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AN DEN GENEIGTEN LESER2

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In den letzten Jahren erließ man in Rom ein heilsames Edikt, welches den gefährlichen Ärgernissen der Gegenwart begegnen sollte und der pythagoreischen Ansicht, dass die Erde sich bewege, rechtzeitiges Schweigen auferlegte. Es fehlte nicht an Stimmen, welche in den Tag hinein behaupteten, jener Beschluss verdanke seine Entstehung nicht einer sachverständigen Prüfung, sondern sei hervorgegangen aus Parteileidenschaft, der nicht genügende Kenntnisse zur Seite stünden. Es wurden Klagen laut, dass Konsultoren, welche mit dem Stande der astronomischen Wissenschaft völlig unbekannt seien, durch ein plötzliches Verbot den forschenden Geistern die Flügel nicht hätten stutzen sollen. Unmöglich konnte mein Eifer beim Anhören so leichtfertiger Beschwerden stille bleiben. Wohlvertraut mit jenem so weisen Beschlusse, entschied ich mich dafür, auf der Schaubühne der Welt als Zeuge aufrichtiger Wahrheit aufzutreten. Ich war damals in Rom anwesend; ich hatte die höchsten geistlichen Würdenträger des dortigen Hofes nicht nur zu Zuhörern, sondern fand auch ihren Beifall. So erfolgte denn die Veröffentlichung jenes Dekrets nicht, ohne dass man mich vorher einigermaßen davon in Kenntnis gesetzt hätte. Darum ist meine Absicht in vorliegender mühevoller Arbeit, den fremden Nationen zu beweisen, dass man in Italien und insbesondere in Rom über diese Materie ebenso viel weiß, als nur immer die Forschung des Auslandes darüber ermittelt haben mag. Durch Zusammenstellung aller eigenen Untersuchungen über das kopernikanische System will ich zeigen, dass die Erkenntnis von alle dem der römischen Zensur voranging, dass mithin dieser Himmelsstrich nicht nur die Heimat der Dogmen für das Seelenheil ist, sondern dass auch die scharfsinnigen Entdeckungen zur Vergnügung der Geister von ihm ausgehen.

Zu diesem Zwecke habe ich im Laufe der Unterredung die Partei des Kopernikus ergriffen, wobei ich von seinem System ganz nach mathematischer Weise als von einer Voraussetzung ausgehe und mit Hilfe aller möglichen Kunstgriffe nachzuweisen suche, dass dieses System dem von der Unbewegtheit der Erde zwar nicht schlechthin überlegen ist, wohl aber in Ansehung der Gegengründe, die von den zünftigen Peripatetikern vorgebracht werden. Diese Leute geben sich zufrieden, im Widerspruch mit ihrem Namen3, Gespenster zu verehren, ohne umherzuwandeln; sie suchen nicht vermöge eigenen Nachdenkens die Wahrheit zu erforschen, sondern einzig und allein mittels der Erinnerung an vier mißverstandene Prinzipien.

Drei Hauptpunkte werden erörtert werden. Zuerst werde ich zu beweisen suchen, dass alle auf Erden anstellbaren Versuche ungenügende Mittel sind, um deren Bewegung darzutun, dass solche vielmehr unterschiedslos ebenso wohl mit der Bewegung wie mit der Ruhe der Erde vereinbar sind; bei diesem Anlass werden, wie ich hoffe, viele dem Altertum unbekannte Beobachtungen zur Sprache kommen. Zweitens werden die Himmelserscheinungen einer Prüfung unterzogen werden, welche so sehr zu Gunsten der kopernikanischen Annahme ausfällt, als ob diese durchaus siegreich daraus hervorgehen sollte; dabei werden neue Forschungen vorgeführt werden, die als astronomische Hilfsmittel zu betrachten sind, nicht aber als tatsächlich gültige Naturgesetze. Drittens werde ich eine geistreiche Phantasie zur Sprache bringen. Ich habe vor vielen Jahren einmal ausgesprochen, dass auf das dunkle Problem von Ebbe und Flut einiges Licht fallen könnte, sobald man die Bewegung der Erde einräumen wollte. Dieser mein Ausspruch verbreitete sich von Mund zu Mund, und es fanden sich barmherzige Pflegeväter4, welche die arme Waise als Kind ihres eigenen Geistes annahmen. Damit nun nicht dereinst ein Fremder, mit unseren eigenen Waffen kämpfend, vor uns hintrete und uns schelte wegen der geringen Aufmerksamkeit, die wir einer so wichtigen Naturerscheinung gewidmet hätten, habe ich es für richtig gehalten, die Gründe darzulegen, welche die Sache plausibel machen unter der Annahme, dass die Erde sich bewege. Diese Untersuchungen werden hoffentlich der Welt beweisen, dass andere Nationen zwar in größerem Umfange Schiffahrt betreiben mögen, dass wir ihnen aber in wissenschaftlicher Forschung nichts nachgeben; dass, wenn wir uns bescheiden die Unbeweglichkeit der Erde zu behaupten und die gegenteilige Annahme nur als eine mathematische Grille betrachten, dies nicht aus Unkenntnis der Ideen anderer geschieht; dass wir vielmehr, von anderem abgesehen, dies aus den Gründen tun, welche die Frömmigkeit, die Religion, die Erkenntnis der göttlichen Allmacht und das Bewusstsein von der Unzulänglichkeit des Menschengeistes uns an die Hand geben.

Ich dachte weiter, es sei von großem Vorteil, diese Gedanken in Form eines Gesprächs zu entwickeln, weil ein solches nicht an die strenge Innehaltung der mathematischen Gesetze gebunden ist und hie und da zu Abschweifungen Gelegenheit bietet, die nicht minder interessant sind als der Hauptgegenstand.

Ich besuchte vor vielen Jahren des Öfteren die Wunderstadt Venedig und verkehrte daselbst mit dem Signore Giovan Francesco Sagredo5, einem Manne von vornehmster Abkunft und ausgezeichnetem Scharfsinn. Eben dahin kam aus Florenz Signore Filippo Salviati, dessen geringster Ruhm sein edles Blut und sein glänzender Reichtum war; ein erhabener Geist, der nach keinem Genusse mehr trachtete als nach dem des Forschens und Denkens. Mit diesen beiden unterhielt ich mich oft über die erwähnten Fragen und zwar im Beisein eines peripatetischen Philosophen, dem scheinbar nichts so sehr die Erkenntnis der Wahrheit erschwerte, als der Ruhm, den er durch seine Auslegungen des Aristoteles erworben hatte.

Jetzt, nachdem der grausame Tod den Städten Venedig und Florenz jene beiden erleuchteten Männer in der Blüte ihrer Jahre geraubt hat, habe ich versucht, soweit meine schwachen Kräfte es vermögen, sie zu ihrem Ruhme auf diesen Blättern fortleben zu lassen, indem ich sie als redende Personen an den vorliegenden Gesprächen sich beteiligen lasse. Auch der wackere Peripatetiker soll nicht fehlen; wegen seiner übermäßigen Vorliebe für die Kommentare des Simplicius schien es passend unter Verschweigung seines wahren Namens ihm den seines Lieblingsautors zu belassen. Mögen die Seelen jener beiden großen Männer, die meinem Herzen stets verehrungswürdig bleiben werden, das öffentliche Denkmal meiner nie ersterbenden Liebe hinnehmen; möge das Andenken an ihre Beredsamkeit mir behilflich sein, der Nachwelt die versprochenen Untersuchungen klar darzulegen.

Es hatten gelegentlich allerlei Unterredungen zwischen genannten Herren stattgefunden, die, wie es zu gehen pflegt, willkürlich herausgegriffene Punkte betrafen. Dadurch aber wurde der Durst nach Erkenntnis in ihren Geistern nur entflammt, nicht gelöscht. Sie fassten daher den klugen Entschluss, sich an einigen Tagen zusammenzufinden, um unter Ausschluss jedes anderen Geschäftes in geordneterer Weise der Betrachtung und Verehrung der himmlischen und irdischen Wunderwerke Gottes obzuliegen. Als die Gesellschaft im Palaste des erlauchten S. Sagredo beisammen war, hub nach den üblichen, aber kurzen Begrüßungszeremonien S. Salviati folgendermaßen an:

Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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