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Der Heilige Geist und die gegenwärtige Situation des Katholizismus

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Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll, den Geist der Wahrheit […]. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird.

Joh 14,16–17

In den letzten eineinhalb Jahrhunderten hat der Heilige Geist die katholische Kirche einem dritten Jahrtausend entgegengeführt, das von einem erneuerten evangelikalen Zeugnis und einer zunehmenden missionarischen Begeisterung geprägt sein wird.

Diese Reise in die Tiefen des Evangeliums war eine Erfahrung der Gnade und war doch nicht frei von Schwierigkeiten. Die notwendigen Reformen, um sicherzustellen, dass die Kirche des 21. Jahrhunderts den großen Auftrag erfüllen kann – »Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern« (Mt 28,19) –, sind noch nicht abgeschlossen. Innerhalb der Kirche selbst gibt es in Fragen der katholischen Lehre und Identität, der katholischen Praxis und dem Sendungsauftrag tiefe Gräben. Über vielen Ortskirchen liegt der dunkle Schatten des Skandals. Es sind keine ruhigen Zeiten für uns Katholiken.

Wenn wir jedoch auf die Weltkirche schauen und sehen, wo der Katholizismus lebendig und vital ist und wo demgegenüber die Kirche dahinsiecht und im Sterben liegt, dann rückt der Weg in den Blickpunkt, den der verheißene Tröster, der Heilige Geist, für die Kirche im dritten Jahrtausend festgelegt hat.

Die Kirche, die das Evangelium angenommen, die Männern und Frauen das große Geschenk der Freundschaft mit unserem Herrn Jesus Christus gemacht, diese Freunde des Herrn in die Gemeinschaft seiner Jünger aufgenommen und diese Jünger kraft der Sakramente dazu ermächtigt hat, das ihnen gemachte Geschenk an andere weiterzugeben – dieser Katholizismus ist lebendig, auch wenn die kulturellen und politischen Umstände so manche Herausforderung mit sich bringen. Und dieser Katholizismus leistet wichtige Beiträge für die Gesellschaft, Kultur und für das öffentlichen Leben.

Die Kirche jedoch, die ihr Vertrauen in das Evangelium verloren hat, die das Evangelium nicht länger als rettende Wahrheit und göttliche Gnade für jedermann verkündet, die Kirche, die sich selbst anscheinend als eine Nichtregierungsorganisation betrachtet, die von der Gesellschaft gebilligte gute Werke tut – dieser Katholizismus liegt im Sterben, und zwar auch dort, wo er finanzstark und gut organisiert zu sein scheint. Und dieser Katholizismus steht eher am Rand der Gesellschaft, der Kultur und des öffentlichen Lebens.

Für diejenigen, die Augen haben, die Werke der Gnade zu erkennen, die Ohren haben zu hören, was der Geist der Kirche sagt, und die den Mut haben, auf der Grundlage des Gesehenen und Gehörten zu handeln, ist der weitere Weg mithin klar – ungeachtet aller Herausforderungen.

Dieser vom Geist geführte Weg zu einem Katholizismus, in dem die zahlreichen Einrichtungen der Kirche Startrampen für die Mission werden, hat vor beinahe eineinhalb Jahrhunderten begonnen.

Papst Leo XIII. fasste bei seiner Wahl 1878 einen Entschluss von evangelikaler Kühnheit: Der Katholizismus sollte die defensiven Festungen verlassen, die er im Lauf des 19. Jahrhunderts errichtet hatte, und sich mit der modernen Welt auseinandersetzen, um sie zu bekehren. Auf diese Weise, glaubte Leo XIII., könnte die Kirche dazu beitragen, eine solidere Grundlage für das Bestreben der modernen Gesellschaft nach Frieden, Wohlstand und Solidarität zu schaffen. Um diese Vision eines engagierten Katholizismus zu verwirklichen, belebte Papst Leo das katholische intellektuelle Leben neu, drängte auf einen neuen Dialog zwischen der Kirche und der modernen Wissenschaft, erleichterte das Studium der eigenen Kirchengeschichte, ermutigte zu einer intensiveren Begegnung des Katholizismus mit der Bibel und begründete die moderne katholische Soziallehre. Während Leos Pontifikat und in der Zeit danach rief diese »leoninische Revolution« vor allem in Europa beträchtliche innerkirchliche Turbulenzen hervor. Die Frage, wie der Katholizismus die Aufgabe der Bekehrung der Welt angehen sollte, wurde heftig und zuweilen erbittert diskutiert. Deshalb und aufgrund der traumatischen Erfahrungen aus der Geschichte (einschließlich zweier Weltkriege) war der Weg zu einer evangelikal ausgerichteten katholischen Erneuerung nie leicht und ihn zu beschreiten, erforderte immer Opfer.

Achtzig Jahre nachdem Leo Bischof von Rom geworden war, wurde Angelo Giuseppe Roncalli zum Papst gewählt. Er nahm den Namen Johannes XXIII. an. Roncalli hatte die Unruhe, die die »leoninische Revolution« verursacht hatte, in seinem eigenen Leben und Dienst zu spüren bekommen. Seine Erfahrungen als diplomatischer Vertreter des Papstes im vom Krieg zerrissenen Südosteuropa, als päpstlicher Nuntius in einem ausgelaugten und uneinigen Nachkriegsfrankreich und als Kardinal und Patriarch von Venedig hatten ihn, der die Geschichte aus der Nähe erfahren hatte, gelehrt, dass die Kirche mehr tun musste, als sich gegen politische und kulturelle Aggressoren zu verteidigen, wenn sie einen erneuerten und wiederbelebten Auftrag in Angriff nehmen wollte – genauso wie es einer seiner Helden, der heilige Karl Borromäus, im 16. Jahrhundert getan hatte, als er auf dem Bischofsstuhl des heiligen Ambrosius in Mailand saß. Denn am Ende des zweiten und an der Schwelle zum dritten Jahrtausends befand sich die katholische Kirche nicht länger in einer Zeit des Christentums, in der sie bei der Weitergabe des Glaubens mit der Hilfe der öffentlichen Umgebungskultur rechnen konnte. Sie befand sich wieder einmal in einer apostolischen Zeit – deren Rahmen durch den großen Auftrag zur Mission und durch ein lebhaftes Bewusstsein der Verpflichtung gekennzeichnet war, das Evangelium, »ob gelegen oder ungelegen«, zu verkündigen (2 Tim 4,2).

Johannes XXIII. hatte dies erkannt. Und weil er diese Erkenntnis des evangelikalen Gebots und der evangelikalen Möglichkeit mit der ganzen katholischen Kirche teilen wollte, berief er das Zweite Vatikanische Konzil ein. Das II. Vatikanum sollte die Kräfte sammeln, die die »leoninische Revolution« freigesetzt hatte, und sie im Prisma eines ökumenischen Konzils klar betrachten. Dieses Konzil, so hoffte er, würde eine neue Pfingsterfahrung sein. Und wie das erste christliche Pfingstfest, das im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte beschrieben wird, sollte auch diese Erfahrung des Heiligen Geistes den Glauben der Kirche an die Wahrheit des Evangeliums vertiefen und in ihr einen neuen Eifer für die Evangelisierung entzünden.

Was Johannes XXIII. mit dem II. Vatikanum beabsichtigt hatte, wird in seiner Eröffnungsansprache an die Konzilsteilnehmer vom 11. Oktober 1962 deutlich, die nach den ersten drei Wörtern des lateinischen Texts unter dem Titel Gaudet Mater Ecclesia (»Es jubelt die Mutter Kirche«) bekannt ist. Heute erinnert man sich, wenn überhaupt, nur an einen Satz aus dieser Ansprache: den Satz, in dem der Papst jene »Unheilsverkünder« rügte, in deren Augen die modernen Zeiten nichts als Untergang und Unheil mit sich brachten.1 Doch Gaudet Mater Ecclesia war weit mehr als eine Warnung vor historischem Pessimismus. Immer wieder kam Johannes XXIII. in seiner umfänglichen Ansprache auf einen zentralen Punkt zurück: dass die Kirche ihr Selbstverständnis wieder an Jesus Christus ausrichten müsse, von dem (so seine Worte) die Kirche »Namen, Gnade und jegliche Vollmacht erhält«.2 Die Ära dessen, was man vielleicht als Ekklesiozentrismus beschreiben könnte – einer Kirche, die in der Moderne oft darauf fokussiert gewesen ist, als Institution zu überleben und zu funktionieren –, neigte sich dem Ende zu. Ein neues christozentrisches Zeitalter – mit einer Kirche, die sich wieder darauf konzentriert, das Evangelium Jesu Christi als Antwort auf die Frage zu verkündigen, die sich in jedem Menschenleben stellt – sollte beginnen. Das war die Richtung, in die der Heilige Geist die Kirche fast ein Jahrhundert lang geführt hatte. Das war der Weg in die Zukunft, den der Katholizismus beschreiten musste, indem er die Institutionen, die in den Jahrhunderten, als die Kirche sich gegen feindliche Mächte verteidigt hatte, errichtet und aufrechterhalten worden waren, als Plattformen nutzte, um von dort aus die Welt zu bekehren.

Indem sie diesen Weg einschlagen würde, betonte Johannes XXIII., würde die katholische Kirche keinen Bruch mit ihrer Vergangenheit erleiden. Vielmehr kehrte sie im spirituellen Sinne und in ihrer religiösen Vorstellung in das Galiläa des 28. Matthäuskapitels und des großen Sendungsauftrags zurück. Der Katholizismus war dabei, seine wesentliche evangelikale Bestimmung wiederherzustellen und zu erneuern. Um dieses Ziel zu erreichen – das heißt, alle Völker zu Jüngern zu machen –, musste die Kirche die Wahrheit, die Christus der ersten Gruppe von Aposteln hinterlassen hatte, »rein, unvermindert und ohne Entstellung überliefern«, wie es der Papst in Gaudet Mater Ecclesia formuliert hat.3 Doch während er die Notwendigkeit hervorhob, die Wahrheit des katholischen Glaubens zu bewahren, betonte Papst Johannes auch den Auftrag, diese Wahrheit weiterzugeben. Die Kirche musste das Geschenk weitergeben, das den Christen gemacht worden war, damit »diese Lehre in ihrer ganzen Fülle und Tiefe erkannt [wird]«.4 Denn in jener Wahrheit würden, wie der Papst lehrte, die Männer und Frauen der modernen Welt besser verstehen, »was sie in Wahrheit sind, welche Würde ihnen zukommt und welchem Ziel sie nachzustreben haben«.5 Das Evangelium zu verkündigen und zu bezeugen hieß, der Menschheit die Wahrheit über sich selbst zu bringen – eine im tiefsten Wortsinn befreiende Wahrheit.

Das Zweite Vatikanische Konzil selbst war eine Zeit der Auseinandersetzungen und die Debatten in den fünfeinhalb Jahrzehnten, die seit seinem Ende vergangen sind, waren noch heftiger. Doch es sind nicht die Streitigkeiten innerhalb der nachkonziliaren Kirche, die uns jetzt an der Schwelle des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts zu denken geben. In den 1700 Jahren der Geschichte des Katholizismus waren die ökumenischen Konzilien immer wieder mit strittigen Themen befasst, die nicht selten grundlegende Glaubenswahrheiten betrafen. Auf ökumenischen Konzilien wurden erbitterte Kämpfe ausgetragen und auch die Zeit nach diesen Konzilien war in der Regel von mehr oder weniger heftigen Auseinandersetzungen bestimmt. Dass in der katholischen Kirche Auseinandersetzungen stattfinden, ist nichts Neues. Es hat früh begonnen, wie wir im 6. und 15. Kapitel der Apostelgeschichte nachlesen können, und dies hat sich bis heute fortgesetzt.

Auffallend ist allerdings, dass inmitten der nachkonziliaren Auseinandersetzungen, die auf das II. Vatikanum folgten, diejenigen Teile der Weltkirche, die sich die christuszentrierte, evangelikale Sicht der Zukunft der katholischen Kirche, wie Johannes XXIII. sie in Gaudet Mater Ecclesia entworfen hatte, zu eigen machten, eine Blütezeit erlebten. Gleichzeitig hielten diejenigen Teile der Weltkirche, die nicht begriffen hatten, dass die Gegenreformation vorüber war und der Heilige Geist die Kirche nun über den bloßen Selbsterhalt hinaus zu einem lebendigen Sendungsbewusstsein berief, dem Druck der modernen Welt nicht stand. Und ebenso erging es denjenigen Teilen der Weltkirche, die glaubten (und immer noch glauben), das Zweite Vatikanische Konzil habe einen radikalen Bruch mit der katholischen Vergangenheit vollzogen: jenen, die allem Anschein nach den Aufruf Johannes’ XXIII. in Gaudet Mater Ecclesia überhört hatten (und immer noch überhören), dass die Kirche der Zukunft die Wahrheit des Evangeliums und die Lehre der Kirche »rein, unvermindert und ohne Entstellung überliefern« soll.

Die evangelikale Absicht, die Johannes XXIII. mit dem II. Vatikanum verfolgte, wurde durch drei entscheidende Ereignisse in der nachkonziliaren Kirche noch weiter bekräftigt. Diese Ereignisse inspirieren und beseelen den lebendigen Teil der heutigen katholischen Weltkirche. Das erste war das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi (»Die Verkündigung des Evangeliums«), das Papst Paul VI. 1975 herausgab.

Paul VI. brachte das II. Vatikanum zu einem erfolgreichen Abschluss. Doch die Jahre unmittelbar nach dem Konzil waren von Kontroversen über die Bedeutung des Konzils, von einem schweren Verfall der kirchlichen Disziplin und von kirchenerschütternden Protesten gegen die Enzyklika über die katholische Ethik der menschlichen Liebe beherrscht, die Papst Paul 1968 promulgiert hatte (Humanae vitae). Als aber sein Leben sich dem Ende zuneigte, wollte Paul VI. der Kirche ein »pastorales Testament« hinterlassen, wie es einer seiner Mitarbeiter genannt hat.6 Dieses Testament – Evangelii nuntiandi, das als Abschluss der Arbeiten der Bischofssynode von 1974 verfasst worden war – rief der Kirche die ermutigende Vision ins Gedächtnis, die Johannes XXIII. für das II. Vatikanum gehabt hatte.

Der Papst, der sich den Namen des Apostels der Heiden gegeben hatte, lehrte, dass Mission nicht einfach etwas ist, was die Kirche tut: Die Kirche ist Mission. Der einzige Auftrag der katholischen Kirche besteht darin, anderen ganz unumwunden die Freundschaft mit Jesus Christus anzubieten: »Es gibt keine wirkliche Evangelisierung«, schrieb Paul VI., »wenn nicht der Name, die Lehre, das Leben, die Verheißungen, das Reich, das Geheimnis von Jesus von Nazaret, des Sohnes Gottes, verkündet werden.«7 Christus zu begegnen heißt natürlich, der Kirche zu begegnen: einer Gemeinschaft, die von jenen sakramentalen Gnadenquellen lebt, die den Glauben, die Hoffnung und die Liebe speisen. Um im vollen Wortsinn in dieser Kirche zu leben, müssen diejenigen, die evangelisiert worden sind, selbst evangelisieren. Und indem sie zu Boten des Evangeliums werden, so Papst Paul abschließend, bewirken Christen die Umwandlung der Kultur und der Gesellschaft – ein Werk der Umwandlung, das von der fortwährenden Bekehrung zu Christus beseelt wird.

Wenn Gaudet Mater Ecclesia ein Entwurf Johannes’ XXIII. für die Arbeit des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist, dann war Evangelii nuntiandi die Zusammenfassung dieser Arbeit durch Paul VI. – und eine Herausforderung, die Auseinandersetzungen zu überwinden und zum Sendungsauftrag überzugehen.

Das zweite Ereignis, das die evangelikale Zielsetzung des II. Vatikanums bekräftigte, war die Außerordentliche Bischofssynode, die Papst Johannes Paul II. 1985 einberufen hatte, um zwanzig Jahre nach dem feierlichen Abschluss des Konzils am 8. Dezember 1965 zu prüfen, was bei dessen Umsetzung gut und was nicht ganz so gut gelungen war.

Anders als frühere ökumenische Konzilien hatte das II. Vatikanum keine Erklärung zu seiner eigenen authentischen Interpretation geliefert: Es hat keine Lehre festgelegt, keine Häresie verurteilt, kein Glaubensbekenntnis verfasst, keine Gesetze erlassen, keinen Katechismus in Auftrag gegeben. Der Schlüssel musste in den Konzilstexten selbst gefunden werden, die es durch das Prisma von Gaudet Mater Ecclesia und Evangelii nuntiandi zu lesen galt. Und dieser »Schlüssel«, so befanden die Väter der Synode von 1985, war die Vorstellung von der Kirche als einer missionarischen Gemeinschaft von Jüngern. Der Katholizismus beginnt mit der Jüngerschaft, mit der Bekehrung und Freundschaft zu Jesus Christus – und damit, dass man das Evangelium als umfassende Wahrheit akzeptiert. Durch diese Bekehrung wird man der »Gemeinschaft« der Freunde Jesu, des Herrn, eingegliedert, die anders ist als jedes andere Beziehungsgefüge im Leben ihrer Mitglieder. Und diese »Gemeinschaft« lebt nicht für sich allein. Sie besteht, um anderen das Geschenk zu machen, das sie selbst empfangen hat, nämlich die Freundschaft mit dem fleischgewordenen Gottessohn und die Teilhabe an seinem mystischen Leib, der Kirche.8

In der Welt und auch in Teilen der Kirche war man der Auffassung, dass es bei den Auseinandersetzungen in der katholischen Kirche, die auf das II. Vatikanum folgten, um Macht ging. Die Synode von 1985 betonte hingegen, dass nichts Geringeres auf dem Spiel stand als das Selbstverständnis der Kirche. Das Zentrum dieses Selbstverständnisses war und ist und muss immer Jesus Christus bleiben. Und Jesus, den Herrn, zu kennen bedeutet, als Einzelperson und als Mitglied der Kirche die Verantwortung zu übernehmen, andere mit ihm bekannt zu machen. »Missionarische Öffnung zum Heil der Welt in seiner Fülle« hatte, so schrieben die Synodenväter, die Kirche des Neuen Testaments einst charakterisiert – und sollte nun auch die Kirche des II. Vatikanums charakterisieren.9

Das dritte Ereignis, das die evangelikale Zielsetzung des II. Vatikanums bekräftigte und die lebendigen Teile der Weltkirche im 21. Jahrhundert inspirierte, war das große Jubiläumsjahr, das Heilige Jahr 2000.

Johannes Paul II. rief dieses Heilige Jahr aus, damit die Kirche sich erneut auf den Wegen der Heilsgeschichte bewegte. Wozu das? Damit das Kirchenvolk sich daran erinnerte, dass das Christentum keine fromme Legende ist: Das Christentum beruht auf bestimmten historischen Ereignissen, auf Dingen, die echten Männern und Frauen zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort widerfahren sind. Und diese Ereignisse – allen voran die Begegnung mit dem auferstandenen Herrn, den diese Männer und Frauen zuvor als den Rabbi Jesus aus Nazaret gekannt hatten – verwandelten Menschen, die sich bis dahin scheu abseits gehalten hatten, in eine Gemeinschaft von Jüngern, die eine religiöse Revolution auslöste.

Um dies ein für alle Mal klarzustellen, beendete Johannes Paul II. das Heilige Jahr am 6. Januar 2001 mit dem Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte (»Zu Beginn des neuen Jahrtausends«), in dem er eine biblische Metapher für den Katholizismus des dritten Jahrtausends prägte. Wie Christus die Fischer Petrus und Andreas aufgefordert hatte, aufs tiefe Wasser hinauszufahren und die Netze zum Fang auszuwerfen (vgl. Lk 5,4)10, so rief Christus nun seine Kirche dazu auf, die seichten, zuweilen brackigen und scheinbar sicheren Gewässer der institutionellen Verwaltung zu verlassen und hinauszufahren in die aufgewühlten Fluten des 21. Jahrhunderts, um einen großen Fang an Jüngern zu machen.

Wie die Kirche einst begonnen hatte, so sollte sie ihren Auftrag weiter erfüllen.

Diese vom Geist geführte Reise durch die letzten Jahrzehnte des zweiten und die ersten Jahrzehnte des dritten Jahrtausends ist für die Kirche zuweilen eine Wüstenwanderung gewesen. Es gab Zeiten – manchmal waren es Jahre –, in denen die Reise in eine vom großen Sendungsauftrag getragene katholische Zukunft ins Stocken geriet. Das war nicht anders zu erwarten. Eine Kirche, die ganz und gar aus unvollkommen Bekehrten besteht, eine Kirche der Sünder, die von der Gnade leben und im Glauben voranschreiten, wird hin und wieder vom Weg abkommen und sich womöglich in diesen Zeiten des Stillstands gegen sich selbst wenden und auf eine Art brudermörderischen Streit einlassen. Es hat in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten auch Zeiten gegeben, in denen die Kirche kurz vor dem Schiffbruch zu sein schien. In solchen Zeiten ist es wichtig, daran zu erinnern, dass das einzige göttlich inspirierte Buch über die Kirchengeschichte, die Apostelgeschichte, mit einem Schiffbruch endet – und dass diese scheinbare Katastrophe zur Chance wurde, den Missionsauftrag der Kirche auszuweiten.

Trotz aller Schwierigkeiten, mit denen der Katholizismus konfrontiert ist – Schwierigkeiten, über die man die katholische Kirche in der Regel definiert, wenn man sie nicht von innen kennt –, bleibt doch klar, wie der gangbare Weg in eine Zukunft der katholischen Kirche verläuft. Die Kirche des 21. Jahrhunderts und des dritten Jahrtausends wird eine christuszentrierte Kirche sein, die das Evangelium in seiner ganzen Fülle verkündet – oder sie wird nichts sein. Jene, die diese Kirche leiten werden, müssen das verstehen. Die Leitung dieser Kirche darf sich nicht davon einschüchtern lassen, dass wir nicht in Zeiten des Christentums, sondern in apostolischen Zeiten leben. In der jetzigen Zeit des Katholizismus sollte uns diese Tatsache beleben und stärken, denn es ist eine Zeit, in der jeder in der Kirche zum Abenteuer der Mission aufgerufen ist.

Die missionarische Verantwortung betrifft jeden in der Kirche. Und viele können in unterschiedlichen Lebensphasen bei der Durchführung dieser Mission eine tragende Rolle übernehmen. Die Hauptrolle in diesem Missionswerk spielen jedoch per definitionem diejenigen, die innerhalb der Kirche mit pastoraler Autorität ausgestattet sind. Diese Autorität wird durch das Weihesakrament und die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom verliehen.

Und welche Anforderungen an den Bischof von Rom in diesen apostolischen Zeiten gestellt werden, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.

Der nächste Papst

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