Читать книгу Ich trinke den Wind - Gesine Auffenberg - Страница 7
ОглавлениеDer Djebbel Marra ist ein erloschener Vulkan, der wie ein Hügel in der Landschaft liegt. Seine Hänge fallen weit, dehnen sich in das Land und verebben in der Fläche. Und so heißt auch die Ebene noch Djebbel Marra, obwohl sie nicht mehr zu dem Berg gehört.
Die Erde ist fruchtbar, unverbraucht von dem Obst und der Hirse, die hier angebaut werden. Es gibt Wasser. Es gibt keinen Hunger. Die Dörfer liegen näher beisammen.
Ich reite zum Djebbel Marra. Ich reite durch Steppe. Die Tage sind heiß. Die Luft flimmert. Die Steppenbäume zittern. Keine Wolke schützt sie vor dem harten Licht und sie geben auch keinen Schatten zum Mittag, wenn alles siedet, kochend still wird, gelähmt. Nur ihre Schwärze gibt Kühle, ihre Dunkelheit, ihre zerfurchte Rinde, an die ich mich lehne, mittags, müde vom Reiten, die sich nicht aufladen lässt von der Hitze. Da ist die Ungewissheit am Abend Wasser zu finden. Da ist die Anspannung vom Reiten. Ayn scheut. Er steigt und geht durch. Es braucht lange, bis er wieder am Zügel geht.
Am Nachmittag reite ich weiter. Das Satteln dauert lang. Es ist eine Zeremonie. Immer. Ich lege den Sattel zu Ayn. Ich gehe langsam, damit er nicht scheut. Ich lerne es, mich langsam zu bewegen. Ich sehe ihm zu, wie er an dem Sattel riecht. Ich sitze still. Ich trinke Tee. Ich rufe ihn. Er nähert sich. Er bleibt stehen. Ich rufe ihn wieder. Er kommt. Er riecht an meinen Händen. Ich flüstere seinen Namen.
Nachmittag. Das Knirschen der Hufe im Sand. Der langsame Schritt. Der müde Gang. Das weiße Licht. Es ist hart. Es hetzt die Farben. Der Sand schwimmt in flimmerndem Rot. Die dunklen Bäume erstarren in ihrem Schwarz. Wie Trauergäste stehen sie da, die verknöcherten Arme empor geworfen im stahlblauen Himmel. Zum Nachmittag gehören die Schatten. Samtfarben und kühl wachsen sie dem Abend zu. Schatten. In der Äquatornähe sind sie willkommen. Ayn scheut nicht mehr. Er ist zu müde. Ich lasse mich in seinen Schritt fallen. Der Knieschluss nimmt seinen Atem auf. In dem gleichmäßigen Schritt zerrinnen die Stunden, fließen dahin wie ein breiter Strom, der sich bedächtig weiter schiebt, unaufhaltsam, gleichgültig. Es ist diese Langsamkeit, die von nun an meine Tage bestimmen wird, deren Rhythmus zu diesem Land gehört, wie zu dem sichernden Gang der wilden Tiere, dem wogenden Trott der Rinderherden und dem weiten Schritt der Kamele.
Manchmal noch blitzt die Erinnerung auf an die Hast der Großstadt in der ich lebte, um gleich darauf in der Steppe zu versinken. Hier zählt nur Gott die immer gleichen Jahre.
Dass ich beginne dieses Land zu lieben, seine Weite und seine unbelassene Zeit, habe ich in mein Tagebuch geschrieben. Es wird der letzte Satz sein, den ich in dieses Buch schreibe. Ich werde es nach Deutschland zurück nehmen, mit all seinen unbeschriebenen Seiten.
Ich schreibe nicht, um mich zu erinnern. Es gibt keine Geschichte. Es gab Augenblicke, die mich berührten. Bewahre ich sie, verändern sie sich.