Читать книгу Die 15 beliebtesten Kinderbücher in einem Band (Illustriert) - Гарриет Бичер-Стоу, Гарриет Бичер-Стоу, K. McDowell Rice - Страница 126
Fünfzehntes Kapitel
ОглавлениеHuck verliert das Floß aus Sicht. – Im Nebel. – Wiederfinden. – Träume. – Unrat!
In weiteren drei Nächten dachten wir mit Leichtigkeit bis nach Kairo zu kommen, ganz unten in Illinois, da, wo der Ohio in den Mississippi fließt, das war das eigentliche Ziel unsrer Fahrt. Dort wollten wir denn das Floß verkaufen, auf ein Dampfboot gehen, den Ohio hinauf fahren, bis zu den Staaten, wo die Nigger frei waren, und so dann außer aller Gefahr sein!
In der zweiten Nacht kam ein dicker Nebel herunter, wir suchten daher nach einem Ort, um bequem anlegen zu können, denn eine Fahrt im Nebel lockte uns nicht. Ich ruderte im Boot voraus, fand aber nichts als junge Bäumchen zum Anbinden. Ich schlang die Leine um eines derselben; unglücklicherweise gerade an einer Stelle, wo das Ufer einen Vorsprung bildete und eine scharfe Strömung entstand. Von derselben erfaßt, schoß das Floß nur so dahin und eh' ich mich's versah, hatte es sich von dem Boot losgerissen und war auch schon im Nebel verschwunden. Ich seh' noch, wie der sich hinter ihm schließt, mir wurde ordentlich schwarz vor den Augen, ich konnte mich kaum rühren, viel weniger einen Laut von mir geben. Denk' ich, nun bist du verloren, verlassen gewiß, denn Jim ist weg auf Nimmerwiedersehen! Ich stürze ins Boot, und falle über die Ruder her, aber es weicht nicht von der Stelle; ich hatte vergessen, es loszubinden. Ich probier's jetzt, den Knoten zu lösen, aber ich war so aufgeregt, meine Hände zitterten so, daß ich nichts anfangen konnte.
Als ich dann endlich flott war, setzte ich hinter dem Floß her, hielt mich, so lang' ich konnte, in der Nähe des Ufers, um die Richtung nicht zu verlieren, kam aber doch schließlich ab und mitten in den dicken Nebel hinein und wußte nun nicht besser, wohin ich getrieben wurde, als wäre ich ein Toter.
Denk' ich, rudern lohnt sich hier nicht, sitzest am Ende doch nur auf einer Sandbank fest, läßt dich lieber vom Wasser treiben, das ist jedenfalls sich'rer. Aber still sitzen und die Hände in den Schoß legen, wenn man innerlich wie mit Dampf geladen ist, um vorwärts zu kommen, ist eine mißliche Sache. Ich konnt's kaum fertig bringen und rutschte auf meiner Bank herum, rief einmal und lauschte auf Antwort. Plötzlich höre ich den Strom herauf einen schwachen Ruf und da kommen mir auch die Lebensgeister und der Mut wieder. Ich drauf los und hör's noch einmal, merk' aber auch, daß ich in ganz falscher Richtung bin, viel zu viel nach rechts. Dann hör' ich's wieder und bin diesmal zu weit links, komm auch nicht näher, denn mit dem Hin und Her verlier' ich Zeit und das Floß treibt offenbar immer gerade zu! –
Ich hoffte nun, der Narr von Jim würde einen alten Blechdeckel nehmen und ordentlich Lärm schlagen, wer's aber nicht that, war er, und gerade die Pausen zwischen den verschiedenen Rufen machten mich so irre. Na, ich immer voran, aber man denke sich mein Erstaunen, als ich plötzlich den Ruf hinter mir höre. Großer Richter! War ich am End' gar hinter jemand Falschem her oder hatte sich das Boot gedreht? Nun wußte ich nicht ein noch aus!
Ich warf mich zu Boden, ganz verzweifelt! Wieder kam der Ruf, immer noch hinter mir, aber von ganz wo anders her, und so wechselte es beständig und ich antwortete auch, bis es auf einmal wieder von vorn kam und ich merkte, daß die Strömung mein Boot nochmals gedreht haben müsse und alles gut sei, wenn's wirklich Jim war, der da rief und nicht irgend wer sonst; denn im Nebel erkenn' der Kuckuck die Stimmen, im Nebel sieht alles geisterhaft aus und lautet auch so.
Das Rufen dauerte an und in einer Minute etwa stieß ich hart an einer Art Insel oder Sandbank auf, von der alte Baumstümpfe wie Geister in den Nebel aufragten. Die Strömung packte mich und warf mich zur Linken, hart an vorstehenden Baumzweigen vorbei, die ordentlich pfiffen, so sauste das Wasser an ihnen dahin.
Im nächsten Moment war alles wieder Nebel und still. Ich hielt mich ganz ruhig und hörte nur wie mein Herz hämmerte und klopfte, während ich kaum zu atmen wagte.
Nichts war zu hören und nun wußte ich auch genau, woran ich war. Die Sandbank, auf welche ich, wie ich glaubte, aufgerannt, war eine Insel und mich hatte die Strömung zur Linken gerissen, während Jim drüben auf der Rechten dahintrieb. Und die Insel schien nicht klein. Ab und zu konnte ich durch den Nebel große hohe Bäume sehen, das konnte stundenlang so weiter gehen, wer konnt's sagen, ob ich je wieder Jim und das Floß erreichen würde?
Ich hielt mich ganz still und spitzte die Ohren, soviel ich konnte. Alles umsonst. Ich wurde schnell immer weiter und weiter gerissen; denn die Strömung war stark, aber das wird einem nicht klar, man fühlt es kaum. Im Gegenteil! Man meint ganz, ganz still zu liegen auf dem Wasser und wenn man einen Baum oder sonst was vorbeihuschen sieht, kommt es einem gar nicht in den Sinn, daß man selber so schnell fährt, sondern man hält den Atem an und denkt, ei, hat's der Baum aber einmal eilig! Wer's nicht glaubt, wie unheimlich und einsam es einem zu Mut ist, so allein im Nebel auf dem Wasser, mitten in der stillen dunklen Nacht, der soll nur einmal hingehen und's probieren, dann wird er schon sehen!
Nach vielleicht einer halben Stunde fange ich wieder an zu rufen, denn ich dachte, nun könnt' die Insel endlich ein Ende haben, und wahrhaftig ich hör' auch einen Antwortruf, aber weit, weit weg. Ich versuche, demselben zu folgen, bring's aber nicht fertig. Nun gerat' ich in ein ganzes Nest von kleinen Eilanden, die Insel konnt' ich nicht mehr sehen, wohl aber nun zu beiden Seiten von mir kleine Bröckchen Landes, zwischen denen oft nur ein ganz schmaler Wasserarm durchführte. Andre, im Nebel verborgen, konnte ich nicht deutlich unterscheiden, merkte aber wohl am Anprallen und Rauschen des Wassers dagegen, daß da irgend ein Hindernis sein müsse. Die Rufe konnte ich immer von Zeit zu Zeit wieder hören, aber der Richtung folgen zu wollen, war schlimmer als die Jagd auf ein Irrlicht, so sprang der Ton hin und her, von einem Platz zum andern.
Dann mußte ich auch mit dem Ruder nachhelfen, daß ich nicht einmal irgendwo anrannte und irgend einen von den kleinen Landbrocken unversehens vom Platz rückte. Ich vermutete, daß auch das Floß aus demselben Grund so langsam vorwärts kam, denn nach dem Rufen zu urteilen – immer vorausgesetzt, daß es Jim war, der da rief – trieb es jetzt kaum schneller, wie ich selbst, dahin.
Nun schien ich wieder im freien Fahrwasser angelangt zu sein, konnte aber mit einemmal gar nichts mehr hören. Denk' ich, Jim ist ganz sicher irgendwo angeprallt und Floß und Jim sind weg und verloren! Ich war so müde und erschöpft, so traurig und mutlos, daß ich mich ruhig in mein Boot legte und bei mir sagte: nun läßt du alles gehen wie's kommt! Schlafen wollte ich eigentlich nicht, aber allmählich fielen mir doch die Augen zu, ohne daß ich's merkte und ich nickte ein.
Aber es muß wohl mehr wie ein bloßes Einnicken gegewesen sein, denn wie ich wieder zu mir selbst kam, war der Nebel weg, die Sterne standen klar am Himmel und ich trieb auf einer ruhigen breiten Wasserfläche still dahin. Erst dachte ich, es sei ein Traum, wußte nicht wo ich war, und als mir allmählich die Erinnerung an alles aufdämmerte, schien es mir, als sei's in voriger Woche gewesen.
Der Fluß war hier furchtbar breit, mit großen, alten, hohen Bäumen zu beiden Seiten, die wie dicke Mauern dastanden, so viel ich im Sternenlicht sehen konnte. Nun späh' ich nach vorn und entdecke einen schwarzen Punkt mitten im Wasser. – Ich drauf los; wie ich aber hinkomme, ist's nichts als ein paar zusammengebundene Baumstämme. Wieder seh' ich was Schwarzes, jag' dem Ding nach, wieder ist's nichts, dann aber noch ein dunkler Punkt, ich hinterdrein und wahrhaftig, das ist's – ist das Floß mit Jim und allem, allem!
Wie ich hinkomme, sitzt Jim da mit dem Kopf zwischen den Knieen, fest eingeschlafen, den Arm noch über das Steuerruder geworfen. Das andre Ruder war mitten durchgebrochen und das Floß selbst ganz bedeckt mit Laub, abgerissenen Baumzweigen und Schlamm. Da ist's auch nicht sanft hergegangen, denk' ich!
Ich leg' mein Boot fest, streck mich lang und breit vor Jims Nase auf den Boden, fang an zu gähnen, mich zu recken und zu strecken und Jim anzustoßen. Sag' ich:
»Herr je, Jim, ich hab' wohl gar geschlafen, warum hast du mich denn nicht wach gerüttelt?«
»Großer, allbarmherziger Himmel! Sein das du, Huck? Sein du nix tot? Nix vertrinkt? Sein du wieder da? Sein zu schön, zu gut für wahr zu sein. Jim 's gar nix können glauben, arme alte Jim denken, er träumen! Du Jim lassen sehen, lassen fühlen, ob du sein Huck! Nein, du nix sein tot, du sein wieder da, gute, alte, treue Huck – ganz die alte, treue Huck, Gott sei Lob und Dank und Preis und Ruhm!«
»Halloh – drei Schritte vom Leib, Jim! Was ist denn los, alter Kerl? Hast wohl ein Gläschen zu viel gehabt?«
»Wer – alte Jim? Gläschen zu viel? Alte Jim nix haben gehabt Zeit zu denken an Trinken!«
»Weshalb läßt du denn solchen Unsinn los?«
»Was – Unsinn?«
»Wie? Und du fragst noch, Jim? Hast du nicht von Weggehn, Ertrinken und Wiederkommen geschwatzt? – und ich lieg' hier und schlaf' wie 'ne Ratte!«
»Huck – Huck Finn, du sehen Jim in die Augen, sehen alte Jim in die Augen! Sein du denn nix weg gewesen? –«
»Weg gewesen? – Aber Jim, was, zum Henker, willst du denn eigentlich? Weg gewesen? Wo in der Welt soll ich denn gewesen sein?«
»Alte Jim sein ganz dumm von alles! Hier etwas nix sein richtig! Sein Jim ich, oder was sein Jim? Sein Jim in die Floß oder wo? Jim wollen das wissen – alte Jim sein ganz toll!«
»Na, ich denk' doch, daß du im Floß bist, Jim und dazu ein ganz verrückter, alter Kerl, aber der Jim bist du, das ist sonnenklar!«
»Also Jim sein Jim? Dann du mir sagen, Huck, du mir sagen, Huck, sein du nix gegangen in Boot für zu machen fest der Floß?«
»Wo denn? – Wann denn?«
»Du nix machen fest Floß un dann kommen Wasser – brr – un reißen Floß los un Floß schießen immerfort, immerfort un lassen Huck un Boot hinten in Nebel?«
»In welchem Nebel?«
»Ei – in die Nebel, dicke, weiße, große Nebel, was sein gewesen in die Nacht. Un hat nix Jim gerufen un geschreit, un Huck wieder gerufen un geschreit, bis sein gekommen die viele Insel un Huck war verloren un Jim beinahe verloren! Arme Jim gar nix wissen, wo sein! Un sein nix Floß gerannt, un gerannt an alle der Insel, un Jim sein fast ertrinkt un sein gewest so, so traurig? Sein das so, Huck, oder sein das nix so? Du Jim sagen!«
»Na, das ist mir zu hoch, Jim! Ich hab' keinen Nebel, keine Inseln, kein Aufrennen, gar nichts gesehen! Ich hab' die ganze Nacht hier gesessen und mit dir geschwatzt bis vielleicht vor zehn Minuten und dann bist du eingenickt und ich werd's wohl auch so gemacht haben. Getrunken kannst du da wohl nichts haben, muß es also ein Traum gewesen sein!«
»Hol's der un jener, Huck, – das nix können sein wahr! Jim nix können träumen all das in zehn Minuten, – nix können sein wahr!«
»Na, dann glaub's nicht, Dickkopf, aber geträumt muß es doch gewesen sein, denn passiert ist nichts!«
»Aber, Huck, Jim wissen alles, alles – sein so klar wie –«
»Darauf kommt's nicht an, wie klar dir's ist, alter Faselhaus, es ist doch nichts dran! Ich werd's doch wissen, war ja die ganze Zeit hier!«
Fünf Minuten lang sagte nun Jim nichts weiter, sondern brütete nur so vor sich hin, dann fing er an:
»Also Jim haben geträumt, Huck? Du das sagen, dann müssen sein wahr! Aber Huck – sein gewesen so ganz schrecklich natürliche Traum, wie Jim nie nix haben gehört. Jim nie nix haben je geträumt, was machen so müd!«
»Ach, das ist gar kein Wunder, so geht's oft, wenn man recht lebhaft träumt, da kann man nachher kein Glied regen. Deiner scheint aber wahrhaftig der reine Durchhautraum gewesen zu sein, so verhagelt siehst du aus, – leg' mal los, Jim, und erzähl'!«
Nun fing Jim an und erzählte die ganze Geschichte von vorn bis hinten, nur schmückte er alles gewaltig aus. Dann meinte er, nun müsse er versuchen, den Traum auszulegen, denn er sei uns sicherlich zur Warnung gesandt von oben. Er sagte, unser erster mißglückter Versuch zum Anlegen bedeute, daß uns irgend einer Gutes thun wolle, nun aber komme der Feind, die Strömung, und risse uns weg. Das Rufen, das er dann gehört und selbst ausgestoßen, seien Mahnungen des Schicksals, die wir versuchen müßten recht zu verstehen, sonst brächten sie uns Unglück, statt uns davor zu behüten. Die Inseln schließlich und unsere Arbeit und Gefahr, dran vorüber zu kommen, seien Streitigkeiten mit bösen Menschen, in die wir verwickelt werden würden; wir aber müßten, ohne uns viel drum zu kümmern, sehen, wie wir hindurch gelangten, an den Inseln ungefährdet vorüber, durch den dicken Nebel hindurch ins glatte Fahrwasser: die freien Staaten, wo dann all unsre Not ein Ende habe.
Der Himmel hatte sich wieder tüchtig umwölkt gehabt, allmählich aber blitzten doch einige Sternchen hindurch.
»Das ist alles recht schön und gut, Jim, du hast deine Sache brav gemacht, aber – was bedeutet denn das da?«
Dabei deutete ich auf die Blätter, die abgerissenen Baumzweige und den Schlamm, womit das Floß ganz übersäet war. Man bemerkte es deutlich beim Licht der Sterne.
Jim starrte drauf hin, dann mir ins Gesicht, dann wieder auf all das Zeug, ohne eine Silbe zu erwidern. Der Traum schien sich nun in seinem Hirn so eingenistet zu haben, daß es ihm schwer wurde, die Idee davon fahren zu lassen und sich mit der Wirklichkeit vertraut zu machen. Dann, als ihm das Ding doch wirklich endlich klar wurde, sah er mich an, lange, starr, ohne eine Spur von Lächeln, beinah' traurig und sagte zuletzt:
»Was das bedeuten? Jim dir sagen. Wenn alte Jim ganz müde waren von Rufen un Rudern un Kummer, dann er denken, Huck sein ganz fort, Huck sein verloren, alte Jim seine Herz sein beinah' gebrochen un er wollen schlafen un nix mehr hören, nix mehr sehen von der Welt un Elend. Wenn er dann wach werden, er sehen Huck gesund un heil un ganz vor sich, er müssen weinen heiße Thränen un wollen küssen deine Füß, so Jim sein froh un dankbar. Du aber, Huck, nur denken, wie können machen Narr aus arme alte Jim un schwindeln un lügen. Das Zeug da sein Unrat – un Unrat es sein, was Leute setzen arme alte Freund in Kopf, zu haben seinen Spaß daran, wenn arme alte Freund sein betrogen unangeführt!«
Langsam erhob er sich und ging nach der Hütte, ohne etwas Weiteres zu sagen als das, aber ich hatte genug. Ich fühlte mich ganz furchtbar beschämt und hätte nun selbst am liebsten seine alten, schwarzen Hufe geküßt, um ihm meine Reue zu zeigen, ihn wieder gut zu machen.
Fünfzehn Minuten brauchte ich aber doch, ehe ich mich selbst so weit gebracht hatte, daß ich einen Nigger um Verzeihung bitten konnte. Gethan hab' ich's dann und hab's auch nie bereut nachher. Streiche spielte ich ihm keine mehr und hätte auch den nicht losgelassen, wenn ich vorher gewußt, daß es dem armen, alten Kerl so leid thun würde.
--