Читать книгу Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band. - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 1

Capitel 1.
Alte Erinnerungen und neue Schmerzen

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Ueber die See strich der Morgenwind leise und feucht, kräuselte die Wogen, die spielend, neckend nach ihm auflangten, und glitt dann rasch zwischen die Palmen am Ufer und in den fruchtschweren Wald, in dem er rauschte und flüsterte und Thau und Blüthen niederschüttelte aus dem blitzenden Laub. Bleigrau lag noch das Meer, und nur dunkle Schatten flogen über seine Fläche, wo der Wind sie faßte, herüber und hinüber drängend und oft im raschen Zug darüber hinstreichend. Nur am Himmel kündete der lichte Streif den nahenden Morgen, und sandte seine zuckenden Strahlen weit aus über den noch sternfunkelnden Himmelsdom, vor denen die Kinder der Nacht erblichen und scheu und furchtsam zurückwichen, dem Sonnengott Raum zu geben.

Und heran kam der, auf schnaubenden Rossen, wie vom Sturm getragen, und nicht langsam und zögernd, wie bei uns im kalten Nord – dem ersten Angriff folgend mit starker mächtiger Hand, scheuchte er die Nacht vor sich her, und seinem ersten dämmernden Nahen folgte auch schon der Siegeszug, mit dem er den flüchtigen Feind zu Paaren trieb.

Dunkel und blau lag das Meer, als der erste zündende Strahl darüber zuckte und die kleinen Wellen neugierig die Köpfe hoben, zuerst dem nahenden Gott in's Auge zu schauen; und ein blinkendes Netz warf er über sie aus, Gold und Purpur strahlend, und wie von einem Zauberstab berührt, glühte plötzlich das weite wogende Meer, jede Welle den blauen schlanken Nacken mit Diamanten überstreut und von Gold- und Silberadern dicht und leuchtend durchzogen. Und die Berge strahlten den Widerglanz zurück, die thaubedeckten Palmenkronen warfen den silbernen Regen nieder in Thal und Schlucht, und wie aufathmend in unendlicher Wonne und Seligkeit, strömte der Duft aus von all den Blüthenhainen, die tief versteckt im dunklen Laube ruhten, den Seewind rückwärts treibend, mit sanfter liebender Gewalt.

Ueber die Berge aber schaute der Sonnengott freundlich in's Thal, und grüßte die friedlichen Dächer alle, die tief versteckt im schattigen Laub lagen und ihn fürchteten den Gewaltigen. Nicht täuschte sie dabei der leise Kuß den er ihnen zuwarf wie er nur den Hain erreicht; – höher steigend und wachsend an Macht und Gewalt wäre der Kuß zum giftigen sengenden Pfeil geworden, der zündet was er erreicht und dorrt und brennt, und die Palmen hatten dann alle Hände voll zu thun, und mit allen Fasern den kühlen Lebenssaft aus dem feuchten Strand heraufziehen, das ihnen anvertraute Gut, die Wohnungen der stillen Menschen vor dem glühenden Strahl zu schützen und zu schirmen.

Und wie freundlich er da unten auf dem gelben Laub spielte, das hie und da den Boden bedeckte, wie er sich durch jede Zweigesspalte durchstahl und den saftigen Blättern schmeichelte und mit ihnen kos'te, ihn nur durchzulassen, ein kleines kleines wenig nur durchzulassen zu den Blüthen und Früchten unten, denen er Zucker bringen wollte und ein goldenes Kleid, und dann wunderliche Figuren mit ihren Schatten formte, und ihnen Zeichen und Bilder in die Haut grub zum Angedenken.

Welch freundliches Leben und Treiben in dem herrlichen Wald, und daß die Axt da kommen sollte mit gierigem Zahn, und die Palmen niederschlagen und Bäume, Felder zu bilden mit langen geraden Reihen, viereckige, eingezäunte Felder, dem Sonnenstrahl preisgegeben, der dann nicht spielend mehr zwischen den Zweigen kost, sondern verlangend sich an den Boden saugt und ihn hart und trocken zieht in gieriger Lust.

Aber fort mit dem traurigen Bild; noch rauschen die Bäume, noch flüstert der Morgenwind, der flatterhafte Geselle, den Blüthen allen seinen tollen Liebesunsinn vor, und unter dem Laub, die schönste Zierde des Hains, der Blumen eine die das Land gebar und die zu ihnen gehörte, zu den schlanken Palmen und duftenden Blüthen saß Sadie, und wie an den wehenden, raschelnden, wispernden Blättern der Banane, die ihre grünen Fächer schützend über sie breitete, der Thau in großen hellen Tropfen blitzte und funkelnd niederfiel in ihren Schoos, so hing an ihren Wimpern ein klares Thränenpaar und schwer und langsam sank es nieder zu dem Thau – anderen, schwereren Perlen Raum zu geben.

Sie war allein – nur das Kind spielte zu ihren Füßen, haschte nach den wechselnden Schatten die ein neckischer Strahl über ein hin- und herwehendes Blatt warf, oder suchte sich kleine blitzende Muscheln aus dem Korallenkies, der sich hier mit dem Boden vermengte – René hatte seine Heimath – zum ersten Mal seit sie mit ihm vermählt – schon vor Tag, und zwar durch Bertrand abgeholt, verlassen, in einer Stimmung verlassen, die ihr das Herz mit Sorge füllte – sie wußte selber nicht warum, und jetzt schnürte ihr eine Angst, der sie nicht Worte zu geben wußte, die Brust zusammen und die Thränen, die ihren Wimpern entfielen linderten den Schmerz nicht, der sie erzeugt, sondern brannten nur weiter in zündender, quälender Lohe.

So saß sie da, lange, lange Minuten, in ihrem Gram, die brennenden Augen in der Hand geborgen und die klaren Tropfen preßten sich gewaltsam Bahn, zwischen den zarten, zitternden Fingern durch, hinaus ins Freie. Aber immer ängstlicher wurde ihr dabei ums Herz, ein merkwürdig stechendes Gefühl zog ihr durch Scheitel und Hirn – sie athmete schwer und wie von einer heranprassenden Gefahr bedroht, die sie umgab und wenn auch unsichtbar bedrohte, schaute sie endlich verstört und bleich empor und sprang mit einem jähen Schrei auch auf von ihrem Sitz, denn vor ihr stand, mit auf der Brust gekreuzten Armen, den ernsten aber jetzt nicht strengen Blick fest und forschend auf sie geheftet, der Mann, der einst mit kalter starrer Hand hineingreifen wollte in ihre Liebe, in ihr Leben, und dem sie sich seit jenem Tag nicht mehr gegenüber gesehen – der Missionair Rowe.

Und was führte ihn jetzt zu ihr? – Sorge? Theilnahme? hatte sein starres unduldsames Herz verziehen? oder – wie Fieberfrost zog es ihr durch Mark und Bein wenn sie des fernen Gatten dachte und den stillen wehmüthig ernsten Blick des finstern Mannes so fest, so entsetzlich fest auf sich gerichtet sah.

»Um Gott! – was ist geschehen?« flüsterte sie endlich in kaum hörbaren, angstdurchzitterten Tönen – »wo ist René? – was ist vorgefallen ehrwürdiger Herr?« und das Kind, das auf dem Boden neben ihr gespielt und die schmerzlichen Laute der Mutter hörte, ihre Thränen sah, sprang auf und klammerte sich schreiend an ihr Knie, sich nur wieder beruhigend als es den Schutz fühlte, den ihre Nähe gab. Aber der ehrwürdige Mr. Rowe schüttelte mit dem Kopf und sagte ernst:

»Wenn Du eine Unglücksbotschaft fürchtest, meine Tochter, so beruhige Dich, denn sie kann nicht von mir ausgehen – ich weiß von keinem fleischlichen Leid, das Dich und die Deinen betroffen haben könnte. Aber nicht dem auch sind Deine Thränen geflossen,« setzte er wehmüthiger hinzu – »nicht die Furcht vor Krankheit oder Tod hat diese Wangen gebleicht, diese Augen geröthet – o Prudentia, sind das die Früchte unserer Lehren, das die freudigen Hoffnungen, die wir, Dein Pflegevater und ich auf Dein Wachsen und Aufblühen setzten? – ist das Versprechen Wahrheit geworden, das uns Dein kindlich frommer Sinn in früher Jugend gab, und pflegst Du so das Wort Gottes, das Dir, ein heiliger tröstender Stern hätte vorleuchten sollen auf der schweren Bahn der Prüfung die Du, nach dem Willen des Höchsten betreten, und der Du, ach, nach so kurzer, so entsetzlich kurzer Zeit schon erliegst?«

Sadie schwieg – das Herz war ihr schon überdies voll und schwer, und die Worte des Geistlichen schnitten nur noch tiefer ein in die Wunden. Auch der wehmüthige, fast liebende Ton den sie an ihm nie gewöhnt, drang ihr mit scharfem Schmerz in die Seele und wie das, was ihr in früher Jugend gelehrt und ihr Herz damals in voller ungetheilter Kraft erfüllt hatte, jetzt wieder, vielleicht stärker noch durch die Gestalt des damaligen strengen Lehrers, durch die Stimme selber zu Tag gerufen worden, deren Klänge in ihrer Erinnerung nie verwischt, nur geschlummert hatten, so stieg auch mit den Worten der mahnende finstere Geist auf und hob warnend die Hand und der Gedanke ich habe gesündigt wuchs, ein Furcht- und Schreckensbild, mit riesenhafter Schnelle vor ihrem inneren Auge empor und gab der Angst und Qual die sie an diesem Morgen schon gefühlt einen entsetzlichen und doch ihr unbewußt so falschen Ausdruck.

»Ach, ehrwürdiger Herr« flüsterte sie leise – »nicht aus eigenem Antrieb – Gott weiß es – betrat ich jenen Ort, und nicht wohl hab' ich mich darin gefühlt, zwischen den fremden Menschen.«

»Aber Du hast mit ihnen getanzt!« sagte traurig der Missionair und sein Auge haftete in ernster Wehmuth auf den bleichen Zügen der armen jungen Frau – »ihrer wilden zügellosen Lust mit der sie sich im Kreise schwingen, fremde Frauen in den Armen fremder Männer, hast Du beigewohnt, hast Theil daran genommen und wenn Du da glaubst, und Dir vorsprichst vielleicht, Dich vor Dir selber zu entschuldigen, Dein Herz sei noch frei von böser Absicht, bösen Wünschen – glaube es nicht! – Der Feind hat die Hand nach Dir ausgestreckt, die Du ihm, statt ihn mit frommem inbrünstigem Gebet und fleißigem Lesen in der heiligen Schrift, abzuwehren, willig – ja Prudentia – willig geboten hast. Der erste Schritt dazu war, als Du einem Manne folgtest, der dem wahren Glauben abhold, nie in das stille Heiligthum Deines Herzens hätte eindringen dürfen, eindringen können, wäre nicht grobe Sinnlichkeit und fleischliche Lust stärker in Dir gewesen als die Liebe zu Gott.«

»Ehrwürdiger Herr« bat Sadie.

»Es schmerzt mich« fuhr der Geistliche mit fast weicher Stimme fort »es schmerzt mich tief Dir weh thun zu müssen, Prudentia, denn ich habe Dich lieb gehabt, schon als kleines Kind, und Dein Wachsen und Gedeihen in so Gott wohlgefälliger Weise mit inniger Freude angesehen. Ich hielt es damals für meine Pflicht Dir entgegenzutreten als Du den ersten Fehltritt thun wolltest – der Herr hat es anders gelenkt, Sein Name sei gepriesen. – Aber nur eine Prüfung wollte er Dir auflegen, ob Du, das Kind dieser Inseln, die Du die Herrlichkeit Seines Namens von Seinen Dienern selber gehört, und sorgfältig aufgezogen warst, Sein Wort weiter zu verbreiten auf diesen Inseln, auch bestehen würdest auf dem rauhen Pfad des Lebens, wenn keine treue und sichere Hand Dich mehr führte und leitete auf Seinen Wegen zu wandeln. Alle, alle diese Hoffnungen sind dahin gestoben, wie Spreu im Winde – der erste Lufthauch der Lust, der Verführung, und Jahrelange Arbeit und Müh schwand dahin, als ob es ein Nichts gewesen wäre, ein todtes Blatt im Herbststurm, das dem Meere der Vernichtung entgegenweht. Und noch – jetzt noch ist es Zeit Dich zurückzuhalten, jetzt noch ist Rettung nicht unmöglich, wenn Du die mahnende Freundesstimme – die Stimme Gottes hören wolltest, die bittend, flehend zu Dir spricht, durch meinen Mund. Noch ist die elfte Stunde nicht vorüber – noch lacht Dir das Licht der Verheißung und es ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der reuig zurückkehrt in die Arme des Allliebenden, als über tausend Gerechte die da eingehn zur himmlischen Herrlichkeit.«

»Was kann ich thun?« klagte die arme Frau und faltete verzweifelnd die Hände auf dem Schooße »mein Gatte, mein Kind fordern mein Leben – ihnen gehört es, ihnen muß ich bleiben und sagt nicht selbst Gott in seinem Wort: Du sollst Vater und Mutter verlassen, und dem Manne folgen?«

»Dem Manne, aber nicht dem Feind« rief der Missionair zum ersten Mal wieder den alten unversöhnlichen Haß im Blick – »nicht dem Feind, Prudentia, der Dich mit süßen Liedern und rauschenden Klängen lockt. Du sollst dem Mann, der nun doch einmal Dein Mann geworden, in allem Guten folgen, aber nicht in Sünde und Finsterniß – und das nicht allein, Du sollst, Du mußt all Deine Kraft, all Deine Macht über ihn anwenden, ihn selber zurückzuhalten von dem, was ihm Verderben droht.«

»Was würde Vater Osborne sagen« fuhr er wieder mit weicherer leiserer Stimme fort, »wenn er Dich gestern in ihren Reihen, die Fröhlichste unter den Fröhlichen noch hätte sehen können?«

Sadie schüttelte traurig mit dem Kopf und seufzte tief auf.

»Wenn er Zeuge gewesen wäre, wie Du ihre Tänze tanztest und in ihren Armen den Abend verbrachtest, der in Gebet um Deinen Gatten, um Dein Kind hätte verfließen sollen. Prudentia – kannst Du noch beten?«

»Aus voller inniger Seele zu meinem Gott!« rief aber das arme Weib jetzt, dem bei den Worten eine Last von der Seele wälzte – »der Schein mag wider mich sein, und der Ausspruch der Menschen; aber Gott der mein Herz sieht und kennt, weiß mit wie wehmüthigem Gefühl ich dem Befehl, dem Wunsch meines Gatten gehorchte, Theil zu nehmen an den Lustbarkeiten der Fremden. Mir war nicht freudig dabei zu Muthe und nicht froh; ich passe nicht zwischen sie mit ihren fremden Sitten und Gebräuchen – mit ihren fremden Gedanken von recht und gut – mir ist nur wohl in meiner Heimath, bei meinem Kind und hätt' ich mein freundliches Atiu nicht verlassen dürfen, wie froh, wie glücklich, wie Gott dankbar hätte ich leben wollen.«

»Ich komme jetzt von Atiu« sagte Mr. Rowe leise.

»Von Atiu?« rief Sadie rasch und bewegt die Hände faltend – »von – von Atiu;« setzte sie langsamer und mit kaum hörbarer Stimme hinzu – »von meinem Atiu – und haben sie meiner freundlich noch gedacht?«

»Bruder Ezra hat mich begleitet« sagte der Missionair ohne direkt auf ihre Frage zu erwiedern – »denn der jetzigen inhaltschweren Verhältnisse wegen ist eine Zusammenkunft von allen solchen Männern wenigstens nöthig geworden, die irgend eine vorragende Stellung auf den verschiedenen Inseln einnehmen, dort etwa auftauchendem Französischem Einfluß zu begegnen. Die Mutterkirche in England scheint theilnahmlos unserem Kampfe zuschauen zu wollen, und wir müssen ihr jetzt zeigen über welche Kräfte wir zu gebieten haben, und ob nur einige wenige, der christlichen Religion gewonnene Häuptlinge ihren Schutz verlangten, oder ein starkes zahlreiches Volk, das ein Recht hat, ihre Hülfe zu beanspruchen.«

»Mi-to-na-re« flüsterte die junge Frau, unter Thränen lächelnd leise vor sich hin – »Mi-to-na-re.«

»Ja Prudentia – dort allerdings war eine schöne Zeit für Dich« sagte der Geistliche, mit ernster Theilnahme den Faden auffassend, der an ihre Erinnerung knüpfte – »und Gottes Hand lag liebend auf Deiner Heimath, seinen Segen spendend zu jeder Stunde die mit Glück und heiliger Ruhe Deine Brust erfüllte. Keine Reue über eine einzige verfehlte Stunde – keine Furcht vor einem einstigen Strafgericht erfüllte da Dein Herz – der aufkeimenden Sünde wehrten die Männer, die ihre Lieben daheim, ihr Vaterland verlassen hatten, Dich und die Deinen einem ewigen Leben einer einstigen Glückseligkeit zu gewinnen, indem sie die heidnischen Gräuel zerstörten, die diese Wälder und die Herzen ihrer Bewohner füllten, und Gottes Vaterhuld spannte seinen blauen Himmelsdom liebend über ein glückliches Land. Da kam der Versucher und Du erlagst.«

»Ehrwürdiger Vater« bat Sadie.

»Fürchte nicht, mein Kind, daß ich in dieser Stunde gekommen bin Dir Vorwürfe zu machen über Vergangenes; es ist geschehen – ich streckte meine Hand aus Dich zu retten, aber Du stießest sie zurück, und wenn ich Dich auch, durch die Verhältnisse gezwungen, eine Zeitlang Deinem Schicksal überlassen mußte, habe ich Dich doch nicht einen Tag nur aus den Augen verloren Prudentia, und keineswegs die Hoffnung aufgegeben, Deine Seele ihrem Erlöser zu retten – ja ich fürchte fast, wieder zu gewinnen.«

»Aber was kann ich – darf ich thun?« frug Sadie in peinlicher Angst – »meinem Gatten gehört mein Leben, mein Glück – selbst unsere Religion gebietet uns ihm zu gehorchen.«

»Willst Du seinen Leib oder seine Seele retten?« frug der Priester mit finsterer, fast tonloser Stimme.

»Seinen Leib?« rief Sadie – der mit Blitzesschnelle der neue Gedanke an Gefahr des Gatten durch die Seele zuckte – »seinen Leib? was droht ihm? – was soll ich retten – o sprecht um des Heilands Willen, was ist geschehen?«

»Thörichtes Kind« sagte aber der fromme Mann kopfschüttelnd und seufzend auf sie nieder schauend – »thörichtes blindes Kind, das hoffend und träumend, in sündhafter Sorglosigkeit in die Welt hineingelebt hat, und die wetterschwangere Wolke, die droben furchtbar am Himmel droht, nicht sieht – oder nicht sehen will. Nicht von dem Einzelnen spreche ich, der leichtsinnig die Rache seines Gottes herausfordert durch verstocktes Anhängen am Götzendienst, mit dem sich die Frevler hier Bahn gebrochen haben durch der Waffen Gewalt – nicht der Einzelne ist es, der den strafenden Schlag des Allmächtigen zu fürchten hat – »Ich will meine Pfeile mit Blut trunken machen,« spricht der Herr – »und mein Schwert soll Fleisch fressen über dem Blut der Erschlagenen, und über dem Gefängniß und über dem entblößten Haupt des Feindes. – Jauchzet Alle, die Ihr sein Volk seid, denn er wird das Blut seiner Knechte rächen und wird sich an seinen Feinden rächen und gnädig sein dem Lande seines Volks – Nun will ich mich aufmachen spricht der Herr – nun will ich mich erheben, nun will ich hoch kommen, denn die Völker werden zu Kalk verbrannt werden, wie man abgehauene Dornen mit Feuer ansteckt – Und der Herr ist zornig über alle Heiden, und grimmig über Alles ihr Herr – er wird sie verbannen und zum Schlachten überantworten und ihre Erschlagenen werden hingeworfen werden daß der Gestank von ihren Leichnamen aufgehen wird, und die Berge mit ihrem Blut fließen.«

»Allerbarmer!« rief Sadie und barg zusammenschaudernd ihr Antlitz in den Händen, dem furchtbaren Bilde zu entgehen, das der finstere Mann vor ihr heraufbeschworen.

»Allerbarmer ja!« sagte der Priester in langsamem und tiefem Ton – »ja, bis zum letzten Faden seiner Gnade und Barmherzigkeit – dann aber auch der Rächer und furchtbare Richter, mit dem Schwert seines gewaltigen Zornes und dem Eisen seiner Allmächtigkeit. Sein Arm ist furchtbar und die Welt zittert wenn er den Finger hebt.«

»Aber Gott kann nicht den Untergang Aller wollen« bat Sadie – »er sieht die Herzen und weiß die Schuldigen von den Schuldlosen zu trennen – o wäre Vater Osborne hier, daß er seinem armen Kinde Trost spendete und Rath in der entsetzlichen Noth.«

»Nur im Gebet liegt Beides« erwiederte streng und ernst wie je, der Geistliche – »bete Tochter, verlorenes Lamm der Heerde – bete. Bete zu dem Allmächtigen daß er Deiner Stimme Kraft verleiht, zu dem Ohr des Gatten zu dringen, daß er Deinem Herzen die Stärke giebt, auszuhalten in dem schweren Werk und Seinem Pfad zu folgen, trotz allen Irrgängen des Versuchers. Noch ist der Böse mächtig in Dir, aber der Herr wird Dich beugen und niederwerfen in den Staub, wenn Du Dich am sichersten glaubtest vor Seinem Arm – so bete, bete daß Er die Fasern Deines Herzens zum Lichte wende und Seine Hand über Dich halte, Dich zu schirmen und schützen in dem nahen Kampf.«

Und wie von dem Geist berührt von dem er sprach, warf er sich plötzlich neben der Trauernden, die mechanisch seinem Beispiel folgte, auf die Knie nieder, und die Augen schließend und die fast krampfhaft zusammengefalteten Hände zum Himmel aufhebend rief er mit lauter wehdurchschauerter und das Herz des Weibes wie mit scharfer Waffe treffender Stimme in dem Psalm Assaphs:

»Herr es sind Heiden in Dein Erbe gefallen – die haben Deinen heiligen Tempel verunreinigt und aus Jerusalem Steinhaufen gemacht.

»Wir sind unseren Nachbarn eine Schmach geworden, ein Spott und Hohn denen, die um uns sind.

»Herr wie lange willst Du so gar zürnen, und Deinen Eifer wie Feuer brennen lassen?

»Schütte Deinen Grimm aus auf die Heiden, die Dich nicht kennen, und auf die Königreiche, die Deinen Namen nicht anrufen.

»Denn sie haben Jacob aufgefressen und seine Häuser verwüstet.

»Gedenke nicht unserer vorigen Missethat, erbarme Dich unserer bald, denn wir sind fast dünne geworden;

»Hilf uns Gott, unser Helfer, um Deines Namens Ehre willen; errette uns und vergieb uns unsere Sünde um Deines Namens willen.

»Warum lässest Du die Heiden sagen »Wo ist nun ihr Gott?

»Laß unter den Heiden vor unseren Augen kund werden die Rache des Blutes Deiner Knechte, das vergossen ist.

»Laß vor Dich kommen das Seufzen der Gefangenen; nach Deinem großen Arm behalte die Kinder des Todes,

»Und vergilt unsern Nachbarn siebenfältig in ihren Busen ihre Schmach, damit sie Dich, Herr, geschmähet haben.

»Wir aber, Dein Volk und Schaafe Deiner Weide, danken Dir ewiglich und verkündigen Deinen Ruhm für und für!«

Langsam erhob sich der Priester nach dem Gebet der Rache an den Allerbarmer und stand noch viele Minuten lang, mit fest auf der Brust gefaltenen Händen neben der knieenden Frau; aber Sadie regte sich nicht – das Antlitz in den Händen über den Stuhl hingebeugt, lag sie in heißem brünstigen Gebet und nur das heftige Wogen ihrer Gestalt, der heiße rasche Athem der sich ihrer Brust entrang, verrieth das Leben, das Leiden der Armen.

Der ehrwürdige Mr. Rowe schaute mit ernstem fast wehmüthigem Blick auf die Betende nieder und legte dann seine beiden Hände leise und wie segnend auf ihr Haupt. Sadie fühlte die Berührung und zuckte unter ihr zusammen, aber sie blieb regungslos in ihrer Stellung.

»Prudentia« sagte Bruder Rowe leise – »Prudentia!« – aber keine Antwort wurde ihm, und nur fester schien die Weinende das Antlitz in ihren Händen begraben zu wollen. »So sei Gott mit Dir!« sagte der fromme Mann, seinen Hut ergreifend, den er daneben auf den Tisch gestellt – »so sende er Dir sein Licht und seine Gnade – er lasse sein Angesicht leuchten über Dir und gebe Dir seinen Frieden!«

Sich dann wendend, verließ er mit leisen Schritten das Haus, ging langsam durch den Garten, an dessen Thüre ein Insulaner halb auf der Lauer, halb auf ihn wartend, gestanden hatte und folgte der Broomroad, die nach Papetee hinunter führte.

Seine etwas lange und hagere Gestalt war aber noch nicht ganz hinter den, diesen Theil der Hecke bildenden Papayen verschwunden, als aus der ziemlich dichten Orangenlaube die nahe zum Hause stand, eine kleine wohlbeleibte Figur, ganz das Gegentheil des mageren Geistlichen, vortauchte, und dessen Entfernung mit augenfälliger Aufmerksamkeit und fast wie mißtrauisch beobachtete. Der hier jedenfalls versteckt Gewesene schien sich auch gar nicht damit zu beruhigen daß der also Bewachte seinen Weg die Straße entlang bis außer Sicht fortsetzte, sondern er verließ ebenfalls den Garten und folgte dem Andern zuerst eine kurze Strecke auf dem Weg, und dann, als er eine kleine Anhöhe erreichte, von der er einen ziemlichen Ueberblick gewann, noch eine ganze Zeitlang mit den Augen, bis er wirklich in weiter Ferne hinter einer Biegung der Straße verschwunden war. Erst dann schien er sich vollkommen sicher zu fühlen und eilte jetzt mit raschen Schritten und Freude strahlenden Augen zum Haus zurück, dessen Thüre noch, wie sie der Geistliche verlassen, halb geöffnet stand. An der Schwelle aber blieb er wie scheu und unschlüssig stehen – er hob den Arm und ließ ihn wieder sinken – er setzte den Fuß vor, und zog ihn fast ängstlich wieder zurück; endlich aber faßte er sich ein Herz – die Sonne stieg mit jedem Augenblick höher und er durfte die kostbare Zeit nicht länger versäumen, und die Hand der Thüre nähernd klopfte er, mit einem jedenfalls gewaltsam gesammelten Entschluß laut und herzhaft an.

Keine Antwort; – drinn im Zimmer rührte und regte sich Nichts und der Klopfer blieb kopfschüttelnd und unschlüssig in seiner lauschenden Stellung an der Thür. Endlich, und nach augenscheinlicher Ueberwindung klopfte er zum zweiten Mal, und zwar etwas stärker als vorher, und als auch diesmal seine Anmeldung so unbeantwortet blieb als vorher, gewann die Ungeduld bei ihm so weit die Oberhand, daß er, vielleicht auch halb mit der Ueberzeugung es sei Niemand mehr im Haus, den Knöchel seines dritten Fingers laut und heftig an die Thür anpochte, in demselben Augenblick aber auch mit einem kaum unterdrückten Schrei zurücksprang, als das leise aber doch so deutliche und ihm so wohlbekannte »hare mai« einer weiblichen Stimme an sein Ohr schlug. Sein erstes Gefühl schien auch wirklich unbedingte Flucht, aber die Töne hatten zugleich alte und oh so liebe Erinnerungen in ihm geweckt, und fast instinktartig und jedenfalls unbewußt nach seinen Füßen hinunterfühlend, ob er die Schuhe auch, wie es sich gehöre, daran habe, und nicht etwa wieder barfuß als roher Wilder zwischen den cultivirten Menschen herumlaufe in der Welt, schob er die Thüre langsam auf und trat hinein.

Sadie hatte sich eben, als sie das Klopfen gehört, vom Boden erhoben und stand der Thüre zugedreht, kaum aber auch die kleine, so lang befreundete Gestalt des Eintretenden erblickt als sie mit dem Freudenruf »Mitonare – mein guter, lieber Mitonare,« auf ihn zusprang und seine, nach ihr ausgestreckte Hand ergriff.

»Pu-de-ni-a!« stammelte der kleine Mann, und riß die Augen weiter und weiter auf, den mehr und mehr füllenden und vorquillenden Thränen, die er nicht zurückpressen konnte in ihr Bett, einen Blick abzugewinnen auf das Wesen, das ihm das Liebste gewesen war auf der Welt, fast seit dem Tag an, wo er es zuerst auf seinem Arm gewiegt und mit allen Schmeichelnamen genannt hatte die er wußte – »Pu-de-ni-a – es – es freut mich recht – recht sehr – Sie – Sie – Dich – « Er kam nicht weiter – die großen hellen Thränen rollten ihm die Backen hinunter und die nicht widerstrebende Frau an sich ziehend, rieb er – den höchsten Ausdruck innigster, herzlichster Zärtlichkeit den er kannte, seine Nase an der ihrigen, zog sie dann fester an sich, streichelte ihr mit beiden Händen die Schläfe, drehte ihr Köpfchen zu sich hin, ihr in die Augen zu sehen und nannte sie dabei mit allen alten Schmeichelnamen die er kannte und ihr, o wie viel tausend Mal schon, in früheren Jahren liebkosend gegeben hatte; Sadie aber barg ihr Köpfchen an seiner Brust und ihre Thränen strömten ungehindert an dem Herzen des treuen ehrlichen Freundes.

Bruder Ezra war auch wirklich der Erste der sich wieder sammelte, und das geliebte Kind auf Armes Länge leise von sich schiebend, daß er eben die bleichen, thränenfeuchten Züge erkennen und überblicken konnte, sagte er flüsternd und mit recht weicher, wehmüthiger Stimme, doch nicht in seinem gebrochenen Englisch, sondern der ihm geläufigen Muttersprache:

»Aber was ist das? – ist Pudenia – meine kleine, liebe Pu-de-ni-a nicht mehr das fröhliche leichtherzige Kind von A-ti-u? – sind die klaren Augen schon so trüb geworden in der kurzen Zeit, und die Wangen so fahl? und ist der böse böse Wi-Wi etwa gar schlecht gewesen mit meinem Lieb, meinem süßen herztröstenden Lieb?«

Unter ihren Thränen vor lächelte Sadie und seine Hand fassend und streichelnd schüttelte sie leise mit dem Kopf und sagte, mit wieder fast dem vollen Strahl vorigen Glücks in den schönen Zügen:

»Nein Mi-to-na-re – nein er ist gut und lieb wie je und mein Herz ist sein bis zum Tod, und weit, weit darüber hinaus – zanke mir nicht den Wi-Wi – «

»Dann hat Dir der »schwarze Mann« wieder das Herz schwer gemacht mit seinen Worten, die Einem wie Messer einschneiden in die Brust und nur immer brennen und schmerzen« sagte Bruder Ezra, und der scheue aber zürnende Blick den er aus dem Fenster die Straße entlang warf, verrieth nur zu deutlich wen er damit gemeint. »Wenn ich eine Zeitlang mit ihm zusammen bin, und ihn beten und predigen höre, dann komme ich mir immer vor wie der entsetzlichste furchtbarste Sünder, der noch ein besonderes Feuer in der Hölle haben müßte, seine Sünden vollständig abzubüßen – und wenn ich sonst mit Vater Osborne sprach, war mir's dagegen, als ob mir der eine Last von der Brust gewälzt und mir Balsam in die frischen Wunden gegossen hätte. Es ist doch eine ganz erschreckliche Geschichte, wenn man so gar nicht gewiß erfahren kann ob man ein nichtswürdiger Sünder oder ein guter Christ ist, und ich bin bei mir noch nicht im Stande gewesen dahinter zu kommen.«

»Aber wie siehst Du aus, Mitonare« – rief Sadie, indem sie lächelnd einen Schritt zurücktrat, seine Gestalt und Kleidung, die sich allerdings seit sie ihn nicht gesehen um ein Wesentliches verändert hatte, besser überschauen zu können – »segne mich, wie Du Dich gekleidet hast, und wie stattlich Du einher gehst jetzt, und wie ehrwürdig.«

Bruder Ezra schüttelte mit dem Kopf, und sich selber, mit einem keineswegs sehr selbstgefälligen Blick von oben bis unten betrachtend, sagte er leise und traurig:

»Es ist Nichts, Pudenia – gar Nichts; die Hosen machen einen Menschen höchstens unbequem aber noch nicht zum Christen, und die steifen Dinger hier unter den Ohren – der Weiße hatte gestern recht der mir sagte wenn ich mich einmal rasch und plötzlich bückte, schnitt ich mir die Ohren ab, wie mit dem Rasirmesser.«

»Die Kleider machen allerdings den Christen nicht, Mi-to-na-re« lächelte Sadie, »aber das treue Herz in der Brust hat Dich dem reinen schönen Glauben gewonnen und Dein Herz erfüllt mit Seinem Ehr und Preis.«

Der kleine Mitonare seufzte recht aus schwerem Herzen tief auf, und es war augenscheinlich daß ihn dort etwas drückte, mit dem er sich scheute an Tageslicht zu kommen. Sadie fühlte das mehr als sie es sah, denn des Mitonare veränderte Kleidung hatte ihre Aufmerksamkeit bis jetzt in der That zu sehr in Anspruch genommen. Erst jetzt bemerkte sie auch eigentlich, ihm voll in's Angesicht schauend, daß nicht Alles so mit dem kleinen, sonst so freundlichen Manne stehe als es wohl solle, und irgend etwas vorgefallen sein müsse, das ihn drücke und quäle, und nicht zu Ruhe kommen lasse. Mit seinen Schwächen und Eigenschaften aber auch wieder bekannt, lächelte sie, denn nicht unwahrscheinlich kam ihr der Gedanke, die neue außergewöhnliche und unbequeme Kleidung die ihm der Missionair jedenfalls wenn nicht aufgenöthigt doch angerathen (bei Mr. Rowe so gut wie ein Befehl) drücke ihn und nehme ihm das Freie, das Zutrauliche seiner Bewegungen.

Mi-to-na-re sah aber auch wirklich verzweifelt aus, denn nicht allein daß er die Weste fest und eng zugeknöpft trug über dem seit einiger Zeit wieder gediehenen Bauch, und die Knöpfe derselben in wirklich gefährlicher Spannung hielt, nicht allein daß ihm das weiße dicke Tuch dreimal in dichten Falten um den Hals lag und dem Kopf das Ansehen gab, als ob er mit dem steif und starr gestärkten Hemdkragen oben eben nur hinausgeschnürt sei; nicht allein daß seine Füße wie früher in den breiten unbequemen Schuhen standen, und er bei jedem Schritt auftrat, als ob er den Fuß irgendwo eingeklemmt hätte, und ihn wieder herauszuziehen wünsche, so war ihm auch jetzt das, sonst doch wenigstens bequeme und luftige Lendentuch genommen, und die kleinen dicken Beine staken in so engen, strammen Hosen, daß es ein Wunder schien wie er überhaupt hineingekommen und den kleinen schüchternen Mann veranlaßt hatte einen kurzen Pareu, trotz den Einreden des Geistlichen, noch über diesem neuen und jedenfalls unpassenden Kleidungsstück zu tragen, das nun einmal durchaus nöthig sein sollte auch den letzten heidnischen Anstrich von ihm zu entfernen. Und selbst das war nicht genug gewesen, denn sogar der hohe trostlose Europäische Hut durfte nicht fehlen ihn elend zu machen, und so oft war er schon damit in jedem Guiavenbusch, jeder Banane, in der Thür jeder Hütte, in den Zweigen jedes Baumes hängen geblieben, daß er jetzt unter keiner Palme mehr hinging ohne den schmalen Rand seines Peinigers zu fassen und sich zu bücken.

Solcher Art, und noch mit dem Zusatz eines dicken und schweren Gebetbuchs, das er in die linke und enge Fracktasche hineingezwängt trug, während es ihm in dem schmalen Zipfel fortwährend in die Kniekehlen schlug, war Mitonare aufgeputzt, und es läßt sich denken daß er sich, selbst unter den günstigsten Verhältnissen, an das freie Leben seiner Inseln gewöhnt, nicht hätte leicht und behaglich fühlen können. Aber dem armen kleinen Mann drückten auch noch andere Sorgen.

»Die schöne Zeit ist vorbei« sagte er traurig, »wo nur die Sterne die Augen Gottes waren, und ich hineinschauen konnte, durch die funkelnden Lichter bis tief in sein herrliches Reich. Mitonare ist unglücklich, sein Glaube ist wankend geworden, und nun hat er den Weg verloren und weiß nicht ob er gerade durch über die Berge und durch die Thäler weg steigen und klettern, oder ein Canoe nehmen, und im seichten Binnenwasser der Riffe langsam hinsteuern soll.«

»Armer Mitonare« lächelte Sadie, die noch immer nicht den ernsten Sinn seiner Worte begriff – »aber wer hat Dich nur so herausgeputzt in der fremden Tracht, die Dir nicht paßt und zusagt?«

»Wer?« murmelte Bruder Ezra finster vor sich hin – »wer? – er hat noch andere Sachen gethan. Wir sind arge Sünder und müssen jetzt entsetzlich viel beten und Bibelstellen auswendig lernen, oder wir gehen Alle rettungslos zu Grund – Mitonare kennt das halbe dicke Buch, und die andere Hälfte hat er auch gekannt aber wieder vergessen; nun muß er noch einmal von vorn anfangen und – und sein Vater und Großvater bleibt doch in der – da unten – tief da unten.«

Der kleine, sonst so freundliche Mann schüttelte finster mit dem Kopf und Sadie, seine Hand ergreifend sagte mit leiser unendlich rührender Stimme:

»Es wird schon noch Alles gut gehen, Mi-to-na-re – und Gott ist ja der Allerbarmer, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache, kein Haar von Deinem Haupte fällt – so erzähle mir von Atiu – von meinem Atiu – was sie dort treiben und thun und – ob sie meiner noch manchmal freundlich da gedenken. Ach kein Tag vergeht, wo ich die Wolken nicht neide die da hinüberziehn, und mit meinen Gedanken, meinen Wünschen ihnen doch noch so weit, so weit voraus bin.«

»Atiu« wiederholte der kleine Mann, langsam und freundlich mit dem Kopfe nickend – »mit dem stillen luftigen Haus und der kleinen lieben Kirche – wo die nahuitarava ia mere1 Abends gerad über unserem Dache stehn und ihr mildes Licht auf uns heruntergießen; wo – aber es ist auch manches anders geworden auf Atiu« setzte er sinnend, und fast wie mit sich selber redend, hinzu – »die Leute werden zu klug und zu reich, und dann ist's mit dem Frieden vorbei und dem Glück. – Wie schön war Atiu als es nur seine Palmen hatte und seine Pandangedeckten Hütten.

»Wie schön war Atiu« wiederholte seufzend die junge Frau.

»Und vielen Besuch haben wir drüben gehabt« setzte der kleine Mitonare mit noch fast ernsterer Stimme hinzu – »lauter Leute die es gut mit uns meinten, wie sie sagten, und die gekommen waren unsere Seelen zu retten, und die uns entsetzlich viel versprachen wenn wir nur gerade da hineinspringen wollten, wo die Anderen sagten daß es lichterloh mit Pech und Schwefel brenne.«

»Waren Missionaire von Frankreich auf Atiu?« frug Sadie rasch und fast erschreckt.

»Ich weiß nicht wo sie herkamen,« sagte der kleine Mann traurig, »aber Wi-Wis waren darunter und Andere auch – und – sie haben uns wenigstens das Herz schwer gemacht, mit ihren Versprechungen und drohenden Reden.«

»Und weiß Mr. Rowe daß die Fremden da gewesen?«

Mitonare lächelte fast wieder wie in alter Zeit und sagte schmunzelnd:

»Ob er es weiß; und Mord und Blut hat er vom Himmel heruntergebeten für die – die Götzendiener – und der Himmel blieb blau« setzte er unheimlich lachend hinzu – »und dann kamen die anderen Männer und sprachen vom lieben Gott, den sie ganz genau kennen wollten und der ihr bester Freund sein sollte, und riefen auch wieder einen Feuerregen von Pech und Schwefel nieder auf die Häupter ihrer Gegner – und der Himmel blieb blau!«

So scharf und grell stieß er dabei das letzte Wort aus, daß die kleine Sadie, die bis jetzt ruhig und unbeachtet am Boden gespielt, erschreckt in die Höhe fuhr und einen leisen Schrei ausstieß. Bruder Ezra drehte sich rasch danach um und das Kind kaum am Boden erblickend, warf er, mit Mißachtung jedes Unfalls, den Hut von sich auf die Erde, fiel neben dem noch immer furchtsam zu ihm emporschauenden Kinde auf die Knie nieder und rief mit, vor innerer Rührung fast erstickter aber auch jubelnder, jauchzender Stimme:

»Iti iti Pudenia, iti iti aiu, potii.«2

Und die Kleine, die ihn erst staunend betrachtet hatte, streckte die Händchen nach ihm aus und lachte ihm entgegen, und der gute kleine Mitonare griff sie auf, nahm sie auf den Arm und sprang jauchzend mit ihr im Zimmer umher, bis ihn das hinten wie wüthend über solches Betragen schlenkernde Buch zum Einhalten zwang, so sehr sie sich Beide darüber freuten. Jetzt hatte er aber auch, mit dem Kind, Alles vergessen, was ihn bis dahin gedrückt oder weh gethan, und das Mädchen nur herzend, das sich wunderbarer Weise Alles von ihm gefallen ließ, was er mit ihr vornehmen mochte, als ob es gewußt hätte daß ihr von dem Manne sicher nichts Uebeles drohe, plauderte er mit ihr das tollste wildeste Zeug, nannte sie bei allen Schmeichelnamen und fing endlich sogar an mit ihr in seinem gebrochenen Englisch, von dem er aber in den letzten Jahren noch viel mehr vergessen als dazu gelernt hatte, zu schwatzen und lachen und Geschichten zu erzählen aus Bibel und Heidenzeit, von Meer und Land, wie es ihm durch den Sinn zuckte, dem lieben lächelnden Kind gegenüber. Und Sadie stand daneben, die linke Hand auf den Tisch gestützt und mit der rechten in den Locken des Kindes spielend und seinen Scheitel streichend, während die kleine Sadie jauchzte und lachte über den neuen wunderlichen Spielgefährten, ihre Aermchen um seinen Nacken legte und ihn an den steifen Hemdkragen und Halstuchspitzen zupfte. Und Mitonare ließ sich das Alles ruhig gefallen, und hatte tausend und tausend Fragen und Liebkosungen für das Kind.

»Und wie lange bleibst Du auf Tahiti, Mitonare?« sagte da Sadie – »hast Du auch Atiu verlassen, und willst nicht wieder zurückkehren nach dem lieben Land?«

Da wurde der kleine Mann plötzlich ernsthaft, setzte das Kind, das ihn noch gar nicht lassen wollte nieder auf den Boden und sagte, recht herzhaft mit dem Kopfe schüttelnd und einen scheuen Blick nach der Thür werfend:

»Wär' es auf mich angekommen, hätt' ich die Insel nicht verlassen mein Lebelang, außer Dich hier, Pudenia, vielleicht einmal wieder aufzusuchen und – wenn es anging, zurückzuholen zu Deinen alten Lieblingsstellen; aber es ist jetzt eine schlimme Zeit – die Leute sind irre geworden an ihrem Gott und mit Gewalt wollen sie die Liebe bringen, und mit Blut den Glauben begießen, daß er wachse und gedeihe.«

»Aber ich verstehe Dich nicht« sagte Sadie.

»Sie haben was vor hier auf Tahiti!« fuhr der Bruder Ezra leise fort, als ob er sich fürchte irgend ein Geheimniß zu verrathen, »was es ist, weiß ich noch nicht, aber die Bibelstellen die Vater Rowe gepredigt riechen nach Blut. Die Beretanis haben Kriegsschiffe hier, wie ich sehe, aber die Wi-Wis sind auch nicht müßig, und vorgestern waren zwei große Schiffe auf Atiu in Sicht, von denen Raiteo behauptet, daß sie den Feranis gehörten und viel Kanonen an Bord hätten mit Pulver und schweren Kugeln.«

»Und was können unbewaffnete Menschen dagegen thun?« frug Sadie wehmüthig mit dem Kopfe schüttelnd.

»Unbewaffnete, Nichts« erwiederte Bruder Ezra rasch, »aber Bewaffnete desto mehr; Bibeln waren nicht in den Kisten, die sie vom Bord desselben Wallfischfängers, der jetzt, wenn mich nicht Alles täuscht, hier im Hafen liegt, in Atiu an Bord und zu sicheren Verstecken in die Berge schafften.«

»Die Missionaire werden nie die Hand reichen zu Gewalt und Blutvergießen« rief Sadie.

»Wenn ich 'was nicht sehen mag, dreh' ich den Kopf weg,« sagte der Mitonare trocken – »es giebt Leute genug überall, die, einen Dollar zu verdienen, leicht ein schlechtes Werk thun, wie viel eher denn nicht ein gutes – ihre Landsleute mit Waffen zu versehen, daß sie sich selbst beschützen können.«

»Du nanntest erst Raiteo, Mitonare?« frug Sadie – »wie geht es ihm und was treibt er jetzt – ist er ein besserer Mensch geworden?« —

»Was er in diesem Augenblicke treibt weiß ich wahrlich nicht«, sagte der kleine Mann finster, »aber als ich kam stand er draußen auf Posten, und ging dann mit dem ehrwürdigen Bruder Rowe in die Stadt zurück; – ist nicht das erste Mal daß sie in einem Joche ziehn.«

»Raiteo hier auf Tahiti?« rief Sadie erstaunt.

»Raiteo Mitonare« erwiederte Bruder Ezra trocken.

»Mitonare? – Raiteo? der seinen Vater verrathen würde um ein Stück Kattun zu verdienen oder ein Stück Geld?«

»Raiteo Mitonare« bestätigte aber auf das Bestimmteste der kleine Mann und setzte, langsam dabei mit dem Kopfe nickend hinzu – »Menschen sind einmal bös, und dann wieder gut – Raiteo hat seine Sünden eingesehen und ist frommer Mann geworden – aber trägt noch keine Hosen« fügte er, trotz aller Unbequemlichkeit, doch mit einem gewissen Grad von Eifersucht hinzu; »hat noch sein Lendentuch und seine nackten Beine und bloßen Kopf – und nur am Sabbath in der Kirche einen Frack – kann nicht gut ohne Frack in die Kirche kommen.«

»Raiteo Mitonare« wiederholte aber wiederum Sadie, die sich noch immer nicht von ihrem Erstaunen erholen konnte – »und das auf Atiu – wo sie ihn kennen.«

Bruder Ezra verneinte das aber. Auf Atiu eigentlich nicht, der Wahrheit die Ehre zu geben, denn wenn auch sein frommer christlicher Sinn dort gerade bei ihm zum Durchbruch gekommen, habe doch auch Manches wieder, gerade in der Erinnerung der Bewohner der Insel, gegen ihn gesprochen und Bruder Rowe, der sich von seiner wirklichen Sinnesänderung überzeugt, hätte ihn eben nur mitgenommen, um ihn vielleicht mit bei der, in den nächsten Tagen zu haltenden Versammlung von »Kirchenältesten« zu wissen und dann auf irgend eine der Nachbarinseln, auf denen er nicht gerade persönlich bekannt sei, zu versetzen.

Sadie blickte erstaunt auf den kleinen Mann, denn eine wunderbare Veränderung war jedenfalls in dessen ganzem inneren Wesen vorgegangen. Er, der noch vor wenigen Jahren jedem Wort von den Lippen der Missionaire in frommer, furchtsamer Scheu gelauscht, und weit eher an seiner eigenen Existenz, als an der Wahrheit ihrer Sätze und Glaubensformeln gezweifelt hätte, sprach jetzt, selbst von dem strengsten ihrer Schaar, gleichgültig; ja Sadie konnte sich über den Ausdruck in seinen Zügen und Worten nicht länger täuschen, fast ironisch, und das bittere Lächeln das um seine Lippen spielte mochte der Furcht noch den Platz gönnen, aber strafte die Ehrfurcht Lügen.

Bruder Ezra schaute noch eine Zeit lang gerade vor sich nieder, er fühlte daß Sadiens Blick auf ihm haftete – daß sie die Veränderung entdeckt die in ihm vorgegangen, und scheute sich auch gerade ihr vielleicht das zu gestehen, was in ihm arbeitete – was ihm den Schlaf raubte und den Frieden und ihn manchmal wie eine furchtbare Sünde drückte und doch auch wieder mit jedem Tage, in seiner nächsten Umgebung selbst, die neue Nahrung fand. Als er aber einmal scheu und flüchtig den Blick zu ihr aufschlug, und die zärtliche, liebende Angst sah die aus diesen treuen Augen leuchtete, da mochte es ihm wohl durch das Herz zucken, daß sie – seine Pu-de-ni-a, sein liebes liebes Kind das er gehegt und gepflegt und wie einen Augapfel gewahrt – ja das zu ihm bis jetzt mehr wie zu einem zweiten Vater als einem Freunde aufgesehen, Schlimmes – Schlimmeres von ihm denken könne als er ertragen mochte, und in der Furcht die Hand bittend gegen sie ausstreckend sagte er leise:

»Mitonare ist kein böser Mensch geworden, Pu-de-ni-a; er liebt seinen Gott und – thut auch – thut Alles was in der Bibel steht aber – andere Männer, Männer die auch sagten daß sie der liebe Gott geschickt – sind zu ihm gekommen und haben ihm, wo er in Verzweiflung war, Trost gebracht – wo er weinte, seine Thränen getrocknet, wo er unschlüssig stand, einen neuen Pfad gezeigt und – wenn er sich auch bis jetzt noch nicht getraute den neuen Pfad zu wandeln – hat er doch bis jetzt – «

Er stockte, als ob er sich nicht mehr getraue weiter zu reden, und Sadie fuhr langsam und traurig seine Hand ergreifend fort:

»Den alten Pfad seiner Religion verlassen und nur die äußere Form beibehalten, seinen Gott damit zu täuschen.«

»Aita Pudenia, aita« – rief aber der kleine Mann da rasch und ängstlich vielleicht, weil er die Wahrheit wenigstens eines Theils des Vorwurfs fühlte – »nein Kind, nicht meinethalben bin ich wankend geworden im rechten Pfad, nein die Mitonares selber tragen die Schuld, die einander anfeinden und schimpfen, und Heiden- und Götzenanbeter nennen, während sie Alle allein behaupten, den rechten und auch alleinigen Glauben zu haben, dessen Feinde Gott mit seiner Rache heimsuchen und von der Erde vertilgen müsse. Was mir aber am Herzen nagte, das Schicksal von altem Mann Vater – von der Mutter, die noch gar Nichts von einem anderen Glauben gewußt, ja ihn kaum nennen gehört, und die nun doch rettungslos sollten verloren sein und verdammt, das that mir weh, und als der andere Priester kam und mir die Aussicht stellte, ich könne durch fleißiges Beten und frommen Wandel ihre Seligkeit auch gewinnen, von dem allbarmherzigen Gott, und als Bruder Aue dagegen donnerte mit allen Waffen der heiligen Schrift, da zuckte und zog es mir im Herz, und böse Gedanken stiegen auf in mir, und ließen mich nicht rasten und ruhn, und jetzt weiß ich nicht – hat der Eine recht und sind sie unrettbar verdammt zu ewigem Feuer, oder der Andere und ich begehe eine entsetzliche Sünde, wenn ich mein Leben dann nicht ihrer Rettung weihe wo ich die Mittel dazu vielleicht in Händen habe. Armer Mitonare« setzte er dann traurig hinzu – »ist recht bös daran, soll anderen Kanakas den Glauben bringen und weiß selber nicht – Und wenn der alte Mann nun doch am Ende recht hätte.«

»Was für ein alter Mann, Mitonare?« frug Sadie erstaunt. Bruder Ezra aber hob rasch und erschreckt den Finger an die Lippen und sich scheu umsehend, sagte er langsam und vorsichtig:

»Pst – Pudenia, pst, das war ein wunderbarer, furchtbarer alter Mann und er kam und ging in einem Sturm.«

»Und was that er bei Euch auf Atiu?«

»Wie er sagte kam er von den Inseln zu Leewärts, Handel zu treiben und Cocosöl und Perlmutterschaalen einzukaufen in seinen kleinen Cutter, aber er sprach furchtbare Sachen und mich schauderts wenn ich daran denke – wenn ich darüber nachsinne.«

»Aber was sprach er so Entsetzliches?« drängte die Frau.

»Pu-de-ni-a,« sagte da Mitonare, der Frage jetzt noch ausweichend, oder sie durch eine andere beantwortend – »hast Du schon einmal an einem Abgrund – am äußersten Rand einer schwindelnden Höhe gestanden, und ist Dir da nicht das Gefühl gekommen, als ob Du hinunterspringen möchtest in die Tiefe, daß Du den Platz nur schnell verlassen mußtest in Furcht und Grauen?«

Sadie nickte, noch in der Erinnerung schaudernd.

»Siehst Du, so war es mir, wenn ich den Worten des alten weißen Mannes lauschte,« flüsterte der kleine Indianer und nickte still vor sich hin. »Er trug einen langen weißen spitzen Bart, und die kleinen blitzenden Augen lagen wie zwei glühende Kohlen unter den buschigen Brauen – Sein ganzes

Gesicht hing dabei in dichten Falten, die kein Alter mehr erkennen ließen auf der Haut, und er mußte sehr alt sein, denn er hatte die Welt gesehn von dem Theil wo das Wasser zu Stein wird in grimmiger Kälte, bis zu wo die Sonne Abends in ihr Lager sinkt, und er sprach von Gott und den Sternen als ob er da oben zu Hause gehöre und zwischen den Sternen gewandelt hätte wie in einem Garten.«

»Aber er glaubte an Gott?« frug Sadie leise und scheu.

»Er hatte denselben Namen dafür wie wir – Jehovah,« sagte der kleine Mitonare, »aber er verleugnete« – setzte er leise, fast flüsternd hinzu – »er verleugnete den Heiland.«

»Gütiger Gott!«

»Er leugnete Jesus Christus« bestätigte da Mitonare »und mir lief's wie Fieberfrost durch die Adern, als ich mit ihm allein in dem stillen Haus saß und der Weststurm um das Dach heulte, daß die flackernden Oelflammen hoch aufschlugen in rother Gluth, und der magere alte bärtige Mann mir von dem Heiland erzählte der nur ein Mensch gewesen sei wie wir Alle – aber ein guter Mensch, und von seinen Neidern und den reichen Leuten, die fürchteten daß er durch seine Reden das Volk gegen sie aufwiegeln würde, an das Kreuz geschlagen wurde, da elendiglich umzukommen.«

»Er verleugnete Gottes Sohn,« sagte Sadie schaudernd.

»Ja, und er trieb Spott über Alles, was selbst die Wi-Wis für heilig halten« nickte der Kleine »und doch, doch lauschte ich ihm gern, denn sein Gott war ein Gott der Liebe und der Gnade, und alle Menschen waren seine Kinder, alle, alle nahm er auf zu sich, Kanakas und Weiße, Beretanis und Feranis, wenn sie gut und redlich lebten und seinem Worte folgten; und mein Vater und meine Mutter – ach Pudenia es war wohl recht sündhaft daß ich seinen Worten so gerne horchte – aber mein Vater und meine Mutter waren auch eingegangen zu seiner Herrlichkeit, wenn sie nicht sonst recht schlechte und böse Menschen gewesen. Seit der Zeit nun sind meine Gedanken nicht mehr mein eigen« fuhr der kleine Mann trübselig fort; »seit der Zeit härm' ich mich und gräm' ich mich und mache mir Sorge und Kummer, und Nachts kommt der Böse und lockt mich mit seinen Schmeicheltönen, und am Tag seh ich, wo ich auch bin, den Alten neben mir, wie er sich den Bart streicht und mit den scharfen abgestoßenen Worten mir doch Trost und Hoffnung in die Seele gießt. Seit dem Tag ist der kleine Mitonare ein anderer verzweifelter Mensch geworden, der mit dem dicken Gebetbuch in der Tasche herumläuft, und nicht den Muth hat hineinzusehen, dem das Blut in den Adern gerinnt wenn er an den zornigen Gott denkt, wie ihn die weißen Mitonares lehren, und der demselben Gott doch immer wieder, und trotz allen Schilderungen zu Füßen fallen, und ihn Vater, Jehovah nennen möchte, wie ein Kind seinen eigenen Vater ruft, den es nicht fürchtet, aber von Herzen, recht von Herzen liebt.«

»Du armer, armer Mitonare« sagte da Sadie mit ihrer weichen Stimme, mitleidig des alten kleinen Mannes Hand ergreifend, und sie leise streichelnd; »bete Du armes geprüftes Herz, bete recht aus tiefster Seele zu Deinem Heiland daß er Dich führen und schützen möge auf Deiner Bahn, und den rechten Pfad durch Nacht zum Licht – bete daß er Dir die Wahrheit zeige zu Seinem Preis, und Dich eingehn läßt zu Seiner Herrlichkeit. Aber verzage nicht, fürchte Dich nicht, denn gerade in der tiefsten Noth ist er Dir ja auch am nächsten und hört die Stimme Seines Kindes die zu ihm ruft, und die Hand ausstreckt nach ihm, um Schutz und Hülfe.«

»Was ist das?« sagte da plötzlich der Mitonare, dessen Blick in tiefem schmerzlichem Sinnen hinausschweifte über die See, und der jetzt das Boot eines Kriegsschiffes, von acht Matrosen gerudert, um die nächste Landspitze kommen und gerade auf das Haus zu halten sah. Hinten am Heck wehte die französische Flagge.

»Ein Boot der Feranis« sagte Sadie ruhig, »das wahrscheinlich nach Papara hinunter will und sich dicht an der Küste, des ruhigen Wassers wegen hält – sie kommen oft hier vorüber.«

»Dann hätten sie die Korallenspitze vermeiden müssen, die jetzt zwischen ihnen und dem Fahrwasser der Binnenriffe liegt« sagte der Mitonare, der mit einem Blick den Charakter der Bai überschaut hatte, und jetzt aufmerksamer als vorher hinüberblickte. »Sie können nur hierherwollen, wie auch ihr Bug zeigt, oder sie müßten die ganze Strecke wieder zurück. Hinten neben dem steuernden Mann sitzen zwei Officiere der Wi-Wis und neben ihnen – «

»Heiliger Gott – neben ihnen liegt Jemand auf der Bank« rief aber auch in diesem Augenblick Sadie in Todesangst, der die böse Ahnung, die ihr den ganzen Morgen die Brust erfüllt, mit mächtiger Kraft zurück zum Herzen drängte – »René!«

»René?« rief Bruder Ezra erschreckt – »was hat der tollköpfige Wi-Wi wieder angestellt, daß ihn die eigenen Landsleute gefangen haben sollten? – aber das Boot dreht doch vielleicht ab von hier – «

Sadie antwortete ihm nicht – in sprachloser Angst und Erwartung hing ihr Blick an dem rasch näher kommenden Fahrzeug, das von den elastischen Rudern getrieben rauschend durch die Wellen schäumte – schon glaubte sie die Züge des Officiers zu erkennen, der hinten lehnte und auch sie war jetzt von den im Boote Befindlichen erkannt worden. Die auf dem Sitz liegende Gestalt richtete sich halb empor und winkte herüber, und mit lautem Aufschrei flog sie hinaus an den Strand, flog, ihre Europäischen Kleider vergessend, hinein in die klare Fluth dem Boot entgegen, denn darin lag, bleich und blutend, wenn er auch freundlich jetzt herüberwinkte – ihr Gatte – lag René.

Im nächsten Moment schoß das Boot heran, die Matrosen der Backbordseite warfen ihre Riemen mit einem Schlag empor und Bertrands Hand streckte sich dem armen Weib entgegen, dessen stierer und entsetzter Blick nur an dem bleichen Antlitz des Verwundeten hing. In demselben Moment fast berührte das Boot den Strand, und ein Theil der Matrosen sprang über Bord ihn an Land zu tragen.

»Aber Sadie« flüsterte René halb vorwurfsvoll, halb verlegen der jungen Frau die Hand hinüberreichend – »was machst Du für tolle Streiche, wildes Mädchen?«

»Du bist verwundet« war Alles was die Frau in fast athemloser Angst über die Lippen bringen konnte.

»Unsinn« lachte aber dieser, »eben nur die Haut geritzt, und hergehn hätt' ich können, hätte nicht Bertrand hier in übergroßer Besorgniß darauf bestanden mich her zu fahren.«

»Die Wunde ist unbedeutend, Madame« bestätigte aber auch jetzt der junge Officier, der an Land gesprungen war und eine fast unwillkürliche Bewegung machte die junge Frau hinauf und zum Haus zurückzuführen, wohin jetzt vier kräftige Matrosen auf einer der Boot Doften den Verwundeten trugen. Sadie aber ließ des Gatten Hand nicht los und während sie sich ängstlich an ihn schmiegte, fuhr der junge Officier fort: »Ich fürchtete nur eine mögliche Entzündung, wenn er den langen Weg in der Sonnenhitze hätte zu Fuß zurücklegen sollen; wenige Tage werden ihn wieder hergestellt haben.«

»Aber was ist geschehn, um des Heilands Willen« bat Sadie.

Bertrand biß sich auf die Lippen und René sagte finster:

»Nichts von Bedeutung Kind; ein doppelter Aderlaß einer neckischen Göttin zum Opfer gebracht – das Fleisch heilt bald – aber – wer ist das da drüben? – Mi-to-na-re? – bei Allem was da lebt – in Hosen und Strümpfen – Mitonare« und dem kleinen, auf ihn zueilenden Mann die Hand entgegenreichend schüttelte er sie fest und herzlich und – wandte den Kopf zur Seite, denn gerade in diesem Augenblick traf ihn die Erinnerung an Atiu wie ein Stich in's Leben, und trieb ihm das Wasser hinauf in die Augen, das er den Seeleuten bergen wollte.

»Böser Wi-Wi!« rief aber auch jetzt der kleine Missionair wieder in seinem tollsten Englischen Kauderwelsch, das er mit dem Europäer glaubte sprechen zu müssen, »aita maitai – macht ole manni viel Sorge – leichtsinniger Kopf der in dicken Bambus fährt und durchwill – läßt kleine Pu-de-ni-a zu Haus und kommt nachher angefahren, blutig und blaß und jagt ihr den Todesschreck in die Glieder, daß sie auch krank wird und stirbt.«

»Pu-de-ni-a!« sagte leise René und drückte die Hand des treuen Weibes, die in der seinen ruhte, »und Du lieber wackerer Freund,« wandte er sich dann plötzlich im reinsten Tahitisch zu dem, darüber aufs Aeußerste erstaunten Mitonare »wo kommst Du her, was treibst Du, wie geht es Dir? – und willst Du bei uns bleiben jetzt auf Tahiti?«

Ehe aber der Mitonare die rasch hintereinander an ihn gerichteten Fragen beantworten konnte, verbot der mitgekommene Schiffsarzt jede weitere Aufregung, bis er die, allerdings nicht gefährliche aber in einem heißen Klima doch immer zu beachtende Wunde erst nochmals untersucht und wieder verbunden hätte. Vor allen Dingen müsse der Verwundete in ein kühles Zimmer geschafft werden, dort die nöthige Pflege zu finden.

Sadie besorgte das Alles mit zitternder Hast, häufte Matte auf Matte, ihm ein kühles und weiches Lager zu bieten, und wechselte erst ihre eigenen, durchnäßten Kleider, als sie den Gatten mit allem versorgt, was ihre liebende Hand für ihn bereiten konnte. Die Wunde war allerdings nicht gefährlich, ja nicht einmal bedeutend, und die Kugel ihm eben nur durch den oberen Theil des Armes dicht an der Schulter durchgegangen, ohne den Knochen weiter zu verletzen, Blutverlust und Ermattung hatten ihn aber doch erschöpft und als der zweite Verband mit Sadiens Hülfe angelegt war, fiel der Leidende in einen sanften aber festen Schlaf, in dem ihn der Arzt nicht gestört haben wollte, und selbst Sadie bat das Zimmer zu verlassen. Nur Mataoti mußte bei ihm zurückbleiben, um zu rufen sobald er wieder erwachen würde.

Am Strande lag unterdessen das Boot schon wieder zur Abfahrt gerüstet, und Bertrand wollte eben Abschied nehmen von Sadie, an Bord zurückzukehren, als diese seinen Arm ergriff und ihn mit leiser, aber dringender Stimme bat, ihr die Ursache der Verwundung anzugeben, die sie mit peinlicher Angst, sie wisse selber eigentlich nicht recht, warum? erfülle. Der junge Mann zögerte erst verlegen mit der Antwort, aber er fühlte auch, wie er ihr dieselbe eigentlich nicht verweigern durfte, und erzählte ihr jetzt mit so kurzen und schonenden Worten als möglich, wie jener Officier, nach den gestrigen Vorgängen, nicht umhin gekonnt habe, Europäischen Begriffen von Ehre nach, René zu fordern, und wie sie sich heut Morgen, unfern der Stadt mit ihren Secundanten getroffen und geschossen hätten. Rodolphe, sein Gegner, habe zuerst gefehlt und eine leichte Streifwunde bekommen, aber dann hartnäckig darauf bestanden den zweiten Schuß zu thun. Die Secundanten konnten ihm den nicht weigern und von beiden, ziemlich zugleich gefeuerten Kugeln sei René in die Schulter, Rodolphe durch die Brust getroffen. Der Gegner lebe zwar noch, aber die Wunde sei ziemlich gefährlich; René habe übrigens für seine Sicherheit nicht das Mindeste zu befürchten, setzte er rasch hinzu, denn selbst im unglücklichsten Fall stehe er gerechtfertigt da. Er hatte nichts Anderes gethan als sich vertheidigt.

Sadie wurde todtenbleich – ihr Gatte verwundet, vielleicht ein Mörder – ihrethalben, mit dieser Last auf seiner Seele, und zugleich der irdischen Gerechtigkeit für blutige That verfallen, denn mit Entsetzen dachte sie daran, wie gerade jetzt die englischen Schiffe die Obermacht im Hafen hätten und kaum einen Fall vorübergehn lassen würden, einen aus dem ihnen feindlichen Stamm zu Rechenschaft zu ziehen vor ihr Gericht. Bertrand schüttelte aber bei der laut gewordenen Besorgniß lachend mit dem Kopf.

»Die englische Herrschaft ist vorbei« rief er, trotzig den Kopf emporwerfend; »Großbritannien erkennt das Französische Protectorat an, und zieht seine Schiffe zurück – ja noch mehr, in der Nähe einer der Nachbar-Inseln sind schon zwei Französische Kriegsschiffe – jedenfalls Du Petit Thouars mit seiner Flotte im Aufkreuzen gesehen worden, und die Tricolore herrscht von jetzt an auf Tahiti.«

»Zwei französische Schiffe sind gesehen worden? – und von wem habt Ihr die Nachricht?« frug Sadie rasch, und ein Gedanke an Raiteo durchblitzte ihr Hirn.

»Kleine Fahrzeuge kreuzen herüber und hinüber« antwortete der Officier – »wir haben überall unsere Wächter; aber sehn Sie Madame daß ich recht hatte? – dort über den Riffen draußen segelt der Talbot vor dem Wind, diese Küsten zu verlassen, und ha – dort kommt auch der Vindictive, schwerfällig seine weiten Segel entfaltend. Halt meine Burschen – Ruhe bis wir draußen in See sind,« unterbrach er sich rasch, dem eben ausgebrochenen Jubelruf seiner Leute zu wehren – »der Kranke schläft und Ihr dürft ihn nicht wecken durch Euer Hurrah. Doch jetzt auch nach Papetee zurück, denn wir werden dort alle Hände voll zu thun bekommen, und heute Abend, wenn es geht, komm' ich einen Sprung herüber, mich nach dem Befinden unseres lieben Kranken zu erkundigen. So Adieu Madame, auf ein froheres Wiedersehen«, und sich freundlich gegen sie neigend sprang er auf den Rand des hinangezogenen Bootes und hinein, wo der Arzt schon seinen Sitz wieder eingenommen hatte, die Leute liefen damit hinaus in tieferes Wasser, folgend, sobald sie das schwanke, scharfgebaute Fahrzeug flott fühlten, und wenige Minuten später zischte und preßte der Bug wieder gegen die crystallene Fluth an, sie in leichten Kräuselwellen zur Seite werfend, der nächsten Landspitze zu, um die es bald darauf verschwand.

»Was sagte der Wi-Wi von den Schiffen da draußen?« frug aber jetzt der Mitonare, der dem ihm unverständlichen Gespräch besonders so erstaunt gelauscht, weil seine kleine Pudenia die fremde ihm unbegreifliche Sprache so geläufig sprach, und dem dabei die zwei großen Schiffe die jetzt erst in Sicht gekommen und augenscheinlich von der Insel fortsegelten, ebenfalls aufgefallen waren.

»Es sind die Englischen Kriegsschiffe, die den Hafen verlassen« sagte Sadie.

»Den Hafen verlassen?« wiederholte erstaunt der kleine Mann – »und Bruder Aue hat uns davon ganz andere Geschichten erzählt – puh, puh, und die Wi-Wis kommen mit großen Schiffen angesegelt – böse Sachen, böse Sachen – wo bleibt da unser Gott?«

Sadie hörte gar nicht was er sprach – vor ihrem inneren Auge lag der verwundete Gatte, lag sein blutendes Opfer, und während die hellen Thränen ihr still und schwer die Wangen niederträuften, murmelte sie mit leiser, schmerzerfüllter Stimme:

»Verloren – verloren – Glück und Frieden dahin – oh armer armer Vater Osborne, wie gut daß Du still und ruhig in der kühlen Erde liegst – wenn nicht der frühere Gram – der Tag hätte Dein treues Herz gebrochen.«

»Ja, Vater O-no-so-no,« seufzte der kleine Mann, seinen Hut wieder ergreifend und aufsetzend, unter dem das breite, dunkle, gutmüthige Gesicht gar so komisch und widernatürlich aussah – »Vater O-no-so-no war ein guter Mann, und wären sie alle so gewesen wie er – Aber ich muß in die Stadt hinüber,« unterbrach er sich selbst, »denn die Versammlung soll heut' Morgen sein und Mitonare Ezra und Mitonare Raiteo sind von Atiu geschickt und sollen keine Wi-Wis haben wollen. Gu-bei Pudenia, gu-bei – Nach der Versammlung kommt Mitonare wieder hierher zurück und bleibt bei tollen Wi-Wi, bis er gesund ist und bei kleine Pudenia iti iti – «

Damit wandte er sich und verließ den Garten; das schwere Gebetbuch aber in dem langen schmalen Frackzipfel fing wieder an zu schlenkern, und er nahm den Zipfel bedächtig in den linken Arm und verfolgte langsam seinen Weg, ohne sich weiter umzusehen. Und Sadie schaute ihm schwer aufseufzend nach, als sie die kleine komische in so entsetzliche Kleiderformen gezwängte Gestalt den Weg hinabgehen sah, und daran dachte was für ein einfach natürliches Herz unter den unnatürlichen Stoffen schlage; aber der Ernst des Augenblicks wandte ihre Gedanken bald wieder dem ab, und dem Gatten zu, und nur wenige Minuten später saß sie am Bett des Schlafenden, ihr Kind auf dem Schoos, den Schlummer des Kranken bewachend und von seiner fieberheißen Stirn Mosquito und Fliege fern zu halten.

Auch nach Aumama hatte sie hinübergeschickt, ihr beizustehn, wenn sie irgend einer Hülfe bedürftig sein sollte; Aumama war aber früh am Morgen nach Hause zurückgekehrt, und hatte ihre Kinder geweckt und mit fortgenommen, Niemand wußte wohin; Lefévre war ebenfalls nirgends zu sehen und zu finden, und das Nachbarhaus lag wie ausgestorben.

1

Nahuitarava ia mere, das Gestirn des Orion.

2

Kleine kleine Pudenia, kleines, kleines Herzchen, mein kleines Mädchen.

Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.

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