Читать книгу Europas Kreuz - Georg Alfons Schmucker - Страница 5
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ОглавлениеEr war gefährlicher als sein eigentlicher Gegner, als C. G. Geon.
Putschtjew schaute seinem General Molotow direkt in die eisblauen Augen, die keinerlei Regung zeigten. Molotow war einer seiner fünf Generäle. Gerade hatte er die ordensgeschmückten Militärs in den Kreml einbefohlen, um die genaue Strategie zu besprechen, wie man den arroganten, selbstgefälligen Westen in die Knie zwingen konnte.
Putschjew liebte den massiven, bedrohlichen Kreml. Der Kreml, mit seiner Burg, den riesigen, wehrhaften Mauern und den 20 Türmen, hatte schon den Zaren alle Dienste geleistet, um die Macht Russlands zu demonstrieren. Auch die Kommunisten hatten sich im 20. Jahrhundert im Kreml eingenistet, aber sie waren vom Strom der Geschichte hinweggespült worden. Jetzt hatte er sich darin breitgemacht.
Mehr als ein politischer Beobachter wusste, dass es sich im Falle Russlands immer noch bestenfalls um eine „Demokratur“ handelte, eine Mischung aus Diktatur und ein paar Krümeln Demokratie, jedenfalls seit er das Ruder übernommen hatte und in einer halblegalen Wahl als russischer Präsident bestätigt worden war; aber das war ihm herzlich gleichgültig.
Putschjew schaute seine fünf Generäle herausfordern der Reihe nach an, doch sein Blick kehrte immer wieder zu Molotow zurück. Dessen Augen waren noch immer so blau und so eiskalt wie die Wolga zur Winterszeit.
„Wir werden die gesamte Ukraine schlucken!“, verkündete er. „Und wir werden dem verdammten Westen, der sich für den Nabel der Welt hält, wieder das Fürchten lehren!“
„Die technologische Überlegenheit der Vereinigten Staaten von Europa, zusammen mit seiner Wirtschaftskraft, wird uns einen Strich durch die Rechnung machen!“, versetzte Molotow, der aufmüpfige General, in aller Ruhe.
Die anderen Militärs verfolgten die Auseinandersetzung zwischen dem russischen Staatschef und Molotow gespannt.
Putschjew antwortete gefährlich leise, „Mit dieser Einstellung lässt sich kein Staat machen!“ Er ruckte mit dem schmalen Kopf hoch. Seine Augen zogen sich plötzlich zu Schlitzen zusammen. Keiner dieser Bettnässer, die sich General schimpften, wusste, was er wirklich vorhatte. Niemand wusste, auf welche Weise er die Ukraine einkassieren würde. Niemand kannte seine tatsächlichen Pläne. Aber zunächst musste er diesen zitternden Angsthasen zeigen, wer in Russland das Sagen hatte.
Übergangslos hielt er plötzlich einen alten russischen Armeerevolver in der Hand und richtete ihn auf Molotow. Ohne Vorwarnung zog er den Abzug durch. Die Kugel sauste in eines der eisblauen Augen des widerspenstigen Generals. Molotow blieb nicht einmal mehr Zeit zum Staunen. Er war sofort tot. Sein Kopf knallte mit einem dumpfen Schlag auf die Tischplatte.
Putschjew steckte in aller Ruhe seinen altmodischen Revolver weg und meinte: „Die Franzosen würden von einem Fait accompli sprechen.“ In die entsetzten Gesichter der verbliebenen vier Generäle sagte er: „Die Deutschen nennen das eine vollendete Tatsache oder einen Sachverhalt, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die Italiener nennen es nur: Finito la musica! Genau so werden wir im Fall der Ukraine vorgehen. Wir werden eine Situation schaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Also meine Herren, sind Sie für mich oder gegen mich?“
Die Vorbereitungen liefen auf vollen Hochtouren. An der Grenze zur Ukraine befanden sich inzwischen 560 russische Panzer sowie zahlreiche Bodentruppen. Vor der Krim, von der es nur ein Katzensprung zur Ukraine war, kreuzten die Tanker Putschjews. Aber wichtiger war der Umstand, dass auf der Krimhalbinsel gerade 100 russische Soldaten in die Uniformen ukrainischer Soldaten gesteckt wurden. Alles geschah unter größter Geheimhaltung. Selbst die Köpfe der russischen Soldaten verbargen sich nach einer Weile unter ukrainischen Helmen, die nahezu das gesamte Gesicht bedeckten. Die Lippen waren mit einem eisernen Mundschutz verschlossen, so dass sich kein Soldat versehentlich durch die russische Sprache verriet. Jeder erhielt einen letzten Schluck Wodka. Dann warteten alle nervös die Nacht ab. Ein leichter Nebel erhob sich über der Krim, was das Vorhaben erleichterte. Schließlich wurden die verkleideten russischen Soldaten, die sogar mit originalen ukrainischen Gewehren ausgerüstet worden waren, per Lastwagen zur ukrainischen Grenze gekarrt.
Dort sprangen die verkleideten russischen Soldaten von den Lkws. Dann warfen sich flach auf den Boden und robbten auf die Grenze zu.
Alles war gespenstisch still. Nur ein paar Grillen zirpten. Der Nebel verzog sich langsam, lediglich ein paar dünne Schwaden segelten noch durch die Luft. In der Ferne erblickten die Soldaten ein paar ukrainische Grenzposten, die auf- und abpatrouillierten, mit geschultertem Gewehr. Die Scharfschützen robbten sich näher heran und gingen in Stellung. Kurz darauf bellten einige Schüsse auf. Die ukrainischen Posten sackten wortlos in sich zusammen, einer riss die Arme hoch in die Luft. Nur Minuten später schlüpften die 100 verkleideten russischen Soldaten über die wenig befestigte Grenze in die Ukraine. Damit befanden sie sich in Feindesland. Ihr Befehl war ebenso einfach wie infam. Zunächst mussten sie sich sorgfältig verstecken, genau 24 Stunden lang. Aber schon in der nächsten Nacht würden sie von der Ukraine aus Russland scheinbar angreifen. Das würde Putschjew den Vorwand liefern, „zurückzuschlagen“. Vor der Weltpresse konnte er dann behaupten, dass ukrainische Soldaten Russland überfallen hätten. Dass es sich dabei um eine Lüge, so groß wie der der Kreml handelte, war gleichgültig. Waren die Russen nicht schon immer intelligenter gewesen als alle Europäer zusammengenommen?
Die Soldaten befanden sich in Hochstimmung. Jeder erhielt eine zweite Ration Wodka. Rasch verbargen sie sich innerhalb eines kleinen Wäldchens. Morgen, ja morgen schon, würden sie scheinbar gegen Mütterchen Russland kämpfen. Russlands Größe würde endlich wiederhergestellt werden.