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4. Kapitel
Оглавление25. Juni 2007
Ungeduldig saß der Mann, der sich im Veermaster als Gaston Lloyd vorgestellt hatte, an seinem Einrohr-Fernglas. Immer wieder schaute er auf seine Armbanduhr, suchte anschließend die Einfahrt des Hafens ab. Schließlich rief er die SMS auf, die am Morgen auf seinem Handy eingegangen war: Skagerrak Mélisande 25/14/15 Gruß Salamander. Das hieß für ihn nichts anderes, als dass er auf ein Boot namens Skagerrak wartete, dass für den heutigen Tag gegen 14:00 Uhr angekündigt wurde. Aber nun hatte er seit 13:30 Uhr auf die Ankunft des Bootes gewartet, und schon zeigte Uhr 40 Minuten über die Ankunftszeit an. Unruhig suchte er zum zigsten Male die Hafeneinfahrt ab. Rechts an der Pier hinter einem Zaun getrennt von den anderen Booten waren die beeindruckenden Kreuzer der Wasserschutzpolizei. Da lag ein Tonnenverleger. Vor dem Wasserschutzboot Damerow konnte er ein heftiges Treiben von der Besatzung des Schiffes feststellen. Offensichtlich waren sie dabei einige größere Behälter an Bord zu schaffen. Ansonsten war um diese Zeit nicht allzu viel Betrieb im Hafen, da die meisten Boote bei dem wundervollen Wetter unterwegs waren. Entweder segelten sie die herrliche mecklenburgische Ostküste entlang, oder sie befanden sich auf der Überfahrt nach Bornholm, Rügen, Hiddensee oder zu einem weiter entfernten Ziel.
Als er das Glas wieder der Einfahrt zuwandte, sah er eine blaue Motorjacht mit zweigeschossigem, weißem Aufbau langsam in den Hafen einfahren. Kurz vor dem Gebäude des Hafenmeisters der Pier, auf der Seite, an dem das Restaurant Veermaster residierte, hatte das Schiff seine Fahrt so verlangsamt, sodass es fast stand. Dann wurde durch ein Bugstrahlruder das Schiff nahezu auf der Stelle gedreht, und machte kurz darauf hinter dem am Kai vor dem Fischgeschäft gelegenen schwarzen Fischkutter fest.
Am Heck des Ankömmlings wehte die schwedische Flagge. Unterhalb der Flagge konnte er den Namen Skagerrak, darunter den Heimathafen Göteborg erkennen. Vom ersten Deck führte eine leicht gewendelte, teakholzbeschichtete Treppe auf eine Badeplattform, auf der ein Mensch aufrecht stehen konnte, ohne den Namen am Heck zu verdecken.
Lloyd setzte das Mikrofon auf den Halter des Stativs. Er stülpte sich die Kopfhörer über und justierte das Richtmikrofon genau auf die Mittelkabine der Skagerrak. Deutlich konnte er die Stimmen von drei Männern unterscheiden. Sie sprachen schwedisch, und diese Sprache beherrschte Gaston Lloyd nicht.
Ungeduldig langte er nach einer Tafel weißer Schokolade, die auf dem Couchtisch lag. Er brach ein Stück davon ab, schob es in den Mund. Er setzte die Kopfhörer ab, eilte in die Küche und nahm aus einer Tüte eine Handvoll Rosinen. Er ging zurück zum Richtmikrofon. Nach und nach beschickte er seinen Mund mit je einem Stück weißer Schokolade und ergänzte diesen wundervollen Geschmack mit einigen Rosinen. Zucker ist zwar nicht gesund, aber für mich ist das Nervennahrung. Obwohl seine Geduld sehr strapaziert wurde, stand er nur einmal noch auf, um etwas zu trinken zu holen. Die Süßigkeiten hatten Durst ausgelöst.
Kurz nach siebzehn Uhr konnte er den weißen Motorsegler ausmachen, der sich im Gefolge von zwei anderen Booten an den Schiffen der Wasserschutzpolizei vorbei schob. Er verglich seinen Eindruck von dem Schiff mit dem Bild, dass er auf seinem Smartphone deponiert hatte. Freilich zeigte das ein Schiff, das am Kopf einer Pier lag, und zeigte im Hintergrund andere Boote unterschiedlicher Größe. Aber deutlich konnte er im Bild die beiden Masten und die weiße Farbe des Motorseglers ausmachen.
Gerade war man dort dabei, die Segel zu bergen. Das Großsegel hatte man offensichtlich schon heruntergeholt, und nun sah er, wie das Focksegel vom Mast heruntergezogen und eingerollt wurde. Zwei Männer mit schwarzer Hautfarbe waren damit beschäftigt, die Fock zu bergen. Das Gesicht des Mannes, der auf dem hinteren Steuerstand das Boot mittels Ruder und Bugstrahlruder im Hafen dirigierte, war eindeutig weiß.
Lloyd wusste nun, dass das Treffen, dem er so entgegenfieberte, gerade im Begriff war, stattzufinden.
Wie zuvor auch die Skagerrak, so drehte der weiße Motorsegler mit dem Namen Venus etwa fünfzehn Meter vor dem Ende des Hafenbeckens mithilfe des Bugstrahlrohrs. Deutlich konnte Lloyd den Wasserschub am Bug des Schiffes erkennen, das für die Drehung des Bootes sorgte. Die Venus machte an der Steuerbordseite der Skagerrak fest. Der Bug beider Schiffe zeigte nun in Richtung Ostsee.
Jetzt wird‘s interessant. Lloyd verband das Richtmikrofon mit einem digitalen Aufzeichnungsgerät. Er war gerade damit fertig und hatte es auf Aufnahme gedrückt, da hörte eine Stimme fragen:
»Mélisande?«
»Limas?« Lloyd ordnete die Stimme der Skagerrak zu.
»Workers of all lands unite.« Das schien die Stimme eines der Männer von dem Motorsegler zu sein, der gerade angekommen war.
»Die Lehre von Karl Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist.«
Was ist das für eine sonderbare Begrüßung? Lloyd war klar, dass sie einen Code vereinbart hatten, um auszuschließen, dass sie auf einen feindlichen Agenten hereinfallen würden.
»Sagte William Turner.«
»Turner?« Lloyd erkannte eine Stimme von der Skagerrak. »War es nicht Bob Marley?«
»Es war ein Russe …«
»Lenin.«
Lloyd hörte ein gekünsteltes Hüsteln, dann die Stimme: »Okay, Sie sind Eriksson.«
Eriksson? Åke Eriksson? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Agent des zivilen Nachrichtendiensts Schwedens Säkerhetspolisen sich mit vollem Namen vorstellt. Aber es ist wohl so. Die Sicherheitspolizei untersteht direkt dem Justizminister und ist verantwortlich für die innere Sicherheit Schwedens vor allem auf den Gebieten Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung, Extremismus von In- und Ausländern sowie für Geheimschutz und IT-Sicherheit. Dazu stehen der SÄPO alle Methoden offener und verdeckter Informationsbeschaffung zur Verfügung. Außerdem unterhält sie ein umfangreiches Archiv und hat einfachen Zugang zu allen Personendateien, über die sich mit der sogenannten Personennummer Daten wie Adresse oder Steuerklasse abrufen lassen. Aber die SÄPO arbeitet darüber hinaus mit anderen Stellen wie den Ausländerbehörden oder auch ausländischen Diensten zusammen.
Sicher ist aber auch, dass die Nachricht, die er am Morgen per SMS von Salamander erhielt, diesen Åke Erikssons als Mélisande angekündigt hatte. Lloyd konnte eins und eins zusammenzählen.
»Wie viele Leute sind bei Ihnen an Bord?« Es muss die Stimme Åke Erikssons gewesen sein.
»Vier. Und bei Ihnen?«
»Zwei, die mit Ihnen verhandeln, und vier Männer, die das Schiff versorgen. Einer davon ist der Kapitän, ein Zweiter ist der Maschinenwart.«
»Wo wollen wir miteinander reden?«, fragte Limas.
Gaston Lloyd schaute interessiert auf die beiden Männer, die sich gegenüberstanden. Eriksson auf der Skagerrak, Limas auf der Venus. Da die Schiffe ungleich groß waren, musste Limas zu Eriksson aufschauen.
»Bei Ihnen ist es ja ein wenig klein«, sagte Åke Eriksson versöhnlich. »Wir haben einen Salon, in dem nur die jeweils beteiligten Verhandlungspartner sitzen werden.«
»Wir sind aber zu viert«, beharrte Limas.
»Die Vollmacht lautet, dass wir mit zwei Leuten von ihnen verhandeln. Mit Ihnen, Limas und ihrem Chef in London. Wenn wir also bei Ihnen reden wollen, müssen Sie die anderen beiden wegschicken. Wenn wir allerdings an Bord der Skagerrak sprechen, sind wir völlig ungestört. Ihre Männer können dann entweder an Bord bleiben. Sie können auch in das Restaurant gehen, das schräg gegenüberliegt.«
Limas drehte sich um und sah die Tische vor dem Restaurant Veermaster stehen.
»Also?«, fragte Eriksson.
»Unsere Männer bleiben an Bord.«
»Sie könnten dort drüben etwas essen«, gab der Schwede zu bedenken und zeigte auf das Restaurant auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens.
»Wir haben alles mit. Sie werden auf der Venus essen.«
Eriksson wusste, dass es keinen Zweck haben würde, Limas davon zu überzeugen, seine Männer zum Essen in den Veermaster zu schicken.
»Gut«, sagte er. »Wann werden Sie kommen?«
»Ich brauche noch ein Telefonat.«
»Na dann, bis gleich.« Eriksson drehte sich ab, und verschwand im Innern der Skagerrak.
Limas drehte sich um. Er sah, dass die Männer in der Venus diskutierten. Sie hatten die Tür zum Ruderhaus offengelassen. Das Gezeter drang bis an sein Ohr.
Als er das Ruderhaus betrat und hinter sich die Tür ins Schloss zog, trat augenblicklich Ruhe ein.
»Ich weiß nicht, warum ihr so einen Krach macht«, sagte Limas. »Es ist wohl nicht nötig, dass draußen alle jedes Wort, das hier gesprochen wird, mithören können.« Er schaute Taabu Zarahn an. »Unser Mittelsmann sagt, er verhandle nur mit Yakubu und mir.«
Der Massai zuckte mit der Schulter. »Das entspricht nicht der Anordnung des Chefs.«
»Ich weiß.«
Es trat einen Moment des Schweigens ein. Und gerade wollte Aaron wieder den zuvor stattgefundenen Zwist zwischen Yakubu Uhuru und ihn wieder aufnehmen, als der Massai mit einer herrischen Bewegung unterbrach. »Wenn du nicht aufhörst damit, Aaron, werde ich das deinem Vater sagen. Du kannst dann augenblicklich zurückfliegen.«
Taabu Zarahn nahm sein Handy und wählte die Nummer seines Chefs Juma Chandu in Nairobi. Sie sprachen nur kurz in Kisuaheli. Limas verstand nicht, was Taabu sagte, konnte es sich aber genau ausmalen.
Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine ist, ihr geht in der Formation, wie ich es ausgehandelt habe, oder ihr fahrt ab, und der Deal platzt.
»Und?«, fragte Limas, als Taabu Zarahn das Gespräch unterbrochen hatte, und das Handy lässig in die Tasche steckte.
»Wir sollen zu dritt gehen.«
»Was machen wir, wenn sie sich sperren?«
»Dann reisen wir ohne Ergebnisse ab.«
Limas nickte bedächtig.
Taabu Zarahn bekräftigte: »Genau das hat der Boss gesagt.«
*
Wenig später machten sie sich auf, um zu dem Date auf die Skagerrak überzuwechseln. Sie ließen einen sehr verärgerten Aaron Chandu zurück, der, als die drei Männer nicht unmittelbar zurückkamen, davon ausging, dass die Gespräche stattfinden.
Kurz nach 19:30 Uhr kamen die Unterhändler auf die Venus zurück. Eine knappe Stunde später verließen sie den Hafen von Karlshagen. Nahezu kriechend langsam schlich sich die Venus an den an Steuerbord festliegenden Schiffen der Wasserschutzpolizei vorbei. Wenig später erreichte das Schiff die offene See.