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Kapitel 3

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Erst im Jahr darauf – 2012 –, dass ich im Juni die zuvor erwähnte Fahrradtour durch Teile der Toskana doch noch machte. Wie geplant mit Tagesausflügen von einem festen Hotel, Standort toskanischen Pisa, Ziel neuerliches Entdecken, Probieren der Küche der Toskana durch tägliche Besuche insbesondere von ländlichen Trattorien. Pinzimonio, Ribollita, Fagioli toscaneli con tonno e pecorino, Bistecca alla fiorentina, Spezzatino alla chigiana und, und, und: all die Klassiker der toskanischen Küche wollten von mir neu entdeckt, gegessen werden. Mit etwas Glück, dass ich dabei vielleicht sogar mit dem oder jenem Koch ins Gespräch kam, der allerdings des Deutschen oder Englischen mächtig sein musste. Italienisch spreche ich, Du weißt, nicht.

Name des Hotels in Pisa, in dem ich mich einquartierte, „Giardino Tower Inn“, Piazza Manin, 1: dies der Platz unmittelbar neben dem alten Stadtor, einem von mehreren Eingängen zur „Piazza dei Miracoli“, dem Platz der Wunder, auf dem sich Dom, Baptisterium, Taufkirche, last not least der weltberühmte „Schiefe Turm“ befinden.

An den nahezu ausschließlich sonnigen, teilweise unerträglich schwül-heißen Tagen meines Aufenthaltes, dass ich abends öfter auf der Terrasse des Hotels saß, Notizen über den abgelaufenen Tag machte, der schweifende Blick immer mal wieder über die wenige Meter entfernte Stadtmauer hinweg gerichtet auf den oberen Bereich des aus weißem Marmor errichteten Baptisteriums, größte Taufkirche der Welt, der aus weißem Marmor errichtete Bau gekrönt von einer ihres Carraramarmors und diversen Statuen, Büsten beraubten Kuppel. Die Statuen, die nicht länger der Luft ausgesetzt, damit zerstört werden sollten, heute zu bewundern im Museo dell´ Opera. Kulinarische Ereignisse der ersten drei Tage: ein einmaliger Fischeintopf – Cacciucco alla Livornese – in einer Fernfahrerkneipe im Hafen von Livorno; fantastisches, wenn auch sündhaft teures Bistecca alla fiorentina in Lucca; zuerst systematisch gequältes, dann erbarmungslos hingerichtetes Bollito misto in Pisa selbst.

Vor meinem geistigen Auge und bis in den Schlaf hinein die Toskana ein illustres Sammelsurium sinnenfroher, farbintensiver Bilder, die durch meine innere Welt vagabundierten: auf einem Hügel kultiviertes Bauernland, seitwärts vor, dahinter Reihen von Maulbeer-, Olivenbäumen mit dazwischen hochgebundenen Weinreben; hier ein romantisches Bergdorf mit schattigem Pinienwald, Strand, Meer, weitem Mohnfeld; dort eine leuchtende Blumenwiese, seitlich blühende Mandelbäume, Mimosen, silbrig schimmernde Ölbäume und ein mittelalterliches Gehöft; fast, dass ich auf dieser Terrasse abends bei geschlossenen Augen den Duft der Weinreben, Blumenwiesen einzusaugen glaubte, Geräusche von Grillen, Zikaden hörte, ohne dass es bereits Nacht war, die Sterne später über mir funkelten und ich mich der seligen Illusion hingab, einen von der Winzer-Akademie in Siena abgesegneten frischen, fruchtigen, rubinroten Chianti aus der Brolio-Weinkellerei von Baron Racasoli in der Hand zu halten.

Um an dieser Stelle einen zeitlichen Sprung zu machen:

Kam Weihnachten 2012/2013, damit ein Problem, das ich jedes Jahr Weihnachten habe. Ein Weihnachtsgeschenk für meine Tochter Kristin war bald gefunden. Nur, was war mit Laura?

Die hat, Du weißt´s, am 20.12. Geburtstag, vier Tage später Weihnachten, drei Tage danach unser Hochzeitstag – eine Konstellation, die mich jedes Jahr zum Grübeln, um nicht zu sagen zur Verzweiflung bringt. Überaus einfallsreicher, empathischer Geschenkespezialist, der meine große Liebe ist – ich hatte früher nicht die geringste Begabung zum Schenken, musste diesbezüglich in den mehr als dreißig Jahren unserer Ehe viel von ihr lernen –, hat aber gerade sie einen Anspruch auf einfallsreiche, an ihrer Persönlichkeit orientierte Geschenke. Was aber, verflucht, schenkte ich ihr diesmal?

Als ich an einem Tag in den Wochen zuvor morgens die Post öffnete, war dort das Jahresprogramm 2013 einer Bildungseinrichtung, bei der ich meine Kurse anbot. Noch nicht darin enthalten, sondern erst geplant für´s Jahr danach ein Kurs über die Küche Venedig´s und des Veneto. Durch die zu diesem Zeitpunkt bereits Jahre währende Beschäftigung mit einem der berühmtesten Venezianer, dem Multitalent, halbseidenen Frauenjäger Giacomo Casanova, wusste ich einiges über die Laguna Veneta, bestehend aus einer Gruppe von ca. 120 Inseln. Hatte zahlreiche Bücher, Zeitungsartikel gelesen. Was für sich genommen schon mal gar nicht so schlecht war. Andererseits aber natürlich nicht langte, um etwaigen Kursteilnehmern die dortige Küche näherzubringen. Das erforderte Praxis, Studium vor Ort, mehrfache Besuche der Lagunenstadt. Deshalb bereits von mir für´s kommende Jahr vorgesehen als Einstieg ins Thema ein einwöchiger Aufenthalt dort, dem dann rasch weitere folgen sollten.

Nur, wenn ich mich doch, was durchaus der Fall war, in den Tagen in der Toskana immer mal wieder intensiv nach meiner Familie gesehnt hatte, mehrfach auch abends zu viel trank, verdächtig früh ins Bett ging – warum machte ich den Venedigbesuch, halb Arbeit, halb Urlaub, nicht gemeinsam mit Laura?

Mein Geschenk zum Geburtstag wie zu Weihnachten wie zum Hochzeitstag eine Woche Venedig incl. Flug, Hotel. Flüge für den 13. 06. 2013 des kommenden Jahres hin, Rückflüge 20.06. gleich gebucht, gebucht auch ein Hotel, wenn auch nicht im Kern Venedigs nahe Canal Grande, sondern in Mestre, auf dem Festland gelegener Stadtteil Venedigs mit gut 200.000 Einwohnern und noch halbwegs bezahlbaren Hotelzimmern. Die sieben Tage dort sechs Monate später mit das Schönste, Interessanteste, Umwerfendste, was wir, wiewohl zuvor beide in vielen Ländern, Metropolen der Welt, je erlebt hatten. Dieses Venedig: es war einfach… war…wow…!! Oder mit den Worten des italienischen Komödiendichters Carlo Goldoni: „Venedig ist eine so außerordentliche Stadt, dass es ganz unmöglich ist, sich eine richtige Idee davon zu machen, ohne sie gesehen zu haben. Mit Karten, Plänen, Modellen, Beschreibungen reicht man nicht aus; man muss sie selbst sehen. Alle Städte in der Welt gleichen sich mehr oder weniger; diese gleicht keiner andern.“

Jeden Morgen, dass wir nach dem Frühstück von Mestre aus mit dem Bus, der vor dem Hotel hielt, Richtung Venedig´s Nadelöhr Busbahnhof fuhren, die im Dunst ver-

schwimmenden Konturen der Industrieschlote von Marghera und Mestre rechts derStrecke, ehe wir im Stadtteil Santa Croce nach fünfzehn Minuten Fahrt über den künstlichen Damm der Strada Ponte della Libertà Kernvenedig erreichten. Vom Busbahnhof aus dann bis zum Beginn des Gran Canale nur wenige Schritte. Als wir erstmals den Bus verließen und vom Piazzala Roma im Stadteil Santa Croce aus die paar Schritte zur breiten, langgezogenen, sich mit mächtigem Schwung Richtung Zentralvenedig streckende Ponte della Costituzione gingen, auf dem Scheitelpunkt der Brücke verharrten, unter uns der Canal Grande im frühen Sonnenlicht, standen wir augenblicklich wie versteinert da und blickten und blickten auf die pulsierende Hauptschlagader der Lagune.

Standen einfach nur da. Verstummten abrupt. Schwiegen lange. Blickten und blickten auf die Wasserstraße. Sahen uns an. Schwiegen weiter. Blickten wieder auf den Canal Grande. Links Stazione Ferroviaria, der Hauptbahnhof, mit Fondamenta Santa Lucia und den Anlegestellen der zahlreichen Schiffbus-, Vaporettolinien; rechts, dem Bahnhof schräg gegenüber, der neoklassizistische Bau des Palazzo Emo-Dieda, gefolgt weiter hinten von weiteren Hotels, Palazzi, Prachtbauten links, rechts, überall auf der von Lärm, Lachen, quirligem Leben überbordenden Wasserstraße, aufgewühlt von deren Motoren, Boote, Boote. Boote aller Art: Frachtboote, Wassertaxis, private Motorboote, laute, ein wenig plump, behäbig wirkende Vaporettoboote, Busschiffe einer Lagune, die außer auf einigen wenigen der zu Venedig gehörenden Inseln wie Lido, Pellestrina u.a. keinen Autoverkehr zulässt, last not least auch Ruderboote, Gondeln.

Ich musste an ein Wort von Goethe denken, Tom, der den Canal Grande einmal „schönste Straße der Welt“ genannt hatte. Als ein Weltwunder erscheint Venedig in Filmen, Büchern, und ein Weltwunder war auch, was ich in diesem Augenblick sah, später auf dem Markusplatz sah, mein ganzes Leben immer, immer wieder Jahr für Jahr sehen möchte, wenn wir nicht irgendwann, falls finanzierbar, ganz dorthin ziehen.

An jenem 13.6.2013 erstmals in Venedig, so auch erstmals in einem der Vaporetti, schwimmenden Busse zuerst der Linie 1, später, ab frühem Mittag, einem der Linie 2 ( der hält nur jede dritte Station ), mit dem wir den ganzen Weg bis Busbahnhof Piazzala Roma im Stadteil Santa Croce zurückfuhren. Um dort erneut auszusteigen, umzusteigen. Nun mit einem Vaporetto Linie 42 auf zur ersten großen Tour, ohne dass wir anfangs ahnten, dass wir – nur allein die Rundfahrt im Vaporetto zugrunde gelegt – für mehr als zwei Stunden unterwegs sein würden – zwei Stunden, 120 Minuten, 7200 Sekunden geschaukelt durch einen Traum von Sonne, Romantik und euphorischen Urlaubsgefühlen, in den sich immer wieder beim Halten oder Wegfahren von einer Station die grell röhrenden, enorm lauten Motorengeräusche unseres metallischen Kraftpaketes mit über hundert Sitzen mischte, ohne dass es auch nur einem der vielen Passagiere gelang, das Monster mit den schrecklichen Geräuschen zu übertönen. Was für ein babylonisches Sprachgewirrr aber auch: Gewirr aus italienischen, deutschen, schwyzerdeutschen, niederländischen, englischen, französischen, chinesischen, schwedischen, russischen Brocken und, und, und.

Was ist Babylon gegen Venedig… !

Als Laura und ich schließlich am später Nachmittag unseres letzten Tages zurück nach Mestre und von dort zum Flughafen Marco Polo fuhren, die Taschen voll wunderbar farbiger Muscheln, gingen wir zuvor auf dem Lido nicht über die Hauptstraße zurück zur Vaporettostation, sondern bogen links des Grandhotel des Bains, das seit langem leerstehende Gebäude umschlossen von einem hohen Wellblechzaun, vor dem sich eine weitere Barriere aus wilden, hoch gewachsenen Sträuchern befindet, in eine stille Seitenstraße ein und standen nach wenigen Metern vor einer alten Villa mit kleinem Garten: dem Hotel Lord Byron, das wir kurzentschlossen betraten und fragten, ob wir uns einige Zimmer ansehen dürften. Unter denen, wie wir uns ansahen, mit Blick zum Garten, Frühstücks-Außenbereich, auch eines mit altvenezianischem Mobiliar. Zum Zimmer gehörend ein breiter Steinbalkon, würdig einer Julia, deren Romeo ihr vom Garten aus seine Liebe angesichts eines maisgelben Mondes beschwört, ihr Ausruf darauf:

„O schwöre nicht beim Mond, dem wandelbaren,

der immerfort in seiner Scheibe wechselt,

damit nicht wandelbar dein Lieben sei!“

„Kommen wir wieder?“ fragte meine Frau vor der Tür des Hotels.

„Wir kommen wieder“, sagte ich.

Das ohnehin für´s nächste Jahr von mir geplant.

„Also wirklich schon gleich nächstes Jahr?“

„Schon gleich nächstes Jahr.“

„Aber dann nicht nur sieben Tage…. – versprochen?“

„Versprochen“.

„Und wohnen – wohnen werden dann hier? In dem Zimmer oben?“

„Ja“, sagte ich, nahm sie in den Arm, freute mich schon jetzt wie blöd.

Worauf alles anders kam, wie Du weißt, Tom, hast Du doch an dem Tag mit mir, Laura telefoniert: Am Tage vorm geplanten Flug wurde in der Schule, deren Leiterin Laura ist, die Stellvertretung krank. Am gleichen Tag, dass zwei der Lehrer, die eine Fahrgemeinschaft bildeten, einen Autounfall hatten, beide mit Schleudertrauma gleichfalls arbeitsunfähig. Der entsprechende Anruf der vorgesetzten Dienstelle von Laura bei uns von ihr mit einem resignativen „Ja“ beantwortet.

„Ja, ich komme. Verzichte auf meinen Urlaub…“

Als ich ihr vorschlug, auch selbst zu bleiben, nicht zu fliegen, lehnte sie dies allerdings kategorisch ab.

„Du hast dich so gefreut. Außerdem ist es ja auch, na ja, beruflich für dich wichtig.“

Ich müsse auf jeden Fall fliegen.

„Nein,“ sagte ich

„Doch,“ sagte meine Schöne.

„Nein.“

„Doch.“

An einem Montag im Mai 2014, dass ich gegen achtzehn Uhr dreißig den Flieger in Köln bestieg, gegen zwanzig Uhr fünfzehn landete, zweiundzwanzig Uhr dreißig mit dem Vaporetto zum Lido kam, das schöne Doppelzimmer im Hotel Lord Byron für zehn Tage reserviert. Wetterprognose für die nächsten Tage: 22 – 24°. Als Dauergast ohne störende Wolken für die nächsten Tage angekündigt der Glutball aus Helium und Wasserstoff, Name Sonne.

Als ich ausgepackt hatte, schritt ich noch für einige Minuten durch die milde, mit Oliander–, Jasmingerüchen gesättigte Nacht und setzte mich kurz auf der Hauptstraße Gran Viale Santa Maria Elisabetta, auf der trotz der späten Stunde viele Menschen in den Cafés, Eisdielen, Restaurants saßen, lachten, aßen, Wein tranken, auf eine Bank in unmittelbarer Nähe der Haltestelle des Busses Lido – Pellestrina. Auch auf Pellestrina wie auf ihrer Nachbarinsel Chioggia, Seehafen im Süden der Lagune von Venedig, waren wir im Jahr zuvor.

Als ich Zuhause anrief, sagte, ich sei gut angekommen, sagte Laura sanft: „Nun freu´ dich doch einfach mal auf die Tage, die vor dir liegen. Erzähl´ mir von deinem Programm. Der morgige Tag, wie ich dich kenne, vermutlich ganz dem Vaporettofahren gewidmet. Der Tag mithin ohne konkretes Programm, richtig?“

„Richtig.“

„Und dann: übermorgen…?“

Ich spürte, dass sie wie ich mit den Tränen kämpfte. Wir beide hatten uns auf die Tage hier unglaublich gefreut.

Übermorgen, ja, da fing dann in der Tat mein Programm an. Auf Pellestrina, dass ich, umgeben von Fischer–, Muschelbooten unterm blauen Baldachin des Ristorante „Da Celeste“, eine venezianische Fischsuppe essen wollte, Safran, Lorbeer, Fleischtomate, Rosmarienzweige, Cayennepfeffer, Weißwein sowie fester Adriafisch, Garnelen, Muscheln vermutlich im natürlich selbst hergestellten Fond der Suppe. Als wir letztes Jahr hier waren und dort essen wollten, gab es ein fürchterliches Gewitter, und wir blieben abends in Mestre.

„Am Tag danach, dass ich abends ins berühmte Café „Quadri“ auf der Piazza San Marco gehe, im ersten Stock ein hochelegantes Restaurant mit einer Küche, die allerhöchstes Niveau erreicht. Dort will ich – lass mich nachdenken… ja… – ein Gericht testen, das klassischerweise eine gewisse Ausgewogenheit von süß, sauer, salzig aufweist, Name: „sarde in saor“. Ein bekanntes, alteingesessenes Venediggericht, das gebratene Sardinen auf Zwiebeln präsentiert, das Saure vom Essig her, Süße von Pinienkernen, Rosinen…“

Rosinen eigentlich nicht so mein Ding…

„Weiter geplant: Auch mal hier zu essen, auf dem Lido, und das auch gar nicht unbedingt in einem Gourmetlokal.“

Sondern in einem erheblich preiswerten, immer vollen Gartenlokal mit Namen Ristorante „Parco delle Rose“, in dem man eine der besten Pizzen, hatte ich gelesen, auf dem Lido bekommt. Im Frühsommer die weiße Blütenpracht einer gigantischen Glyzinie – davon jetzt, im Mai, noch nichts zu sehen – über den Köpfen der Gäste. So gut die Pizza dann später auch wirklich war, auch der weiße Hauswein kalt, gut, preiswert – abzuraten im Lokal von jeglicher Salatbestellung. Die Salate, entgegen aller italienischen Tradition, eine ziemliche Katastrophe.

Zudem wollte ich unbedingt die Tage darauf auf die Insel Vignole, um dort in der Selbstbedienungs–„Trattoria alle Vignole“, in der wir im letzten Jahr mal vormittags waren, Antipasti, Schwertfisch zu probieren. Auch das capesante con pomodoro – Jakobsmuscheln mit Tomaten, besondere Zutaten Rosmariennadeln, Chilipowder, Sahne – sollte dort ausgezeichnet sein.

Und ich wollte, ach was: musste einfach in den weltberühmten Gourmettempel Locanda Cipriani auf der Insel Torcello. Ein Kollege aus Bonn, auch er Kursleiter, Dozent in Sachen Kulinarisches, hatte vor Jahren dort eine leckere, aromatische Peperonata gegessen. Auch dies ein typisch venezianisches Gericht, geeignet sowohl als Soße zu Pasta, Beilage zu Polenta wie auch kalt als Salat oder im Rahmen eines Antipasti-Arrangements. Basis des Gerichtes Paprikaschoten, Tomaten, Zwiebeln, Chilischote, Olivenöl. Mehr noch allerdings als davon schwärmte er von einem Fischgericht namens "John Dory alla Carlina". Als er davon anfing, wollte er gar nicht mehr aufhören.

„Nicht zu vergessen…“, sagte meine Frau und schwieg dann abrupt.

„Nicht zu vergessen…?“

„Nicht zu vergessen die heiße Schokolade im Café „Florian“, die ich dort trinken wollte und die du nun für mich trinken musst.“

Das Café „Florian“ auf der Piazza San Marco gelegen, ältestes Café Venedig´s, in dem – 1720 eröffnet – bereits Goethe, Richard Wagner, Thomas Mann waren, von Stuck, vielen Gemälden, Goldverzierungen, Spiegeln, indirektem Licht eine ganz eigene Atmosphäre geschaffen.

„Außerdem musst du dann natürlich einmal abends – wohin gehen…?“

„Sag´s mir…“

„In „Harry´s Bar“ natürlich…?

„Harry´s Bar“ nahe Marcusplatz, lieber Tom, der Du ja noch nie in La Serenissima warst, der Ort, an dem sowohl das Carpaccio, eine der berühmtesten Vorspeisen der italienischen Küche – leuchtendrotes Rinderfilet, roh zwar, doch zugleich zart, beträufelt mit cremeweißer Sauce –, wie der Cocktail „Bellini“ kreiert wurden. Die Geschichte der Entstehung von „Harry´s Bar, Geschichte auch weiterer Restaurant-, Hotelentstehungen eine venezianischer Tellerwäscherlegende in 4 Teilen:

Danach soll – Legende Teil I – 1929 ein junger, vermögender Amerikaner namens Harry Pickering über Monate im Hotel Europa logiert haben. Eines Abends, dass er zum Barmann des Hotels kam, dies ein gewisser Giuseppe Cipriani, und dem mit bitterer Miene erzählte, seine Eltern hätten ihm das Konto gesperrt, er käme an kein Geld, habe aber noch 5000 Dollar Hotelrechnung offen. Woraufhin dieser Cipriani dem Bruder Leichtfuß, sein bisheriges Leben dem Dolcefarniente gewidmet, mit dem es nun unübersehbar vorbei war, tatsächlich seine gesparten 5000 Dollar gab. Worauf der seine Hotelrechnung bezahlte, nach Hause fuhr, Giuseppe Cipriani aber darauf zwei Jahre nichts mehr von ihm hörte. Bis er dann doch noch eines Tages vor ihm stand. Sich entschuldigte. Ihm die 5.000 Dollar samt weiteren 20.000 als Dankeschön hinblätterte.

“Damit kannst du dein eigenes Lokal aufmachen. Und nennen – nennen tust du´s, wenn du einverstanden bist, nach meinem Vornamen „Harry´s Bar“.

Was so geschah. Der Erfolg der Bar bald so groß – berühmt die Lokalität zum Beispiel für ihre Huhn-Tramezzinis –, die Einnahmen so reichlich ( heute die Bar geführt vom Sohn des Gründers Arrigo Cipriani ), dass der umtriebige Geschäftsmann 1935 außerhalb Kernvenedigs, genauer auf der kleinen, reizvollen, allerdings auch lange weitgehend entvölkerten Insel Torcello in der Laguna Morta, geprägt von den beiden Kirchen Santa Fosca, Santa Maria Assunta, auch noch einen vis a vis der beiden Gotteshäuser gelegenen ehemaligen Gutshof kaufte und zum Restaurant machte. In kürzester Zeit avanciert zu einem der besten Restaurants, berühmtesten Gourmettempel von Italien. Auch heute noch das glamouröseste Restaurant von Venedig dies „Locanda Cipriani“. Einer, der hier einen Tisch reservieren, Platz erhalten kann, zugleich Inhaber nahezu eines Tickets zur Überfahrt zur Insel der Hyperboreer, in der griechischen Mythologie Insel der Glückseligen.

Das Angebot dort eine riesige Bandbreite, reichend von exklusiven Pasta- und Gemüsegerichten über Rindercarpaccio bis hin zur Spezialität des Hauses: der John Dory alla Carlina, ein St.-Petersfisch-Filet, kreiert von Ciprianis Tochter Carla. Damals nicht nur „Harry´s-Bar“-Stammgast Ernest Hemingway hier, der auf der Insel wohnte, dort seinen Roman "Across the River and Through the Trees" ( Über den Fluss und durch die Wälder ) schrieb, abends häufig Gast bei seinem Freund Cipriani. Weil er in höchsten Tönen vom Lokal schwärmte, folgte ihm zahlreiche weitere Prominenz, so Lady Di, Königin Beatrix, Truman Capote, Woody Allen, Kim Novak, Maria Callas, Marc Chagall. Ein Menü im „Cipriani“ zu bekommen ab 50 Euro aufwärts. Die Betonung weniger auf „50“ als vielmehr auf „aufwärts“.

Nur lasse man sich in einem Punkt nicht blenden: Es gibt, wiewohl in einer Hand, einen auffallenden Niveauunterschied zwischen „Harry´s Bar“ und dem Locanda Cipriani. Nicht umsonst, dass Laura und ich bei unserer Planung in Köln wohlwissend sagten: Nein, ein Carpaccio essen wir da nicht… Trinken nur einen Bellini. Für ein einfaches Carpaccio zahlt man dort um die 60 Euro pro Person.

Im Jahr 1950 dann, dass Cipriani – Legende Teil III – eine adelige Stammkundin mit Namen Contessa Amalia Nani Mocenigo hatte. Als deren Arzt ihr aus welchen Gründen

auch immer die Empfehlung gab, in Zukunft besser auf den Verzehr von gekochtem Fleisch zu verzichten, kreierte Cipriani für sie ein neues Gesicht aus rohem Rinderfilet: das erste Carpaccio. Der Name des Gerichtes daher, dass es zum gleichen Zeitpunkt in Venedig eine Ausstellung des berühmten venezianischen Maler Vittore Carpaccio gab, für seine leuchtenden Rottöne bekannt. Der Bellini, später gleichfalls dort kreiert, ein Cocktail aus trockenem Prosecco, einem halben pürierten weißen Pfirsich und, je nach Geschmack, etwas Zuckersirup; auch der Name dieses Getränks, der zurückgeht auf einen Maler, eine Ausstellung: die Giovanni-Bellini-Ausstellung im Jahre 1938.

Legende Teil IV dann, dass sich Harry und Giuseppe nun zu einem von beiden getragenen Projekt zusammenfanden, erheblich investierten – es geht nun um Millionen – und in Venedig das „Hotel Cipriani“ an der östlichen Spitze der Giudecca bauten, Einzelzimmerpreis heute 600 Euro pro Nacht, Doppelzimmer 1.450. Laura und ich, wir waren dort letztes Jahr, durften es uns ansehen, das „Cipriani“ in der Tat eines der schönsten Hotels der Welt. Von dort sieht man das Becken von San Marco, die von Palladio entworfene Kirche San Giorgio, in der Ferne die Laguneninseln, sowohl Garten wie Inneres des Prachtbaus von kunstsinnigen Gärtnern, Garten-, Innenarchitekten geschaffen, selbst der schwarzhäutige Wachmann, Muskelmann mit dunklem Anzug, weißem Shirt nahe Eingang ausgestattet mit einem echten, bezaubernden Lächeln. Für mich mit am faszinierendsten der vielfältige, üppige Kräutergarten. Basilikum und andere Kräuter von solcher Größe, Geruchs-, Farbintensität hatte ich nie zuvor gesehen, gerochen.

Und nun mal Hand aufs Herz, lieber Tom: Wenn vor mir bereits Lauren Bacall, Frank Sinatra, Federico Fellini, Orson Welles, Truman Capote, Ernest Hemingway, Maria Callas, Humphrey Bogart in „Harry´s Bar“ waren – durfte ich dann fehlen…? Das ging doch nun wirklich nicht.

„Geht wirklich nicht“, sagte auch meine Schöne zum Abschluss des Telefonates und lachte.

La Serenissima

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