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Warum eigentlich?

Die Replik von Regina Polak auf Florian Sobetzko

Was gewinne ich bei der Lektüre eines Textes „in ungewohnter Sprache“? Ich übersetze exemplarisch einige der Praxisvorschläge in meine etwas schlichtere Sprache: um sich zu erneuern, soll die Kirche ihre Probleme möglichst vielen Menschen vorlegen und diese einbeziehen; möglichst auch jene, die nicht zur Kirche gehören. Sie soll ihr eigenes „geheimes“ Wissen zur Verfügung stellen, auf dass möglichst viele andere, auch kirchenfremde Menschen, daraus neue Ideen entwickeln können. Vor allem unzufriedene Menschen sollen sich einbringen können. Das Angebot der Kirche soll das Bedürfniswissen ihrer Kunden besser nützen.

Ich teile die Einschätzung Sobetzkos, dass die Kirche dringlich ihre familialistische Binnenorientierung aufgeben und im Sinne von Gaudium et Spes 44 von den Anderen außerhalb der Kirche lernen muss. Aber worin liegt der Gewinn, die Handlungsideen in einer Sprache zu formulieren, die von technokratisch-ökonomischen Fremdwörtern gespickt ist?

TOTALISIERENDE SPRACHE

Kirche und Theologie können von diesem betriebs- und ingenieurwissenschaftlichen Technologiemanagement wichtige Impulse bekommen: die Bedeutung von Partizipation, von Vernetzung mit der Welt, vom Wert der Kritik. Eine grundsätzliche Aversion gegen diese Sphäre, bei Theologen oft anzutreffen, ist unangemessen. Auch die Erfahrungen der unternehmerischen US-amerikanischen Kirche sind anregend. Aber kann die Rezeption so undifferenziert geschehen? Rein formal, die Kirche ausschließlich als Organisation und Unternehmen verstehend? Auch die Theologie – anregend, aber leider unausgeführt die Übersichtsliste theologischer Zitate – wird nur als Beweis assoziativ angeklebt. Eine Topf-Deckel-Argumentation, die Angleichung kann doch wie geschmiert klappen, oder? Hier die weltliche Theorie – da der theologische Beweis, und los geht’s.

Darf man als TheologIn bestimmte Denkformen und Worte aus anderen Wissenschaften und Gesellschaftssphären so ohne weiteres übernehmen? Unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen? Sobetzko verwendet eine betriebswirtschaftlich-technokratische Sprache. Da werden „Solver“ mit Ideen „traktiert“, wird „externes Bedürfniswissen genutzt“, Propheten als „unzufriedene Kunden“ bezeichnet. Wie verändern solche Worte die Wahrnehmung, das Handeln?

Der jüdische Philologe Viktor Klemperer hat sich in seinen Tagebuchaufzeichnungen (1947) intensiv mit Merkmalen totalisierender Sprache auseinandergesetzt. Manches, das er beschreibt, erinnert mich unangenehm an Sprachformen, mit denen wir heute in Wirtschaft, Technik und Wissenschaft konfrontiert sind – auch die Theologie ist da nicht ausgenommen. Einige Beispiele, die Klemperer anführt: totalisierende Sprache entbehrt der Poesie und hat eine Tendenz zum Monotonen und Nivellierenden. Sie strotzt vor Fremdwörtern, die dazu dienen, den Mangel an Nachdenklichkeit zu übertönen. Daher trifft man auch niemals auf Fragen. Diese Worte sollen imponieren und schließen zugleich jene aus, die nicht zu dieser Sprach-In-Group gehören. Diese Art der Sprache wimmelt von (Zeit)Worten, die menschliches Handeln mechanisieren; technische Metaphern sind überaus beliebt. Beliebt sind alle Arten von Worten und Tätigkeiten, die sich rund ums „Inszenieren“ und „Organisieren“ ranken und Dynamik nahelegen, auch wenn nicht klar ist, wohin die Reise geht und worin der Sinn dieses „Gesetzes des Handelns“ liegt. Reflexion, Zweifel, Fraglichkeit sind verdächtig und gelten als unproduktiv. Klemperer hat gezeigt, wie diese Art von Sprache schrittweise das Denken verändern kann – auch jener, die totalitäre Ideologien nicht teilen. Mich erschreckt das, denn auch der Ökonomismus und Szientismus unserer Tage bergen totalisierende Gefahren, die wissenschaftlich reflektiert werden müssen. Wir Wissenschaftler sind verpflichtet, achtsam mit Sprache umzugehen.

FORMALES STEHT IM VORDERGRUND

Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass es mir fern liegt, Kollegen Sobetzko oder moderne Führungstheorien in die Nähe totalisierender Sprachpolitiken zu rücken. Aber gerade wir innovationsfreudigen PastoraltheologInnen – da stelle ich mich neben Kollegen Sobetzko, weil auch ich gerne moderne Theorien übernehme – müssen in der Rezeption technisch-ökonomischer Sprachspiele (selbst)kritisch vorgehen. Sonst fördern wir unbeabsichtigt riskante Wahrnehmungs- und Denkformen.

Mein Eindruck, dass Sobetzko diesbezüglich zu unbedarft vorgeht, hängt auch mit der Konzentration auf das Formale zusammen. Ich finde in diesem Ansatz keine Inhalte. Worin besteht z.B. das „geheime Wissen“ der Kirche? Führungskräfte beziehen sich in diesem Modell auch ganz explizit nicht auf Ziele, sondern sollen – das ist gut gemeint – dienen. Aber wem? Welcher Idee, welcher Vision? Was ist das leitende inhaltliche „Erfolgs“kriterium? Angeführt werden die amerikanischen Erfolgsgeschichten, die Masse jener, die zu einem Leitungskongress pilgern. Vom Manipulationsverdacht wird zwar kurz gesprochen, aber wird er inhaltlich entkräftet? Ich habe kein Argument gefunden. Wie gesagt, die Theologie dient als Beweis des Modells, nicht als kritische Dialogpartnerin.

Keine Frage, die Kirche in Deutschland und Österreich steht vor der Aufgabe der Erneuerung. Sobetzko bringt ein paar gute Praxis-Ideen. Aber ist nicht der eigentliche Mangel an Innovation der Mangel an inhaltlichen Ideen, dass die eigene Tradition unbekannt ist und es massive Schwierigkeiten gibt, diese zu verheutigen, weil man sich nicht im Horizont der Gegenwart denken kann? Armin Thurnherr, ein österreichischer Journalist („Der Falter“), stellt seinen Interviewpartnern gerne eine Frage: „Warum eigentlich?“ Das würde ich gerne von Kollegen Sobetzko wissen: Warum eigentlich soll die Kirche dieses Modell übernehmen? ?

LITERATUR

Klemperer, Viktor, Lingua Tertii Imperii. Notizbuch eines Philologen, Berlin 1947.

Lebendige Seelsorge 3/2014

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