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FORTSCHRITTSGLÄUBIG UND RELIGIÖS-MODERN KONSERVATIV UND REAKTIONÄR

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Man lebte gleichsam mit einem theologischen (populären, alltagstauglichen) Geozentrismus – der Fortschritt wurde dadurch nicht aufgehalten – und einem wissenschaftlichen (elitären) Heliozentrismus. Es war weniger die vielbeschworene Aufklärung, die nun im 18. Und 19. Jahrhundert den Widerruf Galileis im fernen Jahr 1633 der Kopernikanischen Wende – was war seitdem nicht alles gewendet worden! – als Skandal empfand. Vielmehr gerieten die jeweils moderne Gesellschaft und die dem Traditionellen verhafteten christlichen Gemeinschaften, doch vor allem die Römische Kirche, immer mehr in Gegnerschaft. Sie suchten ihre Stellung wechselseitig zu sichern, durch vielerlei Mittel, durch Propaganda und Macht, durch Bündnisse mit den Mächtigen, durch Angriffe auf den Gegner. In der Französischen Revolution (1789) brach das Ancien Regime zusammen, die enge Verbindung zwischen Thron und Altar verlor ihre Selbstverständlichkeit. Napoleon degradierte in großem Stil Kirche und Religion zu nützlichen politischen Herrschaftsmitteln. Im Rückpendel sahen die Päpste in den revolutionären modernen Parteien und ihren Anhängern Feinde. Die Römische Kirche suchte ihr Heil politisch in der Restauration mit konservativen Staaten und ideologisch im Bund mit reaktionären Kräften.

• Pius VII. (1742, 1800–1823) ist in den Napoleonischen Stürmen über Europa zu diplomatischer Klugheit gezwungen; das Papsttum wird für seine Festigkeit als moralische Autorität auf dem Wiener Kongress (1815) belohnt.

• Gregor XVI. jedoch (1765, 1831–1846) holt zum Rundumschlag gegen die Moderne aus. In seiner ersten Enzyklika, »Mirari vos« von 1832, klagt er über »die Verwirrungen in Kirche und Staat«, »schlimm ist die Zeit für den Glauben«, und verurteilt nicht nur religionsfeindliche neue Ideologien, sondern auch »unrechte, dreiste Wissenschaften und zügellose Freiheit«, verdammt mit der Buchdruckerkunst auch Presse- und Meinungsfreiheit. Eine Kriegserklärung an die vorwärtsdrängenden Kräfte Europas, verzweifelte Wehr gegen den gewaltigen Strom des Zeitgeistes.

• Pius IX. (1792, 1846–1878) setzt noch mehrere drauf. Mit dem Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens (1854), mit dem »Syllabus« von 1864, einer Zusammenfassung aller – nach seinem Verständnis – Zeitirrtümer, mit der Erklärung des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) über die päpstliche Unfehlbarkeit, mit dem Verbot an die italienischen Katholiken, sich im neuen einigen Königreich politisch zu betätigen, ruft er den offenen »Kulturkampf« aus, den Großen Krieg zwischen Kulturen, der religiösen und der »liberalen«. Der kirchliche Kreuzzug fand seine Gegner.

Da war es ein probates Kriegsmittel, den »Fall Galilei«, der bekannt war und immer bekannter wurde, aus den Archiven zu holen und zum Skandal hochzutreiben. Hier war offensichtlich: Die Römische Kirche konnte als wissenschaftsfremd, fortschrittsfeindlich und bibel-töricht beiseitegeschoben werden. Am Nasenring der Inquisitionserklärung – sie dreht sich nicht, die Erde – konnte man die Kirche durch die Manege ziehen.

Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme

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