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Von Basiliken, Mosaiken und würdevollen Frauen

Aquileia war um die Zeitenwende zu einer mächtigen Großstadt mit circa 100 000 Einwohnern angewachsen, die einem ganzen Kosmos an Göttern und Göttinnen huldigten.

„Es begab sich aber zu der Zeit“ des Kaisers Augustus, dass ein Mensch namens Jesus als Sohn Gottes Begründer einer neuen Religion wurde. Es heißt, Petrus, der Felsen, auf dem die neue (römische) Kirche gebaut wurde, habe den Apostel Markus in die Provinz Venetia et Histria geschickt, um die Menschen dort zu christianisieren. Markus ging, verkündete das Evangelium und bekehrte viele, unter ihnen auch Hermagoras. Diesen nahm der Evangelist mit nach Rom. Dort beeindruckte Hermagoras Petrus dermaßen, dass dieser ihn zum Bischof von Aquileia erkor. Dort jedoch erlitt Hermagoras gemeinsam mit seinem Diakon Fortunatus das Martyrium.

Im 14. Jahrhundert stiftete Betrand de Saint-Geniès, Patriarch von Aquileia, den beiden Märtyrern einen Sarkophag. Hinein aber kamen nicht die Gebeine der Heiligen, sondern der Patriarch selbst, nachdem er im Jahr 1350 einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war. Der Sarkophag mit Szenen aus dem Leben der beiden Heiligen ist im Dommuseum von Udine ausgestellt.

Hermagoras und Fortunatus waren nicht die Einzigen, die in Aquileia für den neuen Glauben starben. Der Sarkophag der Canziani in der Basilika von Aquileia zeigt uns gleich vier Märtyrer: Canzius, Canzianus, Canzianilla sowie Protos, ihren Lehrer. Als Christen verfolgt, verließen sie Rom, wurden aber in Aquileia festgenommen und in Aquae Gradate, dem heutigen San Canzian d‘Isonzo, hingerichtet.

Das Christentum musste in den Untergrund gehen, gewann aber, je mehr es mit Rom bergab ging, an Bedeutung.

In Aquileia hatte, noch bevor Kaiser Konstantin (272 – 337) im Jahr 313 das Toleranzpatent erließ, eine ansehnliche christliche Glaubensgemeinde bestanden. In keiner Stadt außer in Rom war das Christentum gegenwärtiger als in Aquileia, dessen Bischof bald zu den höchsten Würdenträgern der römischen Kirche zählte. Nachdem die Christen bislang in Privathäusern und/​oder in unterirdischen Sälen zusammengekommen waren, konnte Bischof Theodorus († 319) die erste Kirche erbauen. Deren Fußbodenmosaik, mit 760 m2 das flächenmäßig größte frühchristliche der westlichen Welt, zeigt Christus als guten Hirten zwischen einer mystischen Herde von Schafen, Hirschen, Gazellen, Delfinen, Ziegen, Vögeln, Enten, Stelzvögeln und Fischen. Sie alle symbolisieren das Gottesvolk. Und als Hahn stellt Christus das Licht der Welt dar. Er kämpft gegen die Schildkröte an, die das Dunkel (im Griechischen bedeutet ihr Name „Bewohnerin der Finsternis“) verkörpert.

Der Sakralbau selbst, mehrfach verändert und erweitert, ist vom Typus her eine Basilika. Im antiken Rom dienten Basiliken als Markt- oder Gerichtshallen. Sie präsentierten sich als rechteckige, in eine Apsis mündende Räume mit einem hohen Mittelschiff und niedrigeren Seitenschiffen. Das Christentum versetzte die Apsis gegen Osten, also in Richtung Jerusalem, und schon war der kirchliche Bautypus geboren.

Feindliche Einfälle, wie jener der Hunnen im Jahr 452, veranlassten den Patriarchen von Aquileia, immer wieder nach Grado zu fliehen. Die dortige Isolation bedeutete Sicherheit. Als die Langobarden 568 erobernd ins Land kamen, entstand in Grado die Basilika Sant‘Eufemia. In den dogmatischen Auseinandersetzungen der Kirche blieb Grado im Gegensatz zu Aquileia byzantinisch beeinflusst. Die Folgen: Der einstige Fluchtort des Bischofs von Aquileia wurde ein eigenes Bistum. Und – innerkirchliche Zwistigkeiten und feindliche Einfälle ließen Aquileia zu einem „Banditennest“ verkommen. So zumindest wird der Ort in einem Lied aus dem 8. Jahrhundert bezeichnet.

Dem Niedergang folgte im Hochmittelalter eine neuerliche Blüte, als die römisch-deutschen Kaiser und Könige die Patriarchen von Aquileia förderten und mit ausgedehntem Landbesitz bedachten. Es waren ja Kirchenfürsten, die aus dem Norden kamen, wie Poppo (1019 – 1042), der mit weltlichem Namen Wolfgang hieß und aus dem Geschlecht der Traungauer stammte. Poppo ist im Apsisfresko in vornehmer Gesellschaft weltlicher wie kirchlichhimmlischer Persönlichkeiten, das Kirchenmodell haltend, dargestellt.

Später wurde der Bischofsitz nach Cividale bzw. nach Udine verlegt. Die Diözese blieb aber weiterhin flächenmäßig eine der größten und reichte über die Berge bis zur Drau, was diverse Hermagoras- und Kanzian-Patrozinien bzw. Ortsnamen in Kärnten verdeutlichen.

Viele Ähnlichkeiten mit Aquileia zeigt die Kirchengeschichte von Poreč. Die einstige Hauptstadt der Histrier erlangte eine wichtige Funktion im Rahmen der römischen Expansionspolitik. Wie Aquileia wurde Poreč eine Stätte frühen Christentums, hatte bald mit dem Bischof Maurus einen Märtyrer und auch hier finden wir das Fischmosaik als Symbol einer geheimen frühchristlichen Kultstätte.

Nach der Teilung des Römischen Imperiums überstrahlte Ostrom mit der Metropole Konstantinopel/​Byzanz den Westen: „Ex oriente lux“!

Die Kirche von San Vitale in Ravenna steht für den Höhepunkt der byzantinischen Herrschaft. Und von Ravenna führte der Weg gleich nach Poreč, das mit Istrien im 6. Jahrhundert unter byzantinische Herrschaft gekommen war. Durch Künstler aus Ravenna, aber auch aus Konstantinopel entstand hier die dreischiffige Euphrasius-Basilika, ausgestattet mit Marmor vom Marmarameer. Wandmosaiken aus Perlmutt und Gold verleihen dem monumentalen Bau eine überirdische Sphäre. 1977 wurde die Kirche in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen.

Wie Poreč war auch Grado an der Ostkirche orientiert. Den Rang des Gradeser Patriarchen verdeutlicht die Basilika Sant‘Eufemia mit ihren antiken Säulen und ihrem Fußbodenmosaik, das die Wellenlinien des Meeresgrundes wiederholt. Die Kirchenheilige weist nach Byzanz: Euphemia erlitt 303/​304 in Chalcedon den Märtyrertod. Als die Perser den Ort einnahmen, kamen ihre Reliquien nach Konstantinopel. Euphemia hatte Gott ihre Keuschheit gelobt. Zur Zeit der Christenverfolgung habe man sie in den Kerker geworfen, ihr alle Zähne ausgerissen und sie schließlich verbrannt.

Ebenfalls zu Byzanz gehörte Cividale. Im Jahr 568 machten die ursprünglich „Winiler“ genannten Langobarden den Ort zum Sitz eines Herzogtums. Die Langobarden waren Krieger, die von den gar nicht friedfertigen Römern als roh und wild, also „barbarisch“ erachtet wurden. Als abstoßendes Beispiel sei der Langobardenkönig Alboin († 572) genannt, der aus dem Schädel seines Schwiegervaters einen Becher machen ließ und seine Frau zwang, daraus zu trinken. Umso anziehender sind die künstlerischen Relikte der langobardischen Herrschaft. Der Altar des Langobardenherzogs Ratchis in Cividale weist mit seinen klobigen, expressionistisch verkürzten Figuren und deren entrücktem Blick auf byzantinische Ikonen. Und mit dem so genannten Tempietto Longobardo verabschiedet sich die Spätantike mit einzigartigen weiblichen Figuren aus Kalkstuck. Sie erinnern in ihrer Aufreihung sowie in ihrem hoheitsvollen Stehen an die Mosaikdarstellungen in San Vitale, womit wir wieder in Ravenna sind.


Sehnsucht nach dem Süden

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