Читать книгу Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme - Galileio Galilei - Страница 44

ERSTER TAG P e r s o n e n :Salviati, Sagredo und Simplicio.

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Kopernikus betrachtet die Erde als einen Ball gleich den Planeten.

Himmlische Substanzen notwendig unveränderlich, elementare veränderlich nach Ansicht des Aristoteles.

Salv. Bei unseren gestrigen Gesprächen sind wir schließlich übereingekommen, heute so klar und eingehend als möglich diejenigen natürlichen Gründe6 auf ihre Beweiskraft hin zu prüfen, welche zu Gunsten der einen und der anderen Ansicht von den Verehrern der aristotelisch-ptolemäischen Lehre einerseits und von den Anhängern des kopernikanischen Systems andererseits bisher vorgebracht worden sind. Da nun Kopernikus die Erde zu den bewegten Himmelskörpern rechnet und demgemäß sie als einen Ball gleich den Planeten betrachtet, so werden wir zweckmäßig zunächst untersuchen, wie es um die Triftigkeit und Überzeugungskraft derjenigen peripatetischen Schlüsse steht, welche erweisen sollen, eine solche Annahme sei schlechthin unmöglich, insofern in der Natur zweierlei verschiedene Substanzen zu unterscheiden seien, eine himmlische und eine elementare7, jene unveränderlich und unzerstörbar, diese veränderlich und vergänglich. Diesen Gegenstand behandelt er8 in der Schrift »Über den Himmel«, indem er zuerst seine Ansicht von gewissen allgemeinen Gesichtspunkten aus wahrscheinlich zu machen sucht und sie dann durch speziellere Erfahrungen und Beweise stützt. Ich will den Gegenstand in der nämlichen Reihenfolge behandeln und dann meine Ansicht freimütig mitteilen; ich lasse mir dabei gerne Eure Kritik gefallen, insbesondere die des Signore Simplicio, eines so eifrigen Kämpen und Verteidigers der aristotelischen Lehre.

Aristoteles hält die Welt für vollkommen, weil sie dreidimensional ist.

Das erste Glied in der Schlusskette der Peripatetiker besteht darin, dass Aristoteles die Vollständigkeit und Vollkommenheit der Welt durch den Hinweis dartut, dieselbe sei nicht eine einfache Linie noch auch eine bloße Fläche, sondern ein Körper mit Länge, Breite und Tiefe; da es nun nicht mehr als diese drei Ausdehnungen gebe und die Welt dieselben besitze, so besitze sie alle und sei aus eben diesem Grunde vollkommen. – Dass nun aber aus der Linie, welche definiert ist als eine bloß der Länge nach ausgedehnte Größe, durch Hinzufügung der Breite sich die Fläche ergibt und durch weitere Hinzufügung der Höhe oder Tiefe daraus der Körper entsteht, dass sodann über diese drei Ausdehnungen hinaus kein Übergang zu einer weiteren möglich ist, mit diesen dreien also die Vollständigkeit, ich möchte sagen die Allheit, erschöpft ist: Dafür hätte ich von Aristoteles gerne einen strengen Beweis gehört, umso mehr als sich ein solcher recht klar und ohne Schwierigkeit führen lässt.

Aristotelische Beweise dafür, dass es nicht mehr als drei Ausdehnungen gibt.

Berühmtheit der Dreizahl bei den Pythagoreern.

Simpl. Was habt Ihr denn an den wunderschönen Beweisen auszusetzen, die im zweiten, dritten und vierten Paragraphen gleich auf die Definition der Stetigkeit folgen?9 Steht da nicht erstlich, dass es keine anderen als jene drei Ausdehnungen gibt, weil die Drei alles, die Dreiheit allseitig ist?10 Wird dies nicht durch die Autorität und die Lehre der Pythagoreer bekräftigt, wonach alles durch die Drei, nämlich durch Anfang, Mitte und Ende bestimmt ist, diese also anzusehen ist als die Zahl der Allheit? Und vergesst Ihr denn ganz den weiteren Grund, dass nämlich gewissermaßen nach einem Naturgesetz besagte Zahl bei den Opfern für die Götter Anwendung findet, dass man, der Weisung der Natur vollkommen entsprechend, bei Dingen, die in der Dreizahl vorkommen, nicht aber bei einer geringeren Zahl, vona l l e nspricht? Denn wenn es sich um zwei Dinge handelt, sagt manb e i d eund nichta l l e ;wohl aber sagt man so bei dreien. Diese ganze Entwicklung findet Ihr im zweiten Paragraphen. Im dritten liest man ad pleniorem scientiam10, dass die BegriffeJ e d e s ,A l lundV o l l k o m m e n e sbegrifflich identisch sind, dass also von den ausgedehnten Größen der Körper allein vollkommen ist, da nur er durch die Drei bestimmt ist, welche der Ausdruck der Allheit ist. Da er ferner in dreierlei Richtung geteilt werden kann, so ist er in allen Richtungen teilbar, während von den beiden anderen Größen die eine bloß auf eine, die andere auf zwei Weisen teilbar ist. Es entspricht nämlich die Teilbarkeit und Stetigkeit der Zahl der Dimensionen; daher ist die Linie nur in einer Richtung, die Fläche in zweien stetig, der Körper hingegen in allen. Gibt er sodann für die in Rede stehende Behauptung im vierten Paragraphen, nach einigen anderen Lehrsätzen, nicht noch einen weiteren Grund an? Jeder Fortschritt, sagt er, hat einen bisher vorhandenen Mangel zur Voraussetzung – und daher ist es ein Fortschritt, wenn man von der Linie zur Fläche übergeht, da jene der Breite ermangelt –, das Vollkommene kann aber nicht mangelhaft sein, da es allseitig ist; man kann also unmöglich von den Körpern zu einem höheren Gebilde fortschreiten. Scheint Euch nun nicht von all diesen Gesichtspunkten aus zur Genüge erwiesen, dass es über die drei Ausdehnungen der Länge, Breite und Tiefe hinaus einen Übergang zu einer weiteren nicht gibt und dass darum der Körper, der sie sämtlich besitzt, vollkommen ist?

Salv. Bei all diesen Erörterungen habe ich mich, offen gesagt, höchstens zu dem einen Zugeständnis bewogen gefühlt, dass dasjenige, was Anfang, Mitte und Ende hat, vollkommen zu nennen ist. Dass aber darum, weil Anfang, Mitte und Ende eine Dreiheit bilden, die Zahl Drei vollkommen wäre und die Fähigkeit besäße, diese Vollkommenheit auf jede Dreiheit von Dingen zu übertragen, dies zuzugeben fühle ich mich nicht im Mindesten bewogen. Ich kann z. B. nicht fassen und verstehen, dass etwa in Ansehung der Beine die Zahl Drei vollkommener wäre als Vier oder Zwei, oder dass die Zahl Vier als Zahl der Elemente unvollkommen sei, der Drei hingegen eine höhere Vollkommenheit zukäme. Besser wäre es also, man überließe derlei Nichtigkeiten Schönrednern und begründete seine Behauptung mit einem strengen Beweise, wie es sich in den deduktiven Wissenschaften gehört.

Simpl. Ihr nehmt wohl diese Gründe nicht ernsthaft, und doch gehen all derartige Betrachtungen auf die Pythagoreer zurück, die den Zahlen eine so hohe Bedeutung beilegten. Es scheint, als ob Ihr, der Ihr Mathematiker seid und, wie ich glaube, in vielen Fragen Anhänger der pythagoreischen Schule, auf einmal deren Mysterien geringschätzig behandelt.

Göttlichkeit des menschlichen Intellekts, weil er das Wesen der Zahlen begreift, nach Ansicht Platos.

Die pythagoreischen Zahlengeheimnisse sind Märchen.

Salv. Dass bei den Pythagoreern die Wissenschaft von den Zahlen im höchsten Ansehen stand, und sogar Plato11 den menschlichen Intellekt bloß darum bewunderte und ihn als gleichartig mit der göttlichen Vernunft betrachtete, weil er das Wesen der Zahlen begreife, ist mir wohlbekannt, ja ich neige der nämlichen Ansicht zu. Aber ich bin weit davon entfernt zu glauben, dass die geheimnisvollen Eigenschaften, derentwegen Pythagoras und seine Schule die Zahlenlehre so hoch schätzten, jene Albernheiten sein sollten, die im Volksmunde und in den landläufigen Büchern spuken. Ich weiß vielmehr, dass sie jene Wunder nicht den Schmähungen und der Verachtung des großen Haufens preisgeben wollten, dass sie die Veröffentlichung der tief verborgenen Zahleneigenschaften und der von ihnen entdeckten inkommensurabeln und irrationalen Größen als eine Profanation verurteilten und lehrten, dass, wer sie offenbare, dafür im Jenseits zu büßen habe. Einer oder der andere mag daher, um den gemeinen Mann abzuspeisen und sich seinen Fragen zu entziehen, ihm gesagt haben, die Zahlengeheimnisse bestünden in jenen Spielereien, die sich nachher im Volke verbreiteten. Es war das ebenso vorsichtig und bedacht, wie das Verfahren jenes klugen jungen Mannes, der seiner Mutter oder seiner neugierigen Frau – ich weiß nicht mehr sicher –, die ihn bestürmte, ihr die geheimen Verhandlungen des Senats mitzuteilen, ein Märchen aufband, um ihre lästigen Fragen los zu werden, so dass sie nebst vielen anderen Weibern vor selbigem Senate sich aufs Höchste lächerlich machten.12

Simpl. Ich gehöre nicht zu denen, welche nach den Mysterien der Pythagoreer sonderlich lüstern sind. Aber ich entgegne, um auf unseren Gegenstand zurückzukommen: Die von Aristoteles vorgebrachten Gründe dafür, dass die Anzahl der Dimensionen mehr als drei weder beträgt, noch betragen kann, erscheinen mir zwingend; auch glaube ich, dass, wenn es einen strengeren Beweis gäbe, Aristoteles ihn nicht verschwiegen hätte.

Sagr. Setzt wenigstens hinzu, wenn er ihn gekannt oder sich seiner erinnert hätte. Aber Ihr, Signore Salviati, würdet mir einen großen Gefallen tun, wenn Ihr einen augenscheinlichen Beweis beibringen wolltet; nur muss er so fasslich sein, dass ich ihn verstehen kann.

Salv. Nicht nur Ihr, auch Signore Simplicio wird ihn verstehen, ja er ist Euch, wenn auch unbewussterweise längst bekannt.13 Zu besserem Verständnis wollen wir Papier und Feder benutzen, die ich für solche Gelegenheiten hier schon bereit sehe, und eine kleine Zeichnung entwerfen. Wir markieren zunächst zwei Punkte A und B; verbinde ich dieselben einmal durch die krummen Linien A C B und A D B, dann durch die Gerade A B, so frage ich Euch, welche dieser Linien nach Eurer Meinung die Entfernung zwischen den Endpunkten A und B bestimmt und weshalb?


Sagr. Nach meiner Meinung die gerade Linie und nicht die krummen, teils weil jene die kürzeste ist, teils weil sie einzig in ihrer Art und bestimmt ist, während es von den anderen unzählige gibt, die untereinander ungleich und länger als die gerade Linie sind; jede Messung aber muss nach meiner Ansicht von dem ausgehen, was einzig in seiner Art und selber bestimmt ist.

Salv. Wir haben also in der geraden Linie ein Maß für die Strecke zwischen zwei Punkten. Fügen wir jetzt eine andere gerade Linie hinzu, welche der Linie A B parallel ist und C D heißen möge, so dass zwischen beiden eine Fläche gelegen ist; ich möchte, dass Ihr mir die Breite derselben angeben wolltet. Sagt mir also, nach welchem Punkte und in welcher Weise Ihr, von dem Endpunkte A ausgehend, zu der Linie C D gelangen wollt, um mir die Breite des zwischen beiden Linien enthaltenen Flächenstücks anzugeben; ich meine, ob Ihr dieselbe bestimmen wollt mittels der Länge der Kurve A E oder der Geraden A F oder ...

Simpl. Mittels der Geraden A F und nicht mittels der krummen Linie, da die krummen Linien zu solchem Zweck bereits als untauglich sich erwiesen haben.


Sagr. Was mich betrifft, so würde ich weder die eine noch die andere benutzen; denn, wie ich sehe, geht die Gerade A F in schiefer Richtung. Ich möchte vielmehr eine Linie ziehen, die rechtwinklig auf C D steht; denn diese und diese allein scheint mir die kürzeste zu sein im Gegensatz zu den unendlich vielen größeren und unter sich ungleichen, welche von dem Endpunkte A nach anderen und anderen Punkten der gegenüberliegenden Linie C D sich ziehen lassen.

Salv. Eure Wahl und der Grund, den Ihr dafür anführt, scheinen mir vortrefflich. Wir haben also bis jetzt das Ergebnis, dass die erste Dimension durch eine gerade Linie bestimmt wird; die zweite, nämlich die Breite, ebenfalls durch eine gerade Linie, die mit jener anderen, die Länge bestimmenden einen rechten Winkel bildet. So also haben wir die zwei Dimensionen der Fläche bestimmt, die Länge und Breite. Wenn Ihr nun aber eine Höhe zu bestimmen habt, wie hoch z. B. die Decke dieses Zimmers über dem Fußboden sich befindet, so kann man doch von einem beliebigen Punkte der Decke unendlich viele teils gerade, teils krumme Linien, alle von verschiedener Länge, nach unendlich vielen Punkten des darunter befindlichen Bodens ziehen. Welche von genannten Linien würdet Ihr nun zu Eurem Zwecke benutzen?

Sagr. Ich würde an der Decke einen Faden befestigen und ihn durch eine daran hängende Bleikugel sich ungehindert ausdehnen lassen, bis er den Boden berührt. Die Länge dieses Fadens, als einer geraden Linie und zwar der kürzesten von allen Linien, die von selbigem Punkte nach dem Boden sich ziehen lassen, würde ich als die wahre Höhe des Zimmers betrachten.

Salv. Ganz richtig. Wenn Ihr dann von dem Punkte des Fußbodens, der durch das Ende des hängenden Fadens bezeichnet ist – der Boden als waagrecht angenommen, nicht etwa als geneigt – zwei andere gerade Linien ausgehen lasset, eine in Richtung der Länge, die andere in Richtung der Breite des Bodens, welche Winkel werden diese mit dem Faden bilden?

Sagr. Sie werden selbstverständlich rechte Winkel bilden, wenn der Faden lotrecht und der Boden ganz eben und genau waagrecht ist.

Salv. Wenn Ihr also irgendeinen Punkt zum Anfang und Ausgangspunkt der Messung macht und von ihm eine gerade Linie ausgehen lasst, die zur Bestimmung der ersten Ausdehnung, der Länge, dienen soll, so wird notwendigerweise diejenige, welche die Breite definieren soll, rechtwinklig zur ersten abgehen und die, welche die Höhe, also die dritte Ausdehnung, bezeichnet, ebenfalls mit den beiden anderen nicht schiefe, sondern rechte Winkel bilden. So seht Ihr denn durch die drei Perpendikel, als drei in ihrer Art einzige, bestimmte und kürzeste Linien, die drei Dimensionen festgesetzt: A B die Länge, A C die Breite, A D die Höhe. Da nun offenbar durch denselben Punkt keine weitere Linie gehen kann, welche mit diesen rechte Winkel einschließt und die Dimensionen doch allein durch gerade, aufeinander rechtwinklige Linien bestimmt werden dürfen, so gibt es nicht mehr als drei Dimensionen. Ein Ding also, das diese drei besitzt, besitzt sie alle, und wenn es alle besitzt, ist es nach allen Richtungen teilbar, und wenn dem so ist, ist es vollkommen u. s. w.


Simpl. So? Wer sagt denn, dass man keine anderen Linien ziehen kann? Warum sollte es denn unmöglich sein, von unten her noch eine weitere Linie im Punkte A anlangen zu lassen, die mit den übrigen rechte Winkel bildet?

Salv. Ihr könnt doch wahrhaftig nicht durch einen Punkt mehr als drei aufeinander rechtwinklige Linien legen.

Sagr. Ja; denn die, welche Signore Simplicio meint, scheint mir dieselbe Linie wie D A zu sein, nur nach unten verlängert. Auf diese Art könnte man noch zwei andere ziehen; es wären aber die nämlichen drei wie zuvor, nur mit dem Unterschiede, dass sie dann sich schnitten, während sie jetzt sich bloß berühren. Neue Dimensionen würde man aber dadurch nicht erhalten.

Bei naturwissenschaftlichen Beweisen ist mathematische Strenge nicht erforderlich.

Simpl. Ich will nicht sagen, dass dieser Euer Beweis der Strenge ermangele; wohl aber kann ich mit Aristoteles14 sagen, dass man in den Naturwissenschaften nicht immer Beweise von mathematischer Strenge zu suchen braucht.

Sagr. Allerdings vielleicht dann nicht, wenn sie unerreichbar ist; wenn sie hier aber möglich ist, warum nicht Gebrauch von ihr machen? Doch es wird gut sein, auf diese Einzelheit nicht noch mehr Worte zu verschwenden, weil meiner Meinung nach Signore Salviati dem Aristoteles und Euch ohne jeden Beweis zugegeben hätte, dass die Welt ein Körper sei und dass sie Vollkommenheit und zwar die höchste Vollkommenheit besitze, wie sie ja das höchste Werk Gottes ist.

Nach Aristoteles zwei einander entgegengesetzte Teile der Welt, ein himmlischer und ein elementarer.

Salv. So ist es in der Tat. Lassen wir also die allgemeinen Betrachtungen des Weltganzen und gehen wir über zu der Betrachtung seiner Teile, deren Aristoteles im ersten Abschnitt zwei sehr verschiedene, gewissermaßen einander entgegengesetzte annimmt, nämlich einen himmlischen und einen elementaren: jener unentstanden, unzerstörbar, unveränderlich, unbeeinflussbar; dieser beständigem Wechsel und fortwährender Änderung unterworfen. Diesen Unterschied schöpft er aus seinem Grundprinzipe, nämlich aus der Verschiedenheit der Ortsveränderungen.15 Seine Schlüsse sind dabei folgende:

Drei Arten der Ortsbewegung, geradlinige, kreisförmige und gemischte.

Geradlinige und kreisförmige Bewegungen einfach, weil längs einfacher Linien erfolgend.

Aus der sinnlichen Welt sozusagen heraustretend und in eine ideale sich versetzend, unternimmt er es, den Bauplan des Weltalls zu entwerfen und demgemäß zu erwägen, dass die Natur die Ursache der Bewegung ist16, die Naturkörper mithin der Ortsveränderung fähig sind. Er erklärt sodann, dass die Bewegungen von dreierlei Art sind, nämlich kreisförmig, geradlinig oder aus diesen gemischt. Die beiden ersten Bewegungsarten nennt er einfach, weil von allen Linien der Kreis und die Gerade allein einfach sind. Hierauf definiert er, die bisherige Allgemeinheit bedeutend einschränkend, von den einfachen Bewegungen sei die erste die Kreisbewegung, d. h. dieu mdie Mitte stattfindende, die beiden anderen seien gerade nach oben und nach unten gerichtet, nämlich nach oben die von dem Mittelpunkt sich entfernende, nach unten die dem Mittelpunkt zustrebende. Daraus nun schließt er, dass notwendigerweise die einfachen Bewegungen mit diesen drei Arten erschöpft sind, dass es also nur Bewegungen nach der Mitte, von der Mitte und um die Mitte gebe. Dieses steht, wie er sagt, in schönem Einklange mit dem früher über den Körper Gesagten, der ganz wie die ihm zukommende Bewegung in dreierlei Hinsicht vollkommen sei. Nach Feststellung dieser Bewegungsarten fährt er fort und sagt: Da von den Naturkörpern einige einfach, andere aus diesen zusammengesetzt seien – und zwar nennt er einfache Körper solche, die von Natur einen Antrieb zur Bewegung haben, wie das Feuer und die Erde –, so müssen die einfachen Bewegungen den einfachen Körpern, die gemischten den zusammengesetzten Körpern zukommen, derart jedoch, dass die zusammengesetzten dem vorherrschenden Bestandteile folgen.

Sagr. Haltet gütigst einen Augenblick ein, Signore Salviati. Denn ich verspüre in mir eine solche Menge von Zweifeln sich regen, dass ich mich ihrer entledigen muss, wenn ich Eurem ferneren Vortrag aufmerksam soll folgen können; ich müsste sonst, um meine Einwürfe nicht zu vergessen, darauf verzichten, dem folgenden meine Aufmerksamkeit zu widmen.

Salv. Ich mache sehr gern eine Ruhepause; denn auch mir ergeht es ähnlich. Ich laufe jeden Augenblick Gefahr, mich zu verirren, während ich durch Klippen und stürmische Wogen segeln soll, die mich, mit dem Sprichwort zu reden, den Kurs verlieren lassen. Bringt also nur Eure Einwürfe vor, ehe ihre Menge zu groß geworden ist.

Die von Aristoteles aufgestellte Definition der Natur entweder mangelhaft oder zur Unzeit angewandt.

Zylindrische Schraubenlinie kann als einfache Linie gelten.

Aristoteles passt den Bauplan dem Weltgebäude an, nicht das Gebäude dem Plane.

Die geradlinige Bewegung nach Aristoteles bisweilen einfach, bisweilen gemischt.

Sagr. Dem Beispiele des Aristoteles folgend, habt Ihr mich zuerst der sinnlichen Welt weit entrückt, um mir den Bauplan zu zeigen, nach dem sie ausgeführt werden soll. Ihr ginget zu meiner Zufriedenheit von dem Satze aus, dass die Naturkörper von Natur aus beweglich sind, da anderwärts die Natur als Ursache der Bewegung definiert worden ist. Hier kam mich ein kleines Bedenken an: Warum nämlich sagte Aristoteles nicht, dass von den Naturkörpern einige von Natur beweglich, andere unbeweglich sind, während es doch in der Definition heißt, die Natur sei die Ursache der Bewegung und der Ruhe? Wenn die Naturkörper alle den Trieb zur Bewegung haben, so war es entweder unstatthaft, die Ruhe in die Definition der Natur mit aufzunehmen oder es war unstatthaft, eine solche Definition an dieser Stelle einzuführen.17 Wenn er mir nachher auseinandersetzt, was er unter einfachen Bewegungen verstanden wissen will und wie er diese nach den zurückgelegten Wegen bestimmt, indem er nämlich einfache Bewegungen diejenigen nennt, die längs einfacher Linien stattfinden, wenn er ferner sagt, dass solche einfache Linien bloß der Kreis und die gerade Linie sind, so will ich das ruhig hinnehmen und nicht spitzfindig ihm das Beispiel der um einen Zylinder gewundenen Schraubenlinie entgegenhalten, wiewohl diese wegen der Gleichartigkeit ihrer Teile auch, wie mir scheint, zu den einfachen Linien gerechnet werden könnte. Hingegen will es mir gar nicht gefallen, dass ich ihn plötzlich unter Beeinträchtigung der Allgemeinheit – während er scheinbar die nämlichen Definitionen nur mit anderen Worten wiederholt – die eine Bewegung eine solche um den Mittelpunkt nennen höre, die anderen sursum et deorsum, d. h. aufwärts und abwärts gerichtet, alles Ausdrücke, die sich nicht außerhalb der schon fertigen Welt anwenden lassen, sondern diese als schon geschaffen, ja sogar als schon von uns bewohnt voraussetzen. Wenn aber die geradlinige Bewegung einfach ist bloß wegen der Einfachheit der geraden Linie und wenn die einfache Bewegung natürlich ist, nach welcher Seite sie auch gerichtet sei, aufwärts oder abwärts, vorwärts oder rückwärts, nach rechts oder nach links oder nach irgendeiner anderen denkbaren Richtung, vorausgesetzt nur, dass sie geradlinig ist, so wird auch eine solche Bewegung manchen Naturkörpern zukommen müssen, wenn anders nicht die Grundannahme des Aristoteles mangelhaft ist. Überdies deutet Aristoteles offenbar an, es gebe in der Welt nur eine einzige kreisförmige Bewegung und demzufolge nur einen einzigen Mittelpunkt, auf welchen allein die auf- und abwärts gerichteten Bewegungen sich beziehen: alles Anzeichen, dass er die Absicht hat, uns falsche Karten in die Hände zu spielen, den Bauplan dem fertigen Gebäude anzupassen, nicht aber das Gebäude nach den Vorschriften des Planes aufzurichten. Sobald ich nämlich sage, dass im Weltall tausenderlei Kreisbewegungen möglich sind und folglich tausend Mittelpunkte, so wird es auch tausenderlei auf- und abwärts gerichtete Bewegungen geben. Außerdem nimmt er, wie wir hörten, einfache und gemischte Bewegungen an, indem er als einfach die kreisförmige und die geradlinige Bewegung bezeichnet, während er gemischt die aus jenen zusammengesetzte nennt. Entsprechend nennt er von den Naturkörpern die einen einfach – nämlich die, welche von Natur einen Trieb zu den einfachen Bewegungen haben –, andere zusammengesetzt. Dabei weist er die einfachen Bewegungen den einfachen Körpern zu, die zusammengesetzte den zusammengesetzten. Unter zusammengesetzter Bewegung versteht er aber nun nicht mehr die Mischung geradliniger und kreisförmiger Bewegung, wie eine solche tatsächlich stattfinden kann; er führt vielmehr eine neue, völlig unmögliche gemischte Bewegung ein: so wenig möglich, als es möglich ist, entgegengesetzte Bewegungen innerhalb derselben geraden Linie derart zu mischen, das daraus eine teils nach oben, teils nach unten gerichtete Bewegung hervorginge. Um das Unpassende und die Unmöglichkeit dieser Behauptungen zu mildern, beschränkt er sich darauf, derartige gemischte Körper sich dem vorwaltenden Bestandteil gemäß bewegen zu lassen. Man sieht sich schließlich also genötigt, auch die Bewegung längs derselben geraden Linie bald als einfach, bald als zusammengesetzt anzusehen; die Einfachheit der Bewegung ist also nicht mehr ausschließlich durch die Einfachheit des zurückgelegten Weges bedingt.

Simpl. Haltet Ihr es denn nicht für einen ausreichenden Unterschied, wenn die absolut einfache Bewegung sehr viel schneller vor sich geht als die durch den vorwiegenden Bestandteil bedingte? Wieviel schneller bewegt sich ein Stück reiner Erde abwärts als ein Stückchen Holz!

Sagr. Gut, Signore Simplicio; wenn nun aber aus diesem Grunde der Begriff der Einfachheit anders gefasst werden muss, so werden erstlich hunderttausenderlei gemischte Bewegungen existieren; sodann aber werdet Ihr nicht mehr imstande sein, die einfache zu definieren. Ja noch mehr: Wenn die größere oder geringere Geschwindigkeit die Einfachheit der Bewegung beeinflusst, so wird niemals ein einfacher Körper eine einfache Bewegung ausführen. Denn bei allen natürlichen geradlinigen Bewegungen nimmt die Geschwindigkeit fortwährend zu und ändert folglich ihre Einfachheit, die, um Einfachheit zu sein, doch unveränderlich sein müsste. Was noch wichtiger ist, Ihr heftet dem Aristoteles einen weiteren Tadel an, dass er nämlich bei der Definition der zusammengesetzten Bewegung der Langsamkeit und Schnelligkeit keine Erwähnung tut, welche Ihr jetzt als ein notwendiges und wesentliches Erfordernis hinstellt. Ein solches Kriterium lässt sich überdies nicht fruchtbar verwerten, weil es gemischte Körper, und zwar recht zahlreiche, geben wird, die sich teils schneller, teils langsamer bewegen als ein einfacher, wie z. B. das Blei und das Holz im Vergleich zur Erde. Welche dieser Bewegungen wollt Ihr da einfach, welche zusammengesetzt nennen?

Simpl. Einfach soll die heißen, welche von einem einfachen Körper, und gemischt die, welche von einem zusammengesetzten Körper ausgeführt wird.

Sagr. Ausgezeichnet fürwahr, was Ihr da sagt, Signore Simplicio! Vor einer Weile habt Ihr festgesetzt, dass die einfache und die zusammengesetzte Bewegung mir darüber Auskunft geben sollen, ob ein Körper einfach oder zusammengesetzt sei, und jetzt soll ich aus der Einfachheit oder Zusammengesetztheit der Körper mir Aufschluss über die Einfachheit oder Zusammengesetztheit der Bewegungen verschaffen: eine vortreffliche Regel, um schließlich weder über die Bewegungen noch über die Körper zur Klarheit zu gelangen. Es genügt Euch nun auch zur Feststellung des Begriffs der einfachen Bewegung nicht mehr die größere Geschwindigkeit; Ihr geht vielmehr so weit, dass Ihr noch eine dritte Bedingung erfüllt wissen wollt, während Aristoteles sich zu diesem Zwecke mit einer einzigen begnügt, nämlich der Einfachheit des zurückgelegten Weges. Nach Eurer Ansicht nämlich ist nunmehr die einfache Bewegung eine solche, welche längs einer einfachen Linie, mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit von einem einfachen beweglichen Körper ausgeführt wird. Nun mag meinetwegen Eure Ansicht richtig sein; wenden wir uns aber zu Aristoteles zurück, der mich belehrt hat, die gemischte Bewegung sei diejenige, welche sich aus der geradlinigen und kreisförmigen zusammensetze, der mir dann aber keinen Körper hat ausfindig machen können, der von Natur eine solche Bewegung ausführte.

Die Kreislinie nach Aristoteles vollkommen, die gerade Linie unvollkommen, und weswegen.

Der Verfasser nimmt an, die Welt sei vollkommen geordnet.

Salv. Ich kehre also zu Aristoteles zurück, der seine Untersuchung so schön und methodisch begonnen hat. Da er aber mehr die Absicht hatte, auf ein seinem Geiste schon vorschwebendes Ziel loszusteuern und es zu erreichen, als dahin zu gelangen, wohin ihn geradewegs seine Schlüsse führten, reißt er den Faden ab und schlägt einen Seitenpfad ein. Er teilt uns als etwas allgemein Bekanntes und Zugestandenes mit, dass die auf- und abwärts gerichteten Bewegungen dem Feuer und der Erde eigen sind; es müsse also notwendigerweise außer jenen uns zugänglichen Körpern noch ein anderer in der Natur vorhanden sein, dem die Kreisbewegung zukomme. Dieser sei sodann in demselben Maße vollkommener, als die Kreisbewegung im Vergleich zu der geradlinigen vollkommener sei. Wieviel mal aber jene die letztere an Vollkommenheit übertreffe, bemisst er nach der Vollkommenheit des Kreises gegenüber der geraden Linie, wobei er jenen vollkommen, diese unvollkommen nennt: darum nämlich unvollkommen, weil sie entweder im Falle der Unendlichkeit keinen Abschluss und keine Grenze hat, oder im Falle der Endlichkeit nach einem außerhalb derselben gelegenen Punkte verlängert werden kann. Das ist der Grundstein, die Basis, das Fundament des ganzen aristotelischen Weltgebäudes, worauf sich alle die übrigen Merkmale gründen, des Nicht-Leichten und Nicht-Schweren, des Unentstandenen, des Unvergänglichen und – abgesehen von der Ortsveränderung – des Unveränderlichen u. s. w. Alle diese Eigenschaften, versichert er, kommen dem einfachen, kreisförmig sich bewegenden Körper zu, während er die entgegengesetzten Affektionen der Schwere, Leichtigkeit, Vergänglichkeit u. s. w. den von Natur sich geradlinig bewegenden Körpern zuweist. Sobald also in dem bisher Festgestellten sich ein Mangel zeigt, darf man begründeterweise an allem Übrigen, das sich darauf aufbaut, Zweifel hegen. Ich stelle nicht in Abrede, dass die von Aristoteles bisher aus allgemeinen Grundprinzipien gewonnenen Ergebnisse im weiteren Fortgang durch spezielle Gründe und Erfahrungen nochmals bekräftigt werden; diese müssen sämtlich einzeln geprüft und erwogen werden. Da aber schon bei dem bisher Vorgebrachten sich viele nicht unbedeutende Schwierigkeiten in den Weg stellen – und doch sollten die ersten Prinzipien und Grundlagen unerschütterlich fest und sicher sein, damit man ohne Zagen auf ihnen weiterbauen kann –, so wird es wohl am geratensten sein, bevor die Menge der Zweifel zu sehr anwächst, einmal auf gut Glück zu versuchen – und ich glaube, es ist möglich – auf anderem Wege vorzudringen, auf dem es sich kürzer und sicherer geht, und nach besser erwogenen Bauregeln die ersten Fundamente zu legen. In dem Augenblicke jedoch, wo wir einstweilen die Entwicklungen des Aristoteles verlassen, um sie seiner Zeit wieder aufzunehmen und eingehend zu prüfen18, erkläre ich mich einverstanden mit einer seiner bisherigen Behauptungen, dass nämlich die Welt mit allen Dimensionen ausgestattet und darum von höchster Vollkommenheit ist. Ich setze hinzu, dass sie als solche durchaus gesetzmäßig ist, d. h. aus Teilen besteht, die nach höchsten und vollkommensten Gesetzen angeordnet sind. Ich glaube, dieser Annahme werdet weder Ihr noch sonst jemand widersprechen.

Simpl. Wer sollte da widersprechen! Denn erstens rührt sie von Aristoteles selbst her; dann aber scheint schon der Name Kosmos von nichts Anderem hergenommen zu sein, als von der im Weltall herrschenden höchsten Ordnung.19

In der wohlgeordneten Welt kann es unmöglich eine geradlinige Bewegung geben.

Geradlinige Bewegung ihrer Natur nach unendlich.

Geradlinige Bewegungen von Natur unmöglich.

Die Natur versucht nicht zu leisten, was unmöglich zu leisten ist.

Geradlinige Bewegung vielleicht im Urchaos.

Geradlinige Bewegung geeignet, die verkehrt angeordneten Körper zu ordnen.

Die Weltkörper nach Plato anfangs geradlinig, später kreisförmig bewegt.

Ein in Ruhe befindlicher Körper wird sich nicht bewegen, wenn er nicht Vorliebe für irgendeinen besonderen Ort hat.

Der bewegliche Körper beschleunigt seine Bewegung, wenn er sich nach dem Orte seiner Wahl begibt.

Der vom Ruhezustand ausgehende Körper geht durch alle Stufen der Langsamkeit hindurch. Der Ruhezustand ist die Stufe unendlicher Langsamkeit.

Der Körper beschleunigt seine Bewegung nur, wenn er näher dem Ziele rückt.

Um dem Körper einen gewissen Grad von Geschwindigkeit einzupflanzen, lässt ihn die Natur sich geradlinig bewegen.

Gleichförmige Geschwindigkeit kommt der kreisförmigen Bewegung zu.

Salv. Nach Feststellung eines solchen Prinzips lässt sich ohne Weiteres schließen, dass, wenn die Hauptmassen des Weltalls vermöge ihrer Natur beweglich sind, ihre Bewegungen unmöglich geradlinig oder anders als kreisförmig sein können.20 Der Grund ist ganz einfach und liegt auf der Hand. Denn was sich geradlinig bewegt, verändert seinen Ort und entfernt sich im Fortgang der Bewegung mehr und mehr von dem Ausgangspunkt und von allen im Lauf der Bewegung erreichten Punkten. Käme nun einem Körper solche Bewegung von Natur aus zu, so wäre er von Anfang an nicht an seiner natürlichen Stelle, mithin die Anordnung der Teile der Welt keine vollkommene. Wir setzen aber voraus, dass ihre Ordnung vollkommen sei, demgemäß können sie nicht von Natur dazu bestimmt sein, ihre Stelle zu wechseln und folglich auch nicht, sich geradlinig zu bewegen. Da außerdem die geradlinige Bewegung ihrer Natur nach unendlich ist – denn die gerade Linie ist unendlich und von unbestimmter Länge –, so kann kein beweglicher Körper den natürlichen Trieb haben, sich in gerader Linie dahin zu bewegen, wohin er unmöglich gelangen kann, insofern einer solchen Bewegung kein Ziel gesetzt ist. Und die Natur, wie Aristoteles selbst sehr richtig bemerkt, versucht nicht, was unmöglich zu leisten ist, versucht also nicht dahin zu treiben, wohin zu gelangen unmöglich ist.21 Wollte man aber behaupten, die Natur habe, obgleich die gerade Linie und die geradlinige Bewegung ins Unendliche, d. h. ins Ziellose, fortsetzbar ist, dennoch gewissermaßen willkürlich ihr bestimmte Grenzen gesteckt und den Naturkörpern den natürlichen Trieb eingepflanzt, sich zu diesen hin zu bewegen, so entgegne ich, dass man vielleicht in Phantasien sich ergehen darf, die Sache habe sich in dieser Weise aus dem Urchaos entwickelt, wo verschwommene Materien verworren und ungeordnet umherschwebten. Um diese zu ordnen, mag dann die Natur sich sehr geschickt der geradlinigen Bewegungen bedient haben; wie diese nämlich einerseits wohlgeordnete Körper in Unordnung zu bringen vermögen, so sind sie im Gegenteile geeignet, die verkehrt angeordneten in Ordnung zu bringen. Ist aber einmal die beste Verteilung und Stellung herbeigeführt, so kann unmöglich in ihnen die natürliche Neigung bestehen bleiben, sich auch fernerhin in gerader Linie zu bewegen, was nunmehr bloß die Wiederentfernung vom gehörigen und natürlichen Orte, also die Unordnung im Gefolge haben würde.22 Wir können demnach sagen, es diene die geradlinige Bewegung dazu, die Baustoffe für das Werk herbeizuschaffen; ist dieses aber einmal fertig gestellt, so bewegt es sich entweder nicht, oder wenn es sich bewegt, so bewegt es sich kreisförmig. Es sei denn, dass wir noch weiter gehend mit Plato23 sagen wollten, dass auch die Weltkörper nach ihrer Schöpfung und ihrer endgültigen Fertigstellung eine gewisse Zeit hindurch von ihrem Schöpfer in gerader Linie bewegt wurden, dass sie aber, angelangt an dem bestimmten, ihnen zugewiesenen Orte, der Reihe nach in Drehung versetzt wurden und so von der geraden Bewegung zur kreisförmigen übergingen, in welcher sie sich dann behauptet haben und bis auf den heutigen Tag beharren. Ein erhabener Gedanke und Platos wohl würdig. Ich entsinne mich darüber unseren gemeinsamen Freund von der Accademia dei Lincei24 reden gehört zu haben und, wenn ich mich recht erinnere, war seine Ansicht diese. Jeder von Natur bewegliche Körper, der durch irgendwelche Ursache in den Zustand der Ruhe gebracht worden ist, wird freigelassen, sich in Bewegung setzen; freilich nur dann, wenn er von Natur eine Vorliebe für irgendeinen besonderen Ort hat. Denn wenn er sich allen gegenüber gleichmäßig verhielte, würde er in seiner Ruhe verharren, da er nicht mehr Ursache hat nach diesem als nach jenem sich hin zu bewegen. Hat er aber diesen Trieb, so ergibt sich mit Notwendigkeit, dass er bei seiner Bewegung eine fortwährende Beschleunigung erfährt. Da er nämlich mit der langsamsten Bewegung beginnt, wird er keine Stufe der Geschwindigkeit erreichen, er sei denn zuvor durch alle Stufen geringerer Geschwindigkeit oder meinethalben größerer Langsamkeit hindurchgegangen. Denn da er vom Zustand der Ruhe als von der Stufe unendlicher Langsamkeit ausgeht, so ist kein Grund für ihn vorhanden, in die und die bestimmte Stufe der Geschwindigkeit einzutreten, ohne zuvor in eine niedrigere einzutreten und in eine noch niedrigere, bevor in diese. Es ist vielmehr nur vernünftig anzunehmen, dass er erst durch die Stufen hindurchgeht, die der Anfangsstufe zunächst liegen, und von diesen aus erst zu den entfernter liegenden gelangt; die Stufe aber, mit der er seine Bewegung beginnt, ist die der höchsten Langsamkeit, nämlich die der Ruhe. Nun kann aber diese Beschleunigung nur zustande kommen, wenn der Körper bei seiner Bewegung eine Förderung erfährt, und diese Förderung besteht in nichts Anderem als in der Annäherung an das angestrebte Ziel, d. h. an denjenigen Ort, wohin ihn der natürliche Trieb zieht; dabei wird er sich auf dem kürzesten, also dem geraden Wege dorthin begeben. Wir können mithin die begründete Vermutung aussprechen, dass die Natur, um einem beweglichen Körper, der zuvor sich in Ruhe befand, eine bestimmte Geschwindigkeit mitzuteilen, sich des Mittels bedient, ihn eine gewisse Zeit und eine gewisse Strecke hindurch in gerader Richtung zu bewegen. Besteht diese Erörterung zu Recht, so dürfen wir uns vorstellen, Gott habe die Masse z. B. des Jupiter erschaffen und wolle ihm nunmehr eine so und so große Geschwindigkeit verleihen, die er alsdann gleichförmig in alle Ewigkeit bewahren soll; wir werden dann mit Plato sagen können, dass er ihm anfangs verstattete, in geradlinig beschleunigter Bewegung fortzuschreiten, und dass er dann, auf der vorgeschriebenen Stufe der Geschwindigkeit angelangt, die gerade Bewegung in die kreisförmige verwandelte, deren Geschwindigkeit dann natürlich einförmig sein muss.

Zwischen der Ruhe und irgendwelchem Grade der Geschwindigkeit liegen unendlich viele Grade geringerer Geschwindigkeit.

Sagr. Ich höre von dieser Ansicht mit großem Vergnügen, glaube aber, das wird in noch höherem Maße der Fall sein, wenn Ihr mir erst ein Bedenken beseitigt habt; ich begreife nämlich nicht recht, wieso notwendig ein beweglicher Körper, der aus dem Zustande der Ruhe in eine Bewegung eintritt, zu der ein natürlicher Hang ihm innewohnt, alle vorhergehenden Grade der Schnelligkeit durchmachen muß, deren es zwischen einem beliebig vorgeschriebenen Grade und dem Zustande der Ruhe unendlich viele gibt: als wenn die Natur der Masse des Jupiter nicht gleich nach ihrer Schöpfung die kreisförmige Bewegung nebst der betreffenden Geschwindigkeit hätte zuerteilen können.

Die Natur verleiht nicht unmittelbar einen bestimmten Grad von Geschwindigkeit, wiewohl sie es könnte.

Salv. Ich habe nicht gesagt und möchte mich nicht erdreisten zu sagen, dass es der Natur und Gott unmöglich wäre, jene Geschwindigkeit, von der Ihr sprecht, auch unmittelbar zu verleihen; wohl aber sage ich, dass die Natur de facto nicht so verfährt. Ein solcher Vorgang käme also auf eine Wirkung hinaus, wie sie außerhalb des natürlichen Verlaufs liegt, also auf ein Wunder.*

Sagr. Ihr glaubt also, ein Stein, der aus der Ruhelage in die ihm natürliche Bewegung nach dem Mittelpunkt der Erde eintritt, müsse durch alle Stufen der Langsamkeit hindurchgehen, die unterhalb einer beliebigen Stufe der Geschwindigkeit liegen?

Salv. Ich glaube es, ja ich bin dessen sicher und zwar mit solcher Zuversicht, dass ich auch Euch darüber völlig vergewissern kann.

Sagr. Wenn ich bei allen unseren heutigen Untersuchungen auch nur diese eine Erkenntnis gewänne, würde ich das als eine bedeutende Errungenschaft betrachten.

Der vom Ruhestand ausgehende Körper geht durch alle Stufen der Geschwindigkeit hindurch, ohne auf irgendeiner zu verweilen.

Salv. Soweit ich Euch verstanden zu haben glaube, richtet sich Euer Haupteinwurf gegen die Vorstellung, dass ein Körper durch jene unendlich vielen vorangehenden Stufen der Langsamkeit und noch dazu in kürzester Frist hindurchgehen soll, bis er die nach dieser Frist ihm zukommende Geschwindigkeit erreicht. Darum will ich, bevor ich weiter gehe, dieses Bedenken zu beseitigen suchen, was nicht schwer ist. Ich brauche Euch bloß zu entgegnen, dass der Körper zwar durch die genannten Stufen hindurchgeht, aber ohne bei diesem Durchgang auf irgendeiner Stufe zu verweilen. Da demnach der Durchgang nicht mehr als einen einzigen Augenblick erfordert, aber jede noch so kleine Frist unendlich viele Augenblicke enthält, so werden wir eine genügende Menge von Augenblicken zur Verfügung haben, um den unendlich vielen verschiedenen Stufen der Langsamkeit je einen bestimmten Zeitpunkt zuzuordnen, mag die Frist auch noch so klein sein.

Sagr. Soweit folge ich; gleichwohl kommt es mir auffällig vor, wenn eine Kanonenkugel, – als solche will ich mir den fallenden Körper vorstellen –, die doch mit solchem Ungestüm niederfällt, dass sie in weniger als zehn Pulsschlägen mehr als zweihundert Ellen26 zurücklegt, im Laufe ihrer Bewegung einen so geringen Grad von Geschwindigkeit soll besessen haben, dass, wenn sie diesen beibehalten und keine weitere Beschleunigung erfahren hätte, sie die Strecke nicht in einem ganzen Tage zurückgelegt haben würde.

Salv. Ihr dürft ruhig sagen, in einem ganzen Jahre nicht, noch auch in zehn oder in tausend Jahren. Ich verbürge mich, Euch davon zu überzeugen, ohne dass Ihr vielleicht gegen eine der einfachen Fragen Einspruch erhebt, die ich an Euch richten werde. Sagt mir also, ob Ihr ohne Weiteres zugebt, dass jene Kugel beim Fallen immer größeren Antrieb und Geschwindigkeit erlangt.

Sagr. Dessen bin ich völlig gewiss.

Salv. Und wenn ich behaupte, dass der an irgendeiner Stelle erreichte Antrieb der Bewegung gerade groß genug ist, um die Kugel wieder zu der Höhe zurückzubringen, von der sie ausging, werdet Ihr mir Recht geben?

Der schwere Körper erlangt beim Fall einen Antrieb, der ausreichend ist, um ihn wieder auf dieselbe Höhe zu bringen.

Sagr. Unbedingt, sobald sie ungehindert ihre volle Kraft für den einen Zweck verwenden kann, um selbst wieder zur früheren Höhe zu gelangen oder um einen anderen ihr gleichen Körper dahin zu bringen. Wäre z. B. die Erde durch den Mittelpunkt hindurch durchbohrt und ließe man die Kugel aus einer Höhe von hundert oder tausend Ellen fallen, so bin ich überzeugt, dass sie jenseits des Mittelpunktes sich ebenso weit über diesen erhöbe, als sie zuvor gefallen ist. Eben dasselbe ist der Fall, wie der Versuch mich lehrt, bei einem an einem Faden aufgehängten Gewichte. Entfernt man dieses aus der Ruhelage, also der lotrechten Richtung, und überlässt es sich selbst, so fällt es in die lotrechte Lage zurück und überschreitet sie um ebenso viel oder doch nur um soviel weniger, als der Widerstand der Luft und des Fadens oder anderer Nebenumstände dies bewirken. Auch beim Wasser, welches in eine Röhre gegossen ebenso weit steigt, als die Höhe seines Falls betrug, zeigt sich mir das nämliche.27

Salv. Eure Schlüsse sind untadelig. Ihr werdet auch sicherlich damit einverstanden sein, dass die Ursache des erlangten Antriebes die wachsende Entfernung des Körpers vom Ausgangspunkte und die Annäherung an den bei der Bewegung erstrebten Mittelpunkt ist. Werden aber auch zwei gleiche Körper, wenn sie, ohne Widerstand zu finden, längs verschiedener Linien sich abwärts bewegen, dennoch gleiche Antriebe erlangen, die Annäherung an den Mittelpunkt in beiden Fällen als gleich vorausgesetzt? Räumt Ihr das gleichfalls ein?

Sagr. Ich verstehe die Frage nicht recht.

Salv. Ich werde mich besser mit Hilfe einer kleinen Zeichnung verständlich machen. Ich ziehe also diese Linie A B in horizontaler Richtung, errichte im Punkte B die Senkrechte C B und ziehe dann die schiefe Verbindungslinie C A. Wenn ich mir nun unter der Linie C A eine geneigte Ebene von ausgezeichneter Glätte und Härte vorstelle, auf welcher eine vollkommen runde Kugel von härtestem Stoff sich abwärts bewegt; wenn ferner eine zweite derartige Kugel längs der Senkrechten C B in freiem Falle sich bewegt, so frage ich: Räumt Ihr ein, dass der Antrieb der Kugel, welche längs der geneigten Ebene fällt, nach Ankunft in A gleich dem Antriebe sein kann, welche die andere im Punkte B erlangt, nachdem sie die lotrechte Strecke C B passiert hat?


Die Antriebe zweier Körper, die sich gleichviel dem Mittelpunkt genähert haben, sind gleich.

Sagr. Ich glaube bestimmt: ja. Denn schließlich haben sich beide dem Mittelpunkt gleichviel genähert und nach dem, was ich soeben eingeräumt habe, würde der Antrieb einer jeden von beiden genügen, um sich selbst wieder zu gleicher Höhe zu erheben.

Salv. Sagt mir nun noch, wie sich Eurer Ansicht nach die nämliche Kugel verhielte, wenn man sie auf die waagrechte Ebene A B legen würde?

Auf der waagrechten Ebene bleibt der Körper ruhig liegen.

Sagr. Sie würde ruhig liegen bleiben, da die Ebene nach keiner Seite geneigt ist.

Salv. Auf der geneigten Ebene C A hingegen würde sie sich abwärts bewegen, aber langsamer als längs der Senkrechten C B, nicht wahr?

Sagr. Ich habe eben unbedenklich zustimmen wollen, denn dem Anschein nach ist allerdings die senkrechte Bewegung C B notwendig rascher, als die schiefe C A. Wie kann aber dann der auf der schiefen Ebene fallende Körper nach seiner Ankunft im Punkte A ebenso großen Antrieb, also auch die nämliche Geschwindigkeit, besitzen, wie der senkrecht herabfallende im Punkte B? Diese Sätze scheinen sich zu widersprechen.28

Geschwindigkeit längs der geneigten Ebene gleich der Geschwindigkeit längs der senkrechten, und Bewegung längs der senkrechten geschwinder als längs der geneigten.

Salv. Umso mehr wird es Euch unrichtig vorkommen, wenn ich behaupte, dass die Geschwindigkeit des senkrecht und des schief fallenden Körpers genau gleich sind. Und doch ist dies vollkommen richtig, ebenso richtig wie die Behauptung, dass der Fall längs der Senkrechten rascher erfolgt als längs der schiefen Ebene.

Sagr. In meinen Ohren klingt das wie ein schroffer Widerspruch. Was meint Ihr, Signore Simplicio?

Simpl. Auch mir kommt das so vor.

Salv. Ich glaube, Ihr habt mich zum Besten und stellt Euch, als ob Ihr nicht verstündet, was Ihr besser versteht als ich. Sagt mir doch, Signore Simplicio, wenn Ihr Euch vorstellt, ein bewegter Körper übertreffe einen anderen an Geschwindigkeit, welchen Begriff verbindet Ihr damit?

Simpl. Ich stelle mir vor, der eine lege in der nämlichen Zeit eine größere Strecke als der andere zurück, oder die gleiche Strecke, aber in kürzerer Zeit.

Salv. Sehr wohl, und was stellt Ihr Euch unter gleichen Geschwindigkeiten zweier Körper vor?

Simpl. Ich stelle mir darunter vor, dass sie gleiche Strecken in gleichen Zeiten zurücklegen.

Salv. Sonst nichts als das?

Simpl. Es scheint mir dies die richtige Definition gleicher Bewegungen zu sein.

Geschwindigkeiten heißen gleich, wenn die zurückgelegten Wege den Zeiten proportional sind.

Sagr. Wir können doch noch eine andere aufstellen: Es heißen die Geschwindigkeiten auch dann gleich, wenn die zurückgelegten Wege sich verhalten wie die Zeiten, in welchen sie zurückgelegt worden sind. Diese Definition ist eine allgemeinere.

Salv. So ist es; denn sie umfasst sowohl den Fall, wo gleiche Strecken in gleichen Zeiten, als auch den, wo ungleiche Strecken in ungleichen, aber den Strecken proportionalen Zeiten durchlaufen werden. Nehmt nun dieselbe Figur noch einmal vor und sagt mir sodann, unter Benutzung des Begriffs der rascheren Bewegung, warum Ihr die Geschwindigkeit des längs C B fallenden Körpers für größer haltet als die Geschwindigkeit des längs C A fallenden.

Simpl. Ich glaube darum, weil der frei fallende Körper in einer Zeit die ganze Strecke C B zurücklegt, in welcher der andere auf C A eine kleinere Strecke als C B zurücklegt.

Salv. So ist es. Es hat demnach seine Richtigkeit, dass der Körper schneller in der senkrechten Richtung als in der geneigten sich bewegt. Überlegt nun, ob in dieser nämlichen Figur nicht auch der andere Satz zu seinem Recht gelangen kann, und ob sich nicht erweisen lässt, dass die Körper auf beiden Linien C A und C B gleiche Geschwindigkeiten besitzen.

Simpl. Ich kann nichts Derartiges entdecken; es scheint mir im Gegenteil darin ein Widerspruch mit dem eben Gesagten zu liegen.

Salv. Was meint Ihr, Signore Sagredo? Ich möchte Euch nicht erst lehren, was Ihr schon wisst, und was Ihr mir noch eben ganz richtig definiert habt.

Sagr. Die Definition, die ich angeführt habe, lautete, dass die Geschwindigkeiten der Körper gleich genannt werden dürfen, wenn die von ihnen zurückgelegten Wege sich verhalten wie die Zeiten, in welchen sie zurückgelegt werden. Soll also diese Definition hier gelten, so müsste die Zeit für das Fallen längs C A zu der Zeit des freien Falls längs C B dasselbe Verhältnis haben, wie die Linie C A selbst zur Linie C B. Nur begreife ich nicht, wie dies möglich ist, sobald die Bewegung längs C B rascher ist als längs C A.

Salv. Und gleichwohl sollt und müsst Ihr es begreifen. Sagt mir doch: Findet bei diesen Bewegungen nicht eine fortwährende Beschleunigung statt?

Sagr. Ja; aber eine größere Beschleunigung in der senkrechten als in der schiefen Richtung.

Salv. Ist nun aber jene Beschleunigung in der senkrechten Richtung so groß im Vergleich zu der in schräger Richtung stattfindenden, dass, an welcher Stelle auch immer auf den beiden Linien gleiche Stücke angenommen werden, die Bewegung längs des senkrechten Stücks rascher sein muss als längs des schiefen?

Sagr. O nein. Ich kann vielmehr auf der schrägen Linie eine Strecke annehmen, auf welcher die Geschwindigkeit sehr viel größer ist als auf einer anderen ebenso großen Strecke der senkrechten Linie. Ich brauche nur die Strecke auf der senkrechten Linie in der Nähe des Endpunktes C, die Strecke auf der schiefen Linie hingegen recht weit davon entfernt anzunehmen.

Salv. Die Behauptung also, die Bewegung längs der Senkrechten sei schneller als längs der schiefen Linie, erweist sich nicht als allgemein richtig, wie Ihr seht. Sie gilt nur bei Bewegungen, die vom Anfangspunkte, also von der Ruhelage, ihren Ausgang nehmen. Ohne diese Klausel wäre die Behauptung dermaßen falsch, dass ihr Gegenteil ebenso gut wahr sein könnte, nämlich dass die Bewegung auf der schiefen Ebene schneller ist als in senkrechter Richtung: Denn man kann auf der schiefen Linie eine Strecke annehmen, die in kürzerer Zeit durchlaufen wird als eine ebenso große Strecke auf der Senkrechten. Da also die Bewegung auf der schiefen Ebene an einigen Stellen schneller, an anderen weniger schnell ist als auf der Senkrechten, so wird an gewissen Stellen der schiefen Ebene die Zeit der Bewegung des Körpers zu der Zeit der Bewegung des Körpers an gewissen Stellen der Senkrechten ein größeres Verhältnis haben als die entsprechenden zurückgelegten Wege; an anderen Stellen hingegen wird das Verhältnis der Zeiten kleiner sein als das der zugehörigen Wege. Es mögen z. B. von der Ruhelage, also vom Punkte C aus, zwei bewegliche Körper sich in Bewegung setzen, der eine längs der Senkrechten C B, der andere längs der schiefen Linie C A. In der Zeit, wo der eine Körper die ganze Strecke C B zurückgelegt hat, wird der andere das kleinere Stück C T zurückgelegt haben. Die Dauer der Bewegung auf C T wird also zur Dauer der Bewegung auf C B – weil diese beiden Zeiten gleich sind – ein größeres Verhältnis haben als die Linie C T zu C B, da ein und dieselbe Größe zu einer kleineren ein größeres Verhältnis hat als zu einer größeren.29 Wenn man umgekehrt auf der nötigenfalls zu verlängernden Linie C A eine Strecke gleich C B annimmt, die aber in kürzerer Frist passiert wird, so würde die Zeit für Durchmessung der schiefen Strecke zu der für Zurücklegung der senkrechten ein kleineres Verhältnis haben als jene Strecke zu dieser. Da wir uns also auf den beiden Linien Strecken nebst den entsprechenden Geschwindigkeiten denken können derart, dass die Verhältnisse der Strecken zueinander teils kleiner teils größer sind als die Verhältnisse der entsprechenden Zeiten, so können wir wohl vernünftigerweise zugeben, dass auch Strecken vorhanden sind, auf welchen die zur Bewegung erforderlichen Zeiten dasselbe Verhältnis bewahren wie die Strecken selbst.


Sagr. Mein größtes Bedenken ist jetzt gehoben und ich begreife nicht bloß die Möglichkeit, sondern geradezu die Notwendigkeit dessen, was mir vorher ein Widerspruch schien. Ich verstehe aber einstweilen noch nicht, dass zu diesen möglichen oder notwendigen Fällen der hier vorliegende gehört. Es müsste sich herausstellen, dass die Fallzeit längs C A zur Zeit des freien Falls längs C B sich ebenso verhält wie die Linie C A zu C B, damit man ohne Widerspruch soll sagen können, die Geschwindigkeiten längs der schiefen Linie C A und längs der senkrechten C B seien gleich.

Salv. Seid einstweilen zufrieden, dass ich Euch den Unglauben benommen habe; die volle Erkenntnis erwartet ein anderes Mal, wenn Euch die Untersuchungen unseres Akademikers über die räumlichen Bewegungen vorliegen.30 Ihr werdet dort bewiesen finden, dass, wenn der eine Körper die ganze Linie C B durchfallen hat, der andere am Fußpunkte T des von B auf C A gefällten Perpendikels angelangt ist. Um andererseits den Ort des nämlichen senkrecht fallenden Körpers zu finden in dem Augenblicke, wo der andere in A ankommt, errichtet bloß im Punkte A ein Perpendikel auf C A und verlängert es bis zum Schnitt mit C B; dort wird der gesuchte Punkt liegen. Inzwischen werdet Ihr bemerken, dass es völlig richtig ist, die Bewegung längs C B als rascher zu betrachten wie die längs der schiefen Linie C A – die zu vergleichenden Bewegungen immer vom Ausgangspunkte C an gerechnet –, denn die Linie C B ist größer als C T, und ebenso ist die Linie von C bis zum Schnitt mit dem im Punkte A auf C A errichteten Perpendikel größer als C A: Darum ist also die Bewegung auf jener rascher als längs C A. Vergleichen wir aber die über die ganze Linie C A erstreckte Bewegung nicht mit der ganzen gleichzeitig stattfindenden Bewegung längs der verlängerten Senkrechten, sondern bloß mit dem schon in kürzerer Zeit zurückgelegten Teile C B, so ist es sehr wohl angängig, dass der längs C A über T hinaus weiter fallende Körper nach einer solchen Frist in A ankommt, dass, wie C A zu C B, so auch die eine Zeit zur anderen sich verhält.

Die Kreisbewegung kann niemals auf natürliche Weise ohne vorangehende geradlinige Bewegung zustande kommen.

Kreisbewegung ist in Ewigkeit gleichförmig.

Die Größe der Bahnen und die Geschwindigkeit der Planetenbewegung haben dasjenige Verhältnis, welches einer Abwärtsbewegung von gemeinsamem Ausgangspunkt entspricht.

Wir wollen nun wieder unser erstes Ziel ins Auge fassen und beweisen, dass ein schwerer Körper, der von der Ruhelage ausgeht, bei seinem Falle durch alle die Stufen der Langsamkeit hindurchgehen muss, welche einer später von ihm erreichten Stufe der Geschwindigkeit vorangehen. Wir nehmen dieselbe Figur wiederum vor und erinnern uns, dass nach beiderseitigem Zugeständnis der senkrecht längs C B fallende Körper und der schief längs C A fallende in den Endpunkten B und A mit gleichen Stufen der Geschwindigkeit eintreffen. Wir gehen nun weiter, und ich glaube, Ihr werdet ohne jedes Bedenken zugeben, dass auf einer Ebene, die weniger steil ist als A C, etwa auf A D, die Abwärtsbewegung noch langsamer als auf der Ebene A C stattfinden wird. Daher lassen sich, wie nicht im Mindesten zu bezweifeln ist, Ebenen von so geringer Neigung gegen den Horizont angeben, dass der bewegte Körper, also die von Anfang an betrachtete Kanonenkugel, erst nach einer vorgegebenen beliebig großen Zeit den Weg bis zum Endpunkte A zurücklegen würde. Um nämlich längs B A dorthin zu kommen, reicht auch unendliche Zeit nicht aus, und die Bewegung wird umso langsamer, je geringer die Steilheit ist. Man muss also unbedingt zugeben, es lasse sich über dem Punkte B ein Punkt in solcher Nähe annehmen, dass die durch ihn und den Punkt A gelegte Ebene von der Kugel auch nicht in einem Jahre zurückgelegt würde. – Nun müsst Ihr noch Folgendes wissen. Der Antrieb, mithin der Grad der Geschwindigkeit, welchen die Kugel bei ihrem Eintreffen im Punkte A erreicht hat, ist ein solcher, dass, wenn sie von nun ab mit diesem Grade von Geschwindigkeit sich weiter bewegte, d. h. ohne eine Beschleunigung oder eine Verzögerung zu erfahren, sie die doppelte Länge dieser Ebene in einer Zeit zurücklegen würde, die gleich ist der auf der schiefen Ebene verbrachten.30) Wenn nämlich die Kugel etwa in einer Stunde die Ebene passiert hätte und sodann mit dem im Endpunkte A erreichten Grad von Geschwindigkeit fortführe sich zu bewegen, so würde sie in einer weiteren Stunde eine Strecke zurücklegen gleich dem doppelten von D A. Nun sind aber, wie wir festgestellt haben, die von den Körpern in B und A erreichten Geschwindigkeitsgrade stets gleich, vorausgesetzt, dass diese von einem beliebigen auf C B angenommenen Punkte ausgehen und sich abwärts bewegen, der eine längs der schiefen Ebene, der andere längs der Senkrechten. Der senkrecht fallende Körper kann also von einem so nahe bei B gelegenen Punkte ausgehen, dass die in B erreichte Geschwindigkeitsstufe nicht ausreichend wäre – wenn sie von nun an beibehalten würde –, um den Körper über eine Strecke von der doppelten Länge der schiefen Ebene in einem Zeitraume von einem Jahre oder von zehn oder von hundert Jahren zu befördern. Wir können also folgendermaßen schließen: Wenn wirklich im gewöhnlichen Laufe der Natur ein Körper nach Entfernung aller äußeren und zufälligen Hindernisse sich auf einer schiefen Ebene mit umso größerer Langsamkeit bewegt, je geringer die Schiefe ist, so dass schließlich die Langsamkeit unendlich groß wird, sobald nämlich die Schiefe aufhört und die Ebene in eine waagrechte Ebene übergeht, und wenn wirklich die in irgendeinem Punkte der schiefen Ebene erreichte Geschwindigkeitsstufe gleich ist der Geschwindigkeitsstufe, die der senkrecht fallende Körper an einer ebenso hochgelegenen Stelle erreicht, so muss man auch notwendig unserer Behauptung beistimmen, dass der von der Ruhelage aus fallende Körper durch alle die unendlich vielen Stufen der Langsamkeit hindurchgehen und folglich, um einen bestimmten Grad von Geschwindigkeit zu erlangen, sich zuerst in gerader Linie bewegen muss,31 und zwar eine kürzere oder längere Strecke, je nachdem die zu erreichende Geschwindigkeit kleiner oder größer sein soll und je nachdem die Ebene, auf der er sich abwärts bewegt, weniger oder mehr geneigt ist. Es lässt sich also auch eine Ebene mit so geringer Neigung angeben, dass der Körper, um auf ihr den vorgeschriebenen Grad von Geschwindigkeit zu erlangen, längs einer außerordentlich großen Strecke und während einer außerordentlich langen Zeit sich bewegt haben muss; auf der waagrechten Ebene wird er also von Natur aus niemals auch nur die geringste Geschwindigkeit erlangen, da er sich auf ihr ja überhaupt nicht bewegen wird. Die Bewegung längs der horizontalen Linie, die keine Schiefe oder Steilheit besitzt, ist aber nichts Anderes als die Kreisbewegung um den Mittelpunkt. Darum wird also die Kreisbewegung niemals ohne vorangehende geradlinige Bewegung zustande kommen; ist sie aber einmal zustande gekommen, so wird sie in Ewigkeit mit gleichförmiger Geschwindigkeit fortdauern.32 Ich könnte Euch diese nämlichen Wahrheiten noch durch andere Erwägungen erläutern und sogar beweisen; aber ich möchte nicht so weit von unserem Hauptgegenstande abschweifen und lieber bei einer anderen Gelegenheit darauf zurückkommen, umso mehr als wir jetzt auf dieses Thema nicht gekommen sind zum Zwecke eines strengen Beweises, sondern nur um einen Gedanken Platos23 weiter auszuführen. – Ich will daran noch eine eigentümliche Beobachtung unseres Akademikers reihen, die ans Wunderbare grenzt. Stellen wir uns vor, der göttliche Baumeister habe neben anderen Entwürfen den Plan gehegt, im Weltall jene Kugeln zu schaffen, die wir beständig im Kreise sich drehen sehen; er habe den Mittelpunkt ihres Kreislaufs bestimmt und in diesen unbeweglich die Sonne versetzt, habe dann alle die genannten Kugeln am nämlichen Orte verfertigt und ihnen den Trieb eingepflanzt, von hier aus sich abwärts nach dem Mittelpunkte hin zu bewegen, bis sie den Grad von Geschwindigkeit erlangt hätten, der dem göttlichen Geiste gut schien; als sie diesen erlangt, seien sie sodann in Drehung versetzt worden, jeglicher in seinem Kreise die zugewiesene Geschwindigkeit bewahrend. Es fragt sich nun, in welcher Höhe und welcher Entfernung von der Sonne der Ort gewesen ist, wo zu Anfang jene Kugeln geschaffen wurden, und ob möglicherweise die Schöpfung von allen an einem Orte stattgefunden hat. Zur Lösung dieser Frage hat man nach den Angaben der sachverständigsten Astronomen die Größe der Kreise zu Grunde zu legen, in welchen die Planeten umlaufen, sowie die Dauer dieser Umläufe. Aus diesen beiden gegebenen Größen berechnet man, wieviel mal schneller z. B. die Bewegung des Jupiters als die des Saturn ist. Findet man dann, wie es tatsächlich der Fall ist, dass Jupiter sich schneller bewegt, so muss, da beide von gleicher Höhe ausgegangen sind, Jupiter tiefer gefallen sein als Saturn, wie es denn bekanntlich auch wirklich sich verhält, da ja seine Bahn innerhalb der Saturnbahn liegt. Geht man aber weiter, so kann man aus dem Verhältnis der Geschwindigkeiten des Jupiters und Saturns, aus dem Abstand ihrer Bahnen und aus dem Maße der Beschleunigung bei der natürlichen Bewegung, wieder auffinden, in welcher Höhe und Entfernung vom Mittelpunkte ihrer Umdrehungen der Ort sich befunden hat, von dem sie ausgingen. Ist dieser aufgefunden und festgelegt, so fragt es sich, ob bei Mars, wenn er gleichfalls von dort bis zu seiner jetzigen Bahn hinabgestiegen ist, die Größe der Bahn und seine Geschwindigkeit mit dem durch Rechnung gefundenen Ergebnis stimmt; ähnlich steht es mit der Erde, mit Venus und mit Merkur, bei welchen die Größe der Kreise und die Geschwindigkeiten der Bewegung so nahe mit dem Resultate der Rechnung übereinstimmen, dass man sich nicht genug darüber wundern kann.


Sagr. Ich bin mit größtem Vergnügen diesen Erörterungen gefolgt; wenn ich nicht glaubte, die genaue Ausführung der Rechnungen sei eine weitläufige, mühevolle und vielleicht mein Verständnis übersteigende Sache, so würde ich Euch darum bitten.

Salv. Das Verfahren ist wirklich weitläufig und schwierig, auch bin ich nicht sicher, es so ohne Weiteres vortragen zu können; wir wollen die Sache darum auf ein anderes Mal verschieben.

Simpl. Haltet es, bitte, meiner geringen Übung in den mathematischen Wissenschaften zu gute, wenn ich offen gestehe, dass Eure Untersuchungen, die sich auf größere oder kleinere Verhältnisse gründen und auf ähnliche für mich nicht hinreichend klar verständliche Begriffe, mir meine Bedenken oder, besser gesagt, meinen Unglauben nicht benommen haben. Es soll notwendigerweise jene schwere Bleikugel von 100 Pfund Gewicht, wenn man sie von der Ruhelage aus fallen lässt, jede noch so hohe Stufe der Langsamkeit passieren, während sie doch augenscheinlich in vier Pulsschlägen mehr als hundert Ellen Wegs zurücklegt: ein Resultat, das meiner Überzeugung nach völlig unverträglich damit ist, dass sie einmal eine solche Langsamkeit soll besessen haben, wie sie nicht genügen würde, um jene in tausend Jahren auch nur einen halben Zoll weiter zu bringen, wenn nämlich jene Langsamkeit beibehalten würde. Wenn es aber dennoch so ist, möchte ich es auch gerne begreifen können.

Sagr. Signore Salviati, als gründlicher Fachmann, meint gar manchmal, die Kunstausdrücke, die ihm selbst sehr geläufig und vertraut sind, müssten es auch anderen sein, er vergisst daher bisweilen, wenn er zu uns spricht, dass er mit weniger gelehrten Erörterungen unserer mangelhaften Fassungsgabe entgegenkommen sollte; darum will ich mit seiner Erlaubnis, ohne mich in solche Höhen zu versteigen, versuchen, wenigstens teilweise dem Signore Simplicio den Unglauben durch plausible Gründe zu benehmen. Um wieder auf den Fall der Geschützkugel zurückzukommen, sagt mir, bitte, Signore Simplicio, wollt Ihr nicht einräumen, dass beim Übergang von einem Zustande zu einem anderen der Fortgang zu einem näheren naturgemäß leichter und bequemer ist als zu einem entfernteren?

Simpl. Dies verstehe ich und räume ich ein. Ich zweifle nicht daran, dass z. B. ein glühendes Stück Eisen beim Erkalten von zehn Grad Wärme eher auf neun Grad sinkt als von zehn auf sechs.33

Sagr. Sehr wohl. Sagt mir sodann: Wenn jene Kanonenkugel von der Kraft des entzündeten Pulvers senkrecht in die Höhe geschossen wird, bewegt sie sich dann nicht fortwährend mit abnehmender Geschwindigkeit, bis sie den höchsten Punkt erreicht und damit zur Ruhe gelangt? Und soll man nicht vernünftigerweise annehmen, dass bei der Abnahme der Geschwindigkeit oder, wenn Ihr lieber wollt, bei der Zunahme der Langsamkeit der Übergang von 10 Grad auf 11 eher stattfindet als von 10 auf 12? und von 1000 auf 1001 eher als von 1000 auf 1002? Kurz, von einem beliebigen Grad eher auf einen benachbarten als auf einen entfernten?

Simpl. Freilich ist das vernünftig.

Sagr. Welche Stufe der Langsamkeit liegt aber irgendwelcher Bewegung so ferne, dass nicht der Zustand der Ruhe, also der unendlicher Langsamkeit, nicht noch weiter ab von ihr läge? Darum darf man nicht in Zweifel ziehen, dass besagte Kugel, bevor sie schließlich in den Endzustand der Ruhe gelangt, alle Stufen immer größerer Langsamkeit durchmacht, folglich auch eine solche, bei welcher sie in tausend Jahren keinen Zoll weiterrücken würde. Ist dies aber der Fall – und es ist der Fall – so wird es Euch nicht wundern dürfen, wenn bei der Umkehr nach unten dieselbe Kugel vom Zustande der Ruhe aus ihre Geschwindigkeit dadurch wieder erlangt, dass sie durch die nämlichen Grade der Langsamkeit hindurchgeht, die sie bei der Bewegung nach oben durchgemacht hat, nicht aber dadurch, dass sie alle anderen höheren Stufen der Langsamkeit34, die dem Zustande der Ruhe näher liegen, auslässt und sprungweise zu einer entfernteren übergeht.

Simpl. Aus dieser Erklärung bin ich weit eher klug geworden als aus den früheren mathematischen Spitzfindigkeiten. Signore Salviati mag daher seinen Faden wieder aufnehmen und seine Schlussfolgerungen fortsetzen.

Kreisbewegungen bringen ihrer Endlichkeit u. Begrenztheit wegen die Teile der Welt nicht in Unordnung.

Bei der Kreisbewegung ist jeder Punkt des Umfangs Anfangsund Endpunkt.

Kreisbewegung allein gleichförmig.

Kreisbewegung kann ewig fortdauern.

Geradlinige Bewegung kann von Natur aus nicht ewig sein.

Geradlinige Bewegung hat die Bestimmung, die Naturkörper in vollkommene Ordnung zu bringen, wenn sie aus dieser entfernt wurden.

Bloß Ruhe und Kreisbewegung sind geeignet zur Aufrechterhaltung d. Ordnung.

Salv. Wir werden also zu unserem ursprünglichen Gegenstande zurückkehren und da wieder anknüpfen, wo wir abgeschweift sind. Wenn ich mich recht erinnere, waren wir dabei, festzustellen, dass die geradlinige Bewegung unter Voraussetzung einer wohlgeordneten Welt nutzlos sein muss; wir haben weiter hervorgehoben, dass die Sache bei den kreisförmigen Bewegungen anders liegt: Denn die Bewegung des Körpers um sich selbst hält ihn ja stets an derselben Stelle fest, und die Bewegung auf dem Umfange eines Kreises um dessen unverrückt festes Zentrum hat keine Aufhebung der Ordnung, weder für ihn selber noch für benachbarte Körper im Gefolge. Eine solche Bewegung ist nämlich endlich und begrenzt, und nicht bloß das, es gibt auch keinen Punkt auf dem Umfang des Kreises, der nicht zugleich Anfangs- und Endpunkt der Kreisbewegung wäre; beim Fortgang seiner Bewegung auf dem ihm zugewiesenen Kreise lässt der Körper allen übrigen Raum innerhalb und außerhalb desselben frei für die Bedürfnisse anderer Körper, ohne ihnen jemals hinderlich oder störend zu werden. Da es sich hier um die Bewegung handelt, die den Körper beständig vom Ziele entfernt und ihn beständig zu ihm hinführt, so kann zunächst nur sie gleichförmig sein; denn die Beschleunigung der Bewegung entsteht, wenn sich der Körper nach einem erstrebten Ziele hin bewegt, und die Verzögerung tritt ein durch die Abneigung, sich von jenem Ziele zu trennen und zu entfernen. Da er aber bei der Kreisbewegung sich stets von dem natürlichen Ziele trennt und wieder zu ihm hinbewegt, so sind bei ihm Abneigung und Neigung gleich; aus dieser Gleichheit geht eine weder verzögerte noch beschleunigte Geschwindigkeit hervor, d. h. eine gleichförmige Bewegung. Aus dieser Gleichförmigkeit und Begrenztheit ergibt sich die Möglichkeit einer ewigen Fortdauer, indem die Umläufe sich stets wiederholen; auf einer unbegrenzten Linie hingegen und bei einer fortwährend verzögerten oder beschleunigten Bewegung ist von Natur aus eine solche Fortdauer unmöglich. Ich sage: von Natur aus; denn die verzögerte gradlinige Bewegung ist gewaltsam, kann also nicht von ewiger Dauer sein35; die beschleunigte Bewegung hingegen gelangt notwendig einmal ans Ziel, wenn ein solches vorhanden ist; ist aber keines vorhanden, so kann auch keine Bewegung zustande kommen, weil die Natur niemals dahin treibt, wohin es unmöglich ist zu gelangen. Demgemäß schließe ich, dass nur die Kreisbewegung von Natur aus den das Weltall zusammensetzenden Naturkörpern zukommen kann, sobald diese sich in vollkommener Ordnung befinden; die geradlinige Bewegung hingegen kann höchstens dann von der Natur ihren Körpern und deren Teilen zugewiesen werden, sobald sie sich außerhalb der ihnen vorgeschriebenen Plätze in verkehrter Anordnung befinden und daher auf dem kürzesten Wege in die natürliche Lage zurückgebracht werden sollen. Danach scheint mir der Schluss völlig gerechtfertigt, dass behufs Aufrechterhaltung der vollkommenen Ordnung die beweglichen Teile der Welt notwendig sich kreisförmig bewegen, die etwa nicht kreisförmig bewegten notwendig unbeweglich sein müssen; denn nur die Ruhe und die Kreisbewegung sind geeignet, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Auch wundere ich mich sehr, dass Aristoteles, der doch glaubte, die Erdkugel sei in den Mittelpunkt der Welt gesetzt und verharre dort unbeweglich, die natürlichen Körper nicht eingeteilt hat in von Natur bewegliche und von Natur unbewegliche, zumal da er früher die Natur als Ursache der Bewegung und der Ruhe definiert hat.36

Sinnliche Erfahrungen verdienen den Vorzug vor menschlichen Spekulationen.

Wer die Sinneserfahrungen leugnet, ist wert, der Sinne verlustig zu gehen.

Die Sinneserfahrung zeigt, dass das Schwere sich nach der Mitte, d. Leichte nach der Wölbung der Mondsphäre bewegt.

Simpl. Aristoteles, der trotz seines ungemeinen Scharfsinnes seinen Geist nicht ungebührlich überschätzte, glaubte, dass die sinnliche Erfahrung vor jeder vom Menschengeiste angestellten Spekulation den Vorzug verdiene37, und sagte, diejenigen, welche die Sinneserfahrungen leugneten, seien würdig, dafür mit dem Verlust ihrer Sinne zu büßen. Wer ist nun so blind, dass er nicht die Teile der Erde und des Wassers als schwere Körper sich von Natur abwärts bewegen sähe, d. h. in der Richtung nach dem Mittelpunkte des Weltalls, welcher von der Natur selbst der geradlinigen Bewegung deorsum als Ende und Ziel angewiesen ist? Wer sähe nicht gleichfalls, dass das Feuer und die Luft sich gerade nach oben bewegen zu der Wölbung der Mondsphäre hin, dem natürlichen Ziele der Bewegung sursum? Wo nun dies so klar am Tage liegt, und wo wir wissen, dass eadem est ratio totius et partium, wie kann man da in Abrede stellen, dass die Lehre von der natürlichen geradlinigen Bewegung der Erde ad medium und des Feuers a medio eine offenbar richtige Behauptung sei?

Ob die fallenden schweren Körper eine gerade Linie beschreiben, ist zweifelhaft.

Die Erde ist kugelförmig infolge des Zusammenstrebens der Teile nach d. Mittelpunkte hin.

Die Sonne steht mit größerer Wahrscheinlichkeit im Mittelpunkte der Welt als die Erde.

Salv. Vermöge des von Euch Bemerkten könntet Ihr allerhöchstens auf das Zugeständnis Anspruch erheben, dass, gerade wie die Teile der Erde nach ihrer Trennung vom Ganzen, d. h. nach ihrer Entfernung von der ihnen gebührenden Stelle, mit anderen Worten nach Aufhebung und Störung der natürlichen Ordnung, freiwillig von Natur aus zu ihr auf geradem Wege zurückkehren, so auch die Annahme gerechtfertigt sei – vorausgesetzt, dass eadem est ratio totius et partium –, es werde die Erdkugel in ihre natürliche Lage in geradliniger Bewegung zurückkehren, sobald sie daraus gewaltsam entfernt würde. Dies, wie gesagt, wäre das Einzige, was man Euch einräumen könnte, wenn man Euch sehr entgegenkommen wollte. Wollte man aber strengere Kontrolle üben, so könnte man erstens in Abrede stellen, dass die Teile der Erde nach ihrer Trennung vom Ganzen zu diesem in geradliniger Bewegung zurückkehren und nicht etwa in kreisförmiger oder in gemischter; es sollte Euch schwer genug fallen, das Gegenteil zu beweisen, wie Ihr deutlich aus den Erwiderungen auf die von Aristoteles und Ptolemäus angeführten speziellen Gründe und Erfahrungen ersehen werdet.38 Wenn zweitens jemand behaupten wollte, dass die Teile der Erde sich nicht bewegen, um sich nach dem Mittelpunkte derW e l tzu begeben, sondern um sich mit dem Ganzen zu vereinigen, zu dem sie gehören, dass sie also den Trieb nach dem Mittelpunkte derE r d ehaben, welchem einmütigen Trieb zufolge sie deren Bildung und Erhaltung überhaupt erst ermöglichen: Wo wolltet Ihr da ein anderes Ganzes und einen anderen Mittelpunkt auftreiben, nach welchen die gesamte Erdkugel bei einer etwaigen Störung ihrer Lage zurückkehren sollte, damit das Verhalten des Ganzen mit dem seiner Teile übereinstimme? Nehmt hinzu, dass weder Aristoteles noch Ihr jemals beweisen werdet, die Erde befinde sich de facto im Mittelpunkte des Weltalls; wenn man vielmehr dem Weltall überhaupt einen Mittelpunkt zuschreiben kann, so ließe sich eher die Sonne als solcher betrachten, wie Ihr im Verfolg unserer Erörterungen ersehen werdet.

Natürlicher Trieb der Teile eines jeden Weltkörpers nach dessen Mittelpunkt hin sich zu begeben.

Wie nun aus dem übereinstimmenden Streben aller Teile der Erde zum Ganzen sich ergibt, dass diese von allen Seiten mit gleichem Triebe zu ihr hineilen und, um sich so eng als möglich mit ihr zu vereinigen, sich ihr kugelförmig anlagern, warum sollen wir nicht annehmen, dass der Mond, die Sonne und die anderen Weltkörper gleichfalls nur wegen des übereinstimmenden Triebes und des natürlichen Zusammenstrebens aller sie zusammensetzenden Teile von runder Gestalt sind? Wenn irgendeinmal durch irgendwelche Gewalt ein Teil von seinem Ganzen losgerissen würde, wäre es nicht vernünftig anzunehmen, dass er von selbst durch natürlichen Trieb dahin zurückkehrte? Und in diesem Sinne zu behaupten, dass die geradlinige Bewegung allen Weltkörpern zukommt?22

Geradlinige Bewegung schwerer Körper durch die Sinne wahrgenommen.

Aristotelischer Beweis dafür, dass die schweren Körper sich bewegen, um nach dem Mittelpunkte des Weltalls zu gelangen.

Die schweren Körper bewegen sich per accidens nach dem Erdmittelpunkte.

Die Folgen einer unmöglichen Annahme zu untersuchen, ist ein eitles Unternehmen.

Himmelskörper nach Aristoteles weder schwer noch leicht.

Simpl. Sicherlich werdet Ihr niemals überzeugt oder von irgendeiner vorgefassten Meinung abgebracht werden können, da Ihr die Axiome der Wissenschaften nicht nur, sondern sogar handgreifliche Erfahrungen und die Sinneswahrnehmungen selber leugnen wollt. Nicht sowohl vermöge Eurer Beweise werde ich meinen Widerstand aufgeben, als vielmehr weil contra negantes principia non est disputandum.39 Um auf das soeben von Euch Vorgebrachte einzugehen, so frage ich Euch – da Ihr gar in Zweifel zieht, ob die Bewegung der schweren Körper geradlinig sei oder nicht –, wie könnt Ihr vernünftigerweise leugnen, dass die Teile der Erde, d. h. die allerschwersten Stoffe, sich abwärts gegen den Mittelpunkt hin in gerader Linie bewegen. Wenn Ihr solche von einem sehr hohen Turme, dessen Wände genau eben und senkrecht gebaut sind, herabfallen lasst, so streichen sie doch dicht an diesen Wänden hin und treffen aufs Haar in demselben Punkt auf die Erde, wo sich der Fußpunkt eines Bleilotes befinden würde, welches genau an der Stelle oben befestigt ist, von wo aus man den Stein fallen ließ? Ist das nicht ein mehr als evidenter Beweis, dass solche Bewegung geradlinig und gegen den Mittelpunkt hin gerichtet ist? Ferner zieht Ihr in Zweifel, dass die Teile der Erde sich deshalb bewegen, um, wie Aristoteles behauptet, nach dem Mittelpunkte der Welt zu gelangen: Als hätte er es nicht mit triftigen Gründen durch die Lehre von den entgegengesetzten Bewegungen bewiesen, indem er in folgender Weise argumentiert.40 Die Bewegung der schweren Körper ist der der leichten entgegengesetzt; die Bewegung der leichten findet aber, wie man sieht, geradewegs nach oben statt, d. h. nach dem Umfange der Welt zu, also ist die Bewegung der schweren gerade nach dem Mittelpunkte der Welt gerichtet; und per accidens41 geschieht es, dass sie nach dem Mittelpunkte der Erde gerichtet ist, da dieser tatsächlich mit jenem zusammenfällt. Dann aber gar untersuchen zu wollen, wie ein Teil des Mond- oder Sonnenballs sich verhielte, wenn er von dem ganzen Balle losgelöst würde, ist ein eitles Unternehmen; denn das heißt doch die Folgen einer unmöglichen Annahme untersuchen. Sind ja doch, wie Aristoteles gleichfalls beweist, die Himmelskörper unveränderlich, undurchdringlich, unzerbrechlich, so dass Eure Annahme sich nicht verwirklichen kann. Geschähe es aber dennoch, und der losgerissene Teil kehrte zum Ganzen zurück, so würde er es nicht, insofern er schwer oder leicht ist, tun; denn wiederum beweist Aristoteles, dass die Himmelskörper weder schwer noch leicht sind.

Salv. Wie begründet mein Zweifel ist, ob die schweren Körper sich in gerader oder senkrechter Richtung bewegen, sollt Ihr, wie gesagt, schon merken, wenn ich diesen besonderen Gegenstand einer Prüfung unterziehen werde. Betreffs des zweiten Punktes wundere ich mich, dass Euch noch erst der Fehlschluss des Aristoteles nachgewiesen werden soll, der doch so klar zu Tage liegt, und dass Ihr nicht seht, wie Aristoteles schon voraussetzt, was erst ermittelt werden soll. Merkt also auf.

Aristoteles kann keinen Denkfehler machen, da er der Erfinder der Logik ist.

Simpl. Tut mir die Liebe, Signore Salviati, und sprecht mit größerer Achtung von Aristoteles. Wen wolltet Ihr jemals glauben machen, dass er, der erste, einzige, nicht genug zu bewundernde Erforscher der syllogistischen Figuren, des Beweises, der Widerlegung, der Methoden die Trug- und Fehlschlüsse aufzudecken, kurzum der Vater der Logik, einen solchen Denkfehler soll begangen haben, dass er das als bekannt voraussetzte, was erst zu ermitteln ist?42 Meine Herren, man muss ihn vorher recht verstehen, und dann erst versuchen, gegen ihn anzukämpfen.

Fehlschluss des Aristoteles bei dem Beweise, dass die Erde im Mittelpunkte des Weltalls steht.

Salv. Signore Simplicio, wir pflegen hier vertrauliche Erörterungen, um gewissen Wahrheiten auf die Spur zu kommen. Ich werde es niemals übel nehmen, wenn Ihr meine Irrtümer aufdeckt; wenn ich den Sinn des Aristoteles nicht gefasst habe, so rückt mir das freimütig vor, ich werde Euch dankbar dafür sein. Vergönnt mir dagegen, meine Bedenken auseinanderzusetzen und auch Einiges auf Eure letzten Worte zu erwidern. Die Logik ist, wie Ihr sehr wohl wisst, das Instrument der Philosophie. Aber wie jemand ein vortrefflicher Instrumentenmacher sein kann, ohne die Instrumente spielen zu können, so kann man ein großer Logiker sein, ohne genügende Fertigkeit in Anwendung der Logik zu besitzen: Gerade wie es viele gibt, die die Regeln der Poetik Euch an den Fingern herzählen können, während es ihnen nicht gelingt, auch nur vier Verse zusammenzubringen. Andere kennen alle Vorschriften Leonardo da Vincis43 und kämen in Verlegenheit, wenn sie einen Schemel abmalen sollten. Ein Instrument zu spielen lernt man eben nicht von dem, der es zu bauen, sondern von dem, der es zu spielen versteht; die Dichtkunst erlernt man durch die beständige Lektüre der Dichter; die Fähigkeit zu malen erlangt man durch fleißiges Zeichnen und Malen; und so lernt man das Beweisen aus der Lektüre der Bücher, die zahlreiche Beweise enthalten, also aus den mathematischen, nicht aber aus den logischen. – Um nun zu unserem Gegenstande zurückzukehren, so behaupte ich: Was Aristoteles bei der Bewegung der leichten Körper wahrnimmt, besteht darin, dass das Feuer von einem beliebigen Punkte der Erdoberfläche aus in gerader Linie von dieser sich entfernt und in die Höhe steigt, dies heißt eigentlich sich gegen eine größere Kugeloberfläche als die der Erde hin bewegt, wie ja Aristoteles selbst es sich zu der Wölbung der Mondsphäre hinbewegen lässt. Dass nun aber diese Kugelfläche mit dem Umfange der Welt zusammenfalle oder mit ihm konzentrisch sei, mithin die Bewegung nach jener auch eine Bewegung nach dem Umfange der Welt sei, lässt sich nicht behaupten, wenn man nicht schon voraussetzt, der Mittelpunkt der Erde, von dem das aufsteigende Leichte sich entfernt, sei gleichzeitig auch der Mittelpunkt der Welt. Dies aber heißt doch, der Erdball stehe im Mittelpunkte und dies ist es doch, was wir bezweifeln und was Aristoteles zu beweisen beabsichtigt. Und das sollte nicht ein offenbarer Fehlschluss sein?

Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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