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KAPITEL 2

ÖSTERREICH

SEX-SKANDALE AM LAUFENDEN BAND

Insgesamt rund 2.700 Missbrauchsfälle3 deckte die „Stiftung Opferschutz4“ bis Ende 2021 in der römisch/katholischen-Kirche der Alpenrepublik auf. 10 Jahre zuvor waren es 909 bekanntgewordene Taten, die im Rahmen der unabhängigen „Klasnic-Kommission5“ festgestellt worden sind. Drei Viertel der Opfer von sexuellem Missbrauch waren männlichen Geschlechts.

Jahrzehntelang wurde „kirchlicher“ Missbrauch in Österreich nur aufgrund einzelner Skandale thematisiert. Markant etwa der Fall eines Priesters, der ab 1954 dreimal wegen sexueller Übergriffe und Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Und zwar in der Steiermark zu acht Monaten schweren Kerkers, vier Jahre darauf zu einem Jahr verschärften schweren Kerker. Im Jahre 1960 gab es nach sexuellen Handlungen in der Schweiz weitere 14 Monate Haft.

1995 erklärte der Wiener Erzbischof Hans Hermann Groër wegen Missbrauchsvorwürfen seinen Rücktritt. Mehrere Jugendliche bezichtigten ihn des sexuellen Missbrauchs.

Erst 3 (!) Jahre später, also 1998, wurden die Vorwürfe seitens der Kirche als „zutreffend“ bestätigt6.

Kurz nach Beginn der Affäre Groër unterzeichneten 500.000 Personen ein Kirchenvolks-Begehren mit dem Auftrag einer „grundlegenden Erneuerung der Kirche Jesu“ sowie eine Reihe von Reformmaßnahmen. Aus dieser Bewegung heraus gründete sich die Initiative „Wir sind Kirche“.

Dem St. Pöltener Bischof Kurt Krenn wurde 2004 ein Skandal am Priesterseminar seines Bistums zum Verhängnis. Auf dem Computer eines 27-jährigen Priesterschülers wurden nämlich zahlreiche kinderpornographische Darstellungen entdeckt7.

Der Übeltäter bekam eine sechsmonatige Bewährungsstrafe, der Seminar verantwortliche Bischof Krenn lehnte zunächst einen Rücktritt kategorisch ab.

Ende September 2004 wurde der öffentliche Druck jedoch so groß, dass Krenn „seinen Hut“ nahm und zurücktrat.

Nach dem Anfang 2010 umfangreiche Erhebungen bezüglich „kirchlichen Missbrauchs“ in Deutschland Fahrt aufnahmen und für internationale Skandal-Schlagzeilen sorgten, begann es wenig später auch in der Alpenrepublik zu brodeln. Am 15. Februar berichteten plötzlich kirchliche Ombudsstellen über rund 15 sexuelle Missbrauchsfälle jährlich.

Dieser Schritt an die Öffentlichkeit setzte eine dramatische Kettenreaktion in Gang. Immer mehr Missbrauchs-Opfer von „Geistlichen“ trauten sich nunmehr über ihre traumatischen Erlebnisse zu reden8. So packte etwa Ende Februar ein Steirer aus, der über schwere sexuelle Übergriffe in seiner Kindheit berichtete. Täter: ein Benediktiner-Pater.

Am 8. März 2010 bot der beschuldigte Pater seinen Rücktritt an, der am nächsten Tag vom Vorsitzenden der Benediktinerklöster in Österreich angenommen worden ist. Kein Wunder, denn der Beschuldigte gestand, 1969 während eines Radausfluges zum Untersberg den damals 13-jährigen Buben missbraucht zu haben.

Zum großen Erstaunen behauptete dasselbe Opfer während eines Interviews, Ende der 1960er Jahre, im selben Kloster, von zwei weiteren „Gottesdienern“ missbraucht worden zu sein. Wie sich herausstellte9, handelte es sich bei den Tätern um zwei Patres, die1974 bzw. 1975 aus dem Stift ausgeschieden sind10.

Im Jahr 2005 wurden diese beiden Priester als Sextouristen in Marokko festgenommen, einer von ihnen wurde wegen schweren Missbrauchs an minderjährigen Marokkanern rechtskräftig verurteilt.

Step by step fassten immer mehr Opfer Mut und brachen ihr oft jahrelanges Schweigen. So meldeten sich 45 Opfer11 des Stiftgymnasiums Kremsmünster und berichteten über ihr sexuelles Martyrium durch Patres im Zeitraum von 1970 bis 1990. In dieser Causa wurde gegen acht weitere Personen, darunter drei weltliche Lehrer, ermittelt, und zwar wegen körperlicher und seelischer „Grausamkeit“.

Zehn eingeleitete Verfahren mussten von der Staatsanwaltschaft, teils wegen Verjährung, eingestellt werden.

Im elften Fall jedoch sprach 2013 das Landesgericht Steyr eine 12-jährige Haftstrafe12 für den früheren Konviktsdirektor des Stiftes Kremsmünster aus, unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen. Der Benediktiner-Pater hatte gestanden, in den Jahren 1973 bis 1993 an insgesamt 24 Zöglingen Misshandlungen begangen zu haben.

Zum ungläubigen Kopfschütteln neigt man über die Vorgangsweise von Vatikan13 und der Diözese Graz-Seckau. Diesen Stellen wurde in einem Zeitungsbericht vom 16. März 2010 vorgeworfen, den mehrfachen Missbrauch durch einen Pfarrer vertuscht zu haben.

Der „Geistliche“, der in den 80er Jahren mehr als ein Dutzend Kinder und Jugendliche missbraucht haben soll, wurde nämlich, nach nur einjährigem „Zwangsurlaub“, vom zuständigen Bischof wieder „aktiviert“ und an einen anderen Ort versetzt.

Es kam, wie es kommen musste. Gerade einmal 3 Jahre nach den ersten Ermittlungen, die wegen Verjährung und Beweismangel eingestellt werden mussten, gab es neue Verdächtigungen. Der Pfarrer soll im Minimum 13 Jungen im Alter von 5 bis 18 Jahren mehrfach und zum Teil schwer sexuell missbraucht haben.

Das eingeleitete strafrechtliche Verfahren musste jedoch abermals wegen Verjährung eingestellt werden.

Durch öffentliche Interventionen mehrerer Opfer wurde dieser Fall vom neuen Bischof Egon Kapellari wieder aufgenommen, der den Beschuldigten vom Dienst frei stellte und mit Gutierung der römischen Glaubenskongregation, das erste Kirchengerichtsverfahren wegen Missbrauchs in Österreich einleitete. In diesem Prozess wurde der Pfarrer schuldig gesprochen.

In einem ersten Zwischenbericht über den Missbrauchs-Skandal in der römisch/katholischen Kirche Österreichs sprach Kardinal Schönborn am 25. März 2011 von insgesamt 499 mutmaßlichen Opfern14.

Bei rund 50 Prozent der Taten handelt es sich um sexuelle Übergriffe, bei einem Drittel um Gewalt. In 125 Fällen kam es zur Anzeigeerstattung. Mehr als die Hälfte der Fälle geschahen vor 1970, 42 Prozent fielen in den Zeitraum 1971 bis 1992.

Mit Stand 31.12.2021 veröffentlichte die „Stiftung Opferschutz15“ nachfolgende Fakten und Zahlen: Seit 2010 hat die unabhängige Opferschutzkommission in 2.642 Fällen zugunsten von Betroffenen entschieden.

Bei 29 % aller Vorfälle handelte es sich um sexuellen Missbrauch. Bei allen anderen Vorfällen ging es um Formen von körperlicher bzw. psychischer Gewalt.

86 Fälle sind derzeit noch in Bearbeitung, in 289 Fällen wurden weder finanzielle Hilfe noch Therapie zuerkannt. Die Kirche hat alle Entscheidungen der „Klasnic-Kommission“ akzeptiert und umgesetzt.

Den Betroffenen wurden bisher in Summe 33,6 Mio. Euro zuerkannt, davon 26,6 Mio. Euro als Finanzhilfen und 7 Mio. Euro für Therapien.

Die meisten Vorfälle sind rechtlich verjährt und haben sich hauptsächlich in den 1960er- und 1970er-Jahren ereignet (0,3 % der Fälle sind noch nicht zeitlich zugeordnet).

51,1 % der Fälle sind vor 1970 geschehen, 32,4 % in den 1970er-Jahren, 10,7 % in den 1980er-Jahren, 4,1 % in den 1990er-Jahren und 1,4 % seit 2000.

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