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Mundfaul

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Sie waren eine grosse Familie - 6 Kinder und die Eltern.

"Grosse Familie, kleine Einnahmen," frozzelte die Mutter, die in dem kleinen Häuschen, das sie von ihren Eltern geerbt hatte, einen kleinen Raum als Büro eingerichtet hatte, von dem aus sie ein Geschäft betrieb.

Den Aussendienst erledigte der Vater.

"Wenn ich hier im Büro arbeite, kann ich nebenher noch den Haushalt machen," meint die Mutter, aber jeder wusste, dass es ohne Büro keinen Aussendienst gegeben hätte.

Das Abliefern der Waren mit dem Mercedes nahm viel Zeit in Anspruch, denn so ein kleines Schwätzchen mit den Kunden war geschäftsfördernd.

" Euer Vater macht seine Sache wirklich gut. Früher, bevor ich ihn kannte, hatte ich oft Probleme mit den Mitarbeitern im Aussendienst, aber Euer Vater macht das viel besser. Vater ist auf jeden Fall seinen Lohn wert!" erklärte die Mutter.

"Hauptsache, das Geschäft ernährt uns!" antwortete der Vater, die Mutter stimmte ihm zu.

Nun waren die Kinder fast erwachsen und aus dem Haus. Nur der jüngste war noch da. Er würde im nächsten Herbst als letzter das Haus verlassen, um an einer grossen Universität zu studieren.

*

Auch mit dem Geschäft schien es nicht mehr so gut zu gehen. Oft hörte der Sohn den Vater zur Mutter sagen, dass sie noch ein paar Tage warten müsse, bis sie das Geld zur Bank bringen könne. Dabei war er auch viel öfter unterwegs.

Der Sohn entschloss sich etwas zum Finanziellen beizutragen. Er suchte sich einen Aushilfsjob.

*

Einen Handwerker, der eigentlich einen Lehrling suchte, fragte der Junge, ob er bei ihm arbeiten könne, bis er sein Studium beginnen könne, oder der Mann einen Lehrling gefunden hatte.

Der Handwerker gab ihm einen Zeitvertrag bis zum Schuljahresende. Das war genau das, was dem Jungen vorgeschwebt hatte.

So begann er in der Werkstatt, in der auch schon ein Geselle arbeitete.

Mit diesem Gesellen, kaum 5 Jahre älter als er, war er schnell warm geworden. Des öfteren gingen sie eine Zigarette rauchen, draussen im Garten. Ganz hinten am Gartenzaun, der an der Parallelstrasse entlang führte, standen sie oft zusammen, plauderten und rauchten

Noch war die erste Woche nicht vorbei, schon klagte der Geselle ihm sein Leid: Er war unglücklich, sehr unglücklich, denn seine Verlobte hatte ihn verlassen.

"Wegen so einem alten Sack, grosse Karre, und immer mal ein Scheinchen für die liebe Carina!" giftete er," Ganz einfach so ist die ab, hing an dem, obwohl ich da war. Einfach so mir-nix-dir-nix: Auf wiedersehn und ist nix mehr. Das allerschlimmste ist aber, ich seh' sie jeden Tag!" er zog heftig an seiner Zigarette," IMMER wenn ich hier stehe und rauche sehe ich das Haus, indem sie wohnt! "

Er zeigte auf das Haus gegenüber. "Da seh' ich den alten Sack rein und rausgehen, und sie stolziert herum wie die Frau Gräfin."

Wütend warf er die Zigarette auf den Boden, und trat sie aus. Sie machten sich auf den Weg zur Werkstatt zurück

" 's ist ja schon blöd, denk mal der Kerl fährt den grossen Schlitten mit dem Vorfahrtszeichen. Dazu gibt er ihr jede Woche ein paar Scheinchen, und ich arbeite mir hier ' nen Wolf an, und kann mir gerade mal ein kleines Autochen leisten. So ein alter Sack sollte..!" der Rest des Satzes blieb ungesagt, denn sie waren an der Werkstatt angekommen.

*

Noch nicht eine Woche später, während sie sich rauchend über die Ausführung der derzeitigen anspruchsvollen Arbeit unterhielten, unterbrach der Geselle plötzlich seinen Redefluss.

Dunkelrot lief er an, und zischte wutentbrannt "Da kommt er wieder der alte Sack, am liebsten würde ich.......! er verschluckte den Rest.

Eher gelangweilt dreht der Junge sich um, dreht sich wieder zurück, legt die Hand auf die Schulter des anderen.

" Besser nicht," sagt er mit seiner ruhigen Stimme. Er hält ihm seine Zigarettenpackung hin,

"Komm rauch noch eine, damit du wieder auf normal kommst!" fordert er den Gesellen auf. Kurze Zeit später gehen sie einträchtig zur Werkstatt zurück.

"Was war denn dahinten," fragt der Meister ihn," ihr ward heute ziemlich lange am Rauchen ."

"War nötig," nuschelt der Junge mundfaul.

Der Meister sieht ihn fragend an, so, dass der Junge sich genötigt sieht eine Erklärung nachzuliefern.

"Der alte Sack war drüben an der Tür, da haben wir noch 'ne zweite geraucht." Ah, ja," antwortet der Meister," jaja, ist besser so, als wenn er bei der Arbeit Fehler macht."

Er öffnet die Tür zum Büro, wo seine Frau am Computer sitzt. Sorgfältig verschliesst er die Tür. Als sie eingerastet ist, spricht er seine Frau an

"Der Junge hat eben etwas erklärt- mit einem ganzen vollständigen Satz.

"Waaaas- er kann sprechen?" fragt sie. Sie lachen beide, wie schon so oft, wenn sie sich über die Mundfaulheit ihres Helfers amüsiert haben.

*

Am Abend sitzt der Junge mit seinen Eltern beim Essen. In die Ruhe hinein beginnt er zu sprechen, so plötzlich, so unerwartet, dass die Eltern ihn erstaunt ansehen.

"Also heute ist was passiert bei uns. Wir, der Holger und ich, wir müssen ja zum Rauchen immer in den Garten, hinten an der Grundstücksmauer, die an der Mauerstrasse hinten an der Stadtmauer entlang führt.

Da hinten fast genau gegenüber vom Garten, wohnt die ehemalige Verlobte vom Holger. Die hat jetzt einen anderen, den der Holger 'den alten Sack ' nennt. Wenn der Holger den sieht, rastet er aus. Den hab ich heute auch gesehen - ganz genau."

Er nimmt sein Glas, trinkt den letzten Schluck, giesst sich das Glas wieder voll, dann nimmt er einen Bissen Fleisch auf die Gabel, führt sie zum Mund und kaut genüsslich.

"Kennen wir den? "fragt die Mutter.

"Ich kenn ihn, ganz genau kenne ich ihn," er macht eine lange, effektvolle Pause," ist der Vater von einem der mit mir in der Schule war, der Vater vom Dennis !"

"Vom Dennis?" wieder ist es die Mutter die fragt," von dem Dennis, der beim Meyer unten Elektriker gelernt hat?"

"Nee, nicht der. Der den ich meine war mit mir auf der Fachober. Sein Vater arbeitet bei sich selber. Eigentlich ist das wie bei uns. Da gehört alles der Mutter, das Haus, das Geschäft, die Autos- eben alles. Der Vater hat dort jeden Monat seinen Lohn von der Firma, wie jeder andere.!"

"Die arme Frau", die Mutter hat echtes Mitgefühl in der Stimme," das ist ja schlimm, so hintergangen zu werden."

" Ich frage mich, was Dennis seine Mutter wohl macht, wenn sie davon erfährt? " kaut der Junge zwischen zwei Gabeln voll Nudeln heraus.

Er nimmt erneut eine Gabel voll, bevor er sie zum Mund führt wendet er sich an seine Mutter: " Was würdest Du denn machen?" er führt die Gabel in den Mund und kaut seelenruhig weiter.

"Iiiiich?" die Mutter denkt nicht lange nach,"Ich würde deinem Vater den Koffer vor die Türe stellen, die Scheckkarte sperren lassen, seinen letzten Lohn auszahlen, das Auto abnehmen, und jemanden einstellen, der seine Arbeit übernimmt - danach sollte er mal sehen wie's für ihn weiter geht," wie aus der Pistole geschossen kam es kühl und entschlossen aus ihrem Mund.

Dann setzt sie fast wütend hinzu: "Illoyalität ist mir zutiefst zuwider."

"Das glaub ich als erstes noch." platzt es aus dem Vater heraus.

Der Sohn sagt nichts mehr.

Er isst fertig, dann hilft er der Mutter beim Einräumen der Spülmaschine..

Er geht auf sein Zimmer. Man hört das Wummern eines Schlagzeuges, den schrillen Sound einer Guitarre- Wie jeden Abend übt er Guitarre zum Playback eines Schlagzeuges.

Die Eltern gehen gemeinsam ins Wohnzimmer, sehen die Nachrichten. Sie schalten das Programm um, um einen Krimi zu sehen.

"Sonderbar," stellt die Mutter plötzlich gedankenvoll fest," warum der Junge das wohl gesagt hat?" "Na vielleicht wollte er wissen, wie wir darüber denken, bevor er es seinem Schulfreund sagt," vermutete der Vater.

Die Kennmelodie des Krimis lief an und beide verstummten um den Anfang des Krimis nicht zu verpassen.

*Die Tage plätscherten dahin. Eins-zwei Wochen vergehen. Holger hat immer weniger Grund sich aufzuregen, wenn er mit dem Jungen am Rauchen ist.

Jetzt erzählt er von seiner neuen Bekannten.

Anja heisst sie, sie ist Friseurin. Sehr nett ist sie, hat 'nen kleinen Sohn. Sie wohnt jetzt wieder bei ihren Eltern, weil die Mutter auf den Kleinen aufpasst, während Anja arbeitet. Das ist einfacher, dass sie wieder dort eingezogen ist.

"Augen hat sie .....- grün, so richtig grün, grün wie---"er überlegt,"--- eben ein Grün, das man nicht beschreiben kann."

Nächstes Wochenende, so vertraut er dem Jungen an, will er sehen, ob Anja mit zu ihm nach Hause kommt.

*

Montag. Holger kommt gut gelaunt und pfeifend zur Arbeit. " Alles gebongt" erklärt er kurz.

In der Zigarettenpause erzählt er, dass Anja diesmal am Eingang vor der Disco auf ihn gewartet hat, weil sie gedacht hat, dass man sich in so einer vollen Disco ja doch übersehen kann.

Als er dann da war sind sie reingegangen, haben sofort getanzt. In der Pause sind sie zusammen an die Bar gegangen.

Da stand plötzlich seine ehemalige Verlobte hinter ihm. Die hatte üüüüüüüüüüberhaupt nicht gecheckt, dass er nicht alleine war, dass Anja bei ihm war.

Carina fing gleich an zu erzählen: Sie hätte mit dem alten Sack Schluss gemacht, denn der hätte es überhaupt nicht gebracht. Anzüglich hätte sie gelacht, dann erklärt: In keiner Sache hätte er etwas gebracht.

Dann hatte sie versucht, ihn, Holger, zu umarmen.

Aber, jetzt klang die Stimme von Holger begeistert, Anja hatte die Situation fabelhaft gemeistert, sie hat super reagiert, hat einfach ihre Hand in die Hand Holgers geschoben und gesagt:" Holger und ich wollten gerade tanzen, unsere Lieblingssong- Du verstehst das sicher."

Beim Tanzen hatte sie sich ganz eng an ihn gedrückt, dass ihm ganz heiss wurde " Du verstehst schon, was ich meine, " ist Holger sich sicher.

Irgendwann am Abend hat Anja ihn dann gefragt, woher er Carina kennt. Er hat es ihr erzählt.

"Von wegen, 'sie hat Schluss gemacht'," empörte sich Anja, "letztes Wochenende kam sie morgens um 3 Hackezu: Hat grosse Reden gehalten über die alten Kerle, die meinen sie könnten jede haben. Derweilen hat sie eine Runde nach der anderen geschmissen, und dann so 'nen klebrigen Pomadenjüngling abgeschleppt, der mit Goldkette und Goldringen behängt war."

"Carina ist bei mir endgültig abgehakt," stellte Holger klar.

Als er dann Anja nach Hause gefahren hatte, hat die ihn noch auf einen Kaffe hereingebeten. Irgendwie sass dann Anjas Mutter dabei, dann kam der Vater dazu, zuletzt, ganz verschlafen, der kleine Sohn im Micky-Maus- Schlafanzug.

"Das ist 'ne richtig nette Familie, nicht angeben und mehr sein wollen, nicht den Kopf ganz oben, ganz einfache Leute wie wir, irgendwie bodenständig unkompliziert und anständig."

Anja hat ihn dann mit auf ihr Zimmer genommen, keiner hat da etwas gesagt, nicht gleich, auch nicht am nächsten morgen beim Frühstück.

Nur der Vater hat da etwas von Langschläfer gewitzelt. Er war zum Mittagessen geblieben. Danach hat er mit dem Vater von Anja und dem Kleinen einen Spaziergang gemacht, während Anja und die Mutter die Küchenarbeiten fertig machten.

"Lief alles besser als ich dachte," schloss er.

Das Gesprächsklima beim Rauchen hinten im Garten war jetzt wesentlich besser geworden. Holger warf keine Blicke mehr zu Carinas Haus, nur wenn man von drüben überlaute Zankereien hörte, grinste er breit.

Einmal, als man nicht nur hörte dass es Zank gab, sondern die Schimpfworte die sie schrie deutlich hörte, zuckte Holger mit der Schulter "Gott-sei-Dank geht mich das nichts mehr an- Anja hat da ein ganz anderes Temperament."

Anja holte Holger gelegentlich ab, der kleine Sohn war das eine oder andere Mal auch dabei. Dann gingen sie zusammen Eis essen.

Oft luden sie auch den Jungen mit ein, wenn er auf seinen Bus warten musste, so dass der sehen konnte, dass Holger mit seinen Erzählungen recht hatte, Anja hatte ein anderes Temperament, beide Anja und Holger waren von beeindruckend ruhiger Natur.

Die Zeit verging wie im Fluge. .Der Arbeitsvertrag des Jungen lief aus.

"Trifft sich gut." sagte die Mutter," Da kannst Du jetzt bei Vater mitfahren, damit Du einen Überblick bekommst, wie Deine Geschwister das auch getan haben!"

Ausserdem konnte der Vater Hilfe gebrauchen, das Geschäft hatte sich erholt, die Einkünfte flossen wieder ,so, dass die Mutter jetzt wieder regelmässig Geld zur Bank bringen konnte.

So arbeitete der Vater den Sohn in den Aussendienst der Firma ein, bis der Herbst kam, und mit diesem der Studienbeginn des Sohnes.

Am letzten Tag vor der Abfahrt in die Universitätsstadt hielt der Vater auf dem Weg nach Hause vor einem Blumenladen

" Du solltest Mutter einen Blumenstrauss mit bringen, als ein Danke-schön für alles und zum Abschied." Der Junge kaufte einen Strauss aus Mutters Lieblingsblumen : Rittersporn und Margeriten. Auf die Karte schrieb er : "Danke für alles" und unterzeichnete.

"Du schreibst, wie Du sprichst, nur das Nötigste" stellte der Vater fest.

Er liess den Motor an, wandte sich dann an seinen Sohn:"Was ich Dir schon lange sagen wollte, Danke für Deine Diskretion- Du hast mich aus einem schwerwiegenden Irrtum befreit!"

Lange schwieg der Sohn, sie waren fast schon zu Hause, als er antwortete: "War ja in erster Linie für Mutter !"

"Das dachte ich mir schon, aber Du solltest wissen, dass ich zu schätzen weiss, wie Du mir auf die Sprünge geholfen hast."

*

Zu Hause wartete die Mutter mit einem Büffet mit allen Lieblingsspeisen des Jungen "Abschiedsessen," sagt sie. Man merkt ihr an, dass ihr wehmütig zumute ist.

"Gut, dass ich nicht mehr gesagt habe, damals," denkt der Junge als er ein letztes Mal sein Zimmer aufräumt, die letzten Sachen in seinen Rucksack packt.

Seine Wertkassette schiebt er in die untere Schublade der Kommode ganz hinten hinein. Keiner sollte den Brief finden, den er am Tage nach dem denkwürdigen Tag erhalten hatte. Die Bank der Mutter hatte ihm mitgeteilt, dass er ab sofort ein Vollmacht über alle Konten der Mutter habe, und dass jeder nur an Geld kam, wenn er mitunterzeichnete.

" Mutter hat schon länger etwas geahnt, und hat alles vorbereitet. Vater war sich wohl klar, dass sie Ernst machen würde, wenn ihr etwas konkretes zu Ohren käme," überlegte er vor dem Einschlafen," wie gut, dass ich da eingegriffen habe." Mit diesem Gedanken schläft er ein.


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