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EINLEITUNG

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Im Folgenden soll eine kurze Darstellung der wichtigsten Tatsachen aus Galileis Leben gegeben werden unter Hervorhebung dessen, was mit seiner Stellung zur kopernikanischen Lehre und mit der Geschichte des Dialogs zusammenhängt.

G a l i l e oG a l i l e iwurde im Jahre 1564 zu Pisa geboren, nach der gewöhnlichen, nicht ganz verbürgten1 Annahme am 18. Februar (a. St.). Sein VaterV i n c e n z i o ,Tuchhändler in Florenz, ein Mann von feiner Bildung, Kenner der Mathematik und noch mehr der Musiktheorie, hatte sich mit seiner GemahlinG i u l i akurz vorher nach Pisa begeben. Dort verlebte Galilei mindestens die ersten zehn Jahre seines Lebens. Da die Mittel der Familie kärglich waren, konnte der Knabe nicht eben einen hervorragenden Unterricht genießen. Doch erlangte er bei seinen natürlichen Gaben schon frühzeitig eine große Fertigkeit in den klassischen Sprachen und lernte die römischen und griechischen Autoren gründlich kennen. Späterhin studierte er, wahrscheinlich in der Klosterschule vonV a l l o m b r o s a ,Logik und Dialektik. Im Jahre 1580 oder 81 bezog Galilei die Universität seines Geburtsortes Pisa – die Familie war inzwischen wieder nach Florenz übergesiedelt –, um dort nach dem Wunsche des Vaters dem damals einträglichsten Studium der Medizin obzuliegen. Indessen interessierten ihn philosophische Studien mehr, wenngleich die herrschende Schule ihn nicht befriedigen konnte. Diese nannte sich die peripatetische; sie wollte damit ihre Verwandtschaft mit der von Aristoteles gegründeten peripatetischen Schule des Altertums zum Ausdruck bringen. Doch ist es keineswegs statthaft, alle von den Peripatetikern jener Zeit vertretenen Meinungen als wirklich aristotelisch zu betrachten, da vielfach eine missverständliche Auffassung des Aristoteles dabei zu Grunde lag. Galilei bekämpfte damals schon bei Gelegenheit akademischer Disputationen die aristotelischen und pseudo-aristotelischen Ansichten aufs Lebhafteste. In weit höherem Maße als Aristoteles zog ihn Plato an, von dem er – nicht immer richtig – manche Lehren, insbesondere auf das Wesen der Erkenntnis bezügliche, auch im Dialoge mit Vorliebe zur Sprache bringt. Vor allem aber suchte er aus eigener Kraft zur Erkenntnis durchzudringen, ohne auf die Worte eines Meisters zu schwören; es dürstete ihn nach Ideen und Tatsachen, die Schulphilosophie aber bot ihm nichts als Worte.

Zu jener Zeit soll er nach der ErzählungV i v i a n i s2,als er im Dome von Pisa das Schaukeln einer Lampe beobachtete, die Unabhängigkeit der Schwingungsdauer eines Pendels von der Größe des Ausschlags, den sogenannten Isochronismus der Pendelschwingungen, entdeckt und aufgrund dieser Entdeckung einen Apparat zur Messung der Häufigkeit des Pulsschlags ersonnen haben. Bis zu seinem neunzehnten Lebensjahre hatte Galilei noch keine Gelegenheit gehabt, sich mathematische Kenntnisse anzueignen. Als ihm aber die ersten Elemente der Geometrie durchO s t i l i o d e ’R i c c i ,einen Freund seines Vaters, bekannt geworden waren, wurde er von glühender Begeisterung für die Mathematik erfüllt, sodass er, anfänglich gegen den Wunsch seines Vaters, sich ihr ganz zu widmen beschloss. Er studierte zunächst Euklid, später aber beschäftigten ihn besonders die Schriften des Archimedes. Er konstruierte im Verfolg dieser Studien eine Art hydrostatischer Wage, die, auf dem archimedischen Satze von dem Gewichtsverluste eines in eine Flüssigkeit eintauchenden Körpers beruhend, das Mischungsverhältnis zweier Metalle zu bestimmen erlaubte.3 Da die archimedischen Grundsätze der Hydrostatik mit der Annahme absolut leichter Körper, d. h. solcher Körper, die den »natürlichen Trieb« haben, sich vom Weltmittelpunkt zu entfernen, unvereinbar sind, andererseits aber diese Lehre des Aristoteles von den schweren und leichten Körpern einen Grundstein in dem Gebäude seiner Naturphilosophie bildet, so trug sicherlich die Beschäftigung mit Archimedes nicht wenig dazu bei, seine Abneigung gegen die peripatetische Schule zu verstärken. – Außerdem behandelte Galilei damals verschiedene Sätze über den Schwerpunkt fester Körper, die er mehreren angesehenen Mathematikern zur Begutachtung vorlegte, u. a. dem Lektor der Mathematik in Padua,M o l e t t i ,dessen Nachfolger im Amte er später werden sollte.

Daneben fesselte ihn zu jener Zeit die Lektüre Dantes, wie denn Galilei sein ganzes Leben hindurch ein begeisterter Verehrer der Dichtkunst, der Musik und der bildenden Künste blieb, der sich auf allen diesen Gebieten auch mit Glück selbsttätig, wenngleich nur als Dilettant, versuchte. Über DantesI n f e r n ohielt er, wahrscheinlich 1587 oder 1588, in der florentinischen Akademie zwei Vorträge, die erst im Jahre 1855 gedruckt worden sind. Man hat aus einer Stelle dieser Vorlesungen4 schließen wollen, dass Galilei damals noch Anhänger des ptolemäischen Systems war, insofern dort der Mittelpunkt der Erde als identisch mit dem der Welt betrachtet wird. Obgleich er nun damals tatsächlich noch nicht Kopernikaner war, wie wir sehen werden, so reicht doch die angeführte Begründung nicht aus; denn Galilei konnte bei einer Erläuterung der Divina Commedia sich auf keinen anderen Standpunkt stellen als auf den Dantes. Ob er ihn teilte, darüber sich bei solcher Gelegenheit auszulassen, wäre überflüssig, ja geschmacklos gewesen.

In dem gleichen Jahre 1587 betrat Galilei zum ersten Male den Boden Roms, der späterhin der Schauplatz so denkwürdiger Erlebnisse für ihn werden sollte. Er suchte bei dieser Gelegenheit die Bekanntschaft mit dem JesuitenC l a v i u s5,damals dem angesehensten Astronomen und Mathematiker in Italien. Er stand mit ihm bis zu dessen 1612 erfolgtem Tode in freundlichen Beziehungen, sie erlitten freilich während Galileis paduanischer Professur eine Unterbrechung, da dieser in Diensten der venezianischen Republik sich gegenüber den Jesuiten, die im Jahre 1606 aus allen Territorien der Republik vertrieben wurden, große Zurückhaltung auferlegen musste. Der Kommentar des Clavius zur »Sphaera« des Sacrobosco galt damals – vom Standpunkte der Antikopernikaner mit Recht – als das beste Lehrbuch der Elemente der Astronomie und erlebte zahlreiche Auflagen.6 Selbstverständlich kannte und benutzte es Galilei, wovon auch im Dialoge deutliche Spuren bemerkbar sind. – Als Galilei sich mit Clavius in Rom in Verbindung setzte, war wohl sein Hauptzweck durch Empfehlung seitens des einflussreichen Mannes eine Professur an einer der italienischen Universitäten zu erhalten. Wenigstens sehen wir ihn vorher und nachher bemüht, eine solche Stellung zu erlangen, die ihm bei seinen kärglichen Mitteln schon aus materiellen Gründen höchst wünschenswert erscheinen musste. Durch Vermittlung des zu jener Zeit sehr angesehenen Mathematikers MarcheseG u i d o b a l d od e lM o n t e ,der ihn dem Großherzog von Toskana, Ferdinand I., warm empfahl, wurde denn in der Tat Galilei im Jahre 1589 für drei Jahre zum Lektor der Mathematik in Pisa ernannt. Angenehm war diese Stellung freilich nicht; abgesehen von dem kärglichen Gehalte, das er bezog, stand er mit seinen Kollegen, zu denen der fanatische Gegner aller Neuerungen,G i u l i oL i b r i ,gehörte, auf dem denkbar schlechtesten Fuße; nur zuJ a c o p oM a z z o n i ,unter dessen Leitung er philosophische Studien trieb, stand er in freundschaftlichen Beziehungen. Die Lossagung von der aristotelischen Naturphilosophie, die Anerkennung, welche G. den bedeutsamen IdeeB e n e d e t t i s7zollte, das waren Dinge, welche die herrschende Schule aus sachlichen und persönlichen Gründen nicht verzeihen konnte.

Aus der Zeit der Pisaner Professur stammen verschiedene Abhandlungen über mechanische Fragen, in denen der jugendliche Forscher noch mühsam mit dem Stoffe ringt. Die bekannteste ist eine in dialogischer Form abgefasste Schrift, die Sermones de motu gravium. Dieselbe ist zum ersten Male in der Albèrischen Ausgabe der Werke (XI, 9–55) im Jahre 1854 veröffentlicht worden; es sind ihr fünf weitere kleine Abhandlungen beigefügt, die von dem Herausgeber offenbar irrig8 in eben jene Zeit verlegt werden, während sie teilweise augenscheinlich auf einem weit vorgeschritteneren Standpunkt stehen. In der neuerdings erscheinenden Ausgabe der galileischen Werke, die von Favaro besorgt wird, sind noch andere interessante, der pisanischen Zeit angehörige Aufsätze über Bewegungsfragen enthalten. (I, 243–366.) Die Sermones dürfen jedoch als das Reifste aus jener Periode angesehen werden, wir beschränken uns daher auf deren Besprechung. Zunächst erkennen wir aus der unbedingten Verehrung, mit der G. im Gegensatz zu späteren Äußerungen in dieser Schrift von Ptolemäus spricht9, und aus der Bemerkung, der Erde sei die Ruhe »angenehmer« als die Bewegung10, dass er damals wirklich noch Anhänger des ptolemäischen Weltsystems war. Weiterhin aber finden wir, dass er in der Bewegungslehre die Anschauungen Benedettis, der freilich in keiner galileischen Schrift namentlich erwähnt wird11, im Wesentlichen sich aneignet und in eigentümlicher Weise weiterbildet. In erster Linie bekämpft er in ganz ähnlicher Weise wie im Dialog über die Weltsysteme12 die sonderbare aristotelische Anschauung, dass bei »gewaltsamen« Bewegungen (wie z. B. bei horizontalem und vertikalem Wurfe) die Ursache des Andauerns der Bewegung in der Bewegung des Mediums zu suchen sei; G. führt dasselbe vielmehr wie Benedetti auf eine virtus impressa, auf eine dem Körper von der ursprünglichen Bewegungsursache (etwa dem schleudernden Arme) eingeprägte Kraft zurück, mit anderen Worten auf das Beharrungsvermögen. Er hat über diese virtus impressa freilich noch sehr unrichtige Anschauungen, nimmt namentlich an, dass dieselbe mit der Zeit abnehme und schließlich erlösche; hingegen gibt er sich keiner Täuschung darüber hin, dass dieses Wort das Wesen der Sache nicht enthülle, wie gleichfalls im Dialog über die Weltsysteme ausgeführt wird.13 Zu einem völlig konsequenten Standpunkte bezüglich des Beharrens der Bewegung ist er, wie sich später zeigen wird, zeitlebens nicht gelangt, sodass es nur sehr bedingt richtig ist, Galilei die Entdeckung des Beharrungsgesetzes zuzuschreiben. – Auch die Unterscheidung zwischen gewaltsamer und natürlicher Bewegung, die eines der schwersten Hindernisse für den Fortschritt der Mechanik bildete, wird in den Sermones beibehalten, und auch diese Fessel hat Galilei nie ganz abgestreift. Mit Lebhaftigkeit bekämpft er hingegen unter Bezugnahme auf seine Studien zu Archimedes die Existenz absolut leichter Körper, während er wiederum die aristotelische Lehre von den übereinander geschichteten vier Elementarsphären und von deren Umschließung durch die Mondsphäre anerkennt. Weiterhin folgt die Untersuchung, ob bei Übergang einer Bewegung in die entgegengesetzte ein Ruhezustand eintreten müsse; er verneint diese Frage im Gegensatze zu Aristoteles. Auch im Dialoge über die Weltsysteme wird die Sache gestreift, ohne aber ausführlichere Behandlung zu finden.14 Sodann kommt G. auf die falsche, ja törichte aristotelische Behauptung zu sprechen, dass die Fallgeschwindigkeit proportional dem Gewichte und umgekehrt proportional der Dichtigkeit des Mediums sei. Neben vielen zutreffenden und scharfsinnigen Bemerkungen über diesen Gegenstand tritt doch noch eine völlig unzureichende Anschauung über den Verlauf der Fallbewegung und die dabei wirksamen Ursachen hervor. G. meint, die Verzögerung beim Emporsteigen eines in die Höhe geworfenen Körpers rühre von der Abnahme der virtus impressa her; im Augenblicke, wo diese sich bis zum Betrage der Schwere vermindert habe, finde der Umschlag der Bewegung in die entgegengesetzte statt; anfänglich sei dabei noch immer ein Rest derselben vorhanden, sodass aus diesem Grunde die Bewegung nach unten erst langsamer, dann schneller erfolge; von dem Momente, wo die virtus impressa ganz aufgezehrt sei, werde die Bewegung gleichförmig. Diese letzteren Ansichten stehen sogar hinter dem, was Benedetti geleistet hatte, beträchtlich zurück, einen so großen Fortschritt gegen die herrschenden Anschauungen andererseits schon die Art der Problemstellung, nämlich das Eingehen auf den faktischen Verlauf der Bewegung, bekundet. Übrigens begnügte sich G. nicht mit diesen theoretischen Erörterungen, er stellte auch wirkliche Fallversuche an und zwar von dem berühmten schiefen Glockenturme von Pisa, der sich zu solchen ganz besonders eignete. »Von der Höhe dieses Turmes erlitt die peripatetische Philosophie einen Schlag, von dem sie sich nie wieder erholte.«15

Der Hass seiner Kollegen und eines Halbblutprinzen des Hauses Medici, welchen er durch eine freimütige Kritik einer von diesem erfundenen Maschine sich zum Gegner gemacht hatte, zwang ihn nach Ablauf des Trienniums im Jahre 1592 seine Stellung in Pisa aufzugeben. Galilei, dessen Vater inzwischen gestorben war, und auf dem die Sorge für seine Geschwister lastete, musste sich nach einer anderen Stellung umsehen. Wiederum leistete ihm der Marchesed e lM o n t evortreffliche Dienste; durch seine Empfehlung gelang es Galilei, die seit vier Jahren vakante Stelle eines Lektors der Mathematik in Padua zu erhalten. Die Bestallungsurkunde ist datiert vom 26. September 1592, am 7. Dezember hielt er in Padua seine Antrittsrede. – Eine glücklichere Wahl hätte G. nicht treffen können, denn nirgends sonst in Italien wurden der Forschung so wenig äußere Hindernisse in den Weg gelegt als auf dem Boden der Republik Venedig. Die Jahre, die er in Padua verlebte, waren denn auch seine glücklichsten und an wissenschaftlichen Ergebnissen reichsten. Zwar sind seine bedeutendsten Werke erst nach Ablauf dieser Periode geschrieben, das Material dazu aber hatte er größtenteils in Padua gewonnen. Uns interessiert dabei vorwiegend sein Verhältnis zur kopernikanischen Lehre und den sonst im Dialoge behandelten Materien.

Wie und wann Galilei zuerst von der kopernikanischen oder der »pythagoreischen«16 Lehre, wie man sie damals nannte, Kunde bekam, steht nicht fest; auch ist dieser Frage eine besondere Wichtigkeit nicht beizumessen. Denn mag auch die neue Lehre in jener Zeit wenig Anhänger auf italienischem Boden gezählt haben, bekannt war sie allenthalben. Jeder Verfasser eines Lehrbuchs der Astronomie fühlte sich verpflichtet von ihr zu reden, freilich nur um sie zu verurteilen, wo nicht gar sie lächerlich zu machen. Ja selbst vor den Zeiten des Kopernikus pflegte man die Unmöglichkeit einer Erdbewegung nach dem Vorgange des Aristoteles, des Ptolemäus und speziell des Sacrobosco, des Verfassers der oftmals kommentierten »Sphaera«, zu beweisen. Es lag also jetzt umso näher, auf die moderne Erneuerung und Vertiefung des antiken Gedankens der Erdbewegung hinzuweisen, wie sie von Seiten des Kopernikus stattgefunden hatte. Was in den früheren astronomischen Kompendien dem Leserkreise und selbst dem Verfasser mehr als müßiger Ballast, als übertrieben gewissenhafte Gründlichkeit erscheinen mochte, insofern es sich um die Widerlegung einer Ansicht handelte, die niemand mehr ernstlich teilte, das gewann immerhin, seitdem wieder Vertreter dieser Ansicht unter den Lebenden geweilt hatten, aktuelles Interesse. Freilich wurde die Bedeutung des Mannes und seiner Sache in Italien, wenn wir vonG i o r d a n oB r u n oabsehen, verkannt17 und die Argumente, die man gegen die neuerstandene Lehre anzuführen hatte, waren noch immer die fadenscheinig gewordenen, bis zum Überdruss wiederholten der Vergangenheit. Aber der Name des Kopernikus und die Schlagworte seiner Lehre, wenn auch nicht immer die gründliche Detailausführung seines Systems, waren jedem Fachmanne bekannt, nicht sowohl durch das Studium seines Werkes18 als in der Regel durch Darstellungen aus dritter und vierter Hand. Danach ist die Frage, wer Galilei mit dem kopernikanischen Systeme bekannt gemacht habe, ebenso unberechtigt, wie wenn man heutzutage feststellen wollte, durch welchen Anlass ein Gelehrter von der Deszendenztheorie Kenntnis erhalten habe; er selbst würde wahrscheinlich die Frage nicht beantworten können. Damit soll keineswegs behauptet werden, dass der BaselerC h r i s t i a nW u r s t e i s e n ,möglicherweise auchM ä s t l i n ,der Lehrer Keplers, von denen der eine gewiss, der andere nach unverbürgten Nachrichten vielleicht in Italien für das System Propaganda machte, sich keine Verdienste um die Sache erworben hätten; aber anzunehmen, dass Galilei durch Zufälligkeiten, wie die Wandervorlesungen Wursteisens,19 zu dem sein Leben und Wirken beherrschenden Standpunkte gebracht worden sei, ist verfehlt. Galilei war wahrlich nicht der Mann, der die Argumente gegen eine Lehre immer wieder zu seinen Ohren dringen ließ, ohne eine selbstständige vorurteilsfreie Prüfung derselben anzustellen. Er wird sehr bald das Werk des Kopernikus zur Hand genommen haben, ob er nun zu Füßen Wursteisens gesessen, oder von dessen Vorträgen durch Dritte Kunde bekommen hat, oder ob nichts derart geschehen ist. Da Wursteisen schon 1588 starb, Galilei aber noch nach dieser Zeit, wie wir sahen, dem kopernikanischen Systeme fremd gegenüberstand, so ist eine unmittelbare Einwirkung des einen auf den anderen unglaublich. Man kann höchstens zugeben, dass eine gewisse mittelbare Anregung durch solchen äußeren Anlass gegeben wurde. Genug, wir wissen mit Bestimmtheit von keiner Lebensperiode Galileis, in der er beide Systeme kannte und dabei dem ptolemäischen vor dem kopernikanischen innerlich den Vorzug gegeben hätte. – Dass ihn freilich äußere Rücksichten bewogen, seine wahren Überzeugungen zu verschweigen, ja zu verleugnen, ist ebenso gewiss. In seiner Stellung als Lektor der Mathematik in Padua, welche ihm die Kollegien »Sphaera« und »Theoricae planetarum« zur Pflicht machte, war es unvermeidlich in der Frage der Weltsysteme Partei zu ergreifen; in welchem Sinne er es tat, lehrt uns ein gedrängter, für die Hand seiner Schüler bestimmter Auszug seines Kollegs über sphärische Astronomie, der erst nach seinem Tode im Jahre 1656 gedruckte Trattato della Sfera o Cosmografia (Op. III, 1–52). Galilei behandelt darin in der damals üblichen Weise, nur mit ganz besonderer Klarheit, den üblichen Stoff. Er beweist die Kugelgestalt und diek r e i s f ö r m i g eB e w e g u n gd e sH i m m e l s ,die Kugelgestalt der Erde,i h r ez e n t r a l eS t e l l u n g ,ihre Kleinheit im Vergleich zu der Himmelskugel,i h r eU n b e w e g l i c h k e i t ,died o p p e l t eBewegung der Himmelskörper; er spricht dann von den verschiedenen auf der Himmelskugel angenommenen Kreisen, erläutert die ungleiche Tagesdauer, die Verschiedenheit der Jahreszeiten in den verschiedenen Erdzonen, die Mond- und Sonnenfinsternisse, die Mondphasen, die Präzession. Überall spricht er so, wie ein innerlich überzeugter Anhänger des ptolemäischen Systems sich nicht anders ausdrücken würde, ja man kann aus dieser Abhandlung die landläufigen Ansichten, die Galilei später so energisch bekämpfte, vielleicht am besten kennen lernen. Nur in der Frage der Achsendrehung der Erde legt er sich eine gewisse Zurückhaltung auf, indem er nicht wie sonst in dieser Schrift das althergebrachte Raisonnement ohne Weiteres sich aneignet, sondern die angeblichen Gründe des Ptolemäus gegen diese Art der Bewegung nur als solche mitteilt und so diesem die Verantwortung für ihre Richtigkeit überlässt.20 Man mag daraus vielleicht schließen wollen, dass Galilei noch nicht vollüberzeugter Anhänger des Kopernikus war, dass er einstweilen nur die Achsendrehung der Erde billigte, als er die Schrift abfasste, was vermutlich in den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Padua geschah; sicher ist, dass dieselbe noch 1606 und später in den Händen seiner Schüler sich befand, als er schon längst ins kopernikanische Lager übergegangen war. Seine wahre Ansicht geht hervor aus den 1597 geschriebenen Briefen, von denen der eine an den oben genannten Jacopo Mazzoni21, der andere an Kepler gerichtet ist, welchem er für den ihm übersandten Prodromus dissertationum cosmographicarum dankt.22 Einen besonderen Vorwurf kann man gegen Galilei wegen der Verheimlichung seiner Überzeugung nicht erheben. Die Argumente, auf welche er in späterer Zeit sich in erster Linie berief, standen ihm damals noch nicht zu Gebote; seine Amtspflicht erheischte nichts weiter von ihm als die Überlieferung des hergebrachten Stoffes, auch seine Schüler erwarteten von ihm schwerlich etwas Anderes. Jede erhebliche Neuerung, die er in seinem öffentlichen Unterrichte etwa vorzunehmen gewagt hätte, würde seinen schon damals zahlreichen Gegnern willkommenen Anlass geboten haben, ihn lächerlich und damit auf dem Katheder unmöglich zu machen. Galilei musste sich sagen – und bei den unsittlichen Verhältnissen, den Kabalen und Ränken, die an italienischen Universitäten der damaligen Zeit auch schon im Schwange waren, kann man ihm nicht Unrecht geben –, er musste sich sagen, dass er durch vorzeitiges Aussprechen seiner Überzeugung das Ohr seiner Schüler verlieren werde, dass er damit auch in Zukunft sich der Möglichkeit beraubte, im Dienste der Wahrheit tätig zu sein, und dass es nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus sachlichen Gründen klüger sei zu warten, bis er ein die Gegner erdrückendes Beweismaterial aufgehäuft habe. Erhebt man doch noch heute zuweilen gegen den Entdecker der Jupiterstrabanten und der Phasenänderung der Venus den Vorwurf, er sei auch in der Folge noch mit ungenügenden Waffen in den Kampf für die Lehre von der Erdbewegung ausgezogen.23 Ob auch die Furcht vor einem Konflikt mit der Kirche ihn damals zurückhielt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, so wahrscheinlich es auch ist. Diese hatte noch keine entschiedene Stellung zu der Lehre von der Erdbewegung genommen, wiewohl gerade zu der Zeit, wo Galilei nach Padua übersiedelte, die Inquisition Hand anG i o r d a n oB r u n o ,den begeisterten Anhänger des Kopernikus, legte. Da jedoch hierbei wesentlich andere Motive mitwirkten, da Galilei selbst in seinem Briefe an Kepler (vom 4. Aug. 1597)24, worin er seinem gepressten Herzen Luft macht, nur von Furcht vor dem Fluche der Lächerlichkeit, nicht geradezu von Furcht vor der Kirche spricht, so braucht man diese immerhin nicht für das damalige Verhalten Galileis verantwortlich zu machen. – Der Brief an Kepler beweist nun aber, dass Galilei, mochte er sich äußerlich auch die größte Zurückhaltung auferlegen, unablässig tätig war, die Lehre des Kopernikus, der er »schon seit vielen Jahren« anhing, innerlich zu verarbeiten. Er erzählt, dass er mittels derselben viele nach der anderen Hypothese unverständliche Naturerscheinungen habe erklären können, und dass er Gründe für die neue Lehre und Widerlegungen gegnerischer Gründe bereits niedergeschrieben habe. Diese letztere Bemerkung ist für die Entstehungsgeschichte des Dialogs über die Weltsysteme von besonderer Wichtigkeit; denn die erwähnten Aufzeichnungen haben wir als den ersten Keim des Dialogs zu betrachten. Auch lässt sich wohl vermuten, dass u. a. zu diesen ältesten, später freilich umgearbeiteten Stücken diejenigen Partien des Dialogs gehören, welche zwar gegen die aristotelische Schule aufs Schärfste Opposition machen, in welchen aber ein scholastisches Gepräge, eine Verwandtschaft mit der Denkmethode der bekämpften Schule unverkennbar ist. Dahin gehören die Stellen, wo Galilei gewissermaßen ein Konkurrenzunternehmen dem Aristotelismus entgegensetzen will, wo er aus metaphysischen Formeln, aus der Dreidimensionalität und der angeblich daraus folgenden Vollkommenheit der Welt, oder aus Sätzen wie »die Natur unternimmt nichts Vergebliches«, aus der vermeintlichen Nutzlosigkeit der geradlinigen Bewegung und verwandten Betrachtungen die Erdbewegung wahrscheinlich zu machen versucht.25 Es starren uns diese Teile seltsam entgegen aus einem in vieler Beziehung so lebensfrisch und modern angehauchten Werke. Sie zeigen, ebenso wie manche andere, dass Galilei nicht nur, als er sie in ihrer ersten Fassung niederschrieb, sondern auch weit später noch, als er sie umarbeitete und veröffentlichte, keineswegs der Fesseln ganz ledig war, deren er spottete. – Eine weitere Frage, zu der der Brief an Kepler Anlass gibt, ist die: Welche auf andere Weise unerklärlichen Naturerscheinungen konnte G. mittels der kopernikanischen Lehre damals schon erklären? Da er seine astronomischen Entdeckungen noch nicht gemacht hatte, da die Auffindung des Beharrungsgesetzes, soweit man von einer solchen sprechen darf, und die Untersuchungen über den Fall nicht unmittelbar mit der Frage der Weltsysteme zusammenhängen, so kann nur eine Anspielung auf das Phänomen von Ebbe und Flut und die damit zusammenhängenden Probleme vorliegen. Dies ist umso mehr anzunehmen, als Galilei auch in späterer Zeit von allen Naturerscheinungen gerade diese, und diese allein, für absolut unvereinbar mit dem ptolemäischen Systeme erklärte, wenn man nicht zur Erklärung durch ein Wunder seine Zuflucht nehmen wolle. Es steht sonach fest, wie ich glaube, dass der im Wesentlichen irrige Gedanke der Zurückführung von Ebbe und Flut auf die Erdbewegung schon dieser frühen Lebensperiode Galileis angehört. Eine fertige Formulierung seiner diesbezüglichen Ansichten liegt im Jahre 1610 vor, denn er erwähnt eine Abhandlung de maris aestu in dem bekannten Briefe vom 7. Mai jenes Jahres an Belisario Vinta.26 Daher ist es auch begreiflich, dass Galilei selbst dann noch, als der Dialog längst auf viel breiterer Grundlage geplant und teilweise ausgeführt war, in seiner vermeintlichen Erklärung der Gezeiten den Ausgangsund Zielpunkt der ganzen Darstellung erblickt und dies auch im Titel zum Ausdruck bringen will. Freilich muss es auffallen, dass wir bis zum Jahre 1615, abgesehen von dem Schreiben an Vinta, ihn diesen Gegenstand weder brieflich noch sonstwie behandeln sehen. Da indessen seine wissenschaftliche Tätigkeit in jenen Jahren voll und ganz dem Fallprobleme, rein astronomischen Untersuchungen und etwa noch hydrostatischen Fragen gewidmet war, so mag dadurch jener Gedanke einstweilen in den Hintergrund gedrängt worden sein, abgesehen davon dass die Scheu vor einer öffentlichen Anerkennung der Lehre von der Erdbewegung, die seiner Erklärung der Gezeiten zu Grunde lag, ihn noch lange zurückhielt.

In den unvergleichlich fruchtbaren Jahren des paduanischen Aufenthalts kam zu dem Material, das späterhin im Dialog verarbeitet wurde, eine reiche Fülle hinzu. In jene Jahre fällt vor allem die Fortsetzung der in der pisanischen Zeit begonnenen mechanischen Untersuchungen. Erst in Padua, nicht schon in Pisa, wie seit Albèri vielfach angenommen wurde27, gelangte Galilei zu dem wichtigsten Forschungsergebnisse, das wir ihm überhaupt verdanken, zu den Gesetzen der Fallbewegung. So war er im Jahre 1602, wie aus dem Briefe an Guidobaldo del Monte vom 29. November 1602 hervorgeht28, im Besitze des schönen Satzes, welcher die Gleichheit der Falldauer längs sämtlicher, im tiefsten Punkte eines vertikalen Kreises endigenden Sehnen aussagt; es ist nicht wohl denkbar, dass er zu diesem auch im Dialoge und in den Discorsi29 behandelten Satze gelangte, ohne zugleich das Gesetz der Fallbewegung zu kennen. Zwei Jahre später spricht er in einem Briefe vom 16. Oktober 1604 an Paolo Sarpi, den berühmten Geschichtsschreiber des tridentinischen Konzils, das Gesetz mit deutlichen Worten aus30; freilich versucht er damals noch, es aus einem falschen Prinzip abzuleiten, aus dem Prinzip, die erreichten Geschwindigkeiten seien proportional den durchfallenen Räumen. Eben deshalb muss, wie Wohlwill31 hervorhebt, die klassische, den Discorsi zu Grunde liegende Abhandlung de motu accelerato32, welche bereits die Proportionalität der Geschwindigkeiten mit den Fallzeiten lehrt, erst nach der Zeit des Briefes an Sarpi entstanden sein. Wohl aber hatte Galilei schon in Pisa den annähernden Isochronismus der Pendelschwingungen entdeckt und mit dem Wesen der beschleunigten Bewegung sich insofern vertraut gemacht, als er die Notwendigkeit des Durchlaufens aller Geschwindigkeitsstufen zwischen der Ruhe und einer erreichten Geschwindigkeit erkannt hatte. Diese Notwendigkeit wird späterhin im Dialog und in den Discorsi33 mit weit größerer Bestimmtheit und Klarheit dargelegt und betont als in den Sermones de motu gravium, offenbar darum, weil das Verständnis gerade dieses Punktes Galilei selbst und seinen Zeitgenossen besondere Schwierigkeiten geboten hat. An und für sich haben diese Probleme mit der Streitfrage der Weltsysteme wenig zu schaffen; da sie jedoch als wichtige Episoden im Dialoge berührt werden, so hat es für den Leser ein Interesse über die Entstehungszeit der galileischen Untersuchungen orientiert zu sein.

In unmittelbarem Zusammenhang mit der Diskussion über das kopernikanische System stehen dagegen die Erörterungen Galileis über das Beharren der Bewegung; denn nur, wenn die von der Erdbewegung einem irdischen Körper mitgeteilte Bewegung diesem verbleibt, auch nachdem er nicht mehr in Verbindung mit der Erde steht, lässt sich das kopernikanische System mit den alltäglichen irdischen Vorgängen in Übereinstimmung bringen. Lange Zeit hindurch war es üblich, Galilei, eben weil er die Verträglichkeit der alltäglichen Erfahrung mit der Erdbewegung so klar erläutert hat, ohne Weiteres als den Entdecker des Beharrungsgesetzes zu betrachten, desjenigen Teiles des Beharrungsgesetzes wenigstens, der aussagt, dass ein in Bewegung befindlicher, unter dem Einflusse keiner bewegenden Kraft mehr stehender Körper sich geradlinig mit gleichförmiger Geschwindigkeit ohne Ende weiterbewegt. So frühe nun auch Galilei, wie wir sahen, in die Fußstapfen Benedettis tretend, von der wunderlichen aristotelischen Auffassung sich losgemacht hatte, so hat er doch niemals die erwähnte oder eine gleichwertige Formulierung des Beharrungsgesetzes ausgesprochen. Er kennt nur oder benutzt jedenfalls nur die eine vermeintliche Tatsache, dass ein Körper beih o r i z o n t a l e rA n f a n g s b e w e g u n g ,unter welcher G. stets eineK r e i sbewegung um den Erdmittelpunkt versteht, diese Kreisbewegung in gleichförmiger Geschwindigkeit beibehält. Die einzige im Dialog enthaltene Andeutung einer allgemeineren Auffassung34 findet sich p. 278 f., wo gesagt wird, dass die aus einem schräg gerichteten Rohre abgeschossene Kugel in Richtung des Laufes weiterfliegen würde, wenn die Schwere sie nicht nach unten ablenkte. Dabei ist aber weder von der Gleichförmigkeit der ferneren Bewegung die Rede, noch wird eine allgemeine Formulierung versucht. Ebenso findet sich in den Discorsi eine lichtvolle Stelle35, wo »die begründete Vermutung« (admodum rationabile videbitur, si accipiamus …) des Beharrens auch in schiefer Richtung gelegentlich ausgesprochen wird, ohne dass jedoch von dieser Erkenntnis in den späteren Entwicklungen Gebrauch gemacht würde, so naheliegend dies nach moderner Auffassung gewesen wäre. Am allerwenigsten hat Galilei je die Fallbeschleunigung aus dem Zusammenwirken der einmal erreichten Geschwindigkeit mit dem in jedem Moment hinzutretenden Impuls der Schwere abgeleitet. Näheres über das Verhältnis Galileis zum Beharrungsgesetz enthält die mehrfach erwähnte vortreffliche Studie Wohlwills; vgl. auch die Anmerkungen zu Dial. p. 125, 135, 245, 251 f., 279, 281, 284. Hier sei nur bemerkt, dass gerade der spezielle Anlass zu der Beschäftigung mit der Frage der Beharrung, nämlich die Vereinbarkeit der täglichen Erfahrung mit dem kopernikanischen System, ein Hindernis für die volle Erkenntnis war, insofern eben hierdurch nahegelegt wurde, die Beharrung in der Kreislinie als Naturgesetz anzusehen. Hätten ausschließlich seine mechanischen Untersuchungen Galilei auf die Spur des Beharrungsgesetzes gebracht, so würde er schwerlich die reife Frucht ungepflückt gelassen haben. Da er aber um der kopernikanischen Lehre willen zunächst zu dem kreisförmigen Beharren um das Erdzentrum geführt wurde, und ein Zweifel an der strengen Gültigkeit dieser Art der Beharrung nie in ihm aufstieg, und da jene Kreisbewegungen keine Verallgemeinerung auf den Fall eines Beharrens in beliebiger Richtung zuließen, so war es ihm unmöglich einen festen unverrückbaren Standpunkt in dieser Frage zu gewinnen. »Und doch genügte, als Galilei seine Forschung abgeschlossen, ein Geist vom RangeB a l i a n i s ,ein klarer Kopf ohne hervorragende schöpferische Begabung, um den Worten des Meisters zu entnehmen, was dieser unausgesprochen gelassen hatte. Es genügte, möchte man sagen, dass er als zweiter an die gleiche Gedankenfolge trat, dass der Ursprung und die Entwicklungsgeschichte des neuen Prinzips ihm nicht ein innerlich Erlebtes waren, und dass eben deshalb jene beschränkenden Bestimmungen in der Formulierung und Auffassung für ihn die Bedeutung verloren hatten.«36 Trotzdem die Formulierung des Gesetzes bei Galilei also nicht allgemein ist, da sie sich nicht auf beliebig gerichtete Anfangsbewegungen bezieht, ja strenge genommen nicht richtig ist, insofern sie die Beharrung in der Kreislinie, nicht die geradlinige Beharrung behauptet, so ist dennoch der Wert seiner Ergebnisse nicht hoch genug anzuschlagen. Wenn es dafür noch des Beweises bedürfte, so brauchte man bloß die staunende Bewunderung in Betracht zu ziehen, mit der die Zeitgenossen die diesbezüglichen Stellen des Dialogs entgegennahmen37, die in der Tat nach Form und Inhalt zu den glänzendsten Partien desselben zu zählen sind. Bei einigen der hierher gehörigen Betrachtungen lässt sich bis auf den Tag genau angeben, wann die erste Idee derselben dem Verfasser kam; so finden sich mitten zwischen Aufzeichnungen Galileis über Ausgaben und Einnahmen unter dem Datum des 11. April 1607 Notizen über die ruzzola (Rollscheibe) und über relative Bewegungen; es sind kurze Andeutungen dessen, was Sagredo im Dialog ausführlich erörtert.38

Ein weiterer im Dialog mehr episodisch behandelter Stoff39, dem Galilei in Padua seine vollste Aufmerksamkeit zuwandte, waren die magnetischen Erscheinungen. Wir finden ihn spätestens seit 1602 mit dem Studium derselben beschäftigt, angeregt offenbar durch das im Jahre 1600 erschienene Buch Gilberts »De Magnete«. Mit seinen Freunden Fra Paolo Sarpi und Francesco Sagredo betrieb er gemeinsam die Lektüre des von ihm hochbewunderten Engländers, und wiederholte, ja überbot teilweise die Gilbertschen Versuche. Er adoptierte fast durchweg die Ansichten Gilberts; namentlich glaubte er irrigerweise wie dieser, dass das ganze Erdinnere aus Magneteisen bestehe und dass die Unveränderlichkeit der Erdachsenrichtung eine Folge des Erdmagnetismus sei; doch trat er anderen Irrtümern freimütig entgegen, wie der Vermutung Gilberts, dass eine freischwebende Magnetkugel von selbst rotiere. Am Schlusse der Gespräche des dritten Tags widmet Galilei dem berühmten Zeitgenossen und seinen Leistungen eine ziemlich ausführliche Besprechung; er war sich bewusst, in ihm einen Mitstreiter zu haben, nicht nur für die kopernikanische Sache, sondern überhaupt für eine moderne Art des naturwissenschaftlichen Betriebs gegenüber der vergilbten Papierweisheit der Peripatetiker.

So wenig Galilei schon vor der Zeit seines glänzenden Eroberungszugs am Himmel die Wahrheit des kopernikanischen Systems bezweifelte, so sehr mussten ihn doch die überraschenden Entdeckungen, die er mit Hilfe des von ihm verbesserten und zuerst für astronomische Zwecke benutzten Fernrohres machte, in seinen Ansichten bestärken und ihm den Wunsch nahelegen, auch die Zeitgenossen von der Bedeutung dieser Entdeckungen für die neue, scheinbar so phantastische Lehre zu überzeugen. Im März 1610 erschien sein »Sternenbote«, der Sidereus nuncius, der allenthalben bei Freund und Feind gewaltigsten Aufruhr erregte. Vor allem waren es die im Januar desselben Jahres zuerst aufgefundenen Jupitersmonde, die mediceischen Gestirne, wie Galilei sie nannte, die mit unerbittlichster Klarheit dem sinnlichen Auge einerseits bewiesen, dass das Zentrum der Planetenbewegungen nicht durchweg die Erde sein könne, und die andererseits den weiteren wichtigen Einwand gegen die kopernikanische Lehre hinfällig machten, dass ihr zufolge der Mond eine ungebührliche Sonderstellung einnehme, da er allein von allen beweglichen Himmelskörpern nicht die Sonne umkreisen sollte, sondern die Erde. Hatte man doch jetzt einen gar von vier Monden umkreisten Planeten. Die Analogie zwischen Erde und Himmelskörpern oder, wie man sich damals häufig ausdrückte, der Umstand, dass die Erde ein Stern sei, war der von den Gegnern vielleicht zumeist bestrittene Punkt der Diskussion; er wurde damit verständlich. Galilei deutet dies selber am Schlusse des Berichtes über die von ihm gemachten Entdeckungen an40 und wagt damit zum ersten Male öffentlich sich zu Gunsten der Lehre von der Erdbewegung auszusprechen. Nachdem er so lange verschwiegen, wessen sein Herz voll war, glaubte er durch die Wunderbotschaften, die er vom Himmel brachte, endlich das Recht erwirkt zu haben, seine Stimme für die fast greifbar gewordene Wahrheit zu erheben. Auch die gebirgige Natur des Mondes, die durch das Fernrohr erschlossen war, und die übrigen Analogien zwischen Erde und Mond, welche ähnlich wie später im Dialog41 schon im Sidereus nuncius hervorgehoben werden, benutzte er als Argumente für die im Wesentlichen gleichartige Natur der Erde und der Himmelskörper. Betreffs ausführlicherer Erörterungen verweist er wiederholt42 auf das Werk De systemate mundi.

Zum ersten Male seit dem Briefe an Kepler von Jahre 1597 hören wir damit wieder von schriftlichen Aufzeichnungen, welche die Lehre der Weltsysteme zum Gegenstande hatten. Was damals vermutlich kürzere Notizen oder kleinere Abhandlungen gewesen waren, hatte sich nunmehr ausgewachsen zu einem größeren Ganzen, das der Hauptsache nach wohl schon das enthalten sollte, was im Dialog uns vorliegt. Aus dem Briefe vom 7. Mai 1610 an den toskanischen Staatssekretär Belisario Vinta erfahren wir, dass zu den Werken, mit deren Abfassung Galilei damals beschäftigt war, und für deren Vollendung er die nötige Muße ersehnte, auch zwei Bücher De systemate seu constitutione universi gehörten; er nennt sie eine »gewaltige Konzeption, voll philosophischer, astronomischer und geometrischer Untersuchungen.« Soweit ihnen überhaupt damals eine fertige Gestalt zukam, scheinen sie in lateinischer Sprache und in Abhandlungsform, nicht dialogisch abgefasst gewesen zu sein.

Die Ruhe, die zur Fertigstellung dieses wie der anderen geplanten Werke nötig war, hoffte Galilei nach 21-jähriger, von beispiellosem Erfolg begleiteter Lehrtätigkeit besser finden zu können, wenn er von der Pflicht des Kollegienlesens entbunden würde. So bewarb er sich denn um die Stellung eines Großherzoglich Toskanischen Mathematikers und Philosophen, auf die er umso eher rechnen durfte, als er dem Erbgroßherzog Cosimo II., der nunmehr seit 1609 den Thron bestiegen hatte, während der Universitätsferien regelmäßig mathematischen Unterricht erteilt hatte. Es waren gewiss nicht bloß materielle Gründe und ehrgeizige Absichten, die ihn zu diesem verhängnisvollen Schritte bewogen. Er dachte sicherlich vor allem durch den vielbeneideten Glanz, der den Hofmann nun einmal umstrahlte, hinreichende Autorität zu gewinnen, um seine innersten Überzeugungen aussprechen zu dürfen; er hoffte, dass seine Feinde, die bornierten sowohl wie die boshaften, fernerhin nicht mehr wagen würden, die neuen von ihm vertretenen Gedanken lächerlich zu machen oder zu ignorieren. Er hatte empfunden, dass zur Bekehrung der Massen gute Gründe nicht ausreichten; die Machtstellung des Mannes, nicht die Güte der Sache sah er auch in wissenschaftlichen Fragen häufig den Ausschlag geben; und da er endlich einen Erfolg seiner Mühen und Arbeiten sehen wollte, trachtete er danach, seine goldenen Früchte auch in silbernen Schalen aufzutischen. Aber es sollte die Zeit kommen, wo er nur allzu schmerzlich fühlte, dass die scheinbaren Annehmlichkeiten seiner Stellung teuer erkauft waren durch Nachteile anderer Art. Der Ruhm seiner astronomischen Entdeckungen würde ihm, wo immer er seinen Wohnsitz aufschlug, trotz aller Neider die Aufmerksamkeit der ganzen wissenschaftlichen Welt gesichert haben. Und wären ihm auf dem Katheder zu Padua auch Kämpfe nicht erspart geblieben, der starke Arm der Republik Venedig, die selbst vor dem Bannstrahle des Papstes sich nicht beugte, hätte ihn vor dem Äußersten geschützt, während das toskanische Fürstenhaus unter jesuitischem Einfluss stand und nimmer gewagt hätte, sich mit Rom zu überwerfen, am wenigsten dem Hofmathematikus zu liebe, mochte dieser auch ein Galilei sein.

Kurz vor seiner im September 1610 erfolgenden Übersiedlung nach Florenz fügte Galilei seinen astronomischen Entdeckungen eine neue hinzu; er beobachtete Ende Juli 1610 die auffallende Gestalt des Saturn, den er für begleitet von zwei Nachbargestirnen hielt. Die wahre Figur zu ermitteln gelang ihm nicht, es blieb dies Huyghens vorbehalten. – Endlich fallen vielleicht noch in die nämliche Zeit, allerdings aufgrund von Zeugnissen, die aus bedeutend späterer Zeit stammen, auch die ersten Beobachtungen der Sonnenflecken, die indessen einstweilen zu unbestimmten Ergebnissen geführt haben müssen. Galilei würde sonst schwerlich verfehlt haben, in seinem Briefwechsel mit Kepler und Belisario Vinta davon zu sprechen. Er selbst datiert in dem ersten Briefe an Welser diese Entdeckung vom November 1610, im Dialog aber schon aus der Zeit der paduanischen Professur.43 Ein erbitterter Prioritätsstreit, auf den wir mehrfach zurückzukommen haben, entspann sich später darüber und trug nicht wenig dazu bei, die künftigen Schicksale über Galilei heraufzubeschwören.

Gleich nachdem Galilei festen Fuß in Florenz gefasst hatte, richtete er von neuem sein Augenmerk auf die Literatur über die Weltsysteme, er bittet alsbald den toskanischen Gesandten in Prag, Giuliano de’ Medici, der mit dem gleichfalls dort weilenden Kepler engste Fühlung hatte, um Zusendung einschlägiger Bücher.44 Aber mehr als durch irgendwelches Bücherstudium förderte er seine Sache – denn alss e i n eSache sah er nunmehr die Verteidigung der kopernikanischen Lehre an, und der Volksmund bezeichnete bald die Kopernikaner als Galileisten – durch eine neue Entdeckung von der größten Tragweite. Am 11. Dezember konnte er, zunächst noch in der Form eines Anagramms, wie er sie ähnlich vorher bei Veröffentlichung seiner Saturnbeobachtungen benutzt hatte, nach Prag, bald darauf nach Rom an Clavius und nach Brescia an seinen treuen Schüler und Freund Castelli berichten, dass Venus und wahrscheinlich auch Merkur eine Phasenänderung durchmache ähnlich wie der Mond. Damit war im Wesentlichen jedweder Einwand gegen die zentrale Stellung der Sonne im Planetensystem entfallen, und der Beweis für die Dunkelheit der Planeten erbracht, also eine neue Analogie zwischen Erde und Planeten festgestellt. Nur die physikalischen Gründe, die Erscheinungen auf der Erde selbst, durften den Verständigeren unter den Gegnern noch Bedenken gegen die kopernikanische Lehre zurücklassen; denn Galilei hatte noch nichts von der im Wesentlichen schon fertigen neuen Bewegungslehre, die auch diese Schwierigkeiten beseitigte, in weiteren Kreisen bekannt gegeben. Von astronomischer Seite stand der Erdbewegung nichts mehr entgegen, wenn man die mangelnde Parallaxe der Fixsterne nicht etwa als Gegengrund betrachten will.

Am Schlusse dieses für ihn so ereignisreichen Jahres hätte Galilei einen befriedigenden Rückblick auf die errungenen Erfolge werfen können. Er hatte wissenschaftlich erreicht, was er ein Jahr zuvor in seinen kühnsten Träumen nicht hoffen durfte; er hatte auch äußerlich das erlangt, was er ersehnte. Aber ein Tropfen Bitterkeit vergällte ihm den Freudenkelch. Er sah noch immer das Häuflein derer, die sich um Kopernikus scharten, klein, verschwindend klein gegen die Nachbeter ererbten Formelkrams. Es ergriff ihn bisweilen eine verzweifelte Hoffnungslosigkeit, sodass er seine eigenen Bestrebungen gleichsam verhöhnte. So schreibt er am 30. Dezember 1610 an Castelli45: »Um die eigensinnigen Gegner zu überzeugen, die einzig und allein auf den eiteln Beifall der blöden dummen Menge Wert legen, wäre es auch dann noch nicht genug, wenn die Sterne zur Erde herabstiegen und von sich selber Zeugnis ablegten. Seien wir auf das eine bedacht, selbst uns Erkenntnis zu verschaffen, und suchen wir in dieser unseren einzigen Trost. In der Volksgunst uns weiter zu bringen oder den Beifall der Büchergelehrten zu gewinnen, das zu wünschen und zu hoffen, wollen wir unterlassen.« Dieses Gefühl der Resignation aber, das als vorübergehende Stimmung nur zu sehr begreiflich ist, war denn doch nicht von langer Dauer. Es begann eine Periode, wo im Gegenteile Galilei in der mannhaftesten Weise die Pläne, die er bei Übernahme seiner neuen Stellung zweifelsohne im Stillen gefasst, ins Werk setzte. Auf dem Gipfel seiner geistigen Höhe stehend, entfaltete er auch die höchste moralische Kraft, er legte alle Menschenfurcht beiseite und wirkte unverdrossen an der dornenvollen Aufgabe, den steinigen unfruchtbaren Boden der herrschenden Naturphilosophie umzupflügen und ihm als erste Frucht die allseitige Billigung, die Popularisierung der Lehre von der Erdbewegung abzugewinnen.

Von dem Enthusiasmus für dieses Ziel erfüllt, reiste er am 23. März 1611 nach Rom, zunächst mit der Absicht, dort die Wahrheit seiner Entdeckungen, an der man vielfach noch zweifelte, zur Anerkennung zu bringen. Gelehrten und geistlichen Würdenträgern zeigte er die Jupiterstrabanten, die Mondgebirge, die Phasen der Venus und die Sonnenflecken. An der Richtigkeit der Tatsachen ließ sich fürder nicht mehr zweifeln, ja es wurde von dem berühmten, dem Jesuitenorden angehörigen KardinalR o b e r tB e l l a r m i nausdrücklich ein Gutachten des römischen Jesuitenkollegiums provoziert, durch welches Clavius nebst drei anderen Professoren des Kollegiums die Wahrheit der neuen Entdeckungen attestierten. Galilei erlebte Triumphe wie wohl kein Astronom oder Mathematiker zuvor. Papst Paul V. empfing ihn aufs Gnädigste, mit Entzücken lauschten Kardinäle seinen durchsichtigen Vorträgen, in denen er sein unvergleichliches Lehrtalent zur Geltung brachte. Er wurde zum Mitgliede der Accademia dei Lincei (Akademie der Luchsäugigen) ernannt, die FürstF e d e r i g oC e s iim Jahre 1603 in Rom gegründet hatte; auf die Zugehörigkeit zu dieser Akademie spielt er an, wenn er sich in seinen dialogischen Schriften als den Akademiker bezeichnen lässt. – Der Hauptzweck seiner Reise war diesmal gewesen, die Tatsachen zur Anerkennung zu bringen; inwieweit er aus diesen in seinen Vorträgen Schlüsse auf die Gültigkeit des kopernikanischen Systems zog, ist nicht genau bekannt. Er scheint darin Vorsicht geübt zu haben, um das nächste Ziel, das er erstrebte, nicht zu verfehlen. Aber welch tiefen Eindruck die Darlegungen Galileis oder die Tatsachen selbst auf einsichtige Hörer, wie auf einen Clavius, machten, beweist eine schon von Kepler hervorgehobene Stelle46 in der letzten Ausgabe des Commentars von Clavius zur »Sphaera« des Sacrobosco. Dort spricht am Schlusse eines 75-jährigen Lebens derselbe Mann seine Zweifel an der Wahrheit des ptolemäischen Systems aus, der während dieses ganzen Lebens jenen Standpunkt vertreten und ihn nachdrücklich verteidigt hatte. Galilei stand damals mit den römischen Jesuiten auf bestem Fuße; das gute Verhältnis mag wohl eben in Clavius, einem hochverdienten und für seine Wissenschaft wahrhaft begeisterten Manne, eine wesentliche Stütze gefunden haben. Unglücklicherweise starb Clavius schon im folgenden Jahre (am 6. Februar 1612), er hätte viel dazu beitragen können, um in der Folge auf die Entschließungen der Kirche mäßigend einzuwirken.

Ob Galilei rückhaltslos seine innersten Überzeugungen in Rom offenbarte oder nicht: Bei seinen Freunden und Feinden stand es fest, dass er vollüberzeugter Kopernikaner sei. Da die Zahl sowohl seiner prinzipiellen Gegner als der persönlichen, deren Neid durch die ihm widerfahrenen Ehren wachgerufen war, sich stetig mehrte, so begann nun bald ein Intrigenspiel, das den fürchterlichen Mann verderben sollte, der die versteinerte Wissenschaft zu neuem Leben zu erwärmen, der tote und lebende Autoritäten von ihrem Piedestal zu stürzen drohte. Wissenschaftlich ihm beizukommen war schwer, man musste also den Kampf auf ein anderes Terrain hinüberspielen, auf das Gebiet des Glaubens. Nicht als ob die kopernikanische Lehre jetzt zum ersten Male an dem Maßstabe der Heiligen Schrift gemessen worden wäre. So sehr auch Kopernikus von vornherein in der Widmung seines Werks sich gegen das Hereinziehen der Bibel verwahrt, so hatte doch schon Luther den Narren Kopernikus verspottet, der die Welt auf den Kopf stellen wollte und im Widerspruch zu der bekannten biblischen Erzählung im Buche Josua, die Sonne ruhen, die Erde sich bewegen ließ. Einer der ersten Anhänger des Kopernikus,J o a c h i mR h ä t i c u s(eigentlich Georg Joachim) hatte in einer eigenen Schrift Kopernikus und Bibel in Einklang zu bringen versucht, Tycho de Brahe hatte in seinem Briefwechsel mitC h r i s t o p hR o t h m a n n ,dem Hofastronomen des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, auf den Widerspruch mit der Heiligen Schrift hingewiesen, Kepler bemühte sich des Öfteren die Bibel im kopernikanischen Sinne zu interpretieren: Kurzum die üble Gewohnheit, die Bibel in den Streit auch über andere Materien als über Glaubenswahrheiten hineinzuziehen, war zu jener Zeit allenthalben im Schwange. Dabei war zweifelsohne die herrschende Anschauung, dass es wissenschaftlich nicht fair sei so zu verfahren: etwa wie man heutzutage es missbilligt, in politischen Kämpfen die Ansicht und Person des regierenden Fürsten als Kampfesmittel zu verwenden. Die Verehrung und Rücksicht der Wissenschaft für die Bibel sollte darin ihren Ausdruck finden, dass man unabhängig von ihr die Wahrheit erforschte und nachträglich die Heilige Schrift so auslegte – und das war die Aufgabe der Theologen –, dass sie mit dem anderweitig für wahr Erkannten übereinstimmte. So schwer das oft auch möglich war, ein ultimum refugium blieb stets, von dem man allerdings nicht gerne Gebrauch machte; man sagte, die Bibel bequeme sich in ihrer Ausdrucksweise dem Verständnis der großen Menge an. Niemals hat Galilei, und schwerlich je ein anderer Kopernikaner, die Bibel als Beweismittel für die Lehre der Erdbewegung anführen wollen. Es ist darum einer der sinnlosesten, nichtsdestoweniger häufig gegen Galilei ausgesprochenen Vorwürfe, dass er nachmals nicht als schlechter Astronom, sondern als schlechter Theologe verurteilt worden sei. Anzunehmen, dass ihn gar Feindseligkeit gegen die Kirche beeinflusst hätte, wie es etwa bei Giordano Bruno der Fall war, ist völlig ausgeschlossen. Er war ihr gegenüber voll kindlicher, echt katholischer Fügsamkeit, die festhält an einer von frühester Jugend unauslöschlich eingeprägten Ehrfurcht vor allem, was mit der Kirche zusammenhängt, einer Ehrfurcht, die vielleicht etwas Äußerliches, Gewohnheitsmäßiges hatte, die aber ganz und gar mit ihm verwachsen, nicht künstlich gemacht war. Bis zur genannten Zeit hatte er sich über das Verhältnis der kopernikanischen Lehre zur Heiligen Schrift überhaupt nicht geäußert. Umso auffallender, dass während seines römischen Aufenthaltes seine Name zum ersten Male in den Akten der Inquisition erscheint. Es ist unbekannt, ob eine Denunziation eines seiner persönlichen Feinde vorlag, oder ob die Inquisition aus eigener Initiative dem gefährlichen Neuerer ihre Aufmerksamkeit schenkte. Denn gefährlich waren in gewissem Sinne die Lehren Galileis doch, seine Bekämpfung der Autorität des Aristoteles machte jede andere Autorität erzittern; der Heide Aristoteles und die katholische Kirche hatten insofern solidarische Interessen. Man forschte damals, ob Galilei in den InquisitionsprozessC e s a r eC r e m o n i n i s ,eines seiner ehemaligen paduanischen Kollegen, verwickelt gewesen sei. Cremonini galt damals als eine Leuchte der Peripatetiker, äußerte aber bedenkliche Ansichten bei seiner Interpretation der aristotelischen Schriften über die Seele, und stand im Geruche, atheistische Anschauungen zu verbreiten. Das persönliche Verhältnis zwischen ihm und Galilei war nicht unfreundlich gewesen, wissenschaftlich aber waren sie Antipoden. Gehörte doch Cremonini zu denen, die sich zeitlebens weigerten einen Blick durch das Fernrohr zu werfen. Gegen ihn polemisiert Galilei mehrmals im Dialog, teils mit, teils ohne Nennung seines Namens.

Galilei hatte damals die Absicht, sein Werk de systemate mundi, das er im Sidereus nuncius angekündigt hatte, fertig zu stellen und zu veröffentlichen. Man erwartete dies allgemein von ihm, wie nicht nur aus einem Briefe des Fürsten Cesi vom 4. August 161247, sondern auch aus den einleitenden Worten seiner 1612 erschienenen Abhandlung Trattato dei Gallegianti48 hervorgeht, beiläufig bemerkt, einer der bedeutendsten Schriften Galileis. Er zögerte indessen, sein Buch über die Weltsysteme zu vollenden, stutzig gemacht nicht sowohl durch seine Gegner als durch seine Freunde, die ihn wie z. B. Paolo Gualdo49 warnten, mit einer so phantastischen Lehre vor die Öffentlichkeit zu treten. Die Gründe, die er in der erwähnten Abhandlung für sein Säumen anführt, sind schwerlich ernst zu nehmen; denn die Bewegungsverhältnisse der Jupitersmonde, die er angeblich erst sorgfältiger erforschen wollte, sind auch späterhin im Dialog nur ganz obenhin besprochen50, und über die Sonnenflecken war Galilei im Jahre 1612 soweit im Klaren, dass er mit ihrer Hilfe die Sonnenrotation für erwiesen ansah.51 Es ist freilich nicht ausgeschlossen, dass er damals dem Werke über die Weltsysteme ein anderes Gepräge zu geben gedachte, als es nachher erhielt. Er plante vielleicht ein mehr fachwissenschaftliches Buch mit größerem mathematischem Apparat, zu welchem ihm dann allerdings noch manches Material gefehlt haben mag. Immerhin bleibt es schmerzlich zu bedauern, dass er sich durch die Ängstlichkeit seiner Freunde oder durch Bedenken welcher Art auch immer zurückhalten ließ. Seine Feinde und die immer misstrauischer werdende Kirche gewannen infolgedessen Zeit, ihm seine Aufgabe mehr und mehr zu erschweren, nicht durch neugeschmiedete Geisteswaffen, sondern durch Aufbietung der brutalen geistigen Polizeigewalt, über welche die Kirche ja verfügte. Schon wurden die theologischen Argumente mit größerer Ungeniertheit gebraucht, schon schriebL o d o v i c od e l l eC o l o m b eeine von Unwissenheit strotzende, in anmaßendstem Tone abgefasste Broschüre gegen die Kopernikaner52 – selbstverständlich war es allein auf Galilei dabei abgesehen –, in der die Heilige Schrift das letzte Argument bildete; schon entstand eine Art von Verschwörung gegen Galilei, deren Haupt sein ehemaliger Schüler, der nunmehrige Erzbischof von Florenz, Marzimedici war. Noch durfte Galilei hoffen Sieger zu bleiben, wenn er jetzt in voller Rüstung auf dem Kampfplatze erschien; er tat es nicht und versäumte so den entscheidenden Augenblick.

Zu den Widersachern Galileis gesellte sich in jener Zeit ein Mann, der, wahrscheinlich in höherem Grade, als sich im Einzelnen nachweisen lässt, verhängnisvoll in sein Leben eingegriffen hat, der JesuitenpaterC h r i s t o p hS c h e i n e r .Bei Gelegenheit von Galileis römischem Aufenthalte hatte der Ordensgenosse Scheiners,P a u lG u l d i n ,der bekannte angebliche – aber nicht wirkliche – Entdecker der nach ihm benannten Regel, auch den Demonstrationen der Sonnenflecken seitens G.s beigewohnt. Dieser erzählt nun später, dassS c h e i n e rdurch ihn zuerst von jener Entdeckung Galileis Kenntnis erhalten und infolge dieser Anregung erst seine eigenen Beobachtungen angestellt habe.53 Die Sonnenflecken waren inzwischen auch vonJ o h a n nF a b r i c i u sbeobachtet und jedenfalls von diesem zuerst in einer gedruckten Schrift erörtert worden, sodass man heute nicht mit Unrecht ihn als den Entdecker zu bezeichnen pflegt, während weder Galilei noch Scheiner seines Namens in der späteren literarischen Fehde Erwähnung tun. Scheiner gibt freilich bezüglich seiner ersten Beobachtungen später eine andere Darstellung und behauptet bereits im März 1611 und dann im Oktober desselben Jahres in Ingolstadt Fleckenbeobachtungen gemacht zu haben, ohne von anderen Bestrebungen dieser Art etwas zu wissen.54

Wie dem auch sei, er schrieb im Jahre 1612 an den Augsburger PatrizierM a r k u sWel s e rdrei Briefe, in denen er seine Beobachtungen der Sonnenflecken und seine Ansichten über deren Natur mitteilt. Er hielt die Flecken damals für Planeten, die sich in engen Kreisen um die Sonne bewegten, eine Ansicht, der man auch in Italien später vielfach huldigte.55 Welser schickte die Briefe und ebenso eine später geschriebene ausführlichere Abhandlung56 Scheiners, der sich Apelles post tabulam nennt, zur Begutachtung an Galilei. Dieser antwortete in drei Briefen (vom 4. Mai, 14. August und 1. Dezember 1612), worin er anfänglich noch vorsichtig und zweifelnd, später aber mit größerer Bestimmtheit über das Wesen der Flecken sich auslässt. Er erklärt sie, ähnlich wie in der Einleitung zu dem aus gleichem Jahre stammenden Trattato dei Gallegianti, für unmittelbar mit der Sonne in Verbindung stehende Gebilde, die entstehen und vergehen und somit die peripatetische Doktrin von der Unveränderlichkeit des Himmels widerlegten; er meint, sie ließen sich noch am ehesten mit den Wolken in unserer Atmosphäre vergleichen und folgert vor allem aus ihren Bewegungen die Achsendrehung der Sonne. Auch auf die kopernikanische Lehre kommt er wiederholt und so auch am Schlusse zu sprechen57, er hält mit seiner Hoffnung auf baldige allgemeine Anerkennung derselben nicht zurück. Die Prioritätsfrage wird von Galilei eben nur gestreift; er sagt beiläufig, er habe die Flecken seit 18 Monaten beobachtet58, eine Angabe, die, wie oben bemerkt, auf den November 1610 zurückführt, also nicht im vollen Einklange mit der Datierung im Dialoge und anderweitigen, aus späterer Zeit stammenden Nachrichten steht, welche die Entdeckung noch weiter zurückverlegen. Scheiner kannte in der zuletzt geschriebenen Abhandlung noch keinen der Briefe Galileis; denn obwohl der erste bereits eingetroffen war, verstand er ihn doch nicht, da er des Italienischen damals noch nicht mächtig war; Prioritätsansprüche erhebt er damals (25. Juli 1612) noch nicht. Galileis Anworten wurden 1613 zu Rom von der Accademia dei Lincei mit einem Vorworte von Angelo de Filiis herausgegeben, in welch letzterem konstatiert wird, dass Galilei in Rom verschiedenen mit Namen genannten Personen die Sonnenflecken im Jahre 1611 gezeigt, und ebenso schon mehrere Monate zuvor in Florenz – aber nicht in Padua oder Venedig – vielen Freunden Kenntnis davon gegeben habe.59

Inzwischen hatten die Gegner Galileis geschickt operiert, um ihn auf den schlüpfrigen Boden theologischer Erörterungen zu locken; man war sicher, dass, wenn er erst diesen betreten, es ein Leichtes sei, ihn zu Fall zu bringen. Die fromme Mutter des Großherzogs Cosimo II., Christina von Lothringen, spielte dabei, wohl mehr geschoben als schiebend, eine Hauptrolle. Ein Tischgespräch über Galileis Entdeckungen und Ansichten wurde an der großherzoglichen Tafel inszeniert und zwar in Gegenwart des Galilei treuergebenenC a s t e l l i ;dabei fiel die Äußerung, die kopernikanische Lehre sei mit der Heiligen Schrift unvereinbar. Castelli nahm sich seines Lehrers an, die Großherzogin Mutter widersprach, nach Castellis Empfindung hauptsächlich, um Gegengründe zu hören. Selbstverständlich ließ Castelli seinem Meister über den Vorfall Bericht zugehen und dieser antwortete in einem längeren Schreiben vom 21. Dezember 161360, worin er eine ausführliche Darlegung seiner Ansichten über Bibelexegese gab und die so gewonnenen Grundsätze auf die streitigen Stellen der Heiligen Schrift anwendete. So interessant es dem Theologen sein mag, diese Ansichten kennen zu lernen, für die Geschichte der Wissenschaft sind sie nur insofern von Wichtigkeit, als man aus jenen Sätzen, die von höchster Ehrfurcht für die Bibel und die Kirche Zeugnis ablegen, die aber andererseits mit einem für damalige Zeitläufte nicht genug zu bewunderndem Mute für das Recht der freien Naturforschung plädieren, einen Strick zu drehen suchte, um ihren Urheber zu Fall zu bringen. Es ist wohl überflüssig zu bemerken, dass Galileis Versuche, die Heilige Schrift mit der kopernikanischen Lehre in Einklang zu bringen, Sophismen sind, so ernsthaft er selbst von ihrer Beweiskraft überzeugt war. Die biblischen Äußerungen über den Bau des Weltalls geben in naiver Weise die Eindrücke eines Volkes wieder, dem es zwar nicht an Naturgefühl, wohl aber an allen naturwissenschaftlichen Kenntnissen fehlte, und stehen daher wirklich in Widerspruch nicht nur mit dem kopernikanischen, sondern auch mit dem ptolemäischen Systeme. Galilei aber war nicht wenig stolz auf seine in der Tat von subtilstem Scharfsinn zeugende Leistung; er verschickte Abschriften an seine Freunde und hoffte nicht nur seine persönlichen Gegner abgefertigt zu haben, sondern wahrscheinlich auch durch seine Argumente einen Druck auf die Entschließungen der Kirche auszuüben.

Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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