Читать книгу Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage) - Geri Thomann - Страница 6

Оглавление

Inhaltsverzeichnis Kapitel I

1.Einleitung

2.Gesellschaftlich-institutioneller Zugang

2.1Learning Society zwischen Programmatik und Realität

2.2Lebenslanges Lernen

2.3Kompetenzorientierung und Prinzipien des Lernens

2.4Standards

2.5Der «Rollenstrauss» von Ausbildenden

3.Biografisch-reflexiver Zugang

3.1Lernen Erwachsener

3.2Die bildungsbiografische Methode

3.3«Produktives Scheitern» – Reflexion von Scheitererfahrungen

3.4Die Berufssozialisation von Lehrenden

3.5Das Konzept der subjektiven Theorien

3.6Reflexive Kompetenz

Literaturverzeichnis

Kapitel I

Kompetent sein und reflektieren – eine Einleitung und zwei Zugänge

Standards

●Sie erkennen gesellschaftliche, politische und soziale Tendenzen in ihrer Relevanz für Bildungssituationen und berücksichtigen diese in Ihrem Alltag als Bildungsprofi.

●Sie sind sich Ihrer Rollenanteile als Ausbildende bewusst und verfügen über ein handlungsorientiertes Konzept des «Rollenmanagements».

●Sie sind in der Lage, bildungsbiografische und berufssozialisatorische Aspekte bei sich selber sowie bei Ihren Lernenden zu erkennen und für Ihre Bildungsarbeit Schlüsse daraus zu ziehen.

●Sie wissen um Ihre «subjektiven Theorien» und verfügen im Sinne reflexiver Kompetenz über Instrumente und Vorgehensweisen für deren partielle Bewusstmachung.

1.Einleitung

Komplexe Situationen sind vorerst immer nur als Ganzes zu erfassen, erst danach werden sie segmentierend entschlüsselt. Dies gilt auch für Situationen in der Bildung: Oftmals schimmert hier die gesamte Situation im Glücksfall in einzelnen Segmenten durch und ist so punktuell erfassbar.

Hoffentlich schimmert Ihnen diese Ganzheitlichkeit in meinen folgenden Ausführungen etwas entgegen.

Obschon Lernende vorab als Subjekte ihres eigenen Aneigungsprozesses gelten, Bildungsmonopole bröckeln und im Zuge von Online-Lernangeboten Lehrende bei steigender Partizipation von Lernenden scheinbar an Bedeutung verlieren, kommt uns Ausbildner/innen weiterhin zumindest steuernde und strukturierende Funktion im unübersichtlichen Meer von Bildungsdaten zu.

Dabei manifestiert sich Lehrverhalten als Moderation, Beratung oder Instruktion. Solches Verhalten basiert stets auf der Kunst der Improvisation, solidem Handwerk und analysierter Erfahrung. Dafür bietet dieses Buch Anregungen und Ermutigung.

Zweifelsohne wird die Professionalisierung von Aus- und Weiterbildenden durch die Komplexität der Anforderungen, aber ebenso durch die Widersprüchlichkeit und Konfliktanfälligkeit der Ausbildenden-Rollen erschwert. Technologien und Instrumente verschaffen da nur bedingt Sicherheit. Zudem verfügen Ausbildende in der Regel über reichlich Selbstkritik und Selbstanspruch, was wiederum wenig Sicherheit garantiert.

Dieses Buch richtet sich an Aus- und Weiterbildende verschiedener Berufsfelder, aber auch an Bildungsverantwortliche und Lehr-/Lernberatungspersonen sowie an Lernende, die lernen zu lehren und nach neuerem Lernverständnis zusehends selber didaktische Steuerung übernehmen.

Die in meinen Ausführungen jeweils integrierte Kontext- und Subjektorientierung verdeutlicht – so zumindest mein Anspruch –, dass ich unter Ausbildenden weder «Lehrmittelvollstrecker» noch «curriculare Vollzugsbeamte», sondern schöpferische, differenzierte und reflexive Berufsleute verstehe.

Ich weiss, dass Reflexion vor dem «Ernstfall» alles Mögliche als relevant empfinden kann (vgl. Oelkers 2000, S. 81) und Praxis durch Ausbildung bedient werden muss. In diesem Sinne verstehe ich meine Ausführungen explizit als «Verwendungs-» und nicht als «Ausbildungswissen» (vgl. Oelkers 2000, S. 80), das vorliegende Buch nicht als «Lehr-», sondern als «Anregungsmittel», um Praxissituationen zu «bearbeiten», statt sie «vorzubereiten».

Ausgewählte theoretische Aspekte, Geschichten aus eigener Praxis und einige erprobte Instrumente dienen Ihnen dazu, sich besser «durch den alltäglichen Dschungel vielfältiger Bedingungen beissen zu können» (Oser 2000, S. 83).

Dabei bewege ich mich nicht im Reigen einschlägiger Methodenhandbücher, die – wenn sie Wissen mit Sofortwirkung versprechen – für meinen Geschmack Denk- und Reflexionsvermögen von Ausbildenden gehörig unterschätzen.

Ebenso wenig lehne ich mich explizit an spezifische allgemeine oder erwachsenenspezifische didaktische Theorien an; vielmehr sehe ich meinen Ausgangspunkt in der alltäglichen Kompetenzanforderung an Ausbildende von erwachsenen Lernenden. Selbstverständlich verwende ich theoretische Aussagen aus der didaktischen Literatur, selbstverständlich beinhaltet meine Auswahl von Themen und Materialien eine Theorie im Sinne von Grundannahmen und Überzeugungen.

Nach Tietgens (1992, S. 98) ist es in der Erwachsenenbildungsliteratur üblich, entweder «konkret an den Vorgängen zu schreiben, oder hoch in den Ansprüchen». Ich situiere mich dazwischen – mit Blick auf beide Seiten in unterschiedlicher Distanzierung.

Absichtlich wage ich manchmal den Blick über den Bildungszaun in andere Berufsgärten; eine solche Sichterweiterung tut uns Bildungsfachleuten aus meiner Sicht nur gut.

Ich schreibe von «Lernenden», «Kursteilnehmer/innen», «Studierenden», «Lehrer/innen/Lehrenden», «Ausbildenden/Ausbildner/innen», «Weiterbildungsfachleuten», «Seminarleiter/innen» und gebrauche diese Begriffe auch in ihrer geschlechtsspezifischen Schreibweise unterschiedlich, abwechselnd, gelegentlich beliebig. Ebenso unterscheide ich «Ausbildung» nicht von «Weiterbildung». Vorliegendes Material eignet sich somit in der Aus- und Weiterbildung für Ausbildende als Unterrichts- und Lektürematerial oder kann von interessierten Praktiker/innen und Einzelpersonen gelesen werden.

Mein Text bezieht sich mehrheitlich auf die Arbeit mit Erwachsenen, obschon ich die Begriffe «Erwachsenenbildner/in» oder «Erwachsenenbildung» sparsam benutze, da die Grenzen zwischen Jugend- und Erwachsenenalter sich zusehends verflüssigen – meist auf Grund einer «Verjugendlichung» des Erwachsenenstatus. Im Zeitalter der neuen Kindlichkeit sind alle jung, manche noch jünger, alle wollen alt werden und keiner will es sein.

Die einzelnen Kapitel sind in beliebiger Reihenfolge lesbar, Querverweise deuten daraufhin, dass dieselben Aspekte wiederkehrend in neuer Annäherung und anderer Akzentsetzung – also sozusagen in verschiedener Kleidung – behandelt werden. So taucht beispielsweise die «Rolle» in den Kapiteln I, III, IV, VI und VII auf, «Evaluation» als Kursevaluation im Kapitel II, als Teil des Qualitätsmanagements in Kapitel VII, Aspekte der «Wahrnehmung» in den Kapiteln IV und V und so fort. Dabei versuche ich, Wiederholungen möglichst zu vermeiden. Bei der Akzentuierung lasse ich mich durchaus von eigenen Interessen und der Lust an der Sache leiten.

Die Kapitel sind aus Gründen der thematischen Verschiedenheit nicht identisch strukturiert, unterschiedliche Kapitelgrössen beabsichtigen keine thematischen Wertungen.

Eine durchgehende Struktur ist hingegen durch die «Reflexionsfragen» repräsentiert; diese können Sie für sich selbst oder Ihren Unterricht benutzen. Die Übungen, Fallbeispiele oder Rollenspiele sind teilweise als Gruppenübungen oder -arbeiten im Kontext der «Ausbildung der Ausbildenden» gedacht; einzelne Lesende adaptieren die Anleitungen oder überspringen die Übung.

Eigene und andere Geschichten, Beispiele und Erklärungen integrieren sich kleingedruckt in den Text, sie sind das Fleisch am Knochen. Wer beim Knochen bleiben will, darf das Fleisch getrost ignorieren.

Die jeweils zu Beginn der Kapitel formulierten Standards (s. a. Erklärungen in Kapitel I, 2.4) meinen nicht, erreicht werden zu müssen. Vielmehr dienen diese Textmaterialien als eine Ressource unter anderen für eine Standardannäherung.

Einige Textpassagen, Instrumente oder Übungen, die weder aus der Literatur noch aus eigener Feder stammen, sind gewachsene und nicht persönlich autorisierbare, von mir überarbeitete Kursunterlagen des Fundus der aeB Akademie für Erwachsenenbildung aus meiner Zeit als Studiengangsleiter für Lehrgänge in Erwachsenenbildung und Supervision/Organisationsberatung (1995–2005). Stellvertretend für sämtliche Fundus-Mitgestaltenden bedanke ich mich an dieser Stelle beim damaligen Geschäftsleiter der aeB, Herrn Hans-Peter Karrer, und bei meiner Kollegin Elisabeth Fröhlich Luini.

Es freut mich, dass die aeB auch für die 5. Auflage weiterhin die Herausgeberschaft übernimmt und der jetzige Geschäftsleiter Daniel Friederich nach wie vor mir und dem Buch das Vertrauen ausspricht.

Zahlreiche Textteile des Buches haben sich in den letzten Jahren verändert, angeregt durch meine Lehraufträge an der Hochschule für Angewandte Psychologie der FHNW (seit 2007) und vor allem durch meine Tätigkeit im ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich (seit 2009), ab 2018 der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung. Diesen Kontexten verdanke ich zahlreiche Anreicherungen, Aktualisierungen und Ergänzungen für die 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Herzlichen Dank für die wertvollen Beiträge von Tobias Zimmermann (Textteile zum Themenbereich Digitalität und Weiterbildung), Franziska Zellweger (Mitarbeit an Kap VII), Monique Honegger (Redaktionelle Mitarbeit), Erik Haberzeth (Textteile zu «Learning Society» und zu «Lernen Erwachsener» im Kapitel I), für ihre unermüdliche logistische Unterstützung meiner Assistentin Barla Projer sowie Daniel Ammann für seine präzise Arbeit am Register.

Gebührender Dank für viele Gespräche, Hinweise und etliche fruchtbare Auseinandersetzungen gilt nicht zuletzt all meinen Studierenden, Kursteilnehmenden, Lernenden und Klienten aus vielen Jahren Bildungs- und Beratungsarbeit, im Speziellen den Teilnehmenden der Diplomkurse in Erwachsenenbildung 95 B (1995–1998) und 98 B (1998–2000) an der aeB Luzern, der Lehrgänge in Supervision und Organisationsberatung der aeB Luzern/Zürich (2002 – 2005), meinen Bachelor- und Mastermodulstudierenden an der Hochschule für Angewandte Psychologie seit 2007 und vielen Hochschuldozierenden als Modul- und Kursteilnehmende oder Beratungsklienten am ZHE seit 2008.

Ein weiteres herzliches Dankeschön gilt meinen Töchtern Vera und Laura. Früher brachten sie mir meine Pädagogik immer wieder produktiv durcheinander, für die vorliegende Auflage haben sie die Literaturverweise und -verzeichnisse gecheckt und viele neue Ideen eingebracht.

Die folgenden zwei, eher theoretisch orientierten «Zugänge» (2. und 3.) gelten zwar als einführende Begründung der nachfolgenden Kapitel, können aber, wenn Sie im Moment ein anderes Thema brennend interessiert, übergangen oder ein andermal nachgelesen werden.

2.Gesellschaftlich-institutioneller Zugang

2.1Learning Society zwischen Programmatik und Realität

Die Erwachsenen- und Weiterbildung war lange Zeit ein Feld, in dem staatliche Eingriffe abgelehnt wurden. Erst mit ihrer erheblich wachsenden Bedeutung für die weitere gesellschaftliche Entwicklung erlangt Weiterbildungspolitik einen höheren Stellenwert (vgl. Faulstich/Haberzeth 2014). Dies hat in der Schweiz dazu geführt, dass es mittlerweile sogar ein einheitliches, übergreifendes Weiterbildungsgesetz gibt, das dieses Lernsystem rahmend regelt (etwas ausführlicher hierzu weiter unten). Bei aller möglichen Kritik an diesem Gesetz ist seine Einführung in jedem Fall bemerkenswert: Sie ist Ausdruck der Einsicht, dass dieses Feld – wie weitere Teile des Bildungssystems ebenso – nicht gänzlich sich selbst überlassen bleiben darf, sondern dass demokratisch legitimierte staatliche Eingriffe notwendig sind, damit dieses Lernsystem den Erfordernissen einer modernen, dynamischen und wissensintensiven Gesellschaft besser gerecht wird.

Nichtsdestoweniger bleibt eine deutliche Diskrepanz bestehen: Einerseits ist lebenslanges Lernen als zentrale gesellschaftliche Herausforderung erkannt worden und hat Eingang gefunden in nationale und internationale politische Stellungnahmen und Regulierung (siehe folgendes Kapitel 2.2). Andererseits ist dem weitreichenden Postulat, lebenslanges Lernen sei wichtig, gar gesellschaftlich überlebensnotwendig, bislang eine nur begrenzte Implementation gefolgt. Jenseits meist mittelfristiger, punktueller Eingriffe fehlt es an einer langfristigen Strukturpolitik für Weiterbildung, mit welcher der Weiterbildungsbereich so gestaltet werden kann, dass er wachsenden individuellen und gesellschaftlichen Lernbedarfen bestmöglich gerecht wird. Der zurückhaltende politische Wille, den Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung besser zu strukturieren und (finanziell) stärker zu fördern, ist umso bemerkenswerter, als dass kein Bildungsbereich so viele Menschen erreicht und so lange begleitet wie die Weiterbildung. Bezogen auf Teilnahmezahlen und Finanzen ist die Weiterbildung fast unbemerkt von der Öffentlichkeit inzwischen zum grössten Bildungsbereich geworden.

Diese Expansion könnte wiederum die Argumentation stützen, das Lernsystem Weiterbildung weiterhin nur zurückhaltend politisch zu regulieren. Politische Eingriffe wären in der Tat nicht notwendig, stünde in der Weiterbildung alles zum Besten. Dass dies nicht der Fall ist, wird besonders offenkundig an einer fortdauernden sozialen Selektivität der Weiterbildungsbeteiligung. Die Learning Society ist keinesfalls für alle gleichermassen Realität. Es bestehen nach wie vor ungleich verteilte Beteiligungschancen und damit erhebliche Teilnahmedisparitäten zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Generell gilt: Wer viel Bildung erfahren durfte, dem kommt im weiteren Lebenslauf noch mehr Bildung zugute. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten «Matthäus-Effekt» (ausführlicher siehe Kapitel 2.2). Das Bildungssystem insgesamt ist dabei doppelt selektiv: zunächst im Bereich der obligatorischen und weiterführenden Bildung, dann auch in der Weiterbildung – bei allen z.T. vorhandenen Bemühungen, diese Selektivität zu vermeiden oder zu mildern. Das Teilnahmeproblem hängt mit weiteren Defiziten in der Weiterbildung zusammen, beispielsweise mit Lücken im Bildungsangebot, einer teilweise vorhandenen Unübersichtlichkeit und Intransparenz der Lernmöglichkeiten, Qualitätsdefiziten oder unzureichenden Fördermöglichkeiten. Um diese Defizite zu bearbeiten, gibt es verschiedene Interventions- und Gestaltungsbereiche wie Finanzierung, Recht oder Supportstrukturen (etwa Information und Beratung), die es zukünftig noch stärker in öffentlicher Verantwortung zu nutzen gilt.

Den Aus- und Weiterbildenden erscheinen solche systemischen und politischen Fragen bisweilen als weit entfernt vom eigenen beruflichen Handeln. Allerdings wird das alltägliche berufliche Handeln durch die strukturellen und institutionellen Gegebenheiten erheblich beeinflusst. Eine Auseinandersetzung mit politischen, rechtlichen oder finanziellen Fragen trägt also dazu bei, sich des eigenen Handlungsrahmens zu vergewissern. Leitend kann dabei die Frage sein: Welche politischen und juristischen Faktoren beeinflussen die Strukturen und Institutionen des Lernens in der Weiterbildung, in denen ich tätig bin? Es geht für Lehrende, Planende und Beratende in der Weiterbildung und solche, die es werden wollen, darum, ihr eigenes Selbstverständnis in Bezug auf Politik, System und Recht der Weiterbildung zu klären sowie darauf aufbauend Handlungsmöglichkeiten einzuschätzen und zu entwickeln. Vorliegender Text gibt nur einen Anstoss dazu, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.

Obwohl die Bedeutung der Erwachsenen- und Weiterbildung – aktuell besonders unter dem Stichwort des lebenslangen Lernens – inzwischen seit Jahrzehnten zumindest programmatisch hervorgehoben wird, ist diese Bedeutung im Zuge der gesellschaftlichen Debatte um die Digitalisierung noch einmal gestiegen. Es gibt kaum eine Stellungnahme zur Bedeutung und zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung ohne den drängenden Hinweis, dass permanentes Lernen und kontinuierliche Weiterbildung essentiell seien, um den Wandel durch Digitalisierung bewältigen zu können. Im Vordergrund steht hier zumeist die Debatte darum, wie Arbeit sich wandelt und welche Kompetenzen Beschäftigte benötigen.

Im Zuge der Digitalisierung wird jedenfalls noch klarer, dass eine Front-loading-Vorstellung von Bildung unhaltbar ist, also die Vorstellung, man könne sich auf eine Ausstattung mit Bildung in jungen Jahren allein verlassen, die dann bis zum Ende zumindest des Erwerbslebens trägt. Es geht vielmehr darum, ein System des lebenslangen Lernens zu etablieren, das allen Menschen ermöglicht, sich nach ihren Interessen, Bedürfnissen und Bedarfen über die Lebensspanne weiterzubilden. Dabei gilt es, die Diskrepanz zwischen der Betonung der Wichtigkeit von Weiterbildung und realer Implementation weiter zu verringern. Hierzu gibt es vielfältige Initiativen zum lebenslangen Lernen auf europäischer und nationaler Ebene, die aber mit Blick auf die Lernenden deutlicher profiliert und ausgebaut werden müssten – einige davon skizziert im folgenden Kapitel.

2.2Lebenslanges Lernen

«Heute kommt es nicht so sehr darauf an, was man kann, sondern was man gelernt hat.»

F.W. Bernstein, 1991

«Wirst alt wie Kuh – lernst imma zu.»

Gerhard Polt, 2000

Das Memorandum der EU zum «lebenslangen Lernen»

Basis der europäischen Weiterbildungspolitik ist nach wie vor das «Memorandum zum Lebenslangen Lernen» (verabschiedet von der EU-Kommission im Jahre 2000) und das Bekenntnis zur Wissensgesellschaft, an dem alle EU-Bürger teilnehmen können sollen; dazu gehört unter anderem die Optimierung der «Weiterbildung vor Ort» sowie der bessere Zugang zu hochwertigen Informations- und Beratungsmöglichkeiten. «Adult Learning» ist dabei ein zentrales Programm. Dabei zeigt sich der Trend, dass Weiterbildung enger auf berufliche Verwertbarkeit hin diskutiert wird. Gemäss dem «Lissabon-Prozess» ist mehr Investition in Humankapital durch bessere Bildung beabsichtigt, die EU möchte mit Hilfe einer Bildungsoffensive zur weltweiten Wirtschaftsführerin werden.

Der Gedanke einer lebenslangen Bildungsphase ist in der umfassenden Bildungsreform Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre entstanden. Die OECD, die UNESCO und der Europarat prägten die Begriffe «lifelong education», «recurrent education» und «éducation permanente». Das Konzept der «éducation permanente» (vgl. Aebi 1995, S. 52, Gonon 2001, S. 56) entstammt ursprünglich der französischen Kulturtradition und ist den Ideen der Aufklärung verpflichtet; der Begriff wird als Anliegen anfangs der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts von UNESCO und Europarat verwendet.

Der Begriff «recurrent education» – von der OECD geprägt – entstammt der angelsächsischen Tradition (vgl. Aebi 1995, S. 53). Dabei sollen spezifische (Nach-)Qualifikationen es ermöglichen, den veränderten Anforderungen am Arbeitsplatz gerecht zu werden. Von der Europäischen Union wurde der Begriff des lebenslangen Lernens mit dem Memorandum als ein neuer Hauptbegriff deklariert. Die permanente Anpassung der Qualifikationen der arbeitenden Menschen an neue Techniken und auch kulturelle Anforderungen tragen dem internationalen Konkurrenzdruck Rechnung. Das Grundkonzept des lebenslangen Lernens geht davon aus, dass nur Menschen, die ihr ganzes Leben lang lernen und sich weiter qualifizieren, in der Lage sind, die raschen Veränderungen kompetent zu meistern. Lebenslanges Lernen beinhaltet ebenso, dass die Lernenden die lebenslange Lernperspektive ihres Lernprozesses selber lenken. Die Bildungssysteme des lebenslangen Lernens werden somit nicht mehr nur von Institutionen und Bildungsanbietern definiert, sondern auch von denjenigen Personen, die lernen (Nachfrage-Orientierung). Beim lebenslangen Lernen geht es darum, dass das Individuum entsprechend seinem individuellen Lebensentwurf und seiner Biografie die Lerninhalte definiert und wählt. Dazu braucht es neue und strukturierbare Angebote mit freien Zugängen. Entsprechend rücken Fragen nach individuellen Lernformen und der persönlichen Gestaltung von Lernprozessen in den Vordergrund.

Das Konzept des lebenslangen Lernens stellte einen Paradigmenwechsel in der Weiterbildung dar und bedingte eine strukturelle Veränderung des bisherigen Bildungssystems. Es erfordert nach wie vor neue Bezüge zwischen den einzelnen Bereichen des Bildungssystems, sowohl bezüglich Lerninhalten, Gestaltung der Angebote als auch bezüglich Übergängen, Zugängen und des Aufbaus von Wissen, Qualifikationen und Fähigkeiten.

Politische Umsetzung in Europa

2008 haben das Europäische Parlament und der Rat eine Empfehlung zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (EQR) verabschiedet. Der Europäische Qualifikationsrahmen macht als Übersetzungsinstrument nationale Qualifikationen europaweit verständlich und soll die grenzüberschreitende Mobilität von Beschäftigten und Lernenden und deren lebenslanges Lernen fördern. Mit der Einführung des EQR sollen Zugang zum und Teilnahme am lebenslangen Lernen sowie die Nutzung von Qualifikationen auf nationaler Ebene gefördert werden. Zudem soll der EQR der Brückenbildung zwischen formalem, nicht formalem und informellem Lernen dienen sowie der Validierung von durch Erfahrungen schon erlangten Lernergebnissen. Leider jedoch haben 2017 erst fünf europäische Länder begonnen, an Konzepten für die Integration von non-formaler Bildung in ihren NQR (nationalen Qualifikationsrahmen) zu arbeiten.

Das Verständnis von «lebenslangem Lernen» ist in den EU-Staaten unterschiedlich:

In Grossbritannien beispielsweise mit seinem stark dezentralen und wettbewerbsorientierten Bildungssystem existiert keine offizielle, einheitliche Definition.

In Frankreich mit einem ausnehmend zentralistisch regulierten Bildungssystem wird lebenslanges Lernen als «persönliches Recht» der Bürgerinnen und Bürger verstanden; dafür soll der Staat entsprechende Angebote bereitstellen.

Die Bundesregierung Deutschlands hat 2008 eine Konzeption für das «Lernen im Lebenslauf» verabschiedet. Diese schliesst an schon bestehende Qualifizierungsmassnahmen an. Leitend war hier der empirische Befund, dass die Beteiligung an Weiterbildung in Deutschland im internationalen Vergleich zu niedrig war. Insbesondere Menschen mit niedriger Qualifikation nehmen zu wenig an Weiterbildung teil (das gilt auch für die Schweiz!). Speziell zu erwähnen ist zudem die geplante Einführung von «Bildungsprämien» und die Verbesserung der Bildungsberatung. Durch finanzielle Anreize sollen mehr Menschen zur individuellen Finanzierung von Weiterbildung motiviert und befähigt werden. Ausserdem sollen Bildungsausgaben grundsätzlich als Investition verstanden werden.

Das Weiterbildungsgesetz in der Schweiz

Das Schweizer Parlament hat 2014 das Weiterbildungsgesetz (WeBiG) angenommen. Es ist seit 2017 in Kraft. Die Weiterbildung wird damit in die Politik zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI) integriert.

Das Weiterbildungsgesetz regelt als Rahmengesetz:

ADie gesamte non-formale Weiterbildung. Dazu gehören alle Weiterbildungsangebote, die nicht zu einem staatlich anerkannten («formalen») Abschluss führen. Non-formale Weiterbildung umfasst einzelne Kurse, Workshops und selbstorganisierte Lerngruppen genauso wie längere Lehrgänge. Dazu gehören auch die Vorbereitungskurse der Höheren Berufsbildung und Weiterbildungen an Hochschulen (CAS, DAS und MAS).

BErforschung und Entwicklung der Weiterbildung

CFörderung der Grundkompetenzen von Erwachsenen

DFörderung der Organisationen der Weiterbildung

Fünf Grundsätze des Gesetzes thematisieren die Bereiche Verantwortung, Qualität, Anrechenbarkeit, Chancengleichheit und Wettbewerb (siehe https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/weiterbildung.html).

Da das Weiterbildungsgesetz ein Rahmengesetz ist, sind die Grundsätze über die entsprechenden Spezialgesetze umzusetzen (d.h. beispielsweise über das Berufsbildungsgesetz, Kulturförderungsgesetz, Hochschulgesetz und Ausländergesetz). Diese Umsetzung steht aktuell (2018) noch aus.

Lernen lebenslänglich

Insgesamt zeigt sich eine immer stärkere Zweckorientierung des lebenslangen Lernens an Beschäftigung und Wettbewerb. Die Forderung nach Bereitschaft zum lebenslangen Lernen ist deshalb auch auf scharfe Kritik gestossen. Die Kritik richtet sich darauf, dass vorab die Optimierung von Lernprozessen fokussiert wird, deren ökonomische Verwertbarkeit naheliegt. Lebenslanges Lernen wird so plötzlich als «Lernen lebenslänglich» verstanden – wer nicht lernt, ist selber schuld. Wir wandeln gemäss dieser Kritik sozusagen als ewig unfertige Baustelle durch das Leben und rasen von Zertifikat zu Zertifikat, unsere Qualität stets optimierend und daher immer ein wenig inkompetent.

Es sollte uns zudem zu denken geben, dass im Sinne des Matthäuseffektes «demjenigen gegeben wird, der schon hat»: Gut ausgebildete Personen bilden sich eher weiter; laut Angaben des Bundesamtes für Statistik der Schweiz bilden sich (Stand 2016) ca 25% der Schweizer Bevölkerung zwischen 15 und 75 (auch informell) nicht weiter. Dazu gehören vor allem wenig oder gering qualifizierte Personen.

Der Gedanke der Demokratisierung weicht hier offensichtlich demjenigen der Wettbewerbsfähigkeit.

Nun «schlagen die aufgeklärt erkämpften kleinen Freiheiten in einen grossen Zwang zur Freiheit um» (Geissler/Orthey 1998, S. 14, vgl. auch Geissler 1997).

Hier Gegensteuer zu geben, dürfte wohl die wichtigste und grösste Herausforderung in der Umsetzung der oben genannten Konzepte werden.

Von der Wiege bis zur Bahre – Seminare, Seminare?

«Sechs Tage dauerte es, bis nach dem programmatischen Ausspruch ‹Es werde Licht!› die Schöpfung vollendet war. Und abgeschlossen wurde sie schliesslich am siebten Tage, an dem Gott sich in die Beobachterposition begab und bewundernd feststellte, dass er es gut gemacht hatte. Irgendwann im Laufe der Geschichte muss er dann bemerkt haben, dass es nicht so weit her ist mit den Menschen, die sich seine Welt untertan machen sollten – und er erschuf die Lehrer, später dann auch noch die Erwachsenenbildner, die Trainer, die Sozialarbeiter und neuerdings die Museums- und Reisepädagogen und die Berater und Coaches (und – weil er gerecht sein wollte – in männlicher und weiblicher Ausprägung). Sie alle durften jetzt selbst ein wenig Licht in das existentielle Halbdunkel bringen und mit dem Anspruch auftreten, wenn schon nicht die Welt, so doch die Menschen zu verbessern.

Irgendwie jedoch klappt das nicht. Auf jeden Fall nicht so, dass die Ersatzgötter auf ihr Werk schauen und zufrieden mit dem wären, was sie und wie sie sich angestellt haben. Statt Schöpfung scheint immer nur Erschöpfung herauszukommen. ‹Burn out›, wo man hinschaut, und die Mittel, die man dagegen einsetzt, die sucht man wiederum im Bereich des pädagogischen Bemühens. Misserfolg kennt dieses System nicht – vielmehr ist dieser ein Teil des Erfolges. Das System ist auf dem Weg, sich selbst mit Anschlussmöglichkeiten überzuversorgen. Pädagogisierung total – selbstreferentiell! Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gott sich bei der Erschaffung des pädagogisch tätigen Menschen nicht an sich selbst orientiert hat, sondern an dem von ihm ja auch ‹geschöpften› Hamster im Laufrad.» (aus: Geissler/Orthey1998, S. 21/22)

Haben Sie heute schon gelernt?

Über das landauf landab gepredigte «lebenslange Lernen» müsste ich mich eigentlich freuen: Wenn lebenslang gelernt wird, darf auch lebenslang gelehrt werden.

Trotzdem sträubt sich alles in mir gegen diese unvermeidliche und endlose Lebenslänglichkeit. Verdammt zum ewigen Lernen sollen wir als Lernende – angeleitet und kontrolliert von Lernhelferinnen, Lernbetreuern, Lernbegleiterinnen und Lernmoderatoren – sozusagen im Lernhochsicherheitstrakt unser Lernen fristen? Macht Lernen denn wirklich glücklich?

Klar, mit dem lebenslangen Lernen hätte wenigstens etwas im sich beschleunigenden technologischen und sozialen Wandel Bestand.

Immerhin könnten wir dereinst von uns behaupten, wenigstens lebenslang gelernt zu haben.

Und doch weigere ich mich, mein Leben lang sozusagen als wandelndes unfertiges Produkt zu leben und kontinuierlich dafür sorgen zu müssen, meine Inkompetenz aufrechtzuerhalten, um damit wiederum meinen Lernbedarf zu sichern oder gar zu erhöhen. Mein Leben ist keine Lernwerkstatt.

Und: Lernen lebenslänglich geht blitzschnell!

Das Verfalldatum von Lerninhalten wird immer kürzer; kaum ausgepackt, setzt schon der Schimmel an.

Wir rasen als Lerner/innen pausenlos im Lerneilzugstempo von Zertifikat zu Zertifikat, von Qualifikation zu Qualifikation, die kaum erworben schon wieder als wertlos und überholt erklärt werden.

Tempo Teufel! Wer da nicht mithält und lernt, was das Zeug hält, bleibt auf der Strecke.

Die Gegenwart wird zur Durchgangsstation, das Leben zum immer wieder neu geplanten Vorprojekt.

Begegnungen mit Inhalten und Menschen sind instrumentalisiert, die Beiläufigkeit eliminiert.

Titanisches Lernen. Zufall ausgeschlossen.

Da kann man nur hoffen, dass uns keine Eisberge in die Quere kommen.

Ausser man könne beim Untergang auch noch was lernen.

Genug gejammert! Lernen könnte ja auch heissen, mit besagter Veränderung und Beschleunigung besser umgehen zu können, eigene Ressourcen zu nutzen, (Selbst-)Verantwortung zu tragen, eigenständiger zu werden.

Dies wäre zugegebenermassen eine lebenslange Sache.

Was aber, wenn solche eigenständigen Lerner/innen sich gegen lebenslanges Lernen auflehnen, wenn sie sich sperrig für eine Entschleunigung von Lernprozessen einsetzen, wenn sie für das Herumirren auf Lernumwegen einstehen, Pausen und Langeweile einfordern und unproduktivem Müssiggang huldigen?

Wenn sie dadurch ganz einfach auf andere Gedanken kommen?

Zum Beispiel auf den, dass Leben mehr als Lernen ist?

Wehe dann dem lebenslangen Lernen!

Ausschnitt aus dem Lerntagebuch vom 12.4.98

Lerner: Geri Thomann (Thomann in: Schweizer Schule 6/1998)

2.3Kompetenzorientierung und Prinzipien des Lernens

(Der folgende Text ist angelehnt an Thomann, Geri: Kompetenzorientierung und Bildung auf Tertiärstufe in Case Management 4/2017.)

Einleitung

Um die individuelle Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmenden an sich verändernde Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, wurde im Rahmen der arbeitsmarktpolitischen Debatte Ende der 1960er- und anfangs der 1970er-Jahre in Deutschland der Begriff «Schlüsselqualifikation» – häufig mit «Schlüsselkompetenz» gleichgesetzt – lanciert. Dieter Mertens prägte den Begriff als Leiter des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und verstand darunter Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die nicht berufsspezifisch sind, lange anhalten und unvorhersehbare Anforderungen bewältigen lassen. Handlungsorientierung und Erfahrungswissen ergänzten dadurch den Primat der rein fachlichen Orientierung. Heute spricht und schreibt man diesbezüglich von überfachlichen Kompetenzen.

Inzwischen hat sich der Begriff «Kompetenz» zu einer regelrechten Stopfgans entwickelt, das jeweils zugehörige Erklärungskonzept schwankt bedarfsorientiert zwischen Standardisierung und Vergleichbarkeit, Überprüfbarkeit, Ungewissheitsbewältigung und Persönlichkeitsbildung (vgl. Backmann 2018, S. 20 ff.).

Die begriffliche Unschärfe nährt sich einerseits durch die Paradoxie, dass eine Qualifizierung als Anpassung an Gegebenes bei dem vorausgesetzten steten Wandel nie reicht und Kompetenzen immer auf eine nicht begrenzbare Qualifikationsdimension zielen. Andererseits dadurch, dass hoffnungsvoll und mit technologischer Grunderwartung eine Steuerung der Persönlichkeit von Lernenden angenommen wird. Legitime bildungspolitische Harmonisierungs- und Anerkennungsbestrebungen führen zudem europaweit zu kompetenz- (resp. outcome-)orientierten Ausbildungsprofilen. So erzeugen bildungspolitische Intentionen andere Begrifflichkeiten als etwa psychologische oder gar didaktische Intentionen.

Bildungspolitische Sichtweise: Standardisierung und Vergleichbarkeit

Die formalen Vorgaben der Bologna-Reform für Hochschulen in der Schweiz beispielsweise gehen davon aus, dass Kompetenzen über Lernzielformulierungen angestrebt werden und im Rahmen von Modulprüfungen während des Studiums zu Qualifikationen führen sollen. Dabei sollen Lernziele (learning outcomes) dem jeweiligen Kompetenzstand angepasst sein und diesem Stand gemäss transparent überprüft werden. Die Handlungsorientierung wird hier durch das Prinzip der Vergleichbarkeit und der Überprüfung ergänzt. Wissen wird gemäss diesem Verständnis kontinuierlich zu Können, der Aufbau von Kompetenzen erfolgt in dieser Denkweise in Stufen.

2000 formulierte der Europäische Rat in der Lissabon-Agenda zudem folgendes Ziel: Europa soll zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden. Dafür solle die Umsetzung der Bologna-Deklaration vorangetrieben werden. Parallel dazu wurde 2002 der Kopenhagen-Prozess für den Berufsbildungsbereich analog zum Hochschulbereich lanciert. Der Kopenhagen-Prozess ist eine arbeitsmarktorientierte Strategie, die analog zum Bologna-Prozess Qualitäts- und Attraktivitätssteigerung der Berufsbildung, deren Positionierung im europäischen Rahmen sowie Mobilitätszunahme und Stärkung der internationalen Zusammenarbeit zum Ziel hat. Diese Ziele sollen durch die Vergleichbarkeit, Durchlässigkeit und Transparenz von Qualifikationen und Abschlüssen sichergestellt werden.

Für die Umsetzung oben genannter Ziele entwickelt die EU unterschiedliche Instrumente. Zu den zentralen zählen der Europäische Qualifikationsrahmen (EQF für englisch: European Qualifications Framework), der die beiden Harmonisierungsprozesse Bologna und Kopenhagen miteinander verbinden soll, sowie der nationale Qualifikationsrahmen (NQF für englisch: National Qualifications Framework oder NQR).

Schweizer Hochschulen verfügen mit nqf.ch-HS über einen darin situierten eigenen Rahmen, die Berufsbildung neu mit NQR-CH-BB ebenso. Geplant sind im europäischen Raum gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen.

Der EQF orientiert sich an Lernergebnissen beziehungsweise am Outcome von Lernprozessen. Er definiert acht Bildungsniveaus in Stufen, alle Stufen werden durch Deskriptoren beschrieben; er soll zudem lebenslanges Lernen durch Validierung von nicht-formalem und informellem Lernen fördern (siehe dazu auch weiter oben unter 2.2).

Wenn diese bildungspolitische Sicht- und Ordnungsweise ohne «Übersetzung» curriculare und didaktische Konsequenzen zeitigen soll, muss sie sich dem Vorwurf der Atomisierung von Kompetenzen, des technokratischen Stufendenkens in Bezug auf Lernprozesse und der Suggestion von linearer Steuerbarkeit von Lernen aussetzen.

Für die notwendige didaktische «Übersetzung» des Kompetenzbegriffes ist es angezeigt, darüber nachzudenken, was ursprünglich mit dem lernpsychologischen Begriff «Kompetenz» gemeint war und wie dieser nach wie vor verstanden werden könnte.

Arbeitspsychologische Sichtweise: Situativ angemessenes «gutes Handeln»

Calchera und Weber (1990, S. 5 f.) definierten «Kompetenz» wie folgt:

Kompetenz , aus dem Lateinischen «cum» und «petere», = «mit» und «streben nach», bedeutet eigentlich «schritthalten (können), ausreichen, zusammentreffen». Das entspricht bei Lernprozessen üblichen Formulierungen wie «er kommt mit» und «sie kann folgen». Eine Kompetenz ist somit die Fähigkeit, «mitzukommen» und «zu folgen» in dem jeweiligen Gebiet, und setzt daher eine direkte situative Vergleichsmöglichkeit voraus. Eine Kompetenz kann, wenn sie erkannt und richtig eingestuft wurde, als Qualifikation bestätigt werden. Die andere Bedeutung des Wortes Kompetenz = «Zuständigkeit» stammt aus der Zeit, als beide Eigenschaften in der Regel zusammenhingen: Wer in einem bestimmten Gebiet schritthalten konnte, war auch dafür «zuständig».

In ihren Ausführungen betonen die Autoren, dass die Überprüfung von Kompetenzen stets die sogenannten «Umweltbedingungen» in der Geschichte eines Individuums mitprüft und dass Kompetenzen nicht wie Fertigkeiten trainiert werden können, sondern «selbstschöpferisch» entstehen und gefördert werden können, wenn die notwendigen «Umweltbedingungen» gegeben sind. Auch Fertigkeiten und Techniken (Skills) werden in der Praxis also nicht mechanisch, sondern «kompetent», das heisst situativ angemessen und damit modifiziert, eingesetzt.

Le Boterf (2000) unterscheidet in frankofoner Tradition «Ressourcen» (individuelle Kenntnisse, Fertigkeiten, kognitive Fähigkeiten, Umfeldbedingungen) von «Kompetenzen». Mit anderen Worten: Ressourcen stellen das Potenzial einer Person dar (dazu gehören auch Vorwissen und Erfahrung).

Kompetenzen entstehen nach Le Boterf in der Mobilisierung und Kombinierung von Ressourcen «am Ort» im Verhältnis zur Erwartung von Leistungen. Aus- und Weiterbildung kann in diesem Sinne vor allem Ressourcen berücksichtigen, entwickeln, transparent machen, zur Verfügung stellen, also Voraussetzungen schaffen, ohne die angestrebte Wirkung gleich mitzuproduzieren.

Kompetenzen werden demnach nur im Arbeitsprozess sichtbar und können nur dort evaluiert werden. Die ausgewiesene und sichtbar gewordene Kompetenz nennt Le Boterf in Anlehnung an Chomsky «Performanz», die keine künstliche Aufteilung in Selbst-, Sozial-, und Fachkompetenz mehr erkennen lässt. Erst diese Performanz würde dann qualifizierbar und damit von einer externen Autorität anerkennbar.

Aus Performanz kann demnach auf Kompetenz geschlossen werden, das Ausbleiben von Performanz bedeutet jedoch nicht, dass Kompetenz nicht vorhanden ist.

Transfer von Wissen oder Kompetenzen ist immer kontextabhängig und steht wahrscheinlich auch in engem Zusammenhang mit jeweilig fachspezifischem Wissen. Wissen wird also nicht importiert und verarbeitet wie ein industrieller Rohstoff; Wissen wird als Transferwissen in problemhaltigen, komplexen und sozialen Lernkontexten aufgebaut und – wenn schon – dann im Praxisalltag verallgemeinert. Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Kompetenzen Verbindungen von Wissen, Können, Erfahrung und Haltungen meinen, mit denen komplexe Situationen eigenständig in der Praxis handelnd bewältigt werden können. Daneben beinhalten Kompetenzen nicht zuletzt motivationale Elemente wie etwa den Willen, ein Problem lösen zu wollen, die Ausdauer, Rückschläge zu ertragen, oder die Ambiguitätstoleranz.

Solche Überlegungen führten zum Beispiel zum interessanten CoRe (Kompetenzen-Ressourcen)-Projekt in der Schweizer Berufsbildung, einem Modell der Curriculumsentwicklung, das auf den Säulen «subjektive Dimension», «soziale Dimension» und «theoretische Bezüge» basiert (Ghisla et al. 2008) und Lernenden eröffnen soll, Kenntnisse, Fähigkeiten und Haltungen (so genannte Ressourcen) zu erwerben, die eine kompetente Bewältigung von komplexen Praxissituationen ermöglicht.

Nachdem das lernpsychologische Verständnis ergründet ist, nun zu den didaktischen Dimensionen.

Didaktische Sichtweise: Konsequenzen für tertiäre Bildung (Hochschulbildung und Höhere Berufsbildung)

Was bedeutet ein solches Verständnis von «Kompetenz» oder «Ressourcen» nun konkret für didaktische Arrangements im handlungs- und berufsorientierten Bildungskontext?

Der Autor hat zusammen mit einer Steuergruppe im Rahmen der Planung von kompetenzorientierter Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen an der Pädagogischen Hochschule Zürich (2014/2015) den Versuch unternommen, unter Bezugnahme auf erwachsenenbildnerische Konzepte Lernprinzipien zu formulieren, didaktische Konsequenzen davon abzuleiten und das Ganze zu Prämissen der Kompetenzorientierung in Bezug zu setzen (wie sie weiter oben ausgeführt wurden).

Dabei wurden Prinzipien ins Zentrum gesetzt, welche immer wieder mit Kompetenzorientierung in Verbindung gebracht werden, wie etwa die Anerkennung von vorhandenen Kompetenzen (was bildungspolitisch relevant ist), oder die Kontext- und Situationsorientierung von Kompetenzen (siehe Le Boterf weiter oben).

Den nachstehenden Prinzipien folgen jeweils kursiv gesetzt Überlegungen in Verbindung zur Kompetenzorientierung.

Prinzipien des Lernens, didaktische Konsequenzen und Bezüge zur Kompetenzorientierung

1. Lernen ist Anschlusslernen.

●Erfahrungen von Aus- und Weiterbildungsteilnehmenden werden anerkannt und einbezogen.

●Weiterbildungen nutzen Expertenwissen und unterschiedliche Ressourcen von Aus- und Weiterbildungsteilnehmenden.

Bereits erworbene Kompetenzen der Teilnehmenden werden im Vorfeld bei Aus- und Weiterbildungsteilnehmenden abgeklärt (Bedingungsanalyse), wenn notwendig validiert und anerkannt oder für die spezifische Weiterbildungs-/Ausbildungssequenz nutzbar gemacht.

2. Lernen richtet sich an Ergebnissen aus.

●Aus- und Weiterbildungen pflegen Ziel- und Vorgehenstransparenz und überprüfen gesetzte Ziele und Ergebniserwartungen wo möglich gemeinsam mit den Teilnehmenden.

●Die Kohärenz von Zielen, methodischer Gestaltung und Ergebnissicherung zeichnet Aus-/Weiterbildungsangebote aus.

Die Ziele beziehen sich auf ein transparentes übergeordnetes Kompetenzprofil des Aus-/Weiterbildungsprogrammes. Dieses Profil setzt sich zusammen aus vorgegebenen und von Aus- und Weiterbildungsteilnehmenden eingebrachten Kompetenzansprüchen. Zielüberprüfung und Ergebnissicherung geschehen gemeinsam entlang diesem Profil.

3. Lernen geschieht in einer (sozialen) Vereinbarungs- und Auseinandersetzungskultur.

●Gegenseitige Verbindlichkeit wird im Rahmen der Aus- und Weiterbildungen gepflegt (Vereinbarungen zu Zieldefinierung, zu Ergebnissicherung sowie zu Lehr- und Lernkultur).

●Es gibt eine konstruktive Feedback-Kultur, sei es in formativer (Kalibrierung zwischendurch) oder in summativer Art und Weise (Evaluationen).

●Perspektivenwechsel wird durch Austausch und Auseinandersetzungen in Aus- und Weiterbildungen gefördert, Lernergebnisse und Lernschritte werden sichtbar gemacht und stehen anderen zur Verfügung, Wertehaltungen werden thematisiert.

Kompetenzerwerb geschieht stets in sozialen Kontexten und sozialem Eingebundensein. Die gemeinsam vereinbarte und gestaltete Lehr-/Lernkultur ermöglicht Erfahrung von Differenz und den – für die Kompetenzentwicklung notwendigen – Perspektivenwechsel.

4. Lernen ist ein aktiver und selbstgesteuerter Prozess.

●Für ihren Lernerfolg und die Gestaltung von Lernprozessen sind Aus- und Weiterbildungsteilnehmende mitverantwortlich.

●Sie erhalten im Rahmen der Weiterbildungen die Möglichkeit, selbstorganisiert Themen und deren Bearbeitungsform zu wählen und werden dabei unterstützt und begleitet.

●Handlungsorientierung und -wirksamkeit sind beim Lernen leitende Prinzipien.

Kompetenzen werden unter anderem aufgebaut, indem Selbstwirksamkeit und Handlungswirksamkeit erfahren wird. Beides wird im Rahmen der sozialen Situation innerhalb der Aus- und Weiterbildung («hier und jetzt») erfahrbar. Vorhandene individuelle Ressourcen werden aktiviert, zusätzliche zur Verfügung gestellt.

5. Lernen ist kontextorientiert.

●Um Themen reflexiv und antizipativ zu bearbeiten, hat Praxis- und Kontextorientierung eine hohe Bedeutung.

●In der Aus- und Weiterbildung thematisierte Ideen, Modelle und Vorhaben für verschiedene Praxissituationen werden angewendet, umgesetzt und überprüft (Situationsbewältigung in der Praxis).

●Daraus werden Folgerungen für Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Themenauswahl- und -bearbeitung gezogen.

Der Kompetenzerwerb erfolgt kontextorientiert und situationsbezogen; der Kontext der Aus-/Weiterbildung entspricht nicht demjenigen der Praxis. Einige Kompetenzen sind im Rahmen der Aus-/Weiterbildung zwar förder- und überprüfbar, der praxisrelevante Kompetenzerwerb kann jedoch erst in der entsprechenden Praxissituation überprüft werden (Performanz). Präzise Situationsanalysen erhöhen die Chance des Transfers.

Eine solche Verbindung von Praxis und Aus-/Weiterbildung ermöglicht es, diejenigen Aspekte der Kompetenzorientierung zu berücksichtigen, die relevant sind für eine adäquate Performanz von professionellem Personal in spezifischen Kontexten und Situationen; die Verbindung gibt zudem einem Kompetenzprofil Sinn, indem sie ermöglicht, sich zu orientieren zwischen Kompetenzbedarf, schon vorhandenen und zu entwickelnden Kompetenzen sowie Aus- und Weiterbildungsteilnehmende in ihrer Kompetenzentwicklung beteiligt.

PRINZIPIEN VON LERNEN UND KOMPETENZORIENTIERUNG


Eine ganz andere, nicht minder spannende Frage wäre, inwiefern Ausbilder/innen und Pädagoginnen und Pädagogen ihre Kompetenzen überhaupt sichtbar machen wollen.

Ich behaupte, dass die Mehrheit von Lehrenden – eventuell auch wegen Bewertungsängsten – sich eher als bescheidene «heimliche Genies» denn als «aufschneidende Hochstapler» verstehen und verhalten.

Kompetenz ist im dargelegten Verständnis also «eine generative Kraft, welche permanent aus Ressourcen neue Tätigkeiten kreiert» (Furrer 2000, S. 12). «Kompetenz» wird im Alltag und situativ entwickelt, «Performanz» macht diese unter förderlichen individuellen und kontextuellen Bedingungen sichtbar und «Ressourcen» können in Bildungsangeboten vermittelt bzw. erzeugt werden (ohne dass daraus «von selbst» Kompetenzen erwachsen). In diesem Sinne könnten Kompetenzen nicht – wie es manche «Kompetenzprofile» in Ausbildungskonzepten in Aussicht stellen oder suggerieren – «trocken» antrainiert werden.

Dieser Kompetenzbegriff hat sich beispielsweise in Arbeiten zur Selbst- und Fremderfassung von Kompetenzen im Bereich des informellen Lernens in Frankreich und der Westschweiz durchgesetzt. Ich verweise hierbei auf die so genannte Kompetenzenbilanz und die biografische Portfoliomethode des Projektes der «éspace de femmes pour la formation et l’emploi, effe» (2001) oder das «Schweizerische Qualifikationsprogramm zur Berufslaufbahn, CHQ».

Zum Glück lassen sich künftige Anforderungen nicht so präzise vorhersehen, wie es für die Entwicklung von Lehrplänen und die darin enthaltenen Formulierungen von Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen als «passe partouts» notwendig wäre.

Transfer von Wissen oder Kompetenzen geschieht, wie Le Boterf treffend beschreibt, nicht in einem generellen kausalen «Nürnberger Trichter»-Prinzip.

Warten auf Erleuchtung

«Was kann ich tun, um schneller zur Erleuchtung zu kommen?» fragte ein Jünger seinen Weisheitslehrer.

«Mit der Erleuchtung ist es wie mit dem Sonnenaufgang», antwortete der Meister.«Du kannst nichts anderes tun, als warten, bis sie sich ereignet.»

«Wozu nützen denn all die Gebete und frommen Übungen, die ich täglich verrichten soll?»

«Die habe ich dir bloss deshalb empfohlen, um sicher zu gehen, dass du nicht schläfst, wenn die Sonne aufgeht.» (aus: Imhof 1995)

2.4Standards

Oelkers und Oser (2000) nennen berufliche Handlungskompetenzen «Standards»:

«Unter Handlungskompetenz versteht man jene professionellen Fähigkeiten, die es ermöglichen, im Schulalltag unter Bedingungen von situativen Zwängen richtig zu agieren und zu reagieren. Wir bezeichnen diese Kompetenzen dann als Standards, wenn ihre Erfüllung dergestalt ist, dass jemand ohne diese professionelle Ausbildung nicht in der Lage ist, sie in zufriedenstellender Weise zu realisieren». (Oelkers/Oser 2000, S. 56)

«Standards stellen professionelle Fähigkeiten und gleichzeitig Niveauansprüche hinsichtlich ihrer situativen Sichtbarmachung dar». (Oser 1997, S. 210)

Bei solchen Standards handelt es sich um Wissensbestände, die notwendigerweise angeeignet werden und dabei auch einem handlungsorientierten Gütemasstab standhalten sollen. Standards müssen damit intersubjektiv verhandelt und ausgewählt werden – ganz im Sinne einer Professionsdefinierung. Gleichzeitig sind sie Massstab und «Messlatte».

Nur Experten verfügen über Standards, die in komplexen und unterschiedlichen Situationen zur Anwendung gelangen (vgl. Oser 1997, S. 27).

Standards sind keine «standardisierbaren» Skills, weil ihr Einsatz reflexiv und unter Anwendung diverser Theorien in je unterschiedlichen Situationen geschieht.

Ebenso wenig sind Standards allgemeine Schlüsselqualifikationen, weil sie professionsbezogen sind und Theorie, Empirie, Evaluation, Praxis und Reflexion zusammenbringen.

Ob und wie in Ausbildungssituationen (an)gelernte oder geübte Standards mit der Zeit in der Praxis in Le Boterf’schem Sinne zu Kompetenzen oder gar zu Performanzen werden, bleibt vorläufig dahingestellt. Ich verweise dafür auf meine Ausführungen zur Experten-Novizenforschung (in diesem Kapitel 3.2).

Analog zu Standardgruppen für die Lehrerbildung (nach Oelkers/Oser 2000) formuliere ich für die Ausbildung von Ausbildenden folgende Standard-Gruppen. Sie sind mitleitend für die Themenauswahl in vorliegendem Buch:

1.Selbsteinschätzung, Selbstwahrnehmung, Selbstmanagement

2.Planung, Gestaltung und Evaluation von Unterricht

3.Leitung und Führung von Gruppen und Individuen

4.Beurteilung und Qualifikation

5.Kommunikation mit Lernenden und anderen relevanten Bezugspersonen

6.Beratung von Lernenden/Begleitung von Lernprozessen

7.Organisationales Denken und Handeln

8.Fachliche und fachdidaktische Kenntnisse

Bei dieser Auswahl lasse ich mich unter anderem von Weinerts Unterscheidung zwischen (Klassen-)Führungswissen, unterrichtsmethodischem Wissen, diagnostischem Wissen und Sachwissen leiten (Weinert et al., in: Alisch et al. 1989); ich ergänze seine Unterteilung um den Aspekt des «Wissens um sich und seine Rolle» (vgl. Dann, in: Reusser/Reusser-Weyeneth1994, S. 166) und um das im Speziellen im Felde der Erwachsenenbildung thematisierte Kontextwissen (vgl. Döring 2008, S. 39 und Siebert 2000, S. 7 ff.).

Andere Autoren äussern sich über die Kompetenzebenen von Lehrenden in ähnlicher Weise (vgl. etwa Dubs 1995, S. 20, Messner/Reusser 2000, S. 277 und Dick 1996, S.122).

Für meine Ausführungen formuliere ich jeweils zu Beginn der Kapitel spezifische Standards.

Die Kapitel in meinem Buch entsprechen den Standardgruppen 1–7, Gruppe 1 wird zusätzlich repräsentiert durch die Reflexionsfragen in den jeweiligen Kapiteln. Gruppe 8 berücksichtigt meine Ausführungen nicht; hier ist Ihre fachspezifische Transferkompetenz gefragt.

Die Diskussion über den Lernerfolg in Weiterbildungen unterscheidet etwa zwischen «Veranstaltungserfolg» und «Transfererfolg»; Ersterer kann als «Wirksamkeit», Zweiter als «Nachhaltigkeit» bezeichnet werden (vgl. Baumgartner-Schaffner 2001).

Vorliegendes Buch kann Ihnen also in der «Kompetenz-Sprache» als Ressource und als Anregung, Ressourcen zu kombinieren, dienen. Inwiefern sich jedoch im Sinne der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit Kompetenzen in der täglichen Ausbildung ausformen, ist schwer zu beurteilen, darf aber selbstverständlich gehofft werden …

Form und Auswahl der Inhalte situieren sich in der ersten Auflage des vorliegenden Buches ungefähr zwischen Anforderungen des «eidg. Fachausweises Ausbildner/in» (ehemals SVEB II) und der eidg. Erwachsenenbildner/in HF (wobei meine Ausführungen die Organisation stärker betonen). Für die vorliegende fünfte Auflage wurden die Teile «Organisation gestalten» und «Beraten» stark ausgebaut, Aspekte des Digital Learnings neu integriert. Bezüglich der allfälligen Effekte basiert jedoch Ausbildungswissen und erst recht «Buchwissen» immer auf Vermutungen; die spezifische Ausbildungskultur und der Praxisalltag vor Ort bestimmen mehr, als sich Ausbildungsverantwortliche oder gar Lehrmittelautoren erträumen.

2.5Der «Rollenstrauss» von Ausbildenden

Als Ausbildnerinnen und Ausbildner bewegen wir uns während unserer alltäglichen Arbeit in einer Vielzahl von Rollen. Der Begriff Rolle entstammt ursprünglich dem Theater, wo er den in einer (Schrift-)Rolle vorgegebenen Text bezeichnet. Aus soziologischer Sicht wird unter Rolle das «Bündel» von expliziten und impliziten Erwartungen verstanden, die beispielsweise an uns in unserer Funktion als Ausbildner/in gerichtet werden. Die Rolle ist demnach eine Art interpretierbares Bindeglied zwischen Individuum und Organisation, persönliche Anteile und institutionell-gesellschaftliche Vorgaben treffen sich in der Rolle. Verhaltenserwartungen werden zwar an Individuen herangetragen, beziehen sich dennoch stets auf die soziale Position, welche sie einnehmen. So genannte Bezugsgruppen senden demnach Positionsinhabern Rollen, wobei Inhaber von Positionen auch «Selbstsender» sein können, d. h., sich selbst Rollen zuweisen.

Das Handeln in Rollen lässt immer gewissen Interpretationsspielraum zu. Rollenerwartungen führen zu Rollenkonflikten, wenn sich gegenüber Bezugsgruppen (Institution, Studierende, Kollegen) verschiedene Rollen widersprechen oder überschneiden.

In Bezug auf unsere Rollen sind wir also gleichzeitig «Täter» und «Opfer».

Zudem: Das sich erheblich verändernde Verständnis von Lernen trifft sich seit einiger Zeit mit deutlichen ökonomisch-gesellschaftlichen Ansprüchen an Aus- und Weiterbildung.

Lernende sind nicht länger Landeplätze für gesichertes Wissen, vielmehr haben «Verstehen» und «Problemlösen» Vorrang vor sinntötender Wissensanhäufung. Auszubildende erschliessen oder generieren ihr Wissen selbst.

Als reine salamididaktische Inhaltszuliefernde verlassen wir Ausbildner/innen langsam die Bühne, das «Phantom» der einheitlichen Gruppe oder Klasse entpuppt sich als heterogene Versammlung von individuellen Lernerinnen und Lernern («from the sage on the stage to the guide on the side»). Die damit einhergehende Rollenerweiterung von Lehrenden entpuppt sich dabei notgedrungen auch als Rollenverlust.

Gleichzeitig gilt im Aus- und Weiterbildungsgeschäft die Effizienz- und Qualitätsfrage nicht nur für Bildungsprozesse, sondern auch für Bildungsorganisationen, die uns als Bildungsfachleute miteinschliessen.

Auf unserem Lernweg sind wir Lehrende folglich angehalten, uns einerseits den uns anvertrauten Aus- und Weiterzubildenden dialogisch zu nähern, sie einzeln in ihren Verstehensprozessen und Vorgehensweisen zu unterstützen. Andrerseits sind wir als «Gesellschaftsagenten» gefordert, uns mit der Qualitäts- und Effizienzfrage auf allen Ebenen zu beschäftigen.

Das traditionelle berufliche Rollenbild der Ausbildnerin/des Ausbildners steht somit zwar nicht auf dem Kopf, sicher aber auf neuen Beinen!

Wenn wir lehren, leiten, Unterricht gestalten, begleiten, beraten und beurteilen und uns zudem als Infotainer, Unterhalter, Mütter, Brüder, Sozialarbeiterinnen, Lehrmittelvollstrecker, Verkäufer und Gesellschafts- und Organisationsagentinnen betätigen, bewegen wir uns in einer in sich widersprüchlichen, anspruchsvollen und sich immer wieder verändernden Rollenvielfalt.

Mit den Worten Bichsels gesagt, sind wir gleichzeitig «Staatsanwalt, Verteidiger und Richter in einer Person» (Bichsel 1984, S. 10).

Eine erfolgreiche Interpretation solch verschiedener Rollen bedarf einerseits einer hohen (Selbst-)Wahrnehmung, inhaltlichen Wissens und Handlungsstrategien in einzelnen Kompetenzbereichen, andrerseits ebenso der Fähigkeit, integrativ und situativ verschiedene Rollenkompetenzen zu unterscheiden und «unter einen Hut» zu bringen, ohne sich selbst zu verlieren.

Laut einem Bericht der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz EDK (2000, vgl. auch Renold 2001, S. 160) gewinnen drei Anforderungen an Lehrpersonen in Zukunft an Bedeutung:

●Rollen situationsgerecht zu interpretieren,

●sich in Rollen anderer versetzen zu können,

●Diskrepanzen zwischen in sich widersprüchlichen Erwartungen anderer und den eigenen Bedürfnissen zu ertragen.

Beleuchte ich pädagogische Berufsrollen innerhalb der Dyade Lehrperson – Lerngruppe, lässt sich ein Rollenstrauss skizzieren:

ROLLENSTRAUSS DER AUSBILDENDEN

Wir skizzieren die einzelnen Handlungsfelder von Lehrenden im Folgenden in Form von Rollen in einem so genannten «Strauss» kurz und werden dieses Modell als Basis und Orientierung für viele Ausführungen im vorliegenden Buch benutzen.


Folgende Rollen von Lehrenden lassen sich ausmachen:

Inhaltsexperte/-expertin sein

Ursprünglicher Grund des Auftrages der Lehrenden ist ihre Expertise, z. B. fachspezifisches Wissen, inhaltliches Durchdringen-Können des «Stoffes».

Lehr- und Lernsituationen planen und gestalten

Präsenzunterricht gestalten (Vorlesungen, Inputs, Aktivierung Teilnehmender oder Studierender, Übungen, Anwendungsaufgaben), Inszenieren von fall- und problembasiertem Lernen, Gestalten von Blended-Learning-Sequenzen, Produzieren und Gestalten selbsterklärender Scripts, interaktiver Lernmaterialien auf Lernplattform etc.

Siehe Kapitel II

Leiten und Kommunizieren

Leiten von Projektgruppen, Anleiten zum Selbststudium, Moderieren von Plenumsveranstaltungen, Führen von Konfliktgesprächen, Umgang mit schwierigen Situationen und/oder Teilnehmenden, Entscheiden bei Promotionsfragen etc.

Siehe Kapitel III und Kapitel V

Wahrnehmen und Beurteilen

Kompetenz- und lernzielorientiertes Prüfen, Gestalten von Leistungsnachweisen und Prüfungssituationen, Formulieren von Prüfungsfragen, Interpretieren und Bewerten von Leistungen, Kommunizieren von Bewertungen etc.

Siehe Kapitel IV

Begleiten und Beraten

Begleiten (längerfristig, Projekte, Gruppen- oder Einzelarbeiten)

Längere Begleitaktivitäten (Anleitung, Beratung, Controlling) während Selbststudium, Begleiten von Bachelor-/Master-/Diplomarbeiten, Begleiten von Praktika/Projekten, Begleiten Teilnehmender oder Studierender während ihrer ganzen Ausbildungszeit etc.

Siehe Kapitel VI

Beraten (kurzfristig, zielorientiert, eher einzelne Studierende)

Einzelne Teilnehmende (oder kleine Gruppen von Studierenden) in ihren Lernprozessen zielorientiert und «kontraktiert» beraten, diagnostizieren (etwa in Problem-based-Learning-Sequenzen, bei Stolpersteinen in einem Projekt oder in einer schriftlichen Arbeit, bei ungenügenden Leistungen), Beraten von Teilnehmenden zur Organisation der Weiterbildung und beruflicher Ausrichtung etc.

Siehe Kapitel VI

Institution vertreten und Organisation gestalten

Mit-Entwicklung von Curricula, von Kompetenzprofilen, Beurteilungskonzepten, Evaluationen; Kooperation mit Kollegium etc.

Siehe Kapitel VII

Gesellschaftlichen Bildungsauftrag wahrnehmen

Als gesellschaftlich anerkannte «öffentliche» Expertin oder Experte auftreten, als Modell wirken, «arriviert» sein. Als Türöffnerin oder Türöffner für gesellschaftliche Funktionen von Studierenden etc. wirken.

Integraler Bestandteil aller Kapitel

Rollenerwartungen von Teilnehmenden an Dozierende

Die beschriebenen Rollen überschneiden sich selbstverständlich: Beispielsweise existieren Nahtstellen zwischen der Beurteilungs- und der Institutionsvertretungsrolle oder zwischen der Führungs- und der Lehrgestaltungsrolle.

Die Komplexität des Rollenstrausses erhöht sich zudem durch die spezifischen Rollenerwartungen von Teilnehmenden oder Studierenden: Die einen erwarten von Dozierenden und Kursleitenden reine Expertise, andere möchten klare Führung, wieder andere wünschen sich zurückhaltender Begleitung. Weitere verlangen immer wieder individuelle Beratung oder pochen auf klare Beurteilung, einige sehen die dozierende Person als Vertretung der Institution oder als Modell einer gesellschaftlich anerkannten Funktion.

Diese Erwartungshaltungen verschieben sich von Fachgebiet zu Fachgebiet, von Dozent/in zu Dozent/in. Somit bewegen Lehrende sich dauernd zwischen differierenden Rollenerwartungen. Sie müssen Prioritäten setzen und Kompromisse zwischen eigenen Rollenvorlieben und Rollenerwartungen der Institution und der Lernenden eingehen.

Einzelne Lernende – die auch untereinander in unterschiedlicher Beziehung stehen und als Gruppe eine «Dynamik» (vgl. Kap. III) entwickeln – «rufen» beim Lehrenden verschiedene Rollen ab. Gleichzeitig sind die einen Rollen formal klarer vorgegeben als andere Rollen. Der Bedarf kann explizit oder implizit beispielsweise zwischen Beratung (Unterstützung) und Leitung (Disziplinierung) schwanken. Auf der anderen Seite signalisiert die Lehrperson mehr oder weniger bewusst ihre eigenen Rollenpräferenzen. Der gesamte Strauss bewegt sich in den Kontexten «Institution» und «Gesellschaft».

Mit dieser Vereinfachung blende ich eventuelle weitere innerorganisatorische «Rollensender» wie Vorgesetzte, Unterstellte, Kollegen oder ausserorganisatorische (etwa Familie, Freizeitkontakte, Arbeitskontakte) aus.

Für die Analyse der weitergefassten organisationalen Rolle verweise ich auf das Instrument der Rollenanalyse nach Schein in Kapitel VII (3.1).

Diverse dieser Lehr-/Lern-Dyaden machen also wiederum ein organisatorisches Rollengefüge aus, beispielsweise wenn verschiedene Lehrpersonen einer Gruppe Lernender zugeteilt sind; Lehrende übernehmen zudem im Rahmen ihrer Institution wiederum weitere Rollen wie etwa Projektleitung.

Rollen 2–7 entsprechen erstens den Handlungsfeldern der weiter oben formulierten Standards und damit zweitens den Themenbereichen in den folgenden Kapiteln.

Reflexionsfragen «Rollenstrauss»

●Wo und wie bewegen Sie sich als Ausbildner/in im «Rollenstrauss»?

●Welches sind Ihre Vorlieben, welches nicht?

●Was erwarten Lernende von Ihnen?

●Können Sie dabei Konfliktfelder benennen?

●Wie gross ist Ihr Interpretationsspielraum?

●Nutzen Sie ihn?

3.Biografisch-reflexiver Zugang

3.1Lernen Erwachsener

Sämtliche weiterbildungspolitischen und -praktischen Bemühungen zielen letztlich darauf, das Lernen Erwachsener zu unterstützen, sei es im Rahmen von Lehre, Beratung oder Planung und Leitung. Entsprechend beschreibt der Begriff des Lernens den Kern der Herausforderungen erwachsenenpädagogischen Handelns.

Wir haben bei der Formulierung und Diskussion von Lernprinzipien (siehe oben, Kapitel 2.3) bereits ein Verständnis menschlichen Lernens skizziert, das nun noch vertieft werden soll. Lernen ist zu Recht eine der zentralen Grössen der Erziehungs- und Bildungswissenschaft. Ohne die menschliche Fähigkeit zu lernen wären sämtliche Versuche von Erziehung und Bildung vergebens. Demnach lässt sich menschliche Lernfähigkeit als Basis jeglicher Bildungsarbeit sehen.

Üblich ist, bei der Klärung, wie menschliches Lernen zu begreifen sei, auf psychologische oder neuerdings wieder auf pädagogische Lerntheorien zurückzugreifen (vgl. z. B. Faulstich 2013; Göhlich/Zirfas 2007). Kritisch darf hier gefragt werden, ob es denn überhaupt eine Lerntheorie braucht, um gut zu unterrichten oder professionell Bildungsangebote zu konzipieren. Eine mögliche Antwort ist: Es geht prinzipiell auch ohne Lerntheorie, dennoch hilft ein für sich geklärtes, angemessenes Verständnis menschlichen Lernens zumindest dabei, die gröbsten Fehler zu vermeiden, die Lern- und Aneignungsbemühungen Lernender eher im Weg stehen, als diese fördern (was gar nicht so selten vorkommt!). Didaktisches Handeln besitzt eine die Lernenden und ihre Lernbemühungen unterstützende Funktion, es ist kein Selbstzweck. Vielmehr bemisst es sich danach, inwiefern es gelingt, Lernprozesse zu fördern.

Es gibt zahlreiche lerntheoretische Ansätze, die wir keinesfalls umfassend referieren wollen. Wir wollen dennoch kurz überlegen, welche Anforderungen es an eine dem Lernen Erwachsener angemessene Lerntheorie gibt.

Dabei beziehen wir uns stark auf die Überlegungen von Peter Faulstich, ehemals Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Hamburg. Er formuliert (mit z. T. anderen Worten) vier Ansprüche an eine angemessene Lerntheorie (Faulstich-Wieland/Faulstich 2006, S. 32):

1.Menschen sind keine passiven Apparate, die auf Reize reagieren, sondern aktive Personen, die überlegen und abwägen können, was sie machen wollen. Diese Offenheit und Freiheit menschlichen Handelns müssen Lerntheorien berücksichtigen.

2.Menschen unterscheiden sich von anderen Systemen, die auch mit Lernen in Verbindung gebracht werden, etwa von Tieren, Organisationen oder Staaten. Sie handeln auf der Grundlage eigener Sinnentwürfe und verhalten sich nicht nur in Reflexen und Routinen. Lerntheorien müssen dieser Spezifität des Menschen gerecht werden.

3.Wenn wir für eine humane Gesellschaft einstehen, muss Bildungsarbeit immer auch darauf gerichtet sein, Bildung zu ermöglichen – als permanente Bemühung des Einzelnen, sich und andere zu verstehen und auf dieser Grundlage vernünftig handeln zu können im Sinne humaner Lebensbedingungen. Eine angemessene Lerntheorie sollte diesen normativen Bezugspunkt aufnehmen.

4.In der Erziehungs- und Bildungswissenschaft ist der Blick immer auch gerichtet auf Konzepte von Lehre, Beratung und Moderation. Eine Lerntheorie sollte Hinweise auf eine adäquate Gestaltung dieser praktischen Handlungsformen geben.

Sprechen wir hier explizit vom Lernen Erwachsener, kommt die Frage hinzu, was eigentlich «Erwachsensein» meint und was ein Lernverständnis auszeichnet, das diesem Status gerecht wird. Diese Frage klingt zunächst eher nach einer abgehobenen Denkübung als nach etwas, was man diskutieren müsste, um die eigene Weiterbildung professionell zu gestalten. Eine Vergewisserung dieses Begriffs hilft trotzdem dabei, sich wenigstens über eine Leitperspektive zu verständigen. Zum Erwachsensein gibt es verschiedene Definitionen (vgl. Faulstich/Zeuner 2006, S. 36). Erwachsensein kann gefasst werden als:

●biologisch: Zustand körperlicher Reife,

●juristisch: Erwerb von Pflichten und Rechten mit Beginn der Volljährigkeit,

●psychologisch: Stabilität von Verhaltens-, Erlebens-, Denk- und Lernformen,

●soziologisch: Übernahme sozialer Rollen wie Partnerschaft und Elternschaft,

●ökonomisch: Stehen in Erwerbstätigkeit und wirtschaftlicher Selbstständigkeit.

Deutlich wird, dass keine genaue Definition und trennscharfe Einteilung möglich ist. Kern aller Ansätze ist allerdings die Idee eines selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Menschen (vgl. Faulstich/Zeuner, S. 36). Entsprechend könnte der mündige, vernünftige, freie, kritisch denkende Erwachsene als Leitbild für Lehren und Lernen dienen. Erwachsenenpädagogisches Handeln in seinen verschiedenen Formen sollte daher darauf ausgerichtet sein, diesem Leitbild zu folgen. Neben dieser allgemeinen Bestimmung müssen aber weitere Aspekte von Erwachsenensein einbezogen werden. Weiterbildungsteilnehmende zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie in vielfältige Kontexte wie Erwerbsarbeit oder Familie eingebunden sind, eine ausgeprägte vorauslaufende Biografie haben (vgl. Alheit 2010) und ihr Lernen immer Anschlusslernen und geprägt von verfestigen Emotionen ist (vgl. z. B. Gieseke 2016).

Diese Ansprüche und Aspekte dienen uns als Leitlinien, um unterschiedliche lerntheoretische Ansätze in ihrer Tragfähigkeit zu beurteilen, wie dies auch Faulstich vorgenommen hat (2008).

In der Lernpsychologie dominieren behavioristische und kognitivistische Ansätze (das Folgende ist nah angelehnt an Haberzeth 2010). Dabei wird zunehmend auf neurophysiologische Befunde der Hirnforschung zurückgegriffen. Behavioristische Positionen konzentrieren sich auf beobachtbares Verhalten. Sie versuchen, menschliches Verhalten auf der Grundlage von Reiz-Reaktions-Verbindungen zu erklären. Verzichtet wird dabei auf den Einbezug psychischer (Innen-)Vorgänge zur Erklärung von Lernen. Dass behavioristische Positionen in der Lernpsychologie nach wie vor stark vertreten sind, lässt sich etwa in den Lehrbüchern von Edelmann/Wittmann (2012) und Mielke (2001) ablesen. Zentrale Begriffe sind etwa Reiz und Reaktion, bedingter und unbedingter Reflex sowie Kontingenz. Es geht um operantes Konditionieren oder um verschiedene Formen der Lernverstärkung wie positive Verstärkung oder Bestrafung. Behavioristische Ansätze eignen sich allerdings kaum dafür, die Komplexität menschlichen Lernens adäquat abzubilden, sie beschreiben vielmehr Spezialfälle menschlichen Verhaltens, zu denen es dann kommt, wenn Menschen in ihrer Sichtweise so stark eingeschränkt sind, dass sie nur noch auf einzelne Aspekte der Umwelt reagieren. Zugleich werden die immer gegebenen Gründe des Handelns nicht beachtet und Zielperspektiven des Lernens bleiben aussen vor.

In Abgrenzung zu behavioristischen Ansätzen haben sich kognitivistische Positionen entwickelt. Sie brechen das Black-Box-Modell auf und beziehen mentale Vorgänge mit ein. Denk- und Verstehensprozessen kommt eine entscheidende Rolle zu. Lernen wird als Informationsverarbeitung konzipiert: Zum Beispiel müssen im Unterricht mitgeteilte Informationen von den Lernenden decodiert und in das Gedächtnis aufgenommen und dort verarbeitet werden (vgl. Göhlich/Zirfas 2007, S. 24 ff.). Gearbeitet wird häufig mit der Metapher des menschlichen Gehirns als Computer. Der Kognitivismus trägt zu einer erheblichen Komplexitätserweiterung bei, gleichzeitig kann er Aspekte menschlicher Psyche jenseits von Kognition nicht aufnehmen und Menschen nicht zugleich in soziale Bezüge einbetten. Wir bleiben so stark mentalen Prozessen verhaftet, ohne Lernende zu kontextualisieren, also ihn in ihre Lebenswelt einzubetten.

In den letzten Jahrzehnten sind konstruktivistische Ansätze stark beachtet worden (siehe auch 1.2. in Kapitel IV). Im Gegensatz zum Kognitivismus wird Lernen nicht als Informationsverarbeitungs-, sondern als Konstruktionsprozess begriffen (vgl. Göhlich/Zirfas 2007; Faulstich 2008). Wissen wird nicht mehr oder weniger passiv aufgenommen und verarbeitet, sondern das Subjekt baut aktiv Wissen auf. Ernst von Glasersfeld, ein zentraler Vertreter des Konstruktivismus, betrachtet entsprechend Wissen nicht als «Repräsentation einer vom Erlebenden unabhängigen […] Welt […], sondern unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts» (Glasersfeld 1998, S. 503). In der Erwachsenenbildung wurden konstruktivistische Positionen breit rezipiert, insbesondere von Horst Siebert. Bei ihm mündet die Reflexion des Konstruktivismus in der didaktischen Konsequenz: «Erwachsene sind zwar lernfähig, aber unbelehrbar» (2012, S. 35). Er wendet sich damit gegen eine Abbildvorstellung von Lehren und Lernen, der die Auffassung zugrunde liegt, dass Teilnehmende das lernen, was gelehrt wird. Betont wird hingegen die Eigensinnigkeit der Lernenden; es wird nur das angenommen, was als grundsätzlich viabel, also gangbar erlebt wird.

Seit einigen Jahren besonders einflussreich sind neurophysiologisch geprägte Positionen zum Lernen. Mit stark verbesserten bildgebenden Verfahren wird versucht, Gehirnaktivitäten sichtbar zu machen und im Gehirn einzelne Zentren und Felder für bestimmte Funktionen (Sprache, Emotionen etc.) zu identifizieren. Besonders bedeutsam geworden ist die Vorstellung einer neuronalen Plastizität (vgl. Göhlich/Zirfas 2007, S. 11): Ausstattung, Erregungsübertragung und Gestalt der Neuronen kann sich langfristig ändern. Definitionen von Lernen entsprechen dieser Vorstellung: «Lernen bedeutet Modifikation synaptischer Übertragungsstärke» (Spitzer 2003, S. 146). Von Seiten der Erziehungswissenschaft werden neurophysiologische Positionen zum Teil heftig kritisiert. Kern der Kritik ist, dass Lernen als ein materieller Prozess identifiziert wird und dass entsprechend Sinn als Basis menschlichen Handelns und damit auch Lernens ausgeblendet wird.

In den Bildungswissenschaften ausführlicher diskutiert werden weiterhin phänomenologische Ansätze und seit Jahren stark auch subjektwissenschaftliche Positionen. Phänomenologische Ansätze (z. B. Meyer-Drawe 2003) richten ihren Blick nicht nur auf die Resultate des Lernens, den Wissenserwerb, sondern auf Lernen als Prozess und als Erfahrung in einem umfassenderen Sinn: «Lernen bedeutet immer auch die Geschichte des Lernenden selbst, den konflikthaften Prozess seiner Veränderung» (Meyer-Drawe 2003, S. 506).

Eine für die Erwachsenenbildung zentrale, stark beachtete, subjektwissenschaftliche Position geht von den Arbeiten Klaus Holzkamps (1995) aus. Grundsätzlich geht es Holzkamp darum, Lehren und Lernen voneinander analytisch zu trennen und Lernen als eine eigenständige Aktivität theoretisch zu fassen. Lernen wird als ein Aspekt des aus Lebensinteressen vom einzelnen Menschen begründeten Handelns begriffen. Zum Lernen kommt es insbesondere dann, wenn Hindernisse im Handlungsvollzug auftreten und wenn dabei antizipiert wird, diese Hindernisse durch Lernen überwinden zu können. Lernen wird als nicht von aussen bedingt, sondern als vom Subjekt, vom Lernenden, begründet gesehen. Entsprechend kritisiert Holzkamp die Vorstellung, dass Lehre automatisch zu Lernen führt. Er nennt diese Vorstellung Lehr-Lernkurzschluss.

Wir sehen für die Erwachsenen- und Weiterbildung insbesondere diese subjektorientierte Position als weiterführend, ohne andere Ansätze grundsätzlich zu missachten. Dennoch sind beim Lernen Erwachsener gerade die folgenden Aspekte dieses Ansatzes als Leitlinien tragfähig:

●Die Sichtweise der lernenden Person wird in den Mittelpunkt gestellt.

●Dabei erfolgt Lernen nicht als von aussen verursachtes, sondern als vom Lernenden begründetes Handeln

●Die subjektive Bedeutsamkeit des Lerngegenstands oder des Lerninhalts ist für Lernen oder Nicht-Lernen wesentlich.

●Lernen erfolgt in einer Verbindung mit eigenen Berufs-, Arbeits- und Lebensinteressen und verbindet sich mit dem Versuch, die eigene Lebensqualität zu erhöhen.

●Mögliche Lernwiderstände sind keine Störungen, sondern lassen sich als begründete Handlungen begreifen, die es zu verstehen gilt.

Wir bewegen uns weg von der üblicherweise zentral gestellten Frage «Wie können wir optimal lehren?» hin zu der Frage «Was ist notwendig, damit die Lernenden besser lernen können?». Es geht darum, «expansives» (im Gegensatz zu einem «defensiven») Lernen zu fördern. Als Elemente einer entsprechenden subjektorientierten didaktischen Position können gelten:

1.Teilnehmenden-Orientierung: sich über Ausgangsbedingungen klar werden, anzuknüpfen an TN-Erfahrungen, Transparenz und Aushandlung des Vorgehens

2.Problembezug: konkrete Handlungsmöglichkeiten oder -probleme in der Arbeits- und Lebenswelt in den Mittelpunkt stellen

3.Handlungsorientierung: die Teilnehmenden in die Lage zu versetzen, selber handeln zu können

4.Methodenoffenheit: Vielfalt der Aneignungsformen nutzen von Unterricht über Gestalten bis reales Handeln

5.Selbsttätigkeit: Eigenaktivität der Teilnehmenden fördern und zulassen

6.Gruppenbezug: an gemeinsamen Problemen arbeiten, um Transfer zu ermöglichen (vgl. Faulstich/Zeuner 2006, S. 52 f.)

Diese Elemente sind nicht rezepthaft zu gestalten, sondern müssen immer wieder konkret durch das professionelle Handeln von einzelnen Aus- und Weiterbildenden ausgefüllt werden. Ein Rezeptbuch gibt es nicht.

Oben wird erwähnt, dass die biografische Rückbindung ein wesentlicher Aspekt von Erwachsenenlernen ist: «Lernen als lebenslanger Prozess ist nicht nur ein momentanes Sich-Einlassen auf situative Problemlagen, sondern immer auch ein biographisches Projekt. Zwar nehmen die Lernherausforderungen, zum Teil auch die Lösungsoptionen zu, die an Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen und Lebenslagen herangetragen werden. Ihre Umsetzung und Verwirklichung aber geschieht ‹gebrochen› durch die sich allmählich im Laufe eines Lebens zu einer Individualität aufschichtenden Muster und Strukturen, in die auch alle Lernerfahrungen eingegangen sind. Didaktisch angeleitete Ermöglichung individuellen Lernens geschieht so in einem kreativen Spannungsverhältnis mit diesen lebensgeschichtlich erworbenen, habitualisierten und Lernen auch begrenzenden Gestaltungsstrategien» (Arnold u.a. 2000, S. 7). Die biografische Prägung von Lernenden kann nicht abgestreift werden, sie kann Lernenden aber reflexiv bewusster gemacht und damit auch in ihrer Bedeutung für das (eigene) Lernen eingeschätzt werden.

3.2Die bildungsbiografische Methode

«Das Leben kann nur rückwirkend verstanden werden. Es muss aber vorausschauend gelebt werden.»

Søren Kierkegaard

Es ist damit zu rechnen, dass im Zuge des «lifelong learning» im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Erwachsenen die Heterogenität von Teilnehmenden bezüglich Herkunft, Alter, Potenzial, Motivation etc. steigt. Einzelne Lebensverläufe werden trotz normativer Vorgaben variabel und kritische Lebensereignisse, Krisen und Brüche begleiten solche Lebensentwürfe; sie stellen damit hohe Anforderungen an Lehr- und Lernfähigkeiten in den Bildungsprozessen aller Beteiligten.

Unter Biografie verstehe ich hier die Gesamtheit aller Ereignisse, Erfahrungen und Handlungen, welche bewusst oder unbewusst unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen. Es handelt sich also eher um die durchaus auch subjektiv gefärbte «Lebensgeschichte» als um den aus äusseren Daten zusammengesetzten «Lebenslauf» (vgl. Behrens-Cobet/Reichling 1997, Gudjons et al. 2008, Alheit in: Lenz 1994).

Folgende Grafik zeigt Aspekte auf, welche für unsere Bildungsbiografie bedeutsam sein könnten, wobei ich hier – auch im Gegensatz zum Begriff «Lernen» – unter Bildung nicht (institutionell) geplante und organisierte Prozesse, sondern bewusste und unbewusste, umfassend prägende und gestaltete Erfahrungen und Erlebnisse verstehe.

BILDUNGSGESCHICHTEN IM KONTEXT


In der dreijährigen berufsbegleitenden Ausbildung zum/zur Erwachsenenbildner/in an der aeB Akademie für Erwachsenenbildung arbeiteten Teilnehmende mit Lehrenden zu Beginn der Ausbildung während sechs Tagen in folgenden Schritten an der eigenen Bildungsbiografie, deren Austausch und einem daraus resultierenden persönlichen Lernvertrag als Extrakt und Konglomerat. Sie formulierten Ziele zusätzlich zu den curricularen Ausbildungszielen und dem formalen Ausbildungsvertrag vor allem im Bereich personaler und sozialer Kompetenzen; diese Ziele evaluierten Lernende, Mitlernende und Kursleitende nach einer definierten Ausbildungsphase von Lernenden (u.a. durch einen Reflexionsbericht), was dann wiederum zu neuen Zielformulierungen führte.

Diese Art von Lernen könnte man auch als «Kontraktlernen» (vgl. Füglister 1997, S. 207) bezeichnen.

Schritte zur Erarbeitung der Bildungsbiografie

1.Erinnern an prägende Erfahrungen, Erlebnisse, Menschen, Orte und Institutionen

2.Individuelles Vorbereiten auf mündliche Präsentation der Biografie

3.Mündliches Präsentieren in Kleingruppen

4.Schreiben der Bildungsbiografie

5.Analysieren der Bildungsbiografie in Kleingruppe (Erkenntnisse ableiten)

6.Lernen in Institutionen – Reflexion

7.Erfassen der persönlichen subjektiven Lernkonzeption

8.Erstellen des Lernvertrags für das persönliche Lernen in der Ausbildung

9.Einführung ins Lerntagebuch

10.Verknüpfen der Bildungsbiografie mit psychologischen, soziologischen und didaktischen Erkenntnissen im Verlaufe der Ausbildung

Beispiel eines persönlichen Lernvertrages einer Studierenden eines aeB-Diplomkurses in Erwachsenenbildung:

Lernkonzeption

●Ich lerne, sobald die Richtung oder das Thema genügend klar definiert ist und ich – um den Überblick zu behalten – meine Sicht der Dinge nach meinem Dafürhalten verbessern und erweitern kann.

●Ich lerne, indem ich Neues mit meinem bestehenden Denken und meinen Erfahrungen verknüpfe. Gelingt dies nicht, löst dies oft Verwirrung oder gar Krisen aus.

●Bestehendes und zu erarbeitendes Wissen/Können anderen weiter zu vermitteln, motiviert mich sehr. In diesem Prozess lerne ich selber sogar mehr als die «Empfänger».

●Ohne realistische Zielvorgaben meinerseits (zur Verfügung stehende Zeit, Stofftiefe/Fertigkeit, die erreicht werden soll) besteht die Gefahr, dass ich mich in Details verliere oder die Lernarbeit vor mich hin schiebe.

●Erfolg motiviert mich stark.

Lernziele

Entwicklung meiner personalen Kompetenz

●Bei Meinungsdifferenzen will ich die Herausforderung annehmen, die Position des Gegenübers sachlich wahrzunehmen und meine eigene Position ebenso sachlich darzulegen.

●Betrifft mich eine bestimmte Situation emotional, will ich dies in angemessener Weise innerhalb der Gruppe und gegenüber Einzelnen kommunizieren.

Entwicklung meiner sozialen Kompetenz

●Ich will in der Lerngruppe rasch in eine «Mitkämpfer»-Rolle gelangen und transparent punktuelle Führungsverantwortung übernehmen, ohne dabei dominant zu wirken; d. h., mein Verhalten soll stets die Zusammenarbeit fördern und Beiträge anderer zum Tragen bringen.

Lernmethoden

●Indem ich für mich konkrete Lernzielkontrollen durchführe und sowohl von der Lerngruppe als auch von ausgewählten Mitlernenden ein konkretes Feedback verlange, schaffe ich Klarheit über meinen Lernfortschritt.

●Für grössere Lerneinheiten will ich mir einen Lernplan erarbeiten und überprüfbare Zwischenziele formulieren.

●Wenn ich Informationen vermittle, soll dies kurz, klar und prägnant geschehen. Wann immer möglich, will ich meine Aussagen mit visuellen Mitteln unterstützen.

●Im eigenen Berufsfeld will ich ein grösseres Lernprojekt realisieren (z. B. ein Ausbildungs- oder Weiterbildungskonzept).

Die Grundlagen der biografischen Methode entstammen einer Lebensphilosophie, die anfangs des 20. Jahrhunderts «der Vernunft» «das Leben» entgegengestellt hatte. Die Erwachsenenbildung strebte damit die Rekonstruktion sozialer und politischer Wirklichkeit aus Sicht des Individuums an.

Im austauschenden Nachvollzug der Biografien anderer spiegelt sich gemäss diesem Konzept stets auch die eigene Erfahrung. Erinnerungen sind persönliche Mythen, die sich in Lebensgeschichten äussern. Die Verbalisierung dieser Geschichten durch Erzählen oder Verschriftlichen ordnet die Erinnerungen und löst in einem Gestaltungsakt reflexive Prozesse aus. Dafür braucht es selbstverständlich interessierte und aktive Zuhörer/innen und Leser/innen.

Im Zuge der aufkommenden Kognitionspsychologie wurde bildungsbiografische Arbeit zusehends von metakognitiven Modellen abgelöst, die mehr das individuelle Lernen als die Bildung im Kontext der Gesellschaft fokussieren.

Trotzdem scheint mir der bildungsbiografische Zugang nach wie vor gültig und relevant angesichts der Zunahme gesellschaftlich bedingter individueller Risikolagen, etwa bei Statuswechseln als sogenannte «critical life events», angesichts der grossen Verschiedenheit Lernender und der sich schnell verändernden gesellschaftlichen Sozialisationsbedingungen.

Der Umgang mit wachsender Parallelität von unterschiedlichen Lebensmilieus könnte zu einer unserer grossen zukünftigen Herausforderungen werden.

Für Lehrende mit ihren annähernd 15 000 Stunden Unterrichtserfahrung als Schüler/innen (ohne Studienzeit) ist es meiner Ansicht nach unerlässlich, die institutionelle Bildungsbiografie zu bearbeiten (vgl. Forneck 1987, S. 100).

Ich mag mich gut an die Erkenntnisse und Erfahrungen einer äusserst altersheterogenen Biografiegruppe innerhalb eines Ausbildungsganges erinnern, in welcher sich durch die erzählten und geschriebenen Geschichten (von «Kindheit im 2.Weltkrieg» über «68-er-Erfahrungen» bis zum «lebensästhetischen Individualismus der 90-er Jahre») individuelle Lebensbedingungen mit historischen Bezügen mischten und einzelne Menschen damit sozusagen zu wandelnden Zeitdokumenten wurden.

Am stärksten zeigte sich dieses Phänomen anhand des Vergleichs von weiblichen Biografien.

Die diesbezügliche Auseinandersetzung der Kursteilnehmer/innen hat gemäss ihren eigenen Aussagen ihren Horizont und ihr Verständnis für menschliche Geschichten in ihrer historisch-politischen Dimension erweitert.

Freilich braucht biografische Arbeit Zeit, die in schnell abrufbaren Ausbildungsmodulen eher fehlt.

Innerhalb neuerer didaktischer Ansätze (z. B. der subjektiven Didaktik nach Kösel, 1997) taucht der Begriff «biographische Selbstreflexion» wieder als Möglichkeit auf, «die eigenen Realitätstheorien kennenzulernen» (Kösel 1997, S. 273).

«Ich untersuche also, wie ich den Lehrstoff selbst konstruiere, welche Muster in mir meine Wahrnehmung steuern und welche Konstruktionen und Beschreibungen von Erkenntnis und im Vergleich zu Lernenden und auch zu anderen Lehrenden ich anfertige» (Kösel 1997, S. 273).

Dieser Zugang erinnert an metagkognitive Modelle, an Senges Definition der «mentalen Modelle» oder das Konzept subjektiver Theorien (siehe 3.5 in diesem Kapitel).

«Mentale Modelle sind tief verwurzelte Annahmen, Verallgemeinerungen oder auch Bilder und Symbole, die grossen Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln. Sehr häufig sind wir uns dieser mentalen Modelle oder ihrer Auswirkungen auf unser Verhalten nicht bewusst.» (Senge 2017, S. 8)

3.3«Produktives Scheitern» – Reflexion von Scheitererfahrungen

Einmal versuchen, scheitern. Wieder versuchen, wieder scheitern. Besser scheitern. (Samuel Beckett)

Erinnern Sie sich an Alexis Sorbas am Ende des berühmten Filmes, als sein Traum geplatzt war und das ehrgeizige Projekt der Seilbahn vom Berggipfel zum Meer in sich zusammenfiel?

Politische Denker der Aufklärung (Hobbes, Locke) beschäftigten sich mit der Gestaltungskraft des Menschen, die zusehends «perfektibel» (Zschirnt 2005, S. 37) wurden, Scheitern mutierte dadurch zum individuellen Konflikt. Die Ideen der Aufklärung beeinflussten Biographiekonzepte wie auch die Industrialisierung und Verstädterung des 19. Jahrhunderts oder die Medialisierung des öffentlichen und privaten Lebens im 20. und 21. Jahrhunderts (vgl. Zahlmann/Scholz 2005, S. 8). Biographische «Normalität» wurde und wird in alters- und geschlechtsspezifischer Prägung konstruiert (Erwerb, Ruhestand, Geschlechterrollen, Formen des Konsums und der Freizeit).

Noch unsere Elterngeneration sprach hin und wieder von gescheiterten Existenzen (meist Männer, bei Frauen wurde mit demselben Unterton gesprochen, wenn sie als «gefallen» bezeichnet wurden). Die geschlechtsdifferenten Lebensläufe als Stufenalter (Aufstieg, Höhepunkt, Abstieg) boten kaum Raum für Überraschungen oder Abweichungen. Das Diktat sozialer Erwartungen definierte die Norm und damit auch das Scheitern als deren Nichterfüllung (vgl. Zschirnt 2005).

Heute werden wir immer «perfektibler» – zwar nicht mehr ganz im Sinne der Aufklärung, wo der Mensch sich seines Verstandes bedienen sollte und gleichzeitig moralisch belehrbar war.

Was früher (allgemeines) «Schicksal» war, ist heute (individuelles) «Problem»; wir haben nicht nur grosse Aussichten, sondern müssen auch Brüche, Unvorhergesehenes, erzwungene Richtungswechsel, Orientierungswechsel und Stillstand aushalten.

Wenn man alles aus sich machen kann, kann man auch wenig oder nichts aus sich machen; wer alles aus sich machen soll, ist vielleicht bereits schon gescheitert.

Die griechische Tragödie machte das Theaterpublikum jeweils zu Zeugen des tosenden Unterganges des Protagonisten, heute können wir alle Helden werden.

Misslingenserfahrungen sind alles andere als angenehm in dem Moment, in dem sie geschehen. Aus der Retrospektive werden die Erfahrungen unter Distanznahme und Reflexion nicht selten zu einem veritablen «begleitenden Kompass» und zu bedeutsamen biografischen Wegweisern – hier liesse sich von «produktivem Scheitern» sprechen – andere Erfahrungen dagegen hinterlassen eher ein dumpfes Gefühl, versperren sich nach wie vor einer Erklärung und Einordnung.

Das produktive Scheitern entspricht dem Hoffnungsprogramm der Professionalisierung: Bewältigte Schwierigkeiten dienen durch ihre Analyse wiederkehrend, eigene Kompetenzen aufzubauen und zu erweitern; sie repräsentieren eine Kraftquelle.

Das «dumpfe Zweite» lässt sich hoffnungsvoll als «noch nicht verarbeitet» bezeichnen, pessimistisch kann es auch als eigenes Versagen oder eben als (vorläufig) endgültiges Scheitern gesehen, welches wir besser aus der Erinnerung bannen.

Scheitern wird wenig bedacht in unserer effizienz- und qualitätsorientierten Gegenwart. Scheitern ist in pädagogischen Kontexten grundsätzliches und vermeintlich endgültiges Nicht-Erfüllenkönnen von Plänen oder Nichterreichen von Zielen. Chaos, Unordnung und Disharmonie scheinen in unserer Kultur negativ belegt, das Projekt «Leben» muss ohne Umwege effizient geplant sein, Überraschungen sind nicht vorgesehen. Gleichzeitig existiert jedoch ein reiches und divergierendes Angebot an Lebensentwürfen, das Umbrüche, Umwege und Perspektivenwechsel ermöglicht und sogar provoziert. Eine Paradoxie?

Das Scheitern gehört zwar irgendwie zum Leben – möglichst aber nicht zu unserem. Als lästiges Nebengeräusch begleitet uns die Scheiter-Möglichkeit als Angst vor Armut, vor Arbeitslosigkeit, vor Krankheit, vor Statusverlust. Richard Sennett bezeichnete Scheitern als letztes Tabu der Moderne (2000): Alle denken daran, keiner spricht darüber – oder doch und dann in voyeuristischer Manier und medienwirksamer Geschwätzigkeit; exhibitionistische Lebensberichte in TV-Shows lassen Scheitern als Anekdotenstation paradoxerweise zum Erfolg mutieren.

Scheitern bedeutet «Zerschlagenes», «in Stücke Zerfallenes» (althochdeutsch Scheit: «scit» und gilt seit der griechischen Antike als unumgängliche Konsequenz der Seefahrt, die als riskante, fast blasphemische Grenzüberschreitung galt. Das Wagnis der Seefahrt wird beschrieben von der Odyssee bis zu Sindbad dem Seefahrer oder Robinson Crusoe: Ungeahnte Strömungen, seichte Stellen, aus den Augen verlorene Zielorientierung, auf Grund verändernder Wetterlage notwendige Kurswechsel, und plötzlich: Ein Schiffsbug löst sich an einem Riff, einem Felsen zerschellend, in «Holzscheite» auf. Gescheitert war damit nicht zuletzt meist auch ein Handelsgeschäft. Dies erinnert auch an die ungebrochene Faszination des Unterganges der Titanic: Scheiterten hier vielleicht technische Allmachtsphantasien oder scheiterte einfach die Liebe?

«Zerbrochen tost das Steuer, und es kracht Das Schiff an allen Seiten. Berstend reisst Der Boden unter meinen Füssen auf! Ich fasse Dich mit beiden Armen an! So klammert sich der Schiffer endlich noch Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.»

(Goethe 1968, S. 161)

Literatur und Filmkunst bieten reichhaltigen Stoff für Scheitergeschichten (das da wohl beliebteste Thema nebst der Liebe): Odysseus entrinnt dem «Scheitern» als Götterurteil im Kampf zwischen Menschen und Schicksal nur knapp, Hamlet sieht selber ein, wie katastrophal seine Lage ist. Don Quichotte scheitert daran, nicht zwischen Fiktion und Realität unterscheiden zu können, Charlie Chaplin scheitert als «Tramp» unentwegt und behält paradoxerweise dabei immer seine rührende Würde.

Trotzdem oder gerade deswegen erscheinen in diesem Zusammenhang paradoxerweise konsistente Konzepte (Lebenskonzepte, Organisationsdesigns, Managementsysteme oder didaktische Drehbücher) wiederum unumgänglich für eine «Sicherheitsproduktion». Zumindest braucht es eine beruhigende Kalkulation des Risikos von Unplanbarem. Der Ratgebermarkt boomt wie noch nie.

Beziehen wir uns in einem weiteren Schritt in nachstehenden Überlegungen auf pädagogische Arbeitsfelder, lässt sich fragen, ob die Eigenheit der deutschsprachigen Bildungstradition diese Spannung nicht noch potenziert, denn sie ist durch harmonisierende Züge und die Mission eines Hoffnungsprogrammes gekennzeichnet: Pädagogisches Handeln setzt immer Entwicklung zum potenziell Besseren sowie das Erreichen von Zielen voraus; das Gelingen pädagogischer Bemühungen ist – auch um Pädagogik selber zu legitimieren – zentral; allfälliges Scheitern wird nicht in Kauf genommen. Eine «Kultur des Scheiterns» hat hier mit Schwierigkeiten zu rechnen, scheinbare Planbarkeit wird als Illusion aufrechterhalten, obschon der Anspruch nicht zur Wirklichkeit passt. Pädagogische Konzepte lassen sich selber als Sicherheitskonzepte (gegen das Scheitern) lesen, weil Pädagogik durch ihren existentiellen Charakter – im Gegensatz zur Kunst – über ein grosses Sicherheitsbedürfnis verfügen muss.

Somit ist Pädagogik weitgehend nicht auf Scheitern eingestellt, weil sie sich davor in der Hoffnung auf künftiges Gelingen schützen muss. Darum lässt sich fragen: Wie gehen Pädagogen und Pädagoginnen denn mit ihren hohen Ansprüchen, ihrer Verantwortung und dem alltäglichen Misserfolg um?

Alexis Sorbas tanzt übrigens einen Sirtaki, nachdem sein Projekt in sich zusammengefallen ist – wahrscheinlich so wie nie zuvor.

Ein Gedicht von Ungaretti (1961, S. 66, orig. 1917) nimmt diesen schöpferisch-poetischen Akt ebenso auf:

Allegria di naufragiFreude der Schiffbrüche
«E subitio riprende il viaggio come dopo il naufragio un superstite lupo di mare»«Und plötzlich nimmst du die Fahrt wieder auf wie nach dem Schiffbruch ein überlebender Seebär»
(Übersetzung von Ingeborg Bachmann, Ungaretti 1961, S. 67)

Wie lassen sich Scheitererfahrungen reflektieren oder nutzen? (Vgl. Thomann, Wehner und Clases 2016, S. 113 ff.)

Das Scheitern enttabuisieren: durch Explikation und Analyse

●Nicht-Funktionieren, Misserfolg, Fehler und Scheitererfahrungen nehmen sozusagen «kulturell» in Aus- und Weiterbildung sowie in der berufsbegleitenden Professionalisierung von Dozierenden und Lehrpersonen einen wichtigen Platz als Ausgangslage für Lernen und «Navigationskorrekturen» ein. Ganz im Sinne des Weick'schen Organisationsverständnisses (vgl. Kap. VII, 3.4.) lässt sich im Rahmen der institutionalisierten Professionalisierung das Scheitern als stetes Analysekriterium und Option aufnehmen und damit enttabuisieren. Dieses Verständnis ergänzt zumindest die herrschende Null-Fehlerkultur (Fehlervermeidung) im Rahmen aktueller Qualitätsmanagementbestrebungen.

Möglichkeiten und Gefässe schaffen für Umdeutungs- und Reflexionsprozesse

●Grundsätzlich sind Aus- und Weiterbildende in ihrer täglichen Arbeit «existentiell betroffen», was darauf hinweist, dass der berufsbegleitenden persönlichen Praxisverarbeitung viel Bedeutung beigemessen werden muss. Umgang mit Brüchen beispielsweise als Scheitererfahrung (Kontrollverlust, Ohnmacht) und in der emotionalen «Scheiterchronologie» auftretende Angst vor Scheitern wie auch Enttäuschungen im Nachhinein sind relevant.

Dieser Umstand wiederum bedingt den Zugang zu Möglichkeiten der Distanzierung zu Gunsten von Umdeutungsprozessen (Loslassen, Grenzen erkennen etc.).

Hilfreich wären demnach «reflexive Unterstützungsinseln» (teilweise firmenintern, um organisationales Lernen zu ermöglichen, teilweise – wenn Anonymitätsschutz notwendig ist – ausserhalb der eigenen Organisation, zum Beispiel durch Peer-Intervisionsstrukturen), welche der emotionalen Verarbeitung von schwierigen Erfahrungen Platz schaffen und akkommodative Umdeutungsprozesse ermöglichen, dies, bevor die Arbeitsstelle gewechselt wird, werden muss oder die Pensionierung ansteht.

Arbeiten an persönlichen biografisch gewachsenen Verhaltensmustern

●Der Umgang mit Erfolgsdruck zeigt bei Ausbildenden, dass einerseits biografische Muster und andererseits strategische Vorgehensweisen zu mehr oder wenig hilfreichem Umgang mit Druck führen. Hier braucht es Arbeit an der eigenen Person, das Analysevermögen in Bezug auf eigene Verhaltenstendenzen. Dies heisst, begleitende Coaching-Formen benötigen immer Anteile von «Arbeit an der Person». Ein solcher Zugang benötigt Zeit und ist nicht effizient zu «erledigen» oder zu «lösen».

Klären von Kompetenzen, Rollen und Aufträgen

●Die adäquate Kompetenz-, Rollen- und Auftragsklärung helfen Ausbildenden dabei, Komplexität zu reduzieren. Ungeklärte Verhältnisse führen zu Scheitererfahrungen, Ohnmachtsgefühlen und Enttäuschungen. Hilfreiche Planungs- und Orientierungsinstrumente bieten innerhalb von Aus- und Weiterbildung, aber auch in begleitendem Coaching Unterstützung. Dies geschieht nicht im Sinne starrer Fixierung von Rollen und Aufgaben, sondern als Instrument steter Kalibrierung. Sie ermöglicht Versicherung von Klarheit und transparente Vereinbarung von nächsten Schritten.

Die Explikation von «gescheiterten Erfahrungen» und ausgeblendeten Prozessen sowie den Austausch darüber nenne ich in Anlehnung an Richard Sennett (2000, S. 159 ff.) «produktiv», weil sie in einem Gestaltungs- und Verarbeitungsprozess Reflexion und Handlung ermöglichen sowie Perspektiven eröffnen[1]. Auf den Begriff «produktives Scheitern» bin ich über einen Text auf der Basis eines Interviews mit dem Schweizer Komponisten Nadir Vassena (Baldassare 2000) gestossen, in welchem das Komponieren als tägliches produktives Scheitern beschrieben wird.

3.4Die Berufssozialisation von Lehrenden

Der Bereich berufliche Weiterbildung muss Berufsbiografie und damit die Berufssozialisation ins Auge fassen.

Sozialisation wird als produktive Verarbeitung von innerer und äusserer Realität verstanden (vgl. Hurrelmann/Bauer 2018, S. 98). Sozialisation ist damit ein Prozess der Entstehung und Entwicklung menschlicher Persönlichkeit, der abhängt von und sich auseinandersetzt mit den sozialen und materiellen Lebensbedingungen zu einem bestimmten Zeitpunkt einer Gesellschaft. Insofern gleichen sich Biografie- und Sozialisationskonzept.

Vielleicht wird der Mensch in Letzterem (mehr noch als in der «prägenden» Biografie) eher noch als handlungsautonomes Subjekt verstanden.

Sozialisationebenen sind nach Tillmann (2017, S. 23):

SOZIALISATIONSEBENEN


aus: Tillmann 2017, S. 23

Sozialisierende Systeme sind laut Hurrelmann und Bauer (2018, S. 181):


aus: Hurrelmann und Bauer 2018, S.181

Nun sind die dargestellten Ebenen und «Mitsozialisatoren» erstens noch nicht berufsspezifisch fokussiert, zweitens wirken sie eher statisch.

An der beruflichen Sozialisation interessiert uns die chronologische Entwicklung eines «Sozialisanden», also das, was berufsspezifisch in einer zeitlichen Professionalisierungachse mit einer Berufsperson geschieht oder was sie mit sich macht resp. machen lässt.

Unter den Stufen oder Phasen von beruflicher Entwicklung wird meist die «Initiationszeit» (Anfängerjahre) als «Sozialisation» im Sinne von Anpassung bezeichnet; gemeint ist damit die prägende Anfangsphase, in der die berufliche Sprache, der Jargon, das spezifische Verhalten und andere Werte, Normen und Fähigkeiten meist implizit gelernt werden. Selbstverständlich beschränkt sich Sozialisation im eigentlichen Sinn nicht auf diese Anfangsphase.

Im Folgenden zeige ich drei in ihrer Reihenfolge an Komplexität zunehmende Phasenmodelle der beruflichen Sozialisation im Sinne der angesprochenen Professionalisierung.

Modell A: Vom Überleben zur Routine

Fuller und Brown entwickelten (in: Dick 1997, S. 29, 1996, S.48) ein Konzept mit drei Entwicklungsstufen von Lehrenden:

1. survival stage

Hier ist die Lehrperson vorwiegend mit sich selber als Person beschäftigt.

2. mastery stage

Hier steht die didaktisch-methodische Gestaltung des Unterrichts im Zentrum, die Lehrperson ist mit sich als Lehrperson beschäftigt.

3. impact stage (oder routine stage)

Solche Entwicklungsstufen sind nicht in sich geschlossen und Phasenübergänge nicht stets klar zu orten.

Eine Lehrperson mag trotz Routine in einer schwierigen Situation wieder im Überlebenskampf sein, einer anderen Lehrperson dagegen hilft methodisch-didaktische Gestaltung zu «überleben». Dennoch sprechen viele Lehrende von den – ihren Worten gemäss – lehrreichen «Überlebensjahren», in denen sie mit theoretisch Erlerntem nicht viel anfangen konnten, sondern einfach handeln mussten. Dass «mastery» oder sogar «routine» nicht durch eine theoretische «Rucksackausbildung» erzeugt werden kann, zeigt sich hier, ebenso wie der Umstand, dass einer angepassten begleitenden Weiterbildung innerhalb fortschreitender Professionalisierung zentrale Bedeutung zukommt.

Modell B: Entwicklungsverläufe in Lehrer/innenbiografien

Hubermann (1991 in: Terhart 1998, S. 573) entwickelte ein differenziertes Modell von beruflichen Entwicklungsverläufen in Lehrerbiografien. Obschon damit nicht explizit Ausbildner/innen für Erwachsene beschrieben werden, kann dieses Modell zweifelsohne auch Fachleuten der Weiterbildung als Anregung dienen:

ENTWICKLUNGSVERLÄUFE IN LEHRER/INNENBIOGRAFIEN


Hubermann 1991 in: Terhart 1998

Überleben und Entdecken sind während des Berufseinstiegs die zentralen Motive (etwa für die ersten drei Jahre). Wer einige Jahre überlebt hat, darf sich eine Stabilisierungsphase gönnen, in der man sich mit der Berufsrolle identifiziert (ca. 4.–6. Jahr).

Danach verzweigt sich die Entwicklung, die eine Gruppe schöpft «aus dem Vollen», wagt Neues, experimentiert auf sicherem Boden, die andere muss ihre Situation neu bewerten, zweifelt, gerät in eine Krise.

Nicht einmal die Hälfte dieser Lehrenden erreicht nach Hubermann eine Lösung der Krise, zahlreiche resignieren in der 4. Phase, werden zynisch und manifestieren Burn-out-Syndrome, andere erschliessen sich neue Perspektiven und erleben einen zweiten Frühling.

Mit der Zeit finden erfolgreiche Lehrende Distanz und Gelassenheit, um sich in der letzten Berufsphase allmählich zurücknehmen zu können.

Hubermann argumentiert mit seinem Stufenmodell auf Basis der Daten von Lehrenden mit langjährigen Berufslebensläufen; interessant wäre es, darüber nachzudenken, wie sich «Stabilisierung» beim heute zunehmenden Wechsel von Arbeitgebern und Arbeitsorten, aber auch durch vermehrte Veränderung von Gruppenzusammensetzungen bei immer wieder erzwungenem «Entdecken» durch Neuanfänge entwickeln kann.

Vielleicht erstarren wir ja weniger in Routine, wenn wir sozusagen dauerhaft mit einer Portion «survival» herausgefordert werden …

Die Stärke dieses Modells besteht in der realistischen Berücksichtigung möglicher schwieriger Entwicklungen zu Frustration und Resignation.

Im Gegensatz dazu wirken sowohl das Konzept von Fuller und Brown als auch das nächste Modell eher als normativ optimistisch (wie «es» sein müsste).

Modell C: Das Novizen-Experten-Paradigma

Aus Kognitionspsychologie und in spezifischer Modifikation aus der Pflegedidaktik des Gesundheitswesens (Benner 2017) kennen wir das Novizen-Experten-Paradigma (vgl. Messner/Reusser 2000, S. 162), in dem berufliche Entwicklung als sukzessiver Aufbau von professioneller Fähigkeit und Professionswissen verstanden wird.

Das Konzept beruht unter anderem auf einem Modell des Kompetenzerwerbs, das der Mathematiker S. Dreyfus und der Philosoph H. Dreyfus auf der Grundlage von Untersuchungen an Schachspielern und Piloten entwickelt haben. Grundsätzlich betont es, dass vor allem Experten über viel «Know-how»-Wissen verfügen, ohne dazu im Sinne von «Know-that» Erklärungen geben zu können.

Wissen und Können «rutschen» somit in die Bereiche des Vor- und Unbewussten und werden damit zu schlecht erklärbarem «Erfahrungswissen».

Beispielsweise dürfte es uns schwerfallen, genau zu erklären, wie wir schwimmen gelernt haben oder wie wir dies heute genau tun. Wir – oder die meisten von uns – können es «einfach». Paradoxerweise müssen wir uns aber, wenn wir als Schwimmlehrer Anfänger sind, in unserer Vermittlungstätigkeit an standardisierte und generalisierte Vorgaben anderer (Experten, Lehrmittel) oder an unsere «Intuition» – welche vielleicht so etwas wie unbewusstes Erfahrungswissen darstellt – halten.

Steht nun die standardisierte Vorgabe im Widerspruch zu meiner «Intuition» oder meinem unbewussten Erfahrungswissen, muss ich «Übersetzungsarbeit» leisten und die beiden Wissens- und Verfahrensformen untereinander sowie mit den Lernmöglichkeiten der Teilnehmer/innen in Einklang bringen.

Auch dass wir beispielsweise «einfach» schwimmen können, nützt uns so lange wenig, bis wir wiederum (Erfahrungs-)Wissen in der Vermittlung aufgebaut haben, welches aber auch wieder – eventuell als erweiterte «Intuition» – nur bedingt unserem Bewusstsein zugänglich ist.

Die Entwicklungsstadien des Novizen-Experten-Paradigmas werden (nach Messner/Reusser 2000, S. 162 ff. in Anlehnung an Dreyfus/Dreyfus 1986, vgl. auch Terhart 1998, S. 570 ff.) wie folgt beschrieben:

1.Novizenstadium

Novizen verfügen über gelernte kontextfreie Regeln, die zwar rational begründet werden können, jedoch nicht adaptiert sind. Das kann in Störungssituationen Chaos oder Rigidität in ihrem Verhalten zur Konsequenz haben.

2.Fortgeschrittenes Anfängerstadium

Die Orientierung erfolgt hier vermehrt anhand von praktischen Handlungserfahrungen; Erinnerungen an ähnliche Fälle und dadurch ermöglichter Transfer führen zu zunehmender Beweglichkeit.

3.Stadium des kompetenten Praktiker s/der kompetenten Praktikerin

Durch eine Analyse des Ausbildungsgeschehens verfügen kompetente Praktiker über flexible Handlungspläne und damit über mehr Sicherheit.

4.Stadium des gewandten Praktikers

Der gewandte Praktiker/die gewandte Praktikerin zeigt durch (Erfahrungs-)Wissen geschickte Situationsverarbeitung. Bewusste Reflexion tritt hinter intuitivem Vorgehen zurück. Die «Feinwahrnehmung» von Situationen ist geschärft.

5.Meister- oder Expertenstadium

Der Meister/die Meisterin agiert und reagiert schnell, angemessen und routiniert auf eine Vielfalt von unterschiedlichen und schwierigen Situationen. Sofortiges Erkennen ersetzt planvolles Entscheiden, «es funktioniert einfach».

Solche Experten wissen in der Regel mehr, als sie erklären können, und folgen meist ihrer «Intuition», ihrem «Kennerblick».

Zwar wirkt das Novizen-Experten-Phasen-Modell etwas starr und schematisch, jedoch zeigt es auf, in welch subtiler Form sich Professionalität aufbaut, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Zudem verdeutlicht das Modell, dass verschiedene Lehrpersonen mit denselben Anstellungsbedingungen, Funktionen und Aufgaben sich in völlig unterschiedlichen Professionalitätsphasen bewegen. Dies erschwert kooperative Kommunikation mitunter, weil Novizen ihre Meisterwerdung nicht antizipieren und Meister ihre Meisterwerdung nicht mehr nachvollziehen können.

Damit wäre das, was wir am besten wissen und können, uns wahrscheinlich am wenigsten bewusst (vgl. Bateson 1994, S. 199).

Reflexionsfragen «Berufssozialisation»

●Erinnern Sie sich an «survival-Jahre» oder «survival-Phasen»? Gibt es spezielle Vorfälle, Begegnungen, Geschichten?

●Erkennen Sie sich tendenziell im Modell von Hubermann wieder? Wo situieren Sie sich?

●Zeichnen Sie in Ihrer Art anhand Ihrer individuellen Schlüsselerkenntnisse und -situationen Ihren bisherigen beruflichen Entwicklungsverlauf auf. Wie wirkt Ihre Zeichnung auf Sie? Zeichnen Sie Ihren gewünschten zukünftigen Verlauf. Was müssten Sie tun, um diesem Wunsch zu entsprechen?

●Ordnen Sie sich im Novizen-Experten-Modell einem Stadium zu. Wie begründen Sie die Zuordnung?

●Hat sich im Verlaufe Ihrer beruflichen Entwicklung das Verhältnis von «geplanten Handlungen» zu «intuitivem Erfahrungshandeln» verändert? Wie?

Lieber nicht!

Ich habe von einem Land gehört, da sollen die Meister vom Himmel fallen. Soll ich nun dorthin ziehen, gleich jetzt und so schnell mich die Beine tragen? Ich lass das hübsch bleiben, sonst werde ich noch von einem fallenden Meister erschlagen.

Hans Manz, Quelle unbekannt

3.5Das Konzept der subjektiven Theorien

Beruflich handlungswirksames Wissen ist gemäss obigen Ausführungen auch den so genannten Experten wenig bewusst und schlecht verfügbar.

Lehrende verfügen nach dem Konzept der subjektiven Theorien (vgl. Groeben et al. 1988) neben ihrem fachlichen Wissen über ein grosses Repertoire an subjektiv-theoretischen Wissensbeständen etwa über Lernprozesse, Lehrmethoden, Lernende sowie das eigene Handeln; diese benutzen sie in ihrem Ausbildungsalltag, ohne sich dessen unbedingt bewusst zu sein.

Viele solcher Theorieanteile sind mit den Worten Bourdieus (1987) «habitualisiert» und als «inkorporierte» Gewohnheiten verankert. Damit produzieren wir sozusagen Vortheorien und Annahmen über Dinge und Menschen. Solche Alltagestheorien bilden sich im Verlaufe der persönlichen Entwicklung als biografische Relikte sowie durch den Prozess der beruflichen Sozialisation (vgl. Dann 1994). Sie sind schon im Novizenstadium bedeutsam und dermassen handlungsleitend, dass sie beinahe wie «kleine Drehbücher» (vgl. Wahl 2001, S. 157) das unterrichtliche Agieren von Lehrenden bestimmen. Nach Wahl (1991, S. 5 ff.) orientieren sich Lehrende umso mehr an ihren subjektiven Theorien, je schneller sie handeln müssen und je stärker sie belastet sind.

Lehrende, die beispielsweise in ihrem Konfliktmanagement erfolgreich sind, haben gemäss diesem Konzept komplexere und besser organisierte subjektive Theorien (vgl. Dann 1994, S. 172), die sie sich beispielsweise im familiären Kontext oder im Verlaufe ihrer beruflichen Entwicklung (Expertenwerdung) angeeignet haben.

Nicht zuletzt beeinflussen – wie weiter oben erwähnt – auch nachhaltig eigene Schulerinnerungen und -erfahrungen Lehrende.

Bei einer allfälligen Modifikation solcher Theorien geht Dann (1994, S. 174) davon aus, dass Lehrkräfte bei einer Explikation, d. h. einer Bewusstmachung solchen Wissens, viel mehr profitieren, als sie glauben.

Erinnern und Erzählen erlebter Situationen in der Rolle als Lernende und Lehrende sowie auch gezielte didaktische Herbeiführung von Problemsituationen und deren reflektierte Lösungssuche als Übung in möglichst authentischem Kontext könnten – so Dann – zu einer solchen Explikation verhelfen.

Dies würde bedeuten (vgl. die Krisengeschichte eines Lehrers in Kap. II, 1.), dass gerade die Phasen der Professionalisierung, also die «Expertenwerdung», bewusst gemacht werden müsste.

Gleichzeitig geht Danns Ansatz davon aus, dass wir «schon etwas können, bevor wir professionell etwas tun», demnach vor unserer beruflichen Ausbildung und Sozialisierung über Ressourcen verfügen, auf die wir später «automatisch» zurückgreifen, ohne dass diese nach unserer Einschätzung professionell bedeutsam wären.

Eine Bewusstmachung oder -werdung darüber, über welche Vorkenntnisse im Sinne von Ressourcen wir verfügen, könnte demnach dem Prozess der Professionalisierung dienlich sein – ob es diesen Prozess wirklich beschleunigen würde, wage ich zu bezweifeln.

Ebenso stehe ich den etwas technisch anmutenden Anweisungen, subjektive Theorien zu «rekonstruieren» (etwa mittels des Wahl’schen Systems «beurteilbar machen – mit Expertenwissen anreichern – in neue handlungsleitende Strukturen überführen», vgl. Wahl 2001, S. 157) skeptisch gegenüber. Sie suggerieren in pädagogisch typischer Manier methodische «Machbarkeit von Bewusstsein».

Bewusstmachende Reflexionsarbeit geht meines Erachtens manchmal eigenartige, verschlungene und nicht lineare Wege.

3.6Reflexive Kompetenz

Der Begriff «Reflexion» als Konzept in der Ausbildung von Lehrenden geht auf John Dewey (1997, orig. 1910) zurück; Dewey versteht Reflexion als eine Form des Denkens, welche immer wieder durch Zweifel und Irritation, durch «gefühlte Schwierigkeit» geprägt ist und danach zu gezielter Suche und Problemlösung führt (vgl. Dick 1996, S. 98).

Nach Doyle (in: Dick 1996, S. 76) existieren in der komplexen «Ökologie» des Ausbildungsgeschehens weder ein Durchschnittslernender oder eine Durchschnittsgruppe noch eine typische Unterrichtssituation.

Folgende Komplexitätsfaktoren beeinflussen den Unterricht (siehe genauere Erklärungen in Kapitel II, 1.):

KOMPLEXITÄTSFAKTOREN IM UNTERRICHT (nach Doyle)


aus: Dick 1996, S. 76

Die Komplexität von Unterricht produziert sozusagen das Scheitern als Normalfall, setzt jedoch reflexive Kompetenz des Praktikers voraus.

Diese Reflexion geschieht meist kasuistisch, also entlang von Fällen, von Praxisgeschichten, Ereignissen, Analogien und Metaphern (vgl. Herzog 1995).

Schön (1983 in: Dick 1996, S. 97) beschreibt diese Reflexion als Konversation mit der Situation («the situation talks back to you »).

Eine reflexive Rekonstruktion von so genannten praktischen (Alltags-)Theorien kann nach Dick (1995, S. 280) folgendermassen aussehen:

REKONSTRUKTION VON ALLTAGSTHEORIEN


nach Dick 1995, S. 280

Reflexion ist somit ein berufslebenslanger Prozess, in dem Lehrpersonen ihr persönliches, praktisches Wissen und ihre vorhandenen Annahmen und Deutungen immer wieder vergewissern, überprüfen und modifizieren, um ihre Unterrichtspraxis im Sinne der Professionalisierung zu verbessern.

Distanz zur eigenen Tätigkeit, Selbstwahrnehmung, Selbstkritik als produktives Zweifeln sowie Motivation und Lust an erweiternder professioneller Veränderung sind unabdingbare Voraussetzungen für den Erfolg solcher Reflexionsarbeit.

Messner und Reusser (2000, S. 282/283) unterscheiden schliesslich folgende drei Wissensformen:

1.Bescheidwissen über die Praxis

Dieses generalisierte Buch- und Ausbildungswissen wird in der Regel nicht wunschgemäss technologisch handlungswirksam.

2.Wissen in der Praxis

Durch Nachahmung, Anregung, eigene Erfahrung, Scheitern, Nachdenken und gezielte Versuche entsteht dieses Wissen.

3.Wissen für die Praxis

Die beiden ersten Formen werden hier integriert, Theorie- und Praxiselemente, Regel- und Situationsbezüge verbinden sich.

Im Sinne Dicks würde damit das reflektierte «Wissen in der Praxis» zusammen mit ausgewähltem «Wissen über die Praxis» schliesslich zu einem «Wissen für die Praxis».

Wobei ich unter «Praxis» nicht nur unterrichtliche Tätigkeiten im Seminarraum per se begreife, sondern auch sämtliche organisationalen und gesellschaftlichen Kontextbedingungen, die diese Praxis beeinflussen.

Ausbildner/innen werden im Verlaufe ihrer Professionalisierung genauso Experten für Bildungskontextfragen wie für Bildungsarbeit.

Ich hoffe, Sie mit meinen Ausführungen vorerst einmal für ein «Wissen in der Praxis» anzuregen und mit Hilfe einiger Hinweise über die Praxis aus meiner Sicht Ihrer Praxis dienlich zu sein.

In diesem Sinne möchte ich Sie aufmuntern, sich selber und Ihre subjektiven Theorien bei folgender Lektüre «mitzunehmen», sei dies in Form Ihrer persönlichen Biografie, Ihrer beruflichen Geschichte oder Ihrer jetzigen aktuellen Praxissituation.

Ich denke, dass sich ausbildnerische Professionalität stets im dynamischen Dreieck mit den Eckpunkten Subjektbezug – Berufsfeldbezug – Inhaltsbezug vollzieht.

Als Novizin oder Novize nehmen Sie meine Ausführungen als anspruchsvoll wahr, als Expertin oder Experte hingegen müssen Sie damit rechnen, in bekannte Gewässer geführt zu werden (wobei ich hoffe, dass sich da und dort noch eine interessante Stromschnelle oder ein belebendes Gewitter finden lässt).

Ich arbeite in den folgenden Kapiteln mit aus meiner Sicht relevanten Informationen, Erfahrungen, Geschichten und (Reflexions-)Fragen aus nachdenklicher Praxis.

Diese sollen anregen, ab und an dürfen sie auch konfrontieren oder etwas verwirren.

Sie sind eingeladen, sich mit pragmatischer Gelassenheit den Luxus zu gönnen, Aspekte von verschiedenen Seiten zu beleuchten, zu theoretisieren, Aussagen nach-denkend zu verwerfen oder sie modifiziert als «Verwendungswissen» in Ihren Berufsalltag mitzunehmen und Ihre Praxis als «reflective practicioner» zu überprüfen oder gar ein wenig zu rekonstruieren.

Literaturverzeichnis Kapitel I

Aebi, D. (1995). Weiterbildung zwischen Markt und Staat. Chur/Zürich: Rüegger.

Alheit, P. (2010). Identität oder «Biographizität»? In: Griese, Birgit (Hrsg.): Subjekt - Identität - Person? Reflexionen zur Biographieforschung. Wiesbaden: VS, S. 219–249.

Alheit, P. (1994). Was die Erwachsenenbildung von der Biographie- und Lebenslaufforschung lernen kann, in: Lenz, W. (Hrsg.): Modernisierung der Erwachsenenbildung, Wien: Böhlau.

Arnold, R. u.a. (2000). Forschungsmemorandum für die Erwachsenen- und Weiterbildung. Frankfurt/Main: DIE.

Arnold, R. (1994). Berufsbildung: Annäherungen an eine Evolutionäre Berufspädagogik. Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung Band 1. Hohengehren: Schneider.

Bachmann, H. (Hrsg.) (2018). Kompetenzorientierte Hochschullehre (3., überarbeitete und erweiterte Auflage). Bern: hep.

Baldassare, A. (2000). Komponieren als produktives Scheitern – der Tessiner Komponist Nadir Vassena, in: www.dissonanz.ch.

Bateson, G. (1994). Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt: Suhrkamp.

Baumgartner-Schaffner, M. (2001). Qualitätsevaluation und Qualitätsentwicklung in der institutionellen Weiterbildung. Luzern: AEB Akademie für Erwachsenenbildung.

Beck, U. (2016). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne (23. Auflage). Frankfurt/M: Suhrkamp.

Behrens-Cobet, H./Reichling, N. (1997). Biographische Kommunikation. Neuwied: Ziel.

Benner, P. (2017). Stufen zur Pflegekompetenz (3. Auflage). Bern: Hogrefe.

Bernstein, F. W. (1991). Kampf dem Lern – 61 Beiträge zur pädagogischen Abrüstung (cartoons). Giessen: Anabas.

Bichsel, P. (1984). Die Schülerschule von Barbiana: Brief über die Lust am Lernen. Berlin: Wagenbach.

Bourdieu, P. (1987). Die feinen Unterschiede, Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/M: Suhrkamp.

Calchera, F., Weber, J. Chr. (1990). Entwicklung und Förderung von Basiskompetenzen. Berlin/Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung.

Dann, H.-D. (1994). Pädagogisches Verstehen: subjektive Theorien und erfolgreiches Handeln von Lehrkräften, in: Reusser, K./Reusser-Weyeneth, M. (Hrsg.): Verstehen. Bern: Huber.

Delhees, K. H. (1997). Zukunft bewältigen. Bern: Haupt.

Dewey, J. (1997). How we think. Mineola: Dover (orig. Boston 1910).

Dick, A. (1997) «Lehrer-Werdung» als biographisch-wissenschaftliche Berufsentwicklung, in: Schweizer -Schule 9/1997, S. 28–36.

Dick, A. (1996). Vom unterrichtlichen Wissen zur Praxisreflexion: das praktische Wissen von Expertenlehrern im Dienste zukünftiger Junglehrer (2. Auflage). Bad Heilbrunn: Klinikhardt.

Dick, A. (1995). Reflexion and Narration als generative Form von Lehrerinnen- und Lehrerforschung, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 3/1995, S. 274–292.

Dörig, R. (1996). Ersetzen Schlüsselqualifikationen das Wissen? in: Gonon, Ph. (Hrsg.): Schlüsselqualifikationen kontrovers: eine Bilanz aus kontroverser Sicht. Aarau: Sauerländer.

Döring, K. W. (2008). Handbuch Lehren und Trainieren in der Weiterbildung. Weinheim/München: Beltz.

Dubs, R. (2009). Lehrerverhalten: ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.

Edelmann, W./Wittmann, S. (2012). Lernpsychologie (7. Auflage). Weinheim: Beltz.

EDK Schweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz (2000). Beraten in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, studien + berichte 12A. Bern.

Effe (2001). Kompetenzen (Portfolio – von der Biografie zum Projekt). Bern. https://effe.ch/de/formations/bilanz/?portfolioCats=31.

Faulstich, P./Zeuner, Chr. (2010). Erwachsenenbildung. Weinheim/München: Beltz Juventa.

Faulstich, P. (2008). Lernen. In: Faulstich-Wieland, H./Faulstich, P. (Hg.): Erziehungswissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 33–57.

Faulstich, P. (2013). Menschliches Lernen. Eine kritisch-pragmatistische Lerntheorie. Bielefeld: transcript.

Faulstich, P./Haberzeth, E. (2014). Weiterbildungspolitik. In: Dinkelaker, J./von Hippel, A. (Hg.): Erwachsenenbildung in Grundbegriffen. Reihe «Grundriss der Pädagogik/Erziehungswissenschaft». Stuttgart: Kohlhammer, S. 263–271.

Faulstich-Wieland, H./Faulstich, P. (2006). BA-Studium Erziehungswissenschaft. Ein Lehrbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Faulstich, P./Zeuner, C. (2006). Erwachsenenbildung. Eine handlungsorientierte Einführung in Theorie, Didaktik und Adressaten (2., aktualisierte Auflage). Weinheim: Juventa.

Forneck, H.J. (1987). Alltagsbewusstsein in der Erwachsenenbildung: zur legitimatorischen und didaktischen Konkretisierung einer alltagsweltlich-orientierten Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn: Klinikhardt.

Füglister, P. (1997). Langzeitfortbildung unter der Leitidee der Subjektorientierung, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 15(2)/1997, S. 199–209. https://www.pedocs.de/volltexte/2017/13357/pdf/BZL_1997_2_199_209.pdf.

Furrer, H. (2000). Ressourcen – Kompetenzen – Performanz: Kompetenzmanagement für Fachleute der Erwachsenenbildung. Luzern: aeB Akademie für Erwachsenenbildung.

Furrer, M. (2001). Wissensnation Schweiz – (k)eine Utopie, in: Neue Zürcher Zeitung NZZ, 2./3.6.2001, S. 93. https://www.nzz.ch/article7F71A-1.504930.

Geissler, K. A./Orthey, M. (1998). Der grosse Zwang zur kleinen Freiheit – Berufliche Bildung im Modernisierungsprozess. Stuttgart: Hirzel.

Geissler, K. A. (1997). Lernen: lebenslänglich, in: éducation permanente, Zürich 1997/1.

Ghisla, G./Bausch, L./Boldrini, E. (2008). CoRe-Kompetenzen-Ressourcen. Ein Modell für die Curriculumsentwicklung in der Berufsbildung. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 104. Band, Heft 3. Stuttgart.

Gieseke, W. (2016). Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus beziehungstheoretischer Perspektive. Bielefeld: wbv.

Glasersfeld, E. von (1998). Die Radikal-Konstruktivistische Wissenstheorie. In: Ethik und Sozialwissenschaften, Jg. 9, H. 4, S. 503–511.

Goebel, J./Clermont, Ch. (1999). Die Tugend der Orientierungslosigkeit. Reinbek bei Hamburg: Volk und Welt.

Goethe, J. W. (1968). Gesammelte Werke Band V. Zürich: Artemis.

Göhlich, M./Zirfas, J. (2007). Lernen. Ein pädagogischer Grundbegriff. Stuttgart: Kohlhammer.

Gonon, Ph. (2001). «education permanente», «recurent education», Weiterbildung, in : éducation permanente 2001/1, Zürich, S. 56–57.

Gonon, Ph. (1994). Auf der Suche nach Persönlichkeitsbildung, in: éducation permanente, Zürich 1999/4, S. 8–10.

Gonon, Ph. (1996). Schlüsselqualifikationen kontrovers. Aarau: Sauerländer.

Groeben et al. (1988). Das Forschungsprogramm subjektive Theorien: eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen: Francke.

Gudjons, H. et al. (2008). Auf meinen Spuren (7. Auflage). Hamburg: Klinikhardt.

Haberzeth, E. (2010). Thematisierungsstrategien im Vermittlungsprozess. Empirische Analysen zum Umgang mit Wissen im Planungsprozess von Weiterbildungsangeboten. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Herzog, W. (1995). Reflexive Praktika in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 3/1995, S. 253–273.

Holzkamp, K. (1995). Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt a. M.: Campus.

Hurrelmann, K./Bauer, U. (2018). Einführung in die Sozialisationstheorie. Weinheim/Basel: Beltz.

Imhof, B. (1995). Wahrheit & Weisheit: Symbolgeschichten. Solothurn: rothus.

Kösel, E. (1997). Die Modellierung von Lernwelten (4. Auflage). Bahlingen a. K.: SD-Verlag.

Laur-Ernst, U. (1996). Schlüsselqualifikationen in Deutschland – ein ambivalentes Konzept zwischen Ungewissheitsbewältigung und Persönlichkeitsbildung, in: Gonon, Ph. (Hrsg.): Schlüsselqualifikationen kontrovers. Aarau: Sauerländer.

Le Boterf, G. (1998). Die Wirksamkeit von Bildungsmassnahmen evaluieren – die Grundfragen, in: Zentralstelle für die Weiterbildung der Mittelschullehrpersonen WBZ/CSP (Hrsg.): Kompetenzen – Sonderpublikation 3. Luzern.

Le Boterf, G. (2000). Construire les compétences individuelles et collectives. Paris: Editions d’ Organisation.

Mertens, D. (1974). Schlüsselqualifikationen: Thesen zur Schulung für eine moderne Gesellschaft, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 7, Nürnberg, S. 36–43.

Messner, H./Reusser, K. (2000). Die berufliche Entwicklung von Lehrpersonen als lebenslanger Prozess, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 2/2000, S. 157–191.

Messner, H. /Reusser, K. (2000). Berufliches Lernen als lebenslanger Prozess, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 3/2000, S. 277–294.

Meyer-Drawe, K. (2003). Lernen als Erfahrung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Jg. 6, H. 4, S. 505–514.

Mielke, R. (2001). Psychologie des Lernens. Eine Einführung. Stuttgart u.a.: Kohlhammer.

Oelkers, J. (1996). Die Konjunktur von «Schlüsselqualifikationen», in: Gonon, Ph. (Hrsg.): Schlüsselqualifikationen kontrovers. Aarau: Sauerländer.

Oelkers, J. (1997). Effizienz und Evaluation in der Lehrerausbildung, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 1/1997.

Oelkers, J. (2000). Perspektiven der Lehrerbildung: das Problem des Ausbildungswissens, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 1/2000, S. 80–82.

Oelkers, J./Oser, F. (2000). Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme in der Schweiz, Umsetzungsbericht Nationales Forschungsprogramm 33, Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung. Bern/Aarau.

Oser, F. (2000). Emergency room Schule: Erschwerende Rahmenbedingungen pädagogischer Professionalität, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 1/2000, S. 82–84.

Oser, F. (1997). Standards in der Lehrerbildung Teil 2, in: -Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 2/1997, S. 210–228. Auch als E-Artikel: https://www.pedocs.de/volltexte/2017/13358/pdf/BZL_1997_2_210_228.pdf.

Polt, G. (2000). «Bildung», aus: Und wer zahlt`s? Kein & Aber-Records (CD), Zürich

Reinmann-Rothmeier G./Mandl H. (2001). Unterrichten und Lernumgebungen gestalten. In: Krapp A./Weidenmann, B. (Hrsg.). Pädagogische Psychologie. Basel/Weinheim: Beltz.

Renold, U. (2001). Lernumgebungsbedingungen für den erfolgreichen Umgang mit schwierigen Gruppensituationen, in: GdWZ Grundlagen der Weiterbildung 4/2001, Neuwied/Kriftel/Berlin.

Richter, Ch. (1995). Schlüsselqualifikationen. Alling: Sandmann.

Schräder-Naef, R. (1997). Warum Erwachsene (nicht) lernen. Chur/Zürich: Rüegger.

Senge, P. M. (2017). Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation (11. Auflage). Stuttgart: Schäffer Poeschel.

Sennett, R. (2000). Der flexible Mensch – die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin: Verlag Taschenbuch.

Siebert, H. (2012). Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Didaktik aus konstruktivistischer Sicht (7. Auflage). Neuwied/Kriftel: Verlag Ziel.

Siebert, H. (2011). Lernen und Bildung Erwachsener (2. Auflage). Bielefeld: Bertelsmann.

Spitzer, M. (2003). Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg: Spektrum.

Strauch, A. et al. (2009). Kompetenzerfassung in der Weiterbildung. Bielefeld: Bertelsmann.

Terhart, E. (1998). Lehrerberuf: Arbeitsplatz, Biographie, Profession, in: Altrichter, N. et al. (Hrsg.): Handbuch zur Schulentwicklung. Innsbruck: Studienverlag.

Thomann, G. (1998). Haben Sie heute schon gelernt?, in: Schweizer Schule 6/1998.

Thomann, G. (2011). Produktives Scheitern im Führungsalltag, in: Buchen, H./Horster, L./Rolff, H.-G.: Schulleitung und Schulentwicklung 53. Stuttgart: Raabe.

Thomann, G. (2008). Produktives Scheitern - Wie Führungskräfte und Systemberaterinnen und –berater in Bildungsorganisationen Komplexität bewältigen. Bern: hep.

Thomann, G./Wehner, T./Clases, Ch. (2016). Scheitern in der Führung. In: Kunert, S. (Hrsg.): Failure Management – Ursachen und Folgen des Scheiterns. Heidelberg: Springer Gabler.

Thomann, G. (2013). Ausbildung der Ausbildenden (4. Auflage). Bern: hep.

Thomann, G. (2017). Kompetenzorientierung und Bildung auf Tertiärstufe. In: Case Management 4/2017.

Tietgens, H. (1992). Reflexionen zur Erwachsenendidaktik. Klinikhardt: Bad Heilbrunn.

Tillman, K.-J. (2017). Sozialisationstheorien. Eine Einführung in den Zusammenhang von Gesellschaft, Institution und Subjektwerdung (2. Auflage). Hamburg: Rowohlt.

Ungaretti, G. (1961). Gedichte. Übersetzung von Ingeborg Bachmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Wahl, D. (2001). Nachhaltige Wege vom Wissen zum Handeln, in: Beiträge zur Lehrerbildung BzL, Bern 2/2001, S. 157–174.

Wahl, D. (1991). Handeln unter Druck: der weite Weg vom Wissen zum Handeln bei Lehrern, Hochschullehrern und Erwachsenenbildnern. Basel/Weinheim: Beltz.

Weidenmann B. (Hrsg.) (2001). Pädagogische Psychologie (4. Auflage). Weinheim: Beltz.

Weinert, F.E. et al. (1990). Unterrichtsexpertise – ein Konzept zur Verringerung der Kluft zwischen zwei theoretischen Paradigmen, in: Alisch, L.-M.: Professionswissen und Professionalisierung, Braunschweiger Studien zur Erziehungs- und Sozialarbeitswissenschaft Band 28. Braunschweig.

Zahlmann, St./Scholz, S. (2005). Scheitern und Biografie. Giessen: Psychosozial-Verlag.

Zschirnt, Ch. (2005). Keine Sorge, wird schon schief gehen – Von der Erfahrung des Scheiterns und der Kunst, damit umzugehen. München: Goldmann Verlag.

•Zu NQR der Hochschulen: http://www.swissuniversities.ch/de/hochschulraum/qualifikationsrahmen/

•Zu NQR Berufsbildung: https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/mobilitaet/nqr.html

Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage)

Подняться наверх