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2.
Hinauf!

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Wir sind gerüstet! – Drüben im Westen neigt sich schon die Sonne den hohen Jochen zu, und nach dem rasch eingenommenen Mahl geht es hinauf in die Berge, zur fröhlichen Jagd.

Wie sich das so wunderbar leicht mit den nackten Knieen steigt – denn alle Schützen, ohne Ausnahme haben jetzt schon die Tracht der Gebirgsbewohner angelegt. – Wie sich das Bein so frei da biegt, und Arme und Bergstock mit eifriger Gefälligkeit nachhelfen, den hochaufathmenden Jäger bergan zu bringen – und wie die Lungenflügel sich so weit bewegen! Man fragt sich selber oft erstaunt: »wirst Du denn nur gar nicht müde?« – denn höher immer höher hinauf zieht sich der zickzacklaufende Reitsteg dem wir jetzt folgen. Müde? – das Wort kennt man kaum in den Bergen, und wenn man wirklich einmal nach einer gar zu steilen anstrengenden Tour zum Tode erschöpft glaubt niedersinken zu müssen, und dann den Gliedern nur wenige Minuten Ruhe gönnt, ist alles Ueberstandene im Handumdrehen vergessen.

Das Jagdschloß liegt schon etwa 3000 Fuß über der Meeresfläche und steil auf führt der Weg uns nun empor; erst durch prächtige Buchen- und Ahornwälder, in die hinein die dunkle schlanke Tanne ihre dichten Zweige reckt, dann kommt die Birke mit dem weißen Stamm, die Espe, Eller, Eberesche und hie und da ein Krummholzkiefer- oder Laatschendickicht, mit dem der Jäger wohl bald weit mehr und näher bekannt werden soll, als ihm manchmal lieb ist. Jetzt wird das jedoch nicht sonderlich beachtet. Der ausgehauene Weg führt hindurch und man bemerkt entweder die weitausreichenden zähen Zweige nicht, oder kann sie auch nicht gleich ordentlich übersehn. Zuviel des Neuen bietet sich überhaupt nach allen Seiten hin dem Blick, das Einzelne zugleich mit zu erfassen.

Noch aber sind wir fortwährend in diesem Wald bergauf gestiegen, und die überhängenden Zweige der Tannen, wie das dichte Unterholz mit den Laatschen zusammen, hindert die Aussicht in's Freie. Höher und höher steigen wir so, und lauter und lauter rauscht unten im Thal die Riß, die am Fuß des Bergs nur eben mit leisem Plätschern vorüberquoll, hier aber den Ton, durch die Wände zusammengedrängt in vollen Accorden nach oben sendet. Reiner wird hier der Himmel, leichter die Luft und unwillkürlich packt man, im Gefühl der eigenen Kraft, den Bergstock fester.

Wild giebt es hier freilich noch nicht; der Pfad ist schon an dem Morgen von den Trägern begangen worden, das Nöthigste an Provisionen, Betten und Geschirr hinaufzuschaffen, und der Wald ist auch zu dicht, weit darin auf oder ab sehn zu können – aber Rothwild spürt sich im Pfad. Hier ist ein starker Hirsch hinaufgewechselt; dort sind ein paar Stück Wild – wahrscheinlich ein Alt- und Schmalthier demselben eine Strecke gefolgt und haben sich dann links hinein in die Klamm oder Schlucht gezogen. Das Rothwild liebt überhaupt mehr als die Gemse einen bequemen Pfad, und benutzt die Pirschwege außerordentlich gern.

Höher, immer höher kommen wir hinauf; die Kiefern und Tannen werden immer niedriger und stehn dünner, die Buchenregion haben wir schon längst verlassen, wo das fatal raschelnde gelbe Laub den Boden bedeckt, den pirschenden Jäger zu doppelter Vorsicht nöthigt, und geräuschloses Anschleichen oft ganz unmöglich macht. Hier beginnt die »Laatsche« ihr Regiment und eine offene Stelle erreichend, von der aus der Blick frei nach dem gegenüber liegenden Gebirgshang, über das Thal weg schweifen kann, hebt ein plötzliches, überraschtes »Ach!« die Brust. Vergessen ist das Steigen, vergessen Alles um uns her in dem einen, wundervollen Schauspiel, das sich dem erstaunten, jubelnden Blick da bietet.

Dort drüben vor uns, dem Blick scheinbar so nah, daß man glauben könnte mit einer Büchsenkugel die Wände zu erreichen, während sie in der That in gerader Richtung wohl eine Stunde und weiter entfernt liegen, steigt die riesige Gruppe des Falken empor, und wie gewaltig ist der Fels gewachsen, seit wir ihn von unten zum letzten Male sahen. Dort schien er nur ein breitgedrängter, mit Nadelholz dicht bewachsener Berg, aus dem sich eine graue Felsenkuppe, nicht eben übermäßig hoch erhob. – Jetzt, nachdem wir fast eine Stunde gestiegen, und uns die Umrisse des ganzen Gebirgs scharf und klar in's Auge fallen, sehen wir daß wir noch nicht einmal die Höhe des gegenüberliegenden höchsten Fichtenwaldes erreicht, und weit weit darüber hinaus, wie ein Gebirg von Fels und Schlucht, während der blaue Aether ihn durchsichtig und leicht umfließt, thürmt sich ein riesiger Block von Felsenmassen auf, in dem sich wieder Berg und Thäler bilden. Die mächtigen Tannen die an ihm mehre tausend Fuß emporsteigen, sehn kaum Zoll hoch aus; die stattlichen Krummholzkiefern deren Büsche von zehn bis funfzehn Fuß Höhe halten, gleichen grünem Moos, das auf den nackten Flächen liegt, und schroff und steil, zerspalten und eingerissen mit furchtbaren Schluchten, für die der Blick noch nicht einmal den Maßstab hat, hebt sich die colossale Masse unfruchtbaren kahlen Kalkgesteins empor.

Diese Kegel, Kuppen und Joche muß man aber selber erst einmal, wenigstens zum Theil, bestiegen haben, um einen Begriff ihrer Höhe und Entfernung zu erhalten. Ueberhaupt täuscht die feine, reine Luft oben auf der Höhe, selbst beim Schießen, ungemein, und Gegenstände die dem Anschein nach nur geringe Entfernung haben, weichen zurück, wenn man sich ihnen nähern will. Bis in's Unglaubliche hinein betrügt man sich ganz vorzüglich, wenn man irgend einen gegenüberliegenden Hang erreichen will. Ein Berg liegt vor uns, ein kleines, dem Anscheine nach nicht sehr tiefes Thal dazwischen; man denkt in einer halben Stunde wenigstens an der anderen Seite sein zu können, und hat in einer Stunde kaum den unten fließenden Bach erreicht. An den von Holz entblößten Almen sieht man oft weite offene Flächen, die so glatt und eben ausschauen, als ob man aus weiter Ferne jeden darüber springenden Hasen erkennen müßte, und hat man sich endlich über vorher gar nicht bemerkte Hindernisse mit Mühe und Noth zu ihnen durchgearbeitet, so findet man Hügel und Thäler in dem was man für glatten Boden gehalten, und Risse und Spalten in denen ein Reiter unbemerkt und vollkommen gedeckt, hinreiten könnte. So arg ist die Augentäuschung in den Bergen, und deshalb wird auch nie ein Gemälde, mag es noch so treu und gewissenhaft, und von der Hand des größten Künstlers aufgenommen sein, die ungeheuere Größe jener Berge, das Riesige der Umrisse wiedergeben können, denn dem Beschauer fehlt eben der Maßstab den er an solch ein Gemälde legen könnte – täuscht ihn doch selber die Natur.

Aber wir müssen weiter. Im Gebüsch zwitschert das Goldhähnchen und piept die Meise und sucht sich ihr Ruheplätzchen für den dunkelnden Abend. Noch glühen zwar jene Kuppen im Licht der scheidenden Sonne; in den Thälern da unten, deren Uebersicht uns hier im dicken Unterholze abgeschnitten ist, lagert sich aber schon die Nacht, zieht sich die weiße Nebeldecke langsam an den Zipfeln aus Felsenspalte und Waldesschlucht heraus, und schmiegt sich tief hinein in's weiche Bett.

Wir haben noch ein tüchtig Stück zu steigen; doch mit dem Abend wird die Luft so kühl und frisch, so geheimnißvoll rauscht dazu der Strom unten im Thale hin, und zirpt die Grille tief im Dickicht drin, daß man recht gut noch einmal so rasch vorwärts rücken könnte – wenn sich eben die Kuppen hinter uns nicht gar so wundervoll und wechselnd färbten, und den Wanderer wieder und wieder zwängen stehn zu bleiben, mit durstigem Auge jenes Götterschauspiel einzusaugen.

Wie der »Stuhlkopf« und die »rothe Wand« dort hinten im rosigen Licht der untergehenden Sonne glühn, die zwischen den hohen Kuppen der beiden Falken durch ebenfalls noch ihre Streiflichter wirft, und an dem zackigen Gemsjoch wie der abgeplatteten Spitze des Sonnenjochs die letzten Strahlen bricht. Und immer lichter werden dort die Höhn, immer durchsichtiger, duftiger wird das graue schwere Gestein das, wenn auch scharf abgezeichnet gegen den reinen Horizont, doch mit dem Aether zu verschwimmen scheint. Und grüner, dunkler wird der Wald, schattiger das Thal; mit tieferem Blau färbt sich der Himmel und düsterer und wilder wird drüben der Bergeswall, der jetzt nur noch die dunkeln Schattenwände zeigt und in den innern Conturen schon in einander fließt. Einzelne Sterne blitzen am Himmel auf, und wie sich im Westen dort am hellen Aetherrand mit schwarzen schroffgerissenen Linien die oberen Joche abschneiden, liegt die andere Welt in tiefer, schweigender Nacht. Stärker rauscht dazu der Strom, als ob er eiliger hinaus wollte aus den dunkeln Thälern, in's Freie nieder. Heimlicher säuselt der Wald von einem leichten Süd-West bewegt, der flüsternd, und mit den thaufeuchten Zweigen kosend, das Thal hinauf weht, und über den ganzen weiten Himmel ausgegossen, ist plötzlich der Sterne funkelnder Glanz.

Und dort liegt die Pirschhütte; hellblinkend schauen die neuen Breter aus dem dichten Grün der Laatschen vor; aus dem verhangenen Fenster schimmert Licht, und nebenan leuchtet aus einem anderen kleinen Haus der Feuerschein vom Kamin der Jäger herüber. Die Schweißhunde schlagen an; die Jäger die ein paar Stunden vorausgeschickt waren, springen vor die Thür, und der Herr betritt, freundlich grüßend, zum ersten Mal wieder und mit leuchtendem Blick sein Pirschhaus zu Steileck, die stille Jägerhütte in den Alpen.

Zur Toilette braucht's da oben wenig Zeit, die ist in den Bergen rasch beendet, und jetzt kommt eigentlich der schönste Augenblick: Der Jägerrath, der Bericht der Leute wie's in den Bergen steht, und was am Besten jetzt zu thun sei, dem scheuen Wilde beizukommen.

»Rainer soll herein kommen!«

Wenige Minuten später geht die Thür auf und Rainer, der grad' vom Essen aufgesprungen ist tritt, sich noch geschwind den Mund in der Thür wischend, in's kleine Gemach. Er war schon eine Zeit lang vorher heraufgeschickt worden, das Terrain, das er selber aus früheren Jahren genau kennt, zu recognosciren, die verschiedenen Joche und Klammen, wie die eingerissenen scharfen Schluchten – Gräben, wie die breiten Seitenthäler genannt werden – abzuäugen, und von den verschiedenen dort stationirten oder mit der Ueberwachung beauftragten Jägern Erkundigungen einzuziehen.

Rainer ist aber an sich selber eine viel zu interessante Persönlichkeit, ihn so ohne Weiteres, und ohne etwas nähere Beschreibung einzuführen.

Bei Tafel unten im Schloß im schwarzen Frack, schwarzen langen Hosen und steifer Halsbinde mit aufwartend, giebt es kaum eine steifere, unbeholfener aussehende Figur als ihn, und wie verwandelt ist der Mann, wenn er in die freie Bergtracht hinein, und mit Knieen und Hals aus den beengenden Kleidern herausfahren kann. Es ist ordentlich als ob er mit der Tyroler-Joppe und dem spitzen Hut, den kurzen Hosen und den eisenbeschlagenen Schuhen auch einen anderen Menschen angezogen – und das geschah auch in der That. Jede seiner Bewegungen ist frei und natürlich, und das charakteristisch geschnittene Gesicht mit dem blonden, sorgfältig gepflegten Bart, die klugen, hellen Augen und der sehnige Körper, machen ihn zu einem tüchtigen Repräsentanten des ganzen Jägervolks.

Seine Worte setzt er freilich manchmal, als ob er doch noch im schwarzen Frack stäcke, und ich weiß auch nicht ob er sich selber nicht vielleicht ganz gern darin sieht, – wenn das der Fall wäre hätte er unrecht.

Rainer hat die Schweißhunde unter sich, und selber einen kleinen Dachs, der sogar in den Alpen seinesgleichen auf der Fährte sucht. Bergmännle spielt eine zu bedeutende Rolle auf der Nachsuche, ihn unerwähnt zu lassen, und manches angeschossene Stück hat der kleine unerschrockene und unverdrossene Teckel schon gefunden und gestellt.

»Nun Rainer wie steht's? ist noch 'was da?«

»Nu ich denk' Hocheit – s' sieht gut aus;« lautete die vergnügt lächelnde Antwort, und Rainer holt sich indeß mit den Augen seinen Dank für die gute Botschaft von sämmtlichen Gesichtern.

»So? – hast Du Gemsen gesehn?«

»Sehn thut man gerade nicht viel, aber spüren überall – nur noch nicht recht oben auf den Alpen. Es ist noch zu warm, und sie stehn drin in den Gräben.«

»Aber Du hast doch auch welche gesehn?«

»Ei ja wohl. Gestern war ich drüben an dem Leckbach, da standen drei Rudel auf den Reißen, eins von zwölf, eins von sieben und eins von funfzehn Stück. Capitalgemsen und eine Menge Kitzgeisen dazwischen.«

»Und keine Böcke?«

»Nachher guckt ich in die Delpz nur so von oben hinein, da standen dicht unter der Wand drei Capitalböcke – Einer schußrecht; und unten drin war ein Rudel von elf Stück – und noch zwei Böcke.«

Des Herrn Augen leuchteten.

»Also es giebt Gemsen?«

»Ich sollt's meinen,« sagt Rainer mit vergnügtem Gesicht. »Und besonders viel Kitzen hab' ich gesehn. Der Weinseisen hat auch gestern zwei starke Rudel an der Luderstauden1 gespürt, und einen mordmäßig starken Bock gesehn. Er soll Krickeln aufgehabt haben so hoch, und der Bart hat ordentlich in Wind geweht.«

»Wo war das?«

»Gleich dort oben auf dem Roßkopf.«

»Das ist der alte Bursch,« lacht der Jagdherr, »der uns schon drei Jahre zum Besten gehabt hat; der ist zu schlau, den bekommen wir nicht.«

»Nu, vielleicht fallirt's ihm doch einmal,« sagt Rainer, eins seiner schwarzen-Frack Worte riskirend.

»Nun, und drüben am Grasberg? – an der Fleischbank oben, und in den Gräben?«

»Gemsen sind überall,« lautet die Antwort, »man sieht sie aber da herum nur selten, weil sie in den Dickichten drin stecken.«

»Hast Du am Waldeck etwas gespürt?«

»Leer ist's nicht,« weicht hier Rainer vorsichtig aus, denn wahrscheinlich wird dort morgen zuerst gejagt, und er möchte nicht gern zu große Erwartungen wecken, obgleich er auch dort Gemsen gesehen hat.

»Und drüben am Heimjoch, in der Laures und am Blunzjoch drüben?«

»Das ist ein Hauptplatz,« sagt Rainer und wird warm dabei – »der Wastel ist vorgestern mit dem großen Ragg drüben gewesen. – Am Eiskönig soll's ordentlich lebendig sein.«

»Also auf dieser Seite sieht's gut aus, und wie steht's drüben? Ist das Pirschhaus im Laritter Thal fertig?«

»Sie hämmern noch drüben,« meint der Gefragte etwas kleinlaut, »soll aber heute oder morgen fertig werden.«

»Und im Leichwald; am Falken?«

»Da wimmelt's,« versichert Rainer. – »Am Falken – das giebt ein Haupttreiben, da stehn wenigstens 200 Gemsen.«

Der hohe Herr zieht ein bedenkliches Gesicht und schüttelt den Kopf, Rainer aber, durch den Zweifel gekränkt fährt eifrig fort »Hocheit, sollen mir den Hals abschneiden, wenn's nicht wahr ist.«

Da von dem Anerbieten für jetzt noch kein Gebrauch gemacht wird, ergeht er sich dann in näherer Beschreibung des Terrains und der dortigen Rudel, die allerdings das Außerordentlichste verspricht. Beiläufig muß ich aber hier nur bemerken, daß dies berühmte Falkentreiben später wirklich gemacht wurde und statt der 200 Stück versprochenen Gemsen, sieben darin waren, aber nicht zum Schuß kamen. Rainer erwähnte dabei nichts weiter von seinem Hals.

»Und wie steht's mit dem Rothwild?« geht nun die Frage auf den anderen Zweig der Jagd über, der allerdings jetzt nicht zur Ausübung kommt, da die Jahreszeit für die Hirsche schon zu weit vorgerückt ist, und diese schon fast sämmtlich abgebrunftet haben.

»Drüben am Roßkopf haben zwei starke Hirsche noch gestern geschrien; an dem Leckbach drei – Hirsche hört man überall und Wildpret spürt sich auch überall auf den Pirschwegen.«

»Aber viel eingegangen ist doch im letzten Winter?«

»Acht Stück sind im Ganzen gefunden,« lautet die traurige Bestätigung, denn der Winter war gar zu streng, der Schnee zu tief und dauernd, und das arme Wild konnte nicht dagegen ankämpfen. Starke Hirsche selbst wurden, im Schnee stehend, todt entdeckt, und auch viel Rehwild war eingegangen. Rehwild hält sich überhaupt nur spärlich in den Bergen.

»Und was machen wir morgen?« lautet jetzt die direkt auf die Gegenwart bezughabende Frage – »was hast Du Dir gedacht?«

»Nun ich dachte so – wenn Hocheit vielleicht morgen oben die Fleischbank trieben oder den Waldeckelgraben – leer ist's nicht, und schießen thäten's gewiß; dafür bin ich beinah ganz überzeugt.«

»Und wie wollt Ihr's treiben?«

»Nun ich dachte so, daß der Wastel und Weinseisen mit dem großen Ragg vom unteren Pirschweg den Graben dußemang heraufstiegen und sich nur manchmal sehn ließen und ich mit dem Martin dann die Wand von drüben herein brächte.«

»Und ich soll mich dann oben an den Graben stellen?«

»So war meine Meinung – wenn Sr. Hocheit was Besseres wissen –«

»Und da treibt Ihr mir die Gemsen ruhig in den Seitengräben hinauf; denn daß Ihr sie nicht bis oben hin bringt, wißt Ihr, und ich stehe zum Spaß dort zwei oder drei Stunden lang.«

»Wenn's da nicht wenigstens vier, fünfmal schießen, sollen Sie mir den Hals abschneiden,« erbietet sich Rainer zum zweiten Mal leichtsinniger Weise – »die anderen Schützen stellen wir dann an der hervorderigen Seite oben und unten hin.«

»Nun gut,« sagt der Herr resignirt, »dann kommen die Herren wenigstens zum Schuß, ich aber stehe zur Abwehr da oben. Du wirst sehen.«

Rainer macht eine halb verzweifelte, halb unglückliche Geberde über das schmerzende Mistrauen, schweigt aber –

»Sonst noch etwas?«

»Draußen« sagt Rainer, der überhaupt dem Gespräch eine andere Richtung zu geben wünscht »steht der neue Jäger von der Au. Hocheit haben ihn hieher beordert, und er wünscht unterthänigst den Grund seines Daseins zu wissen.«

»Er soll nur kommen.« Alle lachten.

Rainer ist entlassen, und gleich darauf tritt ein anderer erst kürzlich einberufener Jäger aus den entfernteren Thälern, mit einer kurz abgeknickten Verbeugung, aber mit offenem, freundlichen Gesicht herein, und bleibt nicht etwa schüchtern an der Thür stehn, sondern geht gerade auf seinen Herrn zu.

»Nun, Johann, wie steht es bei Euch da drüben?«

»Gut,« sagte der Mann mit einem kurzen, ihm eigenthümlichen Kopfnicken, indem er seinen Hut in der Hand rasch herumdreht – »es macht sich mit den Gemsen.«

»Sind starke Rudel drüben?«

»Nu ja,« nickt der Jäger und lehnt sich mit dem Ellbogen zutraulich auf die hohe Lehne desselben Stuhles, auf dem der Herr sitzt. Dieser lächelt still vor sich hin, läßt aber den Mann gewähren. Es ist ein braver Bursch und wenn er die Sitte draußen im Land nicht kennt, weiß er dafür desto besser in seinen Bergen Bescheid. »Es giebt schon hübsche Rudel drüben, und besonders viel Kitzgeißen das Jahr.«

»Und der Winter hat ihnen nichts gethan?«

»Ih – ich denk,« lächelt der Jäger kopfschüttelnd, »wenn nicht einmal eine oder die andere von einer Lawine erwischt wird – im Uebrigen hat's keine Noth.«

Es folgt jetzt ein ausführlicher, ziemlich befriedigender Bericht des dortigen Gems- und Wildstandes, und der Jäger wird endlich wieder freundlich entlassen.

Die Nacht ist jetzt weiter vorgerückt, und die heutige noch ungewohnte Anstrengung, mit der feineren reineren Bergluft macht auch ihr Anrecht geltend, als der Ruf »da schreit ein Hirsch!« von draußen, halbflüsternd aber doch laut genug hereintönt, die Aufmerksamkeit rasch dorthin zu lenken. –

Wir treten hinaus vor die Thür. – Wie still die Nacht hier auf den Bergen liegt. Nur das Rauschen des Stromes tönt herauf, und das einzelne Zirpen einer Grille mischt sich in das leise heimliche Flüstern und Rascheln der Zweige. – Drüben liegen in schweigender Majestät schwarz und düster die mächtigen Bergrücken wie schlummernde Riesen – kein Laut weiter unterbricht die Todtenstille.

»Huh – a – h!« tönt da langsam und faul, aber tief und gewaltig der Brunftschrei eines starken Hirsches weit aus dem unten liegenden Thal herauf.

»Das ist ein braver Hirsch,« geht der leise geflüsterte Ruf, den Schreienden nicht etwa zu stören und »da ist noch Einer« ruft Martin, als drüben vom »Roßkopf« herüber ein anderer schwächerer herausfordernd antwortete.

Wie wunderbar das in dem stillen Walde klingt; wie seltsam feierlich, und doch so wild. Nur das Herz des Jägers füllt der Ton mit unbeschreiblichem Entzücken. – Was ist Nachtigallenschlag, was irgend eine Symphonie dagegen, die sonst im Lande drin vielleicht sein Herz entzückt. Das ist Musik, das zittert durch die Nerven, und macht das Herz rascher schlagen, das Auge glühn und leuchten.

– Jetzt ist wieder Alles still – da noch einmal tönt der Ruf herauf, aber weiter nach rechts. Der alte Bursch unten hat die Ausforderung angenommen und zieht hinüber nach dem andern Hang, den Gegner zu bekämpfen oder zu vertreiben. – Nun ist Alles ruhig; – nur die Grille zirpt fort, und der Bergstrom unten rauscht sein volltönendes brausendes Lied durch die stille Nacht. –

Es ist das überhaupt ein eigenthümliches Gefühl, das den aus dem unteren Land heraufgekommenen Jäger die erste Nacht erfaßt – diese ungewohnte heilige Stille der Natur. Kein Wagenrasseln, kein Nachtwächterruf, kein Glockenschlag, kein lauter Tritt der durch öde Straßen hallt – es ist Alles Frieden und Ruhe, als ob hier oben gar keine Leidenschaften tobten und stürmten. Nur das leise Flüstern des Laubes legt mit sanftem, wohlthuenden Finger den Schlaf auf unsere Augen – und wie gut schläft sich's in den Bergen.

1

Luderstauden heißen dort die Alpenerlbüsche.

Eine Gemsjagd in Tyrol

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