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Einführung

1. Glück zwischen Himmel und Erde

Es ist erstaunlich, dass wir Menschen aufstehen und unseren Kopf gen Himmel richten können. Wie beeindruckend ist es besonders, die Kleinen zu beobachten. Noch kein Jahr alt, versuchen sie schon ständig aufzustehen, sich hochzuziehen und nach oben zu strecken. Wenn sie es dann geschafft haben, sicher auf ihren kleinen Füßen stehen und in entgegengestreckte Arme laufen können, scheint der Zustand des Glücks vollkommen zu sein. Aufgestanden, den Kopf gen Himmel gestreckt und in den Armen eines liebenden Menschen, das scheint im Wesentlichen das zu sein, was uns Menschen Glück bereitet.

Symbolisch ausgedrückt berührt der Kopf den Himmel, den Ort der Liebe, der Zuwendung, den Ort der Träume und Sehnsüchte. Hingegen berühren die Füße den Acker des Lebens, der uns nährt, der uns mit all dem ausstattet, was wir für unser leibliches Leben brauchen. Der Zustand des Glücklichseins wäre dann die Lebensstrecke, auf der wir zeitgleich beides erfahren: himmlisch geliebt und von der Erde genährt zu sein.

Was hier in wenigen Worten ausgedrückt ist, erweist sich im Vollzug des Lebens als eine andauernde Herausforderung, die als Lebenskunst bezeichnet werden kann. Den Acker des Lebens ertragreich zu gestalten, frisst oft Unmengen an Lebensenergie. Lebensenergie, die zugleich für den aufrechten Gang benötigt wird, um mit dem Kopf den Himmel zu berühren. All das lässt uns wahrhaft menschlich sein und schenkt Zugang zu dem, was mit Liebe bezeichnet werden kann, was Sinn stiftet und Träume wirklich werden lässt.

Es scheint wesentlich zur Kreatur und im Besonderen zu uns Menschen zu gehören, dass wir Glück suchende Wesen sind. Stets bleiben wir auf der Suche nach dem Zustand, bei dem das Leben uneingeschränkt möglich ist und unsere Sinne auf ihre Kosten kommen. Die Augen finden Gefallen an dem, was sie sehen, die Ohren werden von Klangwelten verwöhnt, die Nase kann das riechen, was sie verzaubert, Gaumen und Lippen können etwas von der Süße des Lebens erzählen, und die Haut weiß von dem zu berichten, was einen Glücksschauer verursachen kann. Das Ganze ist verbunden mit ungebrochener Zuwendung und Wertschätzung, mit all dem, was Liebe ausmacht, unterstrichen vom Glanz der Augen, die einen beglückt anschauen, schlicht und einfach deshalb, weil sie einen gern sehen. Dies alles bleibt unbehelligt von der Angst, dass bereits morgen das Glück beendet sein könnte.

Verhält es sich mit der Glücksfrage wirklich so schlicht, dass lediglich der Mix zwischen Himmel und Erde optimal austariert sein muss? Entsprechende Ratgeber könnten einem hier zur Seite stehen, und schon wäre die Sehnsucht nach dem Zustand des Glücklichseins geklärt. Reihen sich hier die einleitenden Sätze der Bergpredigt ein, die Jesus dem Matthäusevangelium zufolge am Anfang seiner Laufbahn gesprochen haben soll und die traditionell als „Seligpreisungen“ bezeichnet werden? Ein Glücksratgeber mit religiösem Einschlag? Oder stellen die acht Sätze vom Glück etwas dar, das für uns Menschen grundlegend sein kann, um aufrecht und beglückt durchs Leben zu gehen?

Ich möchte in diesem Buch weitgehend auf den Begriff „Seligpreisungen“ verzichten, da er für viele Menschen gestrig und verstaubt erscheint und nach kirchlicher Andacht klingt. Treffender wird das griechische Wort „makarios“ für unser heutiges Sprachgefühl mit dem Wort „glücklich“ übersetzt. Statt von Seligpreisungen spreche ich von „Glücksthesen“. Auch wenn das Wort „glücklich“ zunächst flacher oder schwächer wirkt, trifft es doch eher das, was am Anfang der Bergpredigt ausgedrückt werden soll. Zudem ist die Bergpredigt keinem religiösen Gebäude zugeordnet, keiner Synagoge, keinem Tempel und keiner Kirche. Nach Matthäus soll Jesus seine Botschaft unter freiem Himmel auf einem Berg vorgetragen haben. Ein Ort, an dem sich alle Menschen aufhalten können, ohne Einlasskontrolle oder Mitgliedschaft, egal, ob sie religiös oder unreligiös sind, skeptisch oder nur neugierig. Man muss sich die Rede Jesu in der Alltagssprache der Menschen vorstellen, die er als Zuhörer vor sich hatte: „Glücklich, die …“

2. Matthäusevangelium 5,1-10

Als Jesus die Menschenmenge sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, seine Jünger versammelten sich um ihn, und er begann sie zu lehren. Er sagte:

Glücklich zu preisen sind die, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.

Glücklich zu preisen sind die, die trauern; denn sie werden getröstet werden.

Glücklich zu preisen sind die Sanftmütigen; denn sie werden die Erde als Besitz erhalten.

Glücklich zu preisen sind die, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten; denn sie werden satt werden.

Glücklich zu preisen sind die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.

Glücklich zu preisen sind die, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott sehen.

Glücklich zu preisen sind die, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.

Glücklich zu preisen sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.1

3. Glück dort, wo es nicht vermutet wird

So wie in der Bergpredigt stellt man sich keine Rede vom Glück vor. „Thema verfehlt“ stünde unter dem Aufsatz eines Schülers. Ein wohlwollendes Publikum würde sich abwenden, Enttäuschte gar das Eintrittsgeld zurückverlangen mit den dazugehörenden Unmutsäußerungen.

Die Thesen zum Thema Glück aus der Bergpredigt beschreiben ein so ungewöhnliches Glück, dass sie zunächst auf taube Ohren stoßen oder gar auf Ablehnung. Damit ähneln sie dem vielfach wiederholten Experiment, bei dem einem fremden Menschen auf offener Straße, mitten im Gewusel einer Stadt, ein hoher Geldbetrag einfach als Geschenk in die Hand gedrückt werden soll. In der Regel klappt das nicht. Es kann sogar zu feindlichen Reaktionen führen, da üble Absichten hinter der Freigiebigkeit vermutet werden.

Mit etwas gutem Willen könnten die Seligpreisungen als romantische Sehnsuchtsdichtung verstanden werden, von Armen, die das Himmelreich erhalten, von Trauernden, die von Gott getröstet werden. Als Grußkarte gestaltet samt schönem Bildmotiv, ist das Ganze dann im Klosterladen erhältlich.

Doch mit dem normalen Leben haben die Glücksthesen Jesu nichts zu tun. Das hatten sie damals nicht, und sie haben es heute noch viel weniger. Denn im alltäglichen Leben ist meist das Gegenteil wahr.

Die Armen sind eben nicht glücklich. Das zu behaupten, wäre zynisch. Glück liegt doch in der Regel auf der Seite der Reichen, und die Armen versuchen, aus der Armutsfalle herauszukommen.

Die Trauernden sind eben nicht glücklich. Glücklich können doch nur die sein, die von Trauer verschont werden. Zum Glück gibt es Pharmazeutika, die allzu heftige Trauergefühle abfedern.

Die Sanftmütigen sind eben nicht glücklich. Glücklich können letztlich doch nur die Starken, die Wehrhaften sein, die sich kämpferisch durchsetzen können. „Nur die Harten kommen in den Garten“, heißt es. Dorthin, wo das Leben ein Genuss ist.

Glücklich sind eben nicht die, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit. Was nützen Hunger und Durst, wenn die Ungerechtigkeit gen Himmel schreit! Widerstand ist hier angesagt, aufklären, anprangern, entlarven – und wenn einem das geglückt ist, ja, dann kann man sich glücklich fühlen.

Glücklich sind eben nicht die Leute, die Erbarmen mit Menschen haben, die vom Schicksal gebeutelt werden. Ein Personalchef, der aus Barmherzigkeit seinen Mitarbeitern nicht kündigt, wird selbst erbarmungslos gefeuert. Was soll das für ein Glück sein?

Glücklich sind eben nicht die, die rein sind im Herzen. Die mit der ehrlichen Haut, die Blauäugigen, die freimütig zu ihren eigenen Überzeugungen stehen, die arglos ihre Meinung vertreten, treuherzig anderen zur Seite stehen, die werden in unserer Welt doch kein Glück haben. Im Gegenteil: Sie bekommen Ärger, Stress und Widerstand. Die wird man übers Ohr hauen und ausnutzen. Ein beträchtliches Maß an Durchtriebenheit ist in unserer modernen Welt gefordert, um wenigstens ein Stück von der Glücks-torte abzubekommen.

Glücklich sind eben nicht die Friedensstifter. Martin Luther King und Mahatma Gandhi hat man umgebracht. Bringt man sich ein und versucht, Wogen eines Streits zu glätten oder den Hass zwischen Konfliktparteien aufzulösen, wird einem schnell der Satz entgegengeschleudert, dass man gefälligst vor der eigenen Tür kehren soll.

Und die letzte Glücksthese ist nun wirklich zu vergessen, in der die Verfolgten glücklich genannt werden. Wer je verfolgt wurde, weiß von der ständigen Angst und den Horrorträumen zu berichten, die das Leben zur Hölle machen – von wegen Glück.

Die Bilanz ist eindeutig: Die Glücksthesen Jesu sind so ungewöhnlich, so fantastisch und utopisch, dass sie zunächst an den Ohren und am Gemüt der Menschen vorbeirauschen müssen.

Kein Wunder, dass sich unzählige Theologen im Lauf der Jahrhunderte mit der Frage beschäftigt haben, wer denn die ursprünglichen Adressaten der Glücksthesen gewesen seien. Waren es Worte Jesu an den engen Freundeskreis, an die Eingeweihten und infolgedessen Aussagen für ein Leben in Klöstern – die Sätze vom Glück als Klosterregeln? Oder sprach Jesus hier von einer anderen Welt, von einer Lebensart in einer zukünftigen Epoche, wo Gott zum Beispiel den Traurigen die Tränen abwischen wird? Stellen sie einen Hauch von Utopie dar für die Leidenden und zu kurz Gekommenen, sind die Glücksthesen Jesu Vertröstungen? Oder waren es steile Zumutungen an das Volk, für alle anwesenden Frauen und Männer, oder noch weiter gefasst, für das Leben aller Menschen, egal zu welcher Zeit? Ihr werdet glücklich sein, denn … In diesem Fall gleichen die Thesen Jesu wahrhaft dicken Brettern, die es zu durchbohren gilt.

4. Der Berg weitet den Blick

Interessant ist die bereits erwähnte Ortsangabe des Matthäusevangeliums, der Ort, von dem aus Jesus die Glücksthesen samt Bergpredigt verbreitet haben soll. „Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg.“ Der Berg ist ein Ort des Abstands von der Alltagswelt, des Abstands von all dem, was einen gefangen hält, was an einem klebt, einen nicht durchschnaufen und das Gedankenkarussell nicht freiwerden lässt von all dem, was noch zu leisten und zu erledigen ist. Der Weg hinauf auf den Berg kann als Klärungszeit verstanden werden. Im Kopf, im Herzen, in der Seele entstehen Freiräume. Der Blick in die Weite kann Wunder wirken. Wie von selbst öffnet man sich für Neues, anderes, auch für Spirituelles. Kein Wunder, dass man in vielen Religionen und Völkern einen heiligen Berg verehrt – unauslöschlich scheint es die Idee zu geben, dort oben den Göttern näher zu sein.

So wundert es nicht, dass die Kernbotschaft Jesu nach Matthäus von einem Berg aus verkündet worden sein soll. Um diese Botschaft verstehen zu können, braucht es Raum, braucht es den freien Blick. Da müssen sich Horizonte öffnen, da braucht es eine Weite im Innenraum der Seele, die mit dem Außenraum korrespondiert. So kann sich das Herz für Neues oder anderes öffnen, für das, was bisher nicht zum eigenen Horizont zählte. Poetisch ausgedrückt: Auf dem Berg lässt sich in unendlicher Ferne die Morgendämmerung einer neuen Welt erkennen, die von Jesus als Himmelreich bezeichnet wird.

Hier auf dem Berg, wo Frauen und Männer Abstand zu den Niederungen des Lebens finden, draußen auf einer Anhöhe, erwarten sie ihn, den jungen Menschenbruder aus Nazareth, der mit seiner frischen, unkonventionellen und außergewöhnlichen Art populär geworden ist. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Doch zunächst erfahren sie noch eine vielsagende Geste: Statt stehend vor ihnen zu predigen, sie quasi von oben herab zu belehren, setzt er sich. Das Signal ist klar: „Ich, Jesus, bin hier unter euch, wir bewegen uns auf einer Ebene, auf Augenhöhe, auf Herzensebene. Inmitten all eurer existenziellen Befindlichkeiten ist dies unser Ort der Begegnung.“

In kursiver Schrift finden die Leser und Leserinnen in diesem Buch zu Beginn und am Ende eines jeden Kapitels eine Rahmenerzählung, die beschreibt, wie sich die Bergpredigt zugetragen haben könnte.

Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er öffnete seinen Mund, er lehrte sie und sprach:

Glückhochacht

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