Читать книгу Eine Gemsjagd in Tyrol - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 3
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Aufbruch zur Jagd
Оглавление– Draußen schlägt ein Hund an – der langsame Schritt eines Jägers auf dem Steinboden wird laut; – durch das verhangene Fenster dringt der erste dämmernde Schimmer des jungen Tags – der erste freudige Bote begonnener Gemsenjagd.
Frisch und stärkend schlägt die kühle Morgenluft in das weit geöffnete Fenster und dort? – träume ich denn noch oder wach' ich, und kann das wundervolle Bild das dort, den staunenden Blicken ausgebreitet in all seiner Pracht und Herrlichkeit liegt, Wahrheit – Wirklichkeit sein?
Gerad gegenüber, und hoch in die reine duftige Morgenluft hineingebaut, ragen die grauen lichtumflossenen Kuppen der Falken hinein – rechts hebt der Stuhlkopf sein breites mächtiges Joch, und tief da unten, weit zwischen beiden hinein, und im Hintergrund von einer schroffen wallartigen Wand, dem Carvendelgebirge begrenzt, zieht sich ein tiefes grünes Thal, in das der Schöpfer zu dieser frühen Morgenstunde all seine wunderbarsten Tinten und Schatten, von all der zauberhaften Pracht der Alpenwelt übergossen, hineingeworfen hat.
Vom Carvendelgebirge nieder springt der Johannisbach wie ein silberschlängelnder Faden zwischen dichtem Waldesteppich durch, der rechts und links in leichten wellenförmigen, selten schroffauflaufenden Hügeln die Seitenwand erklimmt. Kleine saftgrüne Grasflächen, hie und da mit Spuren hineingestreuter Hütten und Einfriedungen sind dazwischen sichtbar, und über dem Ganzen liegt ein leichter, durchsichtiger blauer Duft, der in dem dunklen Grün der Tannen über dem Silber des Baches, über dem Lichtgrau der in die Wälder hineinragenden Reißen seine Schattirung wechselt, während klar und schroff die hohen nackten Kuppen und Joche der umschließenden Gebirge dies wunderbare Meer von Licht und Farbenpracht überragen. – Jetzt plötzlich erglühen diese in dem ersten Strahl der aufgehenden Sonne, während ihre Zacken in ganz fremdartigem Licht und Raumtäuschung die weiten Schatten werfen, und unten im Johannisthal zittert, von den oben hellerleuchteten Wänden reflectirt, ein mattes rosiges Licht über das bläulich dunkle Grün der Waldung, das gegen den fremden Schimmer anzukämpfen scheint. Farben führen aber nur auf schlechten Bildern und geschmacklosen Kleidern Krieg mit einander; in der Natur ist Alles Harmonie. In wenigen Minuten ist das Ganze zu einem Rosenduft verschmolzen, in dem die tiefe Landschaft glühend liegt. Wie aus dem Grund heraus heben sich dabei die dunkleren Schatten der Waldung mit ihren eingerissenen und jetzt weit schärfer hervortretenden schwarzen Schluchten und Spalten; klarer schneidet sich der silberhelle blinkende Bach heraus, auf dem das Auge jetzt schon die kleinen schneeweißen Schaumwellen erkennen kann. – Der Rosenhauch geht in einen helleren, lichteren Duft über, und wie die Sonne drüben hinter dem Sonnenjoch emporsteigt und ihre Strahlen hell und mächtig in die Thäler wirft, schwinden die zitternden Tinten der Morgenluft in ihrem Schein und – es ist Tag.
Heiliger Gott, wie ist deine Welt so schön und reich, daß du selbst in die geheimsten Schluchten dieser Erde solch wunderbare Pracht gestreut. Worte fehlen da auch, solcher Allmacht gegenüber, und wie die Lerche draußen im Land wirbelnd ihr frohes Dankgebet zum Himmel trägt, wie der duftende Baum sein Weihrauchopfer haucht, wie die Berge, im Wiederglanz des himmlischen Lichts höher und freudiger erglühn, so bringt die zitternde Thräne im Menschenauge, bringt das jubelnde Herz in Menschenbrust dem unerkannten Wesen über uns seinen stillen Dank, den es mit Worten und Gebeten nimmer so heiß, so glühend sprechen könnte.
Und doch vergessen ist im Nu die vor uns ausgebreitete Pracht und Herrlichkeit. –
»Da drüben steht ein Hirsch!« ruft mit seiner heiseren Stimme Martin (kein Tyroler Jäger), der ein Auge wie der Falke hat – »und dahinter noch zwei Stück Wild!« Zu gleicher Zeit zieht er das immer händige Perspectiv hervor und richtet es nach dem Hang des Roßkopfs hinüber, der in einer Entfernung vor uns liegt als ob ihn eine Büchsenkugel leicht erreichen müßte.
Vergebens aber sucht das Auge, noch nicht an diese Lichttäuschung in der Ferne gewöhnt, durch die offenen Blößen des dort ziemlich lichten Waldes, nach dem gemeldeten Wild. Nirgends läßt sich auch nur das geringste Lebendige erkennen.
»Dort weiter oben steht auch noch ein Altthier mit einem Schmalthier, und links davon ein Sechsender. – Donnerwetter, ist das da unten ein starker Hirsch!« murmelt Martin dabei vor sich hin, indem er durch sein ausgezogenes »Bergspectiv« (wie es die Tyroler nennen) hinüber schaut.
»Aber wo? um Gottes Willen?«
»Gerad dort drüben auf der offenen Stelle; dicht neben der umgefallenen Tanne, wo der gelbe Fleck im Boden ist – gleich links darüber.« –
Der gelbe Punkt? – wenn man nach einem Kaninchen ausgeschaut hätte, würde man etwa ein lebendes Wesen von der Größe in der Entfernung erwartet haben, und jetzt ist das ein starker Hirsch, zehn- oder zwölfendig, der sich dort ruhig an der Lanne im Walde äst, und nur manchmal nach den, nicht weit über ihm stehenden Thieren auf äugt. Jetzt wird der Blick auch erst auf die verhältnißmäßige Größe der Bäume aufmerksam, die da drüben wie zierlicher Nipptischschmuck, trotz der Entfernung in der reinen Luft mit jedem kleinen ausgezackten Zweig fast sichtbar, stehn, und steigt man zu ihnen hinüber, zu mächtigen Stämmen anwachsen.
Das Wild äst sich indessen langsam in die Dickung hinein – wird wieder auf einer kleinen Blöße sichtbar, und verschwindet endlich in den Laatschen. Aber die kostbare Zeit verschwindet ebenfalls, und rasch wird das leichte Frühstück eingenommen, das nur ein kleines Intermezzo draußen nicht etwa stört, sondern eher noch würzt.
Der rothe Schweißhund, Pirschmann, von guter tüchtiger Race – ob aus misverstandenem Eifer oder Langeweile – es läßt sich kaum vermuthen aus eigennützigen Zwecken – hat den etwas primitiv angelegten Keller auf seiner nächtlichen Runde entdeckt, und der dort niedergelegte Kern eines gekochten Schinkens war verschwunden. Pirschmann läugnete allerdings hartnäckig, oder weigerte sich wenigstens, wozu er auch nicht gezwungen werden konnte, gegen sich selber zu zeugen; und Rainer dem die Ueberwachung der Hunde übertragen, bekam vom Mundkoch die von ein oder dem andern verdiente Nase.
Aber keine Zeit ist's mehr für solche Dinge. Die Jäger stehn draußen gerüstet, den Bergsack auf dem Rücken, den Stock in der Hand, die Büchsflinte oder den Wender über der linken Achsel; die Sonne scheint voll auf die markigen malerischen Gestalten, auf die offenen treuherzigen, und oft doch so verschmitzten Züge, und geduldig harren sie des Zeichens zum Aufbruch. –
»Und nun vorwärts!« ruft der Herr der Jagd, der in der leichten Jägertracht, den Bergstock in der Hand, nur statt des spitzen zum Pirschen, seiner Höhe und dunklen Farbe wegen nicht einmal ganz praktischen Tyroler Hutes, eine einfach graue sehr leichte Mütze trägt. Die Jäger reißen, als er an ihnen freundlich grüßend vorübergeht, rasch die Hüte herunter, und während er den schmalen Pirschpfad voranschreitet folgen mit so wenig Geräusch als möglich, die übrigen Schützen und Jäger in bunter Reihe und ächt indianischem Marsch, Einer hinter dem Andern. – Bietet der schmale Weg doch oft kaum Raum für den einen Fuß. –
Langsam windet sich so der Zug bergauf. Der Tyroler Jäger und überhaupt der Alpenjäger hat einen langsamen aber stäten Schritt; den aber behält er bei, ob er eine sanfte Anhöhe, oder eine steile Wand ersteigt. Ruhig setzt er Fuß vor Fuß, der Brust dazwischen Zeit zum Athmen lassend; aber er rastet nie. Wenn er nicht pirschen geht, wo die ganze Jagd nur im Vorschleichen und wieder Halten und Umheräugen und Lauschen besteht, fällt's ihm nicht ein sich auszuruhen, Stunden lang, – er müßte denn eine schwere Last mit sich tragen. Die ächten Bergsteiger haben auch alle einen etwas vorwärts gebogenen Gang, aber desto sichereren Schritt, und Schwindel kennen die Leute nicht. Bricht ihnen nicht einmal an gefährlicher Stelle ein Stein unter den Füßen weg, oder schleudern über ihnen losgegangene Gemsen auf ihrer Flucht nicht lockeres Geröll auf sie nieder, das sie mit in den Abgrund nimmt, so wandern sie auf ihren schwindelnden Bergpfaden und an den hängenden Wänden so sicher hin, wie der Bewohner des flachen Landes auf seinen breiten Straßen. Der Gefahr müssen sie aber doch stets in's Auge sehn; der Tod lauert auf sie in mancherlei Gestalt und Art, und weil sie das wissen und ihm doch begegnen, deshalb auch ist ihr Blick so frei und offen, ihr Schritt so fest und keck und männlich.
Jetzt haben wir den oberen Pirschpfad erreicht, und von der Stelle, an der wir einen Augenblick halten, sehn wir das, vor einer halben Stunde etwa verlassene Pirschhaus wie ein kleines aus Marzipan gebackenes Zuckerwerk tief hinter uns im Schatten der Bäume liegen. Hell schimmert das Dach aus der dunklen Umgebung vor, und heller noch jener schneeweiße Punkt der sich daneben zeigt. Es ist der Mundkoch, der mit seiner weißen Jacke, Schürze und Kappe vor seiner Thür stehend, die Jäger noch mit den Blicken am Berggelände suchen will. Aber die Erd- und Steinfarben gekleideten Gestalten sind lange aus seines Auges Bereich, und ihre Umrisse verschwimmen mit dem Boden auf dem sie stehn.
Wieder wechseln hier die Bilder von Berg und Schlucht um uns her, aber das Auge forscht jetzt nach anderem Ziel: – Gemsen. Ueber den Weg laufen die Fährten eines ganzen Rudels das hier vom Joch nieder dem vorderen »Graben« zugezogen ist. Die Jäger sehen, wie sie darüber hinschreiten die Fährten an, und deuten mit der Hand auch wohl hie und da auf die besonders tief eingedrückten breiten Spuren eines alten Bockes; aber keiner von ihnen spricht mehr ein Wort. Wir sind hier im eigentlichen Gemsrevier. Spuren wie frische Losung zeigen überall die Nähe des scheuen Wildes, und der Klang der menschlichen Stimmen schallt weit auf diesen Höhen.
Aber nichts Lebendes zeigt sich noch. Hie und da hüpft in einem Laatschenbusch einer der kleinen befiederten Bergsänger umher, und lenkt den Blick der Vorüberschreitenden rasch und forschend auf sich. Nichts Lebendes, was sich im Sehkreis regt, und überhaupt Bewegung hat entgeht dem Auge der aufmerksamen Jäger. Fünfzig Mal dabei getäuscht, sei es durch einen Vogel, eine raschelnde Maus, oder einen losgebröckelten Stein, – er ermüdet nicht, und wieder und wieder sucht das Auge nach Leben und Bewegung hier im Wald, und die Hand greift unwillkürlich nach der Waffe.
Jetzt ist »der Graben« der getrieben werden soll erreicht, und in einem Dickicht, noch unter dem Rand, daß in der Nähe sitzende Gemsen nicht die sich regenden Gestalten der Jäger auf dem Abhang erkennen könnten, bleibt der Herr stehn.
»Und wie wollt Ihr's nun machen?« lautet die mit unterdrückter Stimme an die herbeitretenden Jäger gerichtete Frage.
Rainer beginnt jetzt, mit eben so vorsichtig gedämpfter Stimme seinen nochmaligen Vortrag: Dort unten auf einem bezeichneten Felsenkamm, der den Schuß nach rechts und links hinein in die steile, lawinenzerrissene Klamm erlaubt, an der und jener Wand, und dort und da sollen die Schützen stehn, und wenn die Treiber dann von dort und da herüber kommen, weiß Rainer auf ein Haar, in welchem Graben, welch eingerissene Spalte und Klamm die aufgescheuchten Rudel ihre Flucht hin nehmen müssen.
Jetzt werden rasch die verschiedenen Jäger als Treiber oder Abwehr nach rechts und links geschickt und vorsichtig, auch das geringste Geräusch vermeidend, pirscht sich Jeder zu dem angegebenen Stand. Den Bergstock verkehrt in der Hand, die eiserne Spitze nach oben, daß sie nicht zufällig vielleicht einen Stein berühre und durch den fremden Metallklang die Gemsen schrecke, mitten in die Laatschen hinein an deren Zweigen sich die rechte Hand anklammert, während die linke den Bergstock hält und zu gleicher Zeit die Büchse aus dem Weg der Aeste rückt, schleicht der Schütze nieder. Hier einen kleinen Vorsprung benutzend, durch einen Busch gedeckt den Ueberblick über einen vielleicht lichten Fleck zu bekommen, dort der ausgewaschenen Rinne eines jetzt trockenen Bergquells folgend, indem er dadurch wenigstens das Geräusch der zurückgebogenen Zweige vermeiden kann; jetzt auf dem Boden nieder unter den Büschen durchkriechend, jetzt dazwischen hin den Weg suchend. Da wird es plötzlich licht. – Dort vor uns liegt der Rand der Klamm, und vor sich abäugend erst, ob nicht vielleicht ein einzelner alter Bock dort unten schußgerecht steht und durch längeres Zögern verscheucht werden könnte, sucht man sich jetzt, da sich die Hoffnung nicht bestätigt, einen zugleich gedeckten und doch freien Fleck, den größtmöglichsten Raum in der Nähe überschießen zu können, und so wenig als möglich durch nahe Büsche verhindert zu sein, nach verschiedenen Richtungen hin die Pässe und Wechsel zu beherrschen.