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6 BERKELEY

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Denn die Rede von der absoluten Existenz nichtdenkender Dinge ohne alle Beziehung auf ihr Wahrgenommenwerden scheint schlechthin unverständlich. Ihr esse ist percipi, und es ist nicht möglich, daß ihnen irgendein Dasein außerhalb des Geistes oder der denkenden Wesen, die sie wahrnehmen, zukäme.

(George Berkeley Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, Teil 1, §3, S. 26. Erstveröffentlichung des engl. Originals 1710)

Bischof George Berkeley (1685–1753) ist Irlands größter Philosoph. Geboren in Dysart Castle im County Kilkenny, verbrachte er viele Jahre am Trinity College von Dublin, erst als Student, dann auch als Lehrer, und promovierte schließlich zum Doktor der Theologie. 1721 empfing er die Priesterweihe und 1734 wurde er Bischof von Cloyne. Seine wichtigsten philosophischen Schriften verfasste er in seinen Zwanzigern, allen voran seine Prinzipien der menschlichen Erkenntnis. Dasjenige Werk allerdings, das sich zu seinen Lebzeiten am besten verkaufte und das er weniger als zehn Jahre vor seinem Tod schrieb, war die großartig betitelte Abhandlung Siris: A Chain of Philosophical Reflexions and Inquiries Concerning the Virtues of Tar Water, And Divers Other Subjects Connected Together and Arising One from Another [Siris: Eine Reihe philosophischer Überlegungen und Untersuchungen zu den heilsamen Wirkungen des Teerwassers und verschiedenen anderen Themen, die miteinander zusammenhängen und auseinander hervorgehen]. Die kalifornische Stadt Berkeley und deren Universität sind nach ihm benannt.

|40|Berkeleys Philosophie, sein Immaterialismus oder Idealismus, wird oft in der berühmten lateinischen Wendung esse est percipi zusammengefasst (Sein ist Wahrgenommenwerden). Unser Eingangszitat verrät, dass Berkeley eigentlich »ihr esse ist percipi« schreibt und sich dabei auf »nichtdenkende Dinge« oder Gegenstände bezieht. Obwohl »ist« im Lateinischen est heißt, erlaubt es der Kontext dieser Wendung nicht, dass man sie einfach durch »Sein ist Wahrgenommenwerden« wiedergibt, auch wenn damit die von Berkeley intendierte allgemeine Bedeutung dieser Passage insgesamt erfasst wird. Zwar könnte man »Das Sein der Dinge ist Wahrgenommenwerden« als eine genauere Umschreibung des Kernsatzes gelten lassen, es ist aber trotzdem nur eine Umschreibung und keine wörtliche Wiedergabe. Berkeley schrieb »ihr esse ist percipi«, und erst dadurch, dass man »ihr« weglässt, das Übrige vollständig ins Lateinische überträgt und es etwas aus dem Zusammenhang reißt, gelangt man – über die Übertragung zurück ins Deutsche – letztlich zu der einprägsamen Formel »Sein ist Wahrgenommenwerden«!

Doch halten wir uns nicht länger mit diesen Spitzfindigkeiten auf. Wir wissen, was bei Berkeley tatsächlich geschrieben steht; kümmern wir uns darum, was er damit meinte.

Berkeleys Idealismus ist ein Echo auf das Problem des Solipsismus, dessen Name sich von den lateinischen Worten solus (»allein«) und ipse (»selbst«) herleitet. Der Solipsismus ist die philosophische Theorie, wonach außer dem eigenen Geist nichts sonst existiert, wonach die sogenannte Außenwelt, einschließlich des eigenen Körpers, eine bloße Täuschung ist (siehe auch Zitat 34, Russell). Nach Ansicht mancher Philosophen ist der Solipsismus grundsätzlich unwiderlegbar, weil sich nicht beweisen lässt, dass es eine Außenwelt gibt. Andere Philosophen wiederum, Descartes beispielsweise, haben sich an einer Widerlegung des Solipsismus versucht.

Unter Berufung auf eine Version des ontologischen Arguments (siehe Zitat 2, Anselm, und Zitat 17, Kant) zum »Beweis« der Existenz Gottes argumentiert Descartes, die Außenwelt könne unmöglich nicht existieren, da Gott als vollkommenes Wesen uns |41|nicht täuschen und glauben machen würde, dass es sie gäbe, wenn es sie nicht gibt. Descartes macht Gott zum Garanten der Außenwelt und lässt ihn ihre Existenz verbürgen. Dabei verkennt er, dass das ontologische Argument den Beweis von Gottes Existenz gar nicht erbringt, und infolgedessen ist Descartes zum Ausharren auf der Klippe des Solipsismus gezwungen (siehe auch Zitat 9).

Zwischen Berkeleys Geburt und Descartes’ Tod liegen nur 35 Jahre, und sein Idealismus ist in mancherlei Hinsicht ein Versuch, die Probleme zu überwinden, die dem cartesischen Dualismus und seiner radikalen Trennung von Geist und Körper notwendig innewohnen (siehe Zitat 9). Descartes behauptet beharrlich, dass die Vorstellungen von der Welt, die Wahrnehmungen von der Welt, auch von der Welt herrühren – doch er hat keinen Beweis dafür. Er kann nicht beweisen, dass es eine Welt außerhalb des Geistes gibt. Statt sich nun an dem Beweis zu versuchen, der Descartes misslingt, lässt Berkeley einfach gelten, dass es keine materielle Außenwelt gibt, und denkt von da aus weiter.

Nämlich wie folgt: Wenn der Geist keine unmittelbare Kenntnis von materiellen Dingen hat, sondern nur Vorstellungen oder Wahrnehmungen materieller Dinge, dann gibt es auch keinen Grund, ihre Existenz zu behaupten. Dann muss es sich bei den sogenannten materiellen Dingen, den nichtdenkenden Dingen, in Wahrheit jeweils um eine Reihe von Vorstellungen handeln. Diese Vorstellungen haben keine vom Geist unabhängige Existenz. Es gibt sie nur insofern, als sie von einem Geist wahrgenommen werden, und sie haben kein »Dasein außerhalb des Geistes oder der denkenden Wesen, die sie wahrnehmen«. Diese Auffassung steckt in dem Leitsatz esse est percipi (»Sein ist Wahrgenommenwerden«).

Seinem Freund und Biografen James Boswell (1740–95) zufolge hat Samuel Johnson (1709–84) auf die Frage, was er von Berkeleys Idealismus halte, wuchtig gegen einen Stein getreten, sich dabei wie gewollt den Fuß wehgetan und gesagt: »So widerlege ich das« (Dr. Samuel Johnson. Leben und Meinungen, S. 173). Berkeley würde Johnsons Widerlegung natürlich zurückweisen und erwidern, dass dessen Fuß, die Schmerzen, die er darin hatte, |42|und der Stein allesamt bloß Vorstellungen in dessen Geist seien.

Nun fragen Sie sich vielleicht, wodurch Berkeleys Theorie sich vom Solipsismus unterscheiden lässt. Hier nun ist die Gottesvorstellung entscheidend, durch die Berkeley seine Theorie davor zu bewahren suchte, mit dem Solipsismus in einen Topf geworfen zu werden. Gegenstände, als eine Reihe von Vorstellungen, hören seiner Argumentation nach nicht zu existieren auf, wenn sie von mir gerade nicht wahrgenommen werden, weil sie allezeit von einem allwissenden, allgegenwärtigen Gott wahrgenommen werden.

Gott denke all jene diversen Vorstellungen, die ich als Dinge bezeichne, ununterbrochen und verhindere so, dass sie bloß subjektiv sind und dass sie ihre Existenz einbüßen, wenn ich sie gerade nicht wahrnehme. Gott mache jene Vorstellungen, die ich als Dinge bezeichne, objektiv. Er denke sie alle immerzu und verschaffe ihnen auf diese Weise die Unabhängigkeit von meinem Geist.

Es gibt einen Limerick des englischen Theologen Ronald Knox (1888–1957), der die Philosophie Berkeleys treffend zusammenfasst. Darin sagt ein junger Mann, Gott müsste es doch merkwürdig vorkommen, wenn ein Baum weiterexistiere, obwohl kein Mensch in der Gegend sei. Daraufhin meldet sich Gott zu Wort und erwidert ihm, dass der Baum aus dem Grund weiterexistiere, »weil er immer im Blick behalten wird von Ihrem Sie hochachtungsvoll grüßenden GOTT«. Bei Berkeley selbst heißt es:

[Dass] alle Körper, die das gewaltige Himmelsgewölbe bilden, nicht außerhalb eines Geistes bestehen können, daß ihr Sein ihr Wahrgenommen- oder Erkanntwerden ist, daß sie mithin, solange sie von mir nicht wahrgenommen werden oder nicht in meinem Geist oder dem eines anderen geistigen Geschöpfs existieren, entweder überhaupt nicht sind oder im Geist eines ewigen Wesens bestehen müssen.

(Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, S. 28)

|43|Gott ist für Berkeleys Philosophie ebenso zentral wie für diejenige Descartes’. Ohne den Gottesgedanken müsste Berkeley mit seiner Philosophie ebenso auf der Klippe des Solipsismus ausharren wie Descartes mit der seinen. Tatsächlich entspricht Berkeleys Denken dem von Descartes insofern, als beide den im Wesentlichen gleichen Begriff des Geistes vertreten. Sie unterscheiden sich nur in der Annahme, was unabhängig von ihm besteht.

Etliche der Erläuterungen zu den Zitaten in diesem Buch – Zitat 2, Anselm; Zitat 3, Thomas von Aquin; Zitat 15, Hume; Zitat 17, Kant und Zitat 28, Paley – geben Auskunft darüber, weshalb die verschiedenen Beweise für die Existenz Gottes fehlschlagen. Wenn es aber keinen zuverlässigen Gottesbeweis gibt, darf stark angezweifelt werden, dass es Berkeley mit seiner Philosophie wirklich gelingt, jene einsame Klippe des Solipsismus zu umschiffen.

Dessen ungeachtet beschenkte er die Philosophie mit einer stimulierenden und äußerst einflussreichen neuen Sicht auf die Wirklichkeit und die Beziehung, in der der Geist zu ihr steht.

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