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2 Der Freund der Milliardäre

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Schon allein Maigrets Anwesenheit im Majestic hatte etwas Feindseliges. Er bildete sozusagen einen Block, den die dort herrschende Atmosphäre nicht in sich aufzunehmen vermochte.

Nicht dass er ausgesehen hätte wie der typische Polizist, den man aus der Karikatur kennt. Weder trug er einen Schnurrbart noch Schuhe mit Gummisohlen. Seine Kleidung war gut geschnitten und aus gutem Tuch. Zudem rasierte er sich jeden Morgen und hatte gepflegte Hände.

Sein Körperbau aber war plebejisch. Er war groß, massig und starkknochig. Harte Muskeln zeichneten sich unter dem Jackett ab und zerbeulten schnell auch die neuesten Hosen.

Bemerkenswert war vor allem sein Auftreten, das sogar einigen seiner Kollegen durchaus missfiel.

Es war mehr als Selbstsicherheit und war doch nicht Hochmut. Er kam irgendwohin, als in sich geschlossener Block, und von da an schien es, als müsste sich alles an ihm brechen, ob er sich nun bewegte oder breitbeinig stehen blieb.

Die Pfeife steckte wie festgewachsen zwischen seinen Zähnen. Selbst im Majestic nahm er sie nicht heraus.

Vielleicht war es im Grunde ein trotziges Bekenntnis zur Gewöhnlichkeit, ein Zeichen von Selbstvertrauen?

In der hell erleuchteten Hotelhalle, in der sich die vornehme Welt tummelte und wie aus dem Ei gepellte Menschen zwischen Parfumwolken, schrillem Lachen, Geflüster und formvollendeten Begrüßungen hin und her eilten, war es unmöglich, ihn in seinem dicken schwarzen Mantel mit Samtkragen nicht sofort auszumachen.

Das kümmerte ihn nicht. Er blieb außerhalb dieses Treibens. Die Jazzklänge, die aus dem Untergeschoss zu ihm heraufdrangen, brachen sich an ihm wie an einer undurchlässigen Wand.

Als er sich anschickte, eine Treppe hochzusteigen, rief ihm der Liftboy nach, um ihn auf den Fahrstuhl hinzuweisen. Doch er drehte sich nicht einmal um.

Im ersten Stock fragte ihn jemand:

»Wen suchen Sie?«

Die Stimme schien ihn nicht zu erreichen. Er sah die mit rotem Teppich ausgelegten schier endlosen Flure, die einen schwindeln machen konnten, und stieg weiter hinauf.

Im zweiten Stock las er mit den Händen in den Taschen die Ziffern auf den Bronzeschildern. Die Tür von Nummer 17 stand offen. Pagen in gestreiften Westen trugen Koffer hinein.

Der Reisende, der seinen Mantel abgelegt hatte und sehr zart wirkte, sehr schlank in seinem edel changierenden Anzug, rauchte eine Zigarette mit Mundstück und gab dabei Anweisungen.

Nummer 17 war kein Zimmer, sondern eine Suite: Salon, Arbeitszimmer, Schlafzimmer und Bad. Die äußeren Türen öffneten sich auf eine von zwei Gängen gebildete Ecke, wo ein ausladendes rundes Sofa stand, wie eine Bank an einer Kreuzung.

Dorthin setzte sich Maigret, direkt gegenüber der offenen Tür, streckte die Beine aus und knöpfte seinen Mantel auf.

Pietr der Lette sah ihn und fuhr mit seinen Anweisungen fort, ohne Überraschung oder Unmut zu zeigen. Als die Pagen alle Koffer und Taschen abgestellt hatten, ging er selbst zur Tür, um sie zu schließen, beobachtete jedoch den Kommissar noch einen Moment lang, eher er sie ins Schloss zog.

Maigret hatte Zeit, drei Pfeifen zu rauchen und zwei Etagenkellner und ein Zimmermädchen fortzuschicken, die ihn fragten, worauf er warte.

Um Punkt acht Uhr verließ Pietr der Lette die Suite, noch schlanker und noch schmucker als zuvor, in einem klassischen Smoking, dem man den noblen englischen Schneider ansah.

Er trug keinen Hut. Seine hellblonden kurz geschnittenen Haare lichteten sich schon. Sie setzten weit oben an und gaben die etwas fliehende Stirn frei. Auf der Mitte des Schädels war ein heller Fleck rosiger Haut zu erahnen.

Seine Hände waren lang und zart. Am linken Ringfinger trug er einen schweren Siegelring aus Platin mit einem gelben Diamanten.

Wieder rauchte er eine russische Zigarette, die in einem Pappmundstück steckte. Er ging sehr dicht an Maigret vorbei, hielt kurz inne und sah ihn an, als lockte ihn der Gedanke, ihn anzusprechen, und begab sich dann mit besorgter Miene zum Fahrstuhl.

Zehn Minuten später nahm er im Speisesaal Platz, am Tisch von Mr. und Mrs. Mortimer-Levingston, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.

Sie trug Perlen für eine Million Franc um den Hals.

Ihr Gatte hatte am Tag zuvor eines der größten Automobilwerke Frankreichs wieder flottgemacht, wofür er sich selbstverständlich die Aktienmehrheit gesichert hatte.

Die drei plauderten angeregt. Pietr der Lette sprach viel, mit gedämpfter Stimme und leicht vorgebeugt. Er war entspannt und verhielt sich ganz ungezwungen, trotz der dunklen Gestalt Maigrets, die er hinter der gläsernen Trennwand in der Hotelhalle erkennen konnte.

Im Büro verlangte der Kommissar die Liste der Hotelgäste. Dort, wo der Lette unterschrieben hatte, las Maigret, ohne jegliches Erstaunen: Oswald Oppenheim aus Bremen, Reeder.

Zweifellos besaß er einen gültigen Pass und sämtliche Papiere auf diesen Namen, wie er auch solche auf andere Namen besaß.

Und genauso wenig war zu bezweifeln, dass er den Mortimer-Levingstons schon anderswo begegnet war, in Berlin, in Warschau, in London oder in New York.

War er nur in Paris, um sie zu treffen und eine der kolossalen Betrügereien ins Werk zu setzen, auf die er spezialisiert war?

Auf der Karteikarte in Maigrets Tasche stand:

Äußerst geschicktes und gefährliches Individuum von unbestimmter Nationalität, doch nordischer Herkunft, vermutlich Lette oder Este; spricht fließend Russisch, Französisch, Englisch und Deutsch.

Ist sehr gebildet und gilt als Chef einer mächtigen internationalen Bande, die auf Betrug spezialisiert ist.

Aktivitäten dieser Bande wurden in Paris, Amsterdam (Fall van Heuvel), Bern (Fall Vereinigte Reedereien), Warschau (Fall Lipmann) und in diversen anderen europäischen Städten nachgewiesen, wo ihr Vorgehen weniger klar zu identifizieren war.

Pietrs Komplizen scheinen vor allem dem angelsächsischen Raum zu entstammen. Einer von ihnen wurde sehr oft in seiner Gesellschaft gesehen; er reichte einen gefälschten Scheck bei der Berner Kantonalbank ein. Wurde getötet, als die Schweizer Polizei ihn verhaften wollte. Gab sich als Major Howard von der American Legion aus. Es konnte aber bewiesen werden, dass es sich um einen ehemaligen Schnapsschmuggler aus New York handelte, in den Vereinigten Staaten unter dem Beinamen Dicker Fred bekannt.

Pietr selbst ist zweimal verhaftet worden. Das erste Mal in Wiesbaden, wegen Betrugs an einem Kaufmann aus München mit einer Schadenssumme von einer halben Million Mark, das zweite Mal in Madrid, wegen einer ähnlichen Sache, der eine bedeutende Persönlichkeit am spanischen Königshof zum Opfer fiel.

In beiden Fällen kam die gleiche Taktik zum Einsatz: Beim Gespräch mit dem Opfer beteuerte er, die gestohlenen Gelder seien in Sicherheit und die Behörden würden sie auch nach seiner Verhaftung nicht finden.

Beide Male wurde die Klage zurückgezogen, die Kläger wurden vermutlich entschädigt.

Danach wurde er nie mehr auf frischer Tat ertappt.

Wahrscheinlich bestehen Beziehungen mit der Bande Maronnetti (Falschgeld und Urkundenfälschung) und mit der Bande von Köln (genannt die Mauerbohrer).

Dazu ein Gerücht, das bei allen europäischen Polizeidienststellen umging: Pietr der Lette kontrolliere als Kopf einer Bande (vielleicht auch mehrerer Banden) und als deren Kassierer ein paar Millionen, die unter verschiedenen Namen auf Banken verstreut oder in Unternehmen investiert waren.

Da saß er und lächelte leicht, während er Mrs. Mortimer-Levingston zuhörte, die ihm irgendetwas erzählte, und seine weiße Hand spielte mit einer prächtigen Weintraube.

»Entschuldigen Sie, Monsieur! Hätten Sie einen Moment Zeit für mich?«

Mit diesen Worten wandte sich Maigret in der Halle des Majestic an Mortimer-Levingston, nachdem sowohl der Lette wie auch die Amerikanerin nach oben gefahren waren.

Mortimer fehlte die typische Sportlichkeit des Yankees. Er sah eher südländisch aus.

Er war hochgewachsen und schlank. Sein Kopf, sehr klein, war von schwarzem, gescheiteltem Haar bedeckt.

Er schien ständig müde zu sein. Seine Lider waren schwer und bläulich. Übrigens führte er ein aufreibendes Leben, fand er doch Mittel und Wege, sich mal in Deauville, mal in Miami oder am Lido zu zeigen, dann wieder in Paris, Cannes oder Berlin, irgendwo seine Jacht zu besteigen, in einer europäischen Hauptstadt ein Geschäft zu tätigen und bei den größten Boxkämpfen in New York oder Kalifornien den Schiedsrichter zu geben.

Er musterte Maigret von oben herab. Ohne die Lippen zu bewegen, sagte er beiläufig:

»Sie sind …«

»Kommissar Maigret, Erste Mobile Brigade.«

Mortimer runzelte kaum die Stirn und blieb einen Moment vorgebeugt stehen; er schien entschlossen zu sein, ihm nicht mehr als eine Sekunde zu gewähren.

»Sie wissen, dass Sie gerade mit Pietr dem Letten gespeist haben?«

»Ist das alles, was Sie mir zu sagen haben?«

Maigret verzog keine Miene. Er hatte nichts anderes erwartet.

Er steckte die Pfeife wieder zwischen die Zähne – denn er hatte geruht, sie aus dem Mund zu nehmen, als er den Milliardär ansprach – und knurrte:

»Das ist alles!«

Offenbar war er mit sich zufrieden. Mortimer ging mit eisigem Blick weiter und verschwand im Aufzug.

Es war kurz nach halb zehn. Das klassische Orchester, das beim Abendessen gespielt hatte, räumte seinen Platz für die Jazzband. Von draußen kamen Leute herein.

Maigret hatte nicht zu Abend gegessen. Mitten in der Hotelhalle blieb er stehen, ohne Ungeduld an den Tag zu legen. Der Geschäftsführer warf ihm von Weitem immer wieder beunruhigte und missbilligende Blicke zu. Auch die einfachen Angestellten sahen mürrisch aus, wenn sie an ihm vorbeikamen, einige rempelten ihn sogar an.

Das Majestic nahm ihn nicht in sich auf. Trotzig bildete er einen großen schwarzen, reglosen Fleck inmitten der Vergoldungen, der Lichter, des Hin und Her der Abendroben, der Pelzmäntel, der duftenden und glitzernden Gestalten.

Mrs. Mortimer-Levingston trat als Erste aus dem Aufzug. Sie hatte sich umgezogen. Ein Cape aus hermelingefüttertem Lamé umhüllte ihre Schultern.

Sie schien verwundert zu sein, dass niemand auf sie wartete, und begann auf und ab zu gehen, wobei ihre hohen vergoldeten Absätze rhythmisch auf dem Boden klackerten.

Unvermittelt blieb sie vor der Mahagonitheke mit den Angestellten und Dolmetschern stehen, um ihnen etwas zu sagen. Einer der Angestellten drückte einen roten Knopf und nahm einen Telefonhörer ab.

Er wirkte überrascht und winkte einem Boy, der zum Aufzug eilte.

Mrs. Mortimer-Levingston war sichtlich beunruhigt. Hinter der gläsernen Eingangstür konnte man am Bordstein die weichen Umrisse einer amerikanischen Limousine erkennen.

Der Liftboy kam zurück und sprach mit dem Angestellten. Dieser wandte sich an Mrs. Mortimer-Levingston. Sie protestierte. Offenbar sagte sie:

»Das ist unmöglich!«

Da ging Maigret die Treppe hoch, blieb vor Nummer 17 stehen und klopfte an die Tür. Wie nicht anders zu erwarten, kam keine Antwort.

Er öffnete die Tür. Der Salon war leer. Im Schlafzimmer lag der Smoking von Pietr dem Letten auf dem Bett. Ein Schrankkoffer stand offen. Die Lackschuhe lagen weit voneinander entfernt auf dem Teppich.

Der Geschäftsführer erschien und brummte:

»Sie sind also auch schon da. Und? Verschwunden, was? … Mortimer auch, oder?

Aber wir sollten nichts dramatisieren. Sie sind beide nicht in ihren Zimmern, aber bestimmt werden wir sie irgendwo im Hotel ausfindig machen.«

»Wie viele Ausgänge?«

»Drei … Der zu den Champs-Élysées … der zu den Arcades und dann der Personaleingang, Rue de Ponthieu.«

»Gibt es da einen Portier? … Rufen Sie ihn!«

Der Geschäftsführer war wütend. Er regte sich über den Telefonisten auf, der ihn nicht verstand. Der Blick, den er auf Maigret gerichtet hielt, war nicht eben wohlwollend.

»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte er, während er auf den Portier des Personaleingangs wartete, der in einer kleinen verglasten Loge Dienst tat.

»Nichts, oder fast nichts, wie Sie sagten …«

»Ich hoffe, es handelt sich nicht um ein … um ein …«

Das Wort »Verbrechen«, Albtraum aller Hoteliers der Welt, von den kleinen Vermietern möblierter Zimmer bis zu den Geschäftsführern von Luxushotels, blieb ihm im Hals stecken.

»Das werden wir bald erfahren.«

Mrs. Mortimer-Levingston erschien und erkundigte sich:

»Nun … Was ist?«

Der Geschäftsführer verbeugte sich und versuchte stotternd etwas zu sagen. Am Ende des Gangs tauchte ein kleiner alter Mann auf, mit schmutzigem Bart und schlecht sitzenden Kleidern, eine Gestalt, die nicht in den Rahmen des Hotels passte.

Selbstverständlich sollte er hinter den Kulissen bleiben, sonst hätte man auch ihm eine schöne Uniform verpasst und ihn jeden Morgen rasiert.

»Haben Sie gesehen, dass jemand das Hotel verlassen hat?«

»Wann?«

»Vor ein paar Minuten.«

»Jemand aus der Küche, glaube ich … Ich habe nicht aufgepasst … Ein Mann mit einer Mütze …«

»Klein, blond?«, warf Maigret ein.

»Ja, ich glaube … Ich habe nicht genau hingesehen … Er ist schnell gegangen …«

»Sonst niemand?«

»Ich weiß nicht … Ich bin zur Ecke, um mir eine Zeitung …«

Mrs. Mortimer-Levingston verlor die Beherrschung.

»Das nennen Sie suchen?«, sagte sie, zu Maigret gewandt. »Man hat mir gesagt, Sie seien von der Polizei. Mein Mann ist vielleicht ermordet worden … Worauf warten Sie?«

Der Blick, der nun auf ihr ruhte, war ganz Maigret! Dieser Gleichmut! Als hätte er nichts anderes gehört als das Summen einer Mücke! Als hätte er es mit etwas gänzlich Banalem zu tun.

Sie war es nicht gewohnt, auf diese Weise angesehen zu werden. Sie biss sich auf die Lippe, lief rot an und stampfte vor Ungeduld mit dem Fuß auf.

Er sah sie immer noch an.

Da bekam sie, am Ende ihrer Kräfte oder vielleicht weil ihr nichts anderes einfiel, eine Nervenkrise.

Maigret und Pietr der Lette

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