Читать книгу Europas Kreuz - Georg Alfons Schmucker - Страница 6
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ОглавлениеDie Probleme drohten ihn schier zu überwältigen.
Putschjew befand sich allein in seinem luxuriösen Geheimbunker unter dem Kreml, während er mit vorgerecktem Kinn die riesige Landkarte studierte, die an der Wand hing; sie zeigte das russische Großreich und alle angrenzenden Länder.
Russland erstreckte sich noch immer von den Grenzen Chinas bis hin nach Europa hinein. Aber die Ukraine war der ewige Zankapfel.
Ja, Molotow war ausgeschaltet. Er hatte den anderen Generälen damit bewiesen, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Doch die Vereinigten Staaten von Europa waren das eigentliche Problem. Oder doch nicht? Im Grunde genommen existierte ein ganzer Sack voller Probleme. Plötzlich tauchten sie aus dem Nichts aus und pisackten ihn, wie Flöhe. Im Süden Russlands störten gerade wieder einmal die Tschetschenen die russische Harmonie. Ständig stellten sie hinterlistig den Antrag, aus dem russischen Staatenbund austreten zu wollen. Alle Kriege, mit denen sie gebändigt und niedergeschlagen worden waren, hatten den Widerstandswillen der Tschetschenen nicht brechen können. Putschjew zerbrach vor Zorn darüber einen Bleistift, den er gerade in der Hand hielt. Gerade hatte sogar eine tschetschenische Exilregierung die Vereinigten Staaten von Europa um Hilfe gebeten.
Also musste er diesen verdammten Europäern, allen voran diesem C. G. Geon, beweisen, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war.
Aber auch die innerrussischen Zustände waren höchst beunruhigend. In Sankt Petersburg machte im Moment ein Parteigenosse gegen ihn mobil, Pjotr Scharbow, der Bürgermeister, weil er, Putschjew, angeblich nicht dafür sorgte, dass die Bevölkerung genug zu beißen hatte. In Moskau regten sich ebenfalls bereits Widerstände gegen die Unterversorgung. Ja selbst Städte, die in der Nähe zur chinesischen Grenze gelegen waren, richteten immer dringendere Mahnungen an ihn, weil wieder einmal die Ernten schlecht ausgefallen waren.
Bei allen russischen Zaren und Großfürsten, er konnte sich nicht darum kümmern, die alte Größe Russlands wieder herzustellen, während er gleichzeitig dafür sorgte, dass alle russischen alten Weiber genug Hühner in ihrem Kochtopf hatten! Man warf ihm sämtliche Probleme der Nation nach, wie alte Abfallschalen; aber er war nicht die Müllabfuhr.
Zornig zerbrach Putschjew einen zweiten Bleistift.
Er musste sich beruhigen. Ärgerlich wanderte er zurück zu seinem riesigen Schreibtisch und holte aus einem Geheimfach eine Flasche Wodka. Dann goss er sich ein Glas randvoll und stürzte es in einem Zug hinunter. Unversehens dachte er an Natascha, die ihm so viele schöne Stunden bereitet hatte, bevor er sie dazu abkommandiert hatte, in Frankreich als Karrierespion in die höchsten Ränge aufzusteigen und den Präsidenten dort um den Finger zu wickeln. Niemand war im Bett so begabt wie Natascha. Sie würde ihm alle notwendigen Informationen zuspielen, was die Aktionen der USEU anging. Das war ihre verdammte Aufgabe. Oh sie war kein Betthäschen, sie war ein sibirischer Tiger. Er erinnerte sich kurz, wie sie einmal ihre rotlackierten Fingernägel in seinen Rücken geschlagen und ihn blutig gekratzt hatte, während sie ihn gleichzeitig fast zu Tode geritten hatte. Doch er musste sich konzentrieren: Wie würden die verfluchten Europäer reagieren, wenn er in der Ukraine einfiel?
Tausende von Kilometern weiter im Westen beschäftigte sich Major Natascha Netilowna tatsächlich gerade mit dem Président de la République française. Godart schritt mit hinter dem Rücken verschränkten Armen auf und ab, nachdem er Natascha auf ein Geheimdossier aufmerksam gemacht hatte, dass er absichtlich nachlässig auf seinen Schreibtisch geknallt hatte. Aber jetzt, in diesem Augenblick, hielt er in seinem Schritt inne und näherte sich ihr von hinten, in seinem großräumigen Arbeitszimmer im Élysée-Palast.
Natascha reckte ihm scheinbar unbekümmert ihr provozierendes Hinterteil entgegen. Sie gab vor, das Geheimdossier auf seinem Schreibtisch zu lesen. Aber sie wusste sehr wohl, dass Godart gerade mit unverhohlener Bewunderung ihren verlängerten Rücken studierte. Er hielt sich nur mit Mühe davor zurück, sie mit seinen fleischigen Wurstfingern in der Taille zu umfassen. Gut so! Man musste die Männer zuerst verrückt machen, bevor man sie langsam, Stück für Stück, in die Zuckerdose greifen ließ. Wenn man sich allzu schnell ergab, wenn man eine zu leichte Beute war, verloren sie rasch das Interesse. In diesem Augenblick spürte sie, dass Godart tatsächlich die Finger nach ihr ausstreckte. Aha, der Fisch hatte angebissen
Unvermittelt wandte sie sich um und zeigte Godart, dem drittmächtigsten Mann Europas, ihr Gesicht, mit den lüsternen, knallroten Lippen und den katzenartigen, leicht geschlitzten Tigeraugen, die in der Iris goldgelb gesprenkelt waren. Sie spitzte den Mund und warf ihm seidenweich die Worte zu: „Monsieur le Président, dieses Dokument beweist es. Ich glaube, dass Sie recht haben und C. G. Geon unrecht. Wenn man den Russen nicht sofort auf die Finger haut, nehmen sie sich alles Mögliche heraus. Es ist wie im wirklichen Leben.“
Bei diesen Worten schlug sie Godart leicht auf die Wurstfinger, die dieser noch immer nach ihr ausgestreckt hielt.
Wie ein ertappter kleiner Bauernlümmel zog der französische Staatspräsident seine Finger zurück. Dieses Weib, das er so weit in der politischen Hierarchie hatte aufsteigen lassen, trieb ihn zur Weißglut. Trotzdem hatte er es bislang noch nicht geschafft, sie in die Horizontale zu bringen.
„Erklären Sie sich näher, Natascha!“, erwiderte er, während er ihr einzigartiges Gesicht studierte, von dem er sich ebenfalls nicht losreißen konnte.
„Ich glaube, die Russen verstehen nur eine Sprache: den Krieg!“, erwiderte seine Staatssekretärin wie aus der Pistole geschossen
Godart lächelte. Er hatte alle Bedenken seines Sécurité-Personals beiseite gefegt und ihnen hundert Male erklärt, dass Natascha Netilowna kein Sicherheitsrisiko darstellte. Wenn Natascha eine Agentin war, dann war er der Sonnenkönig! Eine russische Agentin würde Frankreich nie und nimmer zum Krieg gegen ihr eigenes Vaterland aufhetzen! Ihre Antwort zeigte einmal mehr, dass sie eine treue Dienerin Frankreichs war.
Natascha trat in diesem Moment überraschend näher auf ihn zu, so dass er auf einmal ihr erregendes Parfüm wahrnahm. Es benebelte ihm die Sinne.
Seine Staatssekretärin, die secrétaire d`État, schien nichts zu bemerken. Sie sagte nur: „Nehmen wir an, die Russen sind so dumm, in die Ukraine einzumarschieren. Dann schlägt Europa natürlich zurück. Wo, Monsieur le Président, würden wir zuschlagen? Wo würden wir den russischen Bären zuerst kitzeln?“ Sie trat bei diesen Worten provokant noch einen weiteren kleinen Schritt auf ihn zu, so dass ihre Hügel auf einmal direkt vor seinen Augen standen, denn sie war um einiges größer als er.
Major Natascha Netilowna selbst hielt den Atem an. Die nächsten Sekunden waren allesentscheidend. Wenn Sie Präsident Putschjew mitteilen konnte, wie die strategisch- militärischen Entscheidungen Europas aussehen würden, war der drohende Krieg bereits so gut wie gewonnen.
Godart starrte nur wie hypnotisiert auf ihre Amorhügel. Im Gegensatz zu ihr atmete er schwer. Dann entgegnete er: „Wir sollten uns über diese heikle Frage an einem sehr viel privateren Ort unterhalten! Schließlich geht es hier um Staatsgeheimnisse, ma cherie! “
Major Natascha Netilowna trat unwillkürlich einen Schritt zurück, wobei ihre Hügel leicht nachzitterten. Bei allen verlogenen Popen und verruchten Zaren! Sie würde sich von diesem kleinen, fetten, geilen Franzosen nicht doch noch ins Bett zerren lassen müssen?