Читать книгу Aus dem Matrosenleben - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 5
Fünftes Capitel.
Die Entdeckung
ОглавлениеDer Capitän vom Boreas lag in seiner Coye – er hatte den vorigen Abend bös geschwärmt, und der Kopf glühte ihm noch von all den »Brandys hot« und »Brandys cold«, die er in sich hineingegossen. Er träumte – aber was kümmern uns seine Träume, wir können ihn doch nicht länger schlafen lassen.
Der Tag brach eben im Osten an, ja der hellere Schein drängte sich schon durch das obere Cajütfenster, das sogenannte Skylight,4 in die Cajüte. Der Capitän murmelte etwas von »half and half« – er trank gern Porter und Ale zusammen, und mochte wahrscheinlich Durst haben – stöhnte noch ein paarmal, und warf sich dann auf die andere Seite.
Der Steward war indessen ebenfalls munter geworden. – Nicht daß ihn jemand geweckt hätte, sondern mehr von einem halb unbewußten Gefühl aufgetrieben, das uns manchmal, ohne die geringste äußere Einwirkung, aus dem tiefsten Schlafe aufrüttelt, wenn wir uns nur Abends vorher fest vorgenommen haben zu einer gewissen Stunde aufzuwachen.
Es ist das ein Gefühl, das mit unserem Gewissen genau verwandt sein muß, denn es verrichtet, wenn auch nur im Kleinen, denselben Dienst; ja vielleicht wird es von der haushälterischen Natur selber dazu verwandt, wer kann es wissen. Wer von uns ist in die geheimen Gänge und Falten seines eigenen Geistes schon je so weit eingedrungen, um nur mit Bestimmtheit voraussagen zu können, was er in der nächsten Minute selber denken, selber empfinden will? Er kann es nicht.
Mag er seinen Geist alle Kraft anwenden lassen sich nur auf einen einzigen Punkt zu concentriren – es ist umsonst. Irgend eine ihm unbewußte, aber in ihm bestehende Kraft lenkt den Strahl seiner Gedanken, ganz von ihm selber unabhängig, wohin sie eben Lust hat, und schüttelt ihm gerade dann gewöhnlich, wenn er etwas Bestimmtes festhalten will, den ganzen bunten Bilderkram seines Gehirns – diese tollste Rumpelkammer alter Geschichten und Träume – um und um, daß es ihm schwarz und blau vor den Augen wird, und er diese endlich in Verzweiflung schließen muß, nur all dem krausen Wirrwarr zu entgehen. Und selbst das hilft ihm nichts. – Gerade durch die fest auf die Augen gepreßten Finger sieht man das tollste Zeug, und muß zuletzt ruhig seine Zeit abwarten, bis das alles wieder aus eigenem freien Antriebe in seine alten Behälter und Gefache zurückgekehrt und verschwunden ist.
Und wohin bin ich jetzt selber gerathen, von eben diesem wunderlichen Geist geneckt? Halt, ich sprach von dem Steward, der erschreckt von seinem Lager auffuhr.
War er aber noch im halben Schlaf, so brachte ihn der Stoß, mit dem er seine eigene Stirn beim in die Höh fahren gegen den quer durch seine Coye laufenden »Beam« stieß, augenblicklich zur Besinnung, und er sprang jetzt erschrocken aus der Coye, denn zu ihm herein drang das Tageslicht, und um vier Uhr hatte er ja schon wieder auf Deck sein sollen.
Warum mochte ihn denn der Zimmermann nicht geweckt haben? Er lief, ohne sich erst weder die Jacke anzuziehen, noch nach der neben ihm liegenden Mütze zu greifen, an Deck. Alles war hier stumm und still – dem Steward klopfte das Herz wie ein Schmiedehammer, denn er dachte an das was ihm, im Fall wirklich etwas passirt sei, selber bevorstand.
Im »Logis« fand er denn auch nur zu bald seinen schlimmsten Argwohn bestätigt, und den armen Teufel von Zimmermann in der wirklich traurigsten Lage von der Welt. Als er ihm aber das Tuch vom Gesicht band und den Knebel aus dem Mund zog, war es gerade als ob er den Stöpsel aus einer Flasche Weißbier gezogen hätte, denn wie aus dieser der Schaum, so sprudelten aus dem endlich befreiten Munde des Gebundenen jetzt eine wahre Unzahl von Flüchen und Verwünschungen – die alle hier so lange festgestopft gesessen hatten – in solcher Schnelle und Kraft heraus, daß der Steward im ersten Moment wirklich vergaß seine Hände zu lösen, und nur ganz erstaunt und verdutzt neben ihm stand und ihn ansah.
Durch den Lärm munter gemacht, wachte auch der Deutsche auf, und sah aus seiner Coye. Ueber diesen fielen sie nun Beide her und wollten von ihm erfahren, was aus den anderen geworden, und wo sie sich aufhielten. Er wußte von gar nichts – hatte keinen Menschen weggehen hören oder irgend etwas mitgetheilt bekommen, was die Absicht der Entlaufenen betreffen konnte. Er war spät an Bord gekommen, sehr müde gewesen, gleich eingeschlafen und in diesem Augenblick durch das gotteslästerliche Fluchen des Zimmermanns zum erstenmal aufgewacht.
Aus ihm war auch nicht das mindeste herauszubekommen, und dem Steward lag jetzt die höchst unangenehme Pflicht ob, den Capitän von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, damit dieser augenblicklich seine Maaßregeln darnach nehmen könnte. Er ging in die Cajüte hinunter, zog seine Jacke an, strich sich die Haare aus dem Gesicht und trat zu des Capitäns Coye.
»Capitän Oilytt«, sagte er, als er ihn am Arm faßte und leise schüttelte.
»Brandy hot«, antwortete der Capitän – »der Teufel soll das Ale holen, das brennt wie Feuer.«
»Capitän Oilytt«, wiederholte der Steward. – Wär' er ein Zauberer gewesen, er hätte den Capitän einmal vor allen Dingen einige tausend Jahre so fortschlafen, und nachher in einer kühlen Grotte mit einer wunderschönen verwunschenen Prinzessin wieder aufwachen lassen. So aber konnte er das nicht, und schüttelte ihn noch einmal etwas stärker als das erstemal.
»Sieben Schilling Sixpence« lautete diesmal die hartnäckige Antwort, die sich wahrscheinlich auf irgend eine gestern bezahlte Zeche bezog – »lieber Gott!« – und ein tiefer Seufzer folgte.
»Ja jetzt ruft er den lieben Herrgott an, wenn er nicht weiß was er spricht« – brummte der Steward leise vor sich hin, »und wenn er nachher aufwacht und zur Besinnung kommt, flucht er wie ein Heide. – Und wenn er nur blos noch fluchte. – Ich muß ihn aber wahrhaftig wecken.«
Diesmal wich der tiefe Schlaf dem stärkeren und entschlossenen Schütteln des Dieners, und der Capitän fuhr, die Augen weit aufgerissen, in seinem Bett in die Höhe.
»Was zum Donnerwetter gibts nun?« rief er ärgerlich aus – »kann man denn in des drei Teufels Namen nicht einmal ruhig schlafen bis es Tag ist, daß du Einen mitten in der Nacht herausrütteln mußt? – was ist los? – na? – wird's bald?«
Der Steward, der bis dahin gar nicht hatte zu Wort kommen können, sagte jetzt schnell:
»Capitän Oilytt, die ganze Mannschaft ist fortgelaufen – der Koch und der ganze andere Schwarm. – Nur der Zimmermann und Hans – der eine Deutsche – sind noch an Bord.«
Der Capitän war mit einem Satz aus seinem Bett und mit einem zweiten in seinen Hosen, während er eine wahre Sündfluth von Flüchen ausströmte. Damit wurde die Sache aber um kein Haarbreit geändert. Natürlich hatten der Zimmermann und der Steward die alleinige Schuld, und der zurückgebliebene Deutsche, als der Capitän wie ein Wüthender nach vorn gefahren war, sollte nun gezwungen werden zu beichten. Er wußte aber, dabei blieb er trotz allen Drohungen und Versprechungen – von gar nichts. Er hatte die ganze Nacht, wenigstens von der Zeit an wo er an Bord gekommen, bis zu der wo der Steward den Zimmermann losband, geschlafen. Früher sei, wie er weiter erzählte, allerdings vom Fortlaufen die Rede gewesen, da er aber stets fest erklärt habe daß er nicht mit ginge, hätte man ihm diesmal, wie es schiene, gar nichts davon gesagt.
Der Capitän schäumte vor Wuth. – »Das kommt davon«, rief er, »daß ich mich mit dem verdammten fremden Gesindel eingelassen habe. – Hätte ich lauter Engländer gehabt, wäre das nicht geschehen. – Aber wartet, wartet Canaillen, Euch will ich ein Gericht einbrocken, auf das Ihr nicht gerechnet haben sollt, und hab ich Euch erst wieder, dann Gnade Euch Gott. Dann geb ich Euch mein Wort drauf, Ihr sollt Euch lieber in der Hölle als bei mir an Bord wünschen. – Und du Steward, vor allen andern, du verdientest überhaupt, daß ich dich an die Railing binden und dir 25 aufzählen ließ – du – Holzkopf du.«
Und damit schoß er wie ein Pfeil in seine Cajüte hinunter, in seine Kleider hinein und dann an Land, die Anzeige bei der Wasserpolizei von den Entflohenen zu machen und eine Belohnung auf ihren Fang zu setzen.
Kaum war er aber fort, und ehe sich der Steward noch von dem ersten Erstaunen über die entsetzliche Drohung erholen konnte, so kam der erste Mate schon auf ihn zu, faßte ihn am Kragen und überschwemmte ihn mit einer wahren Fluth von Schimpfreden.
»Du Lump!« – rief er, »bist der einzige der die ganze Geschichte zu verantworten hat. – Warum hast du nicht aufgepaßt, – heh? – was zum Donnerwetter hast du denn sonst auf der Welt zu thun? – wozu bist du nütz?« –
Nach diesem Ausbruch innerer Gefühle stieg er an Deck und lief eine gute Stunde das Quarterdeck auf und ab. Der Steward fing indessen an die Tische unten abzuwischen. Er hatte aber noch nicht einen fertig, als der zweite Mate ebenfalls den Kopf hereinsteckte.
»Du bist doch das nichtsnutzigste miserabelste Stück Takelwerk am ganzen Bord«, sagte er, und sah den Steward an als ob er ihn mit Haut und Haaren, und ohne Pfeffer und Salz verschlingen wolle. – Damit schlug er die Thür wieder zu und ging ebenfalls an Deck. Er war die halbe Nacht an Land gewesen, und erst um Mitternacht an Bord gekommen.
Der Steward aber setzte sich mit dem Abwischtuch in der Hand am Tische nieder, schüttelte in einem fort mit dem Kopf und murmelte leise vor sich hin.
»Na, nu wird's Tag – ich habe die Schuld – ich bin die alleinige Ursache, daß die anderen fortgelaufen sind. – Natürlich – wenn ich nicht meine zwei Stunden geschlafen hätte, wo die anderen auf Wacht waren, hätte das alles nicht geschehen können. Na, das wird eine schöne Reise werden – ich glaube wahrhaftig, es wäre das Beste ich liefe auch fort – nachher wär ich denn doch neugierig wer die Schuld davon hat – ich wieder; natürlich. Und wieder kriegen? – wenn sie die wieder kriegen freß' ich sie – alle zusammen.« Und mit diesem kannibalischen Entschluß stand er auf und begann seine Arbeit auf's neue.
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Auf deutschen Schiffen heißt dasselbe in verdorbenem Englisch »Scheilicht.«