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EINLEITUNG

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Wertvolle Angaben über das Leben Jesu befinden sich bei Rosenkranz und Haym, denen der ganze Nachlass vorlag, und zwar hat Rosenkranz (Hegels Leben, 1844, S. 49 — 53) hauptsächlich die Entstehungsgeschichte, Haym (Hegel und seine Zeit, 1857, S. 46 — 53) die philosophische Tendenz und das psychologische Interesse von Hegels Jugendwerk berücksichtigt. Keiner der folgenden Biographen aber hat Einsicht in die Manuskripte genommen. Am gründlichsten haben Caird (1883), K. Fischer (190 1) und Drews (Hegels Religionsphilosophie, Diederichs Verlag, 1905, Historische Einführung S. XL — XLVII) das schon vorhandene Material verwertet.

Im Herbst 1793 verließ Hegel nach bestandenem Kandidatenexamen das Tübinger Stift, weilte einige Wochen in seiner Vaterstadt Stuttgart und nahm darauf eine Hauslehrerstelle bei einem Berner Patrizier, Herrn Steiger von Tschugg, an, die er bis Ende 1796 bekleidete. Aus den damals von Hegel an Schelling geschriebenen Briefen geht hervor, dass Hegel von seinem Amt in Bern sehr in Anspruch genommen war. "Ganz müßig bin ich nicht, aber meine zu heterogene und oft unterbrochene Beschäftigung lässt mich zu nichts Rechtem kommen"(an Schelling, 24. Dez. 1794; vgl. Briefe von und an Hegel, herausg. von Karl Hegel, 1887. S. 7). Dazu kam der Mangel an Lektüre in Bern selbst und noch mehr auf dem Lande, denn im Frühling und Sommer wohnte die Familie des Herrn Steiger aufschloss Tschugg, in der Vogtei Erlach, am Bieler See gelegen. "Meine Entfernung von allen Büchern", so klagt Hegel, "und die Eingeschränktheit meiner Zeit erlauben mir nicht, manche Idee auszuführen, die ich mit mir herumtrage"(Jan. 1795 ; vgl. Briefe, S. 12). Daraus erklärt sich die bruchstückartige Form der Notizen, die Hegel in dieser Zeit niederschrieb, und die teils das Wesen der Religion und die Möglichkeit einer Volksreligion, teils die christliche Lehre und die Person Jesu zum Gegenstande haben (Nachlass, Bd. 7 und 11). Erst nachdem mehrere von diesen Fragmenten aufgezeichnet waren, schrieb Hegel im Frühjahr 1795 das eigentliche "Leben Jesu" nieder.

Nicht spurlos war die Aufklärung an Hegel vorübergegangen. Er war der kirchlichen Dogmatik, dem dumpfen Beharren "im System des Schlendrians" höchst abgeneigt (vgl. Brief an Schelling, Jan. 179 5) und bewegte sich ganz in Lessingschen Anschauungen, als er folgende Einleitung zu einer unausgeführt gebliebenen Darstellung der christlichen Religion schrieb: "In Bezug auf die Sache selbst wird hier bemerkt, dass überall der Grundsatz zum Fundament aller Urteile über die verschiedene Gestalt, Modifikationen und Geist der christlichen Religion gelegt worden sei, dass der Zweck und das Wesen aller wahren Religion und auch unserer Religion Moralität des Menschen sei und dass alle speziellen Lehren des Christentums, alle Mittel dieselben auszubreiten, alle Pflichten zu meinen und sonst an sich willkürliche Handlungen zu beobachten, nach ihrer näheren oder entfernteren Verbindung mit jenem Zweck in Ansehung ihres Wertes und ihrer Heiligkeit geschätzt werden"(Nachlass Bd. 11). Im subjektiven Gefühl schien ihm der Hauptwert der Religion zu liegen : "Inwiefern ist Religion zu schätzen. Als subjektive oder als objektive? In Ansehung der Empfindung vorzüglich? Die objektive ist vielmehr Theologie. — Auf subjektive Religion kommt alles an. Diese hat eigentlich wahren Wert. Die Theologen mögen sich über die Dogmen, über das, was zur objektiven Religion gehört, über die näheren Bestimmungen dieser Sätze streiten; jeder Religion liegen einige wenige Fundamentalsätze zugrunde, die nun in den verschiedenen Religionen mehr oder minder modifiziert, verunstaltet, mehr oder weniger rein dargestellt sind, die den Grund allen Glaubens, aller Hoffnungen ausmachen, welche die Religion uns an die Hand gibt. Wenn ich von Religion spreche, so abstrahiere ich schlechterdings von aller wissenschaftlichen oder vielmehr metaphysischen Erkenntnis Gottes, unseres und der ganzen Welt Verhältnisses zu ihm, usw. Eine solche Erkenntnis bei der sich bloß der räsonierende Verstand beschäftigt, ist Theologie, nicht mehr Religion. Von objektiver Religion spreche ich nur insofern, als sie einen Bestandteil der subjektiven ausmacht"(Bd. 11). Selbst im Jahre 1796, als der Sinn fürs historisch Festgesetzte in ihm lebendig wurde, ließ er zwar der positiven Religion in der Abhandlung : "Über das Verhältnis der Vernunftreligion zur positiven Religion"(Nachlass, Bd. 8) gewissermaßen Recht widerfahren, aber er betonte nicht sowohl ihren dogmatischen als ihren psychologischen Wert; er erklärte sie aus menschlichen Herzensbedürfnissen und fand sie nur als Volksreligion berechtigt. Er war jedem Dogmatismus so sehr abgeneigt, dass er auch den aus der Aufklärung entsprungenen bekämpfte, nämlich die Tendenz des Kantischen Moralismus wieder in Dogmatismus umzuschlagen; die Ethikotheologie schien ihm wieder zur Physikotheologie hinüberzuleiten: "Zu dem Unfug, wovon Du schreibst, hat unstreitig Fichte durch seine Kritik der Offenbarung Tür und Angel geöffnet; er selbst hat mäßigen Gebrauch davon gemacht, aber wenn seine Grundsätze einmal fest angenommen sind, so ist der theologischen Logik kein Ziel und Damm mehr zu setzen. Er räsoniert aus der Heiligkeit Gottes, was er vermöge seiner moralischen Natur tun müsse und solle und hat dadurch die alte Manier, in der Dogmatik zu beweisen, wiedereingeführt"(an Schelling, Jan. 1795, Briefe, S. 11).

Damit aber war Hegel über die Aufklärung hinaus. Die Aufklärung trug noch viel Verstandesmäßiges, Positives in sich, viel moralische Wertmaßstäbe und Nutzanwendungen ; Hegels Standpunkt aber war nicht der der diskursiven, sondern der intuitiven Erkenntnis. Dies erhellt z. B. in seinem "Leben Jesu" aus seiner Besprechung des Eingangs des Johannesevangeliums, wo es heißt: "Im Anfang war der Logos, der Logos war bei Gott und Gott war der Logos"; aber diese Sätze, meint Hegel, sind nicht als gewöhnliche Urteile aufzufassen, in welchen einem Subjekt ein Prädikat hinzugefügt wird; Prädikat und Subjekt sind ein und dasselbe, ein Seiendes, Lebendiges, denn jedes über Göttliches in Form der Reflexion Ausgedrückte wäre widersinnig. Desgleichen ist das Verhältnis Gottes zur Welt kein toter Zusammenhang, keine Entgegensetzung des Vernünftigen gegen das Sinnliche, sondern eine Verbindung, die wahrhaft nur als lebendiger Zusammenhang genommen und bei welcher von den Verhältnissen der Bezogenen nur mystisch gesprochen werden kann. Daher durfte sich Jesus als Sohn Gottes bezeichnen ; dies Verhältnis des Sohnes zum Vater ist nicht bloße Vereinigung im Begriffe, sondern lebendige Beziehung Lebendiger, gleiches Leben, nur Modifikationen desselben Wesens; Gottes Sohn ist dasselbe Wesen, das der Vater ist, zwar für jeden Akt der Reflexion, jedoch auch nur für einen solchen ein Besonderes. Im selben Sinn leugnete Hegel das Wunder. Er versuchte nicht, es durch verstandesmäßige Reflexion, etwa als von den Jüngern Jesu nicht verstandene Naturerscheinungen hinzustellen ; er leugnete es einfach deshalb, weil es der Vernunft widerstreite. Im Wunder als einzelnem Geschehnisse, meinte er, könne sich unmöglich das Göttliche offenbaren, denn Göttliches sei nicht Geschehendes, sondern Allgemeinseiendes; es heiße die Vernunft herabwürdigen, wenn man die Wunder exegetisch zu erklären versuche, denn man tue schon dadurch, dass man mit den Wunderverteidigern auf das Feld des Verstandes heruntersteige, der Autonomie der Vernunft Abbruch: "Denn, wenn man auch schon von jedem einzelnen Wunder zeigen könnte, dass es sich natürlich erklären lasse, so hat man dem Verteidiger schon zu viel eingeräumt. Auf die Führung des Streites vor den Richterstuhl des Verstandes sich einzulassen, beweist schon, dass uns die Erzählung von Wunderbegebenheiten stutzig gemacht hat, dass wir es nicht allein vom Standpunkt der Vernunft aus wagen, sie von der Hand zu weisen, sondern dass die Tatsachen, die man uns als Wunder ausgibt, fähig sein könnten, jene Selbständigkeit der Vernunft umzustoßen"(Vgl. Rosenkranz, S. 511). Dieselbe Neigung Hegels nur nach dem Ganzen hinzustreben, das Einige, Lebendige hervorzukehren, macht sich auch in seinem Wegwerfen jeder positiven Moral, jeder Sittenrichterei, ja selbst des Kantischen Imperativs geltend. Moralprinzipien sind für den Menschen ein Fremdes, Äußerliches, ein Entgegensetzen des Seinsollenden und der Natur. Am Kantischen Sittlichkeitsbegriffe hielt doch Hegel insofern fest, als er dem Menschen das Bewusstsein seines absoluten Wertes, seiner Gottähnlichkeit verschaffe. "Vom Kantischen System und dessen höchster Vollendung erwarte ich eine Revolution in Deutschland. Man wird schwindeln bei dieser höchsten Höhe, wodurch der Mensch so sehr gehoben wird; aber warum ist man so spät daraufgekommen, die Würde des Menschen höher anzuschlagen, sein Vermögen der Freiheit anzuerkennen, das ihn in die gleiche Ordnung der Geister setzt?"(An Schelling, 16. April 1795. Briefe, S. 15).

Aus jenem fortwährenden Betonen des Vernünftigen und jenem Vertrauen auf die Allmacht des menschlichen Geistes lässt sich erkennen, dass Hegel sich schon damals über das Grundproblem seiner spätem Philosophie, nämlich das Wirklichwerden von Vernunft und Freiheit durch Überwindung aller beschränkenden Bestimmungen klar geworden war. Aber er hatte noch nicht die ganze spekulative Kraft seines späteren Denkens erreicht; daher hat die Art, wie er jetzt die das menschliche Denken und Wirken hemmenden Schranken aufzuheben versuchte, noch wenig von der späteren Dialektik an sich. Vielmehr hat sein Philosophieren einen starken Zug ins Mystisch-poetische ; seine Weltanschauung ist eine überwiegend ästhetische; ist doch Schönheit, wie Vernunft, Versöhnung der Gegensätze, Offenbarung des Absoluten. Am tiefsten ist Hegel damals von Dichtern beeinflusst worden. Schiller, den er eifrig las, hatte eben durch seinen ästhetischen Idealismus die Gegensätze überwunden, bei denen Kant stehen geblieben war; er hatte im Ideal der "schönen Seele" Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Neigung und Pflicht, Notwendigkeit und Freiheit, Natur und Geist versöhnt. Hölderlin, mit dem Hegel sich auf dem Tübinger Stift befreundet hatte, begeisterte ihn für die Schönheit der griechischen Welt; unzweifelhaft schwebte Hegel das Griechentum vor, als er von jeder positiven Religion eine lebendige Harmonie von Kirche und Staat, ein schönes Verhältnis des Gottesdienstes und der übrigen Lebensformen, sowie Befriedigung des Gemüts und der Phantasie in den Grenzen vernünftigen Glaubens verlangte (Nachlass, Bd. ii). Mit Schelling endlich, den er ebenfalls auf dem Stifte kennen lernte, hatte er das Bedürfnis nach Totalität, nach Auflösung aller Gegensätze in unmittelbarer Einheit gemein; bekanntlich hörte er erst ums Jahr 1803 auf, der Schellingschen Identitätsphilosophie zu huldigen und versuchte, nicht durch mystische Anschauung des Absoluten, sondern durch schrittweise durchgeführte Dialektik zur Idee vorzudringen.

So mischen sich in Hegels damaliger Bildung der Rationalismus der Aufklärung, ästhetische Weltanschauung und überschwängliche Mystik. Alles dies tritt in den vorliegenden Fragmenten deutlich hervor. Unter denselben nimmt das eigentliche Leben Jesu eine eigene Stelle ein. Kein Bruchstück ist es, sondern ein vollständiges Manuskript in Reinschriftform. Obgleich Hegels Anlage zum Erzählen gering war, bequemte er sich doch, das rein Faktische des Lebens Jesu vorzutragen, ohne dasselbe begrifflich zu deuten. Die schlichte Erzählung macht eben deswegen einen starken Eindruck, weil Hegel völlig unbefangen die Geschichte Jesu erzählt. Ihm war Jesus ein bloßer Mensch, dem zwar das Göttliche rein zum Bewusstsein gekommen war, der aber als Mensch lebte und starb. Von den Wundern sah Hegel gänzlich ab, legte aber das Gewicht auf das Predigen Jesu. Er stellte keinen exegetischen Vergleich der Evangelien an, da ihm wenig am geschichtlichen Detail lag und er das kirchlich-dogmatische Interesse des Neuen Testaments nicht ins Auge fassen wollte. Nie erregt er durch persönliche Bemerkungen Anstoß; die Erzählung schreitet ruhig vorwärts; in voller Wirklichkeit erscheint der Mensch Jesus, wie er mitten unter den Juden lebte und webte. Einfach realistisch ist die Darstellung. Nach der Harmonie der Evangelien fasste Hegel die Hauptereignisse des Lebens Jesu und die Hauptzüge seiner Lehre zusammen, als wäre Jesus ein Sokrates gewesen. Auch hier schwebten ihm in der Tat griechische Ideale vor: nicht als Erlöser der leidenden Menschheit im Sinne des Christentums, sondern als Philosoph und Held wird Jesus hingestellt.

Die Fragmente zerfallen in folgende Teile:

1. Moral Jesu, (seine neue Beurteilung menschlicher Werte, Liebe, Versöhnlichkeit).

2. Religion, (Reich Gottes, die Taufe, der Mensch als Sohn Gottes).

3. Geschichte, (Verhältnis Jesu zum Judentum, Ausbreitung seiner Lehre). Meistenteils sind die auf Moral und Religion bezüglichen Fragmente kaum als ein Kommentar zum Leben Jesu zu betrachten. Das Neue Testament gab Hegel nur den Anstoß zur Darlegung eigner Anschauungen allgemeinphilosophischen Inhalts. Hegels Tendenz, das Faktische zu logisieren, tritt deutlich in die Erscheinung. Es war ihm hauptsächlich darum zu tun, den Text der Evangelien gedankenmäßig zu verarbeiten. An der Lebensgeschichte und Lehre Christi entwickelt er Begriffe, und zwar überhaupt solche, in die das Element der Empfindung und mystischer Anschauung hineinspielt, als da sind die der Liebe, des unentzweiten Lebens, der Vereinigung mit Gott im Glauben usw.

Der Inhalt jener Fragmente mag in logischer Anordnung folgendermaßen dargelegt werden.

Von einem Zustand absoluter Entgegensetzung und Zerrissenheit ausgehend, versucht Hegel den Weg zum Zustand völliger Einheit und Harmonie zu zeigen. Bei jeder Zerreißung natürlicher Bande trete unausbleiblich dem Menschen das verletzte Leben als Schicksal entgegen, eine feindliche Macht, die es zu versöhnen gelte. Ais solche trete zuerst das Gesetz auf, das durch die Strafe befriedigt werde. Aber das Gesetz sei nur eine Vereinigung im Begriff, nämlich die Gleichsetzung des verletzten und des eignen verwirkten Lebens. Der Verbrecher bleibe mit der Welt und mit sich selbst entzweit; denn Leben sei von Leben nicht verschieden, und indem der Verbrecher fremdes Leben zu zerstören und sich damit zu erweitern vermeine, habe er sein eignes zerstört und die Freundlichkeit des Lebens in einen Feind verkehrt. Erst dadurch, dass er im Bewusstsein seiner selbst die Zerstörung seines eignen Lebens fühle und sich nach dem Verlorenen sehne, vereinige er sich mit dem verletzten Leben und versöhne das Schicksal. Darin, dass das Feindliche als Leben gefühlt werde, in der Liebe also liege die Möglichkeit der Versöhnung. Ein reines Gemüt, eine schöne Seele vergebe die Sünden, trete in die Verhältnisse der Freundschaft und Liebe sogleich wieder ein. Liebe sei völlige Hingebung, Verzichten auf Individualität, lebendige Vereinigung der Gegensätze. Diese allgemeinphilosophischen Motive bilden, sozusagen, selbständige Aufsätze (von Rosenkranz unter dem Titel "Das Schicksal und seine Versöhnung", "Die Liebe und die Scham" mitgeteilt; vgl. Hegels Leben S. 493 ff.). Aber Hegel bezog sie in konkreter Form auf die Lehre Jesu. Jesus machte es sich zur Aufgabe, jedes Objektive zu vernichten, jedes äußere Gesetz aufzuheben. Die Wurzel des Judentums war das Objektive, d. h. der Dienst des Fremden; die Juden waren Knechte, sie gehorchten widersinnigen Satzungen und Formeln, sie waren mit sich selbst entzweit. Moralität hebt diese Entzweiung auf, aber Moralität (im Kantischen Sinne) ist nicht lebendige Vereinigung mit dem Gesetz des Lebens, sondern selbst Entzweiung, Entgegensetzung der objektiven Pflicht und der Neigung. Vereinigung findet nur in Liebe statt; reine Tugenden sind nur Modifikationen der Liebe. Durch Liebe also versuchte Jesus die Passivität der Juden zu überwinden ; er wollte sie befreien, ihre beschränkten Gesetze zu lebendigen Beziehungen vervollständigen; er strebte danach, jede Beschränkung des gewöhnlichen Daseins aufzuheben, stellte also keine neuen Satzungen auf; seine Parabeln enthalten kein Fabula docet, sondern stellen den Fortgang des Lebendigen dar.

Das Gesetz als Herrschendes wird also durch Tugend, die Beschränktheit der Moralität durch Liebe aufgehoben; dies ist der Sinn der Moral Christi. Dennoch, so führt nun Hegel weiter aus, ist die Liebe als Empfindung unvollständiger Natur. Unbefriedigte Liebe ist pathologisch und bleibt als Sehnsucht nach unerreichtem Ideal im Zustand der Trennung und Zerrissenheit. Zwar ist in der glücklichen Liebe kein Raum für Objektivität, aber jede Reflexion stellt die Objektivität wieder her, und damit beginnt wieder das Gebiet der Beschränkungen. Erst Religion hebt die Schranken der Liebe auf, denn Religion ist Reflexion mit Liebe vereint, Erkenntnis und Verehrung der durch Einbildungskraft objektiv gemachten Liebe. Wie überhaupt der realistische Sinn Hegels ihn stets dazu trieb, in seinen idealistischen Monismus (Panlogismus oder Pantheismus) einen starken Zug ins Konkrete einzumischen, jedes Vernünftige als in sinnlicher Verkörperung verwirklicht anzusehen, so räumte er auch hier dem Theismus so viel ein, dass Gott objektive Realität habe, freilich nicht in dem Sinne, als wäre er ein Fremdes, wohl aber als die gestaltete Liebe. Wahre Religion war ihm eine Synthese des subjektiven Gefühls und eines objektiven Göttlichen, wogegen rein subjektive Religion leicht in Schwärmerei, rein objektive in Knechtschaft übergehe. Die Gemeine erkennt sich als in Gott vereinigt; Gott ist das Bild ihrer Einigkeit, die sichtbar gewordene Liebe der Gemeine, und die christliche Religion ist die Verehrung des verklärten Jesus als des lebendigen Bildes Gottes. Damit ist Religionsgefühl nicht mehr unauslöschlicher, unbefriedigter Trieb nach Vereinigung, sondern vollendete Harmonie. Daher konnte Hegel im Abendmahl keine eigentlich religiöse Handlung erblicken, sondern lediglich eine Handlung der Liebe. Wein und Brot, meint er, seien kein Göttliches, da sie kein bleibendes Objektives seien. Dadurch, dass Wein und Brot genossen werden, verschwinde das Bild, worin sich Anschauung und Gefühl, Objektives und Subjektives vereinigen könnten. Nach dem Genüsse des Abendmahls kehre die an ein Objektives geheftete Empfindung von dieser Objektivität zu ihrer Natur zurück und werde wieder bloß subjektiv ; es entstehe bei den Christen ein wehmütiges Staunen ; es war etwas Göttliches versprochen und es ist im Munde zerronnen. Dagegen sei Gott als Darstellung der die Gemeine vereinigenden Liebe ein wahrhaft Objektives; der Zustand vollständiger Vereinigung der Gemeine im Glauben an jenes Objektive sei das von Jesu angekündigte Reich Gottes, nicht etwa die von den Juden erwartete Weltherrschaft, sondern ein Lebendigwerden aller menschlichen Beziehungen durch die Liebe, in welcher die Mitglieder der Gemeine Gott und sich als Gottes Kinder erkennen.

Fand aber Hegel in der Religion Jesu die Bestätigung seiner eignen mystischen Anschauungen, so verhehlte er sich doch nicht, dass die Lehre Jesu außerhalb der engeren christlichen Gemeine keinen Anklang gefunden, keinen Zustand schöner Freiheit herbeigeführt habe. Es erübrigt nur noch diese seine Würdigung des der Lehre Jesu beschiedenen Erfolgs, also den historischen Teil seiner Aufzeichnungen kurz darzulegen. Der erhabene Versuch Jesu, das jüdische Schicksal zu überwinden, musste in seinem Volke fehlschlagen, und er selbst ein Opfer desselben werden. Die Feindschaften, die Jesus aufzuheben suchte, mussten durch Tapferkeit, nicht durch Liebe überwältigt werden. Bald trat Jesus selbst aus der ganzen Existenz seines Volkes heraus und sprach schonungslos seine ganze Verachtung gegen die jüdische Knechtschaft unter objektiven Geboten aus. Um nicht in einen Bund mit dem Gewebe jüdischer Gesetzlichkeiten einzutreten, suchte er die Freiheit nur in der Leere; er isolierte sich von seiner Mutter, seinen Brüdern und Verwandten; er durfte nicht Familienvater, nicht Mitbürger werden und verlangte dasselbe von seinen Jüngern ; er kam nicht, der Erde Frieden zu bringen, sondern das Schwert; er lebte ohne Genuss in der negativen Tätigkeit des Kampfes und fand keine Aussöhnung des Schicksals, sondern Schicksalslosigkeit durch Flucht in unerfülltes Leben. Christliche Liebe sollte und konnte nicht eine Vereinigung der Individualitäten sein, sondern bloße Vereinigung in Gott, wie denn auch die Liebe der Jünger Christi bloß gegenseitiges Bewusstsein gemeinschaftlichen Glaubens war und in ihrer Religion verwirklicht wurde, sonst aber weltfeindlich blieb und alle schönen natürlichen Verhältnisse des menschlichen Lebens verkümmern ließ, und es ist das Schicksal der christlichen Religion geblieben, dass Kirche und Staat, geistliches und weltliches Tun nie in eins zusammenschmelzen können.

Aber auch als Religion verlor bald nach dem Tode Jesu seine Lehre selbst im engen Kreise der Gemeine die Harmonie inniger Vereinigung. Die Jünger Jesu waren wie Schafe ohne Hirten. Jesus war ihr lebendiges Band, das göttliche Bild ihrer Liebe gewesen; ihre sehnende Liebe hielt zwar auch ferner an diesem Göttlichen fest, in dem auferstandenen Jesu fanden sie die Darstellung ihrer Einigkeit wieder; es kam aber zum Bilde des Auferstandenen viel Beiwesen, vollkommen Individuelles, Ungöttliches hinzu, das dem durch Apotheose Vergötterten immer wie Blei an den Füßen hängt und ihn zur Erde herabzieht. Wie Herkules durch den Holzstoß, hat sich Jesus durch ein Grab zum Gott emporgeschwungen; aber nicht nur der Erstandene, auch der Lehrende, Wunder Verrichtende und am Kreuz Hängende wird angebetet; diese ungeheure Verbindung ist es, über welche seit so vielen Jahrhunderten Millionen gottsuchender Seelen sich abgekämpft und gemartert haben, und die Beigesellung des wirklichen Jesu zum verklärten gewährte dem Trieb nach Religion keine Befriedigung, denn dem unendlichen, ungestillten Lechzen nach Göttlichem steht immer jenes Positive entgegen, welches nie zu einem Göttlichen werden kann.

So wurde nun Hegel, nachdem er die christliche Religion in ihrer ursprünglichen Form als Vernunftreligion ins Auge gefasst hatte, zur näheren Prüfung der Frage hingedrängt, warum die Lehre Christi sich zu einer positiven Religion entwickeln musste. Mit diesem Problem befasste er sich in einer Reihe weiterer, noch ungedruckter Aufzeichnungen, in welchen die vorliegenden Fragmente ihre natürliche Fortsetzung haben.

CHARTRES IM APRIL 1906

PAUL ROQUES

Das Leben Jesu

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