Читать книгу Einfache Geschichten von einfachen Leuten - Gerlinde Roth - Страница 3

Ein Tag wie die anderen

Оглавление

Es ist sehr früh am Morgen als der Wecker klingelt.

Er hört die vertrauten Geräusche aus der Küche- seine Frau richtet das Frühstück für ihn und die Kinder.

Jetzt füllt sie den Kaffee in die Thermoskanne, sie richtet die Brote, das hört er an dem Knistern der Tüten. Er steht auf, obwohl er eigentlich noch schlafen möchte.

Er geht ins Badezimmer. Seine Morgentoilette ist schnell erledigt, rasieren, Zähne, Wasser ins Gesicht und an den Körper, kämmen.

Eine Dusche sollte man hier haben, denkt er. So eine wie in der Firma. Abends nach der Arbeit ist es eine Wohltat dort duschen zu können- besonders jetzt um diese Jahreszeit.

Er weiss, das wird wieder so ein Tag wie jeder: drüben in der Küche wartet seine Frau mit dem Kaffee. Auf ein kleines Schwätzchen sitzen sie zusammen, dann muss er fort.

In seiner alten Ledertasche hat sie seine Brote verstaut, zusammen mit einer Thermoskanne voll Kaffe und 2 grossen Flaschen Wasser, weil es jetzt Sommer ist, da muss man mehr trinken, das wissen sie beide.

Immer das Gleiche, denkt er, tagein-tagaus das Gleiche. Aufstehen - Badezimmer- Kaffeetrinken mit der Frau- mit dem Bus zur Arbeit.

Er hat kein Auto, denn die Arbeit wird nicht gut genug bezahlt.

Gut genug zum Essen kaufen, für eine kleine Wohnung in der er mit Frau und Kindern wohnen kann und leben kann, auch um Abends ein Bier in der Eckkneipe zu trinken ist das Geld genug- aber nicht für ein Auto.

Seine Arbeit ist ein Knochenjob- er steht hinten auf dem Müllauto:

Aufsteigen- ein paar Meter fahren- abspringen- Mülltonnen herbeiholen- routiniert einsetzen- hochhieven- abkippen- die Tonne wieder auf die Seite stellen- wieder aufspringen- ein paar Meter fahren- wieder abspringen....... den ganzen Tag.

Am Abend in der Firma duschen, dann nach Hause, Abendbrot mit der Familie essen, danach ein kleines Stündchen in der Eckkneipe, anschliessend schlafen.

Jetzt im Sommer haben sie bei der Arbeit immer die gleiche Tour: Hochhausviertel, Villenviertel, Campingplatz.

Wie immer so ist es auch heute. Im Hochhausviertel eilen noch müde wirkende Männer mit gehetztem Blick,einer Tasche unter dem Arm, deren Dickbäuchigkeit anzeigt, dass sie auch ein Frühstück dabei haben.

Die Mütter mit ihren Kindern stehen plaudernd am Rasenrand. Sie bewegen sich in kleinen Grüppchen. Müssig, langsam vorwärts.

Gleich werden sie mit den Kindern in den Kindergarten, oder zur Schule eilen, zurückgehen, noch ein wenig plaudern.

Dann werden sie in den Häusern verschwinden, ihrer täglichen Arbeit nachgehen, und erst wieder herauskommen, wenn sie einkaufen gehen, oder die Kinder wieder abholen.

*

Im Villenviertel geht es ruhiger zu. Nur hin und wieder sieht man ein grosses vorbeifahrendes Auto.

Gelegentlich sieht man auch eine alte Frau, längst verwelkt und lächerlich in dem Versuch, sich jugendlich zu zeigen.

Aber man ist ja höflich. Manchesmal gibt es dafür, dass man stehen bleibt und ihr zuhört, ein Trinkgeld. Meist jedoch gibt es für jeden ein Bier.

*

Zuletzt geht es zum Campingplatz. Ausgerechnet zuletzt, wenn man schon müde ist und gerne eine leichtere Tour hätte, der Campingplatz.

Gross wie ein ganzes Dorf mit seinen vielen Müllnischen. Die grossen Tonnen übervoll, und vieles liegt daneben. Mehr Arbeit als sonst irgendwo, und unangenehm dazu.

Heute stehen ein paar Kinder gleich bei der ersten Tonnennische direkt seitlich des Eingangsbüros.

'Herausgeputzt' denkt er, sollen diese geschniegelten Kinder anderswo herumstehen, nicht hier wo er arbeiten muss. Das stört ihn.

Die Kinder stehen ihm nicht im Weg, aber irgendwie verärgern sie ihn- warum? Er weiss es nicht.

Er springt ab vom LKW, geht zur mannshoch auszementierten Tonnennische, die vorne offen ist.

Tonne festhalten, leichter Kick unten, die Bremse ist gelöst. Die Tonne ankippen, zum Laster rollen, einrasten. Das Anheben und Abkippen erledigt die Automatik.

Die geschniegelten Kinder stehen noch immer herum. Einer sagte etwas in einer fremden Sprache. Jetzt starren ihn die Kinder alle an, folgen ihm mit ihren Augen.

'Blöde Bande, ob die wohl mein schmutziges Hemd stört?'

Er holt die anderen Tonnen heran, leert sie. Nach der letzten Tonne springt er auf das hintere Standbrett, hält sich dabei mit einer Hand fest.

Ein schriller Pfiff durch die Zähne, der Fahrer fährt an. Langsam im Schrittempo geht es zur nächsten Nische.

Die Kinder folgen dem Wagen, ebenso langsam, in sicherem Abstand - irgendetwas aufgeregt schnatternd.

In dieser fremden Sprache hört sich das für ihn an, als würden sie gurgeln oder heftig streiten.

Nach jeder Nische wird der Kreis derer grösser die dem Müllwagen folgen.

Bei jeder Nische werden die Kinder ruhiger und starren den Mann an.

Er beginnt sich zu wundern:

Warum sehen dies Kinder ihm heute zu- warum folgen sie dem Müllauto - warum werden es immer mehr Kinder die ihn ansehen?

Ihm wird etwas unbehaglich zumute.

Fast ist er fertig mit seiner Arbeit, von einer der Zementboxen zu der anderen sind die Kinder dem Müllauto gefolgt. Er versteht nicht warum.

Nur noch zwei dieser Boxen sind anzufahren, als er sich umdreht. Er entdeckt zwei, drei der grösseren Jungen, die in der gerade fertig geleerte Zementbox stehen. Direkt an den Containern. Sie versuchen, die Bremsen aufzukicken und die Tonnen zu bewegen.

Langsam, sehr langsam beginnt er zu begreifen.

Die Kinder, sie haben nicht das alte verschmutzte, schweissverschmierte Hemd gesehen, sie haben nur gesehen, wie geschickt er mit den schweren Tonnen umgeht.

Die Kinder bewundern ihn.

Er strafft seine Schultern, lässt seine Bizeps spielen, geht mit beschwingten Schritten wieder an die Arbeit.

'Sind doch ganz nette Kinder', denkt er.

*

Sie sind fertig mit der Arbeit, haben in der Deponie den Laster entladen. Auf dem Weg zum Bauhof- Depot, wo die Laster über Nacht stehen, kommen sie an einem Kiosk vorbei.

"Halt mal an," sagt er zum Fahrer," ich will was Süsses für die Kinder kaufen" Er holt zwei Tüten voll Bonbons, eine für die Kinder zu Hause, eine wird er morgen am Campingplatz verteilen.

Am Abend steht er zu Hause vor dem Spiegel des Waschbeckens um sich zu kämmen.

Seine Frau steckt den Kopf zur Badezimmertür herein. "Möchtest du jetzt oder später wenn du wiederkommst essen?" fragt sie ihn.

Im Spiegel sieht er ihr Gesicht.

Ihre Augen haben den gleichen Blick wie die Kinder auf dem Campingplatz. "Sie bewundert mich noch immer, genau wie früher," denkt er. Er scheint zu wachsen.

"Jetzt möcht ich gar nichts mehr essen," antwortet er," aber die Kinder sollen sich waschen, und Du, zieh einen guten Rock an. Wo heute das Wetter so schön ist, gehen wir ein bisschen in den Park ein Eis essen."

Bewunderte Vorbilder denken eben anders.



Einfache Geschichten von einfachen Leuten

Подняться наверх