Читать книгу Die mündliche Strafrechtsprüfung im Assessorexamen - Gert-Holger Willanzheimer - Страница 10

Fall 2 Ein gewissenhafter Handwerker ★★★

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StGB Allgemeiner Teil: Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes, insbesondere bei Tötungsdelikten (§ 15 StGB) Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB), insbesondere: Straffreiheit bei eingeplantem Rücktritt?
StGB Besonderer Teil: Heimtückemord
Strafprozessrecht: Recht der Untersuchungshaft, insbesondere - Voraussetzungen eines Haftbefehls (§§ 112, 112a StPO) - Begriff des dringenden Tatverdachts - Haftgründe (§§ 112 Abs. 2, 3; 112a StPO) - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) - Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen den Haftbefehl (§§ 117, 304, 310 Abs. 2 StPO) Einfache und sofortige Beschwerde (§§ 304 ff., 311 StPO) Rechtsbehelfe gegen polizeiliche Eingriffsmaßnahmen

Fall: Sie sind Anwalt. Sie erhalten einen Anruf von einem Mandanten, der Sie dringend um Hilfe bittet. Er sei soeben von der Polizei festgenommen worden. Er sei Elektrikergeselle und habe auf einem Neubau gearbeitet. Man werfe ihm nun versuchten Mord vor. Er soll noch heute dem Haftrichter vorgeführt werden. Außerdem habe die Polizei Fotos von ihm gemacht und Fingerabdrücke genommen. Was tun Sie?

Kandidat: Wenn ich es ermöglichen kann, würde ich sofort hinfahren und mit ihm sprechen. Auf jeden Fall empfehle ich ihm dringend, derzeit keinerlei Angaben zur Sache zu machen, nichts zu unterschreiben und zu keiner Maßnahme sein Einverständnis zu erklären.
Prüfer: Warum?
Kandidat: Er kann sich ja um Kopf und Kragen reden und mir die Verteidigung sehr erschweren.
Prüfer: Er kann aber doch später von seinem Schweigerecht Gebrauch machen?
Kandidat: Das schon, aber die Angaben, die er gegenüber der Polizei gemacht hat, könnten durch Vernehmung der Polizeibeamten in die Hauptverhandlung eingeführt werden, sofern er von der Polizei ordnungsgemäß nach §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 StPO belehrt wurde.
Prüfer: Gut. Sie erfahren also, dass in einer Stunde der Vorführungstermin beim Haftrichter stattfindet und fahren zum Gericht. Dort finden Sie den Mandanten bereits in Begleitung der Polizei vor und bitten die Beamten, mit ihm unter vier Augen reden zu dürfen. Das wird Ihnen gestattet. Der Mandant schildert Ihnen Folgendes: „Ich bin vor vier Jahren nach Abschluss meiner Ausbildung zum Elektriker von meinem Ausbildungsbetrieb übernommen worden und arbeite seitdem dort. Die Auftragslage wird aber immer schlechter, und nach Abschluss des Neubaus, an dem wir gerade arbeiten, wird wahrscheinlich einer von uns Gesellen entlassen werden. Da ich den Verdacht habe, dass der Chef mich dabei im Auge hat, bin ich auf die Idee gekommen, besonders positiv aufzufallen. Ich habe also eine Stromleitung im Hauptverteilerkasten absichtlich falsch angeklemmt und so die Schutzleiter unter Strom gesetzt, das sind Kabel, die eigentlich niemals stromführend sein dürfen. Dann bin ich in die Metzgerei Frühstück holen gefahren, was ich als jüngster Geselle machen musste, weil der Lehrling in der Berufsschule war. Das hat ungefähr eine halbe Stunde gedauert. Dann haben wir alle fünf – der Meister und wir vier Gesellen – noch eine halbe Stunde gemeinsam Frühstück gemacht. Danach bin ich an meine Arbeit zurückgekehrt, habe nach weiteren zehn Minuten den Meister gerufen und so getan, als hätte ich gerade durch eine besonders sorgfältige Sicherheitsüberprüfung entdeckt, dass die Schutzleiter Strom führen. Der Meister hat sofort die Hauptsicherung abgeschaltet und mir anerkennend auf die Schulter geklopft. Mein Plan schien also aufzugehen. Dann ist der Meister allerdings leider zu dem Schaltkasten hingegangen, an dem ich die Manipulation vorgenommen habe, und hat gleich die Stelle entdeckt, die ich überbrückt hatte. Da hat er mich schon ganz misstrauisch angeschaut. Als er dann von einem Kollegen erfuhr, dass dieser mich vor dem Frühstück an diesem Schaltkasten gesehen hat, an dem ich eigentlich nichts zu suchen hatte, hat er mir auf den Kopf zugesagt, die Fehlschaltung selbst gelegt zu haben. Ich war so verdattert darüber, dass die Sache so schnell aufgeflogen ist, dass ich das gleich zugegeben und auch meine Gründe dafür genannt habe. Da hat er mich angebrüllt, ob ich sie noch alle hätte, und ob mir nicht klar gewesen sei, dass einer meiner Kollegen hätte zu Tode kommen können, während ich Frühstück holen war. Ich habe dann auch zugegeben, dass ich mir dieses Risikos schon bewusst war, ich aber gehofft habe, dass in dieser halben Stunde nichts passieren würde. Ist es ja auch nicht. Er hat dann die Polizei gerufen, die mit mir zur Wache fuhr, dort von mir Fotos machte und Fingerabdrücke nahm. Dann hat der Kriminalbeamte mir erlaubt, Sie anzurufen. Danach wollte er noch von mir wissen, ob ich Angaben machen wolle und ob ich mit der Entnahme eines Abstrichs aus dem Mund wegen irgendwelcher Untersuchungen einverstanden sei. Das hat, glaube ich, damit zu tun, dass ich bei der Arbeit am Schaltkasten einen Zigarettenstummel weggeworfen hatte. Ihrem Rat entsprechend habe ich aber alles verweigert.“ Haben Sie noch Fragen an den Mandanten?
Kandidat: Zur Sache im Moment nicht. Aber über seine persönlichen Verhältnisse wüsste ich gern etwas.
Prüfer: Er ist 23 Jahre alt, ledig, hat keine Kinder, lebt noch bei seinen Eltern und ist nicht vorbestraft. Was tun Sie jetzt?
Kandidat: Mein nächster Ansprechpartner wäre der Staatsanwalt. Da eine Vorführung vor dem Haftrichter stattfindet, gehe ich davon aus, dass ein Staatsanwalt auch anwesend sein wird, denn der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls muss durch die Staatsanwaltschaft gestellt werden, nicht durch die Polizei.
Prüfer: Das ist richtig. Woraus entnehmen Sie das?
Kandidat: Aus § 125 Abs. 1 StPO. Das Gericht darf nur bei Gefahr im Verzug von Amts wegen einen Haftbefehl erlassen, von der Polizei ist dort gar keine Rede.
Prüfer: Gut. Welches Gericht ist zuständig?
Kandidat: Sachlich zuständig ist vor Erhebung der öffentlichen Klage der Haftrichter, örtlich zuständig das Gericht, bei dem ein Gerichtsstand begründet ist oder am Aufenthaltsort des Beschuldigten. Das ist ebenfalls in § 125 Abs. 1 StPO geregelt.
Prüfer: Ja, das genügt mir. Die örtliche Zuständigkeit im Einzelnen kann durch Rechtsverordnung bestimmt werden, aber das lassen wir einmal beiseite. Sie treffen also den zuständigen Staatsanwalt im Gerichtsflur. Was tun Sie?
Kandidat: Ich werde ihn dann ansprechen, um alsbaldige Akteneinsicht bitten und versuchen, ihn davon abzubringen, einen Haftbefehlsantrag zu stellen.
Prüfer: Ein Doppel der bis dahin noch dünnen Ermittlungsakte drückt er Ihnen gleich in die Hand. Darin steht aber über das hinaus, was Ihnen Ihr Mandant erzählt hat, nicht viel. Die Akte enthält noch ein Vernehmungsprotokoll des Meisters, in dem dieser erklärt, dass aus seiner fachkundigen Sicht ein Stromstoß der Stärke, wie er hätte auftreten können, für einen Menschen ohne weiteres tödlich sein kann, und dass an diesem Tag recht häufig an den fraglichen Leitungen gearbeitet wurde. Ihr weiteres Ziel, dem Mandanten die Untersuchungshaft zu ersparen, erweist sich derzeit als allzu ehrgeizig: Der Staatsanwalt ist entschlossen, ihn inhaftieren zu lassen. Es gehe immerhin um versuchten Mord.
Kandidat: Dann würde ich versuchen, den Haftrichter davon zu überzeugen, dass die Voraussetzungen eines Haftbefehls nicht vorliegen.
Prüfer: Wie sehen diese Voraussetzungen aus?
Kandidat: Sie sind in § 112 StPO geregelt. Nach Abs. 1 S. 1 darf die Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn der Beschuldigte einer Straftat dringend verdächtig ist. Ich muss also prüfen, ob dringender Tatverdacht des versuchten Mordes, wie der Staatsanwalt meint, oder auch einer anderen Straftat besteht.
Prüfer: Wie würden Sie den Begriff des dringenden Tatverdachts und sein Verhältnis zum hinreichenden Tatverdacht i.S.d. § 170 Abs. 1 StPO beschreiben?
Kandidat: Es handelt sich um einen sehr hohen Verdachtsgrad, der stärker ist als der hinreichende Tatverdacht, den man zur Erhebung einer Anklage benötigt. Allerdings ist die Sache meist noch nicht ausermittelt, wenn es um den Erlass eines Haftbefehls geht, so dass der dringende Tatverdacht immer am Stand der jeweiligen Ermittlungen zu messen ist. Der hinreichende Tatverdacht setzt hingegen einen ausermittelten Sachverhalt voraus.
Prüfer: Sehr schön. Wie sieht es nun mit dem dringenden Tatverdacht eines versuchten Mordes aus?
Kandidat: Mein Mandant müsste dringend verdächtig sein, Tatentschluss gehabt zu haben, einen Menschen zu töten. Außerdem müsste er unmittelbar angesetzt haben. Zum Tatentschluss gehört Vorsatz; hier kommt, da der Mandant gehofft hat, es werde nichts passieren, nur bedingter Vorsatz in Betracht.
Prüfer: Darf ich Sie unterbrechen? Welche Betrachtungsweise des § 211 StGB legen Sie Ihrer Prüfung zugrunde, wenn Sie so beginnen?
Kandidat: Die der Literatur, die den Mord als Qualifikation des Totschlags begreift. Deswegen prüfe ich zuerst den versuchten Totschlag und dann die Mordmerkmale als Qualifikationstatbestand.
Prüfer: Und wie macht es der BGH?
Kandidat: Der BGH sieht Totschlag und Mord nicht als Grunddelikt und Qualifikation, sondern als ganz unterschiedliche Tatbestände.
Prüfer: Richtig. Welche Konsequenz hat das für die Fallprüfung?
Kandidat: Wenn man es wie der BGH sieht, ist der Aufbau anders: Man muss innerhalb des Tatentschlusses bereits auf die Mordmerkmale eingehen.
Prüfer: Genau. Bleiben wir aber ruhig bei Ihrem Aufbau. Sie hatten die Frage aufgeworfen, ob Ihr Mandant mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Was meinen Sie?
Kandidat: Der Vorsatz besteht allgemein aus einem kognitiven und einem voluntativen Element. Das kognitive Element ist beim bedingten Vorsatz und bei der bewussten Fahrlässigkeit gleich – der Täter hält den Eintritt des Taterfolgs nicht für sicher, aber für möglich. Beim bedingt vorsätzlich Handelnden geht aber das voluntative Element dahin, dass er den Eintritt des Taterfolgs billigend in Kauf nimmt, während der Fahrlässigkeitstäter auf den Nichteintritt vertraut. Beim bedingten Tötungsvorsatz ist nach der Rechtsprechung des BGH außerdem zu berücksichtigen, dass die Tötung eines Menschen normalerweise die Überwindung einer hohen Hemmschwelle voraussetzt. Ein Indiz für einen Tötungsvorsatz ist andererseits die vom Täter erkannte besondere Gefährlichkeit der Tathandlung. Ich muss hier beides gegeneinander abwägen.
Prüfer: Das haben Sie sehr schön hergeleitet, aber warum bleiben Ihre Überlegungen so abstrakt? Wir haben doch einen Fall mit einer konkreten Beweislage. Versuchen Sie einmal, dort Anhaltspunkte zu finden.
Kandidat: Da fällt mir die missliche Äußerung meines Mandanten gegenüber seinem Meister ein, in der er zugegeben hat, dass ihm bewusst war, dass einer seiner Kollegen hätte zu Tode kommen können, wenn er auch gehofft hat, dass es nicht so weit kommt. Daraus ergibt sich zwar, dass ihm der Tod eines Kollegen unerwünscht war, aber das steht dem bedingten Vorsatz nicht entgegen. Außerdem hat der Meister ausgesagt, dass an diesen Kabeln relativ viel gearbeitet wurde und dass dabei Todesgefahr bestanden hätte, so dass eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen Ausgang der Sache bestand. Insoweit ist zwar hervorzuheben, dass es darum geht, was der Mandant gewusst hat. Aber der ist ja auch vom Fach. Ich muss wohl damit rechnen, dass der Haftrichter aus der Zeugenaussage des Meisters auf bedingten Tötungsvorsatz meines Mandanten schließen wird.
Prüfer: Das sehe ich auch so. Obwohl dies nach dem von Ihnen gewählten Aufbau des § 211 StGB an dieser Stelle eigentlich noch nicht zu prüfen wäre, frage ich trotzdem einmal: Welches Mordmerkmal käme denn in Betracht?
Kandidat: Heimtücke. Das wäre die bewusste Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit eines anderen. Die Arbeitskollegen des Mandanten haben sich keines Angriffs seitens des Mandanten versehen und hätten keine Chance gehabt, sich gegen einen plötzlichen Stromschlag zu wehren. Allerdings setzt Heimtücke außerdem eine feindselige Willensrichtung voraus. Aber auch diese würde ich hier bejahen; der Mandant handelte ja, um ein Gegenbeispiel zu bilden, nicht zum vermeintlich Besten eines nicht ansprechbaren Schwerkranken, um ihn von seinen Leiden zu befreien.
Prüfer: Einverstanden. Liegt damit der dringende Tatverdacht eines versuchten Mordes vor?
Kandidat: Dringend wäre der Tatverdacht sicherlich, denn an der Zeugenaussage des Meisters und des Gesellen, der den Mandanten zuvor am Schaltkasten gesehen hatte, wird man nicht vorbeikommen. Außerdem steht ja wohl noch die molekulargenetische Untersuchung des Zigarettenstummels aus, aus dem sich wahrscheinlich auch ergeben wird, dass der Mandant am Tatort war. Der Mandant hat sicherlich auch unmittelbar angesetzt, denn aus seiner Sicht hat er alles zur Tatverwirklichung Erforderliche getan, und das Risiko war auch nah genug an der Tathandlung. Allerdings würde ich mich als Verteidiger auf den Standpunkt stellen, dass ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch vorliegt.
Prüfer: Das ist ein guter Gedanke. Was setzt ein Rücktritt voraus?
Kandidat: Der Täter muss nach § 24 Abs. 1 S. 1 StGB die weitere Tatausführung aufgeben oder die Tatvollendung verhindern. Die erste Variante wird meist als Rücktritt vom unbeendeten, die zweite als Rücktritt vom beendeten Versuch bezeichnet. Außerdem muss der Täter freiwillig, das heißt, aus autonomen Motiven, handeln.
Prüfer: Richtig. Welche Variante wäre in unserem Fall einschlägig?
Kandidat: Die zweite. Der Mandant hat alles aus seiner Sicht Erforderliche getan. Hätte er der Sache ihren Lauf gelassen, wäre wahrscheinlich einer seiner Arbeitskollegen ums Leben gekommen. Das Rücktrittsverhalten liegt darin, dass er seinem Meister gemeldet hat, dass die Schutzleiter Strom führen, und dadurch die Vollendung verhindert hat. Er hat auch aus autonomen Motiven gehandelt, denn es gab ja keinerlei äußere Umstände, die den Mandanten dazu veranlasst hätten, die Sache zu stoppen. Dies war sein freier Willensentschluss. Vom Rücktritt wäre natürlich auch die versuchte gefährliche Körperverletzung erfasst.
Prüfer: So weit, so gut. Jetzt tragen Sie dem Staatsanwalt das Ergebnis Ihrer Überlegungen siegesgewiss vor und erwarten, dass er daraufhin von seinem Haftbefehlsantrag Abstand nimmt und die Freilassung Ihres Mandanten anordnet. Es kommt aber anders, denn er zeigt sich von Ihren Ausführungen nicht überzeugt. Können Sie sich vorstellen, warum?
Kandidat: Nein, ich habe doch meiner Meinung nach fehlerfrei unter § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Var. StGB subsumiert.
Prüfer: Eine kleine Hilfe: Unser Fall unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den üblichen Fällen des Rücktritts.
Kandidat: Eine Besonderheit fällt mir auf. Normalerweise setzt der Täter zuerst zur Straftat an und überlegt sich später, dass er den Taterfolg doch nicht herbeiführen will. In unserem Fall hat der Mandant aber den Rücktritt von vornherein in seinen Plan eingebaut.
Prüfer: Sehr schön, genau das ist der Punkt. Welche Argumentation könnte Ihnen daher der Staatsanwalt entgegenhalten?
Kandidat: Wenn man den Grund für das Rücktrittsprivileg in der Rückkehr des Täters zur Rechtstreue sieht, dann dürfte dieses dem Mandanten nicht zugute kommen. Die Staatsanwaltschaft könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass ein Täter, der den Rücktritt einkalkuliert, die Normgeltung von vornherein nicht anerkennt, und dass es somit keine Rückkehr zur Rechtstreue gibt, die zu honorieren wäre. Ein solcher berechneter Rücktritt könnte als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.
Prüfer: Das haben Sie ausgezeichnet herausgearbeitet. Es handelt sich um einen speziellen Fall der außertatbestandlichen Zielerreichung. Das Problem wird im Schrifttum heftig diskutiert, aber ich verrate Ihnen, dass der BGH auch in diesem Fall den Rücktritt wohl als wirksam anerkennen würde. Damit der Fall aber hier nicht zu Ende ist, lassen wir ihn etwas unrealistisch weitergehen und nehmen an, die Staatsanwaltschaft, die ja in aller Regel der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt, stellt sich auf den gegenteiligen Standpunkt und hält den Rücktritt für unwirksam. Damit nicht genug, sie überzeugt auch noch den Haftrichter davon, der Ihnen signalisiert, dass er von einem dringenden Tatverdacht ausgeht.
Kandidat: Da ein Haftbefehl neben dem dringenden Tatverdacht einen Haftgrund voraussetzt, muss ich also versuchen, dort anzusetzen.
Prüfer: Sie haben ganz richtig dargestellt, dass ein Haftbefehl zum einen den dringenden Tatverdacht, zum anderen einen Haftgrund voraussetzt. Kommt Ihnen diese Konstellation aus anderen Rechtsgebieten eigentlich bekannt vor?
Kandidat: Ja, im Zivilrecht und im öffentlichen Recht gibt es die einstweilige Verfügung und die einstweilige Anordnung, die ebenfalls einerseits einen wahrscheinlichen materiellrechtlichen Anspruch und andererseits einen besonderen Grund für den Erlass einer vorläufigen Maßnahme voraussetzen.
Prüfer: Ja, sehr schön; Sie sehen, die Strukturen ähneln einander. Aber zurück zum Fall: Wo sind die Haftgründe geregelt? Welche gibt es?
Kandidat: Geregelt sind sie in §§ 112 Abs. 2, 112a StPO. Es gibt die vier Haftgründe der Flucht, der Fluchtgefahr, der Verdunkelungsgefahr und der Wiederholungsgefahr. Wiederholungsgefahr scheidet von vornherein aus, weil keine Vortat i.S.d. § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO vorliegt und es auch um kein Sexualdelikt i.S.d. Nr. 1 geht. Flucht ebenfalls, denn der Mandant ist ja anwesend. Ernsthaft unterhalten kann man sich also nur über Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr. Wenn ich mir die Voraussetzungen der Verdunkelungsgefahr in § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO aber ansehe, wonach das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht von Verschleierungsmaßnahmen begründen muss, bin ich als Verteidiger auch insoweit optimistisch. Der Mandant hat bisher noch keinerlei Aktivitäten in dieser Richtung gezeigt; im Gegenteil hat er gegenüber seinem Meister alles eingeräumt. Bleibt noch die Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Aber ich hoffe, den Haftrichter davon überzeugen zu können, dass der Mandant sich bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls dem Verfahren nicht entziehen wird. Er verfügt über einen festen Wohnsitz und über familiäre Bindungen zu seinen Eltern. Eine hohe Straferwartung allein begründet nach der Rechtsprechung meines Wissens noch keine Fluchtgefahr.
Prüfer: Das ist alles durchaus richtig. Aber wie steht es um den Job?
Kandidat: Den dürfte der Mandant los sein. Sein Verhalten war unverantwortlich, das lässt sich auch nicht wegdiskutieren, so dass der Meister ihn kaum weiter behalten, sondern ihm außerordentlich fristlos kündigen wird, zumal ja ohnehin jemand den Betrieb verlassen sollte. Außerdem ist der Mandant ungebunden, ohne Frau und Kinder. Das alles könnte angesichts der für versuchten Mord drohenden Strafe „lebenslänglich“, die einen hohen Fluchtanreiz begründet, für Fluchtgefahr ausreichen. Andererseits dürfte bei der Strafe die Milderung des § 23 Abs. 2 StGB greifen, wenn man schon keinen Rücktritt annimmt. Ob ich damit aber den Haftrichter überzeuge …
Prüfer: Das ist alles durchaus richtig. Darf ich aber Ihre Aufmerksamkeit auf § 112 Abs. 3 StPO lenken?
Kandidat: Sofern die Norm auch die Versuchsstrafbarkeit erfassen sollte, was ich einmal annehme, kann mein Mandant leider auch ohne Haftgrund in Untersuchungshaft genommen werden.
Prüfer: Ist das Gesetz hier wörtlich zu nehmen?
Kandidat: Ach ja. Nein! Ich erinnere mich. Hier ist eine verfassungskonforme Auslegung mit Blick auf den Zweck der Untersuchungshaft vorzunehmen. Sonst würde der § 112 Abs. 3 StPO Untersuchungshaft quasi als vorweggenommene Strafe ohne Bezug zur Sicherung des Strafverfahrens erlauben.
Prüfer: Sehr schön. Was heißt das konkret?
Kandidat: In diesen Fällen der Schwerkriminalität ist nicht ein Haftgrund entbehrlich, sondern der Maßstab verschiebt sich dergestalt, dass zu fragen ist, ob Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr auszuschließen ist. Weil der Mandant seine Arbeit verlieren dürfte und er ungebunden ohne eigene Familie ist, dürfte hier dieser Haftgrund der Schwerkriminalität vorliegen, wenn man nicht schon „echte“ Fluchtgefahr annimmt.
Prüfer: So ist es in der Tat. Was nun?
Kandidat: Dann werde ich den Erlass eines Haftbefehls kaum verhindern können.
Prüfer: Dieses Ergebnis gefällt Ihrem Mandanten ganz und gar nicht. Er bittet Sie eindringlich, zu verhindern, dass er ins Gefängnis muss.
Kandidat: Ich könnte versuchen, eine Haftverschonung nach § 116 Abs. 1 StPO zu erwirken und den Haftbefehl gegen geeignete Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StPO sogleich nach seinem Erlass außer Vollzug setzen zu lassen. Der Mandant wäre sicher bereit, sich in regelmäßigen Abständen bei der Polizei zu melden; vielleicht könnten er oder zum Beispiel seine Eltern auch eine Kaution bereitstellen.
Prüfer: Das wäre in der Tat die letzte Möglichkeit, eine Inhaftierung zu verhindern. Leider erweisen sich Staatsanwalt und Haftrichter als unzugänglich; der Richter erlässt den Haftbefehl und verfügt die Aufnahme Ihres Mandanten in die zuständige JVA. Außerdem ordnet der Haftrichter, der zugleich der zuständige Ermittlungsrichter ist, gemäß §§ 81a, 81e StPO durch zu Protokoll diktierten Beschluss die Entnahme eines Schleimhautabstrichs zu Zwecken des molekulargenetischen Vergleichs mit dem aufgefundenen Zigarettenstummel an. Bevor Ihr Mandant in die JVA verbracht wird, bittet er Sie, ihn möglichst schnell wieder herauszuholen und etwas gegen die Anordnung der Schleimhautprobe zu unternehmen. Auch gegen die Anfertigung der Fotos durch die Polizei und die genommenen Fingerabdrücke sollen Sie vorgehen. Schließlich erklärt er, er würde gern weiter von Ihnen verteidigt werden, habe aber nicht genug Geld, Sie zu bezahlen. Was tun Sie?
Kandidat: Da letzte Problem ist leicht zu lösen: Ich lege mein Wahlmandat nieder und beantrage meine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Die Vorführung vor einem Gericht zur Entscheidung von Untersuchungshaft und die Vollstreckung von Untersuchungshaft sind nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 StPO Fälle der notwendigen Verteidigung; die Zuständigkeit des Haft- bzw. Ermittlungsrichters ergibt sich aus § 142 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StPO.
Prüfer: Gut. Wie können Sie gegen die Anordnung der Entnahme des Schleimhautabstrichs und der DNA-Vergleichsuntersuchung vorgehen?
Kandidat: Gegen Gerichtsbeschlüsse ist nach § 304 StPO das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, die wie immer im Strafprozessrecht zum iudex a quo, also zum Amtsgericht, einzulegen ist. Ich bin im Moment nur unsicher, ob in diesem Fall die einfache Beschwerde nach § 304 StPO oder die sofortige Beschwerde nach § 311 StPO gegeben ist.
Prüfer: Worin besteht der Unterschied?
Kandidat: Die sofortige Beschwerde muss binnen einer Woche eingelegt werden, die einfache ist nicht fristgebunden. Außerdem kann der iudex a quo der einfachen Beschwerde abhelfen, der sofortigen grundsätzlich nicht.
Prüfer: Das ist richtig. Wie finden Sie nun heraus, welche von beiden Arten in einem konkreten Fall die richtige ist?
Kandidat: Beschlüsse, die der Rechtskraft fähig sein müssen, wie zum Beispiel Bewährungswiderrufe, sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, sonst könnten sie ja nie rechtskräftig werden.
Prüfer: Das ist schon richtig, aber Sie brauchen sich gar nicht die Mühe zu machen, allgemeine Unterscheidungskriterien zu finden. Sie haben es viel einfacher. Schauen Sie doch einfach in das Gesetz. Wo nämlich?
Kandidat: Bei der jeweiligen Norm, die der anzufechtenden Entscheidung zugrunde liegt.
Prüfer: Eben. Und finden Sie in den §§ 81a, 81e, 81f StPO oder in deren Umgebung den Satz „Der Beschluss ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar“ oder Ähnliches?
Kandidat: Nein. Daraus schließe ich, dass die einfache unbefristete Beschwerde gegeben ist.
Prüfer: So ist es. Wie geht es mit dieser Beschwerde weiter?
Kandidat: Ich muss sie nach § 306 Abs. 1 StPO beim Amtsgericht, das den Beschluss erlassen hat, einlegen. Das Amtsgericht hat nach § 306 Abs. 2 StPO die Möglichkeit, der Beschwerde selbst abzuhelfen. Tut es das nicht, sendet es die Akten an die Staatsanwaltschaft, die sie dann dem Beschwerdegericht, hier der Beschwerdekammer des Landgerichts, zur Entscheidung vorlegt
Prüfer: Schön. Nächster Punkt: Der Mandant will, dass Sie gegen die bereits seitens der Polizei erfolgte Fertigung von Fotos und Abnahme von Fingerabdrücken vorgehen. Wie tun Sie das?
Kandidat: Ich denke, ebenfalls mit der Beschwerde nach § 304 StPO.
Prüfer: Schauen Sie bitte in die Vorschrift. Steht dort etwas von Anordnungen der Polizei?
Kandidat: Nein, nur von gerichtlichen Beschlüssen und Verfügungen. Es muss aber wegen Art. 19 Abs. 4 GG eigentlich möglich sein, polizeiliche strafprozessuale Maßnahmen gerichtlich überprüfen zu lassen.
Prüfer: Was Sie sagen, hat schon etwas für sich. Lassen Sie uns aber erst einmal klären, auf welcher Rechtsgrundlage die Maßnahme überhaupt beruht.
Kandidat: Es dürfte sich um eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b StPO handeln.
Prüfer: Richtig. Die Vorschrift hat zwei Varianten.
Kandidat: Für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes. Hier dienen die Maßnahmen sicherlich Zwecken des vorliegenden Verfahrens und nicht dem präventiven Erkennungsdienst.
Prüfer: Genau. Ich verrate Ihnen am Rande, dass Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen nach der zweiten Variante, die trotz ihres Standorts in der StPO dem Polizeirecht zuzurechnen sind, sich nach Verwaltungsrecht richten. Die erste Variante ist aber strafprozessualer Natur; den entsprechenden Rechtsbehelf müssen wir daher im Strafverfahrensrecht suchen.
Kandidat: Bei § 81b StPO finde ich allerdings nichts… ich bleibe aber dabei, dass sich der durch eine solche Maßnahme Betroffene gerichtlich wehren können muss.
Prüfer: Ich stimme Ihnen zu. Was tun wir denn im Allgemeinen, wenn wir eine gesetzliche Regelung vermissen?
Kandidat: Wir suchen nach einer ähnlichen Regelung, die wir im Wege der Analogie auf den nicht geregelten Fall übertragen können.
Prüfer: Ganz recht. Und fällt Ihnen ein in der StPO geregelter Fall ein, in dem ein gerichtlicher Rechtsbehelf gegen eine Anordnung der Polizei gegeben ist?
Kandidat: Ich glaube, bei der Beschlagnahme gibt es so etwas, weiß aber die Norm im Augenblick nicht.
Prüfer: Sie haben aber das Richtige getroffen. Schauen Sie bitte in § 98 Abs. 2 S. 2 StPO.
Kandidat: Diese Regelung meinte ich auch. Wer von einer Beschlagnahme betroffen ist, die von der Staatsanwaltschaft oder ihren Ermittlungspersonen angeordnet wurde, kann die gerichtliche Entscheidung beantragen. Diese Regelung könnte man nun analog heranziehen.
Prüfer: So ist es auch. Sie wird übrigens nicht nur in diesem Fall entsprechend angewandt, sondern überall, wo das Gesetz keinen Rechtsbehelf gegen nichtrichterliche Eingriffe vorsieht, zum Beispiel auch bei wegen Gefahr im Verzug angeordneten Durchsuchungen. Was heißt das für unseren Fall?
Kandidat: Ich stelle beim zuständigen Ermittlungsrichter den Antrag, die erkennungsdienstliche Behandlung meines Mandanten für rechtswidrig zu erklären.
Prüfer: Gut. Jetzt sollen Sie nach dem Willen Ihres Mandanten noch gegen den Haftbefehl vorgehen. Wie tun Sie das?
Kandidat: Da habe ich die Wahl zwischen einem Antrag auf Haftprüfung nach § 117 Abs. 1 StPO oder der Haftbeschwerde.
Prüfer: Worin liegt der Unterschied?
Kandidat: Der Haftprüfungsantrag richtet sich an den Haftrichter, der den Haftbefehl erlassen hat. Dieser kann seine Entscheidung noch einmal überdenken und dazu auch weitere Ermittlungen anordnen oder eine mündliche Verhandlung durchführen, §§ 117 Abs. 3, 118 StPO. Wenn er daraufhin den Haftbefehl aufrecht erhält, kann ich hiergegen wiederum die Beschwerde gemäß § 304 StPO einlegen, wie sich aus § 117 Abs. 2 S. 2 StPO ausdrücklich ergibt. Ich habe aber die Wahl, auch gleich Haftbeschwerde einzulegen, die den üblichen Weg geht, also im Fall der Nichtabhilfe zum Landgericht. Nur beides nebeneinander, also Haftprüfung und Haftbeschwerde, ist nicht möglich. Dies ergibt sich aus § 117 Abs. 2 S. 1 StPO, wonach die Haftprüfung dann Vorrang hat.
Prüfer: Sehr schön. Wie würden Sie sich in unserem Fall entscheiden?
Kandidat: Zur Haftprüfung würde ich nur tendieren, wenn ich dem Gericht zum Beispiel einen geänderten Sachverhalt bieten oder den Haftgrund beseitigen könnte. Da es hier bereits im Wesentlichen um die Rechtsfrage des Rücktritts geht und der Haftrichter sich diesbezüglich wohl festgelegt hat, habe ich wenig Hoffnung, ihn im Moment überzeugen zu können. Ich würde daher die Haftbeschwerde vorziehen.
Prüfer: Das sehe ich genauso. Nun nehmen wir an, auch Ihr Antrag entsprechend § 98 Abs. 2 S. 2 StPO im Hinblick auf die erkennungsdienstliche Behandlung wird ebenfalls als unbegründet zurückverwiesen. Können Sie hiergegen vorgehen?
Kandidat: Ja, das geschieht ja durch Beschluss, gegen den ich wiederum die einfache Beschwerde nach § 304 StPO einlegen kann.
Prüfer: Richtig. Das tun Sie nun ebenfalls; der Ermittlungsrichter hilft Ihrer Beschwerde nicht ab, was Sie kaum überrascht. Fassen Sie bitte einmal zusammen, worüber die Beschwerdekammer des Landgerichts nun zu entscheiden hat.
Kandidat: Über drei Beschwerden: Erstens gegen den Beschluss, mit dem gemäß §§ 81a, 81e StPO der Schleimhautabstrich und die DNA-Vergleichsuntersuchung angeordnet wurde, zweitens gegen den Beschluss, der meinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wegen der erkennungsdienstlichen Behandlung zurückgewiesen hat und drittens gegen den Haftbefehl.
Prüfer: Gut. Nebenbei: Wo ist denn etwas über die Beschwerdekammern des Landgerichts geregelt und wie sind sie besetzt?
Kandidat: In § 73 Abs. 1 GVG ist geregelt, dass sie über Verfügungen und Beschlüsse der Amtsgerichte entscheiden. Aus § 76 Abs. 1 S. 2 GVG entnehme ich, dass keine Schöffen mitwirken, da es in Beschwerdesachen keine Hauptverhandlungen gibt, und die Regelung des § 76 Abs. 2 GVG gilt ebenfalls nur für die Hauptverhandlung, so dass die Beschwerdekammern meiner Ansicht nach immer mit drei Berufsrichtern entscheiden.
Prüfer: Richtig. Eine letzte Frage: Auch beim Landgericht sind Sie nicht erfolgreich – die Kammer weist alle drei Beschwerden als unbegründet zurück. Können Sie dagegen noch weiter vorgehen?
Kandidat: Das ist in § 310 StPO geregelt. Gegen die Zurückweisung meiner Beschwerde gegen den Haftbefehl ist nach § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO die weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht gegeben, gegen die beiden anderen Entscheidungen ist kein weiteres Rechtsmittel statthaft.
Prüfer: So ist es. Vielen Dank!

Auf einen Blick

Die Staatsanwaltschaft hat das Antragsmonopol auf Anordnung der Untersuchungshaft. Nur bei Gefahr im Verzug darf der Haftrichter als „Notstaatsanwalt“ von Amts wegen einen Haftbefehl erlassen. Dies gilt allgemein für Ermittlungsmaßnahmen (vgl. § 165 StPO).
Für den Erlass eines Haftbefehls sind ein dringender Tatverdacht sowie ein Haftgrund erforderlich. Die Anordnung der Untersuchungshaft darf außerdem nicht unverhältnismäßig sein.
Der dringende Tatverdacht ist der höchste Verdachtsgrad unterhalb der Verurteilungsgewissheit. Er bestimmt sich aber immer nur nach dem jeweiligen Ermittlungsstand. Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn aufgrund verwertbarer Beweise die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer verfolgbaren Straftat ist.
Es gibt vier Haftgründe: Flucht, Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr (§ 112 Abs. 2 StPO) sowie Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO). Letzterer ist subsidiär.
Weiter ergibt sich aus § 112 Abs. 3 StPO der Haftgrund der Schwerkriminalität, wobei hier der Maßstab abgesenkt ist und zu fragen ist, ob Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr ausgeschlossen sind.
Nach Ansicht des Schrifttums ist Mord eine Qualifikation des Totschlags. Der BGH sieht dagegen in beiden Tatbeständen verschiedene Delikte. Entsprechend ist der Prüfungsaufbau unterschiedlich.
Die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit erfolgt anhand des voluntativen Elements: Der Fahrlässigkeitstäter vertraut darauf, dass der Taterfolg nicht eintreten wird, der Vorsatztäter nimmt den Erfolgseintritt billigend in Kauf – auch wenn er ihm unerwünscht sein mag.
Es ist streitig, ob ein Täter, der den Rücktritt von vornherein in seinen Tatplan aufnimmt bzw. anders ausgedrückt sein außertatbestandliches Ziel erreicht hat, überhaupt wirksam zurücktreten kann.
Gegen Gerichtsbeschlüsse ist grundsätzlich das Rechtsmittel der einfachen Beschwerde nach § 304 StPO oder der sofortigen Beschwerde nach § 311 StPO gegeben. Ausnahmen (Unanfechtbarkeit) sind sehr selten (z.B. §§ 28 Abs. 1, 210 Abs. 1, 406e Abs. 5 S. 4 StPO).
Nur die sofortige Beschwerde ist statthaft, wenn dies bei der betreffenden Norm angegeben ist (z.B. §§ 206a Abs. 2, 210 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 3 StPO); in allen anderen Fällen der Anfechtbarkeit ist die einfache Beschwerde gegeben.
Der Unterschied zwischen der einfachen und der sofortigen Beschwerde liegt in der Fristgebundenheit und der fehlenden Abhilfemöglichkeit der Letzteren.
Die Beschlagnahme von Beweismitteln durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen kann durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO angefochten werden. In allen Fällen, in denen eine solche Regelung fehlt, ist diese Vorschrift analog anzuwenden.
Erkennungsdienstliche Maßnahmen („ED-Behandlungen“) nach § 81b StPO durch die Polizei sind im Verwaltungsrechtsweg anfechtbar, wenn sie präventiven Charakter haben. Dienen sie dagegen den Ermittlungen in einem konkreten Strafverfahren, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung analog § 98 Abs. 2 S. 2 StPO gegeben.
Über Beschwerden gegen Entscheidungen des Amtsgerichts in Ermittlungssachen einschließlich Haftbeschwerden entscheidet die Beschwerdekammer des Landgerichts. Sie ist stets mit drei Berufsrichtern besetzt, jedoch ohne Schöffen.
Grundsätzlich sind Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts ihrerseits nicht rechtsmittelfähig (§ 310 Abs. 2 StPO), d.h., das Landgericht entscheidet in letzter Instanz. Ausnahmen: Beschwerden gegen die Anordnung der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung oder die vorläufige Abschöpfung hoher Gewinne (§ 310 Abs. 1 StPO).

Zur Vertiefung

Eventualvorsatz: Wessels/Beulke/Satzger Rn. 331 ff.
Versuch (unmittelbares Ansetzen): Wessels/Beulke/Satzger Rn. 944 ff.
Rücktritt vom Versuch: Wessels/Beulke/Satzger Rn. 1001 ff.
Mord: Wessels/Hettinger Rn. 100 ff. Küper/Zopfs Heimtücke
Verdachtsgrade: Haller/Conzen Rn. 120 ff., 194, 116140 Beulke/Swoboda Rn. 175 ff. Tofahrn Rn. 14 ff., 116
Notwendige Verteidigung: Haller/Conzen Rn. 256 ff. Beulke/Swoboda Rn. 248 ff. Charchulla/Welzel Rn. 93 ff.
Beschwerde: Haller/Conzen Rn. 866 ff. Beulke/Swoboda Rn. 497, 816 ff. Tofahrn Rn. 186 ff.
Rechtsschutz gegen nichtrichterliche Maßnahmen: Haller/Conzen Rn. 1239, 1250 ff. Beulke/Swoboda Rn. 493 ff. Tofahrn Rn. 156 ff.
Untersuchungshaft: Haller/Conzen Rn. 1159 ff. Beulke/Swoboda Rn. 208 ff. Charchulla/Welzel Rn. 44 ff. Tofahrn Rn. 113 ff.
Körperliche Untersuchung (§ 81a StPO): Haller/Conzen Rn. 1212 ff. Beulke/Swoboda Rn. 315 ff. Tofahrn Rn. 127 ff.
Erkennungsdienstliche Behandlung (§ 81b StPO): Haller/Conzen Rn. 1201 ff. Beulke/Swoboda Rn. 380 Tofahrn Rn. 126
Stellung und Rechte des Verteidigers: Haller/Conzen Rn. 253 ff. Beulke/Swoboda Rn. 222 ff. Charchulla/Welzel Rn. 390 ff. Tofahrn Rn. 80 ff.
Die mündliche Strafrechtsprüfung im Assessorexamen

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