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»Kauf dir einen Kaiser«36
ОглавлениеMaximilian hatte erstmals 1513 mit dem Gedanken gespielt, die Kaiserkrone für Karl zu sichern. Pfalzgraf Friedrich, sein »Vetter« und Vertrauter, erinnerte sich später an die genauen Worte des Kaisers:
»Ihr seht, dass ich mein Herzblut, mein Geld und meine Jugend für das Reich aufgewandt habe, und nichts habe ich dafür bekommen. Wenn wir es nur einmal versuchen wollen, so hätte ich gern, dass jener junge Herr, mein Enkelsohn Karl, zum Kaiser gewählt würde, denn wie Ihr seht, gibt es außer ihm keinen anderen, der die Fähigkeiten oder die Kraft hätte, den Ruf des Reiches zu erhalten. Wenn die Kurfürsten einverstanden sind, würde ich dieses Amt am liebsten niederlegen.«
Nach der Reichsverfassung erforderte ein solcher Regierungswechsel das zustimmende Votum von mindestens vier der sieben Kurfürsten – zu ihnen zählten die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der Pfalzgraf bei Rhein, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen sowie der König von Böhmen –, die bei einer außerordentlichen Wahlversammlung den neuen »König der Römer« bestimmen mussten, den der Papst dann später zum »römischen Kaiser« krönte. Kurz nach seiner Unterredung mit Friedrich traf Maximilian sich mit vieren der Kurfürsten (darunter auch jener von der Pfalz, Friedrichs älterer Bruder), um das Terrain zu sondieren, stieß jedoch auf unverblümte Ablehnung: »Keiner von uns will, das Ihr Eure Krone niederlegt!«37
Damit scheint das Thema für die nächsten drei Jahre vom Tisch gewesen zu sein, bevor es wieder aufgenommen wurde, diesmal als eine »hitzige und langwierige Pokerpartie« mit immens hohen Einsätzen, deren Ausgang bis zur letzten Minute – dem abschließenden Wahlgang der Kurfürsten – ungewiss blieb. So richtig begann das Spiel im November 1516, als der Trierer Kurfürst dem französischen König Franz I. durch einen Gesandten mitteilen ließ, er sei bereit, bei der nächsten Wahl zum römisch-deutschen König für ihn zu stimmen, sobald Maximilian abdanke oder sterbe. Im Juni 1517 bekannte der brandenburgische Kurfürst auf ähnliche Weise Farbe: Er versprach Franz seine Stimme und bat sich im Gegenzug das Versprechen aus, dass sein Sohn die (zuvor Karl versprochene) Prinzessin Renée heiraten werde, dazu 150 000 Kronen in bar und eine regelmäßige Pension für sich selbst. Wie Robert Knecht bemerkt hat, »übersah Franz völlig, dass den deutschen Kurfürsten weniger an seinem Wahlerfolg gelegen war als vielmehr daran, eine möglichst heiß umkämpfte Wahl herbeizuführen«, die es ihnen erlauben würde, ihre Stimmen an den Meistbietenden zu verkaufen. »Dass [Franz] sich auf diese Weise instrumentalisieren ließ, spricht nicht gerade für seine politische Urteilskraft.«38
Dennoch versetzte die Aussicht auf eine französische Kandidatur die Habsburger in Angst und Schrecken. Karl hörte gerüchteweise davon, während er in Zeeland auf günstigen Wind für die Überfahrt nach Spanien wartete, und erklärte prompt:
»Seitdem wir vom Kaiser, unserem Großvater, Abschied genommen und seinen Segen empfangen haben, haben wir uns viele Gedanken über die Nachfolge im Kaisertum gemacht, und mehrmals haben wir die Angelegenheit auch mit unseren wichtigsten und verlässlichsten Ratgebern besprochen, die sich mit der Materie auskennen. Immer deutlicher haben wir erkannt, wie wichtig diese Sache für uns ist, und uns gefragt, wie wir die Königreiche, Dominien, Herrschaften und Untertanen des Kaisers und unserer selbst in Deutschland, Spanien und Italien sowie hier in den Niederlanden am besten und dauerhaftesten in Sicherheit, Frieden und Ruhe erhalten können, sodass niemand ihnen Schaden zufügen kann; und dass, falls irgendein Herrscher, so mächtig er auch sein mag, versuchen sollte, sie zu bedrängen, anzugreifen oder zu erobern, wir stark genug wären, Widerstand zu leisten.«
Wenn dagegen irgendein anderer Fürst Kaiser werden sollte (und nicht er selbst), würde ihm dies nichts als »Ungemach und Spaltung, ja womöglich den völligen Ruin« bereiten. Also teilte er seinem Großvater mit, dass er bereit sei, bis zu 100 000 Gulden in bar unter denjenigen Kurfürsten aufzuteilen, die ihm ihre Stimme versprächen. Jährliche Pensionen sollten folgen, dazu die Aufnahme in den Orden vom Goldenen Vlies und noch andere bedeutende Vorteile. Drei Monate später erinnerte Karl Maximilian daran, wie absolut notwendig es war, »dass nach Eurem Tod das Reich nicht in die Hände des Königs von Frankreich falle«, weil dies »dem Haus Habsburg einen großen Schaden zufügen würde«. Er ermahnte seinen Großvater daher, bei seinen Verhandlungen »weder an Geldgeschenken noch an Pensionsversprechungen zu sparen noch an Pfründen oder irgendetwas anderem«.39
Da war es schon fast zu spät. Im Oktober 1517, als Karl gerade in den asturischen Bergen vor Kälte schlotterte, verkaufte auch der Mainzer Kurfürst (ein Bruder des brandenburgischen) seine Wahlstimme an den König von Frankreich, und sechs Monate später tat es ihm der pfälzische Kurfürst gleich. Damit hatte Franz die Mehrheit, die er brauchte, um sich die Wahl zu sichern. Jetzt war es an Maximilian, seinem Enkel die Dringlichkeit der Lage vor Augen zu führen: Wie sollten sie diese Vorleistungen ihres Konkurrenten noch überbieten? Aber Karl widersprach nur trotzig, dass »es nicht nötig sein sollte, das Reich zu kaufen«, da dank seiner habsburgischen Wurzeln »die ganze deutsche Nation uns sehr viel günstiger gesinnt sein wird als dem König von Frankreich«. Im April 1518 sandte Chièvres, der inzwischen sowohl die spanische als auch die niederländische Staatskasse hütete, zähneknirschend Wechselbriefe über die bereits versprochenen 100 000 Gulden nach Deutschland, warnte jedoch sogleich: »Dies ist alles, was Seine Majestät zum gegenwärtigen Zeitpunkt erübrigen kann«, und fügte noch hochmütig hinzu: »Manchmal muss man sich mit dem zufrieden geben, was eben möglich ist, und die verbleibenden Lücken noch auf andere Weise stopfen.« Gegen solche Argumente war Maximilian immun: »Wenn Ihr wirklich diese Krone anstrebt«, ließ er seinen Enkel wissen, »so dürft Ihr kein Mittel ungebraucht lassen.« Sodann lieferte er Karl eine lange Liste von »Mitteln«, die wohl noch gebraucht würden, darunter nicht nur Geld, sondern auch die Verheiratung von Karls Schwester Catalina – versehen mit einer stattlichen Mitgift – mit dem jungen Markgrafen von Brandenburg (um dessen Heirat mit Renée de France zu verhindern). Aber vor allem sollte Karl »alle Entscheidungen mir überlassen«, schrieb Maximilian, denn »Ihr seid zu weit entfernt, als dass wir Euch alles sagen könnten oder fragen könnten, was Ihr braucht: Bis wir Eure Antwort erhalten, könnten die Dinge schon ganz anders aussehen.«40
Für den Fall, dass sein Enkel den Ernst der Lage noch immer verkannte, brachte der Kaiser eine Woche darauf einen durch und durch passiv-aggressiven Brief auf den Weg (eine Kommunikationsstrategie, die Karl später vervollkommnen sollte). Sofern der Enkel nicht die verlangten Summen zahle und dem Großvater die volle Verfügungsgewalt übertrage, so warnte Maximilian,
»sehen wir keine Möglichkeit, diese Angelegenheit so zu betreiben, wie es unser beider Wunsch und Ehrbedürfnis entspricht; und wenn es dabei irgendeinen Fehler oder eine Nachlässigkeit geben sollte, wären wir doch sehr verärgert darüber, dass wir uns ein Leben lang die größte Mühe gegeben und keine Beschwernis gescheut haben, um Ruf und Ansehen unseres Haus und unserer Nachkommenschaft zu mehren und zu erhöhen, und dass Ihr dann mit Eurer Pflichtvergessenheit das alles zum Einsturz gebracht und all unsere Königreiche, Dominien und Herrschaften riskiert, ja letztlich unsere ganze Erbfolge aufs Spiel gesetzt hättet.«
»Nehmt Euch diese Angelegenheit zu Herzen zum Wohle unseres ganzen Hauses, so wie wir selbst es tun«, mahnte Maximilian seinen Enkel noch in einer eigenhändigen Nachschrift.41 Einige Tage später sandte Jakob Villinger, Maximilians Generalschatzmeister, ein ähnlich vorwurfsvolles Schreiben an Chièvres. Wenn Karl »das Reich wirklich will«, insistiert Villinger da, müsse er umgehend weitere 100 000 Gulden nach Deutschland schicken und Maximilian bei der Verwendung des Geldes vollkommen freie Hand lassen. »Ihr wisst ja bereits, wie bedeutsam diese Angelegenheit ist«, fuhr er unnachgiebig fort, »aber ich will Euer Gedächtnis auffrischen.« Karls Wahl werde es dem Haus Habsburg ermöglichen,
»unsere Feinde und Neider zu unterwerfen, während das Gegenteil uns in solch vollkommenes Elend und Wirrsal stürzen würde, dass wir es ewig zu bereuen hätten. Wir dürfen nicht vergessen, dass jeder kleine Konflikt, jede noch so geringe Konfrontation, ganz egal, wo sie sich ereignen mögen, uns leicht dieselbe Summe kosten könnten wie diese Angelegenheit – wenn nicht sogar mehr. Zudem wird, wie Ihr ja wisst, der Gewinn der Kaiserkrone viele der Probleme lösen, die uns andernfalls drohen.«
»Hört auf das, was ich Euch gerade gesagt habe«, schloss Villinger seinen Brief recht barsch, »oder wir sind verloren. Verschlaft nicht diese Gelegenheit! … Denkt nicht daran, die Dinge noch weiter hinauszuschieben!«42
Nachdem er diese ungewohnte verbale Abreibung zur Kenntnis genommen hatte, zeichnete Chièvres den Brief demütig ab – »Empfangen zu Saragossa den 10. Juni« – und machte sich daran, mehr Geld zur Zahlung nach Deutschland aufzutreiben. Auch überwand er seine Feindschaft mit der Erzherzogin Margarete und legte Karl nahe, ihr zumindest einige der Zuständigkeiten zurückzuübertragen, die man ihr bei seiner Mündigsprechung genommen hatte. So wurde sie nun in Karls Worten »Superintendentin all unserer Finanzen in den Niederlanden« und erhielt die alleinige Autorität, offizielle Dokumente im Namen ihres Neffen zu unterzeichnen (die daraufhin zu befolgen waren, »als wenn wir die besagten Dokumente mit unserer eigenen Hand unterzeichnet hätten«, so Karl); dazu kamen umfassende Patronagerechte.43
Karl bekräftigte nun, er wolle »römischer König werden, koste es, was es wolle, ohne jeden finanziellen Aufwand zu scheuen«, und Maximilian, der zuversichtlich darauf vertraute, sein Enkel werde schon für alle nur denkbaren Versprechungen des Großvaters bürgen, berief für Juli 1518 einen Reichstag nach Augsburg ein.44 Während der folgenden drei Monate stand die Stadt am Lech im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Albrecht Dürer, der berühmteste Künstler Europas, reiste an, um die Angehörigen der deutschen Elite zu porträtieren; Martin Luther traf ein, um einem päpstlichen Legaten gegenüber die Feinheiten seiner Kritik an gewissen Praktiken der Kirche zu erläutern; und fünf Kurfürsten sollten sich schließlich bereit erklären, für Karl als neuen rex Romanorum zu stimmen. Im Gegenzug versprach Maximilian den Kurfürsten (in Karls Namen) 500 000 Gulden, die am Tag der Wahl fällig wurden, sowie mehr als 70 000 Gulden jährlich in Pensionen, dazu diverse Wandteppiche, Gold, Silber und andere Bestechungsgaben. Jedoch hatte Maximilians Plan einen entscheidenden Fehler – denn man nannte ihn zwar gemeinhin »Kaiser«, er hatte sich jedoch nie vom Papst zum Kaiser krönen lassen und war also eigentlich noch immer »nur« römisch-deutscher König. Wie ein französischer Gesandter mit kaum verhohlener Schadenfreude anmerkte, »kann nun keine Wahl stattfinden, bevor er nicht selbst [zum Kaiser] gekrönt worden ist«. Doch wenngleich Maximilian und Karl keine Zeit mehr verloren und alles daransetzten, dieses Versäumnis noch zu beheben, indem sie versuchten, den Papst zu einer Krönungszeremonie in Trient gleich hinter der italienischen Grenze zu bewegen, war es dafür schon zu spät. Am 12. Januar 1519 starb Maximilian.45
»Die Lage hier ist nun eine gänzlich andere«, bemerkte einer von Karls Gesandten bekümmert, als er kurz nach Maximilians Tod von seinem deutschen Posten einen Brief an Margarete schrieb: Der Verstorbene »wusste, wie man eine Entscheidung fällt, er wurde geliebt und gefürchtet zugleich«, Karl dagegen sei »weit weg und in Deutschland so gut wie unbekannt«. Außerdem »haben die Franzosen viele üble Dinge über ihn verbreitet«. Doch üble Nachrede war nicht ihr einziges Geschäft. Sobald er von Maximilians Tod erfuhr, sandte König Franz einen Sonderbotschafter aus, der den pfälzischen Kurfürsten daran erinnern sollte, dass der neue Kaiser in der Lage sein musste, das römisch-deutsche Reich vor einem möglichen Angriff der Osmanen zu schützen. In diesem Zusammenhang sollte er dem Kurfürsten Karls »Unerfahrenheit und schlechte Gesundheit« im Gegensatz zu Franz’ eigener »Stärke, Wohlhabenheit, Waffenliebe, Expertise und Kriegserfahrung« vor Augen führen. Zunutze machen sollte der Gesandte sich auch »die Schmach, die der Katholische König [dem Bruder des Kurfürsten] Friedrich zugefügt hatte, indem er ihn von seinem Hof verstieß und ihm die Ehe mit seiner Schwester [Eleonore] verweigerte, obgleich diese ihn sehr gern geheiratet hätte«. Zugleich begann Franz schon einmal mit den militärischen Vorbereitungen, denn, wie er seinen Agenten in Deutschland in Erinnerung rief, »wenn man in Zeiten wie diesen etwas wirklich will – sei es die Papst- oder die Kaiserkrone oder irgendetwas anderes –, bekommt man es nur, wenn man dazu Gewalt oder Bestechung einsetzt«. Kurz darauf versprach der Papst dem französischen König seine Unterstützung bei der bevorstehenden Wahl.46
Mitte Februar 1519 kamen Margarete und ihr niederländischer Beraterkreis schweren Herzens zu dem Schluss, dass nach Lage der Dinge sich wohl Franz bei der Wahl durchsetzen würde, weshalb sie Karl eine radikal andere Strategie vorschlugen: Er sollte seinen eigenen Anspruch auf die römisch-deutsche Königswürde aufgeben und stattdessen dafür sorgen, dass sein Bruder Ferdinand gewählt würde. Der befand sich gegenwärtig in den Niederlanden und konnte ohne großen Aufwand in das Reich reisen, wo er sowohl die Kontrolle über die habsburgischen Erblande sichern als auch persönlich mit den Kurfürsten verhandeln sollte. Außerdem sollte Karl einen geeigneten deutschen Fürsten als Kompromisskandidaten benennen, etwa den Pfalzgrafen Friedrich, für den Fall, dass die Kurfürsten die erneute Wahl eines Habsburgers kategorisch ablehnen sollten. Margarete und ihre Ratgeber teilten Karl mit, dass sie ihren Plan in die Tat umsetzen würden, sollten sie von ihm nicht bis zum 13. März – also gerade einmal drei Wochen später – etwas Gegenteiliges gehört haben.47
Die sperrige Gesamterbmasse der Häuser Österreich, Burgund und Trastámara zwischen den beiden Enkelsöhnen Maximilians aufzuteilen, erschien nur vernünftig, und so sollte Karl schließlich in das Vorhaben einwilligen. 1519 allerdings rief der Vorschlag noch die wütende Zurückweisung und Misbilligung des jungen Herrschers hervor, die er per Brief und mittels eines Sonderbotschafters in die Niederlande übermittelte. Karl bekräftigte, er sei »ganz und gar entschlossen, keine Kosten und Mühen zu scheuen, um unsere Wahl zu sichern, welche wir begehren wie nichts anderes auf der Welt«. Nicht nur sei er Maximilians »ältester Enkelsohn, sondern auch derjenige, den [Maximilian] selbst erkoren hat«, sein Nachfolger zu werden. Wenn er seine Kandidatur jetzt zurückzöge, fuhr Karl fort, würde er »nicht nur das Reich verwirken, sondern auch unsere Ehre sowie all das Geld, das wir bereits ausgegeben haben«. Außerdem machte er geltend, dass eine Erbteilung zwischen ihm und seinem Bruder »es leichter machen würde, unsere vereinte Stärke auseinanderzubrechen und unser Haus ganz zu zerschlagen«, denn ohne einen direkten Zugang zu den Ressourcen Spaniens und der Niederlande wäre Ferdinand nicht in der Lage, sich gegebenenfalls zu verteidigen. Karl spekulierte sogar darüber, dass die Personen, die die Teilung vorgeschlagen hatten, »dieselben Leute sind, die schon früher versucht haben, Zwietracht zwischen dem König von Aragón und meinem Vater [Philipp] zu säen, später dann auch mir selbst Steine in den Weg gelegt haben und die nun ewigen Streit und Entzweiung zwischen mich und meinen Bruder bringen wollen«. Zu guter Letzt fand er, da selbst die besten Eilboten die immense Entfernung zwischen Spanien und den Niederlanden nur selten in weniger als zwei Wochen zurückzulegen vermochten, die von Margarete bis zur eigenmächtigen Umsetzung ihrer Initiative gesetzte Frist von nur drei Wochen eine absolute Unverschämtheit.48 Karl machte seinem Ärger noch anderweitig Luft, wie aus Margaretes Bemerkung hervorgeht: »Er ist weiß Gott verärgert über das, was wir ihm geraten haben, den persönlichen Briefen nach zu urteilen, die er mir seitdem geschrieben hat« (und die heute offenbar verloren sind). Karls eigenhändiger Nachtrag zu einem anderen Brief an seine Tante enthielt die folgende Drohung: »Tut, was ich Euch gerade aufgetragen habe, denn andernfalls würdet Ihr mich verärgern.«49 Der König erkannte dennoch, dass er seinem Bruder gut zureden und ihn beschwichtigen musste, und machte daher zwei entscheidende Zugeständnisse: Nach seiner Wahl zum König der Römer, versprach er, würde er zumindest einen Teil der österreichischen Erblande an Ferdinand abtreten; und »sobald wir zum Kaiser gekrönt worden sind, können wir leicht und ohne jede Gefahr dafür sorgen, dass [Ferdinand] zum römischen König gewählt werde, sodass das Reich auf ewig in der Hand unseres Hauses verbleibt«.50
Margaretes Antwort auf die wütenden Anschuldigungen ihres Neffen war betont kühl: »Wir sehen überhaupt nur zwei Wege, auf denen Ihr in dieser Wahl zu Erfolg kommen könnt. Erstens durch Geld«, da jeder der Kurfürsten inzwischen sehr viel mehr für seine Stimme verlangte, als Maximilian ihnen in Augsburg hatte bieten können. »Der zweite Weg, Sire, ist der Weg der Stärke« – womit die Mobilisierung von Truppen in den Niederlanden und in Spanien gemeint war, um einer bewaffneten Intervention Frankreichs abschreckend vorzubeugen, aber auch in den deutschen Territorien, um die Kurfürsten einzuschüchtern. Auch eine solche Mobilisierung würde natürlich Geld kosten. So oder so, fuhr Margarete fort: Da zur Erlangung der Kaiserwürde »Ihr keine Kosten und Mühen scheuen wolltet [Hören wir da einen Hauch von Sarkasmus?], müsst Ihr Euren Gesandten freie Hand geben, mehr als die bisher versprochenen Summen zu bieten und zu zahlen, ganz abhängig davon, welche Situation sie vorfinden … und zwar ohne die Verpflichtung, eine jede Entscheidung an Eure Majestät weiterzuleiten, da die lange Wartezeit auf Eure Antwort Schaden anrichten könnte«. Insbesondere bestand Margarete darauf, dass Karl den reichsten Bankier Europas, Jakob Fugger aus Augsburg, ermächtigen solle, für sämtliche von seinen Unterhändlern eingegangenen Verpflichtungen zu bürgen. Nur so lasse sich »die Verschwendungssucht der Franzosen in dieser Sache, die schlicht unglaublich ist«, noch übertreffen. Als ihr Neffe vergebens protestierte, das sei aber »ein sehr kostspieliges Pferd, das er da reiten solle«, schmetterte sie zurück: »Uns ist der Preis jenes Pferdes durchaus bewusst; nur ist es die Art von Pferd, bei der, wenn Ihr es nicht haben wollt, ein anderer Käufer schon bereitsteht.«51
Dieser Logik seiner Tante hatte Karl nichts entgegenzusetzen, und so bevollmächtigte er im Mai 1519 widerstrebend seinen Vertrauten Heinrich von Nassau, jegliche Zahlungen zu leisten, die Margarete zwecks einer Verbesserung seiner Wahlchancen für angebracht hielt, und er bat Fugger, für die betreffenden Summen zu bürgen. Außerdem untersagte er allen niederländischen Bankiers, während der nächsten sechs Monate Kredit in das Ausland zu vergeben oder Gelder außer Landes zu transferieren, es sei denn, Margarete hatte dem ausdrücklich zugestimmt. Und Karl begann eine Charmeoffensive, indem er eigenhändig und mühsam, Schriftzeichen für Schriftzeichen, Freundschaftsbekundungen in deutscher Sprache an jeden einzelnen Kurfürsten abschrieb (Abb. 10).52 Ihm war auch klar, dass er mit dem Bruder des pfälzischen Kurfürsten würde Frieden schließen müssen. Louis Maroton zufolge, der als Karls Agent für die Durchführung der besagten Charmeoffensive verantwortlich zeichnete, hatte Friedrich »gehört, dass [Karl] mit ihm nicht zufrieden sei wegen der Königin von Portugal [d. i. Eleonore], und er sagte mir dieses: ›Wenn ich glaubte, der König sei noch immer böse auf mich, Monsieur Louis, dann würde ich Maßnahmen ergreifen, die nicht zu seinem Vorteil wären.‹« Einen Monat später wiederholte Friedrich seine Drohung: Wenngleich er Maroton versicherte, dass er sich für die Wahl Karls einsetzen wolle, »hänge dies jedoch ganz davon ab, dass die ihm gemachten Versprechungen gehalten würden; und er verlangte eine feste Zusicherung in dieser Sache, indem er mir die rohe Behandlung (rude traictement) in Erinnerung rief, die ihm schon einmal zuteilgeworden war«. Friedrich schrieb auch direkt an Margarete und versicherte ihr, er werde sein Bestes tun, um Karls Wahlerfolg zu gewährleisten, »es sei denn, jemand böte mir Grund zu einer Sinnesänderung«. Seinen eigenhändigen Brief beschloss er sicher nicht ohne Grund mit der Bitte an Margarete, »meinen lästigen Brief nicht allzu schwer zu nehmen« – das erinnerte sehr an die Worte, mit denen er zwei Jahre zuvor seinen letzten Liebesbrief an Eleonore beschlossen hatte. Karl musste seinen Stolz hinunterschlucken: Er schrieb »zwei artige und liebenswürdige Briefe mit meiner eigenen Hand«, um Friedrich seiner Zuneigung zu versichern, sorgte dafür, dass der Pfalzgraf seine üppige Pension wie zuvor bezog, und versprach ihm weitere Belohnungen für die Zeit nach der Wahl.53
Auch um andere wichtige Unterstützer im Reich bemühte sich Karl, darunter Jakob Fugger, der Karl nicht nur von anderen Bankiers ausgestellte Kreditbriefe auszahlte und dem König beinahe 550 000 Gulden aus seiner eigenen Schatulle lieh, sondern sich im umgekehrten Fall weigerte, aus Frankreich erhaltene Kreditbriefe einzulösen. Aus seiner Haltung machte Fugger keinen Hehl. Im Februar 1519 schrieb er eine eigenhändige Nachricht an den brandenburgischen Kurfürsten, worin er diesem mitteilte, gerade sei ein Kreditbrief von Karl eingegangen, »aus dem ich Anweisung habe, Euer Gnaden 100 000 Gulden zu zahlen«. Er legte Abschriften von Briefen aus Spanien bei, in denen die Vorbereitungen für die Hochzeit von Karls Schwester Catalina mit dem Sohn des Brandenburgers beschrieben wurden.54
Zweifellos trugen die beträchtlichen Schulden, die Maximilian bis zu seinem Tod bei Jakob Fugger angehäuft hatte und die allein ein König von Spanien je würde begleichen können, zu Fuggers Entscheidung bei, sich mit all seinem Einfluss für Karl als Kandidaten einzusetzen. Aber er unterstützte Karl wohl auch aus Furcht vor dem, was Franz I. im Fall seiner Wahl womöglich tun würde. Damit war der Augsburger nicht allein. Im März 1519 flehte der Mainzer Kurfürst seinen Bruder, den Kurfürsten von Brandenburg, an, »in dieser Angelegenheit doch auch einmal die Ehre des Reiches in Betracht zu ziehen, Eure eigene Ehre, die Ehre unseres Hauses sowie der ganzen deutschen Nation« – denn sollten die Franzosen siegen, »dann werden sie sich nach Kräften bemühen, sich alles und jedermann untertan zu machen als Herren und Herrscher auf ewig«. Ein paar Tage später erklärte ein Vertreter des rheinischen Adels: »Wir werden restlos alles geben, bis zum letzten Blutstropfen, um einen französischen Erfolg zu verhindern.« Und Margarete tat ihrerseits alles, um noch Öl in dieses Feuer zu gießen. So schrieb sie ihrem Agenten in Deutschland: »Ich bin hocherfreut darüber, dass sich jedermann dort gegen die Franzosen erklärt, und ich bitte Euch, alle möglichen Wege zu finden, diese Abneigung noch zu verstärken, sei es durch Prediger oder Stadtobere oder auf irgendeine andere Weise.« Und tatsächlich wurde König Franz in zahlreichen (auch gedruckten) Predigten und bebilderten Einblattdrucken dämonisiert und die »Knechtschaft« seiner Untertanen in den schrecklichsten Farben ausgemalt, die Freiheit und »Libertät« unter der Herrschaft der Habsburger jedoch gepriesen.55
Dennoch war für viele die Gier zum hauptsächlichen, wenn auch nicht einzigen Motivationsfaktor geworden. Wie ein französischer Diplomat im Reich bemerkte: »Die Sache ist an einen Punkt gelangt, wo derjenige der beiden Könige sie für sich entscheiden wird, der am meisten gibt und verspricht.« Der Mainzer Kurfürst wechselte in den zwei Jahren, die der Wahl vorausgingen, sage und schreibe sechsmal die Seiten – und Anlass war jedes Mal, dass man ihm eine noch größere Geldsumme versprochen hatte.56
Angesichts einer solchen Blüte der Korruption wurde Karl ganz philosophisch zumute. Im Mai 1519 teilte er Margarete mit, dass, »da der Wahltag uns nun bald bevorsteht, wir uns ganz Gott anempfehlen müssen – und abwarten und schauen müssen, was Er entscheiden wird, wobei wir natürlich immer weiter danach streben werden, unser Bestes zu geben« – ein Reflex jener stoischen Werte, die man ihm einst an ihrem Hof in Mecheln nahegebracht hatte. Auch zeigte Karl sich zunehmend kriegerischer, warb ein Söldnerheer an und befahl, dass dieses nahe Frankfurt sein Lager aufschlagen solle – der Stadt, in der die Kurfürsten zur Wahl schreiten würden. Mit diesem Zusammenspiel von Zuckerbrot und Peitsche sollte Karl schließlich erfolgreich sein: Am 28. Juni 1519 wählten ihn die sieben Kurfürsten einstimmig zum neuen rex Romanorum.57