Читать книгу Reisen Band 1 - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 2

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Das Land ist dagegen, wenigstens im Verhältniß zu früherer Zeit, schon etwas gestiegen, immer aber noch billig genug, dem deutschen Auswanderer die größten Vortheile zu bieten. Die Berechnung des Landes findet hier nach Baras statt (die Bara ist gleich 2 7/10 rheinländische Fuß). Die Regierung verkauft das Land in Streifen von 1 ½ Legua Länge (die Legua zu 6000 Baras) in der Breite von 1 Bara zu 1 bis 1 ¾ Dollars per Strecke. In der Nähe der Städte steigt es aber natürlich, je nach seinem Verhältniß. Billiger /48/ als 1 Dollar die Bara ist es jedoch wohl nirgends, man müßte es denn aus zweiter Hand erhalten können.

Das Getreide ist hier gerade gegenwärtig ungemein billig, ebenso die Gemüse, von denen die zweite Kartoffelernte reif geworden. Ueberhaupt kann der Ansiedler mit vcrhältnißmäßig geringer Arbeit seine Existenz gründen, und alle hier ansässigen Deutschen stimmen darin überein, daß es ihrer Meinung nach kein besseres Land für ihre armen Landsleute gäbe, als gerade Südamerika, wo sie sicher darauf rechnen könnten, mit Fleiß und Sparsamkeit auch Fleiß und Sparsamkeit belohnt zu sehen.

Die Regierung ist dabei, so wenig sie Ursache hat, den Engländern und Franzosen gut zu sein, sehr gern geneigt, deutsche Auswanderung zu gestatten und zu schützen; Fremde sind hier überhaupt (durch ein besonderes Gesetz des Gouverneurs) sehr geschützt, und das spricht gewiß für das Volk selber, so arg es auch manchmal wohl ist geschildert worden, daß, während die Engländer den La Plata blokirten, Engländer und Franzosen hier indessen ungehindert, ja unbeleidigt, ihren Aufenthalt hatten.

Einen höchst eigenthümlichen Baum hat die Argentinische Republik, und der einzige, der wenigstens in der Nähe von Buenos-Ayres zu einiger Höhe emporwächst. Es ist dies der sogenannte Ombu, der in seinem ganzen Wachsthum sogar Aehnlichkeit mit dem Banian Indiens zeigt. Wie bei diesem hängen nämlich die Zweige selber durch niedergesenkte - Stützen möchte ich fast sagen - mit den Wurzeln zusammen, und bilden dadurch die wunderlichsten Formationen, die man sich nur bei einem Baum denken kann. Gerade hier stand ein solcher, dessen eigentlicher Stamm vielleicht sechs Fuß im Durchmesser hatte. Ganz unten am Boden breitete sich aber die Wurzel, oder das untere Ende des Stammes noch viel mehr aus, ja bildete an einigen Stellen förmliche Sitze, und von hier aus schossen dann theils schräg, theils gerade, theils eigensinnig gekrümmt, Strebepfeilern gleich, diese Stützen aus und verloren sich oben in dem ungemein dichten, birnblattartigen Laub des Baumes. Er giebt jedoch nichts als Schatten , denn sein Holz wäre nicht einmal zur Feuerung zu ver- /49/wenden, so naß und schwammig ist es. Ebenso sind die kleinen bitteren, turbanartigen Früchte, die er trägt, und die wassergefüllt scheinen. Zum Zierbaum eignet er sich aber vortrefflich.

Nach Buenos-Ayres zurückgekehrt, erfuhr ich, daß in kurzer Zeit der argentinische Correo oder Courier von Buenos-Ayres nach Mendoza wirklich abgehen würde. Er hatte erst, der ausgebrochenen Indianer wegen, seinen Ritt verschieben wollen, sich jetzt aber entschlossen zu versuchen, ob er durch¬käme, und mir wurde gesagt, daß ihm die Begleitung eines bewaffneten Mannes gewiß angenehm sein würde- Durch die freundliche Vermittlung eines amerikanischen Kaufmanns, Mr. Hutton, da ich selber der spanischen Sprache noch nicht so weit mächtig war, schloß ich auch mit dem Correo bald einen Vertrag. Nach diesem machte er sich verbindlich, mir für vier Unzen - vierundsechzig spanische Dollars - Pferde und Fleisch zu liefern, die Pferde zum Reiten, das Fleisch zum Essen, bis wir Mendoza, ein kleines Städtchen am Fuße der Kordilleren, erreichen würden. Außerdem sagte er mir aber ganz offen, daß er, wenn er die Indianer im Süden heraufkommen sähe, so rasch ihn die Pferde trügen nach Norden in die Gebirge flüchten würde, und wenn ich dann nicht mitkäme, oder überhaupt auf dem Marsch liegen bliebe, so sei das nicht seine Schuld und er könne weiter nichts dafür thun. Auf alles das war ich vorbereitet, mit alle diesem zufrieden, und unsere Abreise wurde auf den 17. Juni festgesetzt. Dadurch gewann ich auch noch eine kurze Zeit für mich, Buenos-Ayres besser kennen zu lernen.

Die Auswanderung hat schon von frühester Zeit mein ganzes Interesse in Anspruch genommen, und ich suchte noch fortwährend, wo mir das nur möglich war, Erkundigungen über die Verhältnisse der Fremden, besonders der Deutschen, einzuziehen. Durch den besondern Auftrag des Handelsministeriums des deutschen Reiches hatte ich aber auch noch außerdem die Verpflichtung übernommen, nach besten Kräften über die Länder zu berichten, die ich geeignet zur Auswanderung finden würde, ebenso die Verhältnisse und Aussichten der ausgewanderten und dort schon angesiedelten Deutschen / 50/ zu schildern. Die Aussichten der Deutschen gerade in den La Platastaaten aber zu erfahren, schien es mir das Sicherste, mich an Rosas, den Gouverneur oder Dictator derselben, selber zu wenden. Der amerikanische Consul versicherte mir jedoch, daß Rosas selber nur höchst selten einen Gesandten empfange und Donna Manuelita, die Tochter des gefürchteten Gauchohäuptlings, gewöhnlich Audienz ertheile. Hier aber schien für mich eine ziemlich bedeutende Schwierigkeit zu liegen. Ich war nämlich vom Bord des Talisman nur eben so weggegangen, wie ich gedachte in den Sattel zu steigen, und der einzige Anzug, den ich mit hatte, bestand in einem Reitkittel von dem gröbsten hellgrauen wollenen Stoff, eben solchen Hosen, hohen Wasserstiefeln und einem schwarzen breitrandigen Filzhut - konnte ich so vor Donna Manuelita, der ersten Dame des Argentinischen Reiches, erscheinen? Der amerikanische Consul sagte ja, Donna Manuelita sollte eine so liebenswürdige, wie vernünftige Dame sein, Mr. Graham garantirte mir, daß ich nicht allein empfangen werden würde, sondern auch freundlich empfangen werden würde, und seinen Worten treu führte er mich eines Abends selber bei ihr ein.

Die Gauchosoldaten, die vorn im Portal und den Gängen Wache standen, schauten mich allerdings erstaunt an, als ich solcher Art gekleidet, noch dazu in dem sonst so verpönten Blaugrau, durch die Pforten ihres Herrn schritt, ließen uns jedoch ungehindert passiren und wir betraten bald darauf das Audienzzimmer. - Der Saal war ganz im europäischen Geschmack eingerichtet, der Boden mit sehr geschmackvollen bunten Teppichen bedeckt, und nur die hohe luftige Decke trug ein argentinisches Abzeichen - die schwarz und rothen Farben (Sieg oder Tod) der Federacion.

Wir waren noch ein wenig zu früh gekommen - die Diener brannten erst die Kerzen an, und ich benutzte indessen meine Zeit, zuerst meine ganze Umgebung mir genau zu beschauen, und dann Betrachtungen anzustellen ob meine Wasserstiefeln wohl nicht die ersten waren, die je diesen kostbaren Teppich betreten hätten. Lange blieb mir dazu aber keine Zeit. Die Thüren öffneten sich plötzlich, und herein traten nach und nach „die Großen des Reichs", stattlich geputzte Herren und Damen, die Herren sämmtlich in dunkelblauen Fracks (die hellblaue Farbe bezeichnet die Unitarios) mit rothen Westen und Hutbändern, und alle im Knopfloch das rothseidene Band mit der schwarz gedruckten furchtbaren Devise: Mueran los salvajes Unitarios. Die Damen waren im elegantesten französischen Costüm. Beide Theile betrachteten mich jedoch, und ich entschuldigte vollkommen ihre Neugierde, mit kaum verhehltem Erstaunen, und schienen sich gegenseitig fragen zu wollen, „was thust Du hier im Heiligthum?" Ehe aber der amerikanische Consul im Stande war nur überhaupt meine Existenz zu entschuldigen, erschien Donna Manuelita selber und empfing mich, nachdem ihr Mr. Graham mit ein paar Worten meine Absicht gesagt hatte, während sie ihn selbst in der Entschuldigung meines Anzuges unterbrach, auf das Freundlichste.

Donna Manuelita verstand allerdings, wie mir Mr. Graham sagte, das Englische, sprach es aber vielleicht noch nicht geläufig genug und mochte sich deshalb nicht darin unterhalten; ebenso ging es mir mit dem Französischen, und die Unterhaltung wurde deshalb durchaus spanisch geführt, wobei Mr. Graham so freundlich war zu dolmetschen. Die Donna versprach mir übrigens mit ihrem Vater, der Auswanderungssache wegen, zu reden und mir, noch ehe ich Buenos-Ayres verließ, das Resultat mitzutheilen. Indessen hatte sich eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft eingefunden und ich sah mich bald im Gespräch mit zwei jungen argentinischen Damen, von denen die eine sehr geläufig Englisch sprach und die andere angefangen hatte, Deutsch zu lernen, so daß sie ebenfalls schon viel verstehen und sich auch ziemlich deutlich ausdrücken konnte. Ich verbrachte, trotz meinem nichts weniger als hoffähigen Anzug, ein paar sehr angenehme Stunden in liebenswürdiger Gesellschaft.

In Buenos-Ayres bestgeht auch jetzt eine deutsch-evangelische Gemeinde, deren Pasto und Oberhaupt Herr A.L. Siegel ist. Den Leser wird es übrigens interessiren, das erste Capitel der Kirchenstatuten von Buenos-Ayres, 34 Grad Süder Breite in den La Platastaaten, zu hören. /52/

Erstes Capitel.

Begriff und Umfang der deutsch-evangelischen Gemeinde in Buenos-Ayres.

§ 1. Die deutsch-evangelische Gemeinde in Buenos-Ayres bildet einen Zweig der unirten evangelischen Landeskirche in Preußen. Sie hat sich dieser Kirche, nach einem Beschlusse der Generalversammlung der Gemeinde im Monat April 1845, unter folgenden, ihr von dem Ministerio der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten d.d.. Berlin den 11. Januar 1845 Nr. 31,536 gestellten Propositionen freiwillig angeschlossen.

I. In Betreff der Lehre, des Cultus und der Disciplin ist das Bekenntniß, die Liturgie und die Ordnung der evangelischen Kirche Preußens für die Gemeinde in Buenos-Ayres wesentlich maßgebend und bestimmend. Es wird daher auch die Agende der preußischen Landeskirche die Norm für den Gottesdienst und die gottesdienstlichen Handlungen in der Gemeinde abgeben.

II. Das Consistorium der Provinz Brandenburg in Berlin ist diejenige geistliche Behörde, an welche sich die Gemeinde, resp. der Vorstand derselben, in allen denjenigen inneren Angelegenheiten und Streitfragen zu wenden, und die Entscheidung abzuwarten hat, über welche, indem sie das Verhältniß zu der hiesigen Landesregierung ganz unberührt lassen, eine Verständigung und Einigung der Gemeinde nicht hat stattfinden können. Es betrifft dies namentlich Streitfragen über die Lehre und den Gottesdienst, über Disciplinarmaßregeln, sofern sie nicht in das Gebiet der bürgerlichen Gesetze und Einrichtungen hinüberreichen, endlich Mißhelligkeiten zwischen dem Prediger und der Gemeinde, und Klagen der letzteren gegen den ersteren.

III. Das Consistorium der Provinz Brandenburg hat das Recht, den Prediger der Gemeinde zu ernennen und ihn für den Dienst der Gemeinde zu vociren. Die Gemeinde, resp. der Vorstand, hat im Falle der Vacanz um die Wiederbesetzung der Stelle bei dem genannten Consistorium nachzusuchen, und darf, ohne Genehmigung dieser Be-/53/hörde, den ihr zugewiesenen Prediger nicht entlassen.

Nun soll mir noch Einer sagen, daß es in Buenos-Ayres keine Deutschen giebt. _ _

Unter den Deutschen in Buenos-Ayres, wenn sie auch keinen bleibenden Aufenthalt da haben, spielen ubngens die Schiffscapitaine eine sehr bedeutende Rolle, und besonders kann man sie Nachmittags mit ihren englischen, amerikanischen und dänischen Kollegen erst durch die Straßen der Stadt traben, und dann in vollem Carrière durch das flache Land galoppiren sehen.

Capitaine haben nämlich eine ungemeine Vorliebe für Pferde, die bei Pferden jedoch, wie Pferdevermiethern keineswegs gegenseitig ist, denn Schiffscapitaine verstehen gewöhnlich - mit Ausnahmen natürlich - eben so wenig ein Pferd zu reiten wie es zu behandeln, und glauben das Aeußerste gethan zu haben, wenn sie sich „an Bord halten". Von Schluß und Nachgeben ist natürlich bei ihnen keine Rede. Sie fahren im Sattel herum, wie ein losgegangenes Paket auf einem Packthier, reißen in die ohnedies schon scharfen Zügel, nur um sich im Gleichgewicht zu halten, und werfen das ganze Gewicht ihres Körpers dagegen, wenn sie das Pferd einmal bewegen wollen, langsam zu gehen oder ganz still zu stehen. Die Thiere werden dadurch wund geritten und abgehetzt, und die Pferdevermiether hier, fast lauter Engländer und Amerikaner, haben einen solchen Ueberblick in den Personen ihrer Kunden, daß sich Leute, die nur das geringste Seemännische an sich tragen, sich fest darauf verlassen können, die abgerittensten und überdies vielleicht schon aufgegebenen Kracken zu bekommen. Es geschieht deshalb sehr häufig, daß solche arme Schlachtopfer, selbst wenn sie ihr Thier einmal nicht übermäßig abgetrieben haben, in den Fall kommen, es plötzlich stürzen und verenden zu sehen, wonach sie dann noch das Vergnügen haben, nicht allein zu Fuß in die Stadt zurückzugehen, sondern auch noch das Sattelzeug zu tragen. Höchst erstaunt sind sie dann meistens, wenn man ihnen für das verlorene Pferd wenig oder gar nichts abnimmt, und es scheint /54/ sich deshalb das Gerücht verbreitet zu haben, es sei schon genug, von einem in Buenos-Ayres gemietheten Pferd Zaum und Sattel zurückzubringen, das Uebrige habe keinen Werth. Die Capitaine haben aber meist so nichtswürdige Pferde gehabt, daß sich die Vermiether schämen auch noch Geld dafür zu verlangen, weil Jemand so freundlich gewesen war, es für sie hinaus auf den Anger zu reiten.

Wer ein gutes Pferd ausmiethet und damit zu Schaden kommt, kann sich auch darauf verlassen, daß er theuer genug dafür zu zahlen hat - für Buenos-Ayres nämlich - denn Pferde sind dort überhaupt spottbillig.

So viel schon hatte ich, während meines Aufenthalts in Buenos-Ayres, von den Saladeros oder Schlachtplätzen dieses bedeutenden Handelsortes für Fleisch und Häute gehört, daß ich nicht umhin konnte, die mir von allen Seiten beschriebenen Plätze auch einmal selber zu besuchen. Die Schlachtplätze liegen fast sämmtlich an der sogenannten Boca, etwa eine halbe Legua von der Stadt entfernt, und vor dem Frühstück sprengte ich eines Morgens, von einem jungen Deutschen begleitet, hinaus, das Schlachten des Viehes mit anzusehen.

Unser Weg führte uns fast durchgängig dicht am Fluß hin, und widerlich war mir hier besonders der Anblick der durch den Fluß an's Ufer geschwemmten gefallenen Rinder und Pferde. Der Geruch, oder besser gesagt der Gestank, wurde an mehreren Stellen so schauerlich, daß ich den Athem anhalten mußte. An einem Platz blieb uns sogar nichts weiter übrig, als über drei dicht beieinander liegende Pferde, oder wenigstens die Ueberbleibsel derselben, hinwegzusetzen. Deutsche Pferde wären hier unter keiner Bedingung vorwärts zu bringen gewesen; die Buenos-Ayres-Ponies kehrten sich aber nicht im Mindesten daran und würdigten ihre gefallenen Kameraden kaum eines Blickes.

Nach einem etwa viertelstündigen gestreckten Galopp erreichten wir endlich die Ufer der Boca, und ich konnte im Anfang nicht gleich herausbekommen, was das Weiße sein mochte, das beide Ufer an vielen Stellen eindämmte. Als wir aber näher kamen, erkannte ich zu meinem Erstaunen, daß es Rinderköpfe seien deren Hörner überall, regelmäßig aufgeschichtet, aus der darüber geworfenen Erde hervorschauten.

Drüben über der Boca lagen die flachen offenen Gebäude der Schlachtereien, und wir mußten noch eine Strecke an dem kleinen Wasser hinauf und dort über eine Holzbrücke reiten, wo, beiläufig gesagt, Zoll bezahlt wurde und wir gleich darauf den „blutigen Grund" betraten. In den nächsten Schlachtereien wurde heute nicht „gearbeitet" - es war dort „aufgeräumt" und sah verhältnißmäßig reinlich aus, und als wir langsam hindurchritten, sahen wir die in Massen aufgeschichteten und eingesalzenen Häute in den einzelnen Schuppen liegen. Mir war aber besonders darum zu thun, das wirkliche Schlachten der Thiere mit anzusehen, und glücklicher Weise fanden wir in der ersten Schlachterei gleich einen Deutschen, der uns zu dem gesuchten Orte wies. Schon von Weiten: hörten wir das Schreien und die gellenden Zurufe der Viehtreiber, und als wir näher kamen, sahen wir, wie eben wieder drei Reiter in den etwas vom Schauplatz entfernten Corral (eine Einfenzung) sprengten, um einen Theil der dort hineingestellten Thiere in die für ihren Fang bestimmte Fenz zu treiben. Einer von ihnen war eine besonders hervorstechende Persönlichkeit - ein alter schlankgewachsener, kräftiger Mann von sechsundfünfzig bis sechzig Jahren, zäh und wettergebräunt, aber mit einer solchen Galgenphpsiognomie, wie ich sie nur je ein Menschenantlitz entstellen sah. Er schien der Führer der Uebrigen und in Blut und Mord ergraut, und so mußten die Gestalten ausgesehen haben, die Rosas früher mit seinen Blutbefehlen beauftragte; holten sie doch ihre Opfer aus den Kreisen ihrer Familien heraus und durchschnitten ihnen die Kehlen Er ging ganz in die Tracht der Gauchos gekleidet, mit roth und blauem Poncho, eben solcher Cheripa und den gewöhnlichen Bolas von Pferdehaut an. Der Lasso hing ihm hinten am Sattel, denn ohne Lasso reitet kein solcher Bursche auch nur einen Schritt, und wenn der Poncho beim raschen Reiten in die Höhe flatterte, schaute darunter der Griff des hinten im Gürtel schräg steckenden Messers hervor. Der gleichfalls graue Bart umgab ihm in krausen, unordentlichen Zotteln Kinn und Backen, und eben solche Büschel /56/ hingen ihm über die Augen herunter. Ich konnte im Anfang meine Blicke von dem greisen Gaucho nicht abwenden, und hätte ich noch einen Zweifel über seinen Charakter gehabt, der nächste Augenblick würde ihn zerstört haben.

Drei dieser Corrals oder Umzäunungen lagen nämlich dicht nebeneinander, und der größte auch von dem Schlachtplatz am weitesten entfernt. Etwa halb so groß als dieser war der nächstfolgende, und der dritte und zur unmittelbaren Aufnahme der nächst zu schlachtenden Thiere bestimmte war der allerkleinste und konnte nur etwa vierzig bis fünfzig Stück halten. In den ersteren wurde das Vieh gleich aus den Pampas hineingetrieben, in dem zweiten das für den Gebrauch verlangte abgesondert, und in den dritten das zum Schlachten abgeführt. In den zweiten nun, in dem etwa 20 oder 30 noch ihrer Todesstunde harrten, sprengten die Drei und trieben die Thiere mit Schreien und Heulen der durch Knaben indeß geöffneten letzten Einfriedigung zu. Im Anfang ging das auch ganz gut; das junge Vieh wurde durch den wilden Lärm und die zum Schein hochgeschwungenen Hände, in denen sie stets den gefürchteten Lasso zu sehen glaubten, scheu gemacht und drängte von selbst von seinen Verfolgern weg. Kaum aber quoll ihnen, in der Nähe des letzten Corrals, der warme Blutgeruch ihrer vorangegangenen Kameraden entgegen, so suchten sie auch eben so rasch wieder zurückzufliehen und warfen sich ihren Henkern gerade entgegen. Aber zu spat; diese trieben sie, selbst durch das Gewicht ihrer Pferde, ihrem Bestimmungsort zu - es gab für sie kein Entrinnen mehr, und eingeschüchtert und halb betäubt wandte sich jetzt die kleine zitternde Schaar mit hochgehobenen Schnauzen, den gefürchteten Ort zu betreten. Doch das war den Treibern nicht rasch genug - vorwärts, mit Sporn und Revenka, treiben sie die eigenen Thiere an, auf die jungen Rinder einzusprengen; mit dem schweren eisernen Revenkaring schlugen sie auf die Knochen der ängstlich Blökenden nieder, und der alte greise Gaucho zog endlich mit wildem Fluch sein Messer und stieß es den hintersten Stieren, die nicht rasch genug vordrängen konnten, fünf bis sechsmal in den After - um die Haut nicht zu verletzen. Die Wunden wären, hätten sie noch /57/ draußen herumlaufen müssen, tödtlich gewesen; hier schadete es ja aber nichts. Die Thiere wurden gleich geschlachtet. Ich bin überzeugt, der Schuft hätte einem Menschen sein Messer mit eben solcher Ruhe in den Leib gerannt.

Als das letzte der armen, halb zu Tode geängstigten und blutenden Geschöpfe in den für sie bestimmten Corral sprang, schob er das lange Messer lachend unter den Poncho zurück, warf sein Pferd herum und galoppirte nun, von den Kameraden gefolgt, um die Einfriedigung herum auf die andere Seite der Schlachterei. Dort stieg er ab, befestigte ein langes, auf der Erde liegendes und aus roher Haut gedrehtes starkes Seil an seinem Sattelgurtring, welchem Beispiel die anderen Beiden, und zwar mit dem nämlichen Tau, folgten, und richtete sich dann, nach dem Corral zurückschauend, hoch im Sattel auf. Ich fand bald die Ursache von diesem allen.

Das Ledertau war ein langer starker Lasso, dessen über einen richtigen „Block" laufende Schlinge der auf der Umzäunung des Corrals stehende Schlächter in der Hand hielt, ein paar Mal um den Kopf schwang und dann mit fast nie irrender Sicherheit einem der Thiere um die Hörner warf. So wie die Reiter sahen, daß der Lasso geschleudert war, gaben sie ihren Thieren die Hacken, diese zogen an und rissen dadurch den gefangenen Stier zuerst auf die Vorderfüße, dann ganz nieder, und zu gleicher Zeit auch dicht zu der Stelle hinan, wo der Lassowerfer stand. Dieser hatte jetzt ein langes Messer in der Hand, bog er sich nieder, stach sein Opfer mit der scharfen Klinge in den Nacken dicht hinter die Hörner, daß es todt zusammenbrach, griff dann wieder nach dem Lasso und richtete sich auf, ihn auf's Neue zu werfen.

In dem Corral, eben da wo der gestochene Stier lag, öffnete sich zu Zeit eine Klappe, und das ganze Gestell, auf welches er schon vorher durch das Anspannen des Lasso gezogen wurden, glitt jetzt mit dem Stier darunter vor und lief auf einer kurzen „Eisenbahn" den Schlachtschuppen entlang. An dessen Ende aber standen sechs Männer bereit, ihn von dem kleinen niedern Wagen herabzuziehen, und dann augenblicklich abzustreifen und auszuschlachten. Der Wagen rollte dabei ohne weitern Verzug wieder zurück, die Klappe /58/

fiel zu, der Lasso flog, ein anderes Opfer suchend, durch die Luft, wieder stürzte der Stier, seinem Tod entgegengerissen; wieder glitt der Karren auf den blutigen Schienen hin und, von seiner Last befreit, zurück, und ein dritter fiel in demselben Augenblick – bis auch der letzte gefangen und getödtet worden.

Ich wandte mich jetzt dem Schlachthof selber zu, und der Anblick, der sich mir hier bot, war wirklich schaudererregend. Der Platz selbst wurde so rein gehalten, wie sich das nur möglicher Weise halten ließ. Das Blut floß aber in Strömen in eigens dazu ausgezimmerte Kanäle nieder, und besondere Männer waren sogar dabei beschäftigt, mit eigens zu solchem Dienst bestimmten breiten Holzschaufeln das geronnene Blut auszuschieben und für den Lauf des frisch zuströmenden frei zu halten. Der Schuppen, unter dem die Leute arbeiteten, war hoch und geräumig, und die Eisenbahn lief längs darin bis zum äußersten Ende. Hier waren Leute beschäftigt, die letzt angefahrenen Thiere - der Lassowerfer hatte zwei zu gleicher Zeit in die Schlinge bekommen - abzustreifen; dort hauten Andere Keulen und Fleischstücke schon früher geschlachteter ab, und Andere trugen oder warfen vielmehr dieses wieder seinem Bestimmungsort zum Verpacken zu - alle in bloßen Füßen und im Blut watend, mit Blut bedeckt. Und dazwischen die wild umhergestreuten Köpfe und Gebeine, die Eingeweide, die auf Wagen geladen und fortgefahren wurden, und dort drüben - mich ekelt's noch wenn ich daran denke - lagen die ungeborenen Kälber. Ein Haufen von vielleicht dreißig oder vierzig Stück war da aufgehäuft, und eine Anzahl Knaben, bis an die Schultern in Blut, eben beschäftigt, den ältesten und schon ziemlich ausgewachsenen die Haut abzustreifen, wie die anderen bei den Hinterbeinen nach einem dazu bestimmten Wagen zu schleifen.

Ein Bursche in einem rothen Poncho - pfui, was für ein schmieriger Geselle es war! - schlich sich lange um den Haufen dieser ungeborenen Kälber herum und schien die dort liegenden mit prüfenden Blicken zu betrachten. Endlich ergriff er eins der größten bei den Hinterbeinen, zog unter dem Poncho einen alten blutigen Sack vor, steckte es dort hinein /59/ und glitt dann, ohne daß sich weiter Jemand um ihn bekümmert hätte, aus dem Schlachthof - hatte sich der Mann etwa unter diesem ekelerregenden Wust einen Braten ausgesucht? Mir schauderte die Haut bei dem bloßen Gedanken; ich hatte aber auch jetzt an dem Anblick vollkommen genug; sollte ich mir den Appetit an Fleisch für immer verderben?

Unsere Pferde standen dicht bei all' dem Blut und Lärmen angebunden, aber so ruhig, als ob sie sich draußen auf freiem ungestörten, unentweihten Plan befunden hätten. Wir lösten die Zäume, stiegen wieder auf und sprengten gleich darauf, wie es alle Leute in der Argentinischen Republik thun, im gestreckten Galopp den Schlachthof entlang über die schmale, die Boca überspannende Brücke hinüber und, am Ufer des Rio de la Plata hin, Buenos-Ayres zu.

Es war mir interessant genug, diese Schlachtereien, von wo aus Fleisch und Häute in ungeheuren Massen nach allen Weltgegenden hin versandt werden, einmal in der Nähe gesehen zu haben; ich konnte aber zwei volle Tage lang keinen Bissen Fleisch essen - ich mußte immer an den Mann mit dem rothen Poncho und dem ungeborenen Kalbe denken.

In den letzten Tagen, die ich in Buenos-Ayres verlebte, kamen noch Nachrichten über neue Gewaltthaten der Indianer. Am Rio-Quarto sollten sie eine Familie ermordet und andere überfallen haben, die sich ihnen nur durch die rascheste Flucht entzogen, bis das Militär aus dem kleinen, nicht sehr entfernten Städtchen aufgeboten wurde und gegen die wilden Söhne der Steppe anrückte. Weit hinweg durften sich aber einzelne Trupps Soldaten auch nicht von ihren befestigten Plätzen wagen, denn los Idiios waren tapfere, gefürchtete Krieger und verachtende Gegner. Solche Nachrichten sind aber auch meistens übertrieben; keinesfalls konnten sie meinen Entschluß mehr ändern.

In der Zeit, in welcher ich mich in Buenos-Ayres aufhielt; kam hier gerade mit dem englischen Paketschiff die Nachricht an von unserem ersten und letzten Seesieg über die Dänen, von der

Zerstörung Christian's VIII. und der Wegnahme der Geflon. Zufälliger Weise befand sich gerade in dieser Zeit eine sehr große Anzahl von Schiffscapitainen hier /60/ - (die Fracht von hier fort stand sehr schlecht, und die Leute lagen hier mit ihren Schiffen und warteten, ob sie etwas Besseres bekommen konnten, als Maulthiere nach Havana zu führen). Das Eßhaus von Duckwitz war aber schon seit langer Zeit der Sammelplatz aller im Hafen befindlichen dänischen und deutschen Capitaine gewesen, und da gerade von diesen beiden Nationen eine sehr bedeutende Anzahl dort zusammentraf, läßt es sich denken, was für Discussionen über diesen Sieg entstanden. Einigemal kam es fast zu Schlägereien, zwischen Einzelnen, und mich amüsirten nur die verschiedenen Ansichten und Ideen, die da manchmal vorwucherten. Auch die Ursachen der einzelnen Streite waren häufig wirklich komisch. So meinte ein deutscher Capitain eines Tags - denn es wurde fast von weiter nichts als Fracht und Seeschlacht ge-sprochen - es thäte ihm nur leid, daß die Deutschen erst bei Christian dem Achten angefangen hätten, worüber sich ein dänischer Capitain auf das Furchtbarste erboste, die ganze Nachricht - was überhaupt sehr häufig geschah - für eine Zeitungslüge erklärte, und Leib und Seele verpfändete, wenn sich die ganze deutsche Nation auf den Kopf stelle, könne sie noch nicht einmal Christian den Fünfundzwanzigsten bekommen. - Guter Däne!

Die Zeit meiner Abreise rückte aber auch jetzt heran und ich freute mich wirklich, daß ich nun einmal mit beiden Füßen in das neue Leben hineinspringen sollte, denn hier in Buenos-Ayres schien Alles darauf angelegt zu sein, mir wo möglich das Herz schwer zu machen. Fortwährend kamen neue Berichte über indianische Grausamkeiten, und sogar von Mendoza wollte man wissen, daß schon seit vielen Jahren keine so entsetzliche Masse Schnee in den Gebirgen gelegen habe, als in diesem Winter.

Kürzlich war auch ein Deutscher aus dem Innern gekommen, der mir die schrecklichsten Schilderungen von den Gauchos, den Eingeborenen selber, lieferte. Nach denen mußte ich denn freilich fürchten, einem von ihnen auch nur den Rücken zuzudrehen, wenn ich nicht ein langes zwölfzölliges Messer zwischen den Rippen haben wollte. An Nachts ruhig zu schlafen war gar nicht zu denken, und er versicherte mir, er könne jetzt noch /61/ nicht begreifen, wie er selber lebendig wieder herausgekommen wäre. Der Mann hieß Berger. - Mir kam jetzt die ganze Reise vor wie Jemand, der mit einem langen Stock bewaffnet wild um sich her schlägt. - Hat man ihn erst einmal um den Leib gepackt, kann er uns nichts mehr anhaben.

Doch fort, fort mit Allem was mich beunruhigen oder ärgern könnte. - Eben schickt mir der Correo ein Pferd, mich zur neuen Fahrt abzuholen, und das Einzige nun was ich fühle und denke, ist das Bewußtsein, in ein neues thätiges - und wenn auch gefährliches Leben einzutauchen. - Ein Ritt durch die Pampas - alle vier bis sechs Leguas ein frisches Pferd, und im gestreckten Galopp ununterbrochen durch die weiten Steppen sprengend - so, fort bis nach Mendoza, zum Fuß der Cordilleren, dann, mitten im Winter, über die Schneegebirge und durch Chile meinem nächsten Ziele, Valparaiso, zu - was kümmerte mich das Andere!

4.

Ritt durch die Pampas.

Am 17. Juni Morgens schickte mir der Correo, wie schon vorher erwähnt, durch ein paar junge Burschen ein Pferd, mich und mein Gepäck zu seinem Hause zu bringen, daß wir dann von dort aus im Laufe des Tages aufbrechen könnten. Einen argentinischen Sattel (den sogenannten spanischen Sätteln ähnlich, aber doch etwas verschieden von ihnen) hatte ich mir schon am vorigen Tage besorgt, Zaum und Satteltasche ebenfalls, und mit meinen Waffen, einem Poncho, einer wollenen Decke und etwas Wäsche war ich vollkommen zu einem Ritt von meinetwegen vier Wochen gerüstet.

Spaß machte mir hierbei mein Wirth, ein Engländer, /62/ Mr. Davies, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, ich mache die Reise durch's Land nur, um schneller nach Californien zu kommen, und sich schon während meines Aufenthalts die größte Mühe gab, mir das Californien mit den schrecklichsten Farben zu schildern. Er versäumte es auch nicht, mir selbst an diesem Morgen einen kleinen Beitrag zu liefern, und meinte es sei förmlich wahnsinnig von mir, nur des Goldes wegen meine gute Kehle in einem solchen tollen Ritt zu wagen. Mr. Davies war übrigens sonst der prächtigste und auch orginellste Bursche, den ich lange getroffen, und wir hatten manchen Spaß mitsammen gehabt. - Nur auf Californien durfte das Gespräch nicht kommen, das lag für ihn außer dem Spaß. Er wünschte mir übrigens zum Abschiede alles Gute, und außerdem auch noch: „daß mich die californischen Wilden nicht lange martern, sondern lieber gleich todtschlagen möchten, denn das sei sonst Thierquälerei".

Der Correo wohnte draußen am äußersten Ende der Stadt, und Buenos-Ayres ist entsetzlich weitläufig gebaut. Wir trabten aber lustig drauf los, und während ich glaubte, meinen alten Burschen schon in voller Ungeduld auf mich warten zu sehen und dann augenblicklich den Thieren die Sporen einzusetzen und weiter zu galoppiren, fand ich ihn im Gegentheil emsig beschäftigt - gar nichts zu thun. Statt die verschiedenen Päcke, die noch wild zerstreut am Bode herumlagen, auf das Lastthier zu laden, saß er ruhig dazwischen, schlürfte seinen Mateh und sah ans, als ob er noch gar nicht daran dächte, weder in dieser noch der nächste Woche aufzubrechen. Seine ganze Familie half ihm dabei redlich; die Frau kauerte in der einen Ecke neben einem Kohlenbecken, auf dem ein kleiner eiserner Theetopf oder Kocher stand, und der Sohn, ein junger Bursch von circa achtzehn Jahren, lehnte auf dem Bett und klimperte auf der Guitarre. So wie ich eintrat, möchte ich fast sagen, denn ich hatte den Fuß kaum auf die Schwelle gesetzt, kam aber auch die alte Dame schon mit der unausweichlichen Matehröhre auf mich zu, und ich will den Leser lieber gleich von vornherein mit diesem gewiß eigenthümlichen Genuß der Südamerikaner be-/63/kannt machen, damit es ihn später nicht so ganz unvorbereitet treffe, wie mich damals.

Der Mateh ist eine Art Thee, der aus den Zweigen und Blättern eines gewissen in Brasilien und am Paraguay wachsenden Baumes bereitet werden soll. Er sieht aus wie ein grünliches Pulver mit kleinen Zweigen und Holzstückchen darin, und wird im Aufguß getrunken. Die Art, wie sie ihn trinken, ist aber charakteristisch. Der Mateh selber kommt in eine zu diesem Zweck besonders gehaltene Calabasse, von der Größe eines starken Apfels etwa, und auf ihn wird dann das kochende Wasser gegossen. Da man aber beim ordentlichen Trinken desselben den feinen Staub mit in die Kehle bekommen würde, so gebrauchen sie hierzu eine kleine dünne Blechröhre, die sie Bombille nennen, und deren unteres Ende eine theesiebartig durchlöcherte abgeflachte Kugel bildet. Durch diese etwa sechs bis sieben Zoll lange Blechröhre ziehen sie, mit anscheinendem Hochgenuß, den kochend heißen Trank, dessen Temperatur sich dem Blech natürlich augenblicklich mittheilt und dem, der solche Kost nicht gewöhnt ist, unfehlbar die Lippen verbrennen muß, besonders wenn er es „unvorbereitet trinkt“. Es versteht sich von selbst, daß ich dasselbe that. Das Fatalste bei diesem Matehtrinken ist übrigens das rein demo- kratische Princip, nach dem er getrunken wird. In allen Familicn giebt es gewöhnlich nur eine Mateh-Calabasse, und diese geht im Kreis herum, so daß Jeder dieselbe Blechröhre in seinen Mund schiebt, daran saugt, und sie dann dem Nachbar reicht - ich habe schon Sachen gesehen, die appetittlicher waren. Ein Verweigern derselben wäre aber eine Mißachtung der Gastfreundschaft, die den freundlichen Geber nicht allein kränken, sondern auch beleidigen würde. Der Fremde überwindet deshalb lieber, wenn es ihm von gerade nicht lieben Lippen geboten wird, seinen Ekel und legt die er die Haut seiner Lippen auf den Altar der Convenienz, als daß er dieLeute kränke, die ihm damit wirklich das Beste bringen, was sie selber genießen.

gedacht- die indessen rascher geordnet, als ich selbst

Die Päcke waren indessen rascher geordnet, als ich selbst gedacht; die schon vor der Thür stehenden Thiere wurden gesatttelt; und in etwa einer halben Stunde saß wir endlich / 64/ zu Pferd. Durch die volkreichen und hauptsächlich von großen Landwagen gedrängten Straßen ritten wir in kurzem Trab, kaum aber etwas in's Freie hinaus, fielen die Pferde schon von selber in einen kurzen Galopp. Selbst das Lastthier, was wenigstens zweihundertundfünfzig Pfund trug, war davon nicht ausgenommen. Ich hielt das damals für etwas Außerordentliches.

Unser kleiner Trupp bestand aus vier Pferden und drei Personen: erstlich dem sogenannten Postillon, der hinter sich ein ziemlich großes und schweres Felleisen auf den Sattel geschnallt hatte und das Lastthier an der Leine führte, dann dieses, mit vier in ungegerbte Häute sorgfältig eingenähten und auf seinem Rücken festgeschnürten Paketen, die ein von Binsen gefertigter Packsattel trug. Dann kam der Correo, in dunkelblauem Poncho oder Ueberwurf, mit hellledernen hohen Reitstiefeln, in denen sein langes Messer stak und oben mit dem Griff heraussah, riesigen Sporen, rundem Filzhut und einer tüchtigen Peitsche in der Hand, die einzig und allein zum Besten des Lastthiers mitgenommen worden; und neben diesem ritt ich selbst, im grauwollenen Staubhemd, schwarzem breitrandigen Filz, hohen deutschen Wasserstiefeln, das Messer, nach argentinischer Art, darin, und die Büchsflinte an die Seite geschnallt, die Pistolen im Gürtel mit eben solchen gigantischen Sporen, und den Poncho mit der wollenen Decke hinten auf's Pferd an den Sattel fest gebunden.

Der Postillon trug die Landestracht, Poncho und Cheripa, ein rothes Tuch um den Kopf, und die Füße in der abgestreiften Pferdehaut, aus der die beiden ersten Zehen vorschauten und eben nur in den kleinen, kaum zwei Zoll breiten Steigbügel hineinpaßten. An dem rechten Handgelenk hing die Revenka, die aus einem etwa anderthalb Zoll breiten, nach unten etwas spitzer zulaufenden und oben durch einen großen eisernen Ring gezogenen Streifen ungegerbter Haut gemachten Peitsche dieser Stämme, und die langen Sporen hingen ihm mehr von den glatten Hacken herunter, als daß sie daran festsaßen. I

Es ist dies überhaupt eine Eigenthümlichkeit der hiesigen /65/ Reiter, daß ihnen die Sporen, wenn man sie zu Pferd sitzen sieht, fast vom Hacken abwärts hängen. Zu Fuß sind diese Leute dann auch gar nichts nutz. Auf den Zehen balanciren sie herum und die riesigen Eisen rollen klirrend hinterdrein. Einmal aber nur die Hand auf der Mähne ihres Thieres, und es sind von dem Moment an ganz andere Menschen. Der zuerst vorsichtige Blick - denn der abgesessene Reiter ging wie auf Eiern - nimmt den alten Trotz an, der Körper richtet sich in aller Elasticität eines naturkräftigen Volkes empor, und einmal erst im Sattel oder auch nur auf dem Rücken des schnaubenden Thieres, und Mann und Roß scheinen ein einziges zusammengegossenes, von Feuer durchströmtes Wesen zu sein.

Das Herunterhängen der Sporen geschieht übrigens absichtlich und hat einen höchst triftigen Grund. Der Gaucho reitet sehr häufig - in den Pampas draußen fast nur - wilde Pferde, und um sicherern Schluß zu haben, dann aber auch nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, beim Scheuen des Thieres, bei Seitensprüngen oder sonstigen Capriolen, seinen Bauch mit den scharfen Sporen unabsichtlich zu berühren, hängen sie so weit herunter, daß sie den unbewehrten Hacken frei lassen, aber doch stets zum Gebrauch bereit sind, wenn sie der Reiter, der dann den Fuß nur etwas zu krümmen braucht, benutzen will.

Die nächste, mir freilich nicht mehr fremde Umgebung der Stadt, in der ich schon in den letzten Tagen etwas umhergestreift, fesselte jetzt vor allem Andern meinen Blick, und allerdings hat sie auch, für den Europäer besonders, viel Eigenthümliches und Anziehendes. Die Gegend selbst ist flach, eine weite, ungeheure Ebene, die sich in ununterbrochener Spannung bis zum Fuß der Cordilleren hinauszieht, aber die Art der Bebauung, die Einwohner selbst, dieser jungen südlichen Republik bieten dem Auge steten wechselnden Stoff, Neues zu sehen und zu bewundern und auf fremdartigen, wunderlichen Gegenständen zu weilen. Die pittoreske, buntfarbige Tacht der Eingebornen ist nicht das Geringste dabei; das rasche Vorüberjagen auf ihren kleinen, lebhaften /66/ Thieren, die Milchreiter, die Maulthierzüge, die großen, un- behülflichen Wagen - das Alles bietet eine rasche, höchst interessante Abwechslung, und der Fremde würde schon daran genug Beschäftigung finden, wäre es nicht bald das Land selber, was mit seinem unendlichen, mit niederen Distelsträuchen oder fruchtbaren Wiesen bedeckten Flächen, seinen wunderlich durch Aloe und Cactus umfenzten Feldern und Gärten, seinen Heerden und Estancias seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.

Doch vorbei, vorbei, der Courier hält sich mit dergleichen Betrachtungen nicht auf, und das eigene muntere Thier verlangt ebenfalls, daß sich der Reiter etwas darum bekümmere.

- Puh, was ist das für ein schauerlicher Verwesungsgeruch?

- Nur ein Pferd, das hier in der Straße fiel und liegen blieb, bis die Aasgeier und Hunde das Gerippe reinigten - dort wieder ein schon halbverzehrter Stier - dort noch einer - und da drüben - ganze Umzäunungen von Schaf- und Stierköpfen aufgeworfen. Die Straße mit den Schädeln und Gerippen der Geschlachteten und Gefallenen aufgefüllt - vorbei, vorbei, der Correo hat das schon tausendmal gesehen, und jetzt, wo wir auf etwas besseren Weg kommen, werden die Pferde schärfer angetrieben.

Die erste Station ist sieben Leguas - eine Legua fast dreiviertel deutsche Meilen - und dort wurden die Pferde gewechselt. Mittag rückte indessen heran, und wir aßen etwas.

Es war dies die erste Wohnung der wirklichen Eingeborenen des Landes, die ich betrat - eine kleine, erbärmliche Hütte aus Lehm aufgeworfen, mit Binsen gedeckt. Ein Tisch und ein paar mit Häuten überzogene Stühle bildeten das ganze Ameublement; das Tischtuch mußte schon Wochen lang gedient haben, die Gabeln waren schmutzig - Messer wurde nicht gegeben - es versteht sich von selbst, daß Jeder sein Messer bei sich führt, und die Gauchos tragen Messer von sechzehn bis achtzehn Zoll Länge. Neben mich auf einen Stuhl wurde das jüngste Kind gestellt - wir aßen Alle aus einer Schüssel - das Kind war schauerlich unrein - es starrte ordentlich von Schmutz, und die Na. Don’t mention it, /67/ sagen die Amerikaner - ich würgte ein paar Mal ordentlich an einem Bissen, dennoch konnte ich dem Kinde nicht böse sein. Es war ein gar so lieber, herziger, dickbackiger, dunkeläugiger Junge mit großen, mächtigen Augenwimpern, und ich mußte immer und immer wieder an den eigenen Knaben denken, den ich zu Hause zurückgelassen, um hier einsam in der Fremde herumzustreifen. Der kleine liebe Kerl hatte so herzige Grübchen im Backen und so krauses dunkles Haar - wenn er nur nicht den Löffel immer so lange unter die Nase gehalten hätte.

Das Mittagessen dauerte nicht lange, frische Pferde wurden gebracht, und bald darauf galoppirten wir wieder rasch und munter der zweiten Station zu, wo wir für heute unser Nachtlager aufschlagen wollten. Der Correo ist, was ich übrigens hier erst bemerken möchte, die regelmäßige Post, die in der Argentinischen Republik durch die verschiedenen Provinzen geht. Der Correo von Buenos-Ayres nach Mendoza durchschneidet - mit den Provinzen Buenos-Ayres, Santa- Fé, Cordova, San-Luis und Mendoza - die Republik von Ost nach West, wartet in Mendoza, bis der Correo von Chile über die Gebirge kommt, (was aber im Winter stets eine sehr unsichere Sache ist, da der dortige Correo sehr häufig nicht über die verschneiten Kordilleren kann und die Postverbindung drei, vier Monate lang unterbrochen bleibt) und kehrt dann nach Buenos-Ayres zurück.

Diese Poststationen hatte ich mir übrigens einer leicht verzeihlichen europäischen Phantasie – gar verschieden von denen gedacht, die ich wirklich fand. - Das Wort Poststation ist mehr eine Schmeichelei, und der Reisende findet weiter auf der Gottes Welt nichts als eben ein Dach, je nach Verhältniß oder Zufall mit einer Lehm- oder Korbwand und einem mit einer Kuhhaut überspannten Gestell, auf das er Sattel und Decke und später sich selber werfen kann. Weiter gegen Westen fällt auch selbst der Luxus eines solchen Gastbettes weg, und man bekommt eine einfache Lehmbank zum Daraufliegen, oder auch den blanken Erdboden selber angewiesen- und die Flöhe!

Der Sattel ist des Gaucho Bett, und auf dies Lager, /68/ mit unseren Ponchos und Decken, waren also auch wir einzig und allein beschränkt. Das Hans, in dem wir übernachteten, war eben so schmutzig als das, wo wir zu Mittag gegessen; ebenso waren es die Bewohner, und die Matehröhren eben so heiß. Dabei lag die kleine Hütte still und einsam in der weiten öden Steppe - kein Feld, kein Garten dabei, nicht einmal eine Umzäunung, die Pferde darin zu fangen; nur ein paar in die Erde geschlagene Pfähle, mit Streifen Rindshaut dazwischen ausgespannt, dienten zu diesem Zweck. Ich kann ziemlich viel Unbequemlichkeiten vertragen, und werde wahrlich nie über magere Kost oder hartes Lager murren - dieser widerliche Schmutz überall ekelte mich aber doch an, und ich warf mich an dem Abend, trotz einem recht scharfen und gesunden Appetit, ohne einen Bissen zu genießen, auf meine Decken nieder.

Der nächste Morgen entschädigte mich jedoch reichlich für alles ausgestandene Unangenehme. Er war kalt und frisch, doch blau und klar spannte sich das reine Firmament übers die maigrüne Ebene aus, und der Anblick, den die zahlreich überall zerstreuten Heerden auf dem weichen Grasteppich gewährten, war wirklich entzückend. Die Pferde wurden gebracht, das Gepäck und unsere Sättel aufgelegt, und im Galopp flogen wir in dem heitern, lebensfrischen Bilde, das rasch wie ein Panorama wechselte, dahin.

Wohin das Auge auch sah, war Leben, und in der Luft wie auf den Wiesen trieb es sich im bunten, fröhlichen Gewühl durcheinander. Unmaßen von Kibitzen strichen kreischend über uns hin, oder saßen dicht am Weg oder an den Lachen und wandten kaum den Kopf nach den vorübersprengenden Reitern. Gemüthliche Störche standen ernsthaft hier und da in dem helleren Hintergrund; eine kleine Art Eulen, kaum größer als Staare, kauerten neben ihren Erdhöhlen oder flogen mit schrillem Schrei auf, um sich in etwa zehn Schritt Entfernung wieder niederzulassen. Lange Ketten von Enten strichen durch die Luft oder saßen auf den nächsten Wassern und große, stattliche Wassertruthähne erzählten sich, dort das feuchte Sumpfgras steht, merkwürdige Geschichten mit ihren gellenden Stimmen. In dem schwellenden Grün lag /69/ dabei das gesättigte Vieh oder jagten sich die jungen Lämmer, und nicht fern weidende Pferde schmetterten den unseren mit zurückgeworfenen Mähnen und schnaubenden Nüstern den wiehernden Gruß entgegen, den auch unsere Thiere froh und muthig erwiderten. Es war ein herrlicher Morgen, und das Herz ging mir auf in all' dem Schönen und Freundlichen, was mich umgab. Nur eins wirkte störend und dämpfte den sonst sicherlich unübertroffenen Eindruck: das viele gefallene Vieh, das überall, nur zu oft mitten im Weg, oder auch auf den Wiesen selber, theils nur noch als Gerippe, theils halb verzehrt, theils erst angefressen von unzähligen darüber kreisenden Raubvögeln, herumliegt. Thut es dem Auge doch in der sonst so reizenden, friedlichen Umgebung ordentlich weh. Die Thiere selbst sind aber so daran gewöhnt, daß sie, ohne je zu scheuen, ruhig an den Cadavern vorbeispringen, und selbst die Rinder weiden in geringer Entfernung von den gefallenen Kameraden.

Wir kamen an dem Abend, es war am 18. Juni, ziemlich spät in's Quartier, und ich sah mich heute, da ich den ganzen Tag nichts als ein wenig Milch zu essen bekommen, durch meinen Magen genöthigt, an dem Abendessen Theil zu nehmen. In einer hölzernen Schüssel, die noch die deutlichen Spuren früherer Gerichte trug, bekamen wir unsere Suppe und Fleisch; etwas Brod hatte mein alter Correo bei sich, und mit schmutzigen Löffeln, die ich, um die Leute nicht zu beleidigen, nicht einmal abwischen durfte, verzehrten wir unser frugales Mahl. Später lernte ich übrigens - man fügt sich ja in Alles – mir darin zu helfen, und wenn ich einen gar zu schauerlichen Löffel bekam, ließ ich ihn einfach, wie aus Versehen, auf die Erde fallen. Dadurch bekam ich auch ein unbestrittenes Recht, ihn abzuwischen, und daß ich dann mehr mehr davon nahm, als ich hinangebracht hatte, glaubte ich mit meinem Gewissen ausmachen zu können. Die Landleute der Argentinischen Republik leben fast durchschnittlich einzig und allein von Fleisch und – wollen sie luxeriös sein – von einer eigenen, hier viel gepflanzten Art Kürbis, der allerdings ein angenehmes, aber immer noch viel zu wenig gezogenes Gemüse liefert. Brod kennen sie fast gar nicht, oder haben /70/ es nicht, und selbst da, wo Mais gezogen wird, backen sie nicht, wie es der nordamerikanische Backwoodsman selbst in der ärmlichsten Hütte thut - das so nahrhafte und sicherlich - gesunde Maisbrod. Wie der südseeländische Indianer seine Brodfrucht, die ihm in den Mund wächst und die er nur zu pflücken braucht, so verzehrt der Südamerikaner hier sein Fleisch, das ebenfalls unter seiner Hand und neben und mit ihm aufwächst - er kennt kaum und verlangt selten mehr.

Ich war übrigens an diesem Abend fest entschlossen, mir die Lippen mit dem verwünschten Mateh nicht wieder zu verbrennen, und bat meinen Alten, der die ganze Proviantirung übernommen hatte, um etwas Thee oder Kaffee, was wir beides mit uns führten. Er machte Thee, und ich war in den letzten Tagen so von Allem entwöhnt worden, daß ich den allerdings etwas sehr dünnen Thee schon als einen wirklichen Genuß betrachtete, bis mich meine Umgebung eines Besseren belehrte. Der Thee war nämlich eben aufgegossen, und ich blickte schon mit einer Art Schadenfreude nach den Anderen hinüber, die ich auf ihren Mateh angewiesen sah, ließ den Becher etwas kühlen, und wollte ihn dann auf menschliche, d. h. civilisirte Art an die Lippen bringen, als ein allgemeiner Schrei des Erstaunens und Gelächter, wie verschiedene Ausrufe mich bald darauf aufmerksam machten, es sei entweder irgend etwas Außerordentliches vorgefallen, oder ich stehe wenigstens im Begriff Gift zu trinken. Erschrocken hielt ich ein und sah die Leute im Kreise verwundert an. Die aber gaben mir durch Worte und Zeichen (denn mit meinem Spanisch ging es noch sehr spärlich), so gut das möglich war, zu verstehen, daß ich gerade im Begriff sei, etwas ganz Entsetzliches zu begehen, indem ich den Thee - mit dem Mund aus der Schale tränke. Man reichte mir ohne Weiteres eine der verzweifelten Metallröhren, und es war augenscheinlich, daß man erwartete, ich solle damit meinen Thee, wie den Mateh einschlürfen. Ich wollte nun zwar protestiren, wurde aber unter einem wahren Heidenlärm, überstimmt, und mußte mich endlich - mit welchen Empfindungen kann sich der Leser denken - der Majorität fügen.

Körperlich wohl durch den ungewohnten langen Ritt er-/71/müdet, geistig aber nur zu sehr aufgeregt, auch vielleicht mit einem leisen Anflug von Heimweh, das den wegmüden Wanderer an stillen dunkeln Abenden ja so gern beschleicht, warf ich mich endlich auf mein hartes Lager, und wenn ich auch nicht gleich einschlafen konnte, träumte ich doch wachend von vielen lieben, und doch auch wieder jetzt so traurigen Dingen.

Die Eingeborenen waren es, die mich endlich auf andere Gedanken brachten - und zwar die eingeborenen Flöhe - Miniaturkänguruhs, die ganz urplötzlich anfingen, sich ein Privatvergnügen an dem Fremden zu machen. Wenn es ein Trost war, daß sich mein alter Correo auch unruhig auf seiner Lehmmatratze umherwarf, so hatt' ich den allerdings. Mir nützte es aber doch so viel, daß ich meinen Plänen und Grübeleien entrissen, und der nun einmal eristirenden Wirklichkeit wieder zugezogen wurde. Ich schlief endlich ein, und als ich am nächsten Morgen erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmelszelt und die Pferde wurden draußen eben in die Umzäunung getrieben, wo die jungen Leute die zum Gebrauch bestimmten mit dem Lasso fingen, und dann die anderen wieder hinaus auf die Weide ließen. Es war ein ziemlich später Aufbruch, auch fiel an diesem Tag nichts Besonderes weiter vor - wir machten nur vier kleine Stationen.

Am 20. erreichten wir ein kleines Städtchen, Arrecifes, nach dem Fluß genannt, an dem es lag, wo ich einen Nordamerikaner - der Einzige, der auf dem ganzen Weg zwischen Buenos-Ayres und Mendoza Englisch sprach - traf. Heute sollte ich übrigens zuerst erfahren, wie die Südamerikaner ihre Thiere rücksichtslos, ob sie dabei zu Grunde gehen oder nicht, anstrengen.

Wir hatten eine Station von acht Leguas und legten diese mit dem Lastpferd in einem gestreckten Galopp zurück. Mich jammerten die armen Thiere, aber was half mit mein Mitleiden; bei dem Correo mußte ich bleiben und durfte also schon mein Pferd, so gern ich auch gewollt, nicht schonen. In Fontezuelas, einer kleinen Ansiedlung, wo wir wieder Pferde wechselten, rasteten wir kaum eine halbe Stunde, und von dort trieben wir die Thiere zu eben solcher Eile an, weil mein Alter gern noch an dem Abend die nächste Station /72/ erreichen wollte. Kaum also saßen wir im Sattel, so kam das gewöhnliche Wort „Galopp", der Correo hieb dem Packpferd seine lange Peitsche über die Schenkel, und „hui über die Pampas" hieß die Losung.

Nur immer den Zügel fest in der Hand, lieber Leser, und schaue vorsichtig auf den Weg, denn Dachse und Eulen haben hier überall ihre Löcher, und wenn Du dem Pferd mit Deinen Augen nicht zu Hülfe kommst, könnt Ihr leicht zusammen die Erde küssen. Sieh, der Correo ist schon ein ganzes Stück voraus, Du hast Dein Thier zu sehr geschont - fort! - Weiche dem schilfigen Gras da aus, da hat's Sumpf, dort zur Linken findet Dein Pferd festeren Boden - aber hab' Acht auf die Dachslöcher - hab' Acht! Und siehst Du dort wo die niederen Disteln so üppig stehen, die kleine Eule sitzen! Da sind auch Löcher - vermeide die - „aber dort sitzt auch eine Eule, und hier auch, und da ebenfalls - hier sitzen ja überall Eulen!" - ja hier sind auch überall Erdlöcher! Aber nur weiter, Du versäumst die Zeit, und in rasch einbrechender Dunkelheit könntest Du auf dem weiten Plan - denn Weg und Steg habt Ihr längst verlassen - die Führer verlieren! Und sieh, wie der alte Bursche dabei so fest und regungslos im Sattel sitzt, während ihm der lange, schwere Poncho inr regelmäßigen Schlägen, wie das Pferd vorn einspringt, um die Schultern flappt! - An dem ganzen Körper scheint nur der rechte Arm mit der Peitsche Bewegung zu haben, und diese kommt erbarmungslos auf den Rücken des armen Lastthiers nieder, selbst wenn das nur an einer bös sumpfige Stelle den Schritt auf einen Moment mäßigt, oder rechts oder links nach den ruhig und ungezüchtigt weidenden Kameraden hinüberblinzelt. Vorwärts ist sein einziger Gedanke - vorwärts! Das Thier, das er reitet, das Thier, das sein Gepäck trägt, ist für ihn kein fühlendes, lebendiges Geschöpf, es ist nur ein Pferd, und wenn das stürzt, kann er hier für anderthalb Dollar, vielleicht noch billiger, ein anderes kaufen. Wozu also eine solche werthlose Maschine besonders schonen!

Ich hatte übrigens an dem Abend gerade ein schändliches Pferd; es stolperte immer beim zehnten Sprung, und ich /73/ mußte mich ungemein vorsehen. Das half aber auch nur eine Zeit lang. Als wir einen langen, etwas feuchten und weichen Wiesenstrich in einem wahren Carrière dahinflogen, trat mein Pferd doch in eine der überall zerstreuten Erdhöhlen und konnte diesmal seine Füße nicht wieder gewinnen. Vornüber schlug's, und, wohl oder übel, ich mußte mit - kaum daß ich noch rasch mein Bein unter dem schweren Körper vorbeikommen konnte. Glücklicher Weise schien es Keinem von uns geschadet zu haben; kaum eine halbe Minute später saß ich wieder im Sattel, und hatt' ich bis dahin mein Thier wirklich geschont, so half jetzt wenigstens kein längeres Sträuben. Der Correo, der meinen Unfall nicht einmal bemerkte, oder wenn er ihn bemerkte, sich den Kuckuck darum kümmerte, war indeß in der mehr und mehr einbrechenden Dämmerung weit, weit vorausgeeilt, der mußte wieder eingeholt werden, und das von Schweiß triefende Thier that, von Peitsche und Sporn getrieben, sein Möglichstes.

Der Anblick der Steppe hatte indessen eine höchst eigenthümliche, fast wunderbare Veränderung erlitten. Die feuchten, dem niedern Boden entsteigenden Schwaden hoben sich und verwandelten, vielleicht auch mit ihrer Abspiegelung in der dunstgetränkten Atmosphäre, die Ebene in ein milchweißes, von dem Wiederglanz der Wolken roth überhauchtes Meer, in dem ich selber, jetzt nicht einmal mehr eine Bahn erkennend, dahinsprengte. Ich überließ es meinem Thier, seinen Kameraden zu folgen, und nur manchmal klangen die Hufschläge derselben aus weiter Ferne herüber. In der That hatt' ich auch fast vergessen, daß ich mich hier auf keineswegs gemüthlichem Terrain, sondern auf einer Pampas befand, wo ich, wenn verirrt, meine Bahn allein auf viele hundert Meilen durch die von Feinden bedrohte Steppe suchen konnte. Der Correo hatte einmal mein Geld und kümmerte sich wenig darum, ob ich zurückblieb oder folgte. Trotzdem trübte mir ein solcher Gedanke auch nicht für einen Augenblick den jetzigen Genuß. Die Scenerie, die mich umgab, war mir zu neu, zu fesselnd, um ihr nicht auch all’meine Gedanken, meine ganze Aufmerksamkeit zuzuweden.

Wunderbar sahen die Heerden aus, die ich, in diesem Nebel-/74/meer dahinsprengend, passirte. Nur der obere Theil ihrer Körper schaute aus den weißen Schwaden, die jetzt auch schon begannen, in weiteren Schichten anzusetzen und förmliche Hallen und Grotten zu bilden, hervor, und es sah manchmal aus, als ob sie wie in stillem Wasser geräuschlos dahinschwämmen, dann wieder, wie in tiefem Schnee watend, von Lawinen und wankenden Gletschern bedroht würden. Nicht zurückscheuchen konnte ich dabei das Gefühl, als ob ich fortwährend einen ziemlich steilen Hügel niedersprengte und nun gleich die Nebelmassen über mir zusammenschlagen müßten, und doch flog ich auf der ebenen, fast horizontalen Steppe mit schlagenden Hufen entlang. Mit einbrechender Dunkelheit stieg übrigens auch der Nebel höher, und wurde endlich so dick, daß ich kaum noch wenige Pferdelängen vor mir den Boden erkennen konnte. Aber nicht weit mehr entfernt hörte ich jetzt deutlich die drei übrigen Pferde in ihrem kurzen regelmäßigen Galopp, und ehe wir die kleine Hütte erreichten, in der wir übernachten wollten, hatte ich sie eingeholt.

Am nächsten Morgen brachen wir sehr früh auf, denn der Nebel hatte sich in der Nacht vollkommen verzogen. Diesmal einem ziemlich berittenen Pfad folgend, auf dem sich auch deutlich ältere Wagenspuren erkennen ließen, sprengten wir durch die fruchtbaren, mit dem saftigsten Gras und Klee bedeckten Ebenen, in dem Mengen von Rindern, Pferden und Schafen weideten, oder hier und da auch gesättigt in dem sie halbverdeckenden Futter lagen und ruhig wiederkäuend die vorbeigaloppirenden Reiter betrachteten.

Die Morgenstunde ist für die ganze Thierwelt der Steppe die Zeit der Ruhe, selbst die Raubvögel sitzen auf kleinen, niederen Büschen oder Erdhügeln in ernstem Schweigen, und kehren sich nicht an das muntere Vogelzeug, das sie umflattert. Langbeinige Störche gehen zu Paaren oder in Gruppen langsam auf den höher gelegenen, trockenen Stellen spazieren, erzählen sich vielleicht die Abenteuer der vergangenen Nacht und lachen über bestandene Fahrten, daß ihnen die Schnäbel klappern. - Mengen von Erdhöhlen, die überall den Boden durchlöchern, stehen leer; was auch in ihnen wohnt und athmet, kommt um diese Jahreszeit nicht zum Vorschein. Die Heerden, /75/ wie schon gesagt, liegen meist und käuen wieder, und selbst Pferde, die sonst wild durch die Steppe jagen, stehen schläfrig am Rand der kleinen Teiche, oder lagern ebenfalls auf dem stets für sie gedeckten Tisch der Pampas.

Wie anders wird das Alles, wenn sich die Sonne ihrem Untergang nähert und, etwa noch eine Stunde hoch am Himmel stehend, die Wolken, die einzeln über das durchsichtige Blau des Himmels treiben, mit ihren brechenden Strahlen vergoldet. - Die Heerden sind dann alle in Bewegung; weidend, das junge Vieh spielend, ziehen sie durch die grünen, saftigen Matten - nicht der Nahrung nachgehend, denn dicht unter ihnen wuchert diese, wo sie auch stehen - nein, das Süßeste und Wohlschmeckendste heraussuchend aus dieser überreichen Speisekammer des Herrn. Die Trupps der Pferde springen und wiehern einander zu, hinein in den schmetternden Klang der herausfordernden Töne schallt das weiche, melodische Blöken der Kühe, und der schrille Ruf des Falken, der hoch über der freien Steppe kreist, scheint mit zu dem regen, geschäftigen Leben und Treiben zu gehören.

Hei, wie die Rosse da noch einmal so munter mit den Reitern über den Rasen streichen! Weit hinten aus fliegt Grund und Gras von den flüchtigen, tief eingreifenden Hufen, und sie antworten den bekannten Lauten der Kameraden, die heut dem Lasso entgingen, um morgen vielleicht dafür desto schärfer den gewichtigen Sporn ihres Herrn zu fühlen - vorbei.

Siehst Du, wie sich dort die Höhlen beleben, die noch vor kaum einer halben Stunde so finster und dunkel dalagen? Sieh, wie altklug das wunderliche Mittelding zwischen Hamster und Dachs vor seiner Thür sitzt und zu Dir herüberschaut, was Du zu eilen hast an dem freundlichen Abend! - Da drüben sitzt noch einer - da noch einer - dort ein dritter, vierter, fünfter! - Rechts von Dir, gerade unter dem wehenden Büschlein, das vielleicht schon Vater und Großvater Schutz und Schatten gewährt und das Mondlicht hindurchgelassen hat auf heranwachsende Geschlechter, kauert eine ganze kleine Familie, und freut sich über das Jüngste, das zum ersten Mal heut aus der Höhle kommt und ganz erstaunt und überrascht die nie geahnte Herrlichkeit der Welt anstaunt. /76/

Dort die kleine Eule war zum Besuch über Tag bei den Nachbarn und fliegt jetzt, mit leisem, geräuschlosem Flügelschlag, zu dem Weibchen zurück, das ungeduldig schon vor der engen, steilen Höhle auf- und niedergeht und seinen Aerger so lange mit einem Spaziergang beschwichtigt hat. - Liederliches Eulenmännchen das, den ganzen Tag über, wo eine ordentliche, anständige Eule in's Nest gehört, wahrscheinlich in schlechter Gesellschaft zu sitzen oder gar, was noch schlimmer wäre, draußen im Freien herumzustreifen und seine Gesundheit den schädlichen trockenen Sonnenstrahlen auszusetzen. Wenn es jetzt Nachts seinen ordentlichen Geschäften nachgehen soll, ist es faul und schläfrig, und läßt Steppenmaus und Käfer unbeachtet an sich vorbeilaufen und surren. - Oh, was die Eulenweibchen selbst in der Steppe ihre liebe Noth haben!

Vorbei - dort drüben weidet eine große Heerde der kleinen Pampasschafe; aber weit zurückgeblieben ist eine Mutter mit ihrem, erst vor wenigen Stunden geworfenen Lamm. Aengstlich zurückblickend und das arme kleine, schwache Ding, das sich kaum schon auf den Füßen erhalten kann, durch leises Blöken ermunternd, sucht sie nun die Heerde wieder zu gewinnen. Wenn die Nacht anbricht, fänden ja herumstreifende Raubthiere die Hülflosen ohne Schutz und Schirm.

Sieh - der große Geier, der dort hoch oben in der Luft stand und den Platz schon eine Weile in weiten Kreisen umzog, hat sie entdeckt und stößt rasch herab, sicher geglaubte Beute zu finden - aber die sonst so scheue, ängstliche Mutter läßt das Kind nicht dem gierigen Sohn der Lüfte. - Den Kopf gebeugt, tritt sie gegen ihn an, und der Raubvogel, so stark und scharf auch Klauen und Schnabel sind, hält sich zurück vor dem Mutterzorn, sitzt nieder auf dem ihm nur wenig zusagenden Boden, und folgt unbehülflich und schwerfällig in sechs bis acht Schritt Entfernung etwa dem kleinen Lamm, das die Mutter nur vergebens zu größerer Eile antreibt. Der gierige Falke hofft auf den Tod des armen schwachen, kleinen Wesens, oder - auf die Nacht, und bleibt bei der schon sicher gehaltenen Beute, und die arme Mutter weiß, was dem Kinde droht, wenn es nicht die letzten Kräfte /77/ zusammenrafft, die nahe und doch noch so entsetzlich ferne Heerde zu erreichen.

Vorbei - hui - dort gleitet ein Schuppenthier blitzschnell über den Pfad in das hohe Gras hinein, und der alte Gaucho richtet sich hoch auf im Sattel, ob das zur Seite geschobene Gras nicht noch einmal die Richtung anzeigt, in der das Thier verschwunden. - Die Schuppenthiere schmecken den wilden Burschen gar delicat, und vielleicht um so besser, da sie ein seltener Braten sind.

Und was liegt dort an dem feuchten Fleck in der Steppe, wo sich in einer kleinen Senkung des Bodens Wasser vom letzten Regen gehalten? - ein sterbendes Rind, das grüne glasige Auge stier und erblindend auf den Klee geheftet, der es jetzt in weichen dichten Mengen umgiebt und der in wenigen Tagen, von seinem verwesenden Körper verpestet, von Raubthieren zertreten sein soll. - Die übrigen Thiere stehen dicht dabei, aber sie achten nicht des scheidenden Kameraden - da - hier - dort, da drüben überall liegen die noch hier und da mit der vertrockneten Haut, oft auch vollkommen nackten Gerippe früher Vorangegangener. - Das Vieh meidet sie, so lange sie die Luft um sich her mit ihrem entsetzlichen Duft erfüllen, und grast dicht neben ihnen, wenn Sturm und Regen die letzten widerlichen Spuren verwaschen haben.

Vorbei - da, siehst Du dort unsern alten Freund, den Storch, wie thätig er geworden und wie aufmerksam und still er in das stille Wasser schaut, das, zwischen dem Rasen hervorquellend, einen kleinen klaren Teich gebildet? - Er kümmert sich jetzt nicht mehr um den Nachbar, dem er vorher so viel zu erzählen hatte; er schaut nicht mehr bald hinauf nach dem kreischenden Flug von Papageien, die mit scharfem Flügelschlag über die Steppe strebten, den gewöhnlichen Schlafplatz für die Nacht zu erreichen, noch nach der Schaar rother Flamingos, die mit den langen, wunderlich gebogenen Hälsen einen Nachbarteich in Beschlag genommen. - Nur einen einzigen ärgerlichen Blick wirft er hinüber auf eine lange Kette schnatternder, quäkender Wildenten, die sich eben in dichtgedrängter, unruhig wogender Schaar fast zu nahe bei ihm /78/

niedergelassen und das Wasser erregt haben, und blickt dann ernsthaft und aufmerksam wieder auf die dunkeln Stellen im schlammigen, halbüberwachsenen Grund, geduldig erwartend, was ihm daraus wohl aufgetischt werden würde.

Vorbei - die Sonne sank lange hinter den Kordilleren, und ihren Mantel wirft die Nacht im raschen Flug über die kaum dämmernde Erde.

Am 21. kamen wir in die Provinz Santa-Fé, und was in Buenos-Ayres vielleicht kaum mehr als ein Gerücht gewesen, „daß die Pampas-Indianer nämlich wieder ausgebrochen seien und die Ansiedlungen der Argentiner bedrohten" - fand hier volle Bestätigung. Die Leute sprachen von nichts als Indianern - ein Gefecht sollte schon zwischen ihnen und einem Trupp Soldaten stattgefunden, und sie selber auch mehrere junge Leute im „Campo" überfallen und getödtet haben. Dabei war das Unangenehme, daß sie sehr selten in kleinen Trupps, sondern meistens in größeren, von fünfzig bis hundert und mehreren, gingen. Was hätten wir Drei, die anderen Beiden nur mit ihren Messern bewaffnet, gegen eine solche Uebermacht ausrichten wollen! Die einzige Aussicht in diesem Falle blieb, wie uns der Alte versicherte, schleunige Flucht gen Norden. Fliehende Heerden und aufgescheuchtes Wild sollten in dem Fall, daß die Indianer in Masse herankamen, das erste und ziemlich gewisse Zeichen ihrer gefürchteten Ankunft sein, und dann kam es in der That darauf an, wer die besten und schnellsten Pferde unter sich hatte - die Indianer oder wir.

Der Arroyo de Pavon, ein kleines seichtes Flüßchen, bildet hier, die Grenze zwischen den Provinzen Buenos-Ayres und Santa-Fé, und in mehr als einer Hinsicht sollten wir den Unterschied zwischen beiden Ländertheilen kennen lernen. Zuerst, was mich aber nichts weiter anging, da der Correo sämmtliche Kassengeschäfte zu besorgen hatte, galten von hier an nicht mehr die Buenos-Ayres-Papierthaler, die sogenannten pesos, das Stück etwas über zwei Groschen an Werth, die in der /79/ ersten Provinz wechselnden Cours haben und damals lieber als selbst Silber genommen wurden. Von hier ab mußte der Correo Alles mit Silber selber bezahlen. Dann aber erreichten wir hier erst das wirklich wilde Land der Steppen - den Schauplatz der häufigsten indianischen Einbrüche, und fast war es auch, als ob dieser kleine Bach, der die Provinzen schied, selbst eine Scheidewand in der Vegetation bilde. Der ganze Anblick der Pampas bekam, wie durch den kleinen Fluß abgeschnitten, etwas Winterlicheres, als er bisher gehabt. Bis dahin war das Land eine weite, durch nichts unterbrochene, fast maigrüne Ebene gewesen; saftiger Klee und frisches Gras, in dem das wohlgenährte Vieh in ungeheuren Mengen weidete oder ruhig gesättigt ausruhte. Hier aber wurde das Vieh schon seltener, die Heerden weniger und schwächer, und nur eine Art breiter dorniger Kletten überzog die grüne Unterdecke mit einem grauen, aber noch immer oft durchbrochenen Schleier. Noch auffallender sollte dieser Wechsel am nächsten Tage werden, wo auch das Land selber mehr wellenförmig wurde und in langen grauen Hängen den Blick des Reisenden ermüdete.

Diesen Abend ritten wir bis spät in die Nacht hinein, um soviel als möglich von dem am meisten durch Indianer bedrohten Terrain zurückzulegen. Noch mit Dunkelwerden wechselten wir die Pferde - etwas, das ganz gegen die Natur meines alten Correo schien, der es sich Abends gewöhnlich, sobald es nur irgend gehen wollte, bequem machte. Wenn ihn aber etwas aus seiner Ruhe bringen konnte, so war es das Zauberwort los Indios, und wo er das erwähnen hörte, ging er auch gewiß nicht eher fort, bis er Alles wußte, was er darüber hören, und was vielleicht auf seinen jetzigen Ritt Bezug haben konnte.

Es war schon stark dunkel, als wir an den Rand eines andern kleinen Flusses mit schlammigen Ufern kamen, den wir kreuzen mußten. Die Flüsse dieser Steppen sind nicht gerade tief, ihre schlammigen Ufer dem Reisenden aber nur zu oft hinderlich, und manchmal wohl auch gar gefährlich; doch sollen sie in nässerer Jahreszeit nicht selten stürmende Fluchen, ihr Bett hinabwälzen und den Durchgang oft unmöglich machen. /80/

Am 22. Morgens hüllte ein so dichter, entsetzlicher Nebel die Ebene ein, daß mein alter Correo in diesem unter keiner Bedingung aufbrechen wollte. Gerade hier schien eine Art Wechsel der gefürchteten „Indios" zu sein, die sich in dieser Gegend früher sehr häufig gezeigt hatten, und außerdem waren wir der Gefahr ausgesetzt, die rechte Richtung zu verfehlen und die nächste Station gar nicht anzutreffen. In solchem Wetter hätten wir auf fünfzig Schritt Entfernung nichts von ihr gesehen oder gespürt, und dann lag sogar die Möglichkeit vor, daß wir, trieb sich wirklich ein Indianertrupp in der Nähe herum, diesem eben so leicht in die Fänge laufen konnten. Bei solchem Nebel sollen diese Söhne der Steppe nämlich gar gern die Ebenen durchstreifen und überall ihre Wächter hinsenden, wenn sie sich in der Nähe besiedelter Striche wissen. Trafen sie aber auf uns, so blieb uns in der freien Ebene, ohne jeden Vorsprung, nur sehr wenig Hoffnung zum Entrinnen.

Endlich lichteten sich die Schleier; zuerst brach die Sonne hindurch, und oben in dünnen duftigen Massen theilte sich die Decke, die bis dahin zäh und hartnäckig auf uns gelagert. Ueber den mattblauen Himmel hin suchten die einzelnen abgerissenen Flocken ihre Bahn. - Tiefer und tiefer arbeitete sich das helle, freundliche Sonnenlicht hinein und grub und drängte und schob endlich die weißgelben Schwaden wie riesige Coulissen zurück von der Bühne, aus der uns jetzt schon wieder grüne, lachende Wiesenflecke und weidende Heerden, nur noch wie von einem luftigen Flor überhaucht, entgegentraten. Jetzt schwand auch dieser: der letzte Windstoß, der mit der siegenden Sonne daherstrich, nahm ihn hinweg auf seinen kräftigen Armen, und weiter und weiter zurück wich der düstere Geist, der diese thaublitzenden, schimmernden Ebenen so lange verdeckt und verhüllt gehalten. Kaum gewannen wir aber erst einen richtigen und vollständigen Ueberblick über die Ebene, als ihn mein alter Correo auch nach besten Kräften benutzte und den Horizont mehrere Minuten lang mit seinen dunkeln Adleraugen überflog. Wir sahen nun, denn ich ließ mein Taschenteleskop ebenfalls seine Dienste thun, daß, so weit das Auge nach Süden reichte, die wenigen Heerden, die noch /81/ sichtbar waren, still und unbelästigt und ungeschreckt weideten. Die schon lange gesattelten und bepackten Thiere wurden vorgeführt - „vamos!" lautet der Ruf , und von den Sporen kaum berührt, flogen die Klepper weit aus über die Steppe.

Nur erst wenige Leguas von dem Platz entfernt, veränderte sich das ganze Aussehen des Bodens merklich. Selbst die bis dahin einzeln zerstreuten Heerden hörten hier auf, dem Auge einen Ruhepunkt zu bieten. Kein Klee gab dem Vieh mehr die saftige Nahrung; ziemlich hohes, schon gelbendes Büschelgras vertrat jetzt dessen Stelle, und stehe da - als wir rasch eine kleine Anhöhe hinansprengten, schreckte ein Hirsch aus seinem Lager auf und floh, den hohen weißen Wedel zeigend, rasch einem sicherern oder doch wenigstens ungestörteren Platze zu. Nicht ein einziges Stück größeres Wild - Enten und Wassergeflügel natürlich genug - hatte ich gestern bemerkt, und heute, wohin das Auge sah, fand es theils äsende, theils fliehende Hirsche, die sich das hier etwas höhere Land zu ihrem Sammelplatz ausersehen zu haben schienen. Es war dem Auge eines Jägers ein wohlthuender, freudiger Anblick, der noch durch einen neuen Genuß verstärkt werden sollte. Wir mochten kaum eine Stunde geritten sein, als ich vor uns eine Schaar sich wunderlich bewegender Gestalten entdeckte. „Was ist das?" war mein fast unwillkürlicher Ausruf, und der Postillon zeigte lachend hinüber und sagte: „Avestruz."

Strauße, die ersten wilden, die ich sah - denn zahm hatte ich sie schon hier und da in den einzelnen Ansiedlungen gefunden - Strauße, die sich dort, in den weiten Pampas, jagten und mit den unbehülflichen Flügeln schlugen, die langen Beine rechts und links hinauswarfen, und endlich, als sie unser Nahen hörten, pfeilschnell über die Ebene dahinstoben - ein Pferd hätte ihnen mit der Schnelle kaum folgen können. Mich drängte es fast, meinem Thiere die Hacken einzusetzen und hinter der wilden, wunderlichen, in der Flucht mit einander spielenden und sich bald rechts bald links hinüberhetzenden Schaar herzusprengen. Aber sie flohen nach Süden hinunter, und mein Begleiter warf noch fortwährend viel zu mißtrauische /82/ Blicke nach jener Himmelsrichtung, um mir je zu gestatten, ihr entgegenzujagen. Ueberdies hatten wir an dem Morgen auch viel Zeit versäumt, und es galt jetzt vor allen Dingen, erst die wieder einzubringen.

Das Wild ist hier in den Steppen entsetzlich scheu, und der europäische Jäger soll es sich nicht etwa leicht denken, trotz der sehr großen Anzahl, viel zu schießen. Der Gaucho hat kein Feuergewehr, überhaupt keine Schußwaffe, nur den Lasso und die Bolas, und mit diesen ist er genöthigt, will er einmal Wildpret essen, sein Wild zu fangen. Mit diesen Waffen verfolgen deshalb die Gauchos Hirsche und Strauße, und hetzen das Wild so lange, bis sie es überholen. Natürlich muß dieses, auf solche Art fortwährend abgetrieben, ungemein scheu werden, und wo es nur ein Pferd galoppiren hört, flieht es schon, die unvermeidlichen Verfolger fürchtend, in ängstlicher Hast über die Ebene, und ruht nicht eher, bis die Gestalten der vermutheten Feinde in nebliger Ferne verschwimmen.

Nöthig ist es hier übrigens, daß ich Bolas und Lasso dem Leser zuerst etwas näher beschreibe, denn wenn wir auch in Deutschland wissen, daß der Lasso eine Schlinge ist und Bolas Kugeln bedeuten, die geworfen werden, machen wir uns doch im Ganzen einen falschen Begriff davon. Der Lasso besteht aus einem langen Seil, von ungegerbter Rindshaut fest geflochten. Das eine Ende desselben trägt einen kleinen eisernen oder Messing-, ja in manchen Ländern ebenfalls von Leder geflochtenen Ring, und durch diesen gezogen, bildet das Seil oder der Lasso eine Schlinge, die, wenn zum Gebrauch fertig, von dem Gaucho so gefaßt wird, daß sie acht bis zehn Fuß Leine in sich faßt. In diese Schlinge selber greift er beim Wurf hinein, während er vielleicht noch dreißig Fuß loses Tau in der linken Hand locker aufgerollt hält, schwingt den Lasso drei- bis viermal um den Kopf, um ihm beim Wurf den rechten Nachdruck zu geben, und schleudert ihn dann mit solcher Sicherheit, daß er ihn nicht allein um den Hals jedes nur in Wurfesnähe gebrachten Thieres, sondern sogar beim vollen Lauf um jedes Bein des Wildes legen kann, das er haben will. Ist der Gaucho zu Pferd, so hat er das andere /83/ Ende des Lasso an seinem breiten, ebenfalls aus Rohhaut gefertigten Sattelgurt befestigt, und das Thier, das er reitet, ist so vortrefflich auf diese Art Fang eingerichtet, oder weiß vielmehr so gut, was ihm selber droht, wenn es nicht feststeht, daß es sich gleich nach dem Wurf entgegenstemmt, dem ersten Ruck des getroffenen Thieres zu begegnen.

Die Bolas sind in der Natur des Wurfs dem Lasso ähnlich, denn sie werden ebenfalls wie dieser um den Kopf des Werfenden geschwungen und wie dieser geschleudert. Sie sind aber für den Gegenstand, nach dem sie geworfen werden, gefährlicher, da sie nicht selten selbst die Knochen eines starken Pferdes brechen. Der Pampas-Indianer gebraucht sie deshalb auch zur Kriegswaffe. Sie bestehen aus drei, in Rindshaut fest eingenähten, etwa zwei bis dritthalb Zoll im Durchmesser haltenden Steinen - nicht selten auch, wo es sich die Gauchos verschaffen können, aus kleineren Stücken Blei, die jedes an einem etwa fünf Fuß langen Streifen ungegerbter Haut befestigt sind und zu einem Mittelpunkt zusammenlaufen. Der Werfende erfaßt die eine Kugel, schwingt sich die anderen beiden wie beim Lassowurf um den Kopf, und schleudert sie dann mit einer eben solchen Biegung der Hand, als es beim Lasso nöthig ist, nach vorn. Im Wurf streben aber die schweren Gewichte auseinander, und während sie sich, ein etwa acht Fuß im Durchmesser haltendes Dreieck bildend, rasch umkreisen, schlagen, sobald der eine Stein oder das Seil, an dem er befestigt ist, einen Gegenstand trifft und dadurch Widerstand findet, die andern beiden mit Gewalt umher, umschlingen und verwickeln, was sie fassen, und treffen mit tätlicher Gewalt, was also in den Bereich ihrer Schwingung gebracht wird. Pferde, mit solchen Bolas geworfen, habe ich zusammenbrechen sehen, als ob sie vom Blitz erschlagen gewesen wären.

Ein hübsches Beispiel vom Lassowerfen hatte ich am 23. Morgens. Diese Stationen sind, wie schon gesagt, nur Meistens kleine, roh aufgerichtete Hütten, in denen die Gauchos leben, und nach eingegangenem Contract mit dem Staat dem postreitenden Correo so viel Pferde stellen, wie er gerade braucht. Sehen sie ihn von Weitem über Tag ankommen - /84/denn die Zeit, wo er etwa passiren muß, wissen sie ungefähr - so sprengen ein paar von ihnen mit den stets am Haus bereit gehaltenen Pferden hinaus, die nächste Heerde einzutreiben, und wenn sie eine Umzäunung haben, jagen sie die Thiere hinein. Ist das aber nicht der Fall, so gehen zwei von verschiedenen Seiten auf sie zu und werfen mit fast nie fehlender Sicherheit dem Thier, das sie haben wollen, den Lasso um den Hals. Die Pferde aber, wie alle Thiere der Steppe, kennen den Lasso, und den Ruck fürchtend, der sie gewöhnlich niederreißt, stehen sie nicht selten, sobald sie die Schlinge fühlen, stockstill, obgleich sie ihr vorher meist in voller Flucht zu entgehen suchen.

An diesem Morgen waren ihrer vier mit Lassos hinausgegangen, die schon dicht zum Haus gejagten Pferde zu umzingeln. Die Thiere zeigten sich aber heute ganz außergewöhnlich scheu, und schienen den Wurf, da sie vielleicht erst kürzlich durch Bolas beschädigt worden, ungemein zu fürchten. Die drei ersten, mit Lassos gefangenen, rissen so furchtbar in die Schlinge, daß die Gauchos, die zu Fuß hinausgegangen waren, sie nicht halten konnten und loslassen mußten, und mit dem anhängenden Lasso stürmten sie, von der ganzen Heerde gefolgt, wieder hinaus in die Steppe. Zwei berittene junge Bursche trieben sie aber wieder zurück, fingen eins dabei, das sie zugleich zum Hause brachten - und die Hetze begann dann von Neuem. Dreimal brannten sie also durch, dreimal wurden sie wieder zurückgejagt und sechs Lassos schleiften schon in der Heerde, bis wir endlich unsere nöthigen vier Thiere, aber so abgehetzt und wild gemacht, zusammen hatten, daß sich weder mit Sporen noch Peitsche etwas mit ihnen ausrichten ließ. Wie die wilde Jagd stob es, endlich einmal im Sattel, mit uns davon - sie gingen richtig mit uns durch, und es war ein Glück, daß wir an diesem Morgen zuerst nur eine kleine Station hatten.

Herrlich ist übrigens der Anblick der wilden Heerden, die, von ihren fast noch wilderen Herren verfolgt, mit fliegenden Mähnen und schnaubenden Nüstern durch die Steppen donnern. Dahinterher dann die tollen sonnverbrannten Gauchos mit ihren flatternden Ponchos und Kopftüchern, den Lasso /85/ fortwährend im wirbelnden Schwung, die eigenen Thiere un-unterbrochen zum Aeußersten anspornend; - dazu die erschreckten auseinander stiebenden Heerden der Rinder, durch und über die hin manchmal die tolle Hetze geht; die aufgescheuchten kreisenden oder scheu abstreichenden Falken; die grüne Steppe und der blaue Himmel; die in jedem Moment wechselnden malerischen Gruppen, - das Alles macht einen Eindruck auf den Beschauer, den es wohl ungemein schwer werden möchte, bei ruhigem Blut in todter Schriftsprache wiederzugeben. So etwas muß erlebt, gefühlt sein - die Nerven müssen dabei selbst erregt gewesen sein; das eigene, von Uebermuth sprudelnde Thier muß unter Einem getanzt und in die Zügel geschäumt haben und dann, weit ausgreifend, mitten in dies Leben hineingeflogen sein. Dann aber bleibt es auch mit unvertilgbaren Zügen in das Herz gegraben, das diesem wilden Treiben einst mit so frohem Klopfen entgegenschlug, und keine Zeit, kein anderes Leben kann es je daraus wieder verwischen.

Am 23. machten wir in einer kleinen Stadt, Cruz alta, Station. - Stadt; ja was wir uns in Deutschland darunter denken, darf man hier freilich nicht erwarten. Es sind Lehmhütten, die dem Anschein nach schon eigentlich bei dem ersten ordentlichen Regen zusammenschmelzen müßten - und die Bewohner? - lieber Leser, ich weiß wahrlich nicht wie ich Dir, ohne die Leute selber zu kränken, ohne aber auch ihnen zu schmeicheln, einen recht treuen Begriff von ihnen geben könnte. Die jungen Leute sind meist lauter kräftige, selbst interessante Gestalten, die sich in der malerischen Landestracht (wenn sie nur nicht gar so oft die verwünschten europäischen schwarzen Seidenhüte zu ihren Ponchos und Cheripas tragen wollten) nur noch pittoresker und eigenthümlicher ausnehmen. Leider aber kann ich dem schönen Geschlecht nichts so Rühmliches nachsagen. Es sollte mir leid sein, den Frauen der Pampas Unrecht zu thun; was ich aber bis dahin von ihnen gesehen, diente wahrlich, mit nur sehr wenig Ausnahmen, nicht dazu, mir einen günstigen Begriff von ihnen beizubringen. Unreinlichkeit und ein unseren deutschen Begriffen wenigstens nach widriges Benehmen waren die vorherrschenden /86/ Eigenthümlichkeiten, und ich fand das, je mehr ich von ihnen sah, auch immer nur mehr und mehr bestätigt. Das so fatale und den Nordamerikanerinnen besonders eigene laute Aufstoßen ist hier etwas so Gewöhnliches, daß es keinem Menschen mehr auffällt. Selbst bei Tisch geniren sich die guten seňoras und seňoritas nicht im Mindesten, und dergleichen Unanständigkeiten kamen manchmal so laut und unschuldig zum Vorschein, daß ich oft an mich halten mußte, trotz allem Ekel nicht laut aufzulachen. Das allerdings darf ich nicht unerwähnt lassen, daß ich erst über einen Gegenstand später aufgeklärt wurde, nämlich gar keine hübschen jugendlichen Gesichter unter den Frauen zu finden. Das aber hatte eben seinen Grund in den indianischen Feindseligkeiten, vor denen alle jungen Mädchen nach den befestigten oder wenigstens durch Militär besetzten Plätzen geschafft waren. Etwas reinlicher hätte es also gewiß, wären sie gegenwärtig gewesen, in den Häusern ausgesehen, jedenfalls freundlicher. Die Männer blieben aber immer dieselben, und wahrscheinlich auch die alten Frauen, und ein warmes Bad mit ein paar Stücken Bimssteinseife würde keinem von ihnen geschadet haben.

In solchen kleinen Städtchen genießt man übrigens auch den Luxus eines Stuhls oder einer Bank, denn in den gewöhnlichen Hütten der Gauchos bedient man sich fast nur der Erde zum Sitzen oder, wenn es hoch kommt, zu diesem Zweck hereingeschaffter Pferdeschädel, die dann aber auch das vollständige Ameublement einer solchen Wohnung bilden.

Keineswegs appetitlich ist dabei die Kocherei selber. Die Pampas sind so holzarm, daß sogar die paar Stücken Holz, die der Gaucho zu den Eckpfählen seiner Einzäunung braucht, und von denen er dann, von einem zum andern, dünn geschnittene Streifen ungegerbter Haut herüberspannt, viele, viele Tagereisen weit mit Pferden herbeigeschafft werden müssen. An Holz zu Feuerung ist deshalb, die Stengel einiger holzartiger Gräser ausgenommen, gar nicht zu denken. Das vorzüglichste und Hauptbrennmaterial ist deshalb auch Kuhdung, um das dann noch, es etwas besser zusammenzuhalten, einzelne Knochen gelegt werden. Diese brennen allerdings nicht sel/87/ber, aber sie concentriren die Hitze und - stinken. - Auf dies qualmende, schauerlich duftende Material wird dann sehr häufig ein anderer Knochen, an dem noch etwas Fleisch sitzt, geleqt und gebraten, und meint es der Gaucho, lieber Leser, recht gut mit Dir, so nimmt er den Knochen für Dich aus dem Feuer, klopft ihn an seinem Bein ab, reißt ein paar Stücken mit den eigenen Zähnen herunter, um zu sehen ob er geröstet ist, und reicht ihn Dir dann. Du aber sagst: muchos gracias, seňor, mit einem etwas sauersüßen Lächeln und nagst, weil Du einen wahrhaft schmählichen Hunger hast, weiter.

Das Gespräch drehte sich hier, wie überall, um die Indianer und ihre befürchteten Angriffe, und mein etwas geschwätziger alter Begleiter erzählte den aufmerksam und ängstlich lauschenden Städtern all' die fürchterlichen Berichte, die er „im Lande drin" über die wilden, blutdürstigen Stämme der Pampas gehört hatte, und auch alle, wie ich das fest überzeugt bin, auf Wort und Gewissen glaubte. Ich fand jedoch nur zu bald, daß die gehörten Berichte keineswegs so ganz übertrieben sein mochten, denn auf den nächsten Plätzen, die wir erreichten, waren die Frauen mit ihren Kindern schon nach den nächsten kleinen Städten, die Ankunft der feindlichen Stämme fürchtend, geflohen. Die zurückgebliebenen Männer hielten theils bei ihren Heerden Wache, theils hatten sie für sich die Pferde dicht am Haus und gesattelt stehen, um ohne Säumniß, sobald sie die Ankunft der blutdürstigen Indianer entdeckten, einem sonst, wie sie sagten, gewissen Tode entfliehen zu können. Wieder lagen wir hier wohl bis elf Uhr Morgens, ehe mein alter Correo, des starken Nebels wegen, zum Aufbruch rief.

Als wir endlich, und die Sonne stand schon bald im Zenith, durch die Steppe sprengten und etwa acht oder zehn englische Meilen zurückgelegt haben mochten, sah ich plötzlich, zu meinem nicht geringen Erstaunen, einen Gegenstand in der Ferne, der sich augenscheinlich gerade auf uns zu bewegte, von dem wir aber zuerst gar nicht ausmachen konnten, was er eigentlich bedeute. Im Anfang griffen wir unseren Thieren in die Zügel - es konnte ein dichtgedrängter kleiner Trupp Indianer sein, das aber, fanden wir bald, war nicht /88/ der Fall, und je näher das wunderliche Ding jetzt kam, desto mehr schien es mir, als ob ich etwas Aehnliches schon einmal in meinem Leben gesehen haben müßte. Die dunkle, fast verwischte Vorstellung einer gelben Landkutsche, die vor Erfindung der Eisenbahn unglückliche Passagiere von einem Landstädtchen zum andern räderte, tauchte in mir auf, obgleich der Gedanke fast zu absurd war, die gelbe Landkutsche hier mitten in den Pampas zu suchen. Als es aber näher und näher herankam, gewann der kolossale Gegenstand auch mehr und mehr Form und Gewißheit, und endlich - nein, wahrlich es war zu komisch, und ich mußte laut auflachen - rollte die gelbe Landkutsche (aber keineswegs mit gewöhnlicher gelben Landkutschenschnelle, sondern von sechs galoppirenden Pferden gezogen) rasch durch den Sand heran - und abenteuerlich genug sah der Zug aus.

Die Pferde, sämmtlich an die Sattelgurte gespannt, hatten weiter kein Geschirr als den Zaune und Sattel, und auf jedem saß eine in den flatternden Poncho gekleidete wilde Gauchogestalt, mit den langen Sporen und der breiten schweren Revenka. Die Achsen und Speichen der Räder aber, so wie alles Feder- und Holzwerk des langen omnibusartigen Kasten war fest und sicher mit Streifen ungegerbten Leders umwickelt, und jedes Plätzchen dabei auf dem ganzen Wagen, es mochte sich nun befinden wo es wollte, zu einem Kistchen, Fäßchen, Kasten oder Pack benutzt. Zu der gelben Landkutsche aber, sollte sie nicht ganz aus der Rolle fallen, gehörten ein paar alte gemüthliche Gesichter, die in lobenswerther Geduld, und sich ruhig in ihr Schicksal fügend, eine solche Reise machten, und wahrlich, als bei unserer Annäherung der Wagen hielt und das Fenster niederfiel, sah ein mit Runzeln bedecktes und von hoher Brille überragtes Schulmeistergesicht aus dem Schlag, und erkundigte sich mit nicht geringer Genauigkeit bei dem jetzt erkannten Correo nach den Gerüchten über die Indianer. Die Gauchos auf den Pferden hatten zu viel eigenes Interesse bei dieser Antwort, als daß sie hätten gleichgültig bleiben sollen. Sie wandten sich alle gespannt dem alten Correo zu und lauschten seinen Worten, die wieder viel des Entsetzlichen kündeten /89/ - der Alte war ordentlich wie eine reitende Hiobspost. Das

berichtet, was er berichten wollte, wandte er sich ab und sprengte wieder davon, ich aber hatte indessen ausgefunden, daß ein junger Bursche, ein Knabe von etwa vierzehn Jahren, mit im Wagen saß, der Englisch sprach, und es drängte mich natürlich ebenfalls, zu erfahren, was er mir über den Schnee der Kordilleren - ein für mich sehr interessantes Capitel - etwa sagen könnte. Wie ich aus dem vorigen Gespräch gehört, befand sich in dem Omnibus ein Lehrer mit einigen Zöglingen, die er mit zum Besuch nach Buenos-Ayres nehmen wollte.

Mit Fragen kam ich aber bei dem jungen Bürschchen im Anfang gar nicht an, denn dieser wollte nur von Indianern hören, und frug mich, ob alle die Mordgeschichten wahr wären, die der Correo da eben seinem Professor erzählt hätte. Ich sah mich nach dem Correo um - dieser war kaum noch zu erkennen, ließ ich mich auf langes Erzählen ein, erfuhr ich nie, was ich wissen wollte, Trost konnte den guten Leuten aber auch nicht schaden, und ich versicherte ihm, es sei kein wahres Wort an der ganzen Geschichte - ich glaube nicht, daß ein Indianer auf zweihundert Meilen im Umkreis sei - die Straße wäre so sicher wie Buenos-Ayres selber - aber die Kordilleren -

„Sind vortrefflich zu passiren" - lautete die Antwort - „aber im Sommer - wenn der Schnee geschmolzen ist -"

„Im Sommer? - aber ich will, ich muß jetzt hinüber."

„Jetzt?" der kleine Bursche lachte - „nonsens," sagte er - „jetzt kann nicht einmal mehr ein Brief herüber von Valparaiso - ich habe von meinem Vater, der dort wohnt, seit zwei Monaten keine Nachricht - die Kordilleren sind „geschlossen."

Die Gauchos, die eine kurze Zeit unserem für sie Kauderwelsch mehr neugierig als geduldig gelauscht hatten - drückten, dessen jetzt müde, ihren Thieren die Sporen wieder in die Seiten - der Wagenschlag fiel zu, und fort brausten die muthigen Thiere und schleppten das unhehülfliche Fuhr-/90/ werk in wilder Eile durch den wirbelnden Sand. - Ich hatte, die „geschlossenen" Cordilleren im Kopf, eine volle Stunde Arbeit, meinen Correo wieder einzuholen.

Die Hütten, die wir jetzt erreichten, kündeten uns übrigens fast alle die Nähe der Indianer. - In der einen fanden wir einen jungen Burschen, dessen Vater sie vor kurzer Zeit überholt und ermordet hatten, und nur selten traf man noch in einer der Wohnungen eine alte Frau, die kleine Wirthschaft besorgend, d. h. den Mateh kochend. Fast überall waren die Frauen nach den hier und da gelegenen festen Plätzen geflüchtet, erstlich selber in Sicherheit zu sein, und dann auch, im Fall eintretender Gefahr, die Männer nicht mit der Sorge um sie zu behindern.

Aber nicht die Indianer allein sind dem Wanderer in der weiten Steppe gefährlich, die Gauchos selber sollen ein ziemlich wildes, blutdürstiges Volk sein, und Streitigkeiten unter sich, wie auch wohl Habgier und Rache, sind die Ursachen manches offenen Todtschlags, manchen heimlichen Mords. Einen fatalen Eindruck machen, die Folge dieses Charakters, die vielen Kreuze an der Straße: - einfache, mit Riemen von ungegerbtem Leder gewöhnlich, zu einem Kreuz verbundene Stücke Holz, welche die Stelle bezeichnen, an der ein Reisender oder Einheimischer - ermordet worden. Diese kommen in der That viel zu häufig vor, als daß sich der Fremde je einem Gefühl vollkommener Sicherheit hingeben könnte, selbst wenn er nicht auch noch, gerade wie wir jetzt, der Gefahr eines Ueberfalles wilder Horden ausgesetzt gewesen wäre. Kein Tag verging, an dem ich nicht zwei, drei oder gar mehr dieser fatalen memento mori erblickte.

Am 25. machten wir zweiundzwanzig Leguas und übernachteten wieder in einem einsamen Haus, das übrigens, wie alle anderen Estancias, ebenfalls seinen besondern Namen trug. Hier war die Unreinlichkeit wieder zu Hause. Als uns Abends das Essen in einer schmutzigen hölzernen Schüssel gebracht wurde, legte die Frau - nicht einmal ausgebreitet, sondern wie ein zusammengedrücktes Taschentuch - einen Lumpen darunter, der die Spuren verschiedener fetten Speisen und Rußflecke seit Gott weiß wie vielen Wochen trug und /91/ mich so anekelte, daß ich kaum ein paar Bissen hinunterwürgen konnte. Dabei saß der „Herr vom Hause" daneben und langte mit Fingern, die keinenfalls in diesem Monat Wasser gesehen, fortwährend in unsere Schüssel hinein, einzelne Stücke Fleisch herauszuholen, und - Doch ich will den Leser nicht mit der Wiederholung all' des Ekelerregenden, was ich dort sehen mußte, ermüden - es erreichte aber, gerade in dieser Provinz, seinen höchsten Grad, denn die Frauen suchten und verzehrten sogar das Ungeziefer, eine vom Kopf der andern, und boten mir dann wieder die Matehröhre, an der sie vorher mit denselben Lippen gesogen. Ich kann gewiß viel vertragen, aber das war mir ein klein wenig zu stark. So viel übrigens zur Rechtfertigung der Pampas, daß diese letzte scheußliche Sitte nur in der Provinz Santa-Fé vorkommen soll, und die Bewohner derselben haben sogar einen Ekelnamen danach bei den übrigen Argentinern.

Bis hierher war die Ebene, über die wir gekommen, durch keinen Hügel, durch keinen Baum unterbrochen worden. Hier aber, und zwar vom Rio-Tertio aus, an dem wir einen ganzen Tag hinritten, zeigte sich uns Morgens in der Ferne ein ausgebreiteter Wald mit stattlichem Holzwuchs, der mir der Formation der Bäume nach aus Eichen zu bestehen schien. Das ließ sich jedoch - denn er mußte noch viele Meilen entfernt liegen - auf solche Distanz nicht deutlich unterscheiden. Ich machte meinen Begleiter darauf aufmerksam, weil ich etwas Derartiges gar nicht erwartet hatte; er schien mich aber nicht zu verstehen, denn er sagte nur „arboles?" und schüttelte dann lachend mit dem Kopf. Ich schwieg, denn ich war überzeugt, wir würden bis Mittag nahe genug gekommen sein, genau unterscheiden zu können, von welcher Ausdehnung der Wald hier sei, griff aber ordentlich dem Pferd vor Erstaunen in die Zügel, als nach etwa viertelstündigem Ritt ein Hirsch vor uns aufstand, mit flüchtigen Sätzen über die Steppe und zwar gerade dem Wald zu setzte, in dem er gleich darauf verschwand, aber bei jedem hohen und flüchtigen Satz hinter den ersten Bäumen wieder mit dem halben Körper zum Vorschein kam. Nicht fünf Minuten später erreichten wir das, was ich für einen Wald stattlicher /92/ Eichen gehalten hatte, und fand nichts als - ein breites Dickicht niederer Dornbüsche, die aber in ihrer ganzen Form und Gestalt, nur in Miniatur, unseren deutschen Eichen auf ein Haar glichen und jetzt, da man die Umrisse der einzelnen deutlich und genau erkennen konnte, gar so lieb und zierlich aussahen. Die meisten glichen, wie gesagt, unseren Eichen, andere aber wieder Apfel- und Birnbäumen, und die Verhältnisse zwischen Stamm und Laub stimmten auf das Genaueste und Täuschendste.

Am 26. zeigten sich die ersten Berge: zur Rechten breitete sich noch in blauer Ferne die Cordobahügelkette aus, und unsere Richtung lag jetzt der äußersten Spitze derselben zu. Die Nacht blieben wir in einem kleinen Städtchen am Rio-Quarto, und ich freute mich auf den Ort, weil mir gesagt war, ich würde dort einen Engländer finden. Leider befand sich der aber gerade zufällig in Cordoba; dafür jedoch erhielt ich die, wie sich der Leser gewiß denken kann, freudige Nachricht, daß ein Deutscher, ein Landsmann von mir, im Orte schon seit langen Jahren wohne. - Es sei ein Hutmacher, hieß es, und es gehe ihm ganz wohl. Aus dem Haus schickten sie gleich Jemand ab, der ihn bitten mußte doch einmal auf die Post zu kommen, weil ein Landsmann von ihm gerade von Deutschland eingetroffen sei. Vergebens wartete ich aber den ganzen Abend, und zwar so lange, bis es zu spät geworden war ihn selber aufzusuchen; er kam nicht, und da ich selber, vom langen Ritt ermüdet, keine große Lust mehr verspürte weit herumzulaufen, der Correo mir auch sagte, daß wir am nächsten Morgen nicht so gar früh aufbrechen würden, so verschob ich den Besuch auf den andern Tag.

Mit uns zugleich war ein anderer, gerade von Mendoza kommender, Correo eingetroffen, der nach Cordoba bestimmt war. Er hatte außer seinem sonstigen Gepäck noch vier kleine Körbe mit eben so vielen Kampfhähnen bei sich, die er in Cordoba zu einem sehr bedeutenden Preis zu verkaufen hoffte. Die Gauchos sind nämlich ganz versessen auf Hahnengefechte - sie scheinen eine Vorliebe für dies Vergnügen zu haben, weil Blut dabei fließt - und die beiden Correos ver-/93/gaßen im ersten Augenblick wirklich die Indianer, um nun erst die verschiedenen Tugenden und Eigenschaften der Hähne zu besprechen und zu bewundern. Dann aber ging es natürlich auch auf los Indios über, und der junge Correo erzählte meinem Alten, daß die Pampas-Indianer kürzlich Desaguadero überrumpelt, von den Männern aber Niemanden erwischt und nur eine alte Frau zu Hause gefunden hätten. Sie schienen sich jedoch dort ziemlich gut benommen, oder wenigstens nichts mehr gestohlen zu haben, als was sie gerade für ihren eigenen Bedarf brauchten.

Für uns war das allerdings keine tröstliche Nachricht, denn Desaguadero lag gerade in unserem Weg; doch hatten wir ja auch den Beweis, daß der erst getroffene Omnibus von den Wilden ebenfalls nicht gesehen worden und glücklich durchgekommen war. - Glück muß der Mensch haben, und wir rechneten etwas darauf.

Ich schrieb den Abend etwas an meinen Notizen, und stand am nächsten Morgen mit Tagesanbruch auf, um meinen mir versprochenen Landsmann zu besuchen. - Der Correo gab mir zu diesem Zweck einen der jungen Burschen aus dem Gasthaus zum Führer mit, und durch ein paar enge Gassen und über die Plaza hingehend, erreichte ich bald darauf das Haus. Hätte ich aber fünf Meilen deshalb marschiren müssen, der Mann wäre mir nicht zu theuer erkauft gewesen.

Es war ein kleines, ausgetrocknetes Männchen mit einem dünnen melancholischen Gesicht und hellblauen müden Augen. - Er trug einen schwarzen alten Seidenhut - Schraube, wie ihn die Matrosen nennen - und einen sehr schmutzigen rothen Poncho - die Cheripa wie die Argentiner statt der Hosen, und nicht einmal Unterkleider darunter, denn die nackten dünnen Waden schauten aus dem Faltenwurf der letzten wie mit leisem Vorwurf heraus, und die ebenfalls nackten Füße staken in einem Paar gerade so abgetragenen rindledernen Schuhen. Der Mann hieß Hüter und war aus der Gegend von Mainz gebürtig. Früher Steinhauer gewesen, hatte er das Geschäft aber in den Pampas, wo es nur höchstens an einigen Flüssen Kieselsteine gab, nicht fortsetzen können, die Hutmacherei angefangen, und natürlich /94/ eine Frau genommen. Mit der Frau bekam er eine unbestimmte Anzahl von Kindern und ein kleines Materialgeschäft, eine Art Kramladen, mit dem er aber auch noch als Zweiggeschäft eine Art Speisehaus zu verbinden schien. Selbst während ich dort war, kamen mehrere Soldaten herein, und verzehrten gleich am Ladentisch ein Stück Wurst und Brod.

In einer Reihe von siebzehn Jahren, die er jetzt im Lande lebte, hatte er sich aber ein sehr schlechtes Mainzer-Spanisch und nebenbei noch all' die Unreinlichkeit der Eingeborenen angeeignet. Es sah wahrhaft greulich bei ihm aus, und wenn ich auch für die frühe Morgenstunde etwas Entschuldigung gelten lassen will, so könnte das doch nicht all' den entsetzlichen Schmutz subtrahiren. Das Eigenthümliche dabei war, daß der Mann fast gar kein Deutsch mehr sprechen konnte. Deutschland war ihm ebenfalls ganz fremd geworden, und Nachrichten von dort schienen ihn wenig zu interessiren. Wunderbarer Weise hatte auch er schon davon gehört, daß in Deutschland eine Revolution gewesen sei, er glaubte es aber noch nicht so recht. Ueberhaupt schienen seine Ansichten über deutsche Verhältnisse etwas verworren. Nur an Mainz erinnerte er sich noch ziemlich deutlich, und sagte kopfschüttelnd, als ich ihm versicherte, auch dort seien Unruhen ausgebrochen, „Mainz wäre eine gute Stadt und die könnten sie nicht sogleich nehmen".

Trotzdem übrigens, daß er doch nach so langem Aufenthalt in den Pampas von Südamerika und durch seine Familie hier ganz eingebürgert war, schien es ihm keineswegs so gut zu gefallen, als sich das vermuthen ließ. - Das Land war, wie er mir versicherte, gut, aber die Leute bauten hier nichts, weil, wie er sich ausdrückte, zu viele „schlechte hombres" (Menschen) in der Nähe wären, welche die Producte viel schneller wegstählen, als sie wachsen könnten. Er selbst hatte früher etwas gebaut, es aber auch wieder aufgegeben, er mochte nicht „für die Spanier" arbeiten. - In Buenos-Ayres sei es jetzt wohl ruhig, man könne aber nie wissen, wie lange das dauern werde, und stürbe Rosas einmal, dann sei es auch wieder eine Frage, wer an die Ober-/95/herrschaft käme, und ob die überhaupt gleich wieder Jemand, und sicher, in die Hand nähme.

Diese Furcht schien mir im Lande der Hemmschuh jedes vernünftigen und sonst gewiß schon aus sich selber entstehenden Fortschritts, und daß sie nicht unbegründet ist, beweist schon ihre Allgemeinheit. Obgleich Rosas jetzt gestürzt ist und eine andere, anscheinend mildere Regierung an der Spitze steht, wird das diese Furcht nicht heben. Wer weiß, wie lange es dauert, und das Volk der Gauchos ist eine wilde, schwer zu bändigende Menschenrace, die wie die Lava der arbeitenden Vulkane wohl eben eine harte, scheinbar kalte Rinde anzusetzen gestattet, innerlich aber fortwährend kocht und gährt und einmal über Nacht wieder Alles, was sich ihr anvertraut, über den Haufen wirft.

Das gesellige Leben hier war, wie der alte Mann weiter erzählte, nun gar erst trüb' und traurig. Zwischen all' den Spaniern lebte er seine Tage still und einförmig hin, und sein einziger Wunsch sei, wieder einmal nach Deutschland zurückkehren zu können. Dazu gehörte aber Geld, baares Geld, und das könne man sich hier nur ungemein schwer verdienen. Andere Deutsche lebten nicht, weder in seiner Nachbarschaft noch sonst in der Nähe, und wenn ja einmal einer dort kleben geblieben wäre ( e r sah wirklich so aus), so hätte er es doch nie lange ausgehalten.-- Bei ihm wäre das aber 'was Anderes, er hätte Frau und Kinder, und müsse wohl.

Trotzdem schien es mir nicht, als ob er sich wirklich speciell nach Deutschland zurücksehnte - er wollte nur fort von Südamerika. In einer Sache freute ich mich aber auch wieder, einen ächten Deutschen in ihm gefunden zu haben. - Die Ursache nämlich, weshalb er mich gestern Abend nicht aufgesucht hatte, war niemand Anderes als die Polizei gewesen, vor der er sich gefürchtet. - Es lagen in dem Nest nämlich, der draußen herumspukenden Indianer wegen, eine Menge Soldaten, und die Polizei hatte derentwegen den Befehl erlassen, zu später Stunde nicht mehr in den Straßen herumzuschwärmen. - Nun ging das allerdings gar nicht auf ihn, die Polizei hätt' es aber doch vielleicht /96/ übel nehmen können, wenn er draußen gesehen würde, und mit der mochte er's nicht gern verderben.

Leider durfte ich nicht so lange mit ihm plaudern, als ich es wohl gewünscht hätte, denn der Correo stand schon wieder zum Abmarsch gerüstet, und wir nahmen Abschied von einander. Er sagte, als er mir die Hand reichte, ,,es kämen wohl manche Deutsche in die Gegend, sie gingen aber immer wieder gleich fort, wie ich, und dann bleibe er wieder mit den Spaniern allein;" so erfuhr er denn auch sehr wenig von Dem, was in „Allemanje" vorfiel.

Der Ritt am 27. ging fast den ganzen Tag durch eine jetzt wirklich traurige Einöde. Das Steppengras stand überall gelb und welk, und der Winter übte hier augenscheinlich seine Macht aus. Vor uns hatten wir dabei die starren, von keiner Vegetation bedeckten niederen Hügelkuppen, die weiterhin mit den Cordobabergen in Verbindung zu stehen schienen, und nicht einmal Wild fand sich in dieser trostlosen Steppe. Die ganze Natur war wie ausgestorben, und eine entsetzlich lange Station ermüdete die armen Thiere noch außerdem bis zum Niedersinken. Endlich erreichten wir die ersten Felsklippen, die wahrlich nicht aussahen, als ob sie einen freundlichen Wechsel in der Scenerie hervorbringen könnten. Wild übereinander geworfenes Gestein starrte uns eben so monoton entgegen, und die einzige Abwechselung schien die, aus einer sandigen in eine steinige Wüste gekommen zu sein. Als wir aber darüber hinritten, befanden wir uns plötzlich in einem Thal, das, in diese Einöde wie hineingezaubert, einen wirklich überraschenden Eindruck auf mich machen mußte. Draußen die ganze Natur verdorrt, eine fast erstorbene Vegetation, kein Grün, das dem Auge einen einzigen Ruhepunkt geboten, kein lebendes Wesen zu hören und zu sehen, als die schnaubenden Thiere unter uns und ein einsamer kreisender Falke - hier dagegen, wie aus dem Boden heraufbeschworen, blühende Bäume; und saftiges Laub, weicher Rasen und reges Leben, denn selbst eine Menge von Hausthieren gab es hier, Truthähne, Hühner, ja selbst zahme Strauße. Es war ein so freundliches Plätzchen, wie man es nur auf der Welt finden konnte.

Von hier ab ging der Weg, mit frischen Pferden, durch /97/ kühle, mit Schilf und Buschwerk bewachsene Schluchten eine weite Strecke lang hin, und ein murmelnder Bach folgte unserer Bahn. Den Bach muß ich übrigens denunciren - er hat Gold. - Damals ritt ich allerdings daran hin, ohne auf solche böse Gedanken zu kommen; seit ich aber die californischen und australischen Berge gesehen habe, bin ich ziemlich fest davon überzeugt, denn selbst damals fielen mir die großen schönen und schneeweißen Quarzblöcke auf, die überall daran hin zerstreut lagen. Nicht weit davon entfernt sind auch, wie ich später erfuhr, die Carolina-Goldminen, und ich bin jetzt fest überzeugt, daß dort Gold ebenso gewaschen werden könnte und gewiß auch einmal so gewaschen wird, wie in Californien.

Wenn man aber so den ganzen Tag im Sattel gehangen hat, freut man sich nicht wenig auf die Zeit, wo man den Kopf einmal auf den Sattel legen kann, besonders wenn es erst einmal über Nachtschlafenszeit hinausgeht. - Wenn sich auch die Glieder bald vollständig an das Reiten gewöhnen, wollen sie doch auch manchmal Ruhe haben und sich strecken und dehnen. Außerdem kommt für den Magen Abends noch ein besonders wichtiger Moment, denn das ist die einzige Zeit, wo es wirklich etwas zu essen giebt. Morgens setzt es gewöhnlich nur einen Schluck Mateh - ich habe mich meinem Schicksal gefügt und meine Lippen preisgegeben, die nun doch einmal durchgebrannt sind und keine Haut wieder ansetzen werden, bis ich die letzten verzweifelten Bombillas im Rücken habe - dann halten wir höchstens um zehn, elf oder zwölf Uhr, wie es gerade mit der Station paßt, und nehmen eben einen Imbiß Fleisch. - Früher, wo wir Milch bekommen konnten, tranken wir einen Schluck Milch. Viel Essen verträgt sich aber über Tag nicht mit dem raschen Reiten, und erst Abends wird tüchtig eingelegt, um nachher wieder vierundzwanzig Stunden auszuhalten. Am Abend verlangt aber auch der Magen etwas Ordentliches, und wenn er das nicht bekommt, knurrt er und läßt sich krank melden. Dennoch aber wollte ich, wir hätten an diesem Abend, ohne einen einzigen Bissen zu sehen, in freier Steppe gelagert; denn noch nie ist mir der Schmutz und die Unreinlichkeit beim Essen wie im ganzen Wesen der Leute so furchtbar widerlich vorge/98/kommen, als bei den Menschen gerade, bei denen wir an diesem Abend übernachteten. Ich hatte bis jetzt noch fast alles Essen, das mir geboten worden, so unreinlich die Umgebung auch immer gewesen sein mochte, hinuntergewürgt, hier aber weigerte sich der Magen standhaft, etwas Weiteres zu sich zu nehmen, und ich ließ mir zuletzt heißes Wasser geben und machte mir eine Tasse starken Kaffee, um nur nicht krank zu werden. Der Leser mag dies vielleicht für übertrieben halten, er soll aber nur hierher kommen, und ich will dann sehen, ob er sagt, ich habe Unrecht gehabt.

28. Der Weg, den wir an diesem Tag ritten, lag ebenfalls durch eine wüste Steppe hindurch; mein Alter hatte aber in Achiras wieder so schreckliche Geschichten über die Indianer gehört, die sich erst vor ganz Kurzem bis dicht zu der hier lagernden Garnison herangewagt, daß er seine gewöhnliche Station zu umgehen beschloß. - Wir sahen deshalb den ganzen Tag weder Weg noch Steg - überall umgab uns die hier todte, öde Pampas. Nur im Hintergrund tauchte nach und nach ein eben nicht sehr hoher Berg, der El Morro, auf, und als wir ihm endlich näher kamen, lag er eben so starr' und unfruchtbar vor uns als die vorigen. Kein Haus ließ sich an seinem Fuß erkennen, keine Umzäunung; nur an einem Punkte - und es schien, als ob sich der Weg gerade dorthin ziehe - stand ein, einzelner niederer Baum. Rechts von uns wurden auch noch in der Ferne mehrere, scharf am Horizont abgezeichnete Bergkuppen sichtbar, und mein alter Correo sagte mir, das seien die Berge, in denen sich die Carolina-Goldminen befänden. „Wären wir," setzte er hinzu, „Indianern in den Weg gekommen, so hätten wir uns nördlich durch jene Berge gewandt, denn so hoch nach Norden trauen sie sich nicht hinauf. So aber ist's besser, wir haben kürzeren Weg und sparen auch Geld, denn dahin geht keine Post und wir müßten uns Pferde kaufen."

Indessen waren wir dem Berg nahe gekommen und befanden uns plötzlich vor einer kleinen, aus seinen eigenen Steinen errichteten Hütte, so daß sie gegen den Hintergrund nicht einmal durch das schon ebenfalls wettergraue Binsendach abstach. Vor der Thür, so dicht, daß er den Schatten selbst /99/ auf die Schwelle werfen mußte, stand ein gewaltiger alter Feigenbaum, und eine kleine Umzäunung, halb von Steinen, halb von Holz und Dornen errichtet, vollendete Alles, was zur Ansiedelung des kleinen Platzes gehörte. Der Raum aber vor der Hütte war sauber gekehrt, und das Innere der stillen Bergeswohnung (ärmlich zwar bis zum Aeußersten und nur den unentbehrlichsten Bedürfnissen genügend) so nett, so reinlich, so wohnlich gehalten, daß mir nach all' dem Schmutz und Unrath, den ich bis jetzt gesehen, der kleine, kaum fünf Schritt im Durchmesser haltende Raum wie ein Palast erschien, und der Trunk Milch, den mir die Leute reichten, so herrlich mundete, als sei es das kostbarste Labsal gewesen.

Ein junges Ehepaar bewohnte mit der alten Mutter diesen friedlichen, freundlichen Platz, und selbst die Matrone war so reinlich gekleidet, wie ich bis zu diesem Ort, im Innern des Landes, noch nicht einmal ein junges Mädchen gekleidet gesehen habe. Um so wohlthuender war das hier, da gerade die Unreinlichkeit der Frauen mir bis dahin so widerlich gewesen. Nach einer kurzen Station am Fuß des Berges hin erreichten wir eins der gewöhnlichen kleinen Städtchen, das schwärmte von Soldaten. Sie hatten sich überall kleine, oft nicht einmal gegen den Regen geschützte Hütten gebaut, und das ganze Leben hier, von den starren Felsen umschlossen, bot ein bewegtes, heiteres Bild. Wohin das Auge auch sah, weideten hier, von kleinen, wild genug ausschauenden Burschen gehütet, Heerden von munteren Pampaspferden, die fortwährend zum raschen Aufsitzen bereit gehalten werden mußten; Lagerfeuer, wohin der Blick auch streifte mit Gruppen, die einem Zigeunerlager keine Schande gemacht hätten, und Mengen von Mädchen und Frauen, die entweder in den Hütten wirthschafteten, oder am kleinen Bach Geschirr oder Wäsche reinigten.

Wir bekamen von hier aus drei frische Pferde, von denen sich zwei als gut genug auswiesen, das dritte abere, das unglücklicher Weise mir zu Theil wurde, schon nach drei Leguas nicht mehr von der Stelle wollte. - Hätten uns heute die Indianer überfallen, so mußte ich einfach Stand halten, denn der Correo würde sich verwünscht wenig um mich bekümmert /100/ haben. Da das Pferd aber zuletzt stehen blieb und in der That nicht mehr weiter konnte, während der alte Bursche von Correo schon seit einer halben Stunde meine ungemeine Thätigkeit mit der Peitsche bewundert hatte, mochte er wohl zuletzt glauben, das Pferd sei nicht schuld, sondern ich, kam rasch zurückgesprengt, gab mir sein Pferd und stieg nun in meinen Sattel, um da sein Glück zu versuchen. Wenn er dem armen Geschöpf, was ich nicht hatte thun wollen, die scharfen, entsetzlichen Sporen aber auch tief in die Seiten rannte, daß seine gelbledernen Reitstiefel von Blut bespritzt waren, es konnte nicht mehr, und fluchend schickte er endlich den Postillon, der überdies schon ganz unschuldiger Weise die schönsten Grobheiten wegen des nichtswürdigen Thieres bekommen hatte, etwa eine halbe englische Meile nach Norden hinauf, wo acht oder neun andere Pferde ruhig weideten. Dem jungen Burschen gelang es auch, bis in Lassowurf an die nichts Böses ahnenden heranzukommen, denn mit dem schweren Felleisen hintenaus hätte er sie nicht verfolgen können, und als die Schlinge erst um seinen Kopf schwirrte und die dadurch gewarnten Thiere fliehen wollten, war es zu spät. Das kräftigste der Heerde, einen prächtigen kleinen Hengst, hatte er gefaßt, und nach wenig Minuten Ankämpfens ergab sich das Thier auch so weit in sein Schicksal, daß es sich wenigstens von uns Dreien meinen Sattel auflegen und mich hinauf ließ. Kaum fühlte es sich aber wieder so weit frei, daß es seinen Kopf in die Höhe bringen konnte, als es zu steigen, zu tanzen und gleich darauf auszuschlagen anfing, als ob es sich verpflichtet hätte, mich in einer gewissen gegebenen Zeit Gott weiß in welchem Theil der Steppe abzusetzen. Ich hielt mich jedoch im Sattel, und mit Sporn und Revenka machte ich es zuletzt wenigstens so weit mürbe, daß es seinen Eifer auf den Weg selber richtete und nun mit mir davonflog, als ob wir noch heut Abend Mendoza erreichen wollten.

Meine beiden Begleiter blieben weit zurück und brauchten nachher lange Zeit, mich wieder einzuholen.

Heut Abend sollte ich aber auch ein Beispiel von einer argentinischen Rebhühnerjagd sehen, von der ich früher wirklich keine Ahnung gehabt. Ein Volk der kleinen Steppen/101/hühner stieg dicht vor uns auf, und eins fiel, von den anderen abgesondert, etwa hundert Schritt von uns an einer Stelle nieder, die durch einige kurze Grasbüschel markirt war. Der alte Correo winkte mir zu, ihm in einiger Entfernung zu folgen, und die lange, aber kurzstielige Peitsche wie einen Lasso um den Kopf schwingend, vermied er die Stelle, wo das Huhn eingefallen war, und sprengte in einem weiten Kreis darum hin. Immer enger und enger zog er diesen, die Peitsche fortwährend schwingend und jetzt das Huhn schon im Auge, das sich, durch nichts gedeckt und von der kreisenden Schnur eingeschüchtert, fest auf den nur mit dünnen Grasbüscheln bewachsenen Boden drückte, bis das Pferd selbst in Sprungesnähe vor ihm war und die schwere Peitsche mit scharfem, aber sicherem Schlag das arme kleine, zitternde Geschöpf zu Tode traf. - Ohne abzusteigen, nahm der Correo dann das noch flatternde Huhn vom Boden auf, so weit bog er sich, mit dem rechten Fuß im Steigbügel bleibend, zur Erde nieder, und fort ging's wieder über die Steppe in neuer und toller Hast. Ziemlich spät in der Nacht erreichten wir den Rio-Quinto, wo wir, in etwas reinlicherer Umgebung als bisher, Halt machten.

Als wir am nächsten Morgen aufbrachen, nahm der Postillon wieder, wie die Leute das schon mehrmals gethan, ein dünngeschnittenes breites Stück rohes Rindfleisch und legte es - ja warum soll ich's dem Leser nicht erzählen, wenn ich's habe essen müssen - unter sein eigenes Sitzfleisch auf den Sattel. Allerdings deckte er noch zuerst, der Reinlichkeit wegen, ein altes ungegerbtes Schaffell darüber, was vielleicht schon seit Jahren zur Satteldecke gedient halte, aber auch das blieb nicht darauf liegen und die cheripa des Postillons sein einziger, etwas zweifelhafter Schutz.

,,Aber davon hätte ich keinen Bissen essen können!"

Ach ja, lieber Leser, wenn man so sechzig bis achtzig englische Meilen galoppirt ist, verlangt der Magen wenigstens einen Imbiß, und wenn man weiter nichts bekommen kann, versöhnt man sich selbst mit solchem Fleisch,

Mittags etwa begegneten wir einer Mendoza-Caravane, die nach Buenos-Ayres bestimmt war. Einige dreißig große /102/ Wagen knarrten dicht hintereinander her, und daneben hin gehen die Wächter und Begleiter mit ihren langen Lanzen auf den Schultern, und im Wagen vorn - unter den langen Bambusstacheln, manchmal sogar ein geladenes Gewehr neben sich - sitzen die Ochsentreiber und schauen schläfrig über ihre Thiere hin.

Diese Wagen verdienen wohl eine kurze Beschreibung. Sie ruhen auf nur zwei, aber dafür auch kolossalen, oft zehn Fuß hohen Rädern. Ihre sonstige Bauart ist leicht, und wenn auch das eigentliche Gestell aus festem Holz gearbeitet ist, bestehen die Seitenwände doch nur aus geflochtenem Schilf, und der obere Theil ist mit Häuten überdeckt. Die hohen Räder mögen wohl in den oft sehr sumpfigen Pampas nöthig, ja unentbehrlich sein. Sechs oder acht Ochsen sind gewöhnlich vorgespannt, und zwar, je zu zweien, in einem aus einem einzigen Stück bestehenden hölzernen Joch ziehend, das ihnen im Nacken liegt.

Sinnreich und der Bequemlichkeit der Südländer angemessen ist aber die Art, mit der sie ihre Zugthiere antreiben. Die lange Peitsche, die der Hottentott führt, wäre ihnen viel zu beschwerlich; dafür haben sie eine gewaltig lange Stange, fast stets aus leichtem, an der Wurzel vier und mehr Zoll im Durchmesser haltendem Bambus, der aus Brasilien kommt. Die hängt nun, weil sie zu regieren auch zu beschwerlich sein würde, an einer, je nach Verhältniß vorn herausstehenden andern Stange, schwebend fest, und mit dem vorn daran befestigten Stachel können sie solcher Art die vordersten Thiere leicht erreichen. Eine andere Stahlspitze hängt außerdem gerade dort herunter, wo sie, wenn die Stange niedergedrückt wird, die zweitvordersten Ochsen berühren kann, und für die dem Wagen nächsten Thiere liegt noch neben dem Führer eine schwächere, kürzere Stange, die leicht zu regieren ist.

Die Wagen führen in solchen Caravanen die Produkte Mendozas, der Kornkammer der Argentinischen Republik, nach der Hauptstadt. Die vorzüglichsten Artikel darunter sind übrigens Mehl und Wein, dann getrocknete Früchte, Rosinen usw. Unter dem Wagen, wo die hohen Räder noch /103/ einen ziemlichen Raum gestatten, tragen sie durch die wirklichen Pampas ebenfalls ihr Brennholz mit, und hintenauf ist ein langer, eigenthümlicher Steinkrug befestigt, in dem sie ihr Trinkwasser bewahren und von einem Fluß zum andern, durch die salzigen Wüsten, die jetzt vor uns lagen, ja manchmal noch weiter mitnehmen. Werden sie von Indianern bedroht, denn sie sind mehrere Monate unterwegs, so bilden sie mit ihren Karren rasch eine Wagenburg, in deren Mitte sie ihr Vieh treiben und sich von den Karren aus ver-theidigen. Da sie stets einige Schießwaffen mit sich führen, ist solche Befestigung, besonders bei ihrer Anzahl, auch fast stets hinreichend, und ehe sich die Wilden in großer Menge zu sammeln vermögen, ihnen wirklich gefährlich zu werden, können sie leicht eins der kleinen, überall durch die Pampas zerstreuten Städtchen erreichen und militärische Hülfe bekommen. Natürlich erkundigten sie sich sehr angelegentlich bei uns nach den Indianern, da wir gerade aus der meist bedrohten Gegend kamen, und mein alter Correo erzählte den armen Teufeln zu ihrer Beruhigung wieder schreckliche Geschichten.

Unser nächstes Ziel war jetzt San-Luis, die Hauptstadt der Provinz gleichen Namens, und ich hoffte hier wieder Deutsche zu finden, doch sollte ich mich leider darin getäuscht sehen. Wir erreichten den Ort Nachmittags, und als wir eben aus dem niedern Lande heraus- und auf der flachen Anhöhe, auf der San-Luis liegt, hinsprengten, sah ich in weiter blauer Ferne einen Gebirgsstreifen, der sich am Horizont in ungeheurer Kette hinzog. Es waren die Kordilleren, von denen wir noch wenigstens dreißig deutsche Meilen entfernt sein mußten. Dort also lagerten jene ungeheuren schneebedeckten Gebirgsmassen, über die ich jetzt, mitten im Winter, hinüber mußte; dort gähnten jene Schluchten und starrten die bis hoch über die Wolken hinausragenden Felsen empor, in denen schon so mancher Reisende verunglückt, hinabgestürzt, oder in Eis und Schnee erstarrt sein sollte. Ein ganz eigenthümliches Gefühl durchzuckte mich, als ich das emsige Rückgrat der neuen Welt wie ein lauerndes Ungethüm vor mir liegen sah. Waren die Berichte alle wahr, die ich /104/ über einen Wintermarsch über jene Höhen gehört, so erwartete mich Fürchterliches. Doch ich hatte schon zu oft gefunden, daß solche Berichte aus weiter Ferne übertrieben und unwahr gewesen; darauf und auf mein gutes Glück, das mich ja noch nie stecken gelassen, vertraute ich auch jetzt, und ritt guten Muths in die breiten, von niederen Lehmhäusern gebildeten Straßen der kleinen Stadt ein.

Sau-Luis hatte vor Kurzem viel durch ein Erdbeben gelitten, und eine Menge von Häusern waren von oben bis unten auseinander gerissen. Das ist aber auch wohl das Einzige, was die kleine Stadt manchmal zu bewegen scheint, denn sonst sahen die Straßen wie ausgestorben aus. Bei San-Luis soll ein nicht sehr großer See sein mit einem bedeutenden Strudel nach der Mitte zu, daß sich kein Boot darauf wagen darf - so wenigstens wurde es wir erzählt; ich erfuhr es leider zu spät, um den See selber besuchen zu können.

Mein alter Correo bekam indessen hier vom Gouverneur von San-Luis eine Nachricht, die ihn nicht wenig bestürzt machte und zugleich auch in Erstaunen setzte. Als er seine Depeschen abgegeben hatte und zu mir zurück in das kleine Haus kam, in dem wir unser Lager aufgeschlagen, wünschte er mir und sich Glück, einer bedeutenden Gefahr glücklich entgangen zu sein. Durch einen expressen Boten sollte der Gouverneur nämlich vor kaum einer Stunde die Nachricht, bekommen haben, daß die Wilden zu derselben Zeit, wo wir dem El Morro zuritten, in einem Trupp von circa zweihundert Mann über dieselbe Steppe, und zwar nach den nordwärts gelegenen Bergen, die der Correo damals für so sicher gehalten, geritten seien - sie streiften jetzt in jener Gegend umher, und wie behauptet wurde, sogar mit weißen Führern. In San-Luis vermuthete man, es seien einzelne Flüchtlinge der Unitarios, die dort in den Bergen dem Correo aufpassen wollten. Sie wußten nämlich, daß er bei indianischen Unruhen gewöhnlich stets die nördliche Route nahm. Und sie hätten gerade keine üble Beute gemacht, denn außer seinen Depeschen führte er in der schweren Satteltasche, die der Postillon hinten aufgeschnallt trug, eine nicht unbedeutende /105/ Quantität Unzen mit. Fielen wir ihnen in die Hände, und waren wirklich Weiße dabei, so konnten sie uns schon gar nicht am Leben lassen, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, verrathen zu werden. Gerade dadurch also, daß wir den nächsten und gewöhnlichen Weg beibehielten, entgingen wir ihnen, und gebe nur Gott, daß sie die kleine friedliche Hütte am Fuße des Berges verschont haben. Von San-Luis wurde übrigens augenblicklich Cavallerie abgesandt, um sie wo möglich von den Ihrigen abzuschneiden, oder doch jedenfalls aus der Nähe der Ansiedlungen zu verjagen.

Der Weg von San-Luis aus lag durch lauter niedere dornige Büsche, und das Land schien hier dürr und trostlos. - Es war entsetzlich sandig und wir galoppirten den ganzen Tag in einer dichten Staubwolke.

Wo wir die Nacht lagerten, trafen wir einen jungen Burschen, der etwa zwanzig Leguas von dort vor einigen Tagen einen Kampf mit einem kleinen Trupp Indianer gehabt hatte - also überall streiften diese Wölfe der Steppen umher. - Sein Bruder war dabei getödtet und ein anderer Gaucho schwer verwundet worden, ein Gewehr aber, das sie bei sich führten, schien den Sieg entschieden zu haben. Die Indianer hatten sich wenigstens mit einem Verlust von drei Mann zurückgezogen. Eine Lanze, die er damals erbeutete, hing hier als Siegestrophäe an der Wand. - Sie war von Bambus, genau vierzehn englische Fuß lang und hatte oben darin ein altes, aber sehr scharf geschliffenes Bajonnet befestigt, das die Indianer wohl in einem früheren Scharmützel erbeutet haben mochten. Mit diesen Lanzen sollen sie eine furchtbare Geschicklichkeit besitzen, den Stoß an der rechten Stelle so anzubringen, daß der Bedrohte kaum, oder nur sehr schwer, im Stande ist ihn zu pariren. Sie halten dieselben nämlich beim Ansprengen in fortwährend schwingender, schaukelnder Bewegung - die Spitze auf und nieder führend - etwa nach demselben Princip, wie der australische Wilde seinen Speer, ehe er ihn schleudert, erschüttert und in zitternde Bewegung bringt - bis die Lanze, zum Stoß bereit, plötzlich Festigkeit und fast stets zugleich ihr Ziel gewinnt. - Außer den Lanzen führen sie nur noch Lasso und /106/ Bolas, aber auch die letztere Waffe ist furchtbar in ihrer Hand.

Am nächsten Tag wurde die Umgebung noch trauriger und trostloser - eine Wüste war es, die wir durchschnitten, eine Wüste voll Dornen- und Myrtenbüschen und weißen Sandes - kein kühler, schattiger Platz bot Thier oder Menschen Kühlung und Erfrischung. Nicht ein einziges lebendes Thier sahen wir auf der ganzen Station von über zwölf Leguas, als einmal einen Sperling und später einen Aasgeier, und der letzte strich so still und hungrig über die dürren Büsche hin, als ob er den ersteren suche und nie und nimmer finden könne. An dem Abend ward uns jedoch, in Gestalt einer Wassermelone, wenigstens eine Art Belohnung für langes, angestrengtes Reiten und die unberechenbaren Quantitäten Staub, die wir verschluckt. Nicht einmal den Trost eines ordentlichen Trunks Wassers hatten wir gehabt; denn all' das Wasser, das wir fanden, war brakisch oder salzhaltig, und an kleinen Lachen, die wir hier und da trafen, lag der Salpeter ordentlich in weißem Anflug am Boden.

Am nächsten Tag machten wir zwei Stationen, eine von dreizehn und eine von sechzehn Leguas. Sechzehn Leguas, also über zehn deutsche Meilen mit einem Pferd, und zwar in einem fast ununterbrochenen Galopp; mich wundert es nur, daß das Packthier aushielt. Am nächsten Tag sollten wir aber erfahren, daß nicht alle Packthiere solche Riesennaturen haben. Durch eine eben solche Wüste, wie am vorigen Tag, nur daß wir heut am Rand eines Flusses hinritten und uns doch wenigstens an der Aussicht auf Wasser erfreuen konnten, wollten wir eine, ebenfalls wieder zehn Leguas lange Station zurücklegen; das Packpferd aber, dessen schon von früheren Lasten wundgedrückter und mit Blut und Eiter bedeckter Rücken sich unter der neuen Ladung gleich von Anfang an gebogen, konnte diese neue Qual nicht lange ertragen. Weide giebt es hier fast gar keine oder nur höchst spärliche, sowohl für Pferde als Rinder; abgemattet sind die armen Geschöpfe schon ohnedies, selbst wenn sie gar nichts zu arbeiten brauchen. So ist es denn kein Wunder, daß die von dem Thier geforderte Anstrengung seine Kräfte überstieg, und es auf halbem Weg sich nicht etwa weigerte, weiter fort zu galoppiren - denn es that bis zum letzten Augenblick sein Möglichstes -, sondern einfach zusammenbrach. Zwar wurde ihm jetzt die Last abgenommen und auf eins der stärkeren geladen, und es selber sollte nur den Postillon tragen, aber auch das vermochte es nicht mehr, und wir sahen uns endlich genöthigt, es mit diesem selber in einer Gegend, wo es nicht einmal einen Grashalm zu seiner Stärkung pflücken konnte, zurückzulassen. Der arme Postillon hatte ebenfalls keinen Bissen Brod und nichts als seinen dünnen Poncho bei sich, die Nacht im Freien zuzubringen. Der Correo bezeigte aber weder mit ihm noch mit dem Pferd nur das mindeste Mitleiden. Das eine war ja blos ein Pferd, das andere - blos ein Peon, ein Knecht, den der Südamerikaner ebenfalls kaum höher als das Vieh selber achtet.

Am 23. Juli erreichten wir Abends ziemlich spät nach einem für die Thiere wirklich entsetzlich ermüdenden Ritt den kleinen Ort - Pescara ó rodeo Chacon - die letzte Station vor Mendoza, wo wir übernachten mußten, und noch gerade dreiundzwanzig Leguas davon entfernt. Diese Stadt zu sehen, wurde ich aber wirklich immer neugieriger gemacht, da Alles, was ich bis jetzt im Land getroffen, von Mendoza und stets von Mendoza gebracht worden war. Selbst das Brod, obgleich es die Leute an mehreren Orten mit nur geringer Mühe hätten selber bauen können, kam von dort her, und Wein, recht guten wohlschmeckenden und geistvollen Wein bekamen wir von dort zu trinken. Der Weg wurde auch etwas freundlicher, und die Pferde hielten sie in dieser Gegend in besonders dazu eingefenzten Weiden, in denen ein ungemein nahrhaftes Futter wuchs. Wir durften uns also darauf verlassen, wenigstens gut genährte, kräftige Thiere zu bekommen.

Den Abend saßen wir wieder in einem der kleinen „Gastzimmer" - vier leere Wände und eine breite Lehmbank - etwa lang genug, daß zwei Menschen darauf liegen konnten, „einsam bei der Lampe Schein". Mein alter Correo fing schon an, sich für die Nacht einzuwickeln - was ihm jedesmal etwa zehn Minuten Zeit wegnahm - als ich draußen /108/ den Ton einer Guitarre und gleich darauf eine wohltönende Männerstimme hörte, die mich veranlaßte meinen Schlaf noch etwas hinauszuschieben und erst einmal der Melodie ein wenig zu lauschen, ja endlich den Sänger selber aufzusuchen.

Im nächsten kleinen Haus saß eine ziemlich bunte Gesellschaft von Männern und Frauen traulich beisammen, denn in der Nähe des Städtchens hielten sich die Gauchos geschützt genug gegen die Einfälle der Indianer, um selbst die jungen Mädchen bei sich zu behalten. Lag doch auch die weite Wüstenstrecke zwischen hier und dem eigentlichen Terrain der Wilden, die diese schon ihrer Pferde wegen nur in Ausnahmefällen passirten. - Die Frauen hatten aber mit einem Theil der Männer nur einen Kreis zum Zuhören gebildet, und nur Einer, ein junger, kräftiger Bursch mit rabenschwarzem Haar und blitzenden Augen, das Gesicht von einem eigenen wilden Humor belebt, hielt im linken Arm die leichte Guitarre. Während aber die rechte Hand nur leis und flüchtig die etwas monotone Begleitung des argentinischen Liedes anschlug, sang er mit einer wirklich melodischen, glockenreinen Stimme ein wunderlich gestelltes Lied, das eher Recitativ als Lied zu sein schien, und manchmal, selbst die Begleitung des Instruments verschmähend, in reimlose, wilde Weisen ausbrach.

Lautes Lachen bald oder donnernde Bravos unterbrachen ihn, wie der Inhalt des Vorgetragenen die Hörer hinriß, und der junge Mann hatte kaum unter einem Beifallssturm geschlossen, als ein anderer, in einer entfernten Ecke sitzender Bursche aufsprang, ebenfalls eine Guitarre ergriff und dem ersten antwortete. Leider verstand ich nicht genug von der Sprache, um den durch den Gesang auch noch undeutlich gemachten Worten so rasch folgen zu können; das Lied begriff aber, so viel ich davon herausbekommen konnte, die Werbung eines der Ihrigen um ein junges Mädchen, das ihn nicht wollte, und wahrscheinlich waren die Persönlichkeiten sehr gut gekannt und treffend geschildert, denn das Gelächter wollte manchmal kein Ende nehmen.

Sinn für Musik hat der Südamerikaner gewiß. So ärmlich die Hütte auch sein mag, die man durch die Pampas /109/ zerstreut findet, so sehr ihr auch jede, selbst die geringste Be-quemlichkeit mangeln mag, so findet man doch fast in allen eine Guitarre, und es giebt die Art, wie sie sich derselben bedienen, dem wilden, ungeordneten Leben der Gauchos noch etwas besonders Romantisches. Ihr Spiel nämlich - wenigstens was ich davon gehört - ist nicht gerade ausgezeichnet; auf das Spiel wird aber auch nicht so viel gesehen, als auf den es begleitenden Gesang, denn der Gaucho benutzt die Guitarre größtentheils nur dazu, seinen extemporirten Gesang, mit dem er irgend eine That, eine Leidenschaft oder die Geliebte besingt, zu begleiten. Hierauf antwortet nicht selten ein Anderer und sucht das eben vorgetragene Lied zu übertreffen, oder er erwidert auch die Verse und es entsteht dann ein Wettgesang, um den sich die Zuhörer mit der gespanntesten Aufmerksamkeit schaaren. Gar häufig und meistentheils sind diese extemporirten Gesänge trivialer und keineswegs poetischer Natur; manchmal kommt es aber auch vor, daß die jungen Söhne der Steppe mit begeistertem Gefühl in die Saiten greifen, und höchst interessant soll es dann sein, ihren Worten zu lauschen.

Wir brachen an dem Morgen, um Mendoza recht früh zu erreichen, wohl zwei Stunden vor der Tagesdämmerung auf. Es war noch stockfinster, und der Weg ließ sich nur schwach und unbestimmt zwischen den hier ziemlich niederen Büschen erkennen; der Postillon aber, ein Peon aus der Ansiedlung selbst, der doch Weg und Steg hier eigentlich kennen mußte, ritt voran und sollte die Thiere im richtigen Geleise halten. Eine halbe Stunde mochte das so gut gegangen sein, plötzlich aber sah ich, wie wir nach dem Wolkenzug, den ich in Ermangelung einer besseren Beschäftigung bis dahin beobachtet, eine ganz andere Richtung nahmen und nach Norden hinauf hielten. Gleich darauf erklärte der Postillon, er habe die Straße verloren, und als wir diese endlich, rechts einbiegend, wieder fanden, nahm er ohne Weiteres den Rückwechsel an und ritt nach Osten zurück, wo wir hergekommen. Dagegen protestirte ich - aber auf das Feierlichste, denn mich verlangte nach Mendoza und in die Kordilleren, nicht wieder in die kaum verlassene Sandwüste. Die beiden Leute wollten mir /110/ aber erst nicht glauben, daß sie verkehrte Richtung hätten, bis ich abstieg, Feuer machte und ihnen nun mit dem Compaß bewies, wir hielten die Köpfe unserer Pferde gerade wieder gen Osten. Wir wandten um und folgten von da an aufmerksamer der schwachen und kaum erkennbaren Spur, bis die aufsteigende Sonne nicht allein bewies, daß ich Recht gehabt, sondern auch unsern Pfad erhellte.

Die blauen Berge der Kordilleren, wenigstens das, was ich dafür hielt, waren jetzt, da das hohe Buschwerk die Aussicht nicht mehr hemmte, deutlich sichtbar, und darüber, hoch, hoch darüber hing ein wunderlicher, schlangenartiger Wolkenstreifen, wie ich ihn noch nie vorher gesehen. Zuerst gab ich mir Mühe herauszubekommen, was das eigentlich sein könne; die Berge nahmen aber meine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, mich heute nach den Wolken umzusehen, und es wunderte mich nur, daß man, so nahe gekommen, wie wir uns eigentlich befanden, doch noch keinen Schnee aus den gewiß damit bedeckten Gebirgen erkennen konnte.

Von dem Ort aus, wo wir geschlafen, hatten wir die ersten zehn Leguas noch immer dürres, sandiges Land, mit nichts als den ewigen Dornen-, Myrten- und anderen niederen Büschen bewachsen. Bald zeigten aber hohe Reihen von Pappelbäumen, die aus der Ferne aus dem Flachlande emporragten, die Nähe von besiedelten Plätzen an, und wir erreichten jetzt eine Reihe von Plantagen, in denen Fruchtgärten, Felder, Wiesen und Weinpflanzungen auf das Freundlichste abwechselten. Schaaren von wilden Papageien strichen hier kreischend von einem Feld in's andere, ganze Völker Turteltauben saßen girrend in Feigen- und Pfirsichbäumen, und wohlgenährtes Vieh bestätigte überall den Segen geregelten Fleißes.

Hier machten wir wieder Station, und ritten dann eine Art Allee oder breite Straße entlang, die zwischen den verschiedenen Ansiedlungen hinführte, einem kleinen Hügel zu, von dem aus sich das niedere Land vor uns öffnen mußte. Wir hatten prächtige, muntere Thiere und sprengten rasch den ebenen Weg dahin. - Jetzt erreichten wir den ersten freien Platz, weit vor uns lag eine mit Wohnungen und Plantagen bedeckte Ebene, und dort drüben - ich griff meinem Pferd /111/ fast erschrocken in die Zügel, denn dort drüben - heiliger Gott, war denn das Wirklichkeit, oder baute sich die erregte Phantasie Zaubergebilde in das blaue Aethermeer hinein?

Das Pferd schäumte unter dem fest angezogenen Zaum, aber ich konnte den Blick nicht abwenden von dem fernen Horizont, während das Auge noch immer nicht das, was es sah, fassen und begreifen, und deshalb zu einem festen Ganzen gestalten konnte. Endlich aber schied sich dem staunenden Blick jene riesige Gebirgsmasse ab, von dem darüber ausgespannten Himmel, von den darunter wegziehenden Wolken, und ich schwelgte in dem Genuß eines Anblicks, den ich nie, nie im Leben wieder vergessen werde, und der mich, oh wie reich, für alles das entschädigte, was ich bis dahin an Mühseligkeiten und Beschwerden ertragen haben mochte.

Wie aber sollte ich das mit Worten beschreiben können, wo mir im ersten Augenblick das Auge fast den Dienst versagte, es zu fassen? - Ich versuche das Unmögliche, und doch will ich's versuchen. Vor mir ausgebreitet lag, so weit der Blick zur Rechten oder zur Linken reichen konnte, die blaue Hügelkette, die ich schon von Weitem als die der Cordilleren erkannt hatte - darüber hin aber jener wunderliche, schlangengleiche Wolkenzug, den ich im Anfang für Nebel gehalten, und schied sich jetzt ab als Fels und schneebedeckte Schlucht, über der der Nebel in schweren Masten lag. Und drüber? - Herr der Welten, was stiegen da für gigantische Gipfel empor - in der Sonne funkelnd mit ihren eis- und schneegekrönten Häuptern - hoch über die Wolken hinausragend, in andere hinein, und als auch über diese der Blick hinausschweifte, da - da war es, daß ich in staunender Bewunderung das Ungeheure dieser Berge nicht gleich zu fassen vermochte. Noch über den zweiten Wolkensaum ragten die gigantischen Kuppen hinaus, und es war fast, als ob der Himmel auf ihren Zackenkronen ruhe. Worte hatte ich nicht, und keine Seele war bei mir, der ich das, was ich fühlte, hätte mittheilen können; aber eine Thräne trat mir in's Auge - das Herz war zu übervoll, es mußte einen Ausfluß haben.

Meine Begleiter waren indeß weit vorausgeritten, und ich mußte endlich daran denken sie wieder einzuholen. Dem Pferd /112/ also die Sporen gebend, sprengte ich die leise Anhöhe nieder, die sich, jedoch noch immer hier und da durch kleine flache Hügel unterbrochen, gegen Mendoza zu ausdehnte. Die Augen konnte ich aber kaum abwenden von dem eisigen Gebirgsgürtel, der dies ganze Land mit seinen Riesenarmen umspannt hielt, bis ich mich endlich genöthigt sah, mehr auf den Pfad zu achten. Die Straße wurde hier, die Nähe einer größeren Stadt verkündend, weit belebter, und zahlreiche Maulthierzüge sowie einzelne Reiter begegneten uns, die theils Producte in die Stadt gebracht, theils in größeren Quantitäten Wein, Mehl, getrocknete Früchte, Orangen, spirituöse Getränke u. s. w. dem innern Land zuführten.

Das Land war hier auch stark besiedelt; überall standen kleine freundliche Häuser, hier einzeln, dort zu kleinen Villen zusammengebaut, und man begriff, sah man die weite Fläche, - die hier in Cultur lag, wie Mendoza die Korn- und Fruchtkammer fast der ganzen Argentinischen Republik genannt werden konnte.

Da, wo eine schilfige Fläche, eine Art Sumpf die Bebauung bis jetzt gehindert, hörten die Plantagen für eine Strecke auf, und ich gewann wieder Zeit, den Blick jenen herrlichen Bergen zuzuwenden. Aber auch mit einer Art Schauder erfüllten sie mich, daß ich kleines, schwaches Menschenkind es wagen wollte dort hinüberzuwandern, wo der eisige Winter all' seine Schrecken zusammengeballt hielt und oft in so furchtbaren Stürmen und Wettern entfesselte, daß er Alles vernichtete, was ihm Trotz zu bieten wagte. Ein eigener Reiz lag aber auch wieder in diesem Gefühl selbstbewußter Kraft, mit dem der schwache Mensch selbst Schweres überwinden kann, und ich hatte bis jetzt nur Gefühl für das Große, Herrliche jener Gebirge - ihre Schrecken lagen mir noch zu fern, um dem Anblick auch nur einen Theil seines Genusses zu rauben.

Und hier nun diese weiten fruchtbaren Flächen in dem warmen, sonnigen Thal (denn das Wetter war, obgleich wir uns mitten im Winter befanden, so mild wie bei uns im Mai) und ringsumher ein Anblick, der das Herz des Menschen nur mit Bewunderung und frommer Scheu erfüllen konnte; wie /113/ gut mußten da die Menschen sein, die hier lebten, wie mußte das Schöne und Herrliche, das sie täglich vor Augen hatten, ihr Herz läutern und es dem Besseren zuwenden.

„Compaňero," sagte da plötzlich mein alter Begleiter, der jetzt dicht neben mir ritt, und deutete mit dem rechten Arm in die Höhe - „seht einmal dort!"

Ich blickte empor, und wieder griff ich fast unwillkürlich dem Pferd in die Zügel, aber diesmal nicht aus staunender Bewunderung, sondern aus einem Gefühl des Schreckens und Grausens. Dicht neben der Straße war ein langer starker Pfahl, etwas schräg nach vorn neigend, in die Erde geschlagen, und von der Spitze desselben herab grinste das von langem schwarzen Haar wild umflatterte, bärtige, leichenblasse Angesicht eines Menschenhauptes.

„Ein Raubmörder, der eine ganze Familie umgebracht hat," erzählte mein Alter; „gerade hier an der Stelle war es, wo er und seine Kameraden, von dem Sumpf begünstigt, ihre meisten Verbrechen an Reisenden ausübten. Der Gouverneur ließ seinen Kopf hier aufstecken, und seitdem hat man nicht mehr viel von Anfällen in der Gegend gehört. Arme, Hände und Beine desselben sind an anderen Orten ebenfalls ausgehangen."

So lautete der kurze Bericht, und da oben starrte indeß das gräßliche Haupt des Verbrechers still und unverwandt nach den herrlichen, von flüssigem Gold umflutheten Bergen - den Zeugen göttlicher Allmacht hinüber - ein furchtbarer Punkt in diesem sonst so freundlichen Thal.

Mir war dadurch der Genuß um Vieles verbittert worden. - Der Mord tritt uns zu oft entgegen in der ganzen Republik, und jene Massen von Kreuzen, die stillen Ankläger vergossenen Blutes, die ich täglich auf meiner Bahn gefunden, kamen mir jetzt vor wie die blutigen Spuren einer Schreckensthat, der ich den ganzen Weg gefolgt sei, und deren Ziel ich jetzt erreicht habe.

Doch fort, fort mit den finsteren Gedanken, wo die Natur in solcher Schönheit uns anlacht. Die munteren Pferde trugen uns rasch und fröhlich dem nicht mehr fernen Ziel, der kleinen freundlichen Berg- und Grenzstadt Mendoza, entgegen, und /114/ als wieder überall geschäftige Villen, mit Weingärten erfüllte Flächen und fruchtbare, von thätigem Fleiß zeugende Felder uns umschlossen, als reges Menschengewühl uns umgab, war auch der Eindruck verwischt, der einen Augenblick den vollen Genuß all' des Neuen, Herrlichen, was ich erblickte, getrübt hatte.

Nachmittags um zwei Uhr etwa ritten wir in Mendozas freundliche breite Straßen ein. Die Stadt ist ganz nach der altspanischen Art mit den niederen flachen Häusern erbaut, - aber weit reinlicher als Buenos-Ayres, und mir schien fast jedes Haus ein Freund zu sein, denn hinter mir lagen jetzt die am La Plata mit solchen Schrecknissen bevölkerten Pampas, hinter mir der lange Ritt und die wilde Horde der blutdürstigen Indianer. - Ausruhen konnte ich von all' den überstandenen Strapazen, und selbst Landsleute waren mir in dem freundlichen kleinen Gebirgsplätzchen versprochen. - Was d a n n noch vor mir lag - die vom Schnee geschlossenen Cordilleren, die Abgründe dort und die Gefahren der Schneestürme -, lag zu weit, wenigstens drei, vier Tage voraus, um mir darüber jetzt schon den Kopf zu zerbrechen oder Sorgen zu machen. Das war Zeit, wenn sich einmal eine wirkliche Ursache dafür fand, und hatte mir der alte Herr da oben durch die Pampas geholfen, würde er mich ja auch wohl nicht acht Tage später im Schnee stecken lassen. Also den Kopf oben und der Gefahr in's Auge geschaut, und jetzt vor allen Dingen erst einmal im neuen Gefühl wirklicher Sicherheit ausgeruht von dem U e b e r -s t a n d e n e n.

5.

Mendoza.

Am Fuße der Kordilleren, gegen die scharfen West- und Nordweststürme durch die hohen schroffen Bergrücken geschützt, liegt an der westlichen Grenze der Argentinischen Republik /115/ das kleine freundliche Städtchen Mendoza, für das ich schon auf dem Ritt dahin, und lange ehe ich das Vergnügen hatte, es persönlich kennen zu lernen, eine gewisse Achtung hegte. Die meisten Caravanen, denen wir begegneten - und wir trafen deren viele - kamen von Mendoza; wo man Mehl, Käse, Wein, Branntwein oder Früchte sah - welcher andere Ort hatte sie erzeugt als Mendoza?

Die Stadt selbst? - nun daran ist freilich weiter nichts zu sehen. - Es ist ein kleiner freundlicher Ort von circa 8000 Seelen; die Häuser sehen denen in allen anderen Theilen der Republik sprechend ähnlich, und sind so einfach aus Lehm gebaut, daß man immer ängstlich ist, der nächste starke Regen müßte die ganze Stadt einmal in einen einzigen Lehmhaufen zusammenwaschen, aus dem heraus sich dann die einzelnen Schornsteine höchst erstaunt die Verwüstung beschauen würden. Das geschieht aber nicht: der Lehm ist fest gestampft und nutzt sich dadurch, selbst bei den härtesten Regenschauern, nur sehr wenig und unbedeutend ab.

Ihre Verbindung mit dem umliegenden oder entfernteren Land besteht aber auch freilich nur zu Lande. Der kleine Fluß Mendoza, der nicht weit davon fließt, ist nur, wenn der Schnee der Cordilleren thaut, hoch genug um befahren zu werden, und dann eben wieder seines schnellen Steigens und seiner reißenden Strömung wegen schwer befahrbar. Wohin also auch Mendoza seine Producte versendet, oder woher es seine anderen Bedürfnisse beziehen will, muß dies stets und allein durch Caravanen geschehen, die entweder in Maulthierzügen oder den schon beschriebenen großen unbehülflichen, aber zweckmäßigen Güterkarren oder Transportwagen bestehen.

Mendoza ist die wirkliche Fruchtkammer des benachbarten Landes, und schafft Wein und Früchte selbst nach dem sonst sio gesegneten Chile hinüber. So bilden die Mendoza-Rosinen einen sehr bedeutenden Handelsartikel über die Kordilleren, und im Sommer soll Caravane auf Caravane durch die Berge ziehen. Nichtsdestoweniger könnte das Land noch in weit größerem Umfang bebaut, und selbst das bebaute weit starker benutzt und ausgebeutet werden, wäre nicht eben hier /116/ wieder die Bequemlichkeit des Südländers ein gar zu großes Hinderniß. - Es fehlen da deutsche Kräfte, und späteren Generationen - wenn sich die politischen Verhältnisse der Argentinischen Republik erst einmal geregelt haben - ist es vielleicht vorbehalten den Segen zu ernten, der noch im Schooße der fruchtbaren Erde schlummernd begraben liegt.

Es leben in Mendoza verschiedene Ausländer, unter diesen aber nur drei Deutsche: ein Hutmacher (Karl Rohde aus Gera, der früher in der Haughk'schen Fabrik in Leipzig gearbeitet hatte und mit süßer Schwärmerei noch nach dort zurückdachte) - ein junger Goldarbeiter (Schöpf aus Hannover) und der Gehülfe des Hutmachers. Außerdem schloß sich diesem noch ein Italiener, Mariani, an, der ebenfalls Deutsch sprach. Das nächste Frühjahr möchte sich aber der Reisende wohl vergeblich nach ihnen in Mendoza umsehen - kann er aber gut spüren, so findet er sicher ihre Fährten in den Cordilleren. Und wo sind sie hin? - gone to the diggins, natürlich nach Californien.

Ich selbst kann mich aber nur freuen, daß ich sie noch in Mendoza traf, denn ich wurde auf das Herzlichste von ihnen aufgenommen und behandelt, und werde stets mit vielem Vergnügen ihrer, und durch sie meines kurzen Aufenthalts in Mendoza gedenken.

Außerdem soll noch ein einziger deutscher Ackerbauer in der Nähe von Mendoza leben, die Deutschen in der Stadt geben ihm aber keinen besonders guten Namen, und er beabsichtigte auch sein kleines Gut auszuverkaufen und, wie die Anderen, dem Golde nachzugehen.

Auch für die Literatur ist in Mendoza etwas - aber freilich erst in letzterer Zeit - gethan, und zwar durch einen Nordamerikaner, einen Mr. van Sice, der eine Druckerpresse mit aus den Vereinigten Staaten herüberbrachte und hier, am Fuße der Kordilleren, aufstellte. Diese aber in Gang zu bringen, hatte er, wie er mir selber erzählte, eine Heidenarbeit gehabt, und hatte sie noch, sie darin zu halten.

Die Südamerikaner, in einem so abgeschlossenen Theil der Welt, zeigten im Anfang natürlich nur sehr wenig Sinn für eine derartige Entwickelung ihrer geistigen Kräfte. Mr. /117/ van Sice bewies ihnen aber, und er setzte sie dadurch nicht wenig in Erstaunen, daß es ihnen gerade ein d r i n g e n d e s B e d ü r f n i ß wäre selber eine Druckerei zu besitzen. Dabei hatte er die Schwierigkeit zu überwinden - denn mit leeren Worten allein war es nicht gethan - nicht allein dies Bedürfniß zu befriedigen, sondern es in Wirklichkeit auch erst selber hervorzurufen.

Bis dahin waren nur wenige Schul- und Gebetbücher in Mendoza gebraucht worden, und diese kamen, mit einigen Novellen und anderen Schriften, durch die rückkehrenden Caravanen von Buenos-Ayres. Von diesen verschaffte sich Mr. van Sice vor allen Dingen Exemplare und druckte sie nach. Der Bedarf mußte sich aber auch natürlich erschöpfen, und er rief deshalb ein monatliches Heft, was er drei Bogen stark und zwar mit sehr engen Lettern druckte, in's Leben. Es enthielt dies meist wissenschaftliche, technische, auch belletristische Artikel - denn mit Politik durfte er sich in der Republik nicht befassen - und fabelhaft waren, seiner Aussage nach, die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, dieser Schrift erst vor allen Dingen Eingang und dann Abonnenten zu verschaffen. Wie die Yankee Uhrenhändler in seinem eigenen Vaterland, mußte er von Haus zu Haus die Bücher hausiren, und da die Leute von einem wirklichen Abonnement kaum eine Ahnung hatten, die Hefte nicht selten zurücklassen. Die unfreiwilligen Besitzer derselben gaben sich dann im Anfang dem süßen Glauben hin, sie hätten die „schönen Bücher" geschenkt bekommen, bis sie die nach Verlauf eines Vierteljahres einkommende Rechnung eines Besseren belehrte.

Ein anderes Bedürfniß erweckte er bei ihnen in Gestalt von Visitenkarten, deren Gebrauch sie ebenfalls in ihrem unschuldigen ländlichen Leben bis dahin noch nicht gekannt hatten. Zuerst druckte er für sich selber solche und gab diese bei seinen Besuchen ab; dann wußte er den Gouverneur zu bewegen, diesem Beispiel, als aus der Residenz kommend, zu folgen - und damit hatte er gesiegt. - Es gehörte urplötzlich zum guten Ton, und mit einem leisen Anflug von halb Stolz, halb Schadenfreude, wie ein Jäger etwa die verschie-/118/denen Geweihe der Hirsche zeigen würde, die er eigenhändig erlegt hat, zeigte er mir die in seinem Zimmer auf einer Tafel aufgesteckten Karten Derer, die seiner Politik bis jetzt zum Opfer gefallen waren. Da sie zu der besseren Klasse des Städtchens gehörten, mußten sie natürlich alle Uebrigen zur Folge zwingen.

Bei der Besiegung all' dieser Schwierigkeiten gehört das aber gerade nicht zu den geringsten, daß er hier nicht einen einzigen Arbeiter fand, den er gebrauchen konnte. Gleich vom ersten Beginn mußte er sich selber Lehrlinge heranziehen und dabei selber erst die Sprache lernen; nur der hartnäckige goahead Charakter eines Yankee konnte das Alles besiegen. Wie die Verhältnisse aber jetzt stehen, verdient er, freilich bei eisernem Fleiße, seiner eigenen Aussage nach viel Geld, und wird nun wohl - nicht wahr, lieber Leser - seine Druckerei vergrößern, Arbeiter aus Buenos-Ayres und Valparaiso herüberziehen, eine Buchhandlung dabei anlegen und - halt, halt - er wird keins von alledem. - Im Gegentheil; er hat Jemanden gefunden, der Lust zeigt seine Druckerei in Bausch und Bogen zu kaufen, und wird nun wohl - natürlich nach Californien ziehen. Wie es nachher mit der Literatur in Mendoza stehen wird, wissen die Götter; wenn aber ein Südamerikaner, der das Alles in Gang sieht und die Triebfedern nicht kennt, die es darin erhalten, glauben sollte, ohne den Geist eines Yankee zwischen seinen gleichgültigen Landsleuten ein solches Geschäft einfach fortführen zu können, so irrt er sich sehr. - Wenn die Kraft aufhört zu wirken, die es in Schwung brachte und darin erhält, schläft Alles wieder ein, und ein Jahr später, wenn Mr. van Sice seinen Plan nicht etwa noch ändert, möchten wohl nur noch spanische Gebetbücher und vielleicht seidene Bänder mit der Regierungsdevise die einzigen Producte der mendozanischen Presse sein.

Mr. van Sice hatte eine junge Südamerikanerin, und zwar gerade aus Achiras, wo ich einen so entsetzlichen Abend verbrachte, geheirathet. Ich wollte übrigens, ich hätte lauter solche liebenswürdige Wesen dort getroffen, als seine Frau /119/ war, ich würde dann die Pampas mit einer sehr verschiedenen Meinung von ihren Bewohnern verlassen haben.

Die Mendozaner scheinen in dem Farbenspiel ihrer Nalionalitäi fast stärker zu sein als selbst die Bewohner von Buenos-Ayres. - Dort sind doch wenigstens die Fremden von diesem Livréedienst verschont, hier aber darf Niemand - und wenn er aus dem Monde käme - das Polizei- und zugleich Postgebäude betreten, ohne das rothe Band um den Hut und ein gleiches im Knopfloch zu tragen. Alles ist roth wohin man blickt, ja die recht ächten und wirklichen Republikaner haben sogar zinnoberrothgefärbte Stiefelsohlen, damit sie auch an ihren Füßen den Sinnspruch der Devise Federacion ó muerte - Federacion oder Tod (das erste durch roth, das zweite durch schwarz ausgedrückt) tragen. Der Gouverneur und die gutgesinnten Bewohner der Stadt bringen diese Farben auch, soviel das irgend geht, in ihrem Hausstand an, und ich glaube fast, Gouverneur Rosas hat einen gewissen Grad von Politik dabei beachtet, seine Unterthanen solcher Art mit diesen Farben zu beklecksen. Unter einer andern Regierung, die natürlich die Farben wechseln müßte, würden sie sich mit großem Kostenaufwand aller der Artikel entledigen können, die sie tragen, und während sich der Argentiner wohl keinen Augenblick besinnt seine Regierung zu ändern, so überlegt er es sich doch vielleicht zweimal, wenn es ihn zugleich einen neuen Poncho kostet. Freilich hat das zuletzt nicht mehr ausreichen wollen, und die Republikaner der La Platastaaten haben Rosas und Poncho, für jetzt wenigstens, zugleich abgeworfen.

Was Mendozas Lage betrifft, so kann es für Ackerbau und Weinzucht wohl kaum eine günstigere geben. Gegen die Süd- und Westwinde durch die gewaltigen Cordilleren geschützt, deren weiße Zackenkronen in prachtvoller Majestät dicht hinter ihm emporstarren, und in deren Arm hineingeschmiegt es eigentlich liegt, bietet es seinen Bewohnern an animalischer und vegetabilischer Nahrung Alles, was das Herz nur wünschen kann. Auch die Preise aller Lebensmittel sind außerordentlich billig, da der schwierige Verkehr mit den übrigen Ländern, von denen sie aus der einen Seite /120/ durch die Pampas, auf der andern durch die Cordilleren getrennt werden, die Ausfuhr natürlich sehr vertheuert und erschwert.

Das Klima ist herrlich - im Sommer soll der Schnee der Berge die Temperatur mildern, und jetzt, wo wir uns mitten im Winter befanden, hatten wir ein Weiter, wie bei uns an einem kühlen Sommertag. Alles gedeiht hier vortrefflich, und außer dem Getreide werden hier besonders Früchte, wie Orangen, Feigen, Trauben usw., in Masse gezogen. Die Trauben sind so süß, daß die Mendoza-Rosinen an der chilenischen Küste einen Namen haben und in großen Ouantitäten über die Cordilleren geschafft werden. Der Wein aber, der aus ihnen gekeltert wird, schmeckt so gut, daß mir der Mund noch jetzt danach wässert. Ich kann ihn nur mit gutem Portwein vergleichen, obgleich er süßer als dieser ist und jung nicht so viel Feuer hat als der Portwein. Einige Jahre alt, glaub' ich aber sicher, daß er sich mit diesem in jeder Hinsicht messen könnte. Die Mendozaner trocknen eine große Menge von Trauben, indem sie dieselben oben in ihren Giebeln aushängen; sie halten sich vortrefflich, sind süß wie Zucker, und fast so saftig, als ob sie eben vom Stock genommen wären.

Der Wein wird übrigens hier auf eigenthümliche, dem Klima aber natürlich auch entsprechende Weise gebaut, und zwar nicht wie bei uns an Stöcken, die wir nöthig haben, da wir der Traube müssen so viel Sonne zukommen lassen, wie wir ihr möglicher Weise nur gewähren können, sondern in weiten Lauben, so daß die Mendozaweingärten nur lauter überwachsene Gänge bilden, die an heißen Sonmmertagen wahrhaft paradiesische Spaziergänge bieten müssen. Die Trauben hängen dadurch sämmtlich im Schatten, reifen langsam und gewinnen dadurch natürlich nur an Zuckerstoff und Saft. Wir bezahlten für die Gallone (fünf Flaschen) vom besten Wein etwa fünf Silbergroschen nach unserem Geld. Ueberhaupt ist das Leben in Mendoza ungemein billig, und wenn ich mir für einen halben Real (etwa 2'/z Silbergroschen) Früchte: Trauben, Orangen und Feigen holen ließ, so hatte ich zwei bis drei Tage daran zu essen. /121/

Brod, Fleisch und Gemüse stehen in demselben Verhältniß: die Miethen wie Dienstleute sind ebenfalls spottbillig, die Gegend ist dabei ein Paradies - was will also der Mensch mehr? - Wäre dies nicht ein Platz, ein Asyl für die „Europamüden", die sich irgendwo in der Welt eine stille Heimath gründen wollten? Dem europäischen Treiben wären sie hier allerdings entrückt, denn von der übrigen Welt hörten und sähen sie nichts, oder doch wenigstens so gut als nichts mehr, wie es aber mit dem argentinischen würde, müßten sie freilich riskiren, und welches Unglück hat seitdem diese schöne Stadt betroffen! Das Erdbeben von 1861 machte sie fast der Erde gleich und von 10,000 Einwohnern kamen 7000 in kaum drei Secunden um ihr Leben.

Die Postverbindung Mendozas mit der Außenwelt besteht einzig und allein, nach dem Atlantischen wie Stillen Ocean hin, in Courieren, die regelmäßig und zu allen Jahreszeiten zwischen Buenos-Ayres und dieser Stadt - nur sehr unregelmäßig aber im Winter nach Valparaiso hinübergehen, da der Schnee der Gebirge den Uebergang nicht allein oft sehr erschwert, sondern sogar Monate lang ganz verhindert.

Eine Annehmlichkeit Mendozas muß ich aber noch erwähnen, und das sind die warmen Bäder, die sich etwa drei Leguas von der Stadt entfernt befinden. Das Wasser ist selbst im Winter, wo der doch immer thauende Schnee aus den niederen Bergen das Uebrige in eisiger Kälte erstarren machte, etwa 16 Grad, und wird durch Quellen erzeugt, die aus der Erde mitten in der flachen Steppe hervorsprudeln. Dadurch aber haben sie auch ein eigenes, schilfbegrenztes Bett erzeugt, und werden nun von den Bewohnern des benachbarten Städtchens, besonders in Sommerszeit, gar fleißig besucht. Die Bequemlichkeiten dort sind freilich sehr geringer Art und bestehen eigentlich nur in mehreren höchst mittelmäßigen Lehmhütten. Den Horizont umgürten aber dafür im Westen die schnee- und eisbedeckten Cordilleren, und die Bäder selber liegen gar traulich und versteckt in dem darüber wogenden Grün - bedarf es da erst noch eines besondern Luxus und kostbarer, schwer zu erlangender Bequemlichkeiten, den Aufenthalt doch zu einem angenehmen zu machen? Sonst bietet /122/ Mendoza freilich, dem Fremden wie dem Einheimischen keine besonderen Vergnügungsörter, und die Leute sind hier meistens auf ihre eigenen Familien angewiesen. Wer sich darin glücklich fühlt, ist glücklich und bedarf nichts weiter – und wer nicht? – den wird auch die herrlichste Umgebung, das Lust und Freude athmende Leben nicht glücklich machen können.

Am 9. Juli wohnte ich einem Freiheitsfest der Argentiner, das sie gewöhnlich, wie den 25. Mai, auf das Festlichste begehen, bei. Der Tag wurde übrigens auf höchst unschuldige Art und Weise gefeiert; Morgens war Parade und Abends Illumination. Hier hatte ich dann zum ersten Mal Gelegenheit, das argentinische Militär auf einer Parade und beim Exerzieren versammelt zu sehen, denn in Buenos-Ayres ist es, wie sich der Leser erinnern wird, streng untersagt, sich während dieser Zeit auf der Straße, ja nicht einmal auf den flachen Dächern der Häuser blicken zu lassen. Der Anblick war aber auch wirklich für Einen, der die europäische Disciplin nun einmal gewohnt ist, komisch.

Die Soldaten, ein kleiner Trupp von höchstens 120 bis 150 Mann, schlenderten nach einer höchst mittelmäßigen Musik um den Hauptplatz der Stadt herum. An der Musik waren ein Dutzend Neger schuld, die ihre Instrumente auf das Gewissenloseste mißhandelten, und die Soldaten marschirten dazu so entsetzlich langsam, daß ich im Anfang glaubte, sie bewegten sich gar nicht weiter, sondern höben nur im Taxt die Füße. Im Allgemeinen waren sie ganz weiß mit rothen Mützen und Aufschlägen gekleidet, und hatten Bajonettgewehre, als sie aber – langsam, o wie langsam – näher kamen, sah ich, daß die Beinkleider keineswegs alle von der Farbe der Unschuld waren, und noch ungenirter gingen sie mit ihren Füßen. Einige hatten Schuhe, andere Stiefel, noch andere Hühneraugen, und diese trugen dann (jedenfalls der größeren Bequemlichkeit wegen) ihre Schuhe oder Stiefel zusammengebunden über dem einen Arm und gingen lieber barfuß. – Den Officieren konnte das natürlich gleichgültig sein. Das Exerciren ging allerdings dem Namen nach in Reih und Glied, doch hatten die Commandirenden genug zu thun, nur einigermaßen Ordnung zu halten, da eine ziemlich lebhafte /123/ und gewiß interessante Conversation zwischen den „Gemeinen" deren Aufmerksamkeit etwas zu sehr in Anspruch nahm.

Die Illumination am Abend war desto brillanter, und wurde, als es schau dunkel war, erst durch die Straßen einhersprengende Cavalleristen anbefohlen. Die Reiter hielten nämlich an jedem Haus an und schrieen einige dem Fremden gewiß unverständliche Worte hinein, was Illumination bedeutete.

Wie schon erwähnt, ist die Bauart der Häuser in Mendoza noch ganz altspanisch. Die Gebäude sind gewöhnlich in großen Vierecks aufgeführt - die Fenster alle nach dem gerämnigen und hellen Hof oder den Gärten hinaus, so daß die Straßenfront nur sehr wenig vergitterte Fenster und oft ganz kahle Mauern zeigt. - Die Fenster konnten also auch aus diesem Grund nicht illuminirt werden, und man setzte nun die Lichter - etwa sechs vor jedes Haus - vorn auf das Straßenpflaster, wo sich dann die Jugend damit amüsirte und wohl auch die Illumination selber dadurch regulirte, daß sie hier und da ein mißliebiges oder ihrer Ansicht nach verschwenderisches Licht wegnahm und auf eine mehr protegirte oder weniger beleuchtete Stelle brachte.

Die Illumination begann stückweise und endete auch so; ihre Dauer beschränkte sich auf die Viertellänge eines Talglichts. - Es giebt doch nichts Kläglicheres auf der Welt, als eine officielle Freudenbezeigung.

Interessant war es mir, am andern Tag die argentinische Kavallerie zu sehen, wie sie gerade von der „Fütterung" kam. Die Soldaten hatten Fleisch „gefaßt" und dasselbe in ihrer wilden appetitlichen Art ganz einfach unter den linken Steigbügel gebunden. Daß es ihnen beim tollen Ritt an die Füße und die Beine des Pferdes schlug, schien ihnen ziemlich gleichgütlig. In diesen Tagen mußten sie aber auch ausrücken, und zwar, wie ich von meinem alten Correo hörte, die nächsten Anstedlungen gegen die Indianer zu schützen, die sich toller Weise ganz in die Nähe Mendozas gewagt haben sollten. Der Alte meinte freilich, sie wären jedenfalls, da sie ihn am El Morro verfehlt hätten, auf seiner Spur nachge-/124/ kommen. Da man behauptete, einige kühne Unitarios seien die Führer der Wilden und hätten von Buenos-Ayres Kunde bekommen, daß der Correo wichtige Depeschen und Gold mit sich führe, so war die Sache gerade nicht unmöglich. Ich blieb übrigens nicht lange genug in Mendoza, um es bestätigt zu hören.

Natürlich suchte ich jetzt auch, einmal an Ort und Stelle, soviel als möglich authentische Berichte über die Cordilleren und den Wintermarsch über sie hin einzuziehen. Die aber klangen hier am Fuß derselben fast eben so entsetzlich als in Buenos-Ayres und Rio de Janeiro, nur daß hier die Leute sämmtlich sagten, die Cordilleren seien keineswegs „geschlossen" und man könne den Uebergang jeden Tag versuchen und wohl auch glücklich zu Stande bringen, wenn man aber dabei e r w i s c h t w ü r d e, d. h. wenn man einen Temporale oder Schneesturm bekäme, dann wäre die Sache auch fertig und man könnte von Glück sagen, wenn man nur einfach erfröre und nicht auch noch verhungerte. - Hier war doch Hoffnung - hier gab es doch wenigstens keine Menschen, die da nur bei einer Erwähnung der Sache gleich schrieen, es ist total u n m ö g l i c h, es ist Wahnsinn, es nur versuchen zu wollen. - Auf den Temporale mußte ich es deshalb wagen.

Acht volle Tage hatte ich in Mendoza gelegen und mich nach einem Führer über die Cordilleren umgesehen, während mir Alle riethen, doch ja lieber zu warten, bis der Correo von St. Jago herüber käme und ich mit dem dann nichts allein billiger, sondern auch sicherer gehen könne. Mir ließ es aber keine Ruhe mehr in der Argentinischen Republik. Es trieb mich meinem Fahrzeug wieder zu, und ich hatte nun so viel über die „furchtbaren Gefahren der Berge", über Erfrieren, blind und todtgeschlagen werden gehört, daß ich es endlich satt bekam und auch gleichgültig dagegen wurde. Eins nur schreckte mich wirklich im Anfang ein wenig, und das war der rasende Preis, den der erste Führer, den wir auffanden, forderte, mich sicher und gut hinüberzubringen, er war 300 Dollars - sagte dreihundert Dollars - und dabei mußte ich noch durch die Berge zu Fuß gehen. Er meinte aber, es sei in jetziger Zeit mit so vielen Umstän-/125/

den und Gefahren verknüpft, daß er es - der gute Mann kam gleich um ein Drittel herunter - unter zweihundert keinesfalls thun könne. Selbst das war ich nicht im Stande zu geben und mußte mich nach einem andern umsehen. Dadurch aber verging die Zeit, und ich sah mich endlich genöthigt, wollte ich nicht noch eine Woche herumlaufen, die freilich etwas gemäßigteren, aber doch noch immer schweren Bedingungen eines andern Führers einzugehen, der nur fünf Unzen (also etwa 80 spanische Thaler) und außerdem noch Beköstigung verlangte - ebenfalls eine Sache von circa fünf Dollars, da man sich auf den schlimmen Fall eines Schneesturms vorsehen muß. Der Mann meinte außerdem, fünf Unzen sei jedenfalls in dieser Jahreszeit ein höchst mäßiger Preis, denn wenn man einmal sein Leben riskiren wolle, müsse man auch etwas dafür erhalten. Für den Weg rechnete er, wie er sagte, eine Unze - für die Gefahr die vier anderen.

Der Preis der Unzen selber war in Mendoza sehr verschieden von Buenos-Ayres, wo die argentinische wie chilenische und mexikanische Doublone gleich sechzehn Dollars galt, während die argentinische und mexikanische hier siebzehn, die chilenische achtzehn Dollars stand.

Jetzt, einmal mit einem Führer im Reinen, ging ich scharf daran, die nöthigen Provisionen einzulegen, und diese bestanden besonders in getrocknetem Fleisch, charque genannt, das die Argentiner zu diesem Zweck - nämlich in möglichst kleinen Raum zusammengedrängt - zuzubereiten wissen. Dieses getrocknete Fleisch, schon an sich fest und hart, wird nämlich noch mit Hämmern so zusammengeschlagen, bis es wie dicke Pappe aussteht und auch eben so leicht zu kauen ist; dann noch fest in ein kleines Paket geschraubt, bildet es zuletzt eine steinartige harte, felsenschwere Masse, an der sich die einzelnen Scheiben ablösen wie Marienglas. Es ist auf diese Art Allerdings eine nicht unbedeutende Quantität Nahrungsstoff in einen möglichst engen Raum zusammengedrängt. Außer dem Fleisch, was unser hauptsächlichstes Subsistenzmittel unterwegs sein sollte, hatte mir Herr Rohde oder „Don Carlos", wie er allgemein in Mendoza genannt wurde, da die Spanier fast nur die Vornamen bekannter Leute gebrauchen auch /126/ noch in wirklich freundlicher Weise Mehl besorgt, damit ich so wenig als möglich Kosten haben möchte. Zu diesem nahmen wir ein Mädchen in's Haus, das zu backen verstand und aus dem Mehl eine Art harter vortrefflicher Zwiebacke bereitete, und mit noch einigen Zwiebeln, etwas rothem Pfeffer, einer kleinen Büchse gebrannten und gemahlenen Kaffees, und einem eisernen Kocher, Wasser zu sieden, waren wir fix und fertig.

So viel war indessen von dem blendenden Schnee der Cordilleren und vom wirklichen Erblinden Einzelner, die um diese Jahreszeit den Uebergang gewagt, gesprochen, daß Don Carlos (Schiller genirte mich ungemein bei diesem Namen) sich nicht abreden ließ, mir eine grüne Brille mitzugeben. Selbst der Führer versicherte mir dabei, ich würde sie gebrauchen können, denn er selber habe den Weg schon mehrere Mal gemacht und sich noch immer nicht an den blendenden Schnee gewöhnen können. Ich dachte kopfschüttelnd an unsere deutschen Schneeflächen, steckte aber doch die Brille vor allen Dingen einmal in die Tasche - ich kannte die Verhältnisse des Landes noch nicht, und die darin Eingeweihten wissen so etwas meistens besser wie der Fremde.

Daß der Argentinische Staat übrigens ein Polizeistaat sei, sollte ich, ehe ich diese wirklich rothe Republik verließ, noch erfahren. Ich mußte nämlich, trotzdem daß mein Paß in Buenos-Ayres auf Valparaiso schon vistirt war, noch hier einen neuen Paß nach dieser Stadt nehmen und dafür (die Pässe sind in Mendoza theurer als die Pferde) 5 ¼ spanische Thaler bezahlen. Ich protestirte dagegen und verwies auf den schon nach Valparaiso vistrten Paß, die Polizeibeamten frugen mich aber, „was sie Buenos-Ayres (die Hauptstadt der Argentinischen Republik) anginge", und da ich ihnen hierauf keine genügende Antwort geben konnte, ersuchten sie mich um die „landesübliche Münzsorte".

Interessant waren mir hier die Verhandlungen im Polizeigebäude, das ich ebenfalls nur mit rothem Band um den Hut und mit eben solchem im Knopfloch betreten durfte. - Meine spanische Erlaubnißkarte, die Argentinische Republik wieder verlassen zu dürfen, wurde in fünf verschiedenen Stuben von /127/ fünf verschiedenen Leuten unterschrieben - es war wie ein Stammbuch - und viermal prangte darauf die argentinische Devise viva la confederacion Argentina, mueran los vajes Unitarios.

Doch genug von Mendoza, ich führe den Leser vielleicht einmal später wieder - wenn er Lust haben sollte, mir zu folgen - dahin zurück. Jetzt aber muß ich nach Valparaiso aufbrechen, sonst versäume ich mein Schiff, das vielleicht schon dort im Hafen liegt und - meiner nicht wartet, sondern so schnell als möglich seine Erfrischungen einzunehmen und sein Ziel - San-Francisco - zu erreichen sucht. Also über die Cordilleren!

6.

Wintermarsch über die Cordilleren.

Am Mittwoch Abend, den 11. Juli 1849, setzten wir uns endlich, von meinen beiden deutschen Freunden Rohde und Schöpf bis zum nächsten, nur eine Legua entfernten Haltpunkt begleitet, in Marsch. Die Führer thun das gewöhnlich, um am nächsten Morgen gleich frei von der Stadt zu sein und recht früh aufbrechen zu können. Hier tranken wir noch ein paar Flaschen Wein zusammen, und ich warf mich, als sich die anderen Beiden wieder nach ihren eigenen Wohnungen zurückgezogen hatten, auf meine Decke, um der noch kurzen Nacht ein paar Stunden Ruhe abzugewinnen. Das erste Nachtquartier ging denn auch ruhig und ohne weiter etwas Besonderes vorüber. - Wir lagerten vor dem Haus, aber ohne Feuer, und es war ziemlich kalt, doch schlief ich gut - ich war nur froh, so weit wenigstens meinem endlichen Ziel ent-gegengerückt zu sein.

Der Mond stand noch hell und klar am Himmel, als /128/ wir am Donnerstag Morgen in die Sättel sprangen. Die kleine Caravane bildeten mein Führer, ein Chilene, in einem sonst in der Argentinischen Republik verpönten grünen Poncho, zwei Peons oder Diener, von denen der eine mein Gepäck, der andere Provisionen und einige Kohlen tragen sollte, und dann ich selbst. Der Morgen war frisch, aber herrlich; links (neben uns lagen die prächtigen Berge, hinter denen, in noch weiter Ferne, die weißen Schneekuppen wie drohend zu uns herüberschauten, und rechts dehnte sich die allerdings nicht ( sehr romantische, mit niederen Büschen bedeckte Ebene aus. Endlich stieg im Osten die Sonne empor und warf ihre Strahlen auf die roth erglühenden Schneefelder der Cordilleren, und über den Himmel hinaus breitete sich der rosige Saum - und die Vögel zwitscherten, der Thau hing an den grünen Blättern der Sträucher - die Thiere trabten lustig in den reizenden Morgen hinein, und selbst meine Begleiter - sonst gerade nicht lieblich und holdselig anzuschauen - sangen und pfiffen, und schienen sich ebenfalls der herrlichen Natur zu freuen.

Rechts, dicht am Weg, stand ein einzelnes Häuschen und ein hoher Weidenbaum dicht davor; dahin bogen sie plötzlich ab. - Wollten sie schon wieder Rast machen? - wir waren kaum eine Stunde geritten - nein, vor dem Baum hielten sie und murmelten ein halblautes Gebet.

Ich sah ihnen erstaunt zu; als sie aber fertig waren, zog der eine Peon auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, zeigte nach dem Baum hinauf und sagte: una bota! (ein Stiefel); - ich blickte auf und - sollte mir denn, soweit die Republik reichte, jeder freundliche Augenblick durch irgend etwas Scheußliches verbittert werden? - oben an den einen Ast war der Fuß desselben Verbrechers, dessen Kopf mich schon von der Stange herunter angestarrt - bis zum Knie abgeschnitten - angenagelt. Ich wandte mich schaudernd von dem halb verwesten, halb vertrockneten Ueberrest jenes Verbrechers ab, drückte meinem Thier die Sporen in die Seiten und sprengte voran - die Anderen lachten.

Es mag sein Gutes haben, diesem Volk die Folgen eines Verbrechens - das hier wohl nicht einmal zu den seltenen ge-/129/hört - täglich und wohin es sich auch wendet, vor Augen zu führen; es hat aber auch jedenfalls für Den, der nicht gerade immer ein „abschreckendes Beispiel" vor sich zu haben braucht, etwas höchst Fatales und Widerliches. Und was haben nun gar die armen Menschen in dem kleinen friedlichen Haus verbrochen, daß sie das scheußliche Bein da bei ihrem Ein- und Ausgang immer vor Augen haben müssen? - Ich scheue mich wahrlich nicht vor Leichen und habe deren schon in mancherlei Gestalt gesehen, in dem Haus möcht' ich aber doch nicht, sei es um welchen Preis es wolle, wohnen. Der Morgen war mir denn auch richtig wieder verdorben, und ich war nur froh, als wir uns mehr und mehr den Bergen näherten, wo mit der alten Umgebung auch die alten Gedanken verdrängt werden mußten.

Am meisten trug übrigens das hier gar nicht so weit von der Stadt schon vorkommende Wild dazu bei, mich zu zerstreuen. Wir sahen viele Guanakas - die Lamas der Cordilleren - und auch einige Strauße, die letzteren aber sehr scheu und gleich beim Anblick der Pferde in wilder Flucht.

Das Guanaka ist ein prächtiges Thier - so groß wie ein Hirsch fast, nur mit noch längerem Hals und weicher, herrlicher Wolle, aber sehr leicht zu schießen, denn die Jagd darauf wird hier nur sehr schwach betrieben, und das Wild läßt die Jäger mit nur einiger Vorsicht leicht auf hundert Schritt heran. Für mich waren übrigens auch noch außerdem meine Begleiter, und besonders die beiden Peons, die mein Gepäck trugen, von höchstem Interesse.

Der chilenische „vagujano" (wie sie ihn dort nannten) bot nichts Besonderes; eine kräftige, untersetzte Gestalt, von dem grünen, mit bunter Einfassung besetzten Poncho überhangen, die niedere Stirn mit einem breitrandigen Strohhut bedeckt und sonst mit ziemlich nichtssagendem Gesicht, das nur gleichgültig bald über die rechte, bald über die linke Schulter hinüberschaute, ritt er voraus. Die beiden Peons dagegen erinnerten mich - und sonderbarer Weise gleich von Anfang an - lebhaft an die beiden Banditen aus Flotow's Stradella4. Der Eine - ein trocken drolliger Bursch, aber mit einer /130/ Galgenphysiognomie, wie sie wohl noch kaum dagewesen, verzog nur selten das Gesicht zu einem Lachen, während sich der Andere, ein kleiner, jüngerer Bursch, fortwährend über die Geschichten, die jener erzählte, ausschütten wollte. Der Erste war ein Argentiner, der Zweite ein Chilene, Beide trugen aber die argentinische Tracht, Beide auch das lange, argentinische Messer hinten im Gürtel, und ich zweifle gar nicht, daß sie bei passender Gelegenheit auch recht passenden Gebrauch davon zu machen gewußt hätten.

Wir waren alle vier beritten, diesmal aber nicht auf Pferden, sondern auf Maulthieren; denn Pferde würden, wie mir der Führer sagte, in den Engpässen, die wir zu passiren hätten, nicht allein nicht fortkommen, sondern auch den Reiter, wenn der nicht fortwährend zu Fuß gehen wollte, zu sehr gefährden. Die Maulthiere waren übrigens vortrefflich, und wennsie uns auch vielleicht noch im flachen Land nicht so rasch vorwärts trugen, als es Pferde gethan haben würden, ritten sie sich doch leicht und bequem.

Dreizehn Leguas von Mendoza entfernt betraten wir zuerst die Grenzhügel der Cordilleren; aber kein Baum erfreute das Auge, nur niederes Buschwerk stand in den Thälern, und an den Seitenhängen hin kletterten Ziegen und hier und da auch Kühe und Maulthiere, und weideten das spärliche Gras ab. Das Wasser schien aber in dieser Gegend besonders rar, und wir hatten an dem Abend wirklich Mühe, einen guten Lagerplatz zu finden. Es war schon dunkel, als wir endlich eine ziemlich steile Felswand erreichten, unter deren Schutz wir ein Feuer anzünden und ein Stück Guanakafleisch braten konnten, aber keineswegs Holz genug da, die ganze Nacht ein Feuer zu unterhalten. Als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, mußten wir es ausgehen lassen und legten uns, so gut das angehen wollte, in unsere Decken gewickelt, die Sättel unter dem Kopf, zur Ruhe nieder. Den Abend vorher war es aber gar nicht so kalt, und ich selbst auch wohl die warmen Nächte Mendozas noch gewohnt gewesen, kurz, ich gab mir gar keine besondere Mühe, mein Lager nach allen Regelndes Berg- und Waldlebens zu bereiten, sondern warf mich eben nur auf eine Decke hin und deckte mich mit dem /131/ Poncho zu. Dafür sollte ich aber auch büßen – ich fror die Nacht schmählich, und konnte mir im Anfang eigentlich gar nicht erklären, woher das kam, bis ich am andern Morgen das Wasser in dem neben mit stehenden Blechbecher – gefroren fand.

Das erste Zeichen, wie wir schon in die Berghöhen vorgerückt seien, machte sich hier bemerklich, und als wir ausrückten, fanden wir deren nur zu bald mehr. Der Bach, an dessen Ufer wir hinauf mußten, hatte überall Eis, so daß mein Maulthier an mehreren, wirklich abschüssigen Stellen verschiedene Male ausglitschte und zu stürzen drohte, jedesmal aber durch den ermunternden Zuruf der Führer wieder zu neuer Anstrengung angespornt wurde. Dieser Zuruf selbst aber hatte wirklich etwas Charakteristisches, und bestand nur in dem Worte: „oh mula, oh mula!“ – Dem strauchelnden Thier wurde nur zugerufen, daß es ein „Maulthier“ sei, und es so bei seinem Ehrgefühl auf die wirksamste Art angefaßt. Ein Maulthier und stolpern – nein, das ging gar nicht – der Führer hatte vollkommen Recht, und es nahm jetzt alle seine Kräfte zusammen, so daß wir Stellen glücklich passirten, auf denen Pferde Hals und Beine gebrochen hätten.

Höher und höher stiegen oder kletterten wir vielmehr hinauf, bis wir die mit dünnem Schnee bedeckten Kuppen erreichten – doch lange noch keine Cordilleren. – Diese an sich schon ziemlich hohen Berge haben auch den für den Wanderer, der hier schon Bedeutendes geleistet zu haben glaubt, allerdings nicht ermuthigenden und auch etwas unanständigen Namen der „Piojos der Cordilleren“. Hier fand ich selbst im Schnee die Spuren der Guanakas und des Puma oder amerikanischen Löwen, der die Höhen zu lieben scheint. – Die Fährte des letzteren war etwas größer als die des amerikanischen Panthers, und mein Führer versicherte mir, daß man das Thier zwar manchmal, aber doch nur äußerst selten am Tag zu sehen bekäme. Nachts aber, und selbst bei Mondschein, streife es umher und folge sogar manchmal den Fährten der Menschen, die es aber nie selber angriffe.

Auf dem höchsten Gipfel dieser Hügel, wie ich sie doch wohl nennen muß, öffnete sich uns aber auch plötzlich ein /132/ Panorama, das ich nun und nimmer vergessen werde. Unter uns, zu unsern Füßen, lag das unmittelbar die Cordilleren umschließende Thal, und schroff und scharf stiegen aus diesem empor die gewaltigen Bergen – die Riesenleiber in ihre weißen, blitzenden Schneedecken gehüllt und hineinragend in die Wolken mit den starren, zackigen Kronen.

Da hinüber wollt‘ ich armes schwaches Menschenkind – da hinüber, wo unberechenbare Schneemassen oft Berg mit Berg verbanden und die Schluchten in ihrer unergründlichen Tiefe bis zum Rand füllten – da hinüber, wo alles andere Leben in eisigem Frost erstarrt war, und selbst der Condor mit rascherem Flügelschlag die zackigen Eisfelder und Kuppen überflog? – Ja, da hinüber wollt‘ ich – und es war zugleich auch ein stolzes, freudiges Gefühl, daß gerade die schwache Menschenkraft es wagenkonnte, all‘ die Schwierigkeiten zu besiegen und sich die Bahn zu brechen, wo jede Bahn, jeder Fortgang unmöglich schien.

Der Himmel spannte sich in sich in freundlicher Bläue über der prachtvoll großartigen Winterlandschaft aus; nur der Windzug strich scharf da oben, wo wir standen, über die Kuppen hin.

Doch mein Führer war nicht der Mann, sich lange bei „Naturschönheiten“ aufzuhalten. – Er hatte die Cordilleren schon mehr gesehen und wollte in’s Thal, wo die Thiere nicht allein zu fressen bekommen, sondern er selbst auch mit seinen Leuten bessere Pflege erhalten konnten, wie wir sie in den letzten zwei Nächten gehabt. Bergab ging’s jetzt nun wieder scharf, und zwar so, daß wir den ersten Schnee bald hinter uns ließen und in ein sonniges, freundliches Thal hinabstiegen, wo grüne Myrtenbüsche, wenigstens auf eine Zeit lang die kahlen, nackten Felsen verdrängten. Die Sonne schien hier warm und erquickend, und gegen Abend entreichten wir dem Lauf eines kleinen Wassers in der letzten Stunde folgend, ein Haus. Dort fanden die Maulthiere, die sich die letzten Tage spärlich genug behelfen mußten, gute Wiede, und wir selbst ein vortreffliches Glas Mendozawein, uns daran zu erquicken.

Dies war das westlichste Haus der Argentinischen Re-/133/publik, und hier versorgten wir uns auch noch mit ein paar Hörnern voll Mendozawein, die wir über's Pferd hingen. Diese Art, Flüssigkeiten zu transportiren, ist übrigens so originell als praktisch. Ein paar gewöhnliche Ochsenhörner, natürlich so groß wie sie solche bekommen können, werden unten gerade abgesägt und mit einem fest eingesetzten und verpichten hölzernen Boden versehen, dann oben durch das spitze, harte Ende ein Loch hineingebohrt und ein Stöpsel draufgesetzt, und die Flasche ist fertig. Zwei solche Flaschen bindet man mit einem kurzen Ende Rohhaut - die hier überall den Bindfaden vertritt - zusammen und hängt sie solcher Art über den Sattel. - Schon von Buenos-Ayres hatte ich ein Paar solcher „Zwillinge", nur etwas kleiner, für Caňa (den Vorlauf von Rum, eins der angenehmsten und leichtesten spirituösen Getränke) mitgenommen.

An dem Abend spät kamen auch vier Guanakajäger mit fünfzehn mächtigen Hunden zurück, mit denen sie ein armes Thier in den Bergen zu Tode gehetzt hatten. Das ist die einzige Art, wie sie das Wild in dieser Gegend erlegen können, denn Feuergewehr führen sie nicht, oder wissen nur so mittelmäßig damit umzugehen, daß sie sich nicht darauf verlassen können.

Hier hatten sich unsere Maulthiere, die von da an, wie mein Führer sagte, in den Bergen nicht mehr viel Futter finden würden, noch einmal tüchtig satt gefressen, und die armen Thiere schienen es fast zu wissen, daß es jetzt einem für sie schlechten Terrain zugehe. So wie sich nur Einer der Einfriedigung näherte, spitzten sie schon die Ohren und liefen nach dem entferntesten Ende derselben, um nur nicht eingefangen zu werden. Arme Geschöpfe, das hilft euch nichts - der Lasso erreicht euch, wo ihr auch seid, und seiner fliegenden Schlinge, unter der ihr erschreckt und zitternd zusammenzuckt, entgeht ihr nicht.

Am nächsten Morgen - Sonnabend den 14. Juli - brachen wir früh auf, und zwar jetzt dem Eingang der Cordilleren, einem schmalen Thale zu, das sich der Tucunjado in die Felsen gerissen. Wir blieben an der linken Seite des Bergstroms, und ich mußte staunend sehen, wie sich die Spuren /134/ des jetzt allerdings niedern Stromes bis zu dreißig und vierzig Fuß über uns erhoben, und dann noch Zeugniß gaben wie er das nächste niedere Land überschwemmt habe. Eine furchtbare Gewalt muß es sein, die all' die tausend Wasser dieser ungeheuren Bergkette im Frühjahr sammelt und donnernd in's Thal hinabsendet, und nicht zu verwundern ist's dann, daß sie ganze Felsstücke mit fortreißt, und selbst an den steinigen Ufern mit Erfolg wühlt und gräbt, und ihr Bett verändert und erweitert.

Der Anblick des Gebirges war von hier wahrhaft wundervoll. - Wie eine riesige Wand lag die ganze fest in sich zusammengedrängte Masse der eigentlichen Cordilleren, des Rückenmarks eines ganzen ungeheuren Welttheils, gerade und hoch aufstrebend vor uns, und eine zackige Schneemasse krönte die gewaltigen Gipfel. Aber es sah nicht aus, als ob der Schnee auf diese Berge niedergefallen wäre, sondern der ganze obere Theil der Gebirgsmasse schien aus Schnee und Eis zu bestehen, so blitzte und funkelte und strahlte es im hellen fröhlichen Sonnenlicht. Nur hier und da, wo die senkrecht niederschießenden Hänge so schroff und glatt abfielen, daß auch nicht eine Flocke daran hatte haften können, zeigte der alte Berg die nackten Glieder und verrieth dadurch die ungeheuren Schichten des gefangenen Schnees, der in seine Zacken hineingeweht worden, und dort Schluchten ausfüllte, in denen andere Gebirge Raum gehabt hätten.

Im Anfang war der Weg ziemlich gut, d. h. steinig und abschüssig genug, aber doch breit und nicht gefährlich - wir waren ja einmal in den Bergen, wo es eben keine Chausseen mehr giebt. Je weiter wir aber hineinkamen, desto höher mußten wir auch hinauf, und desto näher traten von beiden Seiten die Gebirge zusammen, so daß der jetzt plötzlich ganz schmale Pfad schon anfing an steilen bröcklichen Schluchten hinzuführen, und die Maulthiere nicht mehr die Wahl hatten wo sie gehen wollten, sondern sich auf den einen schmalen Weg verwiesen sahen. Oft passirten wir jetzt Plätze, wo links der Abgrund viele hundert Fuß steil unter uns lag, während rechts schroffe vorragende Felsstücke jedes Abdrängen davon auf das Unerbittlichste versagten. So allmälig kamen /135/ wir aber in diesen Engpaß hinein, und so viel des Neuen umgab mich zu derselben Zeit, daß ich im Anfang kaum auf den Weg achtete. Mein Blick hing in den steilen, jäh niederschießenden Schluchten, die oben von weichen schimmernden Schneeschichten ausgefüllt, unten von grünen Myrtenbüschen bewachsen waren, und hier - dort drüben strich er mit langsam gewaltigem Flügelschlag - sah ich den ersten Condor, den Riesengeier dieser Berge. Hier aber begann ich auch zum ersten Mal die unendliche Größe dieser Gebirge zu ahnen, als der ungeheure Vogel, der so dicht an uns hingeflogen war, daß ich das scharfe Schlagen seiner Schwingen hatte hören können, nach dem gegenüberliegenden, nur wenige hundert Schritt entfernt geglaubten Hang hinüber und weiter und weiter strich, und die Hänge immer noch nicht erreichte, und zuletzt so klein aussah wie ein junger Rabe.

Der Weg wurde aber wirklich immer schmaler, und wo er sich vor uns in Schlangenlinien dicht um die Felsen schmiegte, schien es mir plötzlich, als ob er dort vollkommen aufhöre. Mein sonst gewiß scharfes Auge konnte nicht die Spur eines Aussprungs mehr entdecken, und doch befanden wir uns schon mehrere hundert Fuß über dem kleinen Strom, der tief unter uns wie ein Milchbach über Felsenblöcke dahinsprudelte - und hinauf? - lieber Gott, die ganzen Cordilleren lagen noch wie in e i n e r schroffen Felsmasse über uns, und da hinauf konnte der Pfad unmöglich gehen. - Aber der helle Streifen, der eigentlich nur wie eine Ader in dem dunkleren Gestein aussah, konnte doch auch wahrhaftig nicht der Pfad sein, auf dem wir, an solchem Abgrund hin, mit unseren Thieren die Bahn suchen sollten.

Reisen Band 1

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