Читать книгу Aus dem Matrosenleben - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 6
Sechstes Capitel.
Sydney im Dunkeln
ОглавлениеEine ganze Woche war verflossen, und noch immer lag der Boreas an seinem alten Platze am Werft, ohne, trotz der darauf gesetzten Belohnung, einen einzigen von seinen Leuten wieder bekommen zu haben. Natürlich konnte er, mit einem Mann an Bord, auch nicht in See gehen, und andere Matrosen waren ebenfalls nicht zu bekommen. Der Capitän hatte schon, der schlechten Behandlung seiner Leute wegen, einen solchen Namen in Sydney bekommen, daß niemand mit ihm segeln wollte und der Goldschwindel machte überdies die Leute die extravagantesten Preise fordern.
Natürlich mußte er unter der Zeit Arbeiter annehmen, die an Bord nothwendigen Geschäfte zu verrichten, und an diese ebenfalls sehr theuren Lohn bezahlen; das ging aber freilich alles aus der Tasche der weggelaufenen Leute und zwar von dem ihnen gut stehenden Geld was sie an Bord zurückgelassen – vorausgesetzt, natürlich, daß man sie wieder bekam. Wurden sie wieder eingefangen, so hatten sie die Arbeiterkosten für fremde Hülfe, wie selbst den auf ihr Einfangen gesetzten Preis von dem ihnen noch gut stehenden Geld, oder von ihrer nächsten Reise – und wenn die nicht zulangte, von der nächstfolgenden – zu bezahlen.
Die Wasserpolizei war indessen, wie sie sagte, sehr thätig gewesen die Leute wieder einzubringen, oder wenigstens auf ihre Spur zu kommen, doch ohne Erfolg. Es war erst ein Pfund Sterling auf den Kopf gesetzt, und man konnte nicht gut erwarten, daß sie sich den Preis muthwillig verderben sollten, da er mit der Zeit von selber steigen mußte.
Der Capitän hoffte indessen das meiste von dem Sonnabend Abend, wo sich die Matrosen in Sydney gewöhnlich am freisten gehen lassen und, wenn sie erst einmal ins Trinken kommen, nicht mehr die sonst kaum vergessene Vorsicht gebrauchen, die Straße oder alle öffentlichen Häuser zu vermeiden. Von vielen anderen Schiffen war ebenfalls die Mannschaft fortgelaufen, und die ganze Wasserpolizei sollte an diesem Abend auf den Beinen sein. Die beiden Steuerleute des Boreas hatten sich ebenfalls erboten mit den Steuerleuten noch zweier anderen Schiffe, je zwei mit einem Polizeidiener zu gehen, um, falls sie einen der Ihrigen treffen sollten, ihn gleich zu kennen und festhalten zu können.
Um sieben Uhr setzte sich der ganze Zug in Bewegung, zerstreute sich aber bald nach verschiedenen Richtungen hin, um mehrere Stadttheile auf einmal durchstreifen zu können, und man bestimmte nun einen Platz am entferntesten Ende der Stadt, wo man sich um 12 Uhr Nachts treffen und die gemachten Beobachtungen mittheilen wollte. Bis ein Uhr Morgens ist es auf den Straßen stets lebendig.
Der erste Mate vom Boreas, der zweite von einer anderen englischen Barke und ein Polizeidiener nahmen den oberen Theil der Stadt Georgestreet, Pittstreet und was dort in der Nähe lag, obgleich in Georgestreet, als der Hauptstraße der Stadt, wohl kaum einer der Weggelaufenen anzutreffen sein mochte. Sie wagten sich schon nicht in diesen Stadttheil, wo eine so zahlreiche Menschenmenge fortwährend hin- und wiederströmte, und zwischen diesen leicht jemand sein konnte der sie kannte und den Händen der überall postirten Constabler übergab. Nichtsdestoweniger gingen die drei Männer Georgestreet hinauf und bogen dann oben links ab, durch Liverpoolstreet in Pittstreet hinein, vor allen Dingen einmal das »goldene Kreuz«, was ihnen als der frühere Hauptaufenthaltsort der Leute des Boreas beschrieben war, zu revidiren.
Es war noch zu früh am Abend um schon viel Gäste in den Wirthshäusern anzutreffen; die meisten wanderten noch in der Nähe des Markthauses und durch den Markt auf und ab, und erfreuten sich des schönen mondhellen Abends. Dennoch saßen etwa zehn oder zwölf Männer, meistens Matrosen, an den verschiedenen Tischen, und in einem der kleinen Verschläge, wo zwei Seeleute ihre beiden Mädchen mit hineingenommen hatten und ihnen dort zutranken, ging es besonders lustig und auch laut zu.
Der Mate vom Boreas warf einen schnellen aber forschenden Blick über sämmtliche Gäste hinüber, und trat auch in das kleine »Privatzimmer«, in das er indiscret genug und, von einem »what do you want« der darin Sitzenden angeschnauzt, hineinschaute, konnte aber kein bekanntes Gesicht entdecken. Mrs. und Mr. Mac Carther warfen sich übrigens einen Blick zu, den sie beide zu verstehen schienen, und die »Dame« wandte sich dann mit der größten Freundlichkeit an die Neuangekommenen, und frug was sie zu trinken wünschten. Sie ließen sich eine Flasche Porter und drei Gläser geben, und setzten sich an einen der Tische.
Polly ging ab und zu, und schien besonders mit dem Polizeidiener, einem jungen, hübschen und schlanken Mann, gut bekannt zu sein. Als Mr. Mac Carther die zweite Flasche auf den Tisch setzte, stand der junge Mann von der Wasserpolizei auf und ging hinaus – wenige Minuten darauf folgte ihm Polly – sie standen beide in der offenen Hausthür.
»Polly«, sagte der Polizeidiener, und hob ihr mit dem rechten Zeigefinger das Kinn empor – »wo sind die Leute vom Boreas, die Ihr versteckt habt?«
»Die Ihr versteckt habt?« sagte das Mädchen schnippisch und schnell, und schlug den Finger mit der verkehrten Hand weg – »die Ihr versteckt habt? – was gehen mich die Leute vom Boreas oder irgend einem anderen »aß« an, und was hätt' ich davon, Matrosen zu verstecken? – Wenn Ihr mir weiter nichts zu sagen habt, Mr. Naseweis, dann seid so gut und laßt mich ein andermal zufrieden.« Und damit wollte sie sich von ihm losmachen und wieder ins Schenkzimmer gehen. Charles, wie der junge Mann hieß, faßte aber ihre Hand und sagte schmeichelnd: – »Sey nicht närrisch, Polly – du verstehst wie ichs meine, und daß ich recht gut weiß wie du selber nichts damit zu thun hast – obgleich mir Gerüchte zu Ohren gekommen sind von einem jungen Franzosen der –«
»Charles«, sagte das Mädchen, und schien ernstlich böse zu werden, »du hast es heut Abend ordentlich darauf angelegt mich zu ärgern, und ich antworte dir keine Sylbe weiter.«
»Was das betrifft, mein Schatz«, lachte der andere, während er jedoch die Hand des Mädchens noch immer fest dabei hielt – »so hast du mir auch noch gar keine Sylbe geantwortet. – Ich weiß aber, daß du ein vernünftiges Mädchen bist – du hast mir davon schon zu viele Proben gegeben, so laß uns denn auch ohne weitere Umschweife ein vernünftiges Wort miteinander reden. Auf das Einfangen der Leute vom Boreas wird in der nächsten Woche, wenn der Capitän erst einmal weg muß, ein sehr bedeutender Preis gesetzt werden – wenn du die Hälfte davon verdienen kannst, wirst du doch vielleicht zusehen, ob du mir ein oder das andere von Mr. und Mrs. Mac Carther herausbekommen kannst?«
»Du glaubst doch nicht etwa«, fiel ihm das Mädchen rasch in die Rede, »daß Mr. und Mrs. Mac Carther weggelaufenen Matrosen in ihrem eigenen Hause …«
»Gott bewahre«, unterbrach sie Charles lachend »da sind sie beide viel zu vernünftig dazu, als daß sie sich einer solchen Gefahr aussetzen sollten – es stehen 50 Pfund Sterling Strafe darauf. – Nein, aber sie – haben doch manches – oh hol's der Henker, du bist klug genug, und dir brauch ich doch weiter keine Erklärung zu geben.«
Das Mädchen sah einen Augenblick vor sich nieder und sagte dann leise –
»Wie hoch wird die Belohnung etwa sein?«
»Wie hoch? nun unter vier Pfund Sterling per Mann auf keinen Fall, wahrscheinlich aber sechs, und wie viel sind es gleich – vier, sieben – neun, nicht wahr?«
Das Mädchen sah zu ihm auf und schüttelte verschmitzt mit dem Kopf – die Falle war ein klein wenig zu plump gewesen. Charles mochte das auch wohl fühlen, denn er wurde bis über die Ohren roth, sagte aber gleich darauf lachend – »bitt' um Entschuldigung, ich hatte ganz vergessen, daß du gar nichts davon weißt. Doch genug für jetzt. Mir liegt selber nichts daran, daß wir sie heut Abend erwischen sollten, und sind sie in der Nähe, so thäten sie sehr wohl sich ein wenig von den Straßen oder aus den öffentlichen Trinkhäusern zu halten, sie könnten sich sonst leicht morgen an einem Orte finden, auf den sie Heute schwerlich gerechnet haben. Also good bye, Polly, sei ein gut Mädchen und halte die Augen offen.«
Damit trat er mit ihr in den dunklen Gang zurück, zog sie etwas näher an sich und – doch es war zu dunkel etwas weiter zu erkennen. Als aber gleich darauf die Thür aufging, stand Charles vorn im Haus, und Polly kam, allem Anschein nach eben vom Hof, und trat in die Schenkstube.
Als Charles wieder in die Stube kam, hatten die beiden Steuerleute schon die Zeche bezahlt und sich zum Fortgehen gerüstet. – Sie hielten sich erst einmal vor allen Dingen nach der Rowson oder Rosenstraße hinüber, wo ein freier eingezäunter Platz die eine Reihe Straßen begrenzt und die Matrosen, in der Nähe zahlreicher verrufener Häuser gern umherschlendern. Obgleich sie aber manchen von diesen begegneten, und alle scharf ins Auge faßten, war doch keiner der rechten darunter. Einmal freilich glitt eine dunkle Gestalt rasch und flüchtig vor ihnen hin, verschwand aber auch gleich darauf durch die dort hohe Pallisadenfenz, in eine kleine Thür, die sich hinter ihm schloß. Es war dies kein öffentliches oder Kosthaus, und der Polizeimann hätte erst einen »warrant« ausnehmen müssen, ehe er ein Privathaus untersuchen durfte. Oft blieb Charles aber eine kurze Strecke zurück, und flüsterte hie und da mit einer, im Schatten irgend eines niedern Hauses, neben einem erleuchteten Fenster stehenden weiblichen Gestalt – er schien mit allen Winkeln und Höhlen der ganzen Stadt bekannt zu sein.
Es war etwa neun Uhr als sie nach Pittstreet zurückkamen; hier hatte sich indessen manches verändert, und die im Anfang noch ziemlich öde Straße wimmelte jetzt, besonders in der Nähe des Theaters, von Menschen. Dem Theater gerade gegenüber sind eine Anzahl kleiner Spelunken oder Trink- und Tanzhäuser nur von liederlichen Dirnen besucht, zu denen sich die Menschen förmlich drängten. Unsere drei Wanderer traten ebenfalls ein, und zwar zuerst in das bedeutendste, das sogenannte »Shakespeare Haus.«
Unten befand sich die sogenannte Bar – ein Schenktisch mit den dazu gehörigen Vorräthen von Flaschen und Gläsern; dahinter ein kleines Zimmer für solche die ruhig ein Glas Bier trinken wollten. Beide Locale waren aber fast leer von Gästen, und doch sollte dies Haus ungemein großen Absatz haben. Außer diesen beiden Zimmern hatte es aber auch noch andere Räume. Gleich neben der Bar, von dieser nur durch eine Mauer getrennt, und mit einem aparten Eingang von der Straße, ging eine schmale Treppe in die erste Etage hinauf, wo der ganze Raum in zwei große Locale getheilt war. Das eine war ein hoher Saal, dessen äußerstes Ende ein statuenartig und lebensgroß gemaltes Bild Shakespeare's zierte.
Der große Dichter stand aufrecht da und überschaute mit einem merkwürdigen Zug unendlicher Gleichgültigkeit das ganze wilde Treiben um sich her. Der Maler hatte in diesem Bild sicher eine schwere Aufgabe gelöst, und Shakespeare wenigstens an Gestalt, Kleidung und Gesichtszügen kennbar, zugleich aber auch mit einem so nichtssagenden faden Gesicht hingestellt, daß man dem Bild, da der Maler gerade nicht bei der Hand war, die erste beste Flasche hätte an den Kopf werfen mögen. Rings an den übrigen Wänden waren Scenen aus Shakespeare's Werken, colorirt, dargestellt, mit gerade solchen Gesichtern als sie der Shakespeare geschaffen haben würde. – Der Sturm und Romeo und Julie, König Lear und Fallstaff hatten besonders dazu herhalten müssen, und auf einem Bild stand eine lange schwarze Figur mit einem Barrett auf dem Kopf und einer Kegelkugel in der Hand, und sah ums Leben aus, als ob sie eben im Begriff wäre alle neun zu schieben. – Das sollte Hamlet sein.
Es war noch ziemlich leer im Saal; in der äußersten linken Ecke stand ein altes, abgepauktes Pianino wie ein Luftspringer auf einem Dorfe, der sich auf die Hände stellt und mit den Füßen an der Wand hinaufreicht. – Vor diesem saß ein junger Mann, der Horn an den Fingern haben mußte, denn er schlug unablässig eine alte Polka von vorn bis hinten durch, und fing, wenn er hinten fertig war, vorn wieder an. Neben ihm stand ein kleiner Junge mit einer Violine, der ihn zu begleiten suchte, aber nicht mit kommen konnte. Allerdings hielt er ziemlich Tact mit ihm, aber er konnte ihn nur nicht einholen. – Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, die Augen traten ihm aus dem Kopf, die Finger gingen in rastloser Hast auf den gequälten Saiten auf und nieder, aber vergebens – zwei Noten war er regelmäßig hinter ihm. Hätte der Clavierschläger nur eine Secunde gewartet – nur den Gedanken einer Secunde – aber nein – vorwärts, unaufhaltsam vorwärts ging es, wie die wilde Jagd – kein Rückblick, außer für die, denen das Gesicht auf den Nacken gedreht war – und der Violinspieler gab die Verfolgung endlich in Verzweiflung auf.
Rings an den Wänden hin standen Bänke und Sophas; unter der Shakespearestatue der beste, und auf diesem lag lang ausgestreckt ein junges wunderhübsches Mädchen in einem seidenen, oben hochanschließenden Kleid, unter dem die kleinen zierlichen Füße nur eben mit den Spitzen hervorschauten. Ihre Beschäftigung war, wie sich das unter einer Shakespearestatue auch gar nicht anders denken läßt, eine rein geistige – sie schlürfte ein Glas Brandy und Wasser, und stellte das Glas als sie es ausgetrunken der Bequemlichkeit wegen vor sich auf die Erde nieder.
Auf den anderen Sophas und Bänken saßen viele andere Mädchen und junge Leute – von den ersteren einige sehr elegant gekleidet, mit Hüten und Schleiern und großen Shawls, andere wieder mit schlicht zurückgekämmten Haaren und kattunenen Kleidern. Ebenso großer Unterschied war bei dem männlichen Geschlecht, von dem feingekleideten Stutzer bis, in einzelnen Fällen, zum einfachsten Matrosen herunter, so standen, saßen und lehnten sie in den buntesten und verschiedenartigsten Gruppen umher. – Nur der eine Unterschied war doch wohl, daß die Mädchen alle einem bestimmten jugendlichen Alter angehörten, während sich unter den Männern auch sogar einige aus dem »besten« befanden, die mit noch recht jugendlichem Anstand scheinbar theilnahmlos hin- und herwanderten, oder an einem der Tische ihren »Portwein St. Gris« sippten.
Der Tanz hatte aber noch nicht begonnen – der verzweifelte Wettlauf der beiden Musici schien nur erst eine Vorübung gewesen zu sein.
Unsere drei Freunde fanden hier übrigens nicht was sie suchten, und Charles meinte, sie wollten lieber später noch einmal hierher zurückkehren, und erst nebenan in die anderen Locale hineinsehen. Es sei wahrscheinlicher, daß sich einzelne der Leute, wenn sie sich überhaupt in ein öffentliches Local getraut, eher dort als hier aufhalten würden.
Ehe sie übrigens die Treppe wieder hinuntergingen, traten sie noch einen Augenblick in das nach vorn hinaussehende Zimmer. Drei junge Mädchen saßen hier an dem mittleren Fenster und schauten nach dem gegenüberliegenden Theater hinüber; ein paar andere lehnten in verschiedenen Sophaecken und schienen zu schlafen, und an dem Tisch stand eine sechste im eifrigen aber leise geführten Gespräch mit einem jungen Mann, der sehr elegant gekleidet war, und augenscheinlich den höheren Ständen angehörte.
Hier war weiter nichts für sie zu thun – sie stiegen die Treppe hinunter, bogen rechts ab, und traten in das erste Local hinein, das sie drei oder vier Thüren weiter hin fanden. Wilder Lärm tönte ihnen schon bei ihrem Eintritt entgegen, aus dem Saal hinter der Bar kreischten die schrillen Töne einer Violine hervor, und kaum hatten sie diesen Platz betreten, als sie auch in eine wahre Wolke von Tabaksqualm und Brandygeruch eingehüllt waren.
Alle drei hatten aber schon in ihrem Leben weit schlimmere Dinge mitgemacht, und bewegten sich in diesem Chaos wie in ihrem Element. In der That gingen auch all diese äußeren Eindrücke spurlos an ihnen vorüber, denn die männlichen Gäste bestanden fast einzig und allein aus Matrosen von all den verschiedenen Schiffen in der Bay, und die Dirnen, die sich zwischen ihnen herumtrieben, gehörten der verworfensten Classe an. – Auch lag der Platz weiter zurück und mehr getrennt von der Hauptstraße, und mehrere der Leute vom Boreas sollten in dieser Woche, und seit sie das Schiff verlassen, hier gesehen worden sein.
Charles rief den Barkeeper bei Seite und sprach eine kurze Zeit lang heimlich mit ihm. – Es war sehr wahrscheinlich, daß sich die Leute des Boreas nicht alle an Einem Ort aufhielten, besonders da sie von verschiedenen Nationen waren, und leicht möglich wäre es gewesen einen oder den anderen hier aufzutreiben. Der Barkeeper wußte aber von nichts; er schüttelte wenigstens höchst entschieden mit dem Kopf, und machte dabei fortwährend eine Bewegung mit seinem Körper, als ob ihn hinten jemand am Hosengurt gefaßt habe, denn eine Jacke trug er nicht, und aus Leibeskräften daran zöge. Nur der Respect vor dem Polizeidiener, den er, wenn auch in Civil, doch jedenfalls kannte, hielt ihn noch zurück.
»Ich bin sicher, daß hier Einer oder ein paar von den Burschen gewesen sind«, sagte Charles, als er zu den Steuerleuten zurückkam. – »Der Schuft erschrack, als ich es ihm auf den Kopf zusagte, und war gar so ängstlich bemüht, wieder von mir abzukommen. – Wir wollen fortgehen und nachher noch einmal einsprechen, dann aber gleich hinten in die kleine Kammer gehen, ehe sie uns vermuthen können.«
Zwei Häuser weiter war eine andere solche Kneipe – dort standen einige zehn oder zwölf Mädchen vor der Thür, und zankten sich und schimpften einander. Von der anderen Seite der Straße kamen mehrere Constabler herüber, und die Dirnen, die nicht arretirt sein wollten, traten rasch ins Haus, setzten aber hier den Streit in einer der Nebenstuben unerbittlich fort. Es waren meist noch junge Dinger von sechszehn bis achtzehn Jahren. Mehrere hatten aber schon blaugeschlagene Augen – die Folgen eines früheren Gefechts, vielleicht vom letzten Sonnabend Abend – viele trugen brennende Cigarren im Mund. Natürlich drängte sich dabei Alles um sie her, den fast stets in Thätlichkeiten ausartenden Scandal zu Ende zu sehen, und was nur von Matrosen in der ganzen Straße war, schien sich hier auf einmal concentrirt zu haben.
»Jetzt ist unsere Zeit« flüsterte Charles den beiden Steuerleuten zu. – »Stellen Sie sich beide an verschiedenen Seiten der Stube auf und betrachten sie sich vor allen Dingen die Gesichter der Hereinkommenden. – Die wieder hinaus wollen, müssen nachher immer bei mir vorbeidefiliren. Sehen Sie einen der Burschen, dann geben Sie mir nur ein Zeichen, und für das andere werde ich sorgen.« Er schlug dabei bedeutungsvoll auf seine Tasche, in welcher er ein paar, von der Regierung bezeichnete Handschellen, für ihn zugleich der eiserne Ausweis seiner Function, trug.
Der Streit im Innern nahm indessen einen immer bedenklicheren Character an. Die beiden Feindinnen hatten die Arme in die Seite gestemmt, und bliesen den Rauch ihrer Manillas in dicken Wolken von sich. – Es war das ein Zeichen sehr heftiger Gemüthsstimmung, und Beide gehörten jedenfalls dem verworfensten Theil der menschlichen Gesellschaft an.
»Und was thust Du überhaupt hier, Du gotteslästerliches Ding Du mit deinen großen Glotzaugen?« rief die eine jetzt, die Unterhaltung wie es schien auf ein anderes Feld überführend. – »Was hast Du hier zu suchen, als Dich unnütz machen und Scandal anfangen Du – Preisverderber Du –«
»Was ich hier thue?« schrie die andere aber, und schleuderte mit einem entsetzlichen Fluche ihre brennende Cigarre zur Erde nieder, während sie sich zu gleicher Zeit die Aermel in die Höhe streifte und zum nicht mehr zu vermeidenden Kampfe vorbereitete; sie hatte die Geduld verloren. – »Ich gehe meinem Broderwerb nach so gut wie Du – und wenn Dir das nicht genügende Auskunft ist, so will ich Dir meine andere mit rother Dinte in die Fratze zeichnen.«
»Go it Nelly – go it ye cripples – Hurrah für Sally – fünf Schilling auf Nelly« – schrieen mit einem wilden Gejauchze die umstehenden Matrosen, die einen festen Kreis um die beiden gebildet hatten.
»Vier Brandy hot«, schrie in diesem Augenblick der rothhaarige Kellner, und versuchte mit einem Präsentirteller und vier halb gefüllten Gläsern in das Zimmer zu dringen. Es wäre für ihn aber viel vortheilhafter gewesen, hätte er statt dem bestellten heißen Brandy, kalten gebracht, denn irgend einer von den fünfzig Ellbogen, die ihm in seiner nächsten Nähe entgegenstarrten, fuhr ihm – ob absichtlich oder unabsichtlich, wer kann das sagen – unter den Teller und sandte dem armen Teufel die ganze Ladung im wahren Sinne des Worts »über den Hals« und in das Vorhemdchen.