungen, Bündnissen und durch ein militärisches Übergewicht auszuüben. Ziel der römischen Politik war es, andere zu schwächen, sich selbst mit geringem Aufwand dauerhaft die Vorherrschaft im Mittelmeerraum zu sichern und dennoch ein Höchstmaß an Stabilität sowie Sicherheit zu erlangen. Erst infolge der Auseinandersetzungen mit Karthago begann man, unterworfene Gebiete außerhalb des italischen Mutterlandes einer direkten Kontrolle zu unterstellen. Ihre wesentlichen Kennzeichen waren die Ausübung der Steuerhoheit, der Jurisdiktion und die militärische Präsenz. Die damalige ‚Provinzorganisation‘ ist nur sehr bedingt mit der in späterer Zeit zu vergleichen. Man behalf sich damit, Imperiumträger zu entsenden, die mittels ihrer umfassenden Kompetenzen, insbesondere ihrer militärischen Potenz, vor Ort als Statthalter walteten. Als ihre Aufgabe sahen sie die Eintreibung von Abgaben und die Sicherung des Friedens an. Wurden die Interessen Roms nicht gewahrt, griffen die Statthalter ein.
Inbesitznahme von Territorien
Die römischen Provinzen sind allerdings nur teilweise ein Ergebnis erfolgreicher Feldzüge, denn Territorien wurden bisweilen friedlich annektiert. Hinzu kommen Gebiete, die an Rom durch Erbschaft fielen, wie zum Beispiel das Reich der Attaliden (siehe unter Asia). Weitere Provinzen entstanden durch die Abschaffung eines bestehenden Klientelreichs, etwa indem Rom nach dem Tod eines Herrschers das Gebiet direkter römischer Kontrolle unterstellte anstatt einen neuen Klientelherrscher einzusetzen. Territorien, die unter Roms Herrschaft gekommen waren, wurden nach einer Zeit des Übergangs für gewöhnlich als gemäß den römischen Gesetzen geleitete Provinzen organisiert. Das heißt, das Imperium Romanum bestand aus Rom, dem Mutterland“ Italia, welches das Ergebnis der sukzessiven Unterwerfung der dort lebenden Völkerschaften durch die Römer war, und einzelnen provinciae, die von römischen Amtsträgern geleitet wurden. Im Verhältnis zur Zahl der Provinzen überrascht immer wieder die relativ geringe Anzahl an Mandataren, mit deren Hilfe Rom die untertänigen Gebiete beherrschte und kontrollierte. Rom beschränkte sich bei der Verwaltung der Provinzen auch in der Kaiserzeit auf ein Minimum an Personen. Daher kann nicht von einer administrativen Durchdringung, geschweige denn von einer umfassenden Verwaltung einer Provinz in der Kaiserzeit und schon gar nicht während der Zeit der Römischen Republik die Rede sein. Pro Provinz wurde ein Statthalter bestimmt, dem je nach Größe seiner Provinz und den dort anhängigen Aufgaben einige wenige Helfer beigegeben wurden. Die Übergabe einer Provinz an einen Mandatar lief dem Prinzip der Kollegialität zuwider und steigerte somit die Bedeutung des Statthalters, der in seiner Provinz quasi omnipotent war, sowie die Gefahr des Amtsmissbrauchs.
Rom verzichtete bewusst darauf, die Provinzen gleichzuschalten, das heißt, einzelne Gebiete hatten jeweils eine eigene Prägung. Die Römer tolerierten ethnische, religiöse und kulturelle Eigenheiten, solange diese ihrer Herrschaft nicht zuwiderliefen. In den Provinzen verschmolzen daher lokale vorrömische Traditionen und römische Kultur auf lange Sicht gesehen miteinander, zumal die Provinzialen vor allem in den westlichen Provinzen für Waren und den Lebensstil der mediterranen Welt empfänglich waren. Zudem lag es den Römern fern, ihre Provinzen bis ins Detail einheitlich zu organisieren und nach identischen Mustern zu verwalten. Rom begnügte sich vielmehr damit, Leitlinien festzulegen, wobei man sich römischer Sitte gemäß an dem Vorbild der Väter, an Bewährtem und Erprobtem, orientierte. Selbstverständlich sind im Laufe der Zeit Umstrukturierungen und Neuerungen zu verzeichnen, denen teilweise nur temporäre Geltung zukam; diese betrafen vielfach nicht alle Provinzen, sondern einzelne oder Teile davon.
‚Vertikale Integration‘
Ein bedeutendes Instrument der Herrschaftssicherung mit geringem personellem Aufwand bildete die sogenannte ‚vertikale Integration‘, die Einbeziehung zunächst der kooperationswilligen örtlichen sowie regionalen Eliten der italischen Städte und Territorien, dann schrittweise der führenden Familien in den Provinzen. Damit schuf Rom für diesen Personenkreis zugleich neue Aufgaben und ein entsprechendes Selbstverständnis, denn Angehörige der Führungsschicht wurden mit Ämtern und Würden in den Gemeinwesen und auf provinzialer Ebene ausgezeichnet. Sie hatten somit aktiven Anteil an der Stabilisierung der Herrschaft Roms. Zudem integrierte man sie dauerhaft in das Herrschaftssystem; ein Faktum, das im Hinblick auf die Verfestigung der römischen Herrschaft kaum zu überschätzen ist. Zudem gewährte Rom den führenden Familien der lokalen und regionalen Eliten bei entsprechendem Engagement und finanziellen Mitteln den Aufstieg in den Ritterstand und über diesen den kommenden Generationen in den Senatorenstand. Damit ermöglichte man ihnen den Zugang zu führenden Positionen in Rom, in der Provinzverwaltung sowie im exercitus Romanus, womit die Bindung an das Imperium Romanum noch enger wurde. Dieser Prozess ist keineswegs ein Novum der Prinzipatszeit, vielmehr wurden schon früh Männer aus führenden Familien italischer Städte, die unter die Vorherrschaft Roms gekommen waren, in den Senat aufgenommen und ihnen der Aufstieg bis zum Konsulat ermöglicht. Die Gebiete außerhalb von Italia, die die Römer zuerst unter ihre Herrschaft gebracht hatten, stellten in der ausgehenden Republik und vor allem in der frühen Kaiserzeit nacheinander den Hauptteil der nicht italischen Senatoren: Gallia Narbonensis, Hispania ulterior (Baetica), Africa proconsularis, Hispania citerior und die griechischen Provinzen des Imperium. Freilich hing der soziale Aufstieg maßgeblich vom Selbstverständnis der Betreffenden und ihrer Bereitschaft ab, das Angebot der Integration in die Elite der römischen Gesellschaft anzunehmen. Von großer Bedeutung waren dabei die spezifischen geschichtlichen Rahmenbedingungen, das wirtschaftliche, geografische und soziopolitische Umfeld.
Kolonien
Eine wichtige Rolle spielten für die Sicherung der römischen Herrschaft des Weiteren die von den Römern gegründeten Kolonien (meist Veteranenkolonien). Sie entstanden häufig an der Stelle von Vorgängersiedlungen, die in ihnen aufgingen, oder, gerade im Osten, neben bestehenden Gemeinwesen, mit denen sie nach einiger Zeit verschmolzen sind. Gut entwickelte römische Kolonien und griechische Poleis mit einem hohen Anteil an italischstämmiger Bevölkerung brachten tendenziell mehr Senatoren hervor als andere Gemeinwesen. Trotz aller Offenheit gegenüber Fremden gab es Vorbehalte. Nicht nur, dass bestimmten Volksgruppen bisweilen wenig Schmeichelhaftes nachgesagt wurde (so galten etwa Gallier als Hitzköpfe und Afrikaner als wortbrüchig). Römer oder Italiker zu sein, erschien zumindest noch in den ersten Dezennien der Prinzipatszeit vielen als etwas Besseres, als nur Provinziale zu sein. Zudem beäugte mancher die Massen von Fremden, die nach Rom strömten, argwöhnisch. So klagte etwa Juvenal: Ich vermag nicht, ihr Mitbürger, das griechische Rom zu ertragen. Freilich, welchen Teil der Hefe bilden schon die Achäer? Schon längst ist der syrische Orontes in den Tiber gemündet und hat mit sich geführt die Sprache, die Sitten … (Satiren 3,60ff.). Sicher sprachen die Worte des Satirikers manchem aus dem Herzen.
Lokale Strukturen
Ein der römischen Provinzpolitik von ihren Anfängen an innewohnender Grundzug war, beim Aufbau des Verwaltungsapparates unterhalb der zentralen Verwaltungsebene auf bestehende Organisationsstrukturen zurückzugreifen. In ihrem Herrschaftsbereich bot sich den Römern ein divergierendes Bild. Im griechischen und im kleinasiatischen Raum sowie in Ägypten trafen die Römer auf eine hochgebildete Elite, geordnete administrative Verhältnisse und auf eine Bevölkerung, die seit Langem daran gewohnt war, verwaltet zu werden und Steuern zu entrichten. Dagegen prägten in den nordwestlichen Provinzen vielfach Ethnien, in sich untergliederte Sippenverbände (gentes) oder das System der Großfamilie (cognatio) die gesellschaftliche Ordnung. Hier galt es, eine administrative Struktur einzuführen; das geschah durch die Schaffung von civitates (s. S. 88f.). Besondere Strukturen trafen die Römer in Ägypten an, das in sogenannte Gaue gegliedert war. Dieses gut funktionierende System machten sich die Römer zu eigen; sie behielten die innere Gliederung im Prinzip bei; die Leiter (Strategen) der Gaue bestimmte der Statthalter (praefectus Aegypti). Bei der Umgestaltung des ehemaligen pergamenischen Reichs in eine Provinz legten die Römer die attalidische Struktur ihrer Einteilung des Landes in Diözesen zugrunde. Ein ähnliches Verfahren ist in der Provinz Iudaea zu beobachten; hier wurde die innere Aufteilung in Toparchien aufgegriffen und der römischen Administration dienstbar gemacht.
Unser Wissen über die römische Verwaltung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fragen offen bleiben. So wissen wir nicht, was mit auf keiner fassbaren soziopolitischen Stufe stehenden Gruppen geschah. Beließ man ihnen ihren Lebensraum und ihre Gewohnheiten? Wie verfuhren die Römer mit menschenleeren Räumen, in denen sich der Aufbau einer Verwaltung kaum realisieren ließ? Hüten müssen wir uns ebenfalls davor, von einer funktionierenden Verwaltung und selbst von einer augenscheinlich erfolgreichen Akkulturierung einer Provinz auf eine allenthalben vorhandene gegenseitige Akzeptanz und Vorurteilslosigkeit zwischen Römern und Provinzialen zu schließen.