Читать книгу Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme - Galileio Galilei - Страница 37

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Denn unabhängig von dem widerlichen Intrigenspiel gegen die Person Galileis beschäftigte man sich im Schoße der Inquisition jetzt ernsthaft mit der Frage, wie die Kirche sich zu der Lehre von der Erdbewegung zu stellen habe. Das Werk des Kopernikus war zwar mehr als 70 Jahre unbeanstandet geblieben, sei es, weil ein kirchlich anstößiger Streit darüber sich nicht erhoben hatte, sei es, weil man sich täuschen ließ durch die den Absichten des Kopernikus völlig zuwiderlaufende Vorrede Osianders zu dem Werke des großen Reformators, und dass man daher des Glaubens lebte, es handle sich bei jener Reform nur um eine mathematische Fiktion zur Erleichterung der Berechnung der Planetenbewegungen. Seitdem aber diese »Fiktion« ernst genommen und als Wahrheit verteidigt wurde, wie es allein dem Sinne des Urhebers gemäß war, seitdem die Feinde und infolge davon auch die Freunde der Lehre immer wieder in theologische Erörterungen verfielen, sah sich das Heilige Officium veranlasst, Stellung zu diesen Fragen zu nehmen. Vor allem war es der Kardinal Bellarmin, der zu einer Entscheidung drängte; so groß sein Interesse an den neuen astronomischen Entdeckungen war, so sehr er Galilei persönlich schätzte und ihn zu schützen suchte, so unbeugsam war er in kirchlichen Angelegenheiten. Er erkannte die ganze der Kirche drohende Gefahr, die nicht nur in dem Widerspruche der kopernikanischen Lehre mit der Heiligen Schrift bestand – dieser ließ sich schlimmstenfalls zwar nicht wirklich, aber für die Zwecke der Kirche in ausreichender Weise weginterpretieren, wie Bellarmin in einem Briefe an Foscarini selbst zugab61; aber die weitaus größere Gefahr einer auf dem Boden der astronomischen Reform neu emporsprießenden Weltanschauung wird dem weiten Blick des Kardinals gleichfalls nicht entgangen sein. Auf diesen Mann einzuwirken, darauf war offenbar Galileis Wunsch und Hoffnung gerichtet; ihm sollte der Brief an Castelli vom 21. Dez. 1613 in die Hände kommen.62

Über die Erwägungen, die wahrscheinlich schon im Jahre 1614 im Schoße der Inquisition gepflogen wurden, verlautete zwar zunächst in Florenz noch nichts Bestimmtes; doch scheint man dort für die Richtung, in welcher der Wind wehte, feinfühlig genug gewesen zu sein, um sich zur Anwendung gröberen Geschützes gegen Galilei ermutigt zu fühlen. Ähnlich wie ein Jahrhundert zuvor in Mantua der Augustinermönch Ambrogio Fiandino die Kanzel missbrauchte, um die Ideen des großen Philosophen Pomponazzi zu bekämpfen, so wagte es jetzt in Florenz der Dominikaner Tommaso Caccini, gerade ein Jahr nach dem Briefe Galileis an Castelli, in der fanatischsten Weise gegen die Kopernikaner und die Mathematiker überhaupt zu predigen. Wenn die Absicht dabei war, einen Skandal zu provozieren, so wurde sie auf das vollständigste erreicht. Alle Welt war zwar entrüstet, selbst die Ordensgenossen Caccinis; aber probat war das Mittel doch gewesen, insofern es unzweifelhaft dazu beitrug, die Verhandlungen der Inquisition in Fluss zu bringen. Unmöglich konnte man solche Vorfälle sich des Öfteren wiederholen lassen. Caccini und seine Hintermänner »wussten, wie es gemacht wird«. – Galilei rüstete sich zur Abwehr. Dazu boten sich ihm zwei Wege: Entweder er suchte, ohne auf theologische Fragen einzugehen, mit dem Aufwande aller ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel die Erdbewegung naturwissenschaftlich zu erweisen, mittelbar also eine etwaige kirchliche Verwerfung des Systems in möglichst grellen Widerspruch zu allen Vernunftwahrheiten zu bringen; oder er wies einerseits hin auf die kirchliche Unanstößigkeit der Lehre, und hob andererseits die Gefahr hervor, die der Kirche aus der Parteinahme gegen eine möglicherweise wahre Lehre erwachsen könne. Der dem Naturforscher angemessenere Weg wäre, wie die maßgebenden Personen sehr wohl herausfühlten63, der erstere gewesen. Aber sei es, dass das Werk De systemate mundi noch nicht reif für die Veröffentlichung war – und Eile tat Not – oder dass Galilei, der auf seine theologischen Erörterungen hohen Wert legte, sich größeren Erfolg von der anderen Taktik versprach, wie sie denn auch anscheinend gefahrloser und versöhnlicher war: Kurz, um die mittlerweile akut gewordene Gefahr eines kirchlichen Verbots der Lehre abzuwenden, entschloss er sich, die in dem Briefe an Castelli ausgesprochenen Gedanken detaillierter auszuführen und zwar in Gestalt eines Schreibens an die Großherzogin Mutter Christine (Op. II, 26–64).

Was in dieser berühmten Schrift, wie auch in manchen Stellen des Dialogs, besonders wohltuend berührt, ist die scharfe Betonung des Gedankens, dass die beiden Systeme sich durchaus ausschließen, dass es keine Vermittlung gebe, dass man nicht, wie in Fragen des Rechts, der Politik u. dgl. einen Kompromiss schließen könne, bei dem ein Übergewicht der größeren Beredsamkeit oder selbst der größeren Intelligenz Vorteile für die eine oder andere Seite herauszuschlagen vermöge.64 Er zielt offenbar darauf ab, die Kirche zur Nichtintervention zu veranlassen: Denn diese musste ungern zu einer profan-wissenschaftlichen Frage Stellung nehmen, wenn ihr nicht durch anderweitige Deutung der gefällten Entscheidung späterhin ein Rückzug in Aussicht gestellt blieb. Galilei sagt sehr verständlich, wenn auch versteckt hinter ehrerbietigen Redewendungen: »Hütet Euch die Bewegung der Erde als Irrlehre zu verdammen, denn hier kann nicht, wie sonst so häufig, eine nachträgliche Wortverdrehung den begangenen Fehler aus der Welt schaffen wollen.« Seine Warnung sollte ungehört verhallen, aber er hat Recht behalten. Von seiten der katholischen Kirche ist vielleicht manche grausamere und schädlichere Maßregel getroffen worden als das Verbot der kopernikanischen Lehre; keine jedoch, die in so eklatanter Weise als verkehrt von den Gegnern der Kirche nachgewiesen werden kann, keine, deren Unrichtigkeit von ihr selbst so ohne Weiteres zugegeben werden muss und zugegeben wird.

Ungefähr zu derselben Zeit, wo Galilei mit der Ausarbeitung jener denkwürdigen Schrift beschäftigt war, schickte der Dominikanerpater Lorini dem Präfekten der Indexkongregation eine Abschrift des Briefes an Castelli ein, nicht ohne einige bedenkliche Verstärkungen des Ausdrucks anzubringen, mit der Aufforderung, gegen die Kühnheit der Galileisten einzuschreiten. Die Denunziation Lorinis wurde dem heiligen Officium übermittelt und dieses tat sofort Schritte, um sich in den Besitz des Originals von Galileis Brief zu setzen; trotz aller angewendeten Schlauheit führten diese Bemühungen jedoch nicht zum Ziele. Der Prozess der Inquisition war damit gegen Galilei eröffnet. In die Einzelheiten desselben einzugehen ist an dieser Stelle nicht nötig. Es genügt das Ergebnis, soweit es festgestellt ist, mitzuteilen. Im Dezember 1615 war Galilei nach Rom gereist, sowohl um seiner persönlichen Angelegenheit willen, als um das drohende Verbot der kopernikanischen Lehre zu hintertreiben. Das gegen ihn eröffnete Verfahren scheint ihn nicht sehr beängstigt zu haben; er mochte über den vermutlichen Ausgang durch seine mit den Verhältnissen vertrauten Freunde beruhigt worden sein und in seinem heiligen Eifer für die Sache der Wahrheit seine privaten Interessen fast vergessen haben. Eine fieberhafte Tätigkeit, eine glänzende Beredsamkeit entfaltete er nach den Schilderungen von Ohrenzeugen in jener Zeit; in den Zirkeln, vor denen er mit den Gegnern disputierte, erzielte er große moralische Erfolge; man ist entzückt über die feine Ironie, mit der er anscheinend noch das Gewicht der gegnerischen Gründe verstärkt, um sie dann in ihr Nichts zerfallen zu lassen, ganz wie es Salviati im Dialoge tut; er trägt dem Kardinal Orsini seine Theorie der Gezeiten vor und schickt ihm (am 8. Januar 1616) eine schriftliche Ausarbeitung seines Vortrags zu, dieselbe Schrift, aus deren Umarbeitung und Erweiterung nachmals der vierte Tag des Dialogs hervorging. An dem Felsen der Kirche aber prallte ebenso seine irrige Fluttheorie ab wie bessere Argumente. Am 24. Februar 1616 gaben die theologischen Konsultoren der Inquisition ihr Gutachten über die beiden folgenden, ihnen vorgelegten Sätze ab: 1) Die Sonne ist der Mittelpunkt der Welt und besitzt keinerlei Ortsbewegung. 2) Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt und nicht unbeweglich, sondern bewegt sich als Ganzes sowie in täglicher Bewegung.65 Diese sonderbar formulierten Sätze wurden folgendermaßen begutachtet. Ad 1) Alle sagten, genannter Satz sei philosophisch töricht und absurd, außerdem formell ketzerisch, insofern er ausdrücklich den an vielen Stellen der Heiligen Schrift sich findenden Lehren widerspricht, hinsichtlich des Wortlautes sowohl als hinsichtlich der gemeinen Erklärung und Sinnesdeutung seitens der heiligen Väter und der Doktoren der Theologie. Ad 2) Alle sagten, dieser Satz sei philosophisch ebenso zu beurteilen, rücksichtlich seiner theologischen Wahrheit sei er zum mindesten irrig im Glauben. – Am folgenden Tage, dem 25. Februar 1616 beschloss das heilige Officium aufgrund dieses Gutachtens seiner Konsultoren: Kardinal Bellarmin solle Galilei zu sich bescheiden und ihn ermahnen, genannte Meinung aufzugeben; wenn er sich weigere zu gehorchen, solle ihm der Kommissar der Inquisition vor Notar und Zeugen den Befehl erteilen, dass er sich durchaus enthalte, sotane Lehre und Meinung zu lehren oder zu verteidigen oder über sie zu handeln; wenn er sich dabei aber nicht beruhige, solle er eingekerkert werden.66 – Außerdem wurde (vermutlich in derselben Sitzung der Inquisition) beschlossen, von dem ergangenen Gutachten der Index-Kongregation Kenntnis zu geben, deren Aufgabe bekanntlich darin besteht, kirchlich anstößige Bücher zu verbieten oder zu suspendieren, bis das Anstößige entfernt ist, sowie die zu diesem Behufe notwendigen Korrekturen vorzunehmen.

Was zunächst den letzteren Beschluss betrifft, so erging am 5. März 1616 denn auch wirklich das berüchtigte Dekret dieser Behörde; in demselben werden zunächst einige andere Bücher verboten, sodann heißt es:67

»Und weil ferner zur Kenntnis vorgenannter heiliger Kongregation gelangt ist, dass jene falsche, der Heiligen Schrift durchaus widersprechende pythagoreische Meinung von der Beweglichkeit der Erde und Unbeweglichkeit der Sonne, welche Nicolaus Copernicus De revolutionibus orbium coelestium, sowie Didacus Astunica in Iob lehren, sich jetzt verbreitet und von vielen gebilligt wird; wie zu ersehen ist aus einem gedruckten Briefe eines gewissen Karmeliterpaters, dessen Titel lautet: Lettera del R. Padre Maestro Paolo Antonio Foscarini, Carmelitano, sopra l’opinione de Pittagorici, e del Copernico, della mobilità della Terra, e stabilità del Sole, et il nuovo Pittagorico Sistema del Mondo, in Napoli per Lazzaro Scoriggio 1615, worin genannter Pater zu zeigen versucht, vorgenannte Lehre von der Unbeweglichkeit der Sonne im Mittelpunkte der Welt und von der Beweglichkeit der Erde sei in Übereinstimmung mit der Wahrheit und widerspreche nicht der Heiligen Schrift: Darum, damit sotane Meinung nicht zum Schaden der katholischen Wahrheit um sich greife, beschloss man, genannten Nicolaus Copernicus de revolutionibus orbium und Didacus Astunica in Iob zu suspendieren, bis sie verbessert würden, das Buch des Karmeliterpaters Paulus Antonius Foscarini aber ganz zu verbieten und zu verdammen, und alle anderen Bücher, die dasselbe lehrten, gleichermaßen zu verbieten. Wie sie denn durch gegenwärtiges Dekret alle respektive verboten, verdammt und suspendiert werden. Zu Urkund dessen ist gegenwärtiges Dekret mit Unterschrift und Siegel Sr. Erlaucht und Hochwürden des Herrn Kardinals von S. Caecilia, Bischofs von Albano, unterzeichnet und ausgefertigt worden am 5. März 1616.«

Wir ersehen aus dem Wortlaute des Dekrets, dass das Werk des Kopernikus nicht ohne Weiteres verboten wurde, dass nur diejenigen Bücher als verdammenswert bezeichnet werden, die wie das Foscarinische es sich zur Aufgabe machten, die Wahrheit der Lehre und ihre Konkordanz mit der Heiligen Schrift zu erweisen. Es lag also nicht in der Absicht der Kongregation, die Berechnung der Planetenbewegung aufgrund der kopernikanischen Annahmen zu verbieten, nur durften diese Annahmen nicht als Wahrheit, sie mussten als mathematische Fiktion gelehrt werden. Demgemäß wurde denn auch Kopernikus in der Folge (1620) verbessert, d. h. alle die Stellen seines Werkes, die apodiktisch von der Erdbewegung und dem Stillestehen der Sonne reden, wurden auf eine hypothetische Form gebracht. Die hypothetische Behandlung seiner Lehre ließ man also im Allgemeinen zu und von dieser Erlaubnis wurde Gebrauch gemacht.

Wie stand es nun aber mit der Ausführung des anderen, speziell auf Galilei bezüglichen Beschlusses, der in der Sitzung vom 25. Februar gefasst wurde? DurchW o h l w i l l sscharfsinnige Studie »Der Inquisitionsprozess des Galilei« ist diese Frage angeregt und in zahlreichen Schriften behandelt worden, sie ist noch immer kontrovers. – Am 26. Februar beschied nämlich Bellarmin Galilei zu sich, machte ihm Mitteilung von dem bevorstehenden Dekret der Indexkongregation und ermahnte ihn die kopernikanische Lehre aufzugeben. Soweit ist der Tatbestand verbürgt; und wenn damit alles Vorgefallene wiedergegeben ist, wenn Galilei sich dabei beruhigte, so war zwar der Schlag für ihn schmerzlich genug. Er durfte von nun ab an einer der Lebensaufgaben, die er sich gestellt, nur mit gefesselten Händen arbeiten; denn von dem, was er als Wahrheit erkannte, musste er wie die ganze katholische Christenheit als von einer Hypothese reden. Aber er durfte immerhin davon reden, und er konnte bei seiner Kunst der Darstellung hoffen, dass er auch so, trotz aller Erschwerung, dem verständigen Hörer verständlich sein werde. Hat nun aber Galilei der Ermahnung Bellarmins Widerspruch entgegengesetzt? Wurde also auch die im Beschluss der Inquisition vorgesehene andere Möglichkeit aktuell? Wenn dies geschah, so musste der Kommissar der Inquisition einschreiten, vor Notar und Zeugen Galilei verbieten, irgendwie, auch nur hypothetisch, über die kopernikanische Lehre zu handeln, und ihn für den Fall der Widersetzlichkeit mit Einkerkerung bedrohen. Wenn es soweit kam, war Galilei für alle Zeiten in Sachen der Erdbewegung mundtot gemacht. Die Entscheidung der Frage ist von erheblicher Wichtigkeit; denn einer der Rechtsgründe des zweiten Inquisitionsprozesses gegen Galilei wurde durch die Annahme geschaffen, dass er das speziell ihm auferlegte Schweigen gebrochen habe. Ein von Notar und Zeugen unterschriebenes Dokument über das Vorgefallene – und ein solches muss doch wohl ausgefertigt worden sein, wenn der zweite Fall eintrat – liegt nicht vor; das Aktenstück, welches man früher dafür ansah, ist entweder eine sogenannte Registratur, d. h. »eine vom Notar der Inquisition gemachte und den Akten einverleibte amtliche Aufzeichnung«68, oder es verdankt einer im Jahre 1632 oder 1633 gemachten Fälschung seinen Ursprung. Gegen die Echtheit sprechen gewichtige Gründe. Vor allem besitzen wir ein auf Wunsch Galileis von Bellarmin ausgestelltes Zeugnis über das, was sich damals ereignete69; darin ist von dem Sonderverbote keine Rede. Weiter ist das ganze Verhalten Galileis in der Folgezeit und seine Aussage bei dem zweiten Prozess, wie sich zeigen wird, kaum erklärlich, sobald man das Sonderverbot als wirklich ergangen annimmt. Endlich ist es trotz der üblichen Geheimhaltung aller Inquisitionsbeschlüsse unbegreiflich, dass die Sonderstellung Galileis zu dem Dekrete vom 5. März auch der Behörde unbekannt gewesen sein soll, die naturgemäß in erster Linie die Kontrolle über das Verhalten Galileis zu üben hatte, d. h. der römischen Zensur. Und doch erteilte diese späterhin dem Dialog das Imprimatur, welches, wie es nachher hieß, erschlichen sein sollte, weil Galilei dem Zensor von dem ihm speziell auferlegten Schweigen keine Kenntnis gab. Trotz dieser und noch einiger anderer Gründe kann man immerhin – wir kommen darauf zurück – die Fälschung jenes Dokuments nicht mit voller Sicherheit erweisen. Und so mag denn alles, was in der Folge geschah, so unwahrscheinlich dies auch ist, in aller Form rechtens geschehen sein. Die späteren Richter Galileis mögen dann persönlich entlastet sein, aber das System ist nur umso schlimmer gerichtet; die späterhin begangene Barbarei war dann ganz in der Ordnung.

Die Szene vom 26. Februar 1616 bildete den Abschluss des ersten gegen Galilei angestrengten Prozesses. Gegen seine Person war man, sehr entgegen den Wünschen seiner Feinde, glimpflich verfahren; seine künftige Tätigkeit hatte man ihm freilich mindestens sehr erschwert. Die nächstfolgenden Jahre weisen denn auch hervorragendere Leistungen Galileis nicht auf; eine gewisse Entmutigung hatte sich seiner bemächtigt, nach den vergeblichen Mühen und Kämpfen der letzten Jahre wollte er ruhigere Tage verleben.70 Namentlich konnte er das Werk De systemate mundi in der Form, die vor Erlass des Indexdekrets geplant war, nicht veröffentlichen. Dass er schon damals an eine Umarbeitung dachte, wie sie uns im Dialog vorliegt, ist nicht anzunehmen. Indessen zeigt der Brief71, den er einer Abschrift seiner Abhandlung über die Erklärung der Gezeiten beifügte, als er dieselbe an den Erzherzog Leopold von Österreich übersandte (23. Mai 1618), wie er sich die Möglichkeit vorstellte, seine Gedanken auszusprechen, ohne die notwendige Rücksicht auf die Kirche zu verletzen. Er nennt darin seine Ansicht eine Dichtung, einen Traum, gibt aber vor, auf diese denselben Wert zu legen, wie ein Dichter auf seine Dichtung. An die Richtigkeit seiner Erklärung glaube er nicht, seitdem eine himmlische Stimme ihn aufgeklärt habe. Man kann zweifeln, ob diese auch im Dialoge angewendete Manier mit dem Dekrete sich abzufinden als statthaft gelten konnte, ob das die hypothetische Form war, wie sie dem Dekrete und der in den nächsten Jahren üblichen Praxis entsprach; man kann aber nicht zweifeln, dass sie dem etwaigen verschärften Verbote, dass nur für Galilei galt, aufs Bestimmteste widersprach. In demselben Schreiben findet sich auch zum ersten Male der in der Vorrede zum Dialog wiederkehrende Gedanke, dass er seinen Einfall veröffentliche, damit kein Fremder oder außerhalb der katholischen Kirche Stehender sich desselben bemächtigen und Prioritätsansprüche darauf erheben könne. Der unausgesprochen bleibende Nebengedanke ist: »Seht, wie schwer durch Eure Schuld der katholische Gelehrte im Wettbewerb mit den Ketzern benachteiligt ist.« Es liegt darin eine ähnliche agitatorische Absicht, wie wenn Campanella später sagte72, dass er einige deutsche Edelleute beinahe zum Katholizismus bekehrt habe, dass sie ihn aber entrüstet verlassen hätten, als sie von dem Verbote der kopernikanischen Lehre gehört hätten.

Im Jahre 1617 nahm Galilei die Verhandlungen mit Spanien wieder auf, die schon vier Jahre zuvor gespielt hatten und die auch später wiederholt in Gang gebracht wurden, ohne je zu einem Ziel zu führen. Es handelte sich dabei um eine Methode der geographischen Längenbestimmung mittels der Jupiterstrabanten, eine Methode, auf die Galilei ungemeinen Wert legte, und auf deren Vervollkommung er unsägliche Mühe verwendete. Er beabsichtigte dieselbe an Spanien, später an die Niederlande zu verkaufen, doch zerschlugen sich, wie gesagt, die Verhandlungen stets.

Im Jahre 1619 begann eine literarische Fehde, die für Galilei verhängnisvoll werden sollte, da sie ihm die Feindschaft der Jesuiten zuzog. Bis dahin hatte er, wenigstens zu den Jesuiten in Rom, in einem leidlichen Verhältnis gestanden. Die Briefe über die Sonnenflecken mussten zwar den deutschen Jesuitenpater Scheiner verdrießen, da namentlich in der von Angelo de Filiis geschriebenen Vorrede die Priorität der Entdeckung sehr energisch für Galilei in Anspruch genommen wurde. Indessen hat Scheiner damals kaum Widerspruch erhoben; ja in dem von ihm inspirierten Büchlein Disquisitiones mathematicae de controversiis et novitatibus astronomicis seines Schülers Locher, welches 1614 zu Ingolstadt erschien, wird an mehreren Stellen von Galilei mit höchster Achtung gesprochen und nur schüchtern die Bemerkung gemacht73: »Diese [Erscheinungen an der Sonne] wurden vor einigen Jahren zuerst durch Apelles in zwei Gemälden, sodann auch durch den Herrn Galilei bekannt.« – Die drei Kometen des Jahres 1618 hingegen sollten Galilei schwere Kämpfe mit den Jesuiten bringen, Kämpfe, bei welchen wissenschaftlich in der Hauptsache das Recht nicht auf seiner Seite war. Über diese Kometen nämlich hieltO r a z i oG r a s s i ,Professor am römischen Jesuitenkolleg, einen Vortrag74, worin er im Wesentlichen richtige Ansichten über die Natur der Kometen entwickelt, ähnlich denen, die Tycho de Brahe früher aufgestellt hatte. Er erklärt sie für dunkle, vom Sonnenlicht erleuchtete Körper, vergleicht ihre Bewegung mit derjenigen der Planeten und versetzt sie vermutungsweise in die Sphäre zwischen Mond und Sonne. Diese Ansichten bekämpfte ein Schüler Galileis,M a r i oG u i d u c c i ,in einem in der Florentiner Akademie gehaltenen Vortrage, welcher im Juni 1619 durch den Druck veröffentlicht wurde unter dem Titel: Discorso delle Comete di Mario Guiducci.75 Die darin aufgestellten Ansichten rührten von Galilei her, auch die Redaktion im Einzelnen war großenteils sein Werk. Neben Ausfällen auf Scheiner76 und vorsichtigen Anspielungen darauf, dass zur vollen Erklärung des Kometenphänomens die Lehre von der Erdbewegung herangezogen werden müsse77, findet sich als wahrscheinlich ausgesprochen, dass die Kometen nichts Reales seien, sondern eine bloße optische Erscheinung, hervorgebracht durch Brechung und Reflexion an den von der Erde emporsteigenden, möglicherweise bis in die Himmelsräume sich erhebenden Dünsten. Es werden aber beiläufig auch mancherlei beachtenswerte Erörterungen angestellt; so über die Irradiation, die minder ausführlich schon im Nuncius Sidereus sich finden und im Dialoge sich wiederholen.78 Auf den Discorso Guiduccis erschien 1619 eine Entgegnung, angeblich von einem Schüler Grassis, Lotario Sarsi, in Wahrheit aber von Grassi selbst verfasst: Libra astronomica ac philosophica qua Galilaei Galilaei opiniones de cometis a Mario Guiduccio in Florentina Academia expositae atque in lucem nuper editae examinantur a Lothario Sarsio Sigensano.79 Darin wird, wie der Titel bereits andeutet, Galilei selbst, nicht Guiducci – und zwar in sehr boshafter Weise – angegriffen. Die Diskussion dreht sich vielfach nicht mehr um die Hauptfrage, sondern um gelegentlich zur Sprache gekommene Dinge: ob das Fernrohr nahe und entfernte Objekte gleich stark vergrößere, ob ein rotierendes Gefäß die darin enthaltene Luft in Bewegung versetze, ob die Reibung der Luft Wärme erzeuge, wie die Irradiation kleiner leuchtender Körper zu erklären sei, ob Flammen durchsichtig seien oder nicht. – Galileis Freunde waren über die Händel, in die er sich eingelassen hatte, nicht erbaut; sie schwankten lange, wie am besten auf Pseudo-Sarsis Schrift zu reagieren sei. Die Ängstlichkeit, mit der man die notwendigen Maßregeln erwog, ist höchst charakteristisch; wusste man doch nur zu gut, dass es unberechenbare Folgen haben könne, sobald man die allmächtigen, vor keinem Mittel zurückschreckenden Jesuiten zu Gegnern habe. So kam es, dass Galilei von seinen Freunden zu einer Entgegnung gedrängt und gleichzeitig zur Vorsicht gemahnt wurde. Erst im Oktober 1622 beendigte er seine Arbeit, welche in Form eines Briefes anD o nV i r g i n i oC e s a r i n iabgefasst war. Er schickte sie nach Rom, um vor der Drucklegung das Urteil der Mitglieder der Accademia dei Lincei, auf deren Kosten die Veröffentlichung stattfand, einzuholen. Dieses fiel sehr günstig aus, nur an wenigen Stellen hielt man es für zweckmäßig, Änderungen anzubringen. Der Saggiatore (Goldwäger) – dies war der Titel der Schrift – sollte namentlich deshalb in Rom gedruckt werden, damit durch die ausdrückliche Genehmigung der römischen Zensur die von Galilei ausgesprochenen Ansichten vor nachträglicher kirchlicher Verfolgung umso sicherer seien. An der Spitze dieser Zensurbehörde steht der sogenannte Magister Sacri Palatii; in diesem Falle nahm jedoch die Prüfung des Buches nicht der Palastmeister selbst vor, sondern der durch seine ungewöhnliche Gelehrsamkeit bekannte DominikanerN i c c o l òR i c c a r d i ,genannt Padre Mostro. Am 2. Februar 1623 stellte dieser dem Werke ein höchst schmeichelhaftes Zeugnis aus; er wurde kurz darauf in Florenz auch persönlich mit Galilei bekannt und spielte späterhin, als er selbst Magister Sacri Palatii geworden war, in dessen Leben noch eine wichtige Rolle. Während des Drucks des Saggiatore trat ein Wechsel im Pontifikat ein; der Kardinal Maffeo Barberini, der sich nunmehrU r b a nVIII. nannte, wurde am 6. August 1623 zum Papste gewählt. Er war mit Galilei persönlich bekannt, schätzte ihn hoch, ja er hatte seine astronomischen Entdeckungen vormals in schwungvollen Oden besungen. Ihm wurde die Widmung des Saggiatore angeboten und er nahm sie an. Im Oktober 1623 erschien der »Goldwäger« auf dem Büchermarkte. Er erregte schon durch die klassische Form, die ihn zu einem Meisterwerke italienischer Prosa stempelt, großes Aufsehen; aber auch wissenschaftlich interessante Einzelheiten bringt er in großer Zahl, zum Teil solche, die im Dialog zitiert und nochmals besprochen werden.80 Besondere Beachtung verdienen wiederholte Äußerungen über die Frage der Weltsysteme, die einer boshaften Provokation der Libra astronomica ihren Ursprung verdanken81 und die wiederum mit dem Indexdekret allenfalls vereinbar sind, nicht aber mit einem an Galilei ergangenen Sonderverbote. Namentlich wird an einer Stelle (Op. IV, 304) die von Kopernikus angenommene »dritte« Bewegung, die sogenannte Deklinationsbewegung, welche vielfach besonderen Anstoß erregt hatte, in ihrer Bedeutung klargelegt und durch Hinweis auf einen Versuch, ganz wie im Dialog82, erläutert. In der Einleitung finden sich scharfe Ausfälle gegen Scheiner, ohne dass dessen Name genannt würde; gerade um jene Zeit war derselbe aus Deutschland nach Rom gekommen und hatte dort wahrscheinlich sich als ersten Entdecker der Sonnenflecken geriert. Wie wütend die Jesuiten über das neu erschienene Werk Galileis waren, so sehr auch Grassi seinen Zorn zu verbergen suchte, geht namentlich daraus hervor, dass man trotz der Approbation durch die römische Zensur, trotz der Widmung an den Papst, das Buch zu denunzieren wagte, dass man darauf hinarbeitete, Galilei abermals in einen Inquisitionsprozess zu verwickeln und sein Buch verbieten zu lassen; diese Machinationen blieben indessen für jetzt erfolglos.

Das anstandslos dem Saggiatore erteilte Imprimatur und die freundliche Gesinnung des neuen Papstes, der als Freund und Beschützer von Künsten und Wissenschaften bekannt war, und der auch als Kardinal Galilei seine Gewogenheit mehrfach nicht nur mit Worten versichert, sondern auch durch die Tat bewiesen hatte, belebten dessen Hoffnungen. Er hatte schon einige Zeit vor der Neubesetzung des päpstlichen Stuhles an einer Erweiterung seiner Abhandlung über Ebbe und Flut gearbeitet.83 Da jetzt die Verhältnisse äußerst günstig zu liegen schienen, da Galileis Freunde Cesarini und Ciampoli, beide Mitglieder der Accademia dei Lincei, mit einflussreichen Stellungen am päpstlichen Hofe bedacht wurden, da ebenso Cesi, der Begründer und Leiter der Akademie, hoch in der Gunst Urbans stand, so konnte Galilei an die Fertigstellung seines immer wieder aufgeschobenen Werkes über die Weltsysteme denken. Es schien der Zeitpunkt gekommen, wo man versuchen durfte, das Verbot der kopernikanischen Lehre rückgängig zu machen; denn Urban war zwar nie ein Kopernikaner gewesen, billigte aber, wie aus späteren Äußerungen hervorgeht84, das Indexdekret keineswegs. Die Freunde bestürmten daher Galilei – und sie gossen damit nur Öl in das Feuer, das in ihm nie erloschen war – nach Rom zu kommen, um dem Papste persönlich seine Huldigung darzubringen und bei dieser Gelegenheit für die Aufhebung des Dekrets vom 5. März 1616 tätig zu sein. Galilei ging denn auch wirklich im April 1624 nach der ewigen Stadt, wurde vom Papste sehr freundlich empfangen, scheint aber nicht direkt mit demselben über Kopernikus und seine Sache verhandelt zu haben, sondern nur durch Vermittlung des Kardinals Hohenzollern. Ein sachliches Ergebnis erzielte er nicht, wenngleich ihm die Genugtuung wurde, in einem Breve des Papstes an den Großherzog – im Jahre 1621 war auf Cosimo II. der minderjährige Ferdinand II. gefolgt – sein Lob in überschwänglicher Weise erschallen zu hören.

Da eine Aufhebung des Verbots der Lehre von der Erdbewegung nicht zu erreichen war, so hatte sich Galilei von neuem die Frage vorzulegen, wie er über die Weltsysteme sich äußern könne, ohne wider das Dekret zu verstoßen. Noch während seines Aufenthaltes in Rom machte er einen Versuch in dieser Richtung. Es bot sich ihm dazu folgender Anlass. Im Jahre 1616 hatte Francesco Ingoli, Rechtsanwalt aus Ravenna, an Galilei, der damals in Rom weilte und für Kopernikus agitierte, eine Schrift in Briefform geschickt85, worin er unter Versicherung seiner Hochachtung für den Entdecker der Jupiterstrabanten die kopernikanische Lehre bekämpfte. Abgesehen von einigen plumpen, dem Verfasser speziell eigentümlichen Schnitzern enthielt die Broschüre nur die landläufigen, Ptolemäus und Tycho entlehnten Argumente. Galilei hatte damals entweder das Schreiben für unwert einer Antwort gehalten oder den Zeitpunkt für wenig geeignet geachtet: Kurz, er schwieg acht Jahre. Bei seiner diesmaligen Anwesenheit in Rom aber entschloss er sich, dem Verfasser, der inzwischen Sekretär der Congregation de propaganda fide geworden war, zu antworten, hauptsächlich wohl, wie gesagt, um sich einen modus scribendi zu eigen zu machen, wie er ihn in der Folgezeit brauchte, wenn er das lang geplante Werk über die Weltsysteme zur Ausführung bringen wollte. Dies Antwortschreiben, welches das Datum »Rom, im Frühjahr 1624« trägt, ist für uns insofern von Wichtigkeit, als es eine Vorstudie zum Dialoge bildete. Als Zweck seiner Erörterungen wird von Galilei dabei – in ähnlicher Weise wie in dem Briefe an den Erzherzog Leopold und wie später in der Vorrede zum Dialog – die Absicht angegeben, den ausländischen Ketzern zu zeigen, dass man die naturwissenschaftlichen Gründe zu Gunsten der kopernikanischen Lehre in Italien sehr wohl kenne, dass also das Indexdekret nur aus theologischen Gründen erlassen worden sei. Auch sonst finden wir hier vielfach dieselben Gedanken, zum Teil mit fast denselben Worten ausgedrückt, wie im Dialog. Andererseits kommt auch manches zur Sprache, was verwunderlicherweise und wohl nur aus Versehen in dem größeren Werke fehlt, wie die ptolemäischen Gründe für die zentrale Stellung der Erde im Weltall, über welche Galilei schon in dem Briefe an Mazzoni vom Jahre 1597, wiewohl von etwas anderen Gesichtspunkten aus, gehandelt hatte. Andere Erörterungen freilich hat Galilei im Dialog offenbar mit Absicht unterdrückt, weil sie sich gegen gar zu kindische Fehler Ingolis richten. So hatte dieser gemeint, dass die kleinere Parallaxe der Sonne, die größere des Mondes mit der kopernikanischen Lehre unvereinbar sei, weil ihr zufolge die Sonne als Weltzentrum vom Firmamente weiter abstehe als der Mond; je entfernter aber ein Himmelskörper vom Firmament sei, umso größer müsse seine Parallaxe ausfallen. Was die Übereinstimmungen zwischen dem Schreiben an Ingoli und dem Dialoge betrifft, so ist z. B. zu erwähnen, wie in beiden die Hinneigung des Verfassers zu der Annahme einer unendlich ausgedehnten Welt hervortritt86, jener gefährlichen von Giordano Bruno vertretenen Lehre, die Kopernikus selbst und ebenso Kepler nicht billigten. Ein anderer Punkt ist der Hinweis auf die ungeheure Überschätzung der scheinbaren Fixsterngröße, wie sie alle Astronomen, Tycho nicht ausgenommen, sich zuschulden hatten kommen lassen; eine falsche Grundlage, auf der ein ganzes Gebäude falscher Folgerungen errichtet worden war.87 Mit verdientem Spott überschüttet Galilei den häufig von seinen Gegnern ausgesprochenen Gedanken, dass nach kopernikanischer Lehre das Firmament unverhältnismäßig groß sei, dass bei einer solchen Entfernung desselben die Fixsterne nicht die Einwirkung auf die Erde üben könnten, die sie faktisch üben. Wie es Galileis durchweg festgehaltener Brauch ist, nur das Nächstliegende, das für den unmittelbaren Zweck Notwendige anzuführen, so spricht er auch hier nicht etwa den Zweifel aus – den er gewiss als berechtigt ansah –, ob die Einwirkung der Fixsterne auf die Erde überhaupt in etwas anderem bestehe als in der geringen Lichtwirkung; er weist vielmehr nur den logischen Fehler eines derartigen Raisonnements nach, er sagt: Um behaupten zu können, dass die kopernikanische Entfernung der Fixsterne zu groß sei, müsse man zuvor wissen, dass die tatsächlich geübte Wirkung nicht bei der kopernikanischen, sondern bei der ptolemäischen Entfernung zustande komme.88 Im Dialog wird das Argument Ingolis in ganz ähnlicher Weise abgetan, nur dass sich dort die Wiederlegung gegen Scheiner richtet, der schon vor Ingoli in seinen Disquisitiones mathematicae dieselbe Überlegung angestellt hatte.89 Ferner kommt, wie nicht anders zu erwarten, der senkrechte Fall als Scheinargument der Peripatetiker gegen Kopernikus zur Sprache, und wie im Dialog richtet Galilei seine Angriffe sowohl gegen die zu Grunde liegende falsche Logik, wie gegen die unrichtigen von den Gegnern angeführten Tatsachen.90 Dabei geschieht auch des oft zitierten Versuches Erwähnung, der nach Wohlwill91 vermutlich zuerst von Giordano Bruno erörtert wurde, nämlich des Fallversuchs mit einem Steine, der einmal auf ruhendem, einmal auf bewegtem Schiffe von der Mastspitze abgelassen wird. Die Aristoteliker versicherten, ohne den Versuch je ausgeführt zu haben, der Stein falle auf bewegtem Schiffe nicht am Fuße des Mastes nieder, sondern um ebenso viel davon entfernt, wie das Schiff während des Falles sich bewegt habe. Die Kopernikaner, welche meist auch den Versuch nicht anstellten, gaben in der Regel die Richtigkeit dieser Behauptung zu, leugneten aber, dass die »natürliche« Drehungsbewegung mit der »gewaltsamen« des Schiffes in Parallele gestellt werden dürfe. Galilei hält diese Verteidigung nicht etwa für gänzlich unrichtig, auch er hat die tausendjährige Unterscheidung von natürlichen und gewaltsamen Bewegungen nicht ganz verworfen; den Hauptnachdruck aber legt er auf die Unrichtigkeit der Tatsache, die er einerseits theoretisch mittels seines Beharrungsgesetzes, andererseits empirisch durch Hinweis auf den Ausfall des Versuchs widerlegt. Galilei sagt in dem Briefe an Ingoli bestimmt aus, dass er den Versuch ausgeführt habe und zwar mit dem Erfolge, wie er seiner vorher durch Vernunftschlüsse gewonnenen Überzeugung entsprach.92 Im Dialog ist die Darstellung so gehalten, dass man eher an die Nichtausführung des Experiments glauben möchte93; da uns Details der Ausführung nicht mitgeteilt werden, so scheint diese nicht eine sehr sorgfältige gewesen zu sein. – Fast wörtlich stimmen im Briefe an Ingoli und im Dialoge diejenigen Partien überein, welche die Bewegungserscheinungen unter Deck eines Schiffes schildern.94 – Ein weiteres, gänzlich verfehltes Argument Ingolis, das Galilei – aber wohl mit Unrecht – auch bei Tycho finden will95, bestand darin, dass infolge der jährlichen Erdbewegung die Polhöhe eines Ortes eine bedeutende Änderung erleiden müsse: Wenn schon die Bewegung auf der Erde um eine Strecke von 60 Miglien (= 1°) eine Veränderung der Polhöhe um 1° hervorrufe, was müsse da erst bei der so viel ausgiebigeren Bewegung der Erde im Weltenraum eintreten? – Dieser Unsinn findet sowohl im Dialoge wie im Briefe an Ingoli ausführliche Widerlegung.96 – Auch der im Saggiatore bereits erwähnte Versuch zur Klarstellung der sogenannten Deklinationsbewegung der Erdachse wiederholt sich hier und im Dialoge.97 – Die wahrscheinlich schon aus weit früherer Zeit98 stammenden Bemühungen Galileis, in Konkurrenz mit der aristotelischen Begründung einer einheitlichen Naturauffassung ein eigenes, recht seltsames System aufzustellen, wonach die geradlinige Bewegung aus der wohlgeordneten Welt verbannt wird, werden uns in dem Schreiben an Ingoli zum ersten Male vorgeführt; sie nehmen sich im Rahmen des Dialogs noch bizarrer aus als in einer Polemik gegen einen unwissenden Schwätzer.99 – Den Schluss des Briefes bildet der Hinweis auf die Tatsache, dass, abgesehen von Sonne und Erde, wo die Sache streitig ist, die nichtleuchtenden Weltkörper sämtlich Planeten sind, die leuchtenden Fixsterne, dass also auch wahrscheinlicherweise die Sonne zu diesen, die Erde zu jenen gehört.100

Der Brief an Ingoli wurde zwar bei Lebzeiten Galileis nicht gedruckt101, er gelangte jedoch zur Kenntnis kleinerer Kreise. Ciampoli las daraus dem Papste vor, dem Erzbischof Corsini von Bologna wurde ein Exemplar zugeschickt. Von einer weiteren Verbreitung sah man zum Teil auch deswegen ab, weil eine neue antikopernikanische Schrift in Aussicht stand, die, wie es hieß, auch gegen die galileische Abhandlung über Ebbe und Flut sich richten sollte. Es war ein ehemaliger Freund Galileis, der RitterS c i p i o n eC h i a r a m o n t i ,der gegen ihn zu Felde ziehen wollte. Sein Buch erschien jedoch erst 1628 und bekämpfte zwar die kopernikanische Lehre, aber ohne spezielle Beziehung auf Galilei und dessen Theorie von Ebbe und Flut.

Galilei hatte bald nach seiner Rückkehr von Rom nun ernstlich begonnen, das Werk über die Weltsysteme in die Form zu bringen, in der es späterhin vollendet wurde; sechs Jahre hatte er daran zu arbeiten. In welcher Weise er die kopernikanische Lehre vorzubringen habe, stand ihm nunmehr fest. Er wusste, dass dies nur in hypothetischer Form geschehen dürfe, und wiewohl es noch immer zweifelhaft sein konnte, was unter hypothetischer Form zu verstehen sei, so zog er doch aus der Aufnahme, die der Saggiatore und der Brief an Ingoli bei dem Papste und bei anderen maßgebenden Persönlichkeiten gefunden hatte, den Schluss, dass er die stärksten Gründe für die Wahrheit der kopernikanischen Lehre vortragen könne, wenn er nur nicht vergaß hinzuzufügen, dass diese Gründe durch die kirchliche Entscheidung ihren Wert einbüßten. Er stellte sich dabei keineswegs auf den Standpunkt derer, die zwar aufgrund der kopernikanischen Lehre eine einfachere Berechnung der scheinbaren Gestirnsbewegungen für möglich hielten, aber aus physikalischen oder sonstigen Gründen die Erdbewegung für absurd erklärten. Es ist ihm also nicht darum zu tun, dieser gemäßigten Ansicht Anhänger zuzuführen, in der Hoffnung etwa, dass damit wenigstens eine Zwischenstation zur Wahrheit erreicht sei, dass, mit anderen Worten, die Duldung gegenüber einer solchen hypothetischen Verwertung des Systems dessen Vorzüge im Laufe der Zeit in immer helleres Licht stellen und dass infolge davon der hypothetischen Anerkennung früher oder später die volle, ungeteilte folgen werde. Trotz aller Maskierung, welche eine äußerliche Unterwerfung unter die Kirche dokumentieren sollte, war es G. heiligster Ernst um die Erringung des vollen Siegerpreises. Mit feinster Ironie wendet er sich gegen die Leute des wissenschaftlichen Kompromisses, indem er den Spieß umdreht und umgekehrt von den Astronomen der alten Schule behauptet, es sei ihnen nur um irgendwelche Hypothese zu tun, aufgrund deren die Berechnung der scheinbaren Planetenbewegungen ermöglicht werde, während es ihnen gleichgültig sei, ob dabei nach anderen Seiten hin ungeheuerliche Annahmen mit unterliefen.102 Nichts musste den Lesern Galileis paradoxer erscheinen, als eine solche Auffassung. War man doch gewohnt, das genaue Gegenteil in unzähligen Schriften mit wenig Witz und viel Behagen vorgetragen zu hören. Aber je paradoxer Galileis Worte klangen, umso kräftiger musste die darin liegende Wahrheit agitatorisch wirken, nachdem sie einmal als solche erkannt war. Dass für ihn speziell ein Hinderungsgrund vorliege, sich über diese Fragen so auszulassen, wie es jeder andere Katholik durfte, daran dachte er nie im Entferntesten; und wäre dieser Gedanke in ihm aufgestiegen, so mussten seine Besorgnisse schwinden, wo er sich im Besitze des von Bellarmin ausgestellten Zeugnisses wusste. Nur in einer Beziehung ist die Stellung zu dem Indexdekrete gegenüber den seither verfassten Schriften eine etwas veränderte. Durchweg nämlich wird zwar auch im Dialog über die Weltsysteme die etwaige kirchliche Entscheidung als maßgebend anerkannt, aber sie wird – außer in der Vorrede – mehr als bevorstehend wie als wirklich ergangen hingestellt.103 Woraus Galilei die Berechtigung herleitet, so zu sprechen, ist schwer zu sagen. Man darf wohl annehmen, dass er, wie auch mancher moderne katholische Schriftsteller, der Ansicht war, es sei im Jahre 1616 nur das Buch des Kopernikus verurteilt worden, über die Zulässigkeit der Lehre selbst aber sei nichts entschieden worden. Indessen mag ihm auch als Rechtfertigung vorgeschwebt haben, dass der Dialog in der Zeit vor dem Indexdekrete spielt, wie daraus hervorgeht, dass einer der Interlokutoren, Salviati, schon vor Erlass desselben gestorben war. Freilich bindet sich Galilei in seinem Werke sonst durchaus nicht daran, nur solcher Tatsachen Erwähnung zu tun, die vor Salviatis Tode spielen. Immerhin mag er die dialogische Form des Werks und die Person des Vertreters der kopernikanischen Lehre mit aus diesem Grunde so gewählt haben, wie es tatsächlich geschah. Allem Anscheine nach hat sich Galilei zu der Gesprächsform erst nach seiner Rückkehr aus Rom entschlossen; wir finden sie zum ersten Male in einem Briefe vom 7. Dezember 1624 an Cesare Marsili in Bologna erwähnt.104 Welche Vorteile sie ihm bot, abgesehen davon, dass die kirchliche Entscheidung als noch nicht gefallen bezeichnet werden konnte, liegt auf der Hand. Der Autor selbst entzog sich, formell wenigstens, einigermaßen der Verantwortung für das, wozu die Personen seines Dramas sich bekennen; und wiewohl kein Leser zweifeln kann, dass in allen wesentlichen Stücken Salviati der Träger der vom Autor gebilligten Ansichten ist, so scheint Galilei doch an einigen Stellen, wo es sich um minder wichtige Fragen handelt, die Rolle des Belehrenden nur darum Sagredo zugewiesen zu haben, um die Fiktion zu unterstützen, dass er sich nicht ohne Weiteres mit Salviati identifiziere.105 Außer diesen in erster Linie maßgebenden Gründen bewogen auch ästhetische und didaktische Rücksichten Galilei zu der Wahl der Dialogform, die er schon in seinem Jugendwerke, den Sermones de motu gravium, angewendet hatte und von der er später auch in seinem wichtigsten Werke, den Discorsi, Gebrauch machte. Die treffliche Charakteristik, die psychologischen Feinheiten, die dramatische Kunst, welche mit höchster Spannung der Lösung eines Rätsels entgegensehen lässt, der kunstvoll geschlungene und dann entwirrte Knoten des Paradoxons, all das muss selbst das Interesse des stumpfsten Lesers erwecken, muss ihn durch die Form für den Inhalt gewinnen. Die platonische Lehre von dem unbewussten Wissen und der Wiedererinnerung, die Galilei mit besonderer Vorliebe erwähnt, beeinflusst seine Darstellung; er will nicht nur die erkannte Wahrheit überliefern, auch den psychologischen Vorgang bei dem Akte der Erkenntnis veranschaulicht er, er gibt uns ein literarisches Gegenstück zu der berühmten Mathematikergruppe der Raphaelischen »Schule von Athen«, welche malerisch die Stufen der Erkenntnis darstellt. – Die ganze Inszenierung, die an die platonischen Dialoge erinnert und erinnern will, legt ein rühmliches Zeugnis für die künstlerische Befähigung Galileis ab; auch hat er nicht geringen Wert auf die gewählte Einkleidung gelegt, wie er selbst in einem Briefe vom 24. Dezember an den Fürsten Cesi zu erkennen gibt106; und wenn er dabei die Absicht ausspricht, den Rat und die Hilfe der Freunde für diesen Zweck in Anspruch zu nehmen, so ist das als bloße Höflichkeitsformel aufzufassen; geht ja doch sein dramatisches Talent zur Genüge aus dem Lustspielentwurf hervor, den wir von ihm besitzen. – Der Schauplatz des Gespräches ist der am Canale Grande gelegene Palast Sagredos in Venedig; den im Dialog wiedergegebenen Erörterungen hat man sich andere als vorausliegend zu denken, die ihren Ausgang von der Besprechung des Gezeitenphänomens genommen haben. Ein bestimmter Zeitpunkt, in dem die Unterredungen stattfänden, ist nicht fingiert, wie denn z. B. das oben erwähnte Buch Chiaramontis kritisiert wird, obgleich es 14 Jahre nach dem Tode Salviatis erschien.

Was die Personen unseres didaktischen Dramas betrifft, so sindS a l v i a t iundS a g r e d ohistorische Figuren, deren äußere Lebensverhältnisse im Allgemeinen derW i r k l i c h k e i tentsprechend geschildert sind; ihr Andenken ist durch den Dialog und die Discorsi unvergänglich geworden. Filippo Salviati wurde geboren am 28. Januar 1583; er ging aus einer der zahlreichen florentinischen Kaufmannsfamilien hervor, welche es zur Zeit der Republik zu hohem Reichtum und Ansehen gebracht hatten; Vater, Großvater und Urgroßvater hatten Senatorenrang. Mit Galilei wurde Filippo wahrscheinlich in Padua bekannt, wo er dessen Unterricht genoss. Seine Verehrung für den großen Landsmann bewog ihn, nachdem Galilei Padua verlassen und sich wieder in seiner Heimat angesiedelt hatte, diesem seine in der Nähe von Florenz gelegene Villa delle Selve zum Wohnsitz anzubieten. Galilei machte in der Tat von diesem Anerbieten seit Anfang des Jahres 1611 oftmals Gebrauch; viele seiner Beobachtungen mag er auf der Kuppel des wundervoll gelegenen Landhauses, die einen Ausblick bis in die karrarischen Berge bietet, gemeinsam mit dem Freunde angestellt haben. Im Jahre 1612 wurde Salviati, jedenfalls auf Fürsprache Galileis hin, zum Mitglied der Accademia dei Lincei ernannt. Doch im folgenden Jahre schon musste er infolge eines Etikettenstreites mit einem Angehörigen der Medicäerfamilie die Heimat verlassen107 und fand in Barcelona am 22. März 1614 einen frühzeitigen, von Galilei tiefbeklagten Tod. Im Dialog schildert Galilei in der Person Salviatis wohl mehr sich selbst als seinen Freund; nur wo es sich um besonders wichtige Entdeckungen handelt, wird zur Vermeidung jedweden Missverständnisses zwischen Salviati und dem »Akademiker« unterschieden; unter letzterem ist dann eben Galilei selbst verstanden.

G i o v a nF r a n c e s c oS a g r e d owurde am 19. Juni 1571 in Venedig geboren als Sohn des hochangesehenen Patriziers Nicolò Sagredo, der sich vielfach im Dienste der Republik auszeichnete. Francesco war seit 1597 oder 1598 gleichfalls Schüler Galileis in Padua.108 Trotz seines lebhaften Interesses für die Naturwissenschaften und die Mathematik und trotz mancher bemerkenswerten Leistungen auf diesen Gebieten wollte er nicht als Gelehrter gelten; sein ausgeprägtes Standesbewusstsein wies ihm seine Laufbahn an, die nur den Staatsgeschäften der Republik gewidmet sein konnte. Seine schnelle Fassungsgabe, sein gesundes Urteil, sein feines Verständnis befähigten ihn, über wissenschaftliche wie praktische Fragen sich eine bestimmte Ansicht zu bilden; Autoritäten vermochten nicht ihn einzuschüchtern, auch Galilei gegenüber hielt er gelegentlich an seiner Meinung fest, und nicht immer war das Unrecht auf seiner Seite. In allen Lebenslagen bewährt er sich als teilnehmendster Freund Galileis, er hilft ihm aus finanziellen Verlegenheiten, er lädt ihn zur Teilnahme an Erholungsreisen ein, er bietet seinen Einfluss auf, um bei den »Reformatoren« der Universität Padua eine Gehaltserhöhung seines Lehrers und Freundes durchzusetzen, er gibt ihm hygienische Ratschläge und sucht ihn zu seiner Lebensführung zu bekehren, welche die eines geistreichen Weltmannes war. Im Jahre 1609 ging Sagredo als Konsul der venezianischen Republik nach Aleppo in Syrien, wo er bis 1611 verweilte. Er war also während der Übersiedlung Galileis nach Florenz abwesend; zweifellos würde er ihm aufs Entschiedenste widerraten haben, Padua zu verlassen, wie er denn ganz bestürzt war, als er bei seiner Rückkehr von dem Geschehenen Kenntnis erhielt. Am 1. März 1620 starb er, eine der liebenswürdigsten und charakteristischsten Erscheinungen aus Galileis Bekanntenkreis. – Im Dialog steht Sagredo zwischen den Fachmännern Salviati und Simplicio als der gebildete Laie; er ist günstig prädisponiert für die neuen Lehren, und wenn er durch die gepflogenen Erörterungen erst völlig für sie gewonnen ist, so kennt sein Enthusiasmus keine Grenzen. Er rekapituliert öfters die schwerer verständlichen Argumente, um sie in populärere Form zu bringen, greift übrigens auch häufig mit eigenen Gedanken in die Debatte ein; namentlich werden ihm diejenigen Einfälle in den Mund gelegt, für die der Autor nicht die volle Verantwortung übernehmen mag, die er aber doch für bedeutend genug hält, um sie nicht verloren gehen zu lassen.

Die dritte im Dialoge auftretende Person,S i m p l i c i o ,ist der Repräsentant der konservativen, autoritätengläubigen Wissenschaft, der Büchergelehrsamkeit. Der Name spielt einerseits auf die Einfalt des guten Mannes an, andererseits ist er in Erinnerung an den bekannten, dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert angehörigen Kommentator der aristotelischen Schriften gewählt. Dass in ihm eine bestimmte Person porträtiert wird, ist nicht wahrscheinlich. Es werden wohl Züge verschiedener Peripatetiker zu dieser typischen Figur, einem köstlichen Gegenstücke des goetheschen Wagner, verschmolzen worden sein. Dass Simplicio nicht etwa, wie Galileis Gegner vorgaben, Papst Urban VIII. sein solle, wenngleich Galilei notgedrungen ihm auch dasjenige Argument in den Mund legte, welches Urban mit Vorliebe anzuwenden pflegte, bedarf kaum der Widerlegung. Abgesehen davon, dass der Papst im Übrigen durchaus nicht den Standpunkt Simplicios teilte, würde man Galilei wahrlich eine arge Torheit zumuten, wenn man glauben wollte, er habe zu den ohnehin schon zahlreichen äußeren Schwierigkeiten sich mutwillig eine weitere in den Weg gelegt. Simplicio sollte eben alle Gründe der Antikopernikaner ins Gefecht führen, und so musste ihm auch das Argument des Papstes in den Mund gelegt werden. – Die Charakteristik Simplicios im Dialog zeugt von dem wahrhaft genialen dichterischen Vermögen Galileis. S. ist ein Büchermensch ohne Falsch und Tücke, der hierdurch gegen viele seiner realen Gesinnungsgenossen vorteilhaft absticht. Zwar zeigt er hie und da Spuren von Eigensinn und rechthaberischem Wesen, gibt sich aber doch alle erdenkliche Mühe, so sauer es ihm wird, für den Standpunkt seines mit so fremdartigen Mitteln operierenden Gegners Verständnis zu gewinnen. Die neuen Lehren hält er anfänglich für ein unheilvolles, auf die Untergrabung aller Wissenschaft gerichtetes Unterfangen; doch aber möchte er sie kennen lernen, schon um darüber mitsprechen zu können. Schließlich aber kann er sich dem starken Eindruck, den sie auf ihn machen, kaum entziehen, und selbst seine Nachtruhe leidet darunter. Die Hoffnung aber, dass alles doch noch beim Alten bleiben könne, verlässt ihn bis zuletzt nicht und gewährt ihm Trost.

Welches ist nun die eigentliche Absicht, die Galilei mit dem Dialog zu verwirklichen versuchte? Mancher moderne, vielleicht auch mancher zeitgenössische Leser mag von einem Werke, das über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme zu handeln versprach, ganz etwas anderes erwartet haben, als er tatsächlich vorfindet. Vor allem scheint der Titel einerseits eine ins Detail gehende Auseinandersetzung über die Erklärung der astronomischen Erscheinungen durch die komplizierte Epizykeltheorie des Ptolemäus und seiner Nachfolger zu versprechen, andererseits hofft man im Gegensatze dazu die vereinfachenden, aber noch immer nicht ganz einfachen Annahmen des Kopernikus in ähnlicher Durchführung wie in dessen klassischem Werke, nur vielleicht in anmutigerer Form erörtert zu finden. Man vermutet wohl auch eine lichtvolle Auseinandersetzung über die in den Jahren 1609 und 1619 veröffentlichten keplerschen Gesetze, welche die noch übrig bleibende Komplikation des kopernikanischen Systems auf bewundernswerte Weise beseitigten: Aber von alle dem findet sich im Dialog kaum eine Andeutung. Man kann das Werk gelesen haben und dabei zu der Meinung gelangt sein, Kopernikus lasse die Planeten in exakten Kreisen wandeln, deren Mittelpunkt die Sonne sei, und man kann glauben, dass der Autor diese Ansicht billige. In dieser Beziehung führt das Buch den unvorbereiteten Leser geradezu irre, sodass man nicht umhin kann, darin einen bedeutenden Fehler desselben zu sehen. Ob der ursprüngliche Plan des Werkes de systemate mundi diesen Fehler nicht vielleicht ausgeschlossen hätte, steht dahin.

Die Erklärung dieser anfänglich sehr befremdenden Erscheinung ist nicht schwer zu geben. Galilei wollte kein astronomisches Lehrbuch schreiben, keine Anleitung zur Berechnung der Planetenbahnen geben, er wollte nur eines: die mehr oder weniger törichten Vorurteile gegen jede Erdbewegung ihres Scheines entkleiden, mochten diese nun im Kreise von Dilettanten oder Gelehrten, von Philosophen oder Astronomen herrschend sein. Von allen diesen Vorurteilen waren es nun aber die physikalischen Einwände fast ausschließlich, welche ernsthafte wissenschaftliche Widerlegung erforderten. Daher interessiert die physikalische Seite des kopernikanischen Systems Galilei vorwiegend, und die Partien des Dialogs, die sich mit dieser beschäftigen, sind bei Weitem die wertvollsten. Wäre ihm der Titel nicht aufgenötigt worden, so würde dieser die Absicht des Buches deutlicher kundgegeben haben. Den physikalischen Beweis für die Erdbewegung wollte G. erbringen und zwar in so gemeinverständlicher Weise, als nur eben angängig war, er wollte diese als Extravaganz verschrieene Lehre popularisieren und gleichzeitig eine Vorstellung von dem geben, was er für die wahre Methode der Naturforschung erkannt hatte. Die Form der Darstellung ist darauf berechnet, einen möglichst großen Leserkreis zu gewinnen, aber freilich war zu jener Zeit nicht daran zu denken, breiten Volksmassen derlei Dinge zugänglich zu machen. Es konnte sich nur um die verhältnismäßig kleine Schar der Gebildeten handeln, obgleich auch diese, damals wie allezeit, zähe an den von Jugend auf eingeimpften Vorurteilen hingen, und man auch ihnen die plumpsten logischen Schnitzer, die gröbste Unkenntnis der Tatsachen zutrauen durfte. – Ob in Einzelheiten Kopernikus nicht vielleicht geirrt habe, erörtert Galilei im Dialoge nicht. Wie er über gegnerische Argumente dachte, die von dieser Seite her Kopernikus angriffen, erfahren wir z. B. aus dem Briefe an Ingoli: Er vergleicht dort den Antikopernikaner, welcher solche Gründe anführt, mit dem Manne, der ein schönes neuerbautes Haus niederreißen will, weil der Ofen raucht. Alle quantitativen Bewegungsverhältnisse der Himmelskörper werden demgemäß im Dialog nur flüchtig besprochen; bloß in den großen Grundzügen werden die beiden einander gegenüberstehenden Systeme charakterisiert. Eine solche Beschränkung der Aufgabe ist an und für sich vollkommen berechtigt; aber man erwartet von Anfang an einen nachdrücklichen Hinweis darauf, dass die tatsächlichen Vorgänge viel verwickelter sind, als das im Dialoge gegebene Schema der kopernikanischen Lehre andeutet. Dieser Hinweis fehlt, erst am vierten Tage des Dialogs findet sich eine beiläufige Andeutung von einer möglicherweise vorhandenen Ungleichmäßigkeit der Erdbewegung.109 Von Keplers Riesenarbeiten ist keine Rede, seinen Namen nennt zwar Galilei einige Male, einmal aus ziemlich geringfügigem Anlass bei einer Polemik gegen Chiaramonti, ein anderes Mal, um ihm eine milde, aber unberechtigte Rüge wegen seiner Ansichten über die Anziehung des Mondes zu erteilen.110 Ja es scheint, dass Galilei die Hauptwerke Keplers, die Astronomia nova seu de motibus stellae Martis und die Harmonice mundi nie gelesen hat; wenigstens spricht er nirgends, weder im Dialog noch sonst wo, von den mühevollen und großartigen Entdeckungen unseres Landsmannes, und wiewohl er seinen Namen mit Achtung nennt – wenigstens in den für die Öffentlichkeit bestimmten Schriften, nicht stets in seinen Briefen – so hat er doch die ganze Geistesgröße des Mannes nicht anerkannt, der unzweifelhaft als Astronom, wenngleich nicht als Physiker und als Reformator der herrschenden Weltanschauung, den Vorrang vor dem großen toskanischen Philosophen hat.

Die Aufgabe, die sich Galilei stellte, bestand also darin, die Lehre von der Erdbewegung auf ihre Wahrheit hin zu prüfen; dass sie die scheinbaren Bewegungen der Himmelskörper im Allgemeinen hinreichend zu erklären vermöge, stand bei den einsichtigeren antikopernikanischen Astronomen, wie Magini und anderen, im Großen und Ganzen fest. Diese Seite der Frage erfährt daher keine sehr ausführliche Besprechung. Anders verhielt es sich mit den physikalischen Tatsachen, denen gegenüber das kopernikanische System allerdings absurd erscheinen musste, solange das Beharrungsgesetz nicht bekannt war; und anders stand es auch mit dem Verhältnis jener Lehre zu den herrschenden naturphilosophischen Anschauungen, die von Aristoteles ererbt und durch jahrhundertelange Geistesarbeit assimiliert, mit einer heutzutage fast unvorstellbaren Allgewalt die Geister beherrschten. Ein großer Teil der Anziehungskraft, die der Dialog noch heute unvermindert auf den Leser übt, beruht gerade darauf, dass er uns die Macht der überkommenen Lehren in anschaulichster Weise schildert, indem er ihnen zugleich einen tödlichen Schlag versetzt. Alle die Männer, die vor Galilei im 16. Jahrhundert Aristoteles bekämpften, stehen doch noch immer im Banne seiner Formeln. Was wollte die Losbröckelung einzelner Bausteine besagen? Was war es, wenn Cardanus einzelnen Punkten der aristotelischen Lehre von den Elementen seine Anerkennung versagt, oder wenn Tycho de Brahe die Realität der Himmelssphären bestreitet, wobei dahingestellt bleiben mag, inwieweit Aristoteles für diese ihm zugeschriebene Ansicht verantwortlich ist? Trotz der geharnischten Worte, die dabei gegen Aristoteles fallen, fanden die Denkmittel, die Forschungsmethode und überwiegend auch die positiven Ergebnisse seiner Philosophie bei diesen sich selbst sehr kühn erscheinenden Neuerern keinen Widerspruch. Aber an die Wurzel des scheinbar noch immer so triebkräftigen Baumes der peripatetischen Wissenschaft legte in wirksamer Weise zuerst Galilei die Axt.

Die neue Philosophie lehrte, die Erde sei ein Stern wie andere Sterne, die Sterne seien Erden wie unsere Erde. Gegen diese Erkenntnis sträubte sich die herrschende Schule, und dieser Satz war es auch im Grunde, gegen den die Kirche sich wehrte. Bisher galten die Himmelskörper als ewig unveränderlich, als unvergleichlich erhaben über die schmutzige Hefe des Weltalls, die Erde. Man sah in ihnen, wenn auch nicht mehr Götter, so doch englische Intelligenzen (intelligentiae assistentes oder informantes), und doch ließ man sie um die Erde kreisen, und doch sollten sie geschaffen sein, um dieser zu dienen. Von diesen teleologischen und anthropozentrischen Anschauungen die Geister zu befreien, zu lehren, dass die Himmelskörper zwar nicht wesensgleich, aber doch vergleichbar mit der Erde sind, war der erste Schritt zu der gefährlichen Erkenntnis – und dies fühlten die konservativen Mächte instinktiv heraus –, dass auch der Mensch nicht um irgendwelcher Gespenster willen, dass keine Gespenster um seinetwillen tätig sind, dass er seine eigenen Bahnen zu wandeln hat, wie sie seiner Natur gemäß sind.

Mit der Widerlegung der aristotelischen und sonstigen Beweise für die grundverschiedene Natur von Himmel und Erde und mit den Argumenten für die Verwandtschaft zwischen beiden beschäftigt sich der erste Tag des Dialogs. – Die Vereinbarkeit der alltäglichen Bewegungserscheinungen auf der Erde mit deren Achsendrehung bildet der Hauptsache nach den Inhalt des zweiten Tages. Hier sowohl wie in den Gesprächen des ersten Tags wird die Bewegungslehre des Aristoteles, die das Fundament für seine ganze Naturphilosophie bildet, einer eingehenden Kritik unterworfen. Hier finden sich jene Stellen über die Wirksamkeit der Beharrung, die bei den Zeitgenossen so großes Aufsehen erregten. Die allgemeine Erkenntnis freilich ist in ihnen, wie früher bemerkt, noch nicht enthalten. – Das dritte Buch handelt von der Bewegung der Erde um die Sonne, enthält aber auch einen langen Abschnitt über den im Jahre 1572 neu erschienenen Stern in der Cassiopeja, worin gegen Chiaramonti bewiesen werden soll, dass auch der Himmel Veränderungen unterworfen ist. Er würde also im Grunde besser in den Rahmen des ersten Tages sich gefügt haben. – Der vierte Tag endlich behandelt das Problem, das den Ausgangspunkt der Gespräche gebildet hat, die Frage, wie mit Hilfe der Erdbewegung die Gezeiten zu erklären seien. – Auf die vielen episodischen, zum Teil höchst bedeutsamen Erörterungen hier einzugehen, dürfte umso weniger nötig sein, als in den Anmerkungen sich hinreichend Gelegenheit dazu bietet. Dass zahlreiche Irrtümer bei diesen Erörterungen unterlaufen, wird niemand auffällig finden, der Schriften aus der vorgalileischen Zeit kennt; bei Leonardo da Vinci, bei Tartaglia, bei Nicolas Cusanus, bei Giambattista Porta u. a., in geringerem Grade auch bei Benedetti, heißt es mühsam das Körnchen Wahrheit aus der Spreu des Irrtums herauslesen, bei Galilei berührt der Irrtum unangenehmer, weil die Wahrheit überwiegt.

Der Dialog ist großenteils entstanden aus der Umarbeitung und Verwebung einzelner vorrätig gewesener Stücke. Wie man sich diese Umarbeitung zu denken habe, geht am deutlichsten hervor aus der Vergleichung der entsprechenden Partien des Dialogs mit dem Briefe an Ingoli und mit dem im Jahre 1616 an Orsini gerichteten Discorso sopra il flusso e reflusso del mare. Es rühren daher manche Unebenheiten der Komposition: So sind z. B. die Abschnitte p. 335 f. und 348 ff. zwei verschiedene Bearbeitungen desselben Gegenstandes, deren jede für sich berechtigt wäre, die aber als Teile eines und desselben Ganzen im Widerspruch miteinander stehen. Denn nachdem in der ersteren Partie schon der bedeutende Wechsel in der scheinbaren Größe des Mars und der Venus, sowie die Phasenänderung der Venus gelehrt worden ist und zwar in der Weise, dass gerade aufgrund dieser Tatsachen eine Skizze des kopernikanischen Systems konstruiert wird, hebt die zweite Partie damit an, dass als Haupteinwand gegen das System das scheinbare Fehlen dieser Erscheinungen bezeichnet wird. Dieser Widerspruch tritt in den modernen Ausgaben des Dialogs noch nicht einmal so grell hervor wie in der editio princeps, weil in jenen zwischen den genannten Abschnitten ein nachträgliches Einschiebsel Galileis aus dem paduanischen Exemplar (siehe p. 102 f.) untergebracht ist. Es scheint sogar, dass Galilei diesen Zusatz später hauptsächlich darum an jener Stelle einschaltete, um die inkonzinne Darstellung einigermaßen zu verdecken. – Auch sonst findet sich im Dialog mehrfach ein und dieselbe Sache an verschiedenen Stellen besprochen, ohne dass an der späteren Stelle auf die frühere Bezug genommen würde; oder es wird diese Beziehung auf ganz äußerliche Weise dadurch hergestellt, dass es am Schlusse heißt, man erinnere sich, darüber schon einmal diskutiert zu haben. Bisweilen hat Galilei Ausarbeitungen, die er seit Langem fertig liegen hatte, an deren völlige Richtigkeit er aber nicht mehr glaubte, gleichwohl dem Dialoge einverleibt; mit ein paar der letzten Redaktion angehörigen Worten wird dann gewissermaßen ein Strich durch die unmittelbar zuvor gepflogenen Erörterungen gemacht. Dahin gehört z. B., was über die angebliche Praxis und Theorie des Schießens der Vögel im Fluge (p. 283) mitgeteilt wird. Dahin gehört auch die noch weit auffälligere Verteidigung eines Satzes, der aus früher Zeit stammend Galilei so wohl gefallen haben muss, dass er ihn trotz nunmehriger besserer Erkenntnis nicht unterdrücken mag und ihn noch immer als wahrscheinlich hinstellt. Es ist der Satz, dass ein auf der rotierenden Erde fallender Körper sich, absolut genommen, möglicherweise in einer Kreisbahn bewege.111

Aus welcher Zeit die verschiedenen Partien des Dialogs stammen, wird sich im Einzelnen schwerlich ermitteln lassen, wenn auch manches mit Gewissheit, manches vermutungsweise darüber angegeben werden kann. So scheint der Schluss des dritten Tages, der von dem Magnetismus handelt, im Jahre 1626 geschrieben zu sein, da Galilei damals sich wieder mit diesem Gegenstande zu beschäftigen begann.112 – Die auf Cesare Marsili bezügliche Stelle am Ende des ganzen Werks wurde noch 1631 hinzugefügt, als schon sechs Bogen des Buches gedruckt waren. Ferner muss der erste Tag vor der Veröffentlichung des chiaramontischen Werkes De tribus novis stellis, also vor dem Jahre 1628, geschrieben worden sein, da Galilei dort von demselben keine Kenntnis verrät. Es ist sogar auffallend, dass er den p. 158 f. ausgesprochenen Tadel, Ch. habe im Antitycho den neuen Sternen nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, bei einer späteren Revision nicht zurücknahm, nachdem Ch. ein umfangreiches Buch über den Gegenstand verfasst hatte. Die sehr ausführliche Kritik dieses späteren Werkes ist im zweiten und dritten Buche des Dialogs enthalten. Obgleich Galilei, wie es scheint, den auf die kopernikanische Lehre bezüglichen Teil des liber de tribus novis stellis schon im Jahre 1626 vor dem Erscheinen des Buchs kannte113, so wird doch die Polemik dagegen am Schlusse des zweiten Tages erst nach der Veröffentlichung des Buches verfasst worden sein. Mit Gewissheit ist dies anzunehmen von der Widerlegung der chiaramontischen Rechnungen bezüglich des neuen Sternes von 1572, mit der die Erörterungen des dritten Tages anheben. – Bei diesem Anlass sei es gestattet, über das Verhältnis von Ch. zu G. einiges mitzuteilen. Der Cavaliere Scipione Chiaramonti aus Cesena war mit Galilei seit 1592 bekannt, stand aber lange Zeit außer Verbindung mit ihm. Im Jahre 1613, als es sich um den Ankauf einer künstlichen Uhr für den Großherzog handelte, fand wieder eine Annäherung statt; Galilei gab bei dieser Gelegenheit den Rat, das Gutachten des von ihm mit warmen Worten empfohlenen Ch. einzuholen, den er als verständigen Mathematiker kennen gelernt habe und der Gelegenheit hätte, die Uhr in Cesena zu besichtigen.114 Dieser dankte für Galileis Freundlichkeit in überschwänglichen Worten, es war eben damals noch nicht kompromittierend, mit Galilei auf gutem Fuße zu stehen. Chiaramonti nämlich war einer jener geschmeidigen, talentvollen Männer, die sich für eine Sache nicht um der Sache willen erwärmen und denen der Gedanke ferne liegt, dass es um eine mühsam erworbene, festbegründete Überzeugung doch ein schönes Ding sei. Das orthodoxe Peripatetikertum war nun einmal der angemessene Standpunkt für den Professor in Perugia – diese Stellung bekleidete damals Chiaramonti – und da er auch weiterhin Karriere zu machen gedachte, so galt es selbstverständlich in seinen Augen als ein verdienstliches Werk, gegen alle Neuerer zu Felde zu ziehen. Als ersten ersah er sich Tycho de Brahe aus, welcher im Widerspruch mit Aristoteles behauptet hatte, die Kometen und der neue Stern von 1572 gehörten nicht der elementaren, sondern der Himmelsregion an. So entstand der Antitycho, der im Jahre 1621 erschien, und der es sich zur Aufgabe machte, die sublunare Natur der Kometen zu erweisen. In dieser Frage stand Ch. in keinem Gegensatze zu Galilei. Dieser nämlich beurteilte ungerechterweise Tycho ebenfalls sehr ungünstig und nahm in der Kometenfrage einen Standpunkt ein, der sich mit dem Chiaramontis vereinigen ließ; ja G. spricht noch im Saggiatore115 von dem Antitycho mit lobenden Worten. Wohl aber nahm er Anstoß an der weitergehenden Absicht seines ehemaligen Freundes, die modernen Lehren von der Veränderlichkeit des Himmels überhaupt als unbegründet zu erweisen und zu zeigen, dass auch die neuen Sterne von 1572, 1600 und 1604 mit den peripatetischen Lehren in keinem Widerspruch stünden. Durch den Antitycho geriet Ch. zunächst in eine heftige literarische Fehde mit Kepler, der sich in seinem 1625 veröffentlichten Tychonis Brahei Dani Hyperaspiste seines verstorbenen Lehrers Tycho aufs Ritterlichste annahm und in einem Anhang auch gegen Galileis Saggiatore einige nicht sehr wesentliche, sachlich wohlbegründete, in der Form überaus freundliche Einwendungen machte. Chiaramonti antwortete in seiner Apologia Sc. Claramontii pro Antitychone suo adversus Hyperaspistem Io. Kepler (Ven. 1626). Galilei hatte die Absicht, auf jenen Anhang im Dialog zu erwidern; es unterblieb dies aber, einmal wohl, weil es sich um ziemlich unwichtige Dinge handelte, sodann weil trotz der gegenteiligen Äußerung Galileis116 wenig darauf zu erwidern war. Hatte Chiaramonti im Antitycho die Frage der neuen Sterne nur gestreift, so wollte er nun darüber ex professo handeln, und damit auch das berühmteste Werk Tychos, die Progymnasmata, worin der neue Stern von 1572 in Verbindung mit vielen anderen wichtigen astronomischen Fragen ausführlich besprochen wird, vernichten; zugleich bot sich ihm willkommener Anlass, noch einmal gegen Kepler zu polemisieren, denn dieser hatte in seiner Schrift De stella nova in pede Sagittarii über den neuen Stern von 1604 ganz ähnliche Ansichten aufgestellt, wie Tycho über den von 1572 in den Progymnasmata. Das Buch Chiaramontis ist das mehrfach erwähnte, dessen vollständiger Titel lautet: De Tribus Novis Stellis Quae Annis 1572. 1600. 1604 Comparuere Libri Tres Scipionis Claramontii Caesenatis In quibus demonstratur rationibus, ex Parallaxi praesertim ductis Stellas eas fuisse Sublunares, et non Caelestes Adversus Tychonem, Gemmam, Maestlinum, Digesseum, Hagecium, Santucium, Keplerum, aliosque plures Quorum Rationes in Contrarium adductae solvuntur. Illustriss. Ac Reverendiss. Francisco Card. Barberino. Caesenae: Apud Iosephum Nerium Impress. Cameralem 1628. Darin sollte die sublunarische Natur der neuen Sterne, wie im Antitycho die der Kometen, erwiesen und nebenbei in einem besonderen Kapitel die kopernikanische Lehre widerlegt werden. Wie früher angegeben, hatte Galilei das Manuskript des auf die kopernikanische Lehre bezüglichen Teiles schon 1626, also zwei Jahre vor dem Erscheinen des Buches, in Händen gehabt, sodass also der Schluss des zweiten Tages des Dialogs, der sich mit diesem Teile beschäftigt, kurz darauf entstanden sein könnte. Da aber der übrige Teil des chiaramontischen Buchs erst während des Drucks Galilei bekannt wurde, so ist die Kritik desselben zu Beginn des dritten Tags jedenfalls nicht vor 1628 verfasst, wie übrigens auch aus einem Brief Castellis vom 5. August 1628 hervorgeht.117 Im gleichen Jahre, wo das Buch von den neuen Sternen erschien, avancierte sein Verfasser zum Professor in Pisa, ein Beweis von der Stärke der gegen Galilei in seiner eigenen Vaterstadt gerichteten Strömung.

Auch die im Dialog enthaltene Polemik gegen Scheiners Disquisitiones scheint erst spät, wahrscheinlich im Jahre 1629 niedergeschrieben worden zu sein. Denn ohne besonderen Anlass würde G. dem herzlich unbedeutenden Büchlein, das schon 1614 erschienen war und keineswegs großes Aufsehen erregt hatte, schwerlich solche Aufmerksamkeit gewidmet haben. Ein solcher Anlass lag aber für ihn doch wohl erst vor, als er im Jahre 1629 hörte, dass Scheiner ein großes Werk über die Sonnenflecken, die Rosa Ursina, drucken lasse.118 Es steht zwar nicht fest, wieviel Galilei von dem polemischen und sachlichen Inhalt der Rosa vor ihrem Erscheinen wusste, aber dass Angriffe gegen ihn und gegen seine Prioritätsansprüche auf die Sonnenfleckenentdeckung zu erwarten waren, konnte nicht zweifelhaft sein. So versuchte denn Galilei dem Gegner im Dialog zuvorzukommen und dazu bot sich kein besserer Anlass als eine Besprechung des Werkchens, das u. a. auch die kopernikanische Lehre bekämpfte. Eine Anspielung auf die 1630 vollendete Rosa Ursina findet sich hingegen nicht im Dialog. Da nun Galilei, wäre ihm Scheiners Werk bekannt gewesen, den triftigsten Grund gehabt hätte, auf den von ihm vorausgesagten Umschwung in den Ansichten Scheiners, der zwar teilweise schon in den letzten Briefen an Welser, mit voller Deutlichkeit aber erst in der Rosa sich dokumentiert, triumphierend hinzuweisen, so haben wir anzunehmen, dass der 1632 veröffentlichte, aber schon im Mai 1630 druckfertig gewordene Dialog an den auf Sch. bezüglichen Stellen seit 1630 keine Änderung mehr erfuhr. Das Erscheinen der Rosa Ursina rechtfertigte die Erwartungen Galileis und seiner Freunde; sie brachte wirklich eine äußerst erbitterte Polemik, deren Ausgangspunkt die Stelle in der Einleitung des Saggiatore bildet119, wo sich Galilei beklagt hatte, dass ihm andere den Ruhm der Sonnenfleckenentdeckung streitig machten. Ein ganzes äußerst weitschweifiges und langweiliges Buch des dickleibigen Folianten ist mit dieser Polemik angefüllt. Was die Prioritätsfrage betrifft, so sind Scheiners Ansprüche Galilei gegenüber, wie oben bemerkt, zwar nicht berechtigt, sie können aber, obgleich dies nicht wahrscheinlich ist, bona fide erhoben sein; in der Veröffentlichung durch den Druck ist ja Sch. unzweifelhaft Galilei zuvorgekommen, während Fabricius ihnen beiden voranging. Hingegen spricht Sch. nirgends davon, dass seine seit 1612 völlig veränderten Anschauungen über die Natur der Sonnenflecken nur durch die Auseinandersetzungen Galileis in den Lettere intorno alle macchie solari veranlasst sind, und dieses Schweigen ist es, was auch die Aufrichtigkeit seiner übrigen, zum Teil unkontrollierbaren Behauptungen verdächtig erscheinen lässt. Andererseits ist aber in der Rosa viel sachlich Neues und Richtiges enthalten, vor allem die genauere Festlegung des Sonnenäquators und die damit zusammenhängende Erkenntnis von der periodischen Formveränderung der scheinbaren Fleckenbahnen; aber auch sonst eine Menge auf die Flecken bezüglichen dankenswertesten Details, das zum Teil in unserer Zeit neu entdeckt werden musste, da es in Vergessenheit geraten war. Nun findet sich auch im Dialog, der zwei Jahre nach der Rosa erschien, die Neigung der Sonnenachse gegen die Ekliptik nebst den daraus fließenden Folgerungen erörtert120, und zwar in einer Weise, die offenbar dartun soll, Galilei habe schon vor 1614 von dieser Tatsache Kenntnis gehabt. Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Darstellung sehr auffällig ist121 und mindestens den Schein gegen sich hatte. Die Empfindungen Scheiners, als ihm der Dialog zuerst zu Gesichte kam, sind daher nicht ganz unerklärlich: Die vernichtende Kritik der Disquisitiones und gleichzeitig der scheinbare Raub an der Rosa versetzten ihn und das ganze jesuitische Lager in grenzenlose Wut, die nur umso gefährlicher war, weil sie sich zunächst nicht literarisch austobte.

Das Erscheinen des Dialogs schob sich infolge einer Menge von äußeren Schwierigkeiten lange hinaus. Am 24. Dezember 1629 hatte Galilei an Cesi geschrieben, er sei im Wesentlichen fertig, er habe fast nur noch die Verbindungsglieder zwischen die einzelnen Erörterungen einzuschieben und die Einleitung abzufassen. Gleichzeitig spricht er die Absicht aus, nach Rom zu kommen, um den Druck, der aus den gleichen Gründen wie beim Saggiatore dort stattfinden sollte, selbst zu überwachen. Am 12. Januar 1630 schreibt er an Marsili, er sei mit der Revision des Manuskripts beschäftigt; am 16. Februar teilt er ihm mit, dass er Ende des Monats nach Rom abzureisen gedenke. Die Aussichten auf die Erlangung der Druckerlaubnis schienen günstig zu sein, da einerseits Galileis einflussreicher Freund und Fürsprecher Ciampoli den Papst zu gewinnen suchte, andererseits seit 1629 derselbeR i c c a r d ials Magister Sacri Palatii an der Spitze der römischen Zensur stand, der das Imprimatur für den Saggiatore in so schmeichelhaften Ausdrücken abgefasst hatte. Vor allem sah Castelli, der sich inzwischen in Rom niedergelassen hatte, die Dinge im rosigsten Lichte und hoffte, dass sich auch die letzte Schwierigkeit durch Galileis persönliche Anwesenheit in Rom beseitigen lasse.

Die Abreise Galileis verschob sich indessen bis zum Beginne des Mai. In Rom angekommen, wurde er wiederum vom Papste huldvoll empfangen. Auch Riccardi, dem das Manuskript übergeben wurde, machte anfänglich keine erheblichen Schwierigkeiten; er meinte zwar, die hypothetische Auffassung der kopernikanischen Lehre im Dialog sei nicht dieselbe, welche bei der Korrektur des Buches von Kopernikus im Jahre 1620 für die Index-kongregation maßgebend gewesen sei, aber er hielt es für möglich, durch Beifügung einer geeigneten Einleitung und Schlussbetrachtung und durch Korrekturen im Einzelnen das Werk auf diesen hypothetischen Standpunkt zu bringen. Zu diesem Behufe wurde die Korrektur des Dialogs dem Dominikanerpater Raffaello Visconti, dem sachverständigen Kollegen Riccardis, aufgetragen. Nachdem dieser die notwendig scheinenden Änderungen vorgenommen und seine Approbation ausgesprochen hatte, welche noch der Bestätigung von seiten des Magister Sacri Palatii bedurfte, versprach Riccardi den Papst zu Gunsten Galileis zu stimmen. Der Widerstand des Papstes war hauptsächlich gegen die Zurückführung der Gezeiten auf die Erdbewegung gerichtet; er hatte dafür nämlich eine eigene Theorie, er meinte, man dürfe die göttliche Allmacht nicht beschränken wollen, es müsse für Gott auch auf anderem Wege als auf dem von Galilei gelehrten möglich sein, jene Erscheinungen hervorzurufen. Galilei musste sich darum vor allem dazu verstehen, den beabsichtigten Titel des Buches, der Ebbe und Flut ausdrücklich erwähnte, abzuändern. Abgesehen davon, so meinte Riccardi, werde es sich nunmehr nur um Kleinigkeiten handeln. Um indessen schon jetzt wegen des Drucks mit einem Verleger verhandeln zu können, bemühte sich G. mit Erfolg, dass Riccardi die formelle Approbation für den Druck in Rom ausstellte, mit der Klausel freilich, dass jeder Bogen noch einer Durchsicht unterworfen werden sollte, ehe er der Presse übergeben würde; außerdem wurde die Vorrede skizziert, die in ihrer fertigen Gestalt zwar als ein Werk Galileis zu gelten hat, die aber den Weisungen Riccardis in dem, was sie ausspricht, und noch mehr in dem, was sie verschweigt, durchweg Rechnung trägt. Mitte Juni kehrte Galilei nach Florenz zurück, nachdem die Verabredung getroffen worden war, Galilei solle dort Widmung, Register u. s. w. fertig stellen und im Herbste sich nochmals in Rom einfinden.

Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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