Читать книгу Psychisch Kranke zu Hause versorgen - Gerhard Längle - Страница 6
Geleitwort zur 1. Auflage
ОглавлениеSeit vielen Jahren wird von Betroffenen, Angehörigen und Experten die Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen im häuslichen Umfeld gefordert. Auch die Psychiatrie-Enquête 1975 fokussierte auf den Leitgedanken, dass ambulante Behandlung auf jeden Fall den Vorrang vor der stationären Behandlung habe.
Die internationale Studienlage belegt, dass Behandlungsformen im häuslichen Umfeld, wie Hometreatment oder Assertive Community Treatment, evidente Wirksamkeitsnachweise im Vergleich mit der stationären Behandlung auf die Behandlungsbereitschaft sowie die Patienten- und Angehörigenzufriedenheit haben. Hinsichtlich Symptomreduktion und sozialer Funktionsfähigkeit sind sie mindestens gleichwertig gegenüber einer herkömmlichen stationären Behandlung. Aufsuchende Behandlungsformen ermöglichen darüber hinaus ein besseres Verständnis für den Einzelnen hinsichtlich Symptomatik, Verlauf, soziale Bedingungen und individuelle Bedürfnisse, da die Behandlung im unmittelbaren Lebensumfeld der Betroffenen stattfindet. Die unmittelbare Unterstützung im häuslichen Kontext scheint einen selbstverständlicheren Umgang mit der Krise zu ermöglichen, Patienten und ihren Angehörigen Sicherheit zu geben und deren Fertigkeiten im Umgang mit Problemen zu stärken.
Die S3-Leitlinie »Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Störungen« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) basierend auf der internationalen Studienlage empfiehlt ebenfalls eine Behandlung zu Hause mit hohem Evidenzgrad.
Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) hat der Gesetzgeber mit dem §115d SGB V Kliniken mit regionaler Pflichtversorgung die Möglichkeit gegeben, anstelle der vollstationären Behandlung eine neue Versorgungsform, die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung erbringen zu können. Zugleich eröffnet er die Chance, in geeigneten Fällen, insbesondere, wenn dies der Behandlungskontinuität dient oder aus Gründen der Wohnortnähe sachgerecht ist, Leistungen an ambulante Träger zu delegieren.
Mit der stationsäquivalenten Behandlung hat der Gesetzgeber eine erste Tür geöffnet, die Krankenhausbehandlung weiter zu »ambulantisieren« und Behandlungsmöglichkeiten flexibler, je nach Krankheitsverlauf der Patient*innen, auszurichten.
Mit der Möglichkeit, ambulante Leistungserbringer in die stationsäquivalente Behandlung mit einzubeziehen, ist ein erster Schritt in eine verbindliche, strukturierte, sektorübergreifende Kooperation möglich.
Trotz der offensichtlichen Vorteile dieser neuen Behandlungsform, die Kliniken mit regionaler Versorgungsverpflichtung seit dem 1. Januar 2018 umsetzen können, gibt es bei vielen Kliniken zahlreiche Fragen und Unsicherheiten bezüglich der Zielgruppen, der Umsetzung im eigenen Haus und der Finanzierung durch die Krankenkassen.
Die Leistungserbringer im ambulanten Sektor, Nervenärzte, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, psychologische Psychotherapeuten, ambulante psychiatrische Pflege, ambulante Soziotherapie sowie Leistungserbringer aus dem SGB XII Bereich erleben darüber hinaus die Möglichkeit der stationsäquivalenten Behandlung als unnötige Kompetenzerweiterung des Krankenhauses in den ambulanten Sektor hinein, da sie selbst mit hoher Professionalität aufsuchende Angebote in Kontinuität der Betreuung und Koordination der Maßnahmen umsetzen.
Die DGPPN hat im Juni 2017 gemeinsam mit BDK, ackpa, LIPPs, DGGPP, BFLK und DFPP ein erstes Positionspapier zur Leistungsbeschreibung herausgegeben. Eine Arbeitsgruppe der Fachgesellschaften und Klinikverbände hat gemeinsam mit den Leistungserbringern aus dem ambulanten Bereich Empfehlungen erarbeitet, wie die Kooperation der Kliniken mit den ambulanten Leistungserbringern bei der stationsäquivalenten Behandlung umgesetzt werden kann. Dieses wurde im Mai 2018 veröffentlicht ( Anhang 1).
Vor dem Hintergrund der großen Chance, die StäB für die Verbesserung der Versorgung psychisch erkrankter Menschen bringen kann, und der gleichzeitigen Verunsicherung der Leistungserbringer ist das Handbuch zur stationsäquivalenten Behandlung eine hervorragende Initiative, ein kompaktes Nachschlagewerk mit sehr konkreten Anleitungen zur Umsetzung.
Den Autor*innen und Herausgeber*innen gilt Dank, dass sie die vielen Fragen, die in den motivierten Kliniken, die alsbald StäB umsetzen wollen, immer wieder gestellt werden, mit ihren internationalen und nationalen Erfahrungen anschaulich beantworten.
Gesetzliche Grundlagen, Vereinbarung der Selbstverwaltung, Beschreibung der Zielgruppe und vor allem eine sehr konkrete Anleitung zur Umsetzung, machen dieses Handbuch zu einem Grundlagenwerk stationsäquivalenter Behandlung. Die eigenen jahrelangen Erfahrungen aus den Zentren für Psychiatrie Südwürttemberg machen beim Lesen Mut, in den eigenen Kliniken das Projekt stationsäquivalente Behandlung umzusetzen.
Allen Autor*innen und Herausgeber*innen sei für diese Initiative gedankt, verbunden mit dem Wunsch, dass die Leser des Handbuchs motiviert werden, die Chance, die der Gesetzgeber uns mit den stationsäquivalenten Leistungen eröffnet hat, zeitnah umzusetzen, um die Versorgung für Menschen mit psychischen Erkrankungen um eine wesentliche Behandlungsform im häuslichen Umfeld zu ergänzen.
Dr. med. Iris Hauth
Geschäftsführerin und Ärztliche Direktorin der Alexianer St. Josephs Krankenhaus Berlin-Weißensee GmbH; als Past President Mitglied des Vorstandes der DGPPN