Читать книгу Reisen Band 1 - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 1
ОглавлениеGesammelte Schriften
Friedrich Gerstäcker
Reisen
Band 1: Südamerika, Californien, die Südsee-Inseln
Volks- und Familien-Ausgabe Band Fünf
der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V.
Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und
die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar
Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
Alle Rechte vorbehalten. © 2015 / 2020/21
1.
Die Ausfahrt.
An Bord des Talisman in der Weser - 18. März 1849. Es ist ein wunderliches, eigenthümliches Gefühl, an Bord eines Fahrzeuges, vor Beginn einer langen Seereise, noch im alten Vaterland fest vor Anker zu liegen, und diesem, während man die Reise selber noch gar nicht begonnen, den heimischen Boden noch nicht verlassen hat, doch auch eigentlich schon nicht mehr anzugehören. - Es ist ein wunderliches, aber auch recht fatales Gefühl und hält unsere Nerven in einer Abspannung, die uns zuletzt ordentlich den Zeitpunkt ersehnen läßt, vor dem es Manchem im Anfang wohl heimlich gebangt hatte - den Abschied von seiner Muttererde.
Auf die Passagiere eines Auswandererschiffes macht das übrigens den verschiedenartigsten, wenn auch im Endresultat sich ziemlich gleich bleibenden Eindruck. Unthätig und mit langweiligen verdrossenen Gesichtern treiben sich die Meisten von ihnen bald an dem kaum fünfzig Schritt entfernten Land (wir liegen dicht vor Groß' Hotel in Brake), bald an Bord umher, und so ungemüthlich, so unbehaglich Alles am Ufer ist, ebenso jeder Bequemlichkeit und Ruhe trotzend ist es an Bord.
Fortwährend treffen noch neue Passagiere mit einer Masse von Gepäck ein, als ob jeder Einzelne erwarte, die Arche /6/Noah zu eigener Disposition gestellt zu bekommen. – Alle Luken sind geöffnet, Kisten, Koffer, Bettsäcke, Körbe, Schachteln usw. stehen überall in Menge; kein Mensch findet was ihm selber gehört, Namen werden verwechselt und Koffer und Kasten waren es von Anfang an. Die Matrosen, die diesem gewohnten Treiben dabei mit der äußersten Gleichgültigkeit zuschauen, steigen in einer wahrhaft fabelhaften Gemüthsruhe über das wild umhergestreute Passagiergut hin und her. Sie treten Hut- und andere Schachteln in ganz unbestimmte Formen und Facons, hissen, was ihnen in den Wurf kommt, - manchmal nur durch das verzweifelte Zuspringen der Passagiere verhindert – in den untern Raum, um etwas mehr unter den Füßen weg zu bekommen, und kehren sich sonst an gar nichts. Die Zwischendecks- und auch Kajüten-Passagiere bekümmern sich dagegen um Alles. Jedes Collo wollen sie besehen und untersuchen, schreien über die Luken herüber und hinüber, und thun Alles was in ihren Kräften steht, die Verwirrung auf’s Aeußerste zu steigern.
Nasses Wetter vermehrt natürlich das Unangenehme, ja Widerliche solchen Zustandes. Kein Wunder denn, daß Mancher voller Verzweiflung in das dunkle Chaos – in die Höhle des Zwischendecks, niederstarrt, aus der ihm ein warmer widerlicher Dunst entgegenquillt, und die ihm nicht fünf bis sechs Wochen wie auf einer Reise nach New-York, nein eben so viele Monate hindurch zum fast alleinigen Aufenthaltsort dienen soll. Wäre Tausenden von diesen ein solcher Blick verstattet gewesen, als sie noch zwischen „Auswandern“ und „Zuhausebleiben“ im Geiste schwankten, wie Viele, oh wie unendlich Viele würden nie in ihrem Leben ein Schiff betreten! Jetzt aber können sie natürlich nicht mehr zurück, und müssen nun auch, mit einem alten deutschen Sprüchwort, „ausessen, was sie sich vorher in aller Unschuld auf das Sorgfältigste eingebrockt hatten“.
Was das Gepäck übrigens betrifft, so ordnet sich das, erst einmal ein paar Tage in See, gar bald von selber. – Ganz unglaubliche Quantitäten werden in die wirklich kleinsten Räumlichkeiten weggestaut, und Sachen und Gegenstände, an deren Unterbringen man bis dahin verzweifelte, bekommen /7/ einen Platz und scheinen vollkommen gut aufgehoben. Bisdahin aber heißt es „Geduld und Fügsamkeit“.
Unsere Passagiere für Californien – denn der Talisman ist direct nach San Francisco bestimmt – bilden eine höchst eigenthümliche und wirklich interessante Masse. Es sind fast lauter junge kräftige Leute, die jenem abeneuerlichen Leben des neu entdeckten Eldorado mit so goldenen Träumen entgegengehen, wie sie nur je in Alchymist in seiner düstern Stunde geträumt hatte; aber keine einzige Frau – kein Kind ist zwischen ihnen. Die meisten, besonders die Zwischendecks-Passagiere, sind dazu, bei ihrer Ankunft an Bord, bis an die Zähne bewaffnet, manche auf wirklich komische Art. So kam gestern Einer vom Dampfboot auf den Talisman, mit einer Flinte, einem Spaten und – einem baumwollenen Regenschirm. „Mit dem Spaten willst Du wohl’s Gold ‘rauskriegen?“ frug ihn ein Matrose. „Ich wird’s doch nicht sollen mit den Händen ‘rauskrabbeln,“ antwortete ihm der Mann im höchsten Ernst.
Spaten führen übrigens die Meisten bei sich; manche Dutzende davon – auch Massen von alten Säbeln, Pistolen, Dolchen, Bajonett-Flinten. Ueberhaupt kommen Waffen zum Vorschein, als ob eine Rüstkammer geplündert wäre, oder ein Antiquitätencabinet aufgestellt werden sollte.
Eine Persönlichkeit darf ich jedoch hier nicht übergehen, denn sie hat nicht allein bei uns, sondern auch in ganz Bremen großes Aufsehen erregt. Es ist das ein Messerschmidt aus Magdeburg – hier jetzt nur kurzweg der Riese genannt, der ebenfalls nach Californien auswandern will. Der Leser denke sich eine wahre Herculesgestalt, von riesigem Körperbau mit krausem Bart, rothen Wangen und gutmüthigen klaren Augen – nur ein klein wenig zu bauchig, eine Figur also, die schon ohnedies durch ihren kolossalen Umfang aufgefallen wäre, nun auch noch nach folgender Art gekleidet: grüne Blouse, helle Beinkleider und weißen Turnerhut; um den Leib einen etwa fünf Zoll breiten weißen Ledergurt, und an diesem erstens einen wahrhaft riesigen Pallasch, der über die Steine klirrt, neben diesem einen Hirschfänger, der an der Stelle allerdings nur wie ein Messer aussieht, und neben dem /8/Hirschfänger noch einen gigantischen „Nickfänger" zum Zusammenklappen - ebenfalls etwa achtzehn Zoll lang. Außerdem trägt diese Titanengestalt einen Dolch mit Terzerolläufen daran, wie eine verhältnißmäßige Anzahl von Pistolen.
Noch abenteuerlicher, ja fast komisch wird aber diese Persönlichkeit durch ihre Begleitung. Es sind das drei, hier „Trabanten" genannte, Individuen, die den mächtigen Führer in Diminutivform, wie die Lootsen den Haifisch, umschwimmen. Drei sehr kleine Männer, ebenfalls in grünen Blousen, Turnerhüten und mit dem weißen Gurt, also ganz wie junge Riesen, und nur statt des Pallasches mit sehr kurzen Messern oder Hirschfängern an der Seite. Der Riese war allem Anschein nach ein höchst gutmüthiger, ja fast gemüthlicher Mann - wie das meist alle großen, kräftigen Naturen sind. - Er ließ sich Pallasch und Messer von allen Leuten herausziehen und untersuchen, und glich in der That einem Kauffahrer, der Kanonen ohne Munition führt.
An jenem Abend ging bei Brake das neue deutsche Kriegsdampfschiff Britannia unter dem Abfeuern der Landböller vor Anker - es war ein tüchtiges, stark und scharf gebautes und gewiß schnelles Boot, und was für Hoffnungen füllten damals unsere Brust, und w i e sind sie später getäuscht - verrathen worden!
Nachdem wir uns nun über eine Woche in einem solchen Zwitterdasein zwischen Reisenden und Ansässigen Herumgetrieben, kam endlich die frohe Botschaft, daß wir „unter Segel gehen", oder wenn wir keinen günstigen Wind bekämen, wenigstens mit der rückströmenden Ebbe der Mündung der Weser zutreiben sollten. Gerüchte über ausbrechende Feindseligkeiten mit Dänemark gaben uns dabei ziemlich gegründete Ursache, eine Unterbrechung unserer Reise fürchten zu müssen, falls wir nicht den Kanal vor der Aufkündigung des Waffenstillstandes erreichten, denn unsere Flotte lag noch in den Windeln (ich dachte damals wahrlich nicht, daß ich sie bei der Rückkehr schon im Leichenhemd finden sollte,) und dänische Kreuzer hätten uns einen bösen Strich durch die Rechnung machen können. - Doch der Erfolg wies sich besser aus, als /9/ wir gefürchtet. An dem Abend mußten wir zwar noch ein¬mal vor Anker gehen, aber am nächsten Tag wurde der Wind günstiger, und als wir an Bremerhasen vorüberfuhren, wehte schon eine recht wackere Brise.
Gerade dem Hafen gegenüber kam ein Boot von dort ab. Zwei Leute saßen darin, ruderten aus Leibeskräften und hatten es nur ihrem zeitig genug vom Ufer Fahren zu danken, daß sie uns wirklich einholten, denn das Schiff lief wenigstens fünf Knoten durch's Wasser. Die Passagiere standen fast Alle an Deck und schauten gespannt nach diesem letzten Boten vom festen Land herüber. Der Capitain glaubte, es sei eine Depesche für ihn, und die Uebrigen zerbrachen sich den Kopf, was die Sendung zu bedeuten haben könne, denn Niemand befand sich im Boot, als eben die beiden Rudernden. Und was brachten sie? - einen Brief für einen der Zwischendecks-Passagiere.
„He - Schulze - Schulze - ein Brief für Dich!" rief es aus einer Anzahl Kehlen, als das heranschießende Boot, von einem zugeworfenen Tau gehalten, mit dem Talisman fortgezogen wurde und Einer der Bootsleute an Bord gesprungen war.
„Ein Brief für mich?" sagte der Angeredete, der sich jetzt hinzudrängte, anscheinend ganz erstaunt, ja fast erschreckt, „ich gehe nicht wieder zurück."
Während noch einige der Uebrigen lachten, erbrach er den Brief und frug zugleich den Bootsmann, was er als Botenlohn zu beanspruchen habe.
„Einen Dollar," lautete die tröstliche Antwort, die den armen Teufel von Passagier nicht wenig erschreckte. „Einen Dollar?" wiederholte er ganz verblüfft und las dabei zugleich den Inhalt des Briefes halblaut vor sich hin - „lieber Bruder, ich rufe Dir nochmals ein Lebewohl aus der Ferne zu - ich wünsche Dir eine recht glückliche Reise und gute Gesundheit - und das kostet einen Dollar? - und laß recht bald etwas recht Gutes von Dir hören. Es grüßt und küßt Dich tausendmal Dein getreuer Bruder Franz. - Na, dafür will ich mein ganzes Leben lang nichts weiter thun, als Briefe transportiren - wie können Sie denn dafür einen Dollar fordern?"/10/ „Das ist Taxe," betheuerte der Mann, „und es war wahrhaftig keine Kleinigkeit, das Schiff mit solchem Fortgang noch einzuholen - seien Sie froh, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen sind."
„Ich?" sagte der Passagier ganz erstaunt - „für einen Thaler zehn Silbergroschen das Stück wünsch' ich den Leuten das ganze Jahr hindurch eine „glückliche Reise" - ich wollte, Sie wären eine halbe Stunde später gekommen."
Der Mann mußte jedoch seinen Dollar bekommen, und Herr Schulze fügte sich endlich seufzend darein, nachdem er dem Bootsmann noch vorher den, wenn auch vergeblichen, Vorschlag gemacht hatte, ihm den Brief für das halbe Porto wieder abzunehmen.
Aus der Weser erst hinaus, wurde der Wind immer schärfer und besser. Wir mußten aufbrassen und liefen vor günstigster Brise wohl sieben bis acht Meilen.
Dem nicht nautischen Leser hier übrigens gleich im Anfang wenigstens einen Begriff der nautischen Rechnungsart zu geben, werden ein paar Worte genügen. Der Lauf des Schiffes wird nach dem Log gemessen - jedes Conversationslexikon giebt darüber Auskunft -, und wenn es heißt, das Schiff läuft z. B. acht Knoten in der Stunde (nach den Merkmalen in der Logleine) - so sind damit englische Meilen gemeint; heißt es aber acht Meilen in der Wacht, so sind das geographische oder vielmehr nautische. Vier englische gehen aber aus eine nautische, und vier Stunden auf eine Wacht, so daß acht Knoten oder Meilen (englische) die Stunde - auch dasselbe ist, was acht Meilen die Wacht bedeutet, da man bei der Wacht nur nach nautischen Meilen rechnet.
Donnerstag Abend um sieben Uhr liefen wir also in die Nordsee ein - am Freitag Abend mit Dunkelwerden sahen wir schon die Leuchtfeuer von Dover - etwas später auch die von Calais, und Sonntag Morgens, am 25., erreichten wir die Mündung des englischen Kanals.
With the blue above and the blue below
And silence reights whereever we go.“
/11/So lagen denn all' die gefährlichen Dünen und Sandbänke der Nordsee - all' die grünen Untiefen des Kanals glücklich hinter uns - mit diesen allen aber auch die Heimath, und es war ein wahrlich nicht zu beschreibendes Gefühl das mich ergriff, als ich endlich einmal wieder auf dem blauen, so wundervoll blauen Ocean, aber auch so fern von den Meinen schaukelte, auf's Neue einem wilden, tollen Leben in die Arme gesprungen.
Die Gefühle meiner Mitpassagiere schienen größtentheils anderer Art. Mit nur sehr geringen Ausnahmen wurden die meisten seekrank, und wen nicht das grimme Seeleid, den jagte gewiß die nichtswürdige Kälte unter die Decken, so daß das Verdeck die ersten Tage ziemlich verödet lag. Von günstigem Wind getrieben, schossen wir aber rasch dahin, und mit dem freudigen Bewußtsein, einen ziemlich fatalen Theil der Reise überstanden zu haben, mischte sich jetzt auch noch das beruhigende Gefühl, jeder Gefahr eines durch die dänische Blokade möglichen Aufenthalts glücklich entgangen zu sein.
Mit derselben herrlichen Brise erreichten wir die Breite der Insel Madeira, die wir jedoch nicht zu Gesicht bekamen, und trafen hier den Nordostpassat, der uns eine rasche Fahrt versprach. Die Seekranken erholten sich auch sehr rasch wieder, und die gesund Gewordenen konnten jetzt erst beginnen, die Wunder des Meeres anzustaunen, die sich um sie her ausbreiteten.
Besonders beschäftigte uns in dieser Zeit die Jagd auf eine Art Delphin, den sogenannten „Schweinefisch", weil er ein rüsselähnliches Maul hat. Ich harpunirte mehrere davon, wir bekamen aber keinen an Bord.
Das Harpuniren dieser Fische ist übrigens schon an sich selber eine höchst interessante Jagd. Der Schweinefisch (wahrscheinlich der sogenannte Delphin der Alten, da ein wirklicher Delphin nie groß genug gefunden wäre, den Arion an's Land zu tragen, und diese „Springer" auch der Beschreibung eher entsprechen) durchstreift bei frischer Brise, wenn das Schiff rasch durch's Wasser geht, die See in zahlreichen Schaaren. Die Fische springen dann vorzüglich gern dicht vor dem Bug her und spielen in den schäumenden, hochaufspritzenden Wellen, /12/ denen sie sich oft, mit dem ganzen Körper über Wasser, vorauschnellen. Der Harpunirende aber steht vorn - ebenfalls vor dem Bug des Fahrzeugs, in den Ketten des Stampfholzes, unter dem vorstehenden Klüverbaum, und wartet bis ihm einer der herüber- und hinüberschießenden Schaar zum Wurf kommt. Unter dem Bugspriet muß dabei ein Block festgemacht sein, in welchem das an die Harpune geschlagene Tau läuft. An diesem Tau stehen an Bord Leute, des Rufs gewärtig, und sobald der Fisch die Harpune hat, ziehen sie in möglichster Schnelle denselben über Wasser, damit die Fluth, gegen die er jetzt angerissen wird, das Gewicht nicht noch vermehrt, das die schwache Harpune überdies schon zu halten hat. Zu gleicher Zeit muß ein Matrose draußen ebenfalls eine Schlinge bereit halten, sie dem Gefangenen, so wie er ihn nur erreichen kann, um den Schwanz zu werfen. Dieser aber schlägt dabei aus Leibeskräften um sich, und müht sich unausgesetzt - durch sein bedeutendes Gewicht höchst nachdrücklich unterstützt - wieder loszukommen. Es läßt sich denken, daß es dadurch mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, einen solchen gewaltigen Fisch an Bord zu holen, und wir haben fünf auf diese Art verloren.
Das Fleisch des Schweinefisches ist ziemlich gut und es lassen sich besonders vortreffliche sogenannte ,,Beefsteaks" davon bereiten. Das Harpuniren ist, obgleich der Fisch im vollen Sprung getroffen sein will, keineswegs sehr schwierig, doch gehört eine sichere Hand und etwas Uebung dazu.
Mitten in dem Jubel und Lärm der Passagiere ging in der nämlichen Zeit ein Mann herum, der sich um alles das nicht kümmerte, die Stellen vermied, wo lustige Leute beisammen waren, und stets still und abgeschieden, finster brütend und mit seinen eigenen, jedenfalls traurigen Gedanken beschäftigt, an irgend einem einsamen Plätzchen saß, wo er das auch immer aufsuchen mußte. Der Mann hatte das Heimweh. - Mir war er wohl schon lange aufgefallen, aber ich glaubte immer, er leide vielleicht noch an den Folgen der Seekrankheit, von der er sehr mitgenommen worden. Eines Tages aber kam er mit thränenden Augen zu mir und bat mich, ich möchte doch um Gottes willen den Capitain dahin zu bewegen suchen, /13/ daß er ihn mit dem nächsten Schiff, was uns begegne, zurück nach Deutschland schicke. - Er habe leichtsinnig gehandelt - er habe eine Frau und drei Kinder daheim zurückgelassen, während ihm jetzt die Erinnerung an sie das Herz zerreiße und er blutige Thränen weinen möchte, wenn er an den Abschied von den Seinen dächte. Die Kleinen waren ihm um den Hals gefallen und hatten ihn gebeten, daß er nicht von ihnen gehen möchte. - Jetzt sähe er ein daß er unrecht, daß er unverantwortlich gehandelt habe, und sei auch sein kleines Capital, was er auf die Reise verwandt, nun verloren, so wolle er doch lieber den letzten Pfennig daran wenden, wieder zurückzukommen, und dann im Vaterland bei den Seinen Tag und Nacht arbeiten, das Verlorene wieder einzubringen.
Als sich dem Mann erst einmal der starre Schmerz gelöst, als er Worte gefunden hatte, gerieth er fast außer sich, und die Thränen stürzten ihm die bleich gehärmten Wangen nieder. Ich that allerdings Alles was in meinen Kräften stand, ihn zu trösten; was aber konnte ich ihm als Trost sagen. Ein Schiff zu finden, das ihn zurücknähme, darauf durfte er gar nicht rechnen, denn wenn wir wirklich eins trafen, wie das auch später geschah, so hätte ihn das gar nicht so ohne Weiteres aufnehmen dürfen. Alles was ich ihm rathen konnte, war, sich den Schritt, den er gethan, noch einmal recht zu überlegen und dann, wenn wir nach Rio kämen, entweder alle trüben Gedanken bei Seite zu werfen und in das Leben, das er sich jetzt einmal gewählt, mit beiden Füßen zugleich hineinzuspringen, oder - wenn er fühle, daß er unrecht gehandelt habe und den Schritt bereue, oder auch nicht im Stande sei die Trennung zu ertragen, von Rio de Janeiro aus, wo er fast jeden Tag Gelegenheit habe, wieder heimzukehren in die Arme der Seinen.
Der Mann beruhigte sich endlich. Als wir einige Tage später ein Schiff trafen, erwähnte er nichts weiter von seiner früheren Absicht, und noch vor Rio antwortete er mir auf meine Frage danach, daß er sich entschlossen habe, seinen Plan durchzuführen und nach Californien zu gehen. Als er aber später in Rio de Janeiro die heimwärts bestimmten Schiffe /14/ sah, und gar Menschen sprach, die sich darauf freuten nun bald wieder zu Hause bei den Ihrigen zu sein, da mochte das Heimweh wohl wieder mit der alten gewaltigen Kraft ausgebrochen sein und alle seine anderen Entschlüsse über den Haufen geworfen haben. Er nahm seine Sachen vom Bord des Talisman und ging als Passagier an Bord eines dorthin bestimmten Schiffes, nach Bremen zurück.
Wir befanden uns jetzt ziemlich unter der Linie und kamen auch unter die hier fast unvermeidliche Windstille. Die Hitze hatte ich mir aber viel schlimmer gedacht, denn bei einem kaum bemerkbaren Luftzug war sie ganz erträglich und selbst ohne diesen kaum drückend. Am heißesten Tag hatten wir im Schatten 27 Grad Reaumur. Eins der vielen Seemärchen ist es, daß die Schiffe bei Windstille unter dem Aequator alle halbe Stunden oder alle Stunden mit Wasser begossen werden müssen, wenn sie nicht „springen" sollen. Unsere Decks wurden nur Morgens wie gewöhnlich gewaschen. Regenschauer sind übrigens hier ziemlich häufig und besonders in der Nacht störend, wo die Schläfer am Deck fast jede Nacht durch einen Guß geweckt und in ihre dunstigen Kojen mit den nassen Betten hinabgeschickt werden.
Unsere Fahrt ging von da an still und günstig vorwärts. Bei Cap Frio hatten wir allerdings einen kleinen Sturm durchzumachen, der aber nur einige Tage dauerte. Am 12. Mai erreichten wir endlich die lang' ersehnte Einfahrt von Rio de Janeiro, und hatten am Nachmittag das ganze prachtvolle Panorama, das den schönsten Hafen der Welt umschließt, vor uns. Schon konnten wir den „Zuckerhut", der als treffliche Landmarke das linke Ufer des Eingangs bildet, unterscheiden. Je mehr wir uns dem Land näherten, desto deutlicher traten die einzelnen Gruppen, endlich die Umrisse der Vegetation und zuletzt sogar das so lang' entbehrte lebende Grün der Bergrücken und Wälder, aus denen hochstämmige Palmen aufragten, empor. An den beiden kleinen Inseln Paya und Maya (Vater und Mutter) segelten wir dicht vorüber, und erreichten gerade nach Sonnenuntergang den Platz, von dem wir, wäre es hell gewesen, Alles hätten überschauen können, was das Auge in dieser neuen Welt /15/ überrascht und entzückt. - Unter den Tropen folgt aber dem Sonnenuntergang auch fast augenblickliche Nacht, und als wir vom Fort Santa-Cruz angerufen wurden, lag schon tiefe Nacht auf dem Meere, und nur unzählige Lichter verriethen die Nähe einer volkreichen Stadt, eines belebten Hafens.
Es war bis dahin an Bord die Befürchtung ausgesprochen, daß die Passagiere der fremden Schiffe, ohne einen vom brasilianischen Consul in Deutschland visirten Paß zu haben, nicht würden an's Land gelassen werden. Glücklicher Weise zeigte sich das aber anders; denn als am nächsten Morgen das sogenannte Visitenboot zu uns an Bord kam, wurde uns bald die summarische Erlaubniß zu Theil, so rasch und so zahlreich an Land zu fahren, wie wir nur wollten. Man kann sich denken, daß wir schnell genug davon Gebrauch machten, und es dauerte nicht lange, so ruderten wir (am 13. Mai Morgens) im herrlichsten Sonnenlicht dem freundlichen Ufer entgegen. „Brasilien ist nicht weit von hier", sangen Einige, und Alle freuten sich der prachtvollen Natur, die uns umgab.
Der Hafen von Rio de Janeiro ist übrigens schon zu oft beschrieben, als daß ich noch einmal etwas versuchen sollte, was eigentlich doch unmöglich ist - diese wunderbare Natur, die stille Bai, die am Ufer bald zerstreuten, bald zu Massen zusammengedrängten Gebäude, die hohen, bald schroffen, bald mit der herrlichsten Vegetation bedeckten Hügel und Gebirge, die zahlreichen Schiffe und Boote, die Flaggen aller Länder und Erdtheile, die Forts und Bastionen mit ihren Kirchen und Kanonen - das Alles läßt sich wohl schildern und ausmalen, aber dem Leser einen wirklichen Begriff, ein treues Bild davon zu geben, das, glaub' ich, ist unmöglich. /16/
2.
Rio de Janeiro und weiter!
Die Stadt selber - und mit wie Manchem auf der weiten Gotteswelt geht es nicht ebenso - verliert indessen gewaltig, wenn man erst ihre nähere Bekanntschaft macht. Die Straßen sind, mit wenigen Ausnahmen, eng und schmutzig. Die Menge der Sclaven, mit ihren unzähligen farbigen Abstufungen, die dem Auge überall in den Weg tritt, macht einen zu widerlichen Eindruck auf den Europäer, um ihn in dem scharfen Contrast nicht selbst die herrliche Natur vergessen zu machen, der man übrigens in den schmalen Straßen auch fast entrückt ist.
Am nächsten Morgen beschloß ich, eine kleine Landpartie zu machen, und ritt mit einigen Freunden zusammen hinaus in's Freie.
Die brasilianischen Pferde sind kleine muntere, ausdauernde Thiere und gehen meistens, was ich wenigstens davon sah, Paß oder Galopp. Die auf dem Lande wohnenden Pflanzer und Kaufleute aber, die Morgens in die Stadt kommen und Abends wieder Hinausreiten, gebrauchen nicht selten Maulthiere - ebenfalls eine kleinere Race, als ich sie in Nordamerika gefunden habe - und erreichen mit diesen ihr Ziel wohl nicht ganz so rasch, aber doch jedenfalls weit bequemer und sicherer.
Die Umgegend von Rio ist wirklich paradiesisch - die stille Bai mit ihren zahlreichen Masten und lebendig hin- und wiederschießenden Booten - die niedlichen Gärten mit ihren Orangen, Bananen und Palmen, Kaffeebäumen und Blumenbüschen - die hohen pittoresken Berge und Felskuppen, die weit übereinander herüber schauen - die eigenthümliche Tracht und Farbe der Eingeborenen und Sclaven, die zu Markt ziehenden Neger, die Viehtreiber und Verkäufer, das Alles macht mit seinen wechselnden phantastischen Gestalten auf den Fremden /17/ einen eigenthümlichen, wohl kaum zu vergessenden Eindruck. Der Unterschied mit der Heimath ist zu auffallend; man fühlt, daß man in einem fremden, tropischen Lande ist, und jeder Schritt, jede Biegung der Straße, jede uns begegnende Persönlichkeit bringt dem mehr und mehr erregten Geiste, dem gierig umherschweifenden Auge Neues, Interessantes.
Leider konnte ich aber nicht lange in diesem schönen Lande verweilen, denn ein neuer, erst in den letzten Tagen an Bord flüchtig gefaßter Plan war mir so lieb geworden, daß ich beschloß, ihn durchzuführen, es koste was es wolle.
An Bord des Talisman war nämlich ein junger Italiener, von englischen Eltern geboren, der, mehr aus Prahlerei wahrscheinlich als einer ernsten Absicht wegen, eine Wette gemacht hatte (und zwar mit Eins gegen Zwanzig), daß er die Landreise durch Südamerika durchführen wolle. Mir selber war die Landreise schon bis dahin fortwährend im Kopf herumgegangen. Das damalige Reichsministerium hatte mir nämlich einen Zuschuß unter dem Vorbehalt bewilligt, daß ich bestimmte Länder, zu denen die La Platastaaten gehörten, dafür besuchen wolle. Wenn ich nun auch die feste Absicht hatte, diese jedenfalls auf dem Rückweg, um das Cap der guten Hoffnung heimkehrend, zu bereisen, so lag dazwischen doch noch ein langer Zeitraum und außerdem die ganze Welt, und ich beschloß endlich, mich in Rio de Janeiro wenigstens genau nach einer solchen Landreise zu erkundigen. In Rio erhielten wir aber zu unserem Erstaunen so mißliche Nachrichten über die Argentinische Republik, durch die hier mein Weg, querüber durch die Pampas, lag, es wurden uns solch' entsetzliche Geschichten von den jetzt empörten Indianern und nachher dem Schnee der Cordilleren, die wir gerade hätten mitten im Winter passiren müssen, erzählt, daß mein Begleiter die Sache in Verzweiflung aufgab und seinen Dollar Wette bezahlte. War ich aber vorher noch unentschlossen gewesen, so schien es, als ob mich diese sonst keineswegs ermuthigenden Nachrichten erst hartnäckig gemacht hätten. Schon in Nordamerika hatte ich erfahren, wie oft solche Berichte über Weitentfernte Strecken übertrieben seien und Manches in der /18/ Nähe eine ganz natürliche Färbung bekomme, was uns, weit davon entlegen, in fabelhafter Weise ausgeschmückt wurde. Nicht wenig vertraute ich dabei auf mein gutes Glück, das mir in früherer Zeit schon manchmal durchgeholfen. Das Resultat war, daß ich mit einem kleinen deutschen Schooner, der unter argentinischer Flagge zufällig im Hafen lag und nach Buenos-Ayres bestimmt war, meine Passage abschloß und mich schon am 16. Mai aus diesem nach der argentinischen Republik hin einschiffte.
In den La Platastaaten und den weiten Pampas Südamerikas lernte und sah ich mehr, als an Bord eines von Passagieren dichtgedrängten Schiffes, und was die Gefahren betraf, so besaß ich zu vielen Leichtsinn, an die eher zu denken, als sie mir wirklich entgegentraten.
Für alle Solche übrigens, welche nach mir Lust haben sollten dieselbe Tour zu unternehmen, möchte ich eine wohlmeinende Warnung hier beifügen, und diese besteht darin, ihre Papiere bei guter Zeit fertig zu machen, damit sie nicht im entscheidenden Augenblick durch irgend eine erbärmliche Kleinigkeit, die ihnen aber förmlich unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg wirft, aufgehalten werden. Nicht allein muß man nämlich seinen Paß von dem Buenos-Ayres-Consul visirt und ebenfalls von der Polizei die Erlaubniß darauf verzeichnet haben, auf einem andern Schiffe, als mit dem man angekommen, den Hafen wieder verlassen zu dürfen, sondern es ist auch noch eine Erlaubnißkarte nöthig, „das Passagiergut von einem Schiff auf das andere schaffen zu dürfen", und befindet sich zufällig ein „Gewehr" bei diesen Effecten, so fangen Aufenthalt und Kosten an in's Fabelhafte zu gehen. Das Gewehr muß dann, wenn man nicht andere Mittel und Wege findet dem Rechtsschlendrian zu entgehen, erst an's Ufer geschafft und - ich glaube, mit vierzig Procent versteuert, und dann erst wieder an das neugewählte Schiff gebracht werden. Nach zwei Uhr Nachmittags ist aber auch selbst dies nicht mehr möglich, und der ganze wie der nächstfolgende Tag versäumt, da die Schiffe nur mit der bis zehn Uhr etwa wehenden Landbrise auslaufen können. Ich meinestheils habe es nur der Freundlichkeit und wirklich aufopfernden Gefällig-/19/keit des Herrn Viceconsuls Heymann in Rio-Janeiro zu danken, daß es mir überhaupt möglich wurde, allen Anforderungen zu genügen und mit den nöthigen Papieren von Bord des Talisman und an Bord des San-Martin zu kommen. Eine geraume Zeit meines kurzen Aufenthalts in Rio ist mir aber durch diese entsetzlichen Weitläufigkeiten wirklich auf das Fatalste verbittert worden, und ich bekam in der That von Brasilien, auf das ich mich so lange schon gefreut, fast gar nichts zu sehen. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf, das in einer späteren Zeit nachzuholen, und ging ohne Weiteres an Bord meines neuen Fahrzeugs, des San-Martin.
Der Talisman mußte noch wenigstens eine volle Woche im Hafen bleiben, und da der San-Martin augenblicklich segelte, hatte ich die Hoffnung Buenos-Arires zu erreichen, ehe mein altes Schiff nur wieder in See ging. Dort konnte ich mich dann einige Wochen aufhalten, und hoffte so immer noch, Valparaiso am Stillen Meere zu erreichen, ehe der Talisman im Stande war die oft sehr langwierige Reise um Cap Horn zu beenden. Für den Fall aber, daß mir irgend etwas passire oder ich aufgehalten würde, hatte ich vom Cargador wie Capitain des Talisman das feste Versprechen erhalten, daß sie meine Effecten in dem Geschäft der Herren Lampe, Müller und Fehrmann einsetzen wollten, und ich konnte dann später mit einem andern Heydorn'schen Schiffe nach San-Francisco nachkommen. Den Umständlichkeiten Rio de Janeiros glücklich entgangen, - meine Büchsflinte mußte ich sogar noch an Bord des San-Martin hinüber schmuggeln - schiffte ich mich am 16. Mai aus diesem kleinen Schooner nach Buenos-Ayres ein. Die ersten Tage schien auch ein ziemlich guter Wind unsere kurze Fahrt begünstigen zu wollen, und die Reise kann, wenn Alles zusammen stimmt, recht leicht in fünf Tagen zurückgelegt werden. Hatten wir dies aber erwartet, so sollten wir uns bald gewaltig getäuscht finden, denn der Wind drehte sich, und am 21. verwandelte ein Pampero die ruhig wogende See in ein wildes, sturmgepeitschtes Meer, auf dem unsere kleine Nußschale von Fahrzeug auf das Unerbittlichste umhergeschleudert wurde. Pampero ist übrigens ein Wort, /20/ das der diese See Befahrende gerade zur Genüge zu hören bekommt, und mit dem ich den deutschen Leser (der es sich aus solche Art recht gut gefallen lassen kann) ebenfalls etwas vertrauter machen will.
Der Pampero, wie ihn die Seefahrer hier nennen, ist ein ziemlich periodisch wiederkehrender und selbst in seiner Richtung regelmäßiger Sturmwind, der seinen Namen, da er stets aus Westen und Südwest weht, von den weiten Pampas bekommen hat, über die er daherbraust. Gewöhnlich beginnen die ersten Anzeichen mit einem scharfen Nordwind, der mehr und mehr nach Westen herüberzieht. - Kaum ist der Wind ziemlich West, so kommt ein fluthender Regen und in diesem zugleich die erste Bö, das erste Anprallen des Pampero. So rasch und plötzlich setzt aber der wirkliche Pampero ein, und so gewaltig ist er in seiner Kraft, daß schon manches Fahrzeug, dessen Capitain die ersten Anzeichen nicht beachtete oder gar nicht kannte, sämmtliche Stengen über Bord geworfen hat, ehe die oberen Segel geborgen, die unteren gereeft werden konnten, ja wohl auch ganz und gar verloren ging. Hat der Sturm nun von dieser Richtung ausgetobt, so zieht er gewöhnlich mehr nach Süd, Südost, Ost und Nordost herum und weht dann mäßiger. So schnell wendet er aber dabei und ändert seine Richtung, daß er manchmal schon in fünf Minuten vom scharfen Nord zum wüthendsten Südwesten wird und dann allerdings den Schiffen höchst gefährlich werden muß.
Unser späterer Lootse, ein alter Amerikaner, sagte mir, daß er es schon erlebt habe, wie der Pampero auf solche Art dreimal in vierundzwanzig Stunden um den Compaß gewechselt sei. Die See geht nach diesen Stürmen ungemein hoch, und der Aufenthalt in einem kleinen Schooner ist nichts weniger als angenehm; man wird von einer Seite zur andern geworfen, und weder Ruhe noch Rast ist zu finden. Erst am dritten Tag beruhigt sich gewöhnlich das Wasser wieder.
Ein solcher Pampero jagte uns nun am 21., 22. und 23., größtenteils mit dichtgereeften Segeln und nur mittelmäßig unsern Cours verfolgend, auf der See herum. Besonders tröstend war dabei die Aussicht, in ganz kurzer Zeit diesen angenehmen Besuch erneut zu bekommen, da die Pamperos um diese Jahreszeit gewöhnlich mit jedem Mondwechsel, mit Neumond, erstem, letztem Viertel und Vollmond, also den Monat viermal wiederkehren. Am 25. besserte sich der Wind, und am 26. kamen wir in Sicht des nördlichen La Plata-Ufers.
Am 27. waren wir in der Mündung bei der Insel Lobos (Seehundsinsel), die, wie einer meiner alten Lehrer in Leipzig vom Hasen sagte, „ihren Namen wirklich mit Recht führt". Wir sahen Massen von Seehunden in dem jetzt vollkommen ruhigen Wasser, denn der Wind starb bald zu völliger Stille ab, und unser Capitain versicherte mir, er würde das Boot aussetzen, wenn ich einen der Seehunde von Bord aus schießen könne. Um meine gute Büchsflinte nicht auf der See einzuschmutzen und vom Seewasser rosten zu lassen, hatte ich bis dahin meiner Jagdlust Gewalt angethan. Die Gelegenheit war aber zu verlockend - Seehundsjagd im Rio de la Plata und Wild dazu in Masse. Ich lud, und zwei Seehunde, die sich gleich nacheinander auf etwa vierzig Schritt dem Schiff näherten und das rauhe, auf's Aeußerste erstaunte Gesicht über dem Wasser zeigten, büßten ihre Unvorsichtigkeit mit dem Tode. Rasch wurde nun das kleine Boot ausgesetzt, ehe wir aber zu den Erlegten hinkommen konnten, waren sie schon gesunken.
Ich schoß jetzt noch nacheinander sechs Stück, meist in den Kopf, ohne aber im Stande zu sein, auch nur einen einzigen in‘s Boot zu bekommen; den siebenten traf ich endlich, um ihn nicht gleich zu tödten, weil sie dann augenblicklich wegsanken, in den Hals, und als unser Boot, während das verwundete und halbbetäubte Thier auf dem Wasser herumschlug, dicht an ihn hinanglitt, schleuderte der vorn im Bug stehende Matrose die zu diesem Zweck schon bereit gehaltene Harpune auf den Sinkenden. Das war aber gerade so, als ob er das Eisen auf einen Wollsack geworfen hätte. Es ging gar nicht durch die weiche, elastische, aber auch zu zähe Haut, und wäre der tödtlich Getroffene nicht noch einmal selber an die Oberfläche gekommen, wir hätten ihn ebenfalls verloren. So aber erwischte ihn der Steuermann noch /22/ glücklich an einer Flosse und wir holten ihn über Bord. Es war ein tüchtiger Bursche und trug eine vortreffliche Haut.
Den ganzen Nachmittag hatte sich kein Lüftchen geregt; die See, oder hier vielmehr die freilich ganz der See gleichende Mündung des La Plata lag spiegelglatt und unbewegt, und der Himmel sah so rein aus, als ob er im Leben keine Wolke getragen oder je wieder dulden würde. Erst jetzt, als es gegen Abend ging, erhob sich ein leiser, leiser Luftzug. Die Richtung aber, aus der dieser wehte, wie die Art, wie er sich rasch veränderte, gefiel unserem Capitain, der dieses böse Wasser schon lange befahren, so wenig, daß er uns augenblicklich mit dem Sprachrohr zubrüllte, an Bord zu kommen. Wir hatten uns indessen, eifrig mit den Seehunden beschäftigt, den Henker darum gekümmert, wie es sonst um uns aussah. Wenn sich aber auch noch kein gefährliches Anzeichen blicken ließ, wußten wir doch Alle zu gut, wie rasch das auf See eintreten kann, und an Bord ist in solchem Falle auch der Barometer ein vortrefflicher Warner, der schon manches Segel, ja manches ganze Schiff gerettet hat. Ohne also auch weiter nur einen Moment zu säumen, ja ohne nur noch einen Schuß auf hier und da emportauchende Seehunde zu thun, ruderten wir zum Schiff zurück, und kaum dort angelangt, folgte auch schon ein rasch gegebener Befehl nach dem andern. Das Boot wurde zuerst durch sämmtliche Mannschaft an Bord genommen. Der Capitain hatte indessen noch einmal nach dem Barometer gesehen, und die leichteren Segel kamen gleich darauf herunter, das Marssegel wurde gereeft, und wir waren kaum damit fertig, als rasch und drohend von Westen her eine dunkle Wolkenschicht aufstieg. Der Wind fing zugleich ziemlich scharf von Norden zu wehen an.
Besserer Zeichen bedurfte es nicht. Das große Segel wurde jetzt ebenfalls, das Marssegel dicht gereeft, das main-sail ganz fest gemacht, und nun ging der Tanz wieder los. Noch war's nicht dunkel geworden, als sich der Wind nach Nordwest, dann gegen Westen herumschlug, und bald pfiff wieder, von fluthendem Regen begleitet, ein so wüthender Pampero über den weiten Strom dahin, daß der Sturm /23/ durch die Blöcke und Taue heulte, die See, mehr und mehr aufqerüttelt, ihre weißen Kämme in einem wahren Spritzschaum über die Fläche sandte und die kleine Insel, in deren Nähe wir heute herumgeschwommen, schon lange wieder unseren Blicken entschwunden war.
Die ganze Nacht dauerte es so fort; ich wurde zweimal aus der, nur mit einer sehr niedern Schutzwand versehenen Koje geworfen, ja selbst der nächste Tag bot uns wenig Besseres. Der eigentliche Pampero, wie der erste und tollste Ansturm des Wetters genannt wird, hatte sich allerdings in etwas gelegt, aber es wehte doch noch trotzdem ein ganz anständiger Sturm. Unser kleines Fahrzeug arbeitete auf eine verzweifelte Weise in den aufgerüttelten Wogen umher, die den Mitteltheil desselben fortwährend bedeckt hielten, und beim Auf- und Niedersteigen ihre klare, perlende Fluth sogar bis dicht an das ziemlich erhöht liegende Steuer spülten.
Der San-Martin - früher Karl Heinrich und jetzt nur umgetauft, weil er unter argentinischer Flagge fuhr - war, was die Seeleute ein „tüchtiges Seeboot" nennen, und segelte besonders gut. Dies konnte aber natürlich nicht verhindern, daß das kleine Ding von der hochgehenden See auf das Unbarmherzigste umhergeworfen wurde, und wir selber flogen in der Kajüte, wenn man sich nicht wirklich aus Leibeskräften festhielt, bald aus dieser Ecke in jene, mit dem einzigen Vortheil, daß man nie an seine alte Stelle zurückzugehen brauchte, weil uns die nächste Bewegung gewöhnlich schon selber dorthin oder doch in die nächste Nähe zurückbrachte. Beim Essen lag, wie bei allen Schiffen in schlechtem Wetter, ein Gestell von Ouerleisten auf dem Tisch, um die Teller am Hinunterrutschen zu verhindern. Das unsere war gute zwei Zoll hoch, und doch sprangen sie oft darüber hin. Keinen Löffel Suppe konnte man als errungen betrachten, bis er wirklich hinuntergeschluckt war, und wenn man bei Tisch kühn genug sein wollte, mit beiden Händen zu essen, so mußte man sich wenigstens indessen mit den Beinen festhalten. Es war eine traurige Existenz, und der Wind blies uns dabei so in die Zähne, daß wir nicht allein gar keinen Fortgang machen konnten, sondern im Gegentheil wieder weit /24/ zurück und in See hinaus getrieben wurden. Seevögel gab es hier in fast unglaublicher Menge.
Wegen des Krieges zwischen Buenos-Ayres und Montevideo, wobei Rosas die Stadt Montevideo von der Landseite her fest eingeschlossen hielt, konnten diese keine Provisionen und besonders kein Fleisch aus dem innern Lande bekommen, und zahlreiche Fahrzeuge waren beschäftigt gewesen, Rinder von Rio-Grande aus Brasilien nach Montevideo hinaufzuführen. Der San-Martin war ebenfalls früher zu diesem Geschäft verwendet worden, ehe er die argentinische Flagge führte. Diese kleinen Schooner wurden nun nicht selten, von einem tüchtigen Pampero überrascht, genöthigt, ihr Vieh über Bord zu werfen, und da auch selbst auf glücklichen Reisen einzelne Stücke immer daraufgingen, so trieben fast ununterbrochen todte Rinder in der Mündung des Stromes umher. Dadurch aber hatte sich eine wahre Unmasse von Seevögeln hierher gezogen: Albatrosse, Captauben und Gott weiß wie viel verschiedene Arten von großen und kleinen Möven, so daß sie manchmal zu Tausenden über die aufgerüttelten Wogen strichen und das Schiff fortwährend kreischend umzogen.
Am zweiten Tage des Sturms hatten wir ein eigenes Schauspiel, das ich im Leben nicht vergessen werde. Die See ging sehr hoch, der heulende West peitschte noch toll und wild hinein, und das kleine schwergeladene Fahrzeug - Capitain Hauschild kam mit Salz von den Capverdischen Inseln - ächzte und arbeitete mühselig gegen die immer neu herandrängenden Wassermassen an, als der Ruf eines vorn auf der Back stehenden Matrosen unsere Aufmerksamkeit dorthin lenkte. Der Mann sah leichenblaß aus und deutete nach vorn, vor dem Bug aber schwamm auf den Wogen ein großes hölzernes Kreuz, das die erregte Fluth irgendwo vom Lande mußte losgerissen haben, und gerade jetzt hob es die andrängende Welle aufrecht empor, daß es fast senkrecht gerade vor dem Bug des Schiffes stand - im nächsten Augenblick verschwand es, die Fluth trug es unter oder neben uns hin, ohne daß wir es bemerkten, und wenige Secunden später stieg cs dicht hinter uns wieder aufrecht in derselben Art empor. /25/ Wer abergläubisch gewesen wäre, hätte das allerdings gar leicht für ein böses Omen halten können, und überdies ist der La Plata, mit seinen flachen Ufern und gefährlichen Sandbänken, ein gar böses Wasser, das schon mancher armen Schiffsmannschaft das Leben gekostet hat. Wir kümmerten uns aber wenig um das Omen, denn eben wurde die Leber des später ausgeschlachteten Seehunds aufgetragen, und das frische Fleisch roch zu einladend, um nicht alle anderen, noch dazu trüben Gedanken zu verscheuchen.
Am dritten Tag legte sich der Sturm zwar, der Wind drehte aber, statt nach dem Süden herumzugehen, wie er das nach einem Pampero fast jedesmal thut, nach Norden herum, und faßte uns da in eine nördlich durch Land abgegrenzte Bai, aus der wir, gegen Wind und Strömung an, mehrere Tage gar nicht herauskreuzen konnten. Endlich, am sechzehnten Tag unserer Abfahrt von Rio de Janeiro, erreichten wir die am rechten Ufer gelegene punta del lndio, der gerade gegenüber ein Leuchtschiff ankert, das auch zugleich Lootsen für die einlaufenden Schiffe an Bord hat. Hier bekamen wir ebenfalls einen Lootsen, einen alten Amerikaner, der seiner Aussage nach den Fluß auf das Genaueste kannte und uns bald nach Buenos-Ayres zu führen versprach.
Das zu unterstützen, bekamen wir noch an demselben Nachmittag einen tüchtigen Südoster, und liefen nun von einer herrlichen Brise den jetzt schon gelb und trüb' werdenden breiten Strom hinauf.
Wie schon gesagt, ist der La Plata einer der am schlimmsten zu befahrenden Ströme der Welt. Nirgends bietet sich dem Schiffer eine Landmarke, sein Fahrzeug danach zu steuern, die Strömung ist, der Breite und der vielen Untiefen des Stromes wegen, ebenfalls unbestimmt, aber nichtsdestoweniger stark, und die einzig mögliche Art das Schiff zu führen, mit dem Loth oder Senkblei. Ununterbrochen steht denn auch, von dort an wo die eigentlichen Sandbänke beginnen, ein Mann außen von der Schanzkleidung, der sich erst durch ein festgeschlagenes Tau vor dem Wegfallen gesichert hat, und wirft das Loth oft Einer an jeder Seite - und danach steuert der Lootse, der den Grund hier sehr genau kennen /26/ muß, das Schiff. Solcher Art liefen wir die ganze Nacht durch, und in der Dunkelheit war es gerade kein angenehmes Gefühl, rechts und links Bänke zu wissen, die, nur bei der geringsten Fahrlässigkeit, Schiff und Mannschaft zu Grunde richten konnten. An den allen gingen wir aber rasch und sicher vorüber, und Morgens um zwei Uhr rollte auf der Außenrhede von Buenos-Ayres unser Anker in die Tiefe.
3.
Buenos-Ayres und seine Umgebung.
Die Rhede von Buenos-Ayres ist nichts weniger als günstig gelegen, denn auf der innern können nur kleine Fahrzeuge, die nicht tiefer als acht Fuß gehen, ankern, während die äußere wenigstens vier englische Meilen vom Land entfernt liegt und bei einem starken Südoster - wie wir ihn gerade unglücklicher Weise hatten - die Fahrzeuge fast eben so gut in offener See bleiben könnten. Eine andere Unannehmlichkeit ist die, daß bei einem solchen Wind die See ebenfalls gegen das flache felsige Ufer steht, und durch ihr Branden den Booten großentheils das Landen unmöglich macht - ja zu nur etwas tiefgehenden Booten müssen selbst bei ruhigem Wetter besonders dazu gehaltene Karren hinausfahren, Mannschaft oder Ladung in Empfang zu nehmen.
Einen vollen Tag lagen wir solcher Art auf der Rhede mit der Stadt in der Ferne vor uns, ohne an Land zu können, und am zweiten Tag wehte es noch eben so stark; wir forcirten aber die Anfahrt und gelangten glücklich, von Spritzwellen nur wenig durchnäßt, an Land.
Hast Du Dich, lieber Leser, wohl schon einmal recht lebhaft in die Märchen von Tausend und eine Nacht hinein versetzt, wo ganz plötzlich und unerwartet auf ein einfaches /27/ in die Händeschlagen oder ein anderes höchst unschuldiges Zeichen die wunderlichsten Gestalten und Landschaften aus dem Boden heraufsteigen und den Beschauer überraschen? Hast Du das, so wirst Du Dir einen ungefähren Begriff von dem Eindruck machen können, den meine Umgebung, die eben so schnell um mich her aufstieg, auf mich hervorbrachte. Die Aussicht auf die Stadt war mir bis dahin nämlich, da ich hinten im Boot gesessen und wir gerade vor dem Wind der Küste entgegen liefen, ganz durch das breite aufgespannte Segel entzogen worden, und jetzt als dieses siel, war es als ob ein Vorhang niedergerollt wäre, um mich mit vorher sorgfältig berechnetem Effect zu überraschen.
Vor mir lag, von der Brandung bespült, die schäumend über lose hingestreute flache Felsblöcke hinwegsprang und sprudelte, der Landungsplatz von Buenos-Ayres, und das Ufer wimmelte von abenteuerlichen, phantastischen Gestalten. Finstere, scharfgezeichnete und sonngebräunte Gesichter starrten überall unter schwarzen Hüten und rothen Mützen auf uns hin, und wohin auch das Auge fiel, begegnete ihm grelle, bunte, meist aber zinnoberrothe Farbe. Die Tracht der Männer erhöhte dabei das Pittoreske der Farben. Den Kopf bedeckt meistens eine rothe, stets keck auf einer Seite getragene Mütze. Der Poncho oder Mantel (ein viereckiges Stück Zeug, durch dessen aufgeschlitzte Mitte der Kopf gesteckt wird) fällt in malerischen Falten um den Körper nieder, und ist nur gewöhnlich über dem rechten Arm durch einen Knopf oder Haken in die Höhe gehalten, um jenem freie Bewegung zu gestatten. Die Beine stecken darunter in weißen langbefranzten Unterhosen, zwischen denen wieder ein buntfarbiges Tuch um die Lenden gegürtet ist, die Füße meistens in ungegerbten Kuh- oder Pferdebeinhäuten, auf deren Zubereitung ich später zurückkommen werde. So ausstaffirt hängt der „Gaucho" auf seinem Pferde, und die beiden vorn aus dem Hautstiefel schauenden Zehen in den kleinen schmalen Steigbügel gestützt, die Linke träge auf den hinten im Sattel befestigten Lasso gestemmt, schaut er mit den scharfen dunkeln Augen mürrisch auf den "Fremden" hin, wirft sich dann im Sattel herum und sprengt im gestreckten Galopp das Ufer entlang. /25/
Doch von diesem wird der Blick gar bald zu dem übrigen Treiben der lebendigen Stadt gezogen. Unzählige Boote schießen unter schwellenden Segeln vom Lande, oder zwischen den dort vor Anker liegenden kleinen Fahrzeugen hin; großmächtige zweirädrige Karren fahren überall in dem seichten Userwasser herum, um Ladung und Mannschaft aus den Fahrzeugen zu nehmen, die zu tief im Wasser gehen, besonders bei der unruhigen See bis dicht an's Trockne zu laufen. Hier treibt ein brauner, mit zerrissenem Poncho bedeckter Junge eine Heerde rauh genug aussehender Ponies in den Strom und gerade vor die bald mitten zwischen ihnen hinschießenden Boote hinein, daß die Thiere oft dem rasch dahergleitenden Bug gar nicht mehr so schnell ausweichen können und nicht selten durch die Wucht des Fahrzeugs umgeworfen werden. Dort stolziren eine Anzahl der wildest und wunderlichst aussehenden Soldaten, die mir in meinem ganzen Leben noch vorgekommen find, ziemlich lässig vor dem Gebäude des Hafencapitains herum. Gleich daneben singt und jubelt eine Anzahl betrunkener Matrosen, die jenes Kriegsschiff da draußen, von dessen Heck der Pennant flattert, schon vor vier Tagen an Land gelassen hatte, und jetzt trotz den wiederholten Bitten und Drohungen der Officiere noch nicht wieder an Bord bekommen konnte. Kurz, Menschen und Wogen drängen und treiben durcheinander hin, und das Auge wird nicht satt, die neuen Bilder in sich aufzunehmen.
Kaum weniger interessant ist dabei die wenn auch nicht an Naturschönheiten, doch sonst an manchen Eigenthümlichkeiten reiche Scenerie. Das Land, wie überhaupt das ganze Ufer des La Plata, von der Mündung bis hierher, ist flach und bietet nur wenige Hügel, ja selbst höchst spärlichen Baumwuchs; die Bauart der Stadt aber, die niedrigen Häuser und flachen Dächer, die vergitterten Fenster und das düstere Roth der Backsteine, giebt dem ganzen Platz einen so besondern Anstrich, daß man den ersten Eindruck dieser zusammengedrängten Häusermassen wohl schwerlich vergessen wird.
Aber auch oben an der Landung haben die nach europäischem Geschmack gekleideten Männer eine Auszeichnung, die besonders dem Fremden rasch in's Auge fällt und seine ganze /29/ Aufmerksamkeit erregt. Die grellrothe Farbe spielte damals selbst in ihrem Anzug eine bedeutende Rolle und diente dazu, sie als Bürger der Argentinischen Republik zu bezeichnen. Die Bürger der Republik mußten nämlich den vom Gouverneur Rosas gegebenen Gesetzen nach eine grellrothe Weste - deren Stoff jedoch in ihrem Belieben stand -, ein rothes Band um den Hut, und in einem Knopfloch ein langes Band von eben der Farbe tragen, auf dem die Devise der Republik: „Viva la confederacion Argentina – meuran los salvajes; asquerosos immundus Unitaries!“1 mit schwarzen Buchstaben gedruckt stand. Diese Devise fand sich überall; kein Document wurde ausgestellt, auf dem sie nicht den Anfang machte, kein Paß ohne sie visirt, keine Zeitungsannonce fast ohne sie eingerückt, so daß sie in jedem Blatt unzählige Male vorkam. Auf den Aushängeschildern fand man sie, selbst über dem Theater, und überhaupt an jedem Ort wo ein öffentlicher Anschlag, eine öffentliche Anzeige oder Überschrift angeschlagen, gemalt oder geschrieben war. Sogar der Nachtwächter rief sie Nachts in den Straßen, auf jeder Briefadresse mußte sie stehen.
Gouverneur Rosas schien gerade der Mann zu sein, das kräftige, wilde und auch wohl blutdürstige Volk der Gauchos - selber ein Gaucho aus ihrer Mitte, mit allen Tugenden und Lastern - im Zaum zu halten. Er hatte steh als Gouverneur der Republik, trotz allen Intriguen und offenen Angriffen der Gegner, bis jetzt zu behaupten gewuß, er hatte die Indianer schon mehrmals gezüchtigt und in ihre Grenzen zurückgetrieben, und dem Land wie dessen Verkehr mehr Sicherheit gegeben, als es je früher, so viel ich darüber hören konnte, gehabt. Dabei war endlich, nach langem Streit, ein sechsmonatlicher Waffenstillstand mit Montevideo geschlossen, der wohl, wie man hier hoffte und wünschte, in einem gütigen Ausgleich endigen würde.2 Das Letzte /30/ wäre dann gehoben gewesen, was dem Lande seine bis jetzt überdies schon so spärlichen Bewohner so gänzlich entzog, daß an manchen Stellen die Estancias von ihren Insassen total entblößt wurden, daß die Gebäude zerfielen und das Vieh sich in alle Welt zerstreute. Wenn dann noch eine tüchtige Einwanderung (die schon jetzt von den benachbarten Staaten, besonders von Rio Grande und Montevideo, begonnen hat) den Eingeborenen zu Hülfe kommt, so kann und muß sich das Land in seinen Erzeugnissen von Jahr zu Jahr bessern, und man darf ihm wohl eine glückliche Zukunft vorherkünden.
Was sein Klima betrifft, so ist schon der Name Buenos-Ayres (gesunde Luft) eine Art Bürgschaft dafür. Die Stadt selber ist keineswegs unbedeutend, denn sie zählt über 80,000 Einwohner, und die Gebäude sind, wenn auch niedrig, doch gänzlich aus Stein aufgeführt, so daß Feuersbrünste nur höchst selten vorkommen.
Die Kirchen, von denen es eine große Anzahl zu geben scheint, verleihen mit ihren gewölbten Kuppeln der Residenz ein fast morgenländisches Ansehen, dem die sonngebräunten Gestalten der Bewohner auch keineswegs widersprechen. Aber die raschen, lebendigen Bewegungen dieses centaurenartigen Volkes passen nicht zu dem Bilde, das wir uns gewöhnlich von den stillen, ernsten Söhnen Muhamed's machen, und die Kreuze der Kirchen predigen den „rechten Glauben".
Ich habe meinem Tagebuch hier etwas vorgegriffen, denn der Leser kann sich wohl denken, daß ich das nicht Alles gleich auf den ersten Blick übersah. Für die ersten Tage, die ich in Buenos-Ayres verbrachte, bleibt mir aber auch nur sehr wenig zu erzählen, denn meine Beschäftigung beschränkte sich großentheils darauf, zuerst ein Unterkommen zu suchen, und dann herumzuhören was die Leute hier über meine Absicht, quer durch's Land hin nach Valparaiso zu, sagen würden. /31/
Das erste hatte weiter keine Schwierigkeit, denn ich fand in einem englischen Haus, in welchem sich gewöhnlich deutsche und dänische Capitaine - und von beiden Nationen befanden sich gerade eine ziemlich bedeutende Anzahl in Buenos-Ayres - einquartierten, zu einem mäßigen Preis Bett und Kost. Desto trübseliger sah es aber mit dem andern aus. Die Leute, die ich frug, ob ich die Reise jetzt durch die Pampas unternehmen könnte, sagten einfach nein, es wäre nicht möglich: - Die Pampasindianer hätten sich gerade in diesem Augenblick wieder gegen Rosas empört, und durchstreiften die Steppen nach allen Richtungen in Banden von zweihundert bis dreihundert Manu. - Würde ich von ihnen erreicht, und das sei, wie die Sachen jetzt stunden, kaum anders möglich, so hätte ich auf kein Erbarmen zu rechnen. Es sei festes Gesetz bei ihnen, die jungen Frauen und Mädchen mitzuschleppen und den Männern einfach die Hälse abzuschneiden. Käme ich aber auch wirklich nach Mendoza, wozu sie aber nicht einmal die Möglichkeit sähen, so müßte ich dann dort jedenfalls liegen bleiben, da ich die Kordilleren gerade mitten im Winter, im Juli, erreichte und diese durch Schnee um solche Jahreszeit stets geschlossen fände. - Ein Versuch dort hinüber zu gehen wäre einfacher Wahnsinn, und ich solle lieber sehen, daß ich - wenn ich doch nun einmal nach Valparaiso müßte, Passage auf einem der gerade in dieser Zeit abgehenden Schiffe fände. Um mäßigen Passagepreis.--
Hätten mir das nur zwei, oder zehn, oder zwanzig Leute gesagt, so wäre noch der Trost dabei gewesen, daß Andere auch eine andere Meinung über die Sache hätten. So aber waren, wunderbarer Weise, Alle gerade in dieser Sache einig, und ich fing in der That schon an zu glauben, ich hätte irgend ein wahnsinniges Unternehmen vor, von dem ich doch am Ende, wenn ich mir nicht mnthwillig wollte den Hals abschneiden lassen, abstehen mußte.
Der amerikanische Konsul, ein Mr. J. Graham von Ohio, der mir überhaupt mit wirklicher Zeitopferung die größten Gefäligkeiten erwies, gab sich selber alle Mühe, etwas Gewisses oder vielmehr Tröstlicheres über die Reise zu erfahren, /32/ denn ich hatte ihm gesagt, ich verlange weiter nichts als nur einen Menschen in der ganzen Stadt zu finden, der mir zugestehe, daß die Tour eben möglich wäre. Endlich trieben wir einen alten Spanier - ich habe seinen Namen vergessen - auf, der längere Zeit in Mendoza selber gewohnt hatte, und dieser, der auf die erste Anfrage hin ebenfalls nein antwortete, meinte endlich achselzuckend, möglich sei es allerdings, aber ich müßte viel Glück haben. - Viel Glück hatt' ich, also war die Sache abgemacht.
Damit im Reinen, schien es als ob mir ein ordentlicher Stein vom Herzen gefallen wäre, und ich konnte mich nun in voller Ruhe all' den fremden wunderlichen Eindrücken hingeben, die diese fremde und wunderliche Umgebung auf mich machte. Was ich jetzt auch noch gegen die Reise selber hörte, betrachtete ich vom richtigen Gesichtspunkt aus und ließ die Leute eben reden.
Vor allen Dingen beschäftigte ich mich nun damit, meine kurze Zeit in Buenos-Ayres auch so gut als möglich anzuwenden und, so viel ich konnte, über die Verhältnisse der Deutschen dort, oder überhaupt der Fremden, in Bezug der Auswanderung zu hören. Im Auftrag hierzu von unserem früheren deutschen Reichsministerium (wenn die Deutschen doch wenigstens nie vergessen wollten, daß sie einmal ein R e i ch s-Ministerium hatten) suchte ich auch direct vom Präsidenten der Republik zu erfahren, inwieweit er deutsche Einwanderung begünstigen würde, und machte mehrere kleine Streifzüge in die nächste Nähe der Stadt, die dortigen Estancias und Anpflanzungen selber zu sehen, wie etwas Näheres über ihre Bearbeitung und ihren Fortgang zu hören. Ehe ich jedoch dazu übergehe, will ich mich in ein paar Worten noch mit der Stadt selber beschäftigen.
Buenos-Ayres ist eine längs dem Fluß in regelmäßigen Blöcken und breiten Straßen vortrefflich angelegte Stadt, die einen sehr bedeutenden Flächenraum einnimmt, und eine doppelt so große Zahl von Einwohnern in sich fassen könnte, wäre nicht die weitläufige spanische Bauart mit den niederen Gebäuden und luftigen Hofräumen mehr auf das warme Klima als darauf berechnet, eine Masse von Seelen, oder vielmehr /33/ Körpern, in einen möglichst kleinen Raum zusammenzudrängen. Die Tracht der Einwohner ist eine wunderliche Mischung von Französisch, Spanisch und Indianisch. - Die gebildetere Klasse, wie die Fremden, tragen die französische Tracht - Frack, Oberrock, lange Beinkleider und schwarzen Hut - die Argentinier nur eben mit dem patriotischen Zusatz der rothen Weste und dem rothen Hutband, dennoch aber, und besonders beim Reiten, auch dem des Poncho. Da ich diesen Poncho aber bei einem längeren Aufenthalt in Südamerika wohl ziemlich häufig erwähnen werde, ist es vielleicht besser, ihn hier gleich so kurz, aber auch so genau als möglich zu beschreiben.
Der Poncho ist aus den verschiedenartigsten Stoffen - von der feinsten Weberei nieder bis zu der gewöhnlichsten wollenen Decke hinunter, verfertigt, ein länglich viereckiges Stück Zeug, mit einem Schlitz in der Mitte, gerade groß genug, den Kopf hindurch zu lassen. Er hängt in Falten über die Schulter hinunter, wird aber beim Reiten, besonders wenn der Reitende seinen Lasso zum Gebrauch fertig hält, aus der rechten Schulter in die Höhe genommen und fest- geknöpft, um den rechten Arm frei zu lassen.
Der Gaucho und Peon oder Diener, selbst die meisten Abtheilungen der Soldaten, wenigstens die ganze Cavallerie, tragen diesen Poncho, und darunter, statt der Hosen, die sogenannte cheripa, ein dem Poncho ähnliches Stück Tuch, das hinten am Gürtel befestigt ist, und zwischen den Knieen durch vorn zum Gürtel heraufgezogen und dort eingesteckt wird.
Die Füße der unteren Klassen, natürlich nur die der Männer, stecken in Stücken ungegerbter Haut, die sie den Beinen junger Pferde und Rinder nur eben abgestreift haben, um sie auf die eigenen Füße zu ziehen. Die Haare werden mit ihren scharfen Messern herunterrasirt und das Fell dann durch Oel geschmeidig erhalten.
Die Tracht der Frauen ist meist spanisch, wenigstens giebt ihnen die Mantille ein solches Aussehen, obgleich die Damen der argentinischen Residenz selbst den Französinnen nicht in geschmackvoller Toilette nachstehen würden. /34/
Merkwürdig für den Fremden, und für mich besonders ungemein interessant, ist das Leben und Treiben in den Straßen selber. Die wilden Gestalten der Gauchos mit ihren flatternden Ponchos und Kopftüchern - die großen, unbehülflichen Wagen, die, von Ochsen gezogen, mit ihren zwei riesigen, oft zehn Fuß hohen, Riemen umwickelten Rädern durch die Stadt rollen - die Gauchojungen, die Morgens mit ihren zwei Milchblechen auf dem Pferd, das eine nackte Bein herunterhängend, das andere auf den Sattel gezogen, zu Markt kommen - die zerlumpten Soldaten, die vor den öffentlichen Gebäuden Wache stehen - die vorherrschend grell¬rothe Farbe der ganzen Bevölkerung - die langen, freilich verbotenen Messer in den Gürteln - die niederen Häuser dabei und vergitterten Fenster, das Alles glitt mir oft wie die wunderlichen Bilder einer Laterna magica vor den Augen vorüber, und ich freute mich dann wohl im Stillen, daß ich da wirklich mitten drin sitze in all' dem Schaffen und Treiben, und jetzt so recht hineinstürmen dürfe in das freie, fröhliche Leben.
Was nun die Vergnügungen der Stadt betrifft, so bin ich freilich nicht im Stande, viel darüber zu sagen. - Meine Zeit war mir dort viel zu knapp zugemessen, mich diesem überlassen zu dürfen, und nur einer Beschreibung nach kann man in solche eben nicht genug eingeweiht werden, um dem Leser wieder einen deutlichen Begriff zurückgeben zu können. Das Wenige, was ich aber darüber weiß, soll ihm nicht vorenthalten bleiben.
Buenos-Ayres hat zwei, und wie es heißt, sehr gut besuchte Theater, das eine - das Victoriatheater, soll eine recht tüchtige Oper besitzen, das andere bringt Schauspiele, verschmäht es aber auch nicht, Taschenspieler und Seiltänzer in seine Räume und den Kreis seiner Wirksamkeit aufzunehmen.
Außerdem erxstirt in der Stadt ein Leseclub, der auch deutsche, französische, englische und portugiesische Zeitungen hält. In Buenos-Ayres selber erscheinen vier Zeitungen, drei spanische und eine englische - „The British Paket" - aber unter diesen kein einziges eigentliches Localblatt. /35/
Gleich in den ersten Tagen machte ich einen kleinen Abstecher in die nächste Umgebung der Stadt, um einige Deutsche, die in der Nähe ihre Estancias haben sollten, zu besuchen, und selber einmal mit eigenen Augen diese südamerikanischen Farmen zu sehen, von denen ich so Manches gehört und doch noch keinen rechten Begriff bekommen hatte.
Mein Begleiter war ein kleiner deutscher Bauer, seinen Namen habe ich vergessen. Nichts Komischeres gab es aber, als ihn oben auf seinem riesigen Pferd kauern zu sehen, und beim Trab fürchtete ich mehrere Male, daß es ihn förmlich auseinander schütteln würde. Er kannte die ganze Nachbarschaft, und brachte mich zu einigen seiner Bekannten, mit denen er vor achtzehn oder zwanzig Jahren über See gekommen war, und die sich hier meistens in vortrefflichen Umständen befanden.
Die Umgegend von Buenos-Ayres bietet, außer dem breiten, schönen Strom mit seiner Menge von Masten, dessen gegenüberliegende Ufer nur manchmal bei sehr hellem Wetter sichtbar sein sollen, sehr wenig Pittoreskes; trotzdem ist die Natur auch in dieser Gestalt schön, und besonders fesselt manche Eigenthümlichkeit das Auge des Europäers. Zu diesen gehören die Einfriedigungen der Gärten und kleineren Felder nahe bei der Stadt, die des großen Holzmangels wegen meistens aus dicht aneinander gepflanzten wuchernden Aloes und Cactus bestehen. Vorzüglich schön sehen die Aloes aus mit ihren riesigen fleischigen Blättern und den oft bis über vierund zwanzig Fuß hoch aufgeschossenen Blüthenstengeln (jetzt leider nicht in der Blüthe), und so dicht drängen sie zusammen, daß ein Pferd oder Rind wohl nicht leicht den Durchgang wagt, ein Mensch sich aber erst eine Bahn hindurch schneiden oder hauen müßte. Auf solchen Einbruch steht jedoch Todesstrafe, und die Gesetze lassen hier nicht mit sich spaßen.
Mitten zwischen solchen Gärten und Hecken ritten wir vergebens aber suchte das Auge einen ordentlichen anständigen Baum, der eine Abwechslung in die grenzenlose Fläche brachte; nur kleines, niederes Gesträuch, Weiden und derartiges Buschwerk, begegnete dem Blick, und die Blüthenstenqel der Aloe reichten hoch über diese hinaus./36/
In dem Deutschen, dessen Farm wir hauptsächlich besuchen wollten, fanden wir einen freundlichen, gefälligen Mann, der uns bereitwillig seine ganze Einrichtung, wie Felder und Wirthschaft zeigte. Alles, was er gepflanzt hatte, schien vortrefflich zu gedeihen, die Felder und Holzpflanzungen waren mit Aloe dicht umzäunt und gegen das Eindringen der Thiere vollkommen gesichert; er hatte tüchtige Pferde, einen natürlich draußen weidenden sehr guten Viehstand, und zog durch die Nähe der Stadt schon durch Milch und Butter einen nicht unbedeutenden pecuniären Nutzen. Der Mann war aber auch in anderer Hinsicht ein ächter amerikanischer Farmer geworden, und hätte sich seinen Brüdern in Nordamerika ohne Weiteres anreihen können. Er schimpfte aus Leibeskräften aus die Deutschen und meinte, diese sollten nur um Gottes willen nicht auswandern oder nach Südamerika kommen, denn arbeiten wollten sie doch nicht, und zum Zugucken brauchten sie Niemanden mehr, da hätten sie gerade genug. Er beschäftigte auch nur eine Anzahl von Spaniern auf seinem Grundstück - Einzelne warfen Gräben aus, an denen hier die Cacctus- und Aloehecken gepflanzt werden, Andere entnahmen den dichten Reihen der letzteren junge Schößlinge, neue Schutzsfenzen damit anzulegen. Wieder Andere hieben junge Pfirsichstämme ab und banden sie zu einer bestimmten Größe von Bündeln zum Verkauf in die Stadt zusammen; denn so arm ist dieser Theil der Welt an Holz, daß wirklich Pfirsichholz, nur zu diesem Zweck angebaut, den größten Theil des Brennmaterials liefert. Nirgends beschäftigte er aber Deutsche, und versicherte uns, wenn er auch einmal einen deutschen Arbeiter bekäme, so verdienten sie gewöhnlich das Brod nicht, denn erstens wollten sie nicht arbeiten, und dann forderten sie den drei-doppelten Lohn von dem, was er dem fleißigsten Spanier gäbe.
Von dort ritten wir noch nach einigen anderen Estancias hinüber, bei denen wir aber die Eigenthümer nicht selber aufsuchten, und kamen zuletzt an ein altes wunderliches Gebäude, das, wie mir mein Geleitsmann sagte, in früherer alter Zeit einmal eine Kirche und ein Kloster gewesen sei. Für die Deutschen war es aber auch noch in anderer Beziehung wichtig /37/ und interessant, da es den damals von Rosas herübergezogenen Einwanderern längere Zeck zum durch die Regierung angewiesenen Aufenthalt gedient. Die deutschen Arbeiter sollen nämlich gerade in einer Periode eingetroffen sein, wo sie der Gouverneur Rosas mitten in der politischen Aufregung unmöglich gleich unterbringen und verwenden konnte; er hatte nicht einmal Arbeit für sie. Wie trefflich er sich aber damals gegen die Deutschen benommen hätte, konnte der alte Bursche nicht genug rühmen. Ihnen wurde nicht allein das alte Kloster zum Aufenthaltsort angewiesen mit den nöthigen Provisionen für Frau und Kind, nein die Männer bekamen auch noch ihren trefflichen Tagelohn ausbezahlt, ohne daß sie auch nur zu irgend einer Arbeit aufgefordert gewesen wären.
,,Das waren Zeiten!" rief mein alter Deutscher und hielt sein Pferd an, „alle Tage unser gutes Essen, dreimal so gut wie wir's in Deutschland gehabt, und unser Tagelohn, viermal so viel wie wir hätten dort verdienen können und „gar nischt" dabei zu thun - und das dauerte viele Monate. - Da haben wir uns von der Seereise recht erholen können - und wie wir ja nachher 'was schaffen sollten, da konnte man sich auch noch immer mit größter Bequemlichkeit drum herum drücken - aber der Lohn ging fort."
Eine eben so nützliche Bevölkerung schien Rosas jetzt darin zu halten. Eine Anzahl der leeren Zellen war nämlich von einem Schwarm Pampasindianern eingenommen, die, von Rosas besiegt und gefangen genommen, hier von ihm friedlich gehalten und ernährt wurden.
Ob er selber so friedlich gegen diese ihm stets feindlich gesinnten und blutdürstigen Stämme dachte, will ich dahingestellt sein lassen, aber er durfte die raubsüchtigen Horden, denen das ganze Innere seines Landes preisgegeben lag, auch nicht unnöthig reizen und zur Vergeltung treiben, und deshalb wurden diese Kinder der Steppe hier in ihrer Gefangenschaft, in der sie aber anscheinend ganz frei herumgingen, so gut und nachsichtig behandelt wie nur irgend möglich. Dicht an der Stadt sollte noch ein ähnliches, aber viel stärkeres indianisches Lager des nämlichen Stammes sein, der ebenfalls den Platz nicht wieder verlassen durfte. /38/
Es war eine nicht sehr große, aber gedrängte, kräftig muskulöse Menschenrace, den nordamerikanischen Indianern besonders in Haar und Farbe gar nicht unähnlich, und um die einzelnen, in dem weiten Hofraum errichteten Lagerfeuer kauerten die verschiedenen Familien, ihrer Mahlzeit entgegenharrend. Die Männer standen dabei oft auf und schritten gravitätisch, in ihre Decken geschlagen, in den Gängen herum; die Frauen aber schürten die kleinen dürftigen Feuer zusammen, damit das dicht daran gehangene Fleisch wenigstens in etwas durchbraten und gar werde.
In ihren Zimmern, wenn eine Art offener Ställe überhaupt so genannt werden kann, sah es ebenfalls wild genug aus. Die Lagerstätten, meist von Bambusstöcken hergerichtet, waren etwas vom Boden erhöht - ein eigener Luxus, den sie hier mit dem Schlafen trieben. Ein paar wollene Decken und selbstgewebte Ponchos und Cheripas bildeten das ganze übrige Ameublement, denn sie wurden zugleich zu Tischen wie Stühlen verwandt; - mau hätte denn noch ein paar Pferdeschädel dazu rechnen wollen, die den Familienvätern zu Lehnsesseln zu dienen schienen. Das ganze Gebäude sah übrigens wild und schaurig genug aus. - Kein einziges Fenster war noch mit einem gesunden Schalter versehen - die Thüren hingen theils hier und da in einer Angel, und schlenkerten und klapperten mit dem Luftzug hin und wieder, oder waren auch schon großentheils von den darin gerade nicht scrupulösen Söhnen der Steppe zu Feuerholz klein geschlagen und aufgebraucht worden.
Selbst die alte Kapelle schien von den gierigen Händen der Zeit und den fast noch gierigeren der Menschen nicht verschont geblieben. Die Wände standen, ihres früheren Schmuckes beraubt, kalt und kahl da, und hier und da hingen noch ein paar alte, verwirrte Zierrathen in einer der Ecken, zu hoch und werthlos, sich ihrethalben zu bemühen. In einer zusammengebrochenen Nische stand auch ein kaum mehr erkennbares Steinbild von einem - Heiligen oder Götzen - es wäre schwer gewesen, das jetzt zu bestimmen. Wenn aber auch alles übrige Holzwerk, eben wohl zu Feuerung, herausgebrochen sein mochte, hatte man doch den Altar, vielleicht in einer Art /39/ Ehrfurcht, die selbst den heidnischen Pampas vor dem Gott der Christen eingeprägt sein mochte, stehen lassen, und sogar die alte, schwer gestickte Altardecke hing noch, wenn auch in Fetzen und schon fast verwittert, von dem vordern Theil desselben herunter.
Ich wanderte lange Zeit in dem alten wunderlichen Gebäude umher, so lange, daß es mein kleiner Begleiter zuletzt schon herzlich satt bekam und mich frug, was man in den „erweiterten, windschiefen Nestern denn nur so ewig zu schauen finden könnte. - Da ich daran verzweifelte, ihm das je begreiflich machen zu können, stiegen wir endlich wieder in unsere Sättel und ritten weiter.
Auf dem Rückweg besuchte ich die Quinta oder das Lustschloß des Gouverneurs, das Fremden stets offen steht - sie liegt etwa eine Stunde Wegs von der Stadt entfernt höchst angenehm dicht am Strom, und der Blick erfreut sich dort zum ersten Mal wieder an grünen, schattigen Bäumen, die das niedere, von Säulengängen umschlossene Lusthaus dicht umgeben. Der Aufenthalt muß hier, besonders im Sommer, reizend sein. Nur die Berge fehlen dem Hintergrund und dem Auge dadurch auch die freundlichen, weit hinausschweifenden Gebirgshänge mit ihren kühlen Schluchten und moosigen Felsen. Alles ist flach, und es kommt Einem manchmal ordentlich das Gefühl, als ob man sich hoch über die Ebene emporheben und froh aufathmend das weite schöne, aber noch so wilde Land überschauen möchte.
Der Platz um die Quinta her ist ungemein gut im Stand erhalten und eine Sorgsamkeit auf die kleinste Pflanze verwendet, die besonders dann einen fast wohlthätigen Eindruck auf den Beschauer macht, wenn man die wilden Gestalten dabei sieht, die hier mit vorsichtiger Hand Bäume und Blumen pflegen.
Zn den Merkwürdigkeiten der Quinta gehört eine amerikanische Brig, die einmal bei einem heftigen Südoster hier auf das Land getrieben und später von Rosas angekauft wurde. Jetzt steht sie hoch und trocken mitten zwischen den sie umschmiegenden Weiden, über welche die beiden Masten hoch und kahl hinausragen. Sie ist übrigens im Innern /40/ sehr elegant zu einem einzigen Salon hergerichtet und eine bequeme Treppe daran hinaufgebaut.
Besonders gut hat mir bei der Anlage seines Lustorts gefallen, daß der Gouverneur, alles Fremdartige und Fremde verschmähend, die wilden Thiere seines eigenen Landes hierher verpflanzt hat und hält. So sieht man in einem weiten, von niederem Eisengitter umschlossenen Raum eine Anzahl der südamerikanischen Strauße oder Kasuare; in einem der kleineren Gebäude liegt, an allerdings etwas sehr dünner Kette und sonst ganz frei, ein prachtvoller argentinischer gefleckter Tiger - dem asiatischen ganz gleich, nur etwas kleiner, und in einem Käfig, nicht weit davon entfernt, ein Kaguar oder amerikanischer Löwe. Dem Tiger sind übrigens die Zähne abgefeilt und die Krallen dicht beschnitten, so daß er, wenn er sich losrisse, einen Menschen höchstens todt quetschen könnte.
Selbst die fernen Cordilleren haben zu dieser kleinen Creolenmenagerie, wie sie in Louisiana sagen würden, einen Tribut liefern müssen, denn auf einer von tiefem Graben umzogenen und Aloe, Cactus und Dornhecke dicht umschlossenen Wiese grasen drei Guanakas.
Auf dem Heimritt hielten wir uns etwas länger bei den Kasernen auf, die gleich unterhalb der Quinta stehen. Es sind das lauter kleine, nicht weit von einander und zwar einfach genug errichtete Hütten, die ein feststehendes Lager bilden, in dem die Soldaten mit ihren Familien wohnen. Das Ganze hat auch in der That mehr ein indianisches als civilisirtes Ansehen, und die Soldaten, die hier ganz nach indianischer Weise leben und lagern, können wirklich fast mehr zu wilden als civilisirten Stämmen gerechnet werden. Diesem entsprechend, sieht auch ein großer Theil des Militärs wunderlich und wüst genug aus, rauh und abgerissen, eher einer Räuberbande als einem anständigen Heere gleich. - Ich verlange wahrhaftig keine Gamaschendisciplin, und je einfacher die Soldaten gehalten werden, desto weniger sind sie ein „theures Spielzeug" des Fürsten, aber einerlei Hosenbeine können sie denn doch haben, und wenn sie nun einmal am linken Fuß keinen Schuh erzwingen können, so sollten sie es wenigstens wie ihr Nebenmann machen und den vom rechten ebenfalls herunterlassen. Uebrigens sollen es tüchtige Burschen sein und sich in den früheren Kriegen schon wacker geschlagen haben. Mir wurde gesagt, daß sie wie die Mauern stehen - wenn man sie nur einmal am Davonlaufen hindern kann.
Die reguläre argentinische Kavallerie hat dagegen ein desto pittoreskeres, ja wirklich romantisches Aussehen. Die dunkel¬blauen Ponchos mit weißen Randstreifen und rothem Futter, die gleichen langen und spitzen Mützen, vorn mit den Zipfeln herumgelegt und befestigt, machen sich vortrefflich. Dabei tragen sie eben solche blaue, mit weißen Litzen besetzte Cheri- pas und weiße befranzte Leggins. Auch eine Abtheilung der regulären Infanterie sieht originell und gut aus. Diese ist ganz in die Nationalfarbe - roth - gekleidet. Feucrrothe spitze Mütze - eben in der Art wie bei der Kavallerie getragen - feuerrothen Poncho mit weißen Streifen rings herum, und eben solche Cheripas gleichfalls mit weißen befranzten Leggins oder Unterhosen.
Eines eigenen Gesetzes muß ich aber hier, da ich gerade von dem Militär spreche, erwähnen. In früheren Zeiten, wo die Miliz noch in Masse aufgeboten wurde und häufig in der Stadt exerciren mußte, sich einzuüben, geschah es oft daß Fremde, die nicht militärpflichtig waren, also an diesen Uebungen auch nicht theilzunehmen brauchten, über die vielleicht etwas abenteuerlichen Gestalten lachten und ihren Spaß darüber hatten. War dies nun die Ursache, oder mehr der angegebene Grund: „daß Fremde in der Zeit, welche argentinische Bürger dem Wohl des Staates opfern mußten, nicht allein Geld verdienen, und diese dadurch doppelten Schaden leiden sollten", das Gesetz erschien und war noch damals in Kraft, daß sich Niemand, so lange zu gewissen angesetzten Stunden (meistens Sonntags) exercirt wird, bei Strafe arretirt zu werden, auf der Straße dürfe blicken lassen. Alle Läden waren gesperrt und selbst der Aufenthalt auf den flachen Dächern zu dieser Zeit untersagt. So streng wurde dies Gesetz dabei gehalten, daß sich selbst auf dem Lande, wenn dort draußen Manöver war, Niemand durfte sehen lassen. Keinem Reisenden war es erlaubt, in solcher Zeit und in der /42/ Gegend seinen Weg fortzusetzen, und sogar die Hirten mußten in ihre Behausung zurück. Die einzige Ausnahme fand bei den Schafheerden statt, bei denen ein Schäfer bleiben durfte.
Von diesem kleinen Ritt, der mich kaum aus der nächsten Umgebung der Stadt und noch nicht einmal aus den Hecken der Felder hinausbrachte, zurückgekehrt, bekam ich eine Einladung des Bremer Consuls Herrn***, seine drei Leguas (etwa neun englische Meilen) entfernte Estancia zu besuchen.
Mir war dies aus zwei Gründen sehr angenehm, denn erstens lernte ich dadurch einen kleinen Theil des Innern kennen, und zweitens übte ich mich ein wenig im Reiten. - Ich wünschte mich selber erst einmal wieder zu probiren, ob ich auch einen so langen, anstrengenden Ritt, wie ich jetzt vor mir hatte, gut aushalten würde. Das ging jedoch besser als ich erwartete, denn wenn ich auch in Nordamerika Wochen lang hintereinander im Sattel gehangen hatte, war ich doch wieder die langen Jahre in Deutschland nur sehr selten „an Bord eines Pferdes" gekommen. Ich empfand nicht die geringste Unbequemlichkeit, ja im Gegentheil ergoß es sich mir ordentlich wieder wie mit neuer, frischer Lebenskraft durch die Adern, nach so langer Seereise die frische, herrliche Luft einathmen und auf einem so starken, kräftigen Thier über die Ebene dahinbrausen zu können.
Nur zu sehr beengt fand ich mich noch im Anfang durch Hecken und Gebäude. - Mich drängte es, wieder einmal frank und frei hinaus in das wilde, ungehemmte Leben zu tauchen, und Alles was mich an Civilisation erinnerte, war dabei meinen Gefühlen eine Art Hemmschuh. Hier beginnen aber erst die ordentlichen Pampas, denn bis dahin findet man doch noch einen kleinen Hügel oder wenigstens etwas erhöhtes Land mit einzeln zerstreutem Buschwerk oder Anpflanzungen von Pfirsich-, Paradies- und anderen Bäumen. Weiter hinein aber soll das ganz aufhören, und das Auge nichts finden auf dem es haften könne, als eine einzige ununterbrochene, meerähnliche Fläche.
Ansiedelungen kann man übrigens diese Estancias gar nicht nennen. Es sind nur Gebäude mit mehreren Einfriedigungen, um Vieh darin zu halten, und die Bewohner derselben machen /43/
auch nicht den mindesten Versuch, selbst nur das zu bauen, was sie für sich allein zu Brod oder Gemüse brauchen könnten. Fleisch ist die einzige Nahrung. Der Südamerikaner ißt hier wirklich „Fleisch zu Fleisch", und Alles fast, was er braucht, weiß er den Thieren, die er schlachtet, abzugewinnen. Diese Plätze im Innern des Landes haben aber auch deshalb nicht das Gemüthliche, Wohnliche, Sichere einer europäischen Landwirthschaft. Das reinlich stille Treiben eines Landgutes, dessen Bewohner sich hauptsächlich von Vegetabilien nähren, fehlt ihnen ganz; überall bezeichnet Tod und Verwesung das rauhe Handwerk des Viehzüchters. Wohin das Auge, besonders in der Nähe der Häuser, blickt, sind Spuren von geschlachteten oder gefallenen Stücken Vieh zu sehen; überall liegen Häute, Schädel, Eingeweide, Hörner, Hufe, Knochen, Blutspuren. Tausende und Tausende von Aasgeiern, Raubvögeln und Möven umschwärmen diese Plätze, und die Nase muß sich erst wirklich an den im Anfang widerlichen frischen und faulen Fleisch- und Blutgeruch gewöhnen.
Die sonst friedlichen und eigentlich nicht fleischfressenden Hausthiere lernen sich ebenfalls in das Unvermeidliche fügen und verändern ihre Natur. Hühner und Gänse, selbst die Truthühner, leben allein vom Fleisch, und die Schweine werden davon gemästet. Ueberall liegen frische Häute ausgespannt oder hängen zum Trocknen auf, und besonders in der Nähe der Stadt, wo die großen Saladéros oder Schlächtereien sind, begegnet das Auge, wohin es sich auch wendet, den Spuren der Verwesung. Sechs bis acht Fuß hohe Mauern sind allein ganz von Stierköpfen, die Hörner alle gleichmäßig überein errichtet, ja die Vertiefungen der Straße selbst mit Gebeinen und Knochen ausgefüllt. So sah ich zum Beispiel eine Stelle, wo Tausende und Tausende von unschuldigen Schafsköpfen dazu dienen sollten, eine sonst unbezweifelte Riesenpfütze in befahrbare Chaussee zu verwandeln. Ist es da ein Wunder, daß die Bewohner dieses Landes, von nichts als Fleisch genährt, fortwährend schlachtend und immer von Blut und Verwesung umgeben, selber wild und blutdürstig sind, und nur zu oft ein Menschenleben nicht höher halten als das eines Stiers oder Pferdes? Die rein animalische /44/ Nahrung muß den Menschen nothwendig verwildern, und die an das Messer gewöhnte Hand wird mit dem Gebrauch desselben zu sehr vertraut, um es nicht auch manchmal mißbrauchen zu sollen, oder doch wenigstens in „unbeschäftigten Stunden" damit zu spielen.
Einen freundlicheren Anblick gewähren übrigens die weiten, nur vom Horizont begrenzten Wiesen, auf denen zahlreiche Heerden von Rindern, Schafen und Pferden, theils in zusammenhaltenden Massen, theils einzeln zerstreut weiden. Eine ungeheure Menge von wildem Geflügel belebl dabei jeden andern Platz, und nicht allein Raubvögel, sondern auch wilde Enten, Gänse, Schwäne, Reiher, Flamingos usw. durchziehen die Luft oder stehen in dem Sumpfwasser der Steppe. Die Jagd auf Wasservögel ist hier in der That ungemein ergiebig, und ich habe selbst in Louistana, wo es doch wahrlich Enten und Schnepfen zur Genüge gab, nichts Aehnliches gesehen. Wir gingen nur ein einziges Mal mit den Flinten hinaus, und zwar mehr um die verschiedenen Gattungen Wild zu sehen, als viel davon zu schießen; ich fand aber wirtlich meine kühnsten Erwartungen übertroffen.
Das Wild, das wir in etwa einem halben Tag sahen, waren: Schwäne, Gänse, viele Arten von Enten und Tauchern. Zwei Arten von Flamingos, eine rosenrothe Art, die besonders wunderschön aussah, wenn sie mit ausgebreiteten Flügeln aufstieg, und eine andere, etwas größere mit dunklerem Roth und Schwarz. Unzählige Kibitze, die ebenfalls eßbar sind, hier aber, da man doch genug Geflügel hat, selten erlegt und dadurch fast zahm werden; Wasserschnepfen, Becassinen3 in Völkern von achtzig und neunzig Stück, Strandläufer, eine Art Wassertruthahn, so groß wie ein gewöhnlicher Truthahn, aber nicht genießbar; dann einen andern Vogel von der Größe eines Birkhuhns, auch wohl noch etwas größer, der ein so delicates Fleisch haben soll wie der Fasan; ferner Gott weiß wie viele Gattungen von Raubvögeln, Aasgeiern, Möven und kleinen Eulen, Reihern und Störchen.
Außerdem giebt es hier noch in ungeheurer Menge ein Thier, das sehr große Aehnlichkeit mit dem Hamster hat, in Größe und Lebensart aber fast dem Dachs gleichkommt. Es /45/ lebt in Höhlen, in den Steppen, und kommt gegen Abend in's Freie. Ein junger Bremer, Namens Cäsar, der so freundlich war, mich dort herumzuführen, schoß eins, damit ich es näher beschauen konnte. Wenn man aber darauf ausging, glaub' ich sicher, daß man, besonders in mondhellen Nächten, gerade so viel davon erlegen könnte, wie man Ladungen von Pulver und Schrot bei sich hat. Es giebt Tausende davon in den weiten Wiesen.
Höchst interessant war es mir, auf der Estancia einen Deutschen zu finden, der diese verwaltete, und nicht weit davon entfernt eine eigene zum Grundeigenthum hatte. Zufälliger Weise fand ich in ihm sogar einen Sachsen, Herrn Papsdorf, der mir Manches bestätigte, was ich auf meinem früheren Ausflug in das Land gehört hatte, und noch außerdem manche vortreffliche und nützliche Mittheilungen machte. Er hatte sich übrigens vollkommen naturalisirt und eine Tochter des Landes geheirathet; seine Söhne hingen, in Cheripa und Poncho, wie ächte Gauchos auf den Pferden, und warfen den Lasso so geschickt wie irgend ein anderes der wilden Steppenkinder.
Das, was ich durchschnittlich über die Verhältnisse des Landes und besonders dieser Estancias hörte, ist etwa das Folgende.
Das Eigenthum ist jetzt hier, wie mir von allen Seiten unwidersprochen versichert wurde, vollkommen geschützt, und Todesstrafe droht meistens bei fast geringen Uebertretungen den ertappten Verbrechern. Ich würde aber übertreiben, wollte ich sagen, der eigentliche Charakter des Volkes selber sei dadurch ebenfalls vollkommen im Zaum gehalten. Der argentinische Gaucho ist gar geschwind mit seinem Messer bei der Hand, und trotzdem, daß es ihm in der Stadt auf das Strengste verboten ist es zu tragen, fallen doch nur zu häufig noch Mordthaten, selbst in den Straßen, vor. Diese rühren aber fast jedesmal von Streitigkeiten untereinander her, und es soll dann auch, wie das ja ebenfalls an anderen Orten der Fall ist, das schlimmste Volk gerade in der Stadt versammelt sein. Sehr weit im Innern bedrohen allerdings die Indianer nur zu oft einzeln gelegene Estancias, und überfallen /46/ und morden die Bewohner. So weit braucht sich aber auch der deutsche Ansiedler, für den noch Land in Menge in der nächsten Nähe ist, nicht hinaus zu wagen, und in den benachbarten Provinzen hat er dann von den Eingeborenen, den „Pampas-Indianern" nichts zu fürchten.
Sonst aber bietet das Land dem deutschen Auswanderer jeden Vortheil, den ihm nur irgend ein anderer Erdtheil bieten kann. Das Klima läßt kaum etwas zu wünschen übrig; Krankheiten fallen allerdings vor, sollen aber keineswegs bösartiger Natur fein. Der Boden ist, ungleich den meisten Prairien in Nordamerika, in den Pampas fast überall vortrefflich und liefert, selbst mit der ungemein einfachen Bearbeitung, herrliche Ernten. Der Hauptnahrungszweig des Landes ist übrigens, wie auch die Productenausfuhr von Häuten, Fleisch, Talg, Wolle usw. beweist, die Viehzucht, und einen ziemlich deutlichen Begriff von der Menge Vieh, die sich hier befindet, und der Leichtigkeit, mit der es gezogen werden kann, mag eine kurze Uebersicht der verschiedenen Preise hier an Ort und Stelle geben.
Die Preise sind nach spanischen Dollaren gerechnet.
Von Rindern, als dem Hauptnahrungszweig, kostet hier ein geschnittener fetter Ochse von 2 ½ Jahr etwa 2 ½ Dollar. Ein geschnittener fetter Ochse von 3 Jahren etwa 2 ²/³ Dollars. Eine Kuh 2 bis 2 ³/4 Dollars. Eine zahme Milchkuh wird (mit Kalb) bis zu 5 Dollars bezahlt.
Kauft man das Vieh aber in der Heerde, wie es jedesmal beim Beginn einer Ansiedelung geschieht, so bezahlt man es durchschnittlich mit ¾ bis zu 1 Dollar. Man reitet bei einem solchen Kauf einen Theil einer Heerde, je nachdem man nun viel oder wenig Capital daran wenden kann oder will, ab, und zählt dann die also abgeschlossenen Thiere. Kälber werden aber auf diese Art nicht mitgerechnet, sondern dreingegeben.
Von Pferden kostet ein zahmes Reitpferd gewöhnlich 5 bis 5 ½ Dollar, ein noch unzugerittener Wallach aber die Hälfte (Hengste werden höchstens mit einem Dollar bezahlt - eine Stute kostet von ¾ bis 1 Dollar - Stuten werden hier übrigens nie geritten.) /47/
Der Preis der Schafe ist wohl der verschiedenste, denn man hat hier die sogenannten feinen Merinoschafe, die bis zu 6 Dollars das Stück bezahlt werden. . Das betrachten die hiesigen Landwirthe aber als einen enormen Preis, und es müssen dann ganz außergewöhnlich schöne Thiere sein. Im Ganzen ist der Durchschnittspreis für gute Schafe etwa 1/³ Dollar das Stück (also etwa 15 Silbergroschen), kauft man sie aber weit im Lande drin, und zwar die gewöhnlichste, ordinärste Sorte, so bezahlt man sie - in der Heerde - mit 1 ½ bis 2 Pesos (ein Peso hat noch nicht ganz 2 ½ Silbergroschen) das Stück. Schaffelle kosten dann auch das ganze Dutzend nur von 1 bis 2 Dollars. Das Schwein ist noch fast das theuerste Thier hier im Lande und wird mit 5, ein fettes mit bis zu 10 Dollars verkauft.
Der Preis der von den Thieren gewonnenen Häute steht natürlich mit ihnen selber im Verhältniß. Rindshäute kosten die Pasado (35 Pfund) 2 bis 2 1/9 Dollar. Eine Haut wiegt von 26 bis 28 Pfund. (Das hiesige Gewicht ist etwa 8 Procent leichter als das deutsche Zollgewicht.) Pferdehäute kosten von 1 bis 1 Dollar. Der Preis der Wolle ist dagegen verschieden. So wird die Aroba (25 Pfund) von 1 bis 3 ¼ Dollar bezahlt. Gute Merinowolle kostet dagegen oft etwas über 5 Dollars die Aroba. In der That wird hier nicht viel Capital verlangt, einen Anfang zur Viehzucht zu bekommen, da man bei größeren Quantitäten auch selbst noch billiger kaufen kann. So bezahlte zum Beispiel vor nicht langer Zeit ein Ansiedler weiter im Innern des Landes eine Heerde Schafe von 5000 Stück durchschnittlich das Stück mit einem halben Peso, also etwa 11 Pfennigen.