Читать книгу G.F. Barner Staffel 4 – Western - G.F. Barner - Страница 6
ОглавлениеEs sind Büsche, die die Reiter verdecken. Es sind auch ein paar kleine Felsen, hinter denen man Deckung finden könnte.
Und der Mann, der auf einem dieser Felsen hockt und durch die Zweige des Busches herab auf den Rauch, den Corral und das schiefe Haus blickt, sagt heiser:
»Jetzt ißt er, Mike. Ich kann ihn sehen. Er stopft sich den Bauch voll, dieser verdammte Bursche.«
»Ja«, sagt der Mann, der keine zehn Yard weiter zwischen vier anderen Männern sitzt. »Man sagt, mit einem vollen Bauch hat man mehr Schmerzen, was?«
Er ist semmelblond, sein Haar ist strähnig und glatt und zwei seiner Zähne ragen über die Oberlippe. Sie sind etwas zu lang, um ganz von der Unterlippe bedeckt zu werden, wenn er lächelt. Er mag hundertsiebzig Pfund wiegen, seine Nase ist scharf und leicht gekrümmt wie ein Adlerschnabel. Und seine Augen sehen bei näherer Betrachtung grau aus, mit einem kleinen Kreis gelber Punkte in der Iris. Die Augenbrauen sind farblos, und die Lippen voll.
Wenn jemand, der Erfahrung in diesen Dingen hat, sein Gesicht sieht und die Lippen studiert, dann wird er wissen, was Mikel Todhunter ist: Ein Mann, der seinen wilden Gelüsten lebt und ihnen nachgeht.
Er hat kaum Feinde, denn niemand wäre so wahnsinnig, sich ihn zum Feind zu machen. Dafür hat er viele Freunde. Zum Beispiel diese fünf Männer, die für die Flying-H-Ranch reiten.
Im Augenblick rauchen sie alle.
Und das sagt genug, denn sie rauchen seine Zigarren. Man kann sich auf diese Art Freunde machen, wenn der Boß keine besseren Zigarren raucht als seine Leute, wenn er keinen besseren Whisky trinkt als sie. Und wenn er ihre Streiche lächelnd hinnimmt. Es fragt sich nur, ob man etwas aus Freude verschenkt, oder ob man dabei berechnend ist. Mikel Todhunter ist berechnend. Er weiß, wie man sich Freunde macht, wie man Feinde behandelt und unbeliebte Burschen klein bekommt. Es kostet Lächeln, Geschenke und Reden. Und jetzt redet er.
»Budd, wo hat er das Brandeisen gelassen?« fragt er sanft, und seine blassen Augenbrauen ziehen sich leicht hoch. »Hast du den Brand wirklich nicht erkennen können?«
»Es ist selbst für mein Glas zu weit, Mikel«, sagte der Mann an dem Busch ruhig. »Aber sein Brandeisen hat er in den Stall gebracht. Rechts, gleich neben der Tür, ist ein Brett. Da hat er es hingelegt. Nun ißt er sich den Bauch voll. Und dann wird er das tun, was er jeden Mittag macht. Er wird sich hinlegen und seinen Bauch ausruhen, die Augen zumachen und schlafen. Und sicher wird er von Ireen träumen.«
»Danach hatte ich nicht gefragt«, sagt Mikel Todhunter heiser.
Und als er das sagt, klingt die Gereiztheit eines eitlen Mannes mit, der glaubt, jede Frau wird ihm nachlaufen. Er ärgert sich seit über zwei Jahren. Und der Ärger war wie ein schleichendes Gift, das sich in sein Blut fraß.
Er denkt an Ireen Dunhart, wie sie damals hieß. Er denkt an ihre Kostüme, die sie auf der Bühne trug. Und er brannte beinahe lichterloh. Sie war kein Backfisch, sie war das, was man eine Frau nennt.
Und als er zu wild und zudringlich wurde, gab sie ihm zwei Ohrfeigen.
Jetzt wird er wieder ärgerlich, beinahe wild.
»Dieser Hundesohn!« sagt er bissig und scharf. »Steven Clay hat gegrinst, als er mich sah und er sie geheiratet hatte. Er hat mich nur angegrinst. Fast hätte ich mich auf ihn gestürzt. Aber ich war allein. Und er hat Kräfte wie ein Bär.
Auch mit seinem Colt war und ist er schneller als ich. Der Teufel soll ihn holen, ich werde ihn zerbrechen, diesen Viehdieb. Jeder Mann hier weiß, daß er vier Brandzeichen hat. Welcher anständige Mann hat schon vier Zeichen, heh? Und sicher hat er gerade eins meiner Rinder umgebrannt.«
Er wirft seine Zigarre zu Boden und zertritt sie zu einem Torso von Blättern und Asche.
»Reiten wir hinten herum«, sagt er grimmig. »Ich werde den Burschen besuchen. Und wenn er uns nicht beweisen kann, daß es nicht unser Rind ist…«
Den Rest dieser rauhen und gewalttätigen Drohung verschluckt er. Er geht zu seinem Pferd, seine Männer folgen ihm.
Nun ja, sagt sich Mikel Todhunter. Sundown ist Deputy. Und sicher könnte ich ihn herschicken, wenn er nicht schon zweimal hier gewesen wäre! Er hat nie ein Rind von mir gefunden, so schlau ist dieser verdammte Clay! Warte, ich kann es auch ohne Sundown, was? Der muß ohnehin machen, was der Alte will. Er hat einen bequemen Job und Dad bezahlt ihn. Verdammt, wenn er nur nicht immer so ruhig wäre, daß man nicht weiß, was er denkt. Der Bursche lächelt zuviel, als daß es schön ist und leicht, seine Gedanken zu erraten! Sundown, du hast aber auch gar nichts von den Todhunters weg! Gar nichts, verdammt!
In diesem Augenblick, in dem sie hoch über der Sohle des Canyons reiten und den Weg nach Westen nehmen, um den Canyon von hinten zu erreichen und sich dem Haus auf dieselbe krumme Art zu nähern, sagt Budd Sharp:
»Mikel, wirst du auch keinen Ärger mit Allen Clanton bekommen?«
Diese Frage klingt lauernd und irgendwie gespannt. Und Mikel sieht die teils neugierigen Gesichter seiner Reiter und sagt sanft:
»Mein Vetter ist ein Trottel. Er wird alles machen müssen, was Dad von ihm verlangt. Wozu haben ihn die Todhunters zum Deputy-Sheriff vorgeschlagen, wenn er nicht vernünftig ist. No, Allen, macht alles, was der Alte will.«
Und dann schweigt er, denn Clanton, der Herumtreiber und arme Hund, den James Brian Todbunter aufnahm und zu essen gab, dessen Schwester das Brot der Flying-H ißt, wird gar nichts tun. Er wird zusehen, denn er hat einen prächtigen Job, ein Haus, zwei Pferde und immer zu essen und zu trinken.
Sie reiten zehn Minuten schweigend, bis sie den letzten Grat erreichen, der steil abfällt. Es ist eine Halde aus Geröll unter diesem Grat, die tief abfällt und die die Pferde vorsichtig herabsteigen.
Dann sind sie unten und biegen nach links. Vor ihnen glitzert der Nebenarm des Penasco Rivers, der sein Wasser durch den Canyon strömen läßt und so für ein wenig Fruchtbarkeit sorgt.
»Heh, Mikel«, sagt Clem Tuttle brummend und kommt neben ihn. »Wie konnte dieser Bursche das Land hier kaufen, wenn ihr doch gewußt habt, wie prächtig hier tausend Rinder weiden können? Wie konnte er das denn?«
»Yeah, wie konnte er?« fragt Mikel lahm. »Er war schließlich auf unserer Ranch der beste Mann. Und Dad hat Weide genug. Clay erkannte seine Chance, kaufte sich hier an, weil wir das Land nicht brauchten und die Laidlaws es auch nicht haben wollten. Er hat eine gute Gegend erwischt. Gut für Viehdiebe.«
Vor ihnen macht der Canyon eine leichte Krümmung nach Süden. Und hinter der Krümmung, keine hundert Yard entfernt, liegt der Corral und das Haus.
Budd Sharp hält an und blickt sichernd um die Ecke. Der Rauch steigt nur noch in einer dünnen Fahne aus dem Schornstein. Die Rinder dösen in der Mittagshitze, und die beiden Pferde im kleinen Pferdecorral neben dem Haus lassen die Köpfe hängen.
»Nun?« fragt Mikel Todhunter von hinten. »Heh, Budd, ist was?«
Sharp dreht sich um und grinst wie ein Uhu. Er nimmt die rechte Hand vom Sattelhorn, packt seinen Colt an und zieht ihn heraus.
Und dann sagt er grinsend:
»Sie schlafen wohl alle. Es ist nichts zu sehen, auch nichts zu hören bis auf die Rinder. Wollen wir hin?«
Er reitet langsam an und wartet die Antwort erst gar nicht ab. Hier stehen Büsche, dann kommt zur Riverseite hin Gras und direkt am Ufer wieder Büsche. So reitet er vor Mikel Todhunter her, der sich völlig ruhig verhält, wie auch die anderen Männer. Sie haben nur jetzt jeder den Revolver in der Hand.
Langsam und im Schritt, durch trockenes Gras, nähern sie sich dem Rindercorral und dem Stall.
Sie kommen dicht hinter dem Stall her und noch immer rührt sich nichts. Bis zum Haus mögen es dreißig Yards sein. Sie halten an und Mikel sagt zischend:
»Runter, Leute. Budd, links herum. Sieh durch das Hinterfenster in den Bau. Clem, rechts herum. Die anderen kommen mir nach. An dieser Seite ist nur ein Fenster. Vielleicht merkt er es gar nicht, was?«
Er grinst hämisch, als er absteigt und Clem Tuttle sagt:
»Der Narr wird auf seinem Bett liegen. Und ich denke, die Fenster sind offen, was? Will er an seinen Colt, stehe ich am Fenster und passe auf.«
Und dann ist er schon herunter und überall knarrt nun das Sattelleder leise und mißtönig. Eins der Pferde schnaubt, aber auch eine Kuh brüllt im Corral, und das Geräusch geht in dem Muhen unter. Dreißig Yards bis zum Haus.
Clem Tuttle huscht los, den Colt in der Faust und geduckt fast am Boden dahingleitend. Er nähert sich dem Haus von der Giebelseite, die Stangen des Corrals sind links von ihm, und die beiden Pferde in ihm heben träge und matt die Köpfe. Sie schnauben nicht einmal in der brütenden Hitze des Canyons.
Tuttle sieht das Fenster vor sich und bückt sich noch weiter. Er kommt herunter und lauscht.
Aus dem Haus dringt leiser Gesang. Irgendwo in der Küche singt Ireen Clay. Sie singt rauchig und tief mit einem Ton, der sich nach der letzten Saite einer alten Geige anhört.
Und Tuttle denkt, daß sie nur singen soll, desto besser ist es für ihn und seine Partner.
An ihm vorbei, auch geduckt unter dem Fenster hergleitend, schiebt sich Budd Sharp.
Und der große und harte, muskelbepackte Owen Walburn ist schon am Corral vorbei und an der Giebelwand des Hauses. Er huscht auch geduckt weiter, und man sieht unter dem angespannten Stoff des Hemdes deutlich seine Muskeln.
Hinter ihm huscht Mikel Todhunter los.
Und nun stehen sie alle still, denn innen klappert es leise. Es hört sich an, als wenn ein Eimer hochgehoben wird.
Dann taucht Ireen Clays helles Haar auf, und schließlich ist sie auf dem Hof.
Sie geht zu jenem Bottich hin, der einen Deckel hat und den Steven Clay jeden Morgen mit Wasser aus dem River füllt.
Niemand weiß, ob sie einen der Männer gehört hat, ob sich einer zu scharf bewegte und dabei ein Geräusch machte.
Ireen Clay ist vielleicht acht Schritte von der Tür weg, als sie anhält und sich langsam umblickt.
Das Schaukeln des Eimers, der hin und her schwingt, endet jäh. Ihre Augen weiten sich, und da sieht sie auch schon Walburns breiten Körper um die Türfüllung gleiten.
Ireen Clay macht jäh den Mund auf und ruft scharf und laut, trotz des drohenden Revolvers von Mike Todhunter:
»Steven, Steven! Schnell, vorsichtig! Mikel ist hier und hat einen Revolver! Steven…«
»Verdammtes Weibsbild!« sagt Mikel wütend und springt los. »Was hast du zu schreien, wenn du keine Erlaubnis dazu hast? Ich werde dich lehren…«
Er wirft sich mit einem wilden Fluch vor, ihr Eimer fliegt scheppernd über den Boden und rollt bis an den Bottich, und dann holt er aus, und sie taumelt.
»Ich war dir noch eine Kleinigkeit schuldig, Fünf-Dollar-Lady!« sagt Mikel Todhunter wild. »Harry, paßt auf!«
Ireen Clay sieht Mikel Todhunters Hand kommen, sie kann nicht mehr ausweichen; aber sie fühlt auf einmal, daß sie wütend und wild wird. Sie taumelt, bückt sich nach dem Eimer und reißt ihn hoch.
Mikel will sie packen, und Gott allein mag wissen, was geschehen wird.
In diesem Augenblick poltert es innen. Und im gleichen Mornent, als Mikel sich nach diesern Gepolter umsieht, reißt Ireen Clay den Eimer hoch. Vielleicht denkt sie gerade an einige wilde Burschen, die in noch wilderen Saloons alles auf den Kopf stellten und die man rauh behandeln mußte.
Sie holt mit dem Eimer aus, und es ist Mikels Pech, daß er seinen Colt eingesteckt hat.
Der Eimer schießt zwischen den zugreifenden Händen Mikels durch, prallt ihm mitten ins Gesicht, und der runde und scharfe Rand des Eimers setzt auf seiner schon krummen Nase auf.
Mikel Todhunter sieht ein Feuerwerk und brüllt gräßlich. Er schleudert heulend den Eimer weg und will sich auf Ireen stürzen. Aber in der Zwischenzeit sind einige Dinge passiert, die auch Mikel Todhunter nicht ahnen kann.
Da ist Clem Tuttle, und Tuttle ist hinter dem Fenster. Dieser Clem
Tuttle, der zu den schnellsten Revolverschwingern aus der Flying-H-Mannschaft zählt, richtet sich langsam auf und blickt über das Fensterbrett hinweg in das Zimmer hinein.
Clem Tuttle sieht Clay auf dem Bett liegen. Clay hat die Stiefel ausgezogen, die Hose oben zwei Knöpfe weit offen und keinen Gurt um.
Und Tuttle, der den Mann sieht, dessen Augen geschlossen sind, beginnt wild und gefährlich zu grinsen. Er spürt, daß Budd Sharp zu ihm hinsieht und blickt sich um. Sharp steht genau an der anderen Ecke, Tuttle nickt, und Sharp gleitet weg. Er verschwindet vor den Augen seines Partners hinter der Ecke. Er braucht keine acht Schritte zu machen, dann ist er an der jenseitigen Giebelwand des Hauses vorbei und muß in den Hof kommen, der sich vor dem Bau ausbreitet.
Ruhig hebt Tuttle seinen Revolver. Er zaudert einen Augenblick, ob er schießen soll, wenn sich Clay auf dem Bett bewegt. Dann zieht er sich hoch und steigt sacht in den Raurn hinein.
Und in derselben Sekunde hört er das Singen draußen verstummen. Er hört einen schwachen Ausruf, und dann ruft Ireen Clay.
Tuttle ist nahe daran, lauthals zu fluchen. Er hört Mikel Todhunter grimmig fluchen, und dann klappert es gewaltig.
Tuttle ist keine zwei Schritte mehr vom Bett entfernt und stürzt los. Er reißt den Revolver grimmig fauchend hoch, als sich Clay aufrichtet.
Und Clay, der sich blitzschnell und hellwach umsieht, erkennt kaum den Mann, sieht jedoch den Revolver.
Tuttle schlägt zu, aber er hat Pech. So schön Clay auch geschlafen haben mag, er handelt in dieser einen Sekunde.
Clay rollt sich nach links ab. Er landet auf dem Boden. Er hat seinen Gurt an den Stuhl gehängt, der in der anderen Ecke des Zimmers steht. Dort stehen auch seine Stiefel, und Clay rollt sich blitzschnell über die Dielen.
Fluchend prallt Tuttle mit den Knien gegen das Bettgestell und fliegt vornüber. Er landet auf dem Bett, und das ist der Augenblick, in dem Steven Clay genau auf die Fußbank zurollt.
Steven Clay starrt auf die Fußbank und streckt nur seine linke Hand aus. In der gleichen Sekunde hat er auch schon die Bank gepackt, dreht den Arm und schleudert die Bank gerade in dem Moment los, als sich Tuttle fluchend aufrichtet.
Die Bank ist aus bestem Eichenholz. Tuttle richtet sich wutentbrannt auf und sieht die Bank erst im letzten Augenblick kommen.
Dieser Augenblick reicht nicht aus, wieder nach unten zu kommen. Tuttle bekommt die schwere Fußbank vor den Kopf.
Und dann sieht er zwei Engel, die ihn an der Hand fassen und absolut mit ihm tanzen wollen. Auf einmal verwandeln sich die Engel in zwei Teufel, und der eine spuckt sogar Feuer. Dieses Feuer blendet Tuttle schrecklich. Aber dann wird es wieder ganz hell, und Tuttle beginnt zu grinsen. Das Grinsen wird immer breiter und fröhlicher.
Er liegt der Länge nach ohnmächtig auf dem Bett.
Steven Clay hört Mikel draußen wild sagen:
»Fünf-Dollar-Lady!«
Steven Clay springt hoch und sieht Tuttles Colt auf dem Boden liegen. Und er hat, ehe er es begreift, den Colt in der Hand und läuft los.
Mit dem Revolver in der Faust, das wilde Keuchen seiner Frau in den Ohren, stürmt Steven Clay durch das Zimmer und rast in den Hof. Er will in den Hof, aber da sieht er links von sich, dicht neben der Außentür, den Schatten. Und der Schatten stürzt sich grollend auf ihn.
Steven Clay knickt ein, er schießt nicht, er sieht den dicken Stiel in Walburns Hand, der sonst im Waschkessel Ireens steckt. Und Walburn holt mit dem Stiel aus.
»Hundesohn!« sagt Walburn giftig. »Ich werde ihn dir über den Kürbis schlagen.«
Steven Clay kämpft nicht zum erstenmal. Er springt aus vollem Lauf nach links, hechtet los und schiebt seine linke Schulter vorwärts und den rechten Arm mit dem Colt heraus.
Zu überraschend für Walburn springt er Walburn mitten in den Bauch, und Walburn taumelt ächzend zurück. Knurrend holt Clay mit dem Revolver aus, sieht Walburns Bauch und schiebt den Revolver mit aller Gewalt mitten in den Bauch hinein. Sicher könnte er abdrücken, aber Clay war noch nie wild darauf, jemand umzubringen.
Er kämpft immer ehrlich, und Walburn, der taumelt, bekommt den Hieb in den Magen. Dann, während Walburn ächzend an den Tisch in der Küche fällt, abrutscht und zu Boden geht, fliegt Clay mit einem Satz aus der Tür.
Was er sieht, bringt ihn in wilde Raserei. Man darf ihn nicht ärgern, dann wird er wild. Und genau das hat man nun mit ihm gemacht.
Steven Clay springt zu. Er sieht seine Frau fallen, er sieht Mikel Todhunter sich auf sie stürzen und selbst für Budd Sharp und Meehan ist Clay zu schnell draußen.
Sharp würde schießen, aber er tut es nicht, denn sein Colt rast zu schnell herum und die Kugel trifft vielleicht Todbunter.
Statt dessen stürzen Meehan und Sharp los.
Sie kommen zu spät, denn Clay ist schon bei Todhunter, streckt die Hände vor, krallt sie in Todhunters Nacken und reißt Mikel hoch.
»Du dreckiger Halunke!« sagt Clay fauchend. »Du verdammter Bandit! Ich werde dir helfen, dich an meiner Frau vergehen zu wollen! Paß auf, du Schuft!«
Und in derselben Sekunde setzt er die linke Faust rammend ein. Er steckt so voller Wut, daß er nur den Mann vor sich sieht. Und dem gibt er das, was er an Kraft in seinen Armen hat, gnadenlos zu spüren.
Todhunter erkennt erschreckt und verstört etwas, womit er niemals zu rechnen wagte.
Steven Clay ist aus dieser Falle heraus und bei ihm. Und er bekommt die linke Faust tief unter die Gürtellinie. Ächzend krümmt er sich zusammen, preßt beide Hände vor den Bauch, und Clay sagt grimmig vor Wut:
»Da hast du es, du Warzenschwein! Ich werde dir zeigen, wie groß du bist! Da, schluck es!«
Der nächste Schlag trifft Todhunters Kinnspitze, und für Mikel geht die Welt fast unter. Der andere Hieb saust auf seine Nase, bricht seinen einen Vorderzahn ab und verbiegt die Nasenspitze.
Clay sollte hinter sich sehen, dieser wilde und bis auf sein Blut gereizte Mann.
Dort kommt Meehan heran. Ein geduckter und stiernackiger Mann, der seinen Boß umfallen sieht.
Meehan hat den Colt in der rechten Hand. Er schlägt zu. Clay fliegt vornüber, stolpert über den zu Boden gehenden Todhunter und sieht vor sich zwei Stiefel.
Auf einmal weiß er, daß er mitten in einem Männerzirkus steckt. Dann trifft ihn Budd Sharp mit dem Revolver.
Und sie alle, auch der junge Art Ford, starren auf Clay, der krachend zu Boden stürzt und keinen Laut von sich gibt.
Sie übersehen alle etwas. Sie übersehen die Lady am Boden. Und sie achten nicht auf den Colt Tuttles, den Clay einmal hatte und wegwarf. Dieser Colt liegt genau vor Ireen Clay.
Sie bewegt nur die Hand blitzschnell, dann hat sie den Colt auch schon gepackt, richtet ihn auf Sharp, und in diesem Augenblick ist es Art Fort, der Sharps Leben rettet.
Art Ford sieht die winzige Bewegung aus den Augenwinkeln.
»Budd, rechts, Vorsicht!«
Sein wilder Schrei reißt den eiskalt grinsenden Sharp aus der Erstarrung, und Sharp wirbelt herum. Er sieht den Revolver, starrt entsetzt auf den Hammer, und der Hammer steht schon hoch. In derselben Sekunde stößt die Coltmündung eine Feuerlanze aus. In das Rollen des Schusses hinein sagt Ireen Clay schneidend:
»Ihr lumpigen Kuhtreiber, ich will euch schon…«
Der Colt ist zu schwer für sie, der Rückstoß reißt ihre Hand nach hinten hoch, und der Colt kommt aus der Bahn.
Der junge Art Ford läuft los. Er wagt es nicht, auf die Lady zu schießen, er sieht nur aus den Augenwinkeln, wie Sharp zusammenzuckt, sich an die linke Hüfte packt und taumelt. Dann ist er auch schon bei Ireen Clay, hat beide Hände ausgestreckt und bekommt ihren hochfliegenden Arm zu packen.
»Sie verdammte Närrin!« sagt Art Ford grimmig. »Sie werden ihn noch töten.«
Ireen schreit einmal grell auf, als ihr die Hand nach hinten gerissen wird und der Arm sich verbiegt. Dann ist sie den Colt los, Art Ford kniet neben ihr und hält sie eisern fest.
Keine acht Schritte weiter taumelt Budd Sharp gegen die Rundung des Bottischs und hält sich am Deckel fest. Er keucht scharf, denkt nicht an eine Schießerei und sieht starr auf sein linkes Hüftgelenk. Er starrt auf seine Hand und sieht Blut. Und ihm wird übel. Dann jedoch probiert er das linke Bein, und es läßt sich ohne Schmerz bewegen. Nur der leichte Stich in der Hüfte ist da und erinnert daran, daß die Kugel ihn gestreift hat.
»Verdammt, verdammt«, sagt Harry Meehan knurrend. »Das Weib hat den Satan im Blut. Halte sie fest, Art, sie ist ja wilder als eine Raubkatze. Zum Teufel, sie hätte mich getötet.«
»Wenn ich es nur hätte«, sagt sie keuchend. »Ihr Lumpen, was fallt ihr über uns her, als wenn ihr Banditen seid? Wer hat euch eingeladen, auf unser Land zu kommen? Steven.«
Sie will hoch, kommt auch auf die Knie, aber da reißt ihr schon Meehan den anderen Arm auf den Rücken und drängt sie gegen die Hauswand ab. Dort steht sie still und kann Steven nicht helfen. Neben ihr kommt Owen Walburn grollend und seine Hände auf den Bauch haltend aus der Tür und lehnt sich keuchend an die Wand.
»Oah«, sagt Walburn und seufzt schlimm. »Dieser verdammte Kerl ist mir in den Bauch gesprungen und hat mir mit dem Colt fast die Rippen eingedrückt. Da liegt er, nun gut. Art, paß auf die Frau auf.«
Er dreht sich um und starrt auf den zweijährigen Jungen, der aus der Tür tritt und hinter dem Tuttle ankommt. Tuttle hat den Jungen am Kragen und sagt kalt, wenn auch noch stockend und anscheinend nicht im Vollbesitz seiner Kräfte:
»Jetzt habe ich genug. Wenn sie nicht friedlich ist, werde ich mit diesem Bengel…«
»Sie!« sagt Ireen Clay verächtlich. »Lassen Sie den Jungen in Ruhe. Sie verdammter Schuft, Steven hat Ihnen was an den Kopf geworfen, was? Nun, Rim, komm her.«
»Langsam!« knurrt Meehan. »Langsam, Lady, der Junge kann zu Ihnen, aber ich sage Ihnen, es wird ihm etwas passieren, wenn Sie nicht friedlich sind. Dies ist eine verdammte Viehdieb-Ranch. Wir werden das sehen und auf unsere Art behandeln. Owen, paß auf Clay auf, der Bursche hat Dynamit in sich. Vorsichtig mit ihm, nur vorsichtig, er ist noch lange nicht fertig.«
Tuttle bleibt in der Tür, sieht sich in der Küche um und nimmt dann das Gewehr von der Wand. Er wirft es ins Zimmer, feuert die schwere Schrotflinte hinterher und sagt knapp und giftig:
»Art, bring sie und den Jungen rein. Und dann paß auf, daß sie sich nicht rührt.«
Art Ford zieht die Lady ins Haus, und Tuttle deutet auf die Ecke hinter dem Tisch und die Ofenbank. Dort muß sich Ireen Clay setzen und zieht den Jungen an sich. Sie sieht auf die Tür, sie kann Steven am Boden liegen sehen, und nun kommt Walburn heran und hat ein Lasso in der Hand.
Der junge Art Ford steht an der Wand. Es ist das erste Mal in seinem Leben, daß er derartige Dinge mitmacht. Ihm ist etwas übel, und die Trockenheit sitzt in seinem Hals. Und dann sagt er gepreßt:
»Ich werde die Tür besser schließen, Lady. Ich bin nur mitgenommen worden, weil wir jemand für Sie haben mußten. Wirklich, es tut mir verdammt leid, daß Sie es sehen sollen, ich werde die Tür…«
»Bleiben Sie von der Tür weg, Sie Lump!« sagt Ireen heiser. »Lassen Sie sie nur auf. Ich will das alles sehen, genau sehen, damit ich es nicht vergesse. Was wollen Sie von ihm, in den Boden treten, oder was sonst? Erschießt ihn besser gleich, denn Steven ist unschuldig.«
»Hören Sie, ich sagte doch schon, ich habe damit nichts zu tun«, erwidert Ford unbehaglich. »Es ist nicht meine Sache. Ich soll nur auf Sie achten. Er hat Rinder von uns umgebrannt. Es gibt einen Beweis. Er hat seine Rinder bei Avra Fregus drüben in Zaragoza verkauft. Wir waren da, das heißt der Boß und Owen. Und es waren drei Rinder mit unserem Brand dabei. Der Brand war zu erkennen, sie rasierten das Fell ab. Er ist ein Rinderdieb, Madam.«
»Was?« fragt sie schwer atmend. »Steven hat niemals ein Rind von eurer Weide geholt. Kann sein, daß sich ab und zu mal ein Rind verlief, aber geholt hat er keins. Und wer will es so haben, daß er zehn Meilen ein Rind treiben muß, damit ihr es zurückbekommt? Der alte James Brian würde es nicht wollen. Das ist alles nur meinetwegen. Ich habe Mikel meine Meinung gesagt, und er will sich an Steven rächen. Was seid ihr doch für Schufte!«
Sie sieht aus der Tür in den Hof, und sie sieht nun, daß sich Owen Walburn wieder aufrichtet und Steven die Hände und Beine gebunden sind. Er hat um jedes Bein ein Stück Riemen wie jenes Rind, das er brannte. Zwischen diesen beiden Riemen ist ein Stück von etwa dreißig Zentimeter Länge. Er kann also gehen, aber nur in Trippelschritten.
Und auf einmal weiß sie, daß es hart werden wird, zu hart, denn sie kennt Steven.
Sie sieht, wie Mikel Todhunter von Clem Tuttle etwas Wasser auf den Kopf bekommt und sich ächzend erhebt.
Und der erste Satz, den Mikel Todhunter spricht, ist eine Kette von Flüchen.
Er steht schwankend und von Tuttle gehalten auf und blickt auf Steven Clay hinab, dessen rechtes Ohr blutet und der am Kopf eine Beule hat.
Steven Clay liegt auf dem Rücken, und Mikel steht mit geballten Händen über ihm. Und Mikel Todhunter wendet ganz langsam den Kopf und sagt heiser:
»Ireen, willst du was? Gefällt es dir nicht, was ich mit einem Viehdieb anstelle? Nun los, was willst du?«
Sie atmet keuchend und schluckt. Ihre Augen schimmern feucht vor Scham und Zorn. Und dann sagt sie bitter:
»Du kannst alles haben, was du willst, aber laß ihn in Ruhe. Um mich ist es nicht schade, aber er… Laß ihn in Ruhe.«
»Was?« fragt er spröde und jäh ernüchtert. »Sagtest du alles?«
Er starrt sie einen Augenblick an, und jeder sieht, wie er nachdenkt, aber dann spuckt er aus und sagt knirschend:
»Hätte er mich nicht geschlagen, würde ich ihn schonen. So nicht mehr. Dieser Narr wird es bezahlen. Und wenn ich etwas von dir will, dann bekomme ich es immer noch. Vielleicht bist du eines Tages froh, wenn ich mich um dich kümmere. Fangt an, macht den Kerl munter. Und dann seht die Kuh da nach.«
Er deutet auf den Corral, und Meehan geht hin und sagt ruhig:
»Boß, der Brand ist nicht mehr zu erkennen! Der Brand kann ein Hammer gewesen sein, aber ich bin nicht sicher!
Vor drei Tagen zog hier eine Herde durch, die das Zeichen hatte. Soll ich weiter nachsehen?«
»Geh mit, Budd!« sagt Mikel Todhunter scharf. »Seht alle Rinder nach. Und dann rasiere ihnen das Fell, wenn du meinst, du findest etwas, Meehan. Los, fangt an! Owen, weckt ihn auf!«
Draußen klatscht Wasser auf Steven Clay. Und die Lache auf dem Boden verwandelt sich in ein sumpfiges und schmutziges Etwas.
Steven Clay bewegt die Beine.
»Er wacht auf!« sagt jemand grollend. »Gebt ihm noch einen Schuß, damit es schneller geht.«
Und eine andere Stimme sagt krächzend:
»Wenn er nur bald aufwacht, damit ich ihm zeigen kann, was es heißt, mich fast totzuschlagen. Weckt ihn auf, den Kerl!«
Auf einmal merkt Clay, daß der Boden leise zittert. Und dann klatscht es kalt auf ihn. In seinen Ohren ist der Schrei eines Rindes, brüllend und laut.
Und da macht er die Augen auf. Zugleich spürt er den brennenden Schmerz am rechten Ohr, das dumpfe Pochen in der Gegend des Hinterkopfes, und seine Augen sehen einen Schleier.
Es sieht aus, als wenn er durch eine Scheibe sieht, die voller Spinnweben ist und die Spinnweben bewegt der Wind.
Zweimal, dreimal zwinkert er mit den Augen. Und jedesmal wird das Bild ein wenig klarer.
Aus dem Nebel taucht das Gesicht von Mikel Todhunter auf, und Todhunters Bein hebt sich.
Er stellt es auf den hochkommenden Steven Clay. Er fällt in die Brühe zurück.
»Langsam«, sagt Mikel Todhunter krächzend. »Mach nur langsam, Bursche. Wir fangen erst mit dir an. Wir werden dich in deine Einzelteile zerlegen, mein Freund, hörst du mich auch?«
»Vielleicht«, sagt Steven Clay.
Und auf einmal weiß er alles. Er weiß nun genau, was passiert ist und daß man ihn niedergeschlagen hat. Er erinnert sich an Todhunter und seine Frau. Und er sagt schwach und leicht keuchend:
»Ireen, bist du heil?«
Sie sitzt in der Küche, und der Junge liegt mit dem Gesicht an ihrer Brust. Der Junge kann seinen Vater nicht sehen, und das ist gut so.
»Ja«, sagt sie gepreßt zurück. »Ja, Steven. Verliere den Willen nicht.«
Sie senkt den Kopf, als Mikel Todhunter sich umdreht und sie mit seinen funkelnden Augen anstarrt.
»Genug geplärrt!« sagt Todhunter scharf. »Jetzt wird es rauh.«
*
Die Sonne sieht herab auf das Land. Sie bescheint ein Stück weiter die kleine Ranch, auf der es kaum ein Leben zu geben scheint.
Dort ist Ireen Clay dabei, ihren Mann zu verbinden.
Es ist Nachmittag, als sie mit ihm fertig ist und sich daran macht, die Sachen wieder aufzuräumen.
Im Haus ist es ruhig, auf dem Hof spielt der Junge in seiner Spielecke am Sandhaufen und ruft manchmal krähend nach seiner Mutter.
Und sie geht dabei und macht die Schranktüren ganz ab, daß nur noch die leeren Fächer zu sehen sind. Sie räumt ein und sieht alle Zeitlang nach ihrem Mann, aber der liegt still und atmet nur leise.
»Er wird sich erholen«, sagt sie heiser. »Er wird sich ganz sicher erholen. Nur keinen Doc, jetzt nur kein Aufsehen, es wird noch Ärger und Geschrei genug geben.«
Sie weiß, daß Steven Clay zäh ist, zäh wie eine Katze. Man hat ihn zertrümmert, aber aus diesem Zustand wird er sich wieder erheben, das ist sicher. Sie macht ihm wieder einen kühlenden Wickel auf der Stirn, und als sie sich umdreht und das Tuch auswringt, hört sie ihn scharf keuchen. Sie sieht sich um, er hat die Augen offen, und der Spalt seiner Lider schließt sich gleich wieder.
»Bald«, sagt der zerschlagene Mann auf dem Bett keuchend. »Bald. Ich bringe – ihn – um.«
Und danach ist er wieder fertig, aber er hat wenigstens gesagt, was er denkt und was er tun wird.
Sie kennt ihn, sie kennt ihn gut genug und weiß, daß er das macht, was er sich vorgenommen hat.
Dieser Mann ist fertig, aber er wird keine Minute an etwas anderes denken als daran, was er tun wird, wenn er wieder heil ist.
Ireen Clay seufzt bitter, als sie hinausgeht und Wasser holt, mit dem sie aufwischen will. Sie weiß, er wird schießen. Und sicher ist er starrköpfig genug, auch gegen fünf oder sechs Mann loszugehen.
Sie bringen ihn um, denkt sie verstört. Er hat doch allein niemals eine Chance. Sie werden ihn umbringen. Vielleicht erwischt er Mikel trotzdem, aber der alte Mann wird seine Mannschaft auf ihn hetzen! Ich muß es ihm ausreden, ich muß es einfach tun. Und wenn ich der Preis dafür bin, aber er darf nicht zu schießen beginnen.
Sie taucht den Eimer in den Bottich und sieht die drei Kugellöcher in ihm. Der Stimme nach war es Sharp, der den Bottich zerschoß, damit das Wasser auslief. Er hat nur etwas zu hoch geschossen, am Grund des Bottichs ist noch genug.
Und sie hat den Eimer gerade hoch, als sie den Kopf hebt und lauscht.
Von links kommen die harten Tritte eines Pferdes. Von links nähert sich Hufschlag, und das Pferd scheint ziemlich schnell zu laufen.
Sie richtet sich auf und blickt um die Ecke des Schuppens. Und dann sieht sie den schwarzhaarigen und breitschultrigen Reiter, der in lockerer Haltung auf seinem Braunen sitzt und langsam herankommt.
Nun zügelt der Mann sein Pferd zum langsamen Trott. Er hat den Hut nach hinten geschoben, und sein weißes Hemd leuchtet hell in der letzten Sonne.
Er hat ein ruhiges und vierkantiges Gesicht, auf dem an der linken Wange irgendwo am Kinn eine gezackte und kaum sichtbare Narbe ist. Ein fester Mund, kühle und graue Augen und eine starke und kräftige Nase. Der Mann lächelt eingefressen.
»Hallo!« sagt der Mann auf dem Pferd und hält vor ihr an. Er blickt einen Augenblick auf Ireen und sieht dann über den Hof. Er sieht alles, aber er lächelt immer noch auf seine seltsame Art.
Und erst, als er sie wieder voll anblickt, verschwindet dieses Lächeln langsam und macht einem Ausdruck des Widerwillens Platz.
»Hallo«, sagt Clanton träge. »Was hat es hier gegeben, Madam? Ich war sechs Meilen weiter südlich und hörte es knallen. Es schien aus dieser Richtung zu kommen. Was ist passiert, Mrs. Clay?«
Er sitzt ruhig im Sattel und sieht den Zorn und den Zug des Hasses um ihre Mundwinkel. Und dann wandert sein Blick, denn sie gibt ihm keine Antwort, langsam zu dem Rind hin. Er sieht das einzelne Rind am Boden liegen und das Rind ist tot.
Jemand hat der Kuh den Revolverlauf hinter das rechte Ohr gehalten und abgedrückt. Die Beine der Kuh sind steif aufgereckt und die Seite, auf der man das Fell rasierte, ist oben.
Nun steigt Allen Clanton ab. Er läßt seinen Braunen stehen und geht gleitend auf das Rind zu. Dort beugt er sich über den Brand und fährt ihn mit dem Finger nach.
Und dann sieht er hoch und sagt kurz:
»Flying-H. Jemand hat es umgebrannt. War es Steven?«
Er sieht sie forschend an, und nichts in seinem Gesicht verrät, was er gerade denken mag.
»Ja, es war Steven«, sagt Ireen abwehrend und kalt. »Die Kuh hat sich im Badland verlaufen und war schon mager und das Fell verfilzt. Sie war keine drei Dollar mehr wert, als Steven sie fand. Er nahrn sie trotzdem mit und brannte sie um. Sie war auf unserem Land.«
Clanton antwortet nicht. Er befühlt nachdenklich die Rippen der Kuh und dreht sich dann jäh um.
»Es ist wahr«, sagt er kurz. »Sie ist noch immer nicht fett. Well, er hätte sie zurückbringen sollen, aber auf eine magere Kuh legt James Brian keinen Wert. Well, wer war hier und wo ist Steven?«
»Im Haus«, antwortet sie kühl. »Er wird schlafen, denke ich.«
Sie sieht den jähen Funken Mißtrauen in seinen Augen. Und seine kühlen Augen richten sich nachdenklich auf die vielen Spuren im feuchten Sand.
Der Hilfssheriff von Elk geht langsam auf die Pfützen zu. Er blickt auf die Spuren, dann auf den Baum und die abgescheuerte Stelle an dem Ast des Baumes.
Und dann bewegt er sich schneller, geht mit langen Schritten auf die Haustür zu und zuckt zurück.
Allen Clanton blickt auf die Trümmer und bleibt jäh stehen. Er hebt dann langsam das Bein ein, steigt über Unrat und Trümmer hinweg und kommt in das Wohnzimmer.
Und dann atmet er erleichtert auf, als er den Mann auf dem Bett sieht.
»Ich dachte schon…«, sagt er heiser. »Die Scheuerstelle am Ast, das zerschnittene Lasso, ich dachte schon…«
Und hinter ihm sagt Ireen Clay mit plötzlich ausbrechender Wildheit:
»Sie denken wirklich mal, was? Nun gut, es hätte Ärger für Sie gegeben, wenn man ihn aufgehängt hätte, was? Das paßt Ihnen nicht, Clanton. Ist das noch nicht genug? Haben sie ihn nicht fast totgeschlagen, einen Trümmerhaufen zurückgelassen und sich wie wilde Indianer benommen? Sie haben ihn gebunden, mit dem Colt niedergeschlagen, und er griff sie trotz der Fesseln noch an. Er brauchte nur frei gewesen zu sein und eine Chance gehabt zu haben mit seinen Fäusten, dann würde Mikel jetzt so aussehen und seine Burschen noch besser.«
Clanton wendet sich um und hockt sich auf die Bank, denn ein Stuhl ist nicht mehr heil.
Er sieht sich langsam um und antwortet nicht. Und dieses Schweigen macht sie noch wilder und zorniger.
»Es waren Ihre Leute«, sagt sie fauchend. »Ihr Vetter, die Mannschaft der Flying-H. Sie können gar nichts tun, Deputy. Sie sind genauso ein Schuft wie die anderen. Was wollen Sie hier noch, heh? Scheren Sie sich zum Teufel, ich erwarte von Ihnen keine Hilfe und Steven auch nicht.«
Ihre Tränen kommen wieder. Und nun schluchzt sie auf und hält sich am Türbalken fest.
Der Deputy sieht sie an und schweigt, bis sie sich beruhigt hat.
»Ich lasse mich gehen«, sagt sie zitternd. »Aber wer ist so gemein, daß man alles mit Petroleum übergießt? Das ist Mikels prächtige Idee und sein Wolf Walburn macht es auch alles genauso, wie Mikel es haben will. Sie können stolz sein, mit diesen Wölfen noch verwandt zu sein. Machen Sie, daß Sie wegkommen! Niemand hat Sie gerufen. Wir werden damit auch allein fertig. Sie sind ein gekaufter Mann, den James Brian Todhunter bezahlt und als Deputy vorschlug. Sie werden noch in hundert Jahren Deputy sein, sollten Sie so lange leben.«
Allen Clanton schweigt. Er sieht sie nur an. Und er denkt, daß diese Frau die Wahrheit sagt. Vielleicht sollte er sich schämen, denn es ist wirklich so. Der alte Todhunter hat ihn vorgeschlagen zum Deputy. Er hat ihm ein Haus zur Verfügung gestellt, zwei Pferde gegeben und zahlt seinen Monatssold. Er zahlt dafür, daß Allen seine Stadt ruhig hält und auf die Herden achtet, die hier durchziehen und manchmal Schaden auf der Weide der Flying-H anrichten.
Clanton will etwas sagen, aber die Bitterkeit dieser Frau, die Düsternis der Umgebung und das leise Stöhnen des zerschlagenen Mannes lassen ihn schweigen.
Die Lady starrt ihn an und sagt bissig:
»Sie haben doch noch etwas wie Anstand, was? So ganz und gar schlecht können Sie nicht sein, aber es ist bequem, für einen großen Mann zu reiten, sein Hund zu sein, dem er nur zu pfeifen braucht. Sie haben ja nichts auszustehen. Sie bekommen Ihren Sold, pünktlich das Essen, wann immer Sie es haben wollen. Und Sie brauchen nur ein wenig den Ärger
James Brians zu verhüten. Jeder Mann würde sich alle Finger nach diesem Job ablecken. Manchmal ist so ein Mann ein Lump. Und was sind Sie, Allen Clanton?«
Er starrt sie an und seine grauen Augen schließen sich fast. Dann macht er sie wieder auf und sagt langsam: »Was wissen Sie von mir, Lady? Ich habe noch nie beweisen müssen, daß ich mehr kann, als nur einige rauhe Burschen zwingen, das Land der Flying-H zu verlassen. Sicher, ein paarmal mußte ich schießen, aber es war nie besonders hart. In der Stadt gab es einige Male Ärger mit Rauhreitern. Vielleicht bin ich nicht abhängig?«
Sie starrt ihn an und verzieht verächtlich die Mundwinkel.
»Nun«, sagt sie gallenbitter. »Nun, Sie sind groß und stark. Sie haben zwei Revolver, und man sagt, Sie wären einmal ein bekannter Revolverkämpfer gewesen. Jetzt können Sie versuchen, ob Sie noch etwas taugen, aber sicher wollen Sie nichts als nur Ihre Trägheit und Ruhe, Mr. Clanton. Nur keinen Ärger mit der Flying-H. Sie werden sich ducken und blind sein. Sie werden gar nichts tun, was dieser Alte nicht will. Sie sind ein Feigling.«
Clanton steht langsam auf und geht zum Fenster. Er stößt den zerschlagenen Flügel aus den Angeln, daß er klirrend im Hof landet und blickt sich nicht um. Und mit dem Gesicht nach draußen gewendet, sagt er heiser:
»Sie beschimpfen mich, Madam, obwohl ich Ihnen nichts getan habe. Sie stellen mich als einen Feigling hin. Nun gut, vielleicht kann ich auch etwas dazu sagen, wie?«
»Immer los«, erwidert sie dunkel. »Verteidigen Sie sich nur in meinen Augen. Suchen Sie sich eine bequeme Entschuldigung, Deputy. Soll ich Ihnen sagen, was ich tun werde? Ich werde mich an Ben Braddock, den Richter in Alamogordo wenden. Ich werde ihm sagen, was dies für ein Land ist, wenn Sie nichts tun. Mein Mann wird aufstehen. Wann, das mag Gott allein wissen, aber es wird so kommen. Und Steven ist kein schlechter Mann mit seinen Eisen. Soll ich sagen, was passieren wird, wenn er glaubt, daß er wieder gesund ist.«
Er starrt sie an, und auf einmal fühlt er die Unausweichlichkeit einer Entscheidung auf sich zukommen. Sicher, er ist Deputy, der Richter kann ihn absetzen, wenn er die Genehmigung des Sheriffs aus Alamogordo hat. Und vielleicht ist es besser, er läßt sich absetzen, ehe es zum Ärger zwischen Steven Clay und jenem Rudel kommt, das über ihn herfiel.
Es ist schlecht für ihn, gegen den alten Mann, Mikel und die halbe Mannschaft zu kämpfen. Und er müßte jetzt etwas tun, wenn er seinen Orden zu Recht tragen will.
»Was sollte er machen?« fragt er kurz. »Meinen Sie, er hat eine Chance gegen die Flying-H? Das wäre Wahnsinn, er wird dabei mit Sicherheit umkommen. Und auch der Richter könnte nicht helfen.«
»Wenn das nur kein Irrtum ist«, sagt sie scharf. » Ich brauche nur eine Anzeige bei dem Richter zu machen, und Sie werden den Befehl bekommen, den Vorfall zu untersuchen und Mikel einzusperren. Dies war kein Rinderdiebstahl, und Sie wissen das auch gut und richtig. Gehen Sie hin und sperren Sie Mikel ein. Jeder andere Mann würde das tun. Jeder Mann, der einen Orden nicht nur zur Verzierung trägt.«
»Lady, Sie werden scharf«, sagt er grimmig. »Ich habe diesen Stern nicht angenommen, um mich vor etwas zu drücken. Aber ich könnte Mikel nicht einsperren. Der alte James Brian wird seinen Sohn in jedem Fall decken. Solange es kein Mord ist, wird er das tun. Dann hat er ihn sogar mit einem Auftrag hergeschickt, Steven die Hölle an den Hals zu jagen. In seinen Augen wird Steven im Notfall nichts sein als ein dreckiger Viehdieb, den er bestrafen ließ. Dies ist die andere Seite der Medaille.«
»Ach, zum Teufel!« sagt sie bitter. »Clanton, es war kein Diebstahl.«
»Und der Beweis?« fragt er kühl. »Wer hat ihn gesehen, als er das Rind im Badland auf seinem Gebiet fand? Niemand, was? Man kann behaupten, er hätte es sich von der Herde geholt, Lady, keine Chance, etwas anderes daraus zu machen, keine Chance. Und Sie sind nicht närrisch genug, das nicht auch einzusehen.«
»Sie sind wirklich nicht viel besser als dieser alte und listige Fuchs James Brian Todhunter!« faucht ihn Ireen Clay an. »Nun gut, Sie können nichts tun, aber ich sage Ihnen, Mikel wird das bezahlen müssen. Er hat es nicht wegen dieses Rindes getan, nicht allein deshalb.«
Allen dreht sich langsam um und blickt sie an. Und dann kneift er die Augen ein wenig zusammen und sagt forschend:
»Warum sonst, Lady? Ich sehe keinen Grund, denn Steven gehörte, soviel ich weiß, doch einmal zur Flying-H.«
»Er stellte mir nach, ehe ich Steven kennenlernte«, erwiderte sie gepreßt. »Ich gab ihm zwei Ohrfeigen, als er sich mit Gewalt einige Dinge nehmen wollte. Und dann heirateten Steven und ich. Er hat niemals vergessen können, daß ich ihn abgewiesen habe, und daß Steven so etwas wie Triumph spürte. Mikel taugt nichts, gar nichts. Er hat alles zerschlagen lassen, nur um mich zu treffen. Jetzt wissen Sie es, machen Sie sich daraus einen Vers!«
Sie sieht, wie Clanton zusammenzuckt. Er starrt sie an, und er denkt, daß diese Frau einen Mann schon aufregen kann. Auf einmal spürt er selber etwas wie Feuer im Blut und sieht auf den Herd, damit er irgendwohin blicken kann.
»So war das also«, sagt er heiser. »Nun gut, jetzt verstehe ich es. Mikel taugt nichts, das weiß ich selber. Aber, der alte James Brian hängt an ihm, obwohl ich nicht einsehen kann, warum das so ist. Lady, was soll ich ändern können?«
»Steven wird losgehen«, sagt sie bitter. »Es gibt nur eins, was ihn zurückhalten könnte, Mikel müßte dafür vom Gesetz bestraft werden, man müßte Steven klarmachen, daß er keine Chance hat. Vielleicht gelingt mir das, vielleicht schaffe ich es, aber ich glaube es kaum, er hat einen zu harten Kopf. Clanton, was jetzt?«
»Ich werde mit Brian reden«, sagt Allen. »Ich werde mit ihm sprechen, aber ich sehe nicht viel dabei herauskommen. Wie ich Steven kenne, wird er Mikel eines Tages suchen. Und bei Mikel wird Clem Tuttle sein. Ich kann nur aufpassen und es in jedem Fall zu verhindern suchen. Ob es gelingt…«
Er zieht die Schultern hoch und geht zur Tür. Und dort sagt er heiser:
»Ich sehe in den nächsten Tagen vorbei, Lady. Jetzt werde ich mit dem Alten reden. Brauchen Sie Hilfe oder den Doc?«
»Ich helfe mir allein, Deputy«, sagt sie leise. »Sie können feige sein und allen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen. Sie brauchen nur den Orden abzugeben. Was werden Sie tun?«
Er sieht sie an und bewegt unruhig den rechten Fuß.
»Ich war noch nie feige«, sagt er langsam. »Und ich möchte nicht, daß gerade Sie das von mir denken. Auf Wiedersehen, Madam!«
*
Allen Clanton reitet schnurgerade auf die Flying-H-Ranch zu. Er muß durch zwei Canyons, quer durch das Badland und immer weiter nach Osten. Er erreicht die Ranch des alten und starrköpfigen James Brian Todbunter gegen zehn Uhr abends. Er kommt über den Steilweg in das Tal hinab, sieht die Lichter, die Corrals und den Hof.
Und sein Weg verändert sich um einige Striche westlich, als er zum Corral reitet.
Allen hält an und blickt über die Stangen in das Dunkel des Corrals hinein. Er sieht den Grauen Mikel Todhunters nicht. Er sieht auch die Pferde von Sharp, Meehan und Walburn nicht an ihrem Platz.
Seine Augen huschen über den Hof auf die beiden Haltebalken am Haus zu. Er sieht, daß nur ein Pferd, eine gefleckte Pintostute, am Balken steht. Dieses Pferd reitet seine Schwester. Sie ist also im Haus. Und als er an dem Pinto ist, sieht er am Schweiß, daß das Tier schnell geritten worden ist und sich hier langsam abkühlen soll.
Über den Hof kommt Art Ford und nähert sich der Stute. Er sagt nichts, nimmt die Zügel schweigend los und geht auf den Corral zu, wo er absattelt, während Clanton absteigt.
Allen, der sich gleich darauf dem Vorbau nähert, sieht den schwachen Lichtpunkt in der Dunkelheit aufleuchten.
Der Rauch einer Zigarre zieht zu ihm hin, und die rote Glut bescheint Clem Tuttles Gesicht.
Tuttle sitzt auf einem Stuhl, er liegt mehr in ihm und hat die Beine auf der inneren Balustrade des umbretterten Vorbaues.
Clanton bleibt stehen, und Tuttle raucht ruhig weiter. »Clem«, sagt er flach. »Hast du den ganzen Tag hier gesessen? Ich dachte immer, du wärest mit Mikel zusammen. Nun, hast du ihn nicht gesehen?«
»Ich habe ihn gesehen«, murmelt Clem Tuttle und nimmt langsam die Zigarre aus dem Mund. »Er ritt mit den anderen in die Stadt. Suchst du ihn?«
»Vielleicht«, erwidert Clanton. »Warum bist du nicht an seiner linken Seite, Clem?«
»Manchmal hat man keine Lust«, sagt der Revolvermann schleppend. »Er fand mich langweilig und einige Dinge paßten ihm nicht. Er ritt lieber mit seinen Freunden.«
Allen sagt einen Augenblick vor Überraschung nichts. Der Revolvermann sprach von Freunden. Und für ihn war es bis heute eine ausgemachte Sache, daß zu Tuttles Aufgaben auch der Schutz des mit dem Revolver nicht besonders guten Mikel gehört.
»Sieh mal einer an«, sagt er dann ruhig. »Hattest du mit ihm Ärger, Freund Tuttle? Oder gab dir die Sache heute mittag ein wenig zuviel zu denken? Nun, ich frage nur so, du brauchst nicht zu antworten.«
Tuttle steht langsam auf und kommt auf ihn zu. Er ist einen Kopf kleiner als der Deputy, aber er hebt trotz seiner Kleinheit und der damit verbundenen Vorsicht vor einem größeren Mann seine Zigarre an. Er dreht die Zigarre um und stippt die eine Seite wie einen Colt gegen Clantons Brust.
»Mir gefallen einige Dinge manchmal nicht«, sagt Tuttle sanft. »Und ich habe es gelernt, zu schweigen. Es war ein wenig zu hart und rauh, obwohl mich dieser Bursche glatt austrickste und auch ich für ihn nicht schnell genug war. Manchmal ärgert das einen Mann wie mich, aber ich bleibe immer ehrlich. Ein Mann ist bei mir ein Mann. Mancher Mann ist bei mir ein ziemlicher Lump. Das ist meine Privatmeinung. Ich habe hier einen Job, begreifst du? Einen Job, wie du einen hast.
Sei vorsichtig, wenn du hineingehst. Der Alte hat gedacht, deine Schwester wäre den Nachmittag über mit Mikel zusammengewesen, und seine Laune war schlechter als schlecht. Hoffentlich hat sie ihm erzählt, daß sie nicht mit ihm zusammen war.«
»Sieh mal einer an«, sagt Allen langsam. »Und wo war sie, mein Freund?«
»Sie hat einen Vogel – Pardon«, sagt der Revolvermann sacht. »Immerhin ist sie deine Schwester, wie? Sie war bei den Mexikanerfamilien am Penasco und hat einen Korb voll Essen hingebracht. Einige Kinder sollen dort krank sein. Vielleicht hätte Isabell besser eine barmherzige Schwester werden sollen, denke ich. Sie steckt immer voller Hilfsbereitschaft. Der Alte macht sich Sorgen, sie könnte sich an Mikel versehen.«
»Ich glaube nicht«, murmelt Clanton flach. »Er ist nicht ihr Typ, schätze ich. So, du warst also dabei?«
»Ja«, sagt der Revolvermann ruhig. »Und es hat mir nicht gefallen. Und
Isabell ist ein prächtiges Girl, sie sieht, was schlecht ist. Ich habe nur meine Privatmeinung. Du brauchst sie niemandem zu erzählen.«
»Schon gut, ich bin kein Waschweib«, murmelt der Deputy. »Vielen Dank, Clem.«
Der Revolvermann wirft seine Zigarre in den Hof und geht schlendernd los, als wenn er gar nicht gesprochen hat. Allen pfeift leise durch die Zähne, sieht ihm nach und denkt, daß Mikel einen Mann verloren hat, der ihn in jeder Lage decken würde, wenn noch alles so wäre wie wenige Stunden vorher.
Er geht auf die Haustür zu, kommt in den Flur und stößt mit dem Fuß die Tür sacht auf. Und dann hört er die polternde Stimme des alten James
Brian und bleibt stehen.
Der alte Mann spricht lautstark mit jemandem und Allen braucht nicht zu raten, er weiß, wer dieser Jemand ist.
»Ich will verdammt wissen, wo du gesteckt hast, Isabell!« sagt der Alte in der großen Halle rechts von Clanton grimmig. »Du reitest weg, während ich meinen Mittagsschlaf halte. Wo, zum Teufel, warst du wieder?«
Er scheint mit der Faust auf den Tisch zu klopfen, so hört es sich an. Und seine Stimme klingt nach Ungewitter und verlorener Beherrschung. Er spricht immer so. Er spricht, wie ein König sprechen muß, denn er ist einer in diesem Land. Von seiner Kindheit an hat er nichts gekannt als nur Kampf und Ärger. Selbst, als er nicht mehr zu kämpfen braucht, als es kaum noch Ärger gibt, bleibt er der harte Mann, der schimpfen und brüllen kann.
»Onkel James«, antwortet die helle Stimme, die seltsam schwingt. Und Allen muß unwillkürlich lächeln, als er den leichten Unmut aus der Stimme seiner Schwester heraushört. »Onkel James, ich bin nur so geritten.«
»So!« sagt der Alte. »Du bist also ein wenig geritten, mein Kind. Und mein Herr Sohn, dieser Windhund, den hast du wohl nicht gesehen, was? Ich weiß genau, er stellt dir nach, dieser Windbeutel. Also los, verschweige mir nichts. Du bist in aller Heimlichkeit geritten. Ich dulde keine Heimlichkeiten. Und wenn du denkst, du mußt Mikels schlechtes Benehmen entschuldigen, dann sage ich dir, ich denke nicht daran, ihm etwas durch die Lappen gehen zu lassen. Los, heraus damit, wo hat er dich wieder belästigt?«
»Onkel James, ich habe ihn gar nicht gesehen!« sagt Isabell Clanton ruhig. »Ich war am Penasco River bei den Mexikanern.«
»So!« Wieder dieses Wort, das der Alte so seltsam scharf ausspricht. »Du warst also bei den Mexikanem. Was willst du dort, mein Kind? Und warum schleppst du ihnen etwas hin?«
»Oha«, sagt sie erschrocken. »Du weißt, daß ich ihnen etwas gebracht habe? Onkel James, es sind lauter kleine Kinder dort, die kaum mal Milch sehen und selten Butter. Ich dachte, nun, ich dachte…«
Sie schweigt verwirrt, denn sicherlich hat sie es aus der riesigen Küche der Ranch genommen. Sie ist ein Mensch, der dauernd helfen will. Ein weichherziges Geschöpf auf der einen Seite und hart auf der anderen Seite, wenn etwas Rauhes auf sie zukommt. Jetzt weiß sie nicht mehr weiter, denn der alte Mann ist ein Griesgram, und was ihm gehört, bekommt niemals ein anderer.
Einen Augenblick bleibt es still. Und Allen, der einen Ausbruch des Alten vermutet, will schon durch die Tür, als er den Alten mit völlig veränderter Stimme sagen hört:
»Ja, schon gut, mein Kind. Es ist gut und edel, wenn man hilft. Und ich denke, diese paar Sachen machen uns nicht arm, wie? Siehst du, Kind, du mußt zu mir schon etwas mehr Vertrauen haben. Ich bin ein alter und jähzorniger Mann, wie? Stimmt schon, ich war noch nie ein Narr, der sich nicht genau ausrechnet, was andere Leute von ihm denken! Nimm dir also, was immer du brauchst und bring es hin. Aber nimm dir einen der Boys mit. Meine Nichte braucht nicht zu schleppen, verstanden?«
Und den letzten Satz sagt er schon grollend und wieder geladen.
»Danke, Onkel James«, sagt Isabell.
»Setz dich hin, mein Kind. Ist schon recht. Weißt du, Isabell, als meine Frau, die Schwester deiner Mutter, starb, da war es mit mir aus. Ich war damals schon groß, ein König in diesem Land. Und niemand sollte merken, wie es in mir aussah. Da wurde ich hart. Und du hast so ein kleines Stück von meiner Frau, eigentlich ein großes Stück, denn du siehst ihr sehr ähnlich. Alles, was du besitzt, sollte mein Sohn besitzen. Nun, Kind, erschrick nicht, er ist mein einziges Kind, und ich denke, er ist ein guter Rindermann. Wenn er das nicht wäre…«
»Aber Onkel«, sagt Isabell Clanton erschrocken. »Ich dachte immer, Mikel und du…«
»Er ist mein Sohn, ein Todhunter«, sagt der Alte heiser. »Er wird eines Tages diese Ranch haben. Er wird mein Nachfolger sein. Manchmal wünschte ich, er hätte ein Stück deines Bruders. Ich glaube – nun, Kind, es ist gleich, was ich glaube. Und sicherlich lebe ich ja noch zwanzig Jahre, was? Komm, wir wollen essen.«
Er lacht. Und Allen hört die Bitterkeit aus diesem Lachen deutlich heraus. Er hört drüben die Schritte sich entfernen und weiß, daß sie nun in das Eßzimmer gehen.
Großer Gott, denkt er. Old James hat Mikel also erkannt. Er hält nichts von ihm, das weiß ich jetzt. Was muß in ihm vorgehen, daß er so bitter spricht? Ich warte besser noch etwas.
Er lehnt sich an die Wand und wartet eine Weile. Dann geht er los, klopft an die Tür, hört keine Antwort und betritt die Halle. Es ist ein riesenhaftes Zimmer, auf dessen Boden Teppiche sind. An den Wänden Geweihe, Indianerwaffen und Tanzmasken.
Hier regiert ein König. Und sein Schreibtisch ist fast allein in diesem Raum, trotz der schweren Möbel. Er macht sich hier wie ein Kommandostand aus, dieser Schreibtisch. Man sagt, jeder Mann, der in diesen Raum käme und vor den Alten müßte, hätte weiche Knie.
Sundown geht über die Felle, hält an der nächsten Tür an und hört das Klirren von Geschirr. Und nun klopft er kräftig.
Der Mulatte, der bei Tisch bedient, gießt wortlos, den braunen Körper in einen richtigen Dienerfrack geklemmt, den Tee ein, den der Alte immer vor dem Zubettgehen trinkt.
»Hallo, Allen!« sagt James Brian überrascht, als Clanton hereinkommt. »Nanu, ist etwas, daß du kommst? Es ist doch keine Herde hier, in der Stadt war auch nichts, sagte Bruce, der vorhin ankam. Also, was ist, du kommst doch nie umsonst?«
Allen hat den Hut in der Hand. Er ist vielleicht genauso groß und breit wie der Alte, der schon fast sechzig Jahre auf dem Rücken hat. Und als er steht, wirkt er an der Tür wie ein düsterer Schatten, der auf den Alten blickt.
»Well, etwas ist passiert«, sagt Allen knapp. »Du solltest erst essen, Onkel, ich denke, das ist besser. Willst du…«
»Sag mir nicht, was ich tun muß!« stellt der Alte grimmig fest. »Jaquin der Tee wird warmgestellt, ich habe mit Allen zu reden. Du entschuldigst, Kind, ich komme dann gleich zu dir. Willst du auch warten, dann komm mit.«
Isabell sieht ihren Bruder an. Und es gibt wohl niemand, der ihn so gut kennt wie sie. Sie weiß, daß er einmal ein Kämpfer war, ein Mann, der sich von niemand etwas sagen ließ. Und nun sieht sie in seinem Gesicht die Anzeichen einer tiefen Sorge und eines nicht gelinden Ärgers.
Darum steht sie auf und faltet ihre Serviette zusammen. Sie geht neben ihrem Onkel her in das Arbeitszimmer und bleibt an der Wand unter einem Indianerbogen stehen.
»Nun?« fragt der Alte und setzt sich in den Lehnsessel hinter dem riesigen Schreibtisch. »Setz dich doch, Allen, was stehst du herum? Junge, ist etwas mit Mikel?«
Er sieht Allens Gesicht, und plötzlich kommt die Sorge wieder in dem Alten hoch. Immer, wenn Allen kam und ein unruhiges Gesicht machte, war die erste Frage des Alten, ob sein Sohn etwas angestellt hatte.
Er sieht ihn fragend und voller Unruhe an, und Allen Clanton legt langsam seinen Hut auf den Stuhl, der vor dem Schreibtisch steht. Dann sieht er den alten Mann ruhig an.
»Vielleicht, James«, sagt Clanton kühl. »Ich möchte dir eine Frage stellen.«
Er sagt James. Und damit zieht er mit einem Wort eine Grenze. Der alte Mann weiß es mit einem Schlag, daß er den Mann, den er zum Deputy machte, den er bezahlt und der auf ihn hört, jetzt als wirklich unabhängigen Deputy-Sheriff vor sich hat, der kein Pardon kennen wird.
»Frage!« sagt er hart. »Los, fang an, ich will es genau hören, denn sicher hast du einen Grund zu einer Frage. Fang an, Allen!«
»Gut, wir verstehen uns«, sagt Allen Clanton und lächelt unmerklich den ihm so freundlich gesinnten und immer zu ihm anständig gewesenen Alten an. »James, wenn jemand eines deiner Rinder finden würde, zehn Meilen von deiner Weide entfernt und seit Wochen verlaufen, was würdest du zu diesem Mann sagen, wenn er dir das halbverhungerte Rind zurückbringt?«
»Ich würde ihm sagen, daß er dieses Rind in drei Teufels Namen behalten sollte!« sagt der Alte grimmig. »Wer hat ein solches Rind gefunden? Raus damit, Junge.«
»Steven Clay«, sagt Allen sanft. »Er fand es, dachte, daß er dich kennt und brannte es um. Er hat schon mehr Rinder von dir gefunden, alle auf seinem Land und nach einem langen Weg, den sie gewandert waren. Es mögen ungefähr ein Dutzend sein, die er im Laufe eines Jahres fand. James, würdest du Steven für einen Viehdieb halten?«
Der Alte starrt ihn an, und man merkt, wie es hinter seiner Stirn arbeitet.
»Ich würde es nicht tun«, sagt er schließlich. »Steven war mein bester Mann. Er kannte wie kein anderer die Rinder. Und er war immer ein guter Mann, den ich ungern verlor, obwohl er erst ein Jahr bei mir war. No, er hätte es mir nur zu sagen brauchen, ich würde ihm jedes Jahr zwölf Rinder zu meinem Preis gelassen haben. Was ist mit Steven? Hör mal, Junge, ist etwas mit ihm und Mikel?«
Und es ist wieder der nächste Gedanke. Immer ist es so, immer, wenn er Ärger wittert, die erste Frage nach Mikel.
»Ja!« sagt Clanton heiser. »James, ich achte dich, ich habe dich auf eine Art so gern, wie ein Mann dich gern haben kann. Mikel hatte etwas mit ihm. Und er wird noch mehr mit ihm haben. Ich denke, er wird daran sterben.«
Der Alte erstarrt und blickt ihn voller Schreck an. Und der Indianerbogen an der Wand, unter dem Isabell steht, klackt einmal gegen die Wand, als sie sich bewegt und ihn berührt.
»Raus damit!« sagt der Alte fauchend. »Was hat dieser Narr wieder angestellt? Allen, was immer es ist, ich werde ihn decken, du weißt, warum.«
»Ich denke so!« erwidert Clanton. »Nun gut, Mikel kam gegen Mittag auf die kleine Ranch. Er kam von hinten und hatte vier Männer dabei. Sie überfielen Steven im Schlaf und hängten ihn an einen Baum, nachdem er mit gefesselten Händen und Beinen noch Walburn und Meehan außer Gefecht gesetzt hatte. Er kämpfte wie ein Löwe. Genau weiß ich es nicht, aber es gibt jemand, der es wirklich genau weiß: Clem.
Nun gut, sie schlugen ihn so zusammen, daß er Wochen liegen muß. Ein anderer Mann, der nicht Steven Clay heißt, würde daran sterben oder für sein Leben zerbrochen sein. Aber das ist noch nicht alles.«
Er sieht auf den Alten, und der alte Mann blickt auf die Schreibtischplatte.
»Noch nicht alles?« fragt der Alte ächzend. »Dieser Narr Steven hätte niemals so angefaßt werden dürfen wie ein schmutziger Rustler. Verdammt, warum hat mich Mikel nicht gefragt? Dieser blutige Narr, ich werde mich bei Steven entschuldigen. Yeah, ich werde es tun. Ich muß doch alles für ihn tun? Gott, was noch alles?«
Allen Clanton schweigt und beißt sich auf die Lippen.
»James«, sagt er nach einer halben Minute. »James, dies war erst der Anfang. Dann sind sie hergegangen und haben alles im Haus zerschlagen, die Kleider von Ireen Clay zerfetzt, ihren Essenvorrat mit Petroleum übergossen und die Fenster und Schränke zertrümmert. Schließlich Stevens Sattel zerschnitten, seinen Wagen in Stücke gehackt und das eine Rind erschossen. Der Frau und dem Jungen taten sie nichts, sie ließen sie es nur hören und sie zusehen.«
»Großer Gott!« sagt der Alte entsetzt. »Allen, ist das wahr? Hast du das alles selber gesehen?«
»Ich habe es gesehen«, sagt Allen kühl. »Ich habe ihn gesehen und mit Ireen Clay gesprochen. Yeah, James, weißt du, was ich jetzt tun muß?«
Der Alte sieht ihn starr an und schluckt. Dann steht er langsam auf, wächst hinter dem Schreibtisch hoch und sagt grollend:
»Dies ist ein Dummenjungen-Streich, Allen. Du kannst ihn nicht einsperren. Diese Blamage, jeder würde lachen. Und die Mannschaft? Ich weiß nicht, die Mannschaft ist nicht zu halten, wenn sie es erfährt, daß er eingesperrt ist. Allen, ich werde den Schaden decken. Ich werde mit Ireen Clay reden und auch mit Steven. Es wird nicht wieder vorkommen. Ich werde ihm eine kleine Herde geben, damit er einen Start hat. Ich will eine Menge tun, aber ich will keinen Ärger. Verstehst du das nicht, Allen?«
»Versuch es«, sagt Allen langsam. »Kennst du Steven gut, James? Dann solltest du wissen, was dein Versuch wert ist.«
»Er ist kein Narr«, sagt der Alte spröde. »Niemand ist ein Narr. Er hat Frau und Kind und muß an sie denken. Er muß einfach an sie denken, er kann keinen Krieg mit Mikel wollen.
Verdammt, das soll er sich aus dem Kopf schlagen. Gut, er hat völlig recht, er ist verprügelt worden. Aber ich werde das alles bezahlen. Er kann nicht so ein Narr sein wollen, sich seine Zukunft zu versauen!«
»Manchmal schluckt ein Mann nicht alles«, sagt Allen Clanton leise. »Ich habe einmal etwas geschluckt, als sie uns mit Gewalt von unserer Ranch jagten. Steven Clay wird nicht der Mann sein, der sich beruhigen läßt,
James.«
»Nur ruhig«, sagt James Brian scharf. »Ich habe einen Nachfolger. Und ich werde ihn zu schützen wissen. Dies war ein Streich, weiter nichts.«
»Es war Absicht«, erwidert Clanton kühl. »Warum sollte er das Haus innen demoliert haben, als er schon seine Rache an einem Viehdieb hatte,
James? Weißt du, daß Mikel einmal von Ireen Clay zwei Ohrfeigen bekam, ehe sie Steven nahm? Er wurde auch bei ihr zudringlich.«
»Nein!« keucht der Alte und wird jäh blaß. »Er kann sich doch nicht etwa auf eine so schmutzige Art und Weise rächen? Allen, das ist nicht wahr?«
»Ich würde mal Clem Tuttle fragen«, sagt Clanton langsam. »Ist er dein Mann, oder gehört er Mikel?«
»Was heißt das?« fragt James Brian. »Hier gibt es nur meine Männer.«
Er dreht sich um und reißt das Fenster auf. Und dann brüllt er über den Hof nach Clem Tuttle, daß die Scheiben klirren.
Hinter ihm sagt Isabell gepreßt zu ihrem Bruder:
»Allen, hat diese Frau etwa alles mit ansehen müssen?«
»Was sie nicht sah, hat sie gehört, eine tapfere und mutige Frau«, sagt Clanton spröde. »Manchmal ist allein das Hören schlimmer als etwas zu sehen, wie? Nun gut, James, Tuttle ist dein Mann. Ich bin gespannt, wie weit er es ist.«
Der alte Mann rennt wie ein gefangener Tiger im Raum umher und sieht ihn kurz an.
»Ich könnte sie alle hinauswerfen!« sagt er heiser. »Aber wem wäre damit geholfen, frage ich dich? Zum Teufel, Clem ist mein Mann, du wirst es sehen!«
Er hat kaum ausgesprochen, als die Tür aufgeht und Clem Tuttle hereinkommt. Wie immer ist Tuttle kühl und beherrscht. Er sieht seinen Boß an, hat den Hut in der Hand, und der Alte kommt auf ihn zu.
»Clem!« sagt er mit fürchterlicher Ruhe. »Clem, wie lange bist du jetzt hier?«
»Viereinhalb Jahre, Boß!« erwidert Tuttle. »Eine ganz gute Zeit, aber ich denke, es werden keine fünf Jahre mehr werden.«
»So, warum?« fragt der Alte scharf. »Du warst mit Mikel bei Clay und hast dieses Unglück auch noch mitgemacht. Wer noch alles außer Walburn und Meehan? Antworte, Clem.«
»Sharp und der junge Ford«, erwidert der Revolvermann ruhig. »Boß, es war kein Unglück.«
»Was dann, zum Teufel?«
»Eine prächtige Schweinerei, wie sie nur ein Mann sich ausdenken konnte«, sagt Clem Tuttle kalt und sieht den Alten seltsam ruhig an. »Mikel hatte gesagt, er sei ein Viehdieb. Nun gut, den Beweis hatten wir bald gefunden. Das war richtig. Aber was dann kam, war gemein, zu hart und zu schlimm. Ich schlucke viel, aber ich schlucke das nicht. Ich wollte dir das schon vorhin sagen, als wir kamen, aber ich dachte an Mikel und daran, daß er der Boß hier sein wird. Nun gut, wenn ich von dir einmal einen Befehl bekomme, Mikel gegen Steven zu decken, ich werde es nicht tun und meine Zeit hier wird um sein.«
Das ist eine erstaunlich lange Rede für Tuttle.
Der Alte starrt ihn an und dreht sich um. Er geht langsam zum Schreibtisch, bleibt dort stehen und nimmt hastig eine Zigarre aus dem Kasten. Erst als sie brennt, sagt er heiser:
»Wußtest du, daß Mikel einmal etwas mit Ireen Clay hatte, Clem? Und bist du sicher, daß er deshalb so rauh wurde?«
»Meine Meinung ist nicht maßgebend«, erwidert Tuttle kühl. »Er hat es nicht direkt gesagt, aber er hat alles getan, was wie eine billige Rache aussah. Dies ist die Wahrheit, nun fange mit ihr an, was immer du willst.«
»Wart ihr sicher, daß Clay ein Rind von unsererer Weide gestohlen hatte?« fragt der Alte.
»Es war bei ihm, also war es gestohlen«, murmelt der Revolvermann träge. »Ich bin nicht dazu da, so etwas erst zu untersuchen. Wenn Mikel behauptet, er hat es von unserer Weide gestohlen, dann wird er seine Gründe dafür haben. Was ich denke, ist gleichgültig. Es war gestohlen, ganz gleich, auf welche Art. Und seine Quittung hat Steven Clay bekommen. Ich hätte es nur nicht so verdammt hart gemacht, daß man ihn band und dann auf ihn einhämmerte. Ich habe nur zugesehen, als ich merkte, was Mikel vorhatte.«
»Wer hat alles geprügelt?« fragt
James Brian Todhunter, »Ford auch?«
»Er paßte nur auf die Frau auf«, sagt Tuttle. »Dem Jungen ging es verdammt an den Magen. Nun gut, mir auch. Wenn du denkst, ich achte auf Mikel wenn Steven auf ihn losgeht, dann kannst du mich gleich auszahlen.«
»Du bist für mich da!« sagt Todhunter grollend. »Das mit Mikel überlaß mir. Steven Clay wird nicht auf ihn losgehen. Wo ist Mikel jetzt?«
»Im Last Penny«, sagt Tuttle ruhig. »Er wird seinen Sieg feiern und nicht einmal wissen, was er für ein Narr gewesen ist. Nun gut, kann ich jetzt gehen?«
»Geh!« sagt Todhunter heiser. »Und falls Mikel etwas von dir will, ich bin auch noch da!«
Clem Tuttle nickt langsam, dreht sich halb um und sagt:
»Clanton, mische dich nicht zu sehr ein, das ist ein Rat.«
Und damit geht er hinaus. Draußen hockt er sich hinter dem Stall auf eine alte Tonne und raucht ruhig. Und seine Mundwinkel sind bitter nach unten gezogen.
Er bleibt dort über eine Stunde in der schwarzen Dunkelheit sitzen und sieht Clanton aus dem Haus kommen, sein Pferd nehmen und reiten. Und erst, als der nicht mehr zu sehen und zu hören ist, geht er in das Haus, in dessen Anbau er neben der Küche sein Zimmer hat.
Der Revolvermann ist lange genug wach, um den Alten manchmal als Schatten vor den erleuchteten Fenstern einherwandern zu sehen. Er wagt nichts, ehe er nicht den Hufschlag kommen hört und die vier Reiter in den Hof einbiegen. Und erst dann sagt er bissig: »Mikel, ich wünsche dir die Pest an den Hals, aber ich bin auf eine Art ein treuer und dummer Hund, der deinem Vater die Treue halten und seine Befehle ausführen wird. Wenn dein Vater nicht wäre, Junge, würde ich dir meinen Colt mit dem Korn am Lauf dreimal durch das verlebte Gesicht ziehen. Vielleicht siehst du dann wie ein Mann, aber nicht wie ein Molch aus.«
Er hört den Alten rufen und sieht durch das Fenster, wie Mikel Todhunter ins Haus geht. Er sieht die anderen drei Männer absatteln und sich umdrehen, als es innen im Haus eine brüllende Kanonade des Alten gibt, die sich über Mikel ergießt.
Vergeblich, alles vergebens, den änderst du nicht mehr, James Brian, denkt der Revolvermann bitter. Du hast ihm zu sehr die Flügel wachsen lassen. Jetzt kannst du ihn noch halten, aber ändern nicht mehr. Er wird sich ducken, aber frage nicht, was er denkt und was er tun wird, wenn du einmal nicht mehr da bist. Du kennst ihn nicht, diesen Burschen. Vielleicht war einer deiner Vorfahren ein Halunke, alter Mann, denn so viel Dreck auf einen Mann verteilt zu sehen, habe ich nicht für möglich gehalten. Tobe und brülle, er wird denken, was nur er will.
Und der Revolvermann hat beinahe recht.
Im Haus tobt der Alte wie besessen und brüllt herum. Er sieht seinen Sohn drohend an, packt ihn an den Westenenden und rüttelt ihn wild. Und Mikel Todhunter ist nichts als ein feiger und aus Furcht vor dem Alten zitternder Mann.
»Du hast dich rächen wollen!« schreit ihn der Alte an. »Weil sie dir zwei Ohrfeigen gab, was? Alles nur deshalb? Gibst du das zu?«
»Nein, nein«, sagt Mikel Todhunter heiser. »Dad, du denkst falsch. Den Gedanken hatte ich kaum. Er war ein Viehdieb. Und sein verdammter Hochmut, wenn er mich traf, ich konnte sein Grinsen nicht sehen und dachte: Er stiehlt eure Rinder und lacht dich noch aus.«
»Weiß der Henker, was du gedacht hast, du Narr!« faucht James Brian wild. »Was passieren wird, ist wichtiger. Vierzehn Tage wirst du auf der Weide sein, mein Junge. Du darfst selber Mavericks aussuchen. Ich werde dich lehren, eigenmächtig etwas zu tun. Du wirst arbeiten und nicht mehr in der Stadt die Mädchen kopfscheu machen.
Jede Mutter in der Stadt hält ihre Töchter eingesperrt, wenn sie dich in die Stadt kommen sieht, Mikel. Du bist ein Windhund, ein Schürzenjäger! Du wirst arbeiten, vierzehn Tage lang. Und die Stadt wird dich nicht sehen. Das ist ein Befehl.
Versuche es und reite trotzdem in die Stadt, du wirst sehen, was ich dir dann vor die Nase setze. Noch bestimme ich hier, fertig!«
»Aber ich habe eine Verabredung in der Stadt«, sagt Mikel beleidigt. »Mach doch nicht so ein Geschrei um Steven. Schon gut, Dad, es war falsch, aber es ist nicht mehr zu ändern. Was ist, ich muß morgen gegen neun Uhr in der Stadt sein! Kann ich nicht…«
»Ein Weib, was?« fragt der Alte grimmig. »Natürlich, diese Walcott, wie? Sie soll einen prächtigen Mode-salon aus dem Osten mitgebracht haben. Bei dir verkauft sie wohl keine Damenhüte und Handschuhe, he? Es wird nichts daraus, mein Lieber! Arbeite, klar? Das ist ein Befehl!«
»Na gut«, mault Mikel. »Du kannst Steven sagen, daß es mir leid täte. Es tut mir wirklich leid. Ich war wohl zu hitzig.«
Und der Alte hat die leise Ahnung, daß es nichts ist als nur Spott und nackter Hohn. Auf einmal ist er sicher, daß er Mikel härter anfassen muß, wenn er aus ihm noch etwas machen will.
»Verschwinde!« sagt er grimmig. »Du meldest dich morgen früh bei Prescoe und leitest das Brennen auf der Westweide! Noch eins, mein Sohn, wenn du denkst, dein Vater ist ein Narr und du kannst dich drücken… Ich werde Clem Tuttle hinschicken, und der paßt auf, was du so machst!«
»Aah, also hat Clem mich verraten«, sagt Mikel wütend.
»No!« sagt der Alte bitter. »Allen ist keine Stunde nach dir dort vorbeigekommen. Und ich sage dir, eines Tages lasse ich ihn die Zelle reinigen – für dich, mein Sohn. Hast du verstanden? Bilde dir nicht ein, du kannst mir etwas vormachen. Dazu bist du zu dumm. Weg mit dir!«
Er brüllt, und selbst Isabell, die genau über der Halle ihr Zimmer hat, hört seine wütenden Reden durch die dicke Bohlendecke.
»Sieh mal an, mein lieber Vetter«, sagt Mikel höhnisch. »Er soll nur friedlich sein, die Todhunters ernähren ihn und seine Schwester, was?«
»Mensch!« sagt der Alte drohend und wird krebsrot. »Ich werde meine Bullpeitsche nehmen und dich verprügeln, wenn ich das noch einmal höre. Ich ernähre niemand, der mir nicht gefällt. Isabell ist hier, weil dieses Haus eine Frau braucht, eine anständige, Mister! Nicht so eine, wie du sie mir anschleppen würdest. Sie macht hier alles, besorgt die Wäsche und hilft überall. Dafür wird sie nicht mal bezahlt. Und Allen? Junge, von Allen ein Stück auf dich gesetzt, dann taugtest du etwas. Los, verschwinde. Und sage nie einem der beiden Clantons, daß du diese krummen Gedanken hast, Junge, es könnte sein, sie wären mir lieber als du. Raus mit dir, du Strolch!«
Mikel macht, daß er aus dem Zimmer kommt und bleibt draußen wie betäubt stehen.
Verdammt, habe ich doch etwas falsch gemacht? denkt er draußen verstört. Der Alte war noch nie so wütend. Gerechter Strohsack, was er sich aufregt, wenn ich einen drei Kühe-Rancher verprügele. He, er wird doch nicht etwa Allen und Isabell vorziehen?
Er geht mürrisch und voller Sorge ins Bett. Und er denkt, daß Steven Clay erst einmal eine Weile Ruhe geben wird. Und wenn es dann rauh wird, nun, die Nacht hat viele Ecken und Winkel, in die kein Licht fällt.
Vielleicht sieht jemand Clay von hinten, ruft ihn an, und Clay zieht. Und vielleicht kracht es dann einen Bruchteil der Sekunde eher, und Clay bleibt steif am Boden liegen.
Er hat einen Augenblick Angst vor dieser Tatsache, aber er ist schon zu schlecht und zu abgebrüht, um sich zu ändern oder einen anständigeren Gedanken zu haben.
Über die Ranch und das Land scheint der Mond. Auf den Wiesen dösen Rinder, schlafen am Boden, wie Männer überall in dieser Nacht in ihren Betten liegen.
Und ein Mann stöhnt, und seine Haut ist gerötet und brennt wie Feuer. Manchmal wacht dieser Mann auf und sagt brüchig:
»Durst – Durst.«
Und die Frau, die neben seinem Bett sitzt und ihm immer wieder Umschläge macht, gibt ihm dann zu trinken.
Er wird noch viele Tage so liegen. Es wird noch anderthalb Wochen dauern, ehe er gehen kann und die Prellungen und blauen Stellen an den Rippen fast verschwunden sind.
Und es wird der Tag kommen, an dem sich zwei Reiter der Ranch von Osten nähern.
An diesem Tag entscheidet sich etwas, denn der Mann sitzt vor dem Haus und sieht sie kommen.
*
Sie kommen über den Weg, der von rechts in die Schlucht hinabführt.
Vorn reitet, starr und gerade im Sattel sitzend, der alte James Brian. Hinter ihm kommt Clem Tuttle und sagt warnend:
»Boß, du kannst ihm von hier bis zum Südpol nachlaufen, du wirst kein Glück haben. Er sitzt da auf der Bank und reibt seine Hände mit Öl ein. Er knetet sie durch. Soll ich dir sagen, warum er das macht, oder weißt du es selber?«
»So, er reibt sie mit Öl ein«, sagt der Alte knapp. »Nun, sie werden noch gebraucht, wenn er ein Lasso gut halten will. Clem, ich werde mit ihm reden, lange genug habe ich Zeit gehabt, es mir zu überlegen. Ich muß reden!«
»Du redest gegen den Wind«, sagt Tuttle leise. »Nun, du bist der Boß!«
Sie kommen herab, und der Mann auf der Bank nimmt langsam die Hände aus der Schüssel. Er trocknet sie ruhig ab, greift dann nach links und nimmt das Gewehr hoch. An seinen Handknöcheln ist die Haut brennend rot. Dort waren einmal Schorfstellen, die abgeheilt sind. Aber die Haut spannt sich immer noch, und die Finger wollen nicht richtig.
Langsam zieht er den Karabiner hoch und sieht die beiden Reiter an der schiefen Fenz vorbeikommen. Er spannt langsam den Unterbügel und sagt ruhig, wenn auch noch etwas verzerrt:
»Mr. Todhunter, dies ist weit genug! Bleiben Sie dort, Sie sind hier nicht auf Ihrem Land.«
Der Alte hält augenblicklich an und hebt beschwichtigend die Hände.
Tuttle hält sich zurück. Er hat die Hände auf dem Sattelhorn verschränkt und schweigt.
»Steven«, sagt James Brian langsam. »Ich mache einen Besuch als Nachbar. Kann ich hinaufkommen und mit Ihnen reden?«
Aus der Haustür kommt Ireen Clay und bleibt stehen. Und dann sagt sie leise:
»Steven, laß ihn kommen. Er ist in freundlicher Absicht hier, laß ihn kommen.«
»Nun gut«, sagt Steven Clay rauh. »Mr. Todhunter, kommen Sie her.
Tuttle bleibt besser da. Wenn es eine Woche weiter wäre, Tuttle, könntest du es mit deinen Revolvern versuchen. Du bist mir noch eine Kleinigkeit schuldig.«
»Clay«, antwortet Tuttle langsam. »Clay, es tut mir verdammt leid, ich hatte nichts damit zu tun. Ich hatte keine Ahnung, daß du das Rind nicht von der Weide geholt hattest. Ist das eine Entschuldigung?«
»Vielleicht, Mann«, sagt Steven Clay. »Nun gut, kommt her. Mr. Todhunter, meine Stühle sind alle zerbrochen, ich habe noch keinen leimen können, tut mir leid.«
Er ist ungewöhnlich ruhig, zu ruhig und zu finster. Und der alte Mann kommt langsam heran und steigt ab. Er sieht auf Clay, und sein Schreck sagt genug, denn Clay sieht immer noch schlimm genug aus.
»Steven«, sagt der Alte heiser. »Jeder Mann hat seinen Stolz, und ich habe auch meinen. Wenn ich gekommen bin, dann ist es, weil ich mich entschuldigen will. Steven, was passiert ist, kann ich nicht mehr ändern, aber es tut mir verdammt leid. Nehmen Sie meine Entschuldigung an?«
Er sieht zu Ireen hin und sieht ihr abweisendes Gesicht. Auf einmal weiß der Alte, wie schwer dieser Ritt war. Und er weiß auch, daß es kaum einen Weg geben wird.
»Mr. Todhunter!« sagt Steven Clay kalt. »Es gibt keine Entschuldigung, nicht dafür. So leid es mir tut, aber dies kann nicht rückgängig gemacht werden. Mikel ist mir eine ganze Kleinigkeit schuldig. Das ist es. Es lohnt nicht, darüber zu reden!«
»Steven, seien Sie kein Narr«, sagt der alte Mann hastig. »Ich werde den Schaden hier dreifach wiedergutmachen. Ich werde Ihnen eine Herde geben. Sie bekommen alles, was Sie haben müssen, aber fangen Sie nichts mit Mikel an. Er hat es bedauert.«
»Mikel?« fragt Clay zischend. »Todhunter, es ist mir gleich, was er bedauert aber ich werde es dazu bringen, daß er einige Dinge aufrichtiger bedauert als diese Sache.
Vielen Dank, James, ich weiß, Sie haben alles, was man sich denken kann. Sie können mir einen guten Start geben mit ein paar Rindern, die mir gehören. Aber Sie können etwas nicht mehr flicken – mich nicht und nicht den Frieden, der hier einmal war. Ich habe nie ein Rind von der Flying-H-Weide geholt. Ich sammelte nur verlaufene Rinder auf. Und das war alles, was ich tun konnte und durfte. Man hat mir mein Haus zerschlagen und mich dazu, ohne mir eine Chance zu geben. Nun, Tuttle, was würdest du an meiner Stelle machen?«
»Ich würde kein Narr sein wollen«, sagt Tuttle ruhig. »Gut, ich hielt dich für einen Viehdieb und spielte solange mit, wie es noch offen war. Als es gemein wurde, stieg ich aus. Aber ich würde mich nicht um alles kümmern. Du könntest die halbe Mannschaft der Flying-H-Weide am Hals haben.«
Über Clays Gesicht huscht ein Schatten. Und nun sieht Clay wild und böse aus.
»Alter Mann!« sagt er heiser. »Ich will keine Geschenke. Ich will von niemandem etwas. Es gibt nur ein paar Ausnahmen. Von einigen Leuten habe ich was zu bekommen. Auch Ihr Geld reicht nicht aus, um alles glattzumachen. Dies ist meine Antwort, eine andere gibt es nicht. Ich werde Mikel eines Tages haben! Und wenn ich mit ihm fertig bin…«
Er schweigt abrupt. Und der Alte wird jäh blaß.
Aber ehe der alte König etwas sagen kann, in der Zeit, die er braucht, um die finstere Drohung aus Steven Clays Worten herauszuhören, sagt
Ireen Clay leidenschaftlich erregt:
»Mr. Todhunter, Sie werden es sicher nie begreifen, aber Sie waren nicht dabei. Und das ist der ganze Unterschied. Ich sage Ihnen, es war die Hölle. Auch beim Teufel kann es nicht schlimmer sein. Ich habe nie gedacht, daß in einem Mann so viel Brutalität und Menschenverachtung stecken kann. Ihr großer Sohn, dieser Bursche, den Sie so groß sehen wollen, der einmal Ihr Nachfolger sein wird, dieser Bursche taugt nichts, gar nichts. Er ist wie ein Parasit, den man ausmerzen muß. Und ich würde, wäre ich ein Mann, Jagd auf ihn machen. Wenn Sie sich etwas aufgebaut haben, ein bescheidenes Heim, ein Haus und einige andere Dinge, dann würden Sie wissen, wie weh es tut, wenn jemand alles brutal zerstört.
Ich bin nicht dafür, daß Steven Ihrem feinen Sohn die Zähne zeigt und ihn tötet. Ich bin nur dafür, daß er ihn genauso behandelt, wie er ihn behandelte. Und das ist meine Antwort!«
Der Alte starrt die Frau an. Er sieht ihren wilden Zorn und den Haß, der in ihr ist. Und er weiß, daß er gar nichts tun kann, denn ein Todhunter hat sich zuviel herausgenommen. Der Bogen ist überspannt worden. Und Gott allein mag wissen, wie es enden wird. Trotzdem versucht er es.
»Steven«, sagt er beschwörend, und man sieht ihm an, daß er aus reiner Sorge fast krank wird. »Steven, ich bin darüber unterrichtet, warum Mikel sich wie ein Wolf benommen hat. Und ich billige das niemals. Aber wir müssen einen Weg finden, Steven. Wenn Sie gegen Mikel losgehen, werde ich nicht mehr neutral sein können. Ich bin sein Vater und kenne seine Torheiten alle. Und ich muß meiner Ranch den Erben erhalten, denn ich habe niemanden sonst. Ich muß dann verhindern, daß Sie sich an ihm vergreifen. Sie würden ihn töten, was?«
Die ganze Sorge um sein Reich, um das, was er sich in harter Arbeit aufbaute, spricht aus dem Alten. Er redet beschwörend und sieht, wie sich Clays Gesicht verhärtet.
»Ich würde ihn nicht am Leben lassen, denn er ist ein Unglück für dieses Land«, sagt Clay heiser. »Ich weiß genau, daß er nicht mehr zu bessern ist. Hat er eines Tages die Ranch und die Macht in diesem Land, dann wird er das Gesetz mit Füßen treten und sich zum Herrscher der Weide aufschwingen. An ihm ist alles faul.
Todhunter, Sie sind ein guter Mann, aber Sie sind ein Narr, wenn Sie glauben, daß an Mikel ein Stück Anständigkeit ist. Sie brauchen nur an seine Weibergeschichten zu denken. Kein Mann wird sich so wie ein Lump benehmen können. Das kann nur Mikel. Ich lebte hier in Frieden, ich tat niemandem etwas und war nie ein Dieb im Sinne des Gesetzes. Man hat mich zerbrechen wollen, meine Frau zusehen lassen und alles zerstört, was ich erarbeitet habe. Ich denke, Sie würden nicht viel anders handeln, als ich es tun muß.«
»Nun gut«, erwiderte der Alte brüchig. »Clay, ich stelle Ihnen zweihundert gute Rinder auf die Weide, ich werde Ihnen Geld zinslos geben für einen Anfang, ein Haus und einen guten Stall. Ich werde Ihnen in jeder Lage helfen. Aber zwingen Sie mich nicht, Mikel vor Ihnen zu schützen. Zwingen Sie mich nur nicht, denn Sie werden es bezahlen.«
»Sie können mir nicht drohen«, antwortet Steven Clay düster. »Es war mehr, als ich vertragen kann. Meine Antwort kennen Sie, alter Mann. Und es gibt keinen Weg mehr. Ich bin kein Lump, der einen Handel macht. Sehr gut, daß Sie ihn decken wollen, aber es hat keinen Sinn.«
Der alte Mann sieht sich um. Er blickt auf das Haus, er sieht den Jungen und die Frau. Und dann sagt er grollend:
»Steven, wenn es zu etwas kommt, werden Sie alles verlieren. Sie werden Ihre Familie ins Unglück stürzen. Nehmen Sie mein Angebot an, das ist alles, was ich biete.«
»Zu spät«, sagt Clay kühl. »Es ist zu spät. Man kann auf ein Unrecht nicht ein anderes Unrecht aufbauen. Todhunter, ich werde Mikel bekommen. Und was ich dann mit ihm mache, ist allein meine Sache. Dies ist meine Antwort, und sie ist jetzt endgültig.«
Er sieht, wie der Unmut in dem Alten hochkommt und wie ihn die Augen unter den buschigen Brauen bitter mustern. Der alte Todhunter starrt ihn an und sagt zischend:
»Steven, Sie sind zu klein für meine Ranch! Das merken Sie sich, wenn Sie anfangen wollen! Ich werde zu jeder Zeit alles für Sie und Ihre Familie tun, aber lassen Sie Mikel in Ruhe. Das ist kein Wunsch, das ist ein Befehl!«
»Ich bin nicht Ihr Mann!« erwidert Clay kalt. »Ich spreche alles offen aus. Sie werden sehen, was ich tun werde. Reiten Sie besser weiter, alter Mann, Sie verschwenden nur Ihre Zeit!«
Er bemerkt Tuttles schnelles Augenzucken, und Tuttle sagt scharf:
»Clay, sei kein Narr! Die Flying-H kann dich zertreten. Du wirst nie eine Chance haben. Lege nicht los, du wirst am Ende des Weges eine Grube finden. Und sie wird für dich gemacht sein.
Boß, ich wußte es, ehe wir hierher kamen. Er nimmt nichts an, er geht mit seinem Kopf durch die Wand. Dies ist Mikels Schuld allein. Der Narr hätte es nicht so rauh machen sollen.«
Der alte Mann dreht sich um und blickt auf das Haus.
»Schon gut«, sagt er müde. »Clay, ich könnte dieses Haus dem Erdboden gleichmachen und Sie vertreiben wie einen lästigen Hund. Ich könnte auch anfangen zu schießen. Sehen Sie sich vor, ich drohe nicht nur!«
Er geht zu seinem Pferd und steigt auf, ein alter Mann, der sein Reich erhalten will und seinen Sohn decken wird.
Clay blickt ihm kalt und wachsam nach. Er weiß genau, daß der Alte nur einen Befehl zu geben braucht, dann kommen dreißig Reiter seiner Ranch und stecken hier alles an, schießen ihn vielleicht tot.
»Steven, seien Sie kein Narr, denn dazu sollten Sie zu schlau sein«,
brummt der Alte grollend, als er sein Pferd herumzieht und anreitet. »Sie wissen, was mein Angebot ist.«
Er reitet an, und Clem Tuttle wirft Clay einen warnenden und bitteren Blick zu. Dann verschwinden sie beide, und Clay bewegt langsam die Finger. Er sitzt starr und still auf der Bank und sieht ihnen nach.
In der Tür steht Ireen Clay und sagt leise:
»Steven, er meint es ehrlich. Solltest du nicht doch besser sein Angebot annehmen? In ein paar Jahren würdest du dann einige Reiter und ein gutes Einkommen haben. Vielleicht denkst du auch an mich und den Jungen?«
Der finstere Mann auf der Bank bleibt still und streicht sich langsam ein widerspenstiges Haar aus der Stirn.
»Ich kann mich nicht selber verraten«, sagt er dumpf und gallig. »Was meinst du, was in ein paar Jahren ist? Einmal wird Mikel die Ranch übernehmen, und der alte Mann wird gestorben sein. Dann wird sich Mikel an seine Niederlage erinnern und uns aus dem Land treiben. Vielleicht bringt er uns sogar noch um. Ich sage dir, der Alte wird nicht kämpfen, wenn er diesen Burschen am Boden liegen sieht. Er muß sich einige Dinge selber sagen, so ein Narr kann er nicht sein. Versuche nicht, mich umzustimmen, Ireen.«
Sie schweigt einen Augenblick, aber dann sagt sie gepreßt:
»Der Junge wird vielleicht keinen Vater haben, der ihn großzieht. Er wird ein Halbwaise sein. Denke doch nicht, daß ich mir keine Sorgen mache. Seitdem du wieder auf den Beinen bist, zittere ich vor dem Augenblick, an dem du dein Pferd nimmst und reitest. Bin ich denn für dich nicht da?«
»Einmal muß ein Mann das tun, was ihm vorgeschrieben ist, Ireen«, erwidert Clay dumpf. »Einmal gibt es nur ihn selber und sonst nichts. Wir haben ein wenig Geld auf der Bank, daß du leben kannst. Ich mache mir nichts vor, ich weiß genau, wie es für mich ausgehen kann. Aber rede mir nicht herein, hier entscheide ich selber.«
Und dabei bleibt es. Es gibt einen heftigen Wortwechsel zwischen ihm und seiner Frau.
Steven Clays Gesicht ist finster und verdrossen, als er am Nachmittag in das Haus kommt und den Sattel mühsam geflickt hat. Er sieht seine Frau nicht in der Küche. Sie hantiert im Wohnzimmer und packt eine Truhe voll.
Steven sieht von der Tür aus zu. Er legt den Sattel neben der Tür hin, lehnt sich an den Balken und sagt nichts, als er sie packen sieht.
Unruhig blickt Ireen Clay hoch. Und es ist fast wie eine Anklage, als sie gepreßt sagt:
»Steven, du hast es so haben wollen. Ich weiß, daß du kämpfen wirst, aber ich bin nicht die Frau, die ihren Mann sterben sehen kann. Steven, ich gehe jetzt!«
»Nun gut«, sagt er bitter. »Ich werde also allein sein, wie ich es vor zweieinhalb Jahren auch war. Nimm den Jungen ruhig mit, er braucht hier nicht in Gefahr zu sein. Und was die Leute reden, wird mich nicht stören. Sie sollen nur ruhig sagen, daß ich meine Frau vertrieben habe. Nun gut, du änderst damit nichts, wenn du es auch hoffst.«
Ihr Gesicht verhärtet sich, und ihre Hand hebt sich leicht und deutet auf das Land.
»Dort wird dein Grab sein«, sagt sie bitter. Und nur, weil du deinen Kopf für dich hast, Steven. Du liebst mich nicht, du liebst nur dich selber.«
»Vielleicht«, sagt er grollend. »Vielleicht hast du recht, aber ich werde mich nicht wieder streiten. Geh und laß mich allein. Eine Frau sollte in jeder Lage einem Mann beistehen. Du bist nicht die Frau, die ich all die Jahre in dir gesehen habe.«
Und dann dreht er sich um und geht hinaus. Er geht bis an den Fluß und setzt sich dort hin. Und es dauert nicht lange, dann sieht er, wie sie das zweite Pferd selber sattelt und die Truhe mit ihren Sachen an der einen Flanke des Tieres festzurrt. Sie kann reiten und wuchs einmal auf einer kleinen Ranch auf, ehe sie Sängerin wurde. Sie kommt schließlich mit dem Jungen aus dem Haus und steigt auf. Jetzt trägt sie eine Hose, und ihr Haar wird im Nacken von einer Schleife gehalten.
Geh nur, denkt er bissig. Ich war nie ein Feigling. Und ich bin nicht zu kaufen, denn eines Tages würde er uns doch alle umbringen, dieser Wolf.
Er sieht weg und hört sie kommen. Sie hält hinter ihm und sagt heiser:
»Ich brauche dein Geld nicht, Steven. Ich werde wieder singen. Damit du es nur weißt. Sei ein Narr, du wirst noch mehr verlieren als nur deine Frau. Willst du mir nicht die Hand zum Abschied…«
»Wozu?« fragt er rauh. »Wer geht und gehen will, den soll man nicht halten. Denke nicht, ich gebe es auf, weil ich dich mehr liebe als meinen Stolz. Du denkst es, aber du denkst falsch. Ich habe meinen Stolz, und ich bin ein Mann. Geh nur immer! Viel Glück auf deinem Weg!«
Er sieht ihren Schatten im Wasser sich spiegeln und hört sie bitter seufzen. Und dann wendet sie das Pferd und reitet an.
Er sieht ihr nicht nach. Er hockt am Ufer auf einem Felsblock und sieht auf das Spiel der Wellen.
Und erst, als er sie nicht mehr hören kann, wendet er den Kopf und sieht sie weiter hinten langsam und sich umblickend durch den Canyon reiten.
Und dann steht er müde auf und geht in sein Haus zurück. Er ist allein, und er weiß auf einmal, daß er immer allein bleiben wird. Es gibt keinen Weg zurück.
Er sucht seinen Gurt und nimmt seinen einen Revolver, den er immer links getragen hat, in die linke Hand. Und als er nach einer halben Stunde das Spiel beendet, weiß er genau, daß er noch lange nicht schnell genug ist. Noch schmerzt seine Brust, hat er das Gefühl bei jeder Bewegung, daß sein Bauchfell zerreißen will. Überall in seinem Körper sticht und brennt es noch.
Und weil er müde ist, voller Bitterkeit steckt, legt er sich hin und versucht, zu schlafen.
Steven Clay mag gerade eingenickt sein, als er Hufe dröhnen hört. Er richtet sich auf und greift blitzschnell nach Colt und Gewehr. Dann sieht er vorsichtig hinaus, sieht den Reiter über den Zaun kommen und erkennt Clanton.
Der Deputy nähert sich langsam dem Haus, hält an und ruft scharf:
»Clay, bist du da?«
Steven Clay, mißtrauisch wie ein Puma auf einem Baum, blickt erst durch das Hinterfenster, ehe er nach vorn geht und die Tür aufstößt.
»Nun?« fragt er knapp. »Clanton, was ist?«
»Ich war auf der Flying-H und traf unterwegs James Brian und Clem«, sagt Allen ruhig. »Clay, ich will dir nur sagen, daß du machen kannst, was immer du willst. Aber wenn du Mikel stellst und ihn forderst, dann wird es Mord sein, denn er ist zu langsam für dich, und jedes Kind weiß das. Mach mit ihm, was du willst, aber fange nicht an, zu schießen. Ich rede nicht für Old James, damit du es weißt, aber ich werde einen glatten Mord verhindern müssen. Ist dir das klar?«
»Völlig klar!« erwidert Steven Clay kalt. »Versuche es, mein Freund, du wirst sehen, wie weit du kommst, wenn du mich aufhalten willst.«
»Mann, sei kein Narr, ich werde dich einsperren, wenn du ihn auf die Nase legst, obwohl ich weiß, daß er nichts taugt«, sagt der Deputy heiser. »Ist deine Frau nicht da?«
»Nein«, sagt Clay trocken. »Sie hat es vorgezogen, sich und den Jungen aus der Gefahr zu bringen. Ich laufe ihr nicht nach. Willst du sonst noch was?«
Clanton sieht ihn ruhig an und nickt bitter.
»Yes«, sagt er ruhig. »Ich würde an deiner Stelle Old James’ Angebot annehmen und hier friedlich meine Rinder züchten. Sei kein Narr, Clay, ich weiß, du schaffst es vielleicht, aber sieh besser auf das Ende.«
»Ihr kennt mich alle nicht«, murmelt Clay. »Aber ihr werdet mich kennenlernen.«
Er dreht sich abrupt um und läßt den Deputy stehen. Die Tür fällt hinter ihm zu, und Clanton verzieht bitter das Gesicht. Und auf einmal ist er gar nicht mehr sicher, daß er eine Schießerei zwischen Mikel Todhunter und Steven Clay verhindern kann, denn Clay hat niemals wirklich gezeigt, wie schnell er war.
Mürrisch und voller mißmutiger Gedanken wendet er sein Pferd und reitet auf die Stadt zu.
*
Es ist drei Wochen später, als Budd Sharp auf die Ranch der Todhunters kommt und zu Mikel heiser sagt:
»Mikel, Clay hat zwanzig Rinder genommen und ist nach Süden geritten! Er treibt seine Rinder zum Rio Grande und wird sie sicher in Zaragoza verkaufen wollen. Für drei Tage sind wir ihn los.«
»Nun, ein Glück«, sagt Mikel erleichtert. »Es ist kein gutes Gefühl, wenn man in der Stadt ist und immer darauf achten muß, daß er nicht auf einmal auftaucht. Wir werden heute einen kleinen Ritt in die Stadt machen und ein wenig meinen Geburtstag feiern. Vorige Woche war die Feier zu traurig, und der Alte sah uns zu sehr auf die Finger. Macht euch nachher fertig.«
Es geht in einer halben Stunde auf der Ranch um, daß Steven Clay seine halbe Herde nach Zaragoza bringt, und der alte Mann sagt zu Isabell Clanton:
»Nun ja, er hat es sich also überlegt. Sicher fehlt ihm seine Frau überall, und den Jungen wird er auch vermissen. Man sagt, jedesmal, wenn er in Zaragoza war, brachte er ihr etwas mit. So wird es auch diesmal sein. Er wird sich mit ihr vertragen wollen und ein Geschenk für sie mitbringen. Endlich kann ich einmal ruhig schlafen, Kind.«
Dieser Tag sieht den alten Mann früh zu Bett gehen. Auf der Ranch wird es still, und die Nacht kommt mit ihren tiefen Schatten.
Irgendwo über den Hügeln reitet Mikel Todhunter mit seinen vier harten Burschen in die Stadt. Außer Walburn, Sharp und Meehan hat er noch Art Ford dabei, der widerwillig mitreitet, aber sich unter den anderen Männern der Mannschaft, die heftig über ihn und die anderen Burschen fluchten, nicht mehr wohl fühlt.
Sie reiten nebeneinander und erzählen sich rauhe Witze. Es ist so ihre Art, sich die Zeit während des Rittes zu vertreiben, und Meehan sagt brummend:
»Mikel, sicher wird Anne Walcott schon auf dich warten, was? Eine Woche warst du nicht mehr bei ihr.«
»Es wird eine prächtige Feier«, sagt Mikel. »Wenn ich nur an ihre roten Haare denke, wird mir ganz anders. Nun ja, dieser Narr Clay ist unterwegs.«
Und als er das sagt, sollte er vielleicht achtzehn Meilen weiter nach Südwesten sehen. Vielleicht sollte er so weit sehen können, denn dann würde er umdrehen und sich vor nackter Furcht in seinem Bett verkriechen, denn auf der Ranch ist der einzig sichere Platz.
*
Im Last Penny singt Ireen Clay gerade das letzte Lied.
Sie singt, und der Beifall prasselt los. Und in dem Beifall hinein, dünn, zirpend und kaum zu hören, erst ein Schuß, dann zwei andere.
Einige Männer wenden die Köpfe und blicken automatisch zur Tür. An seinem Tisch nimmt Mikel Todhunter langsam seine Hand vom Arm der Walcott und starrt Owen Walburn
und Meehan an. Sein Blick wandert weiter zu Art Ford, der auf die Tür starrt und gerade zusammengezuckt ist.
Der Beifall erstickt nach kaum einer Minute. Ein halbtrunkener Cowboy kreischt grölend, daß Ireen noch einmal singen soll.
Doch seine Partner bringen ihn zum Schweigen.
Aus der Gasse von irgendwoher der Ruf auf die Main Street gellend:
»Hank Pritwall ist erschossen worden! Hank hat man erwischt! Es ist hinter dem Exelsior!«
Auf der Bühne steht Ireen Clay und atmet erleichtert auf. Einen winzigen Augenblick kommt ihr etwas an der Stimme bekannt vor. Aber dann brüllen noch einige Stimmen weiter vorn auf der Main Street:
»Heh, wer hat den alten Pritwall erschossen? Was war das für ein Skunk? Los, Leute, sehen wir nach! He, sie haben Pritwall erschossen!«
Mikel Todhunter atmet erleichtert auf und grinst Owen breit an. Und Owen sagt flach:
»Mikel, ich sehe mal nach, was? So eine Gemeinheit, der alte Pritwall hatte nur seinen Store und sonst nichts.«
»Sicher, sieh nach«, sagt Mikel knapp. »Du auch, Harry? Nun gut, dann verschwindet beide. Teufel, alles rennt los!«
Die Leute springen hoch und rennen auf den Vorbau. Mindestens achtzig Männer rennen auf den Exelsior Saloon zu, stürmen durch das offene Hoftor in den Hof und sehen den Stallhelp aus dem Stall hasten.
»Wo liegt er, he?«
Drei, vier Stimmen zugleich rufen den Mann an, und der schüttelt verwirrt den Kopf.
»Hier war es nicht«, sagt der Stallhelp heiser. »Weiß der Teufel, wer das gerufen hat, aber die Schüsse fielen da drüben links. Leute, hier war nichts.«
Die Männer drehen wieder um, und Owen Walburn, der mit Meehan der aus dem Torweg stürmenden Meute ausweichen will, wird beinahe umgerissen. Fluchend bleibt er am Zaun stehen und läßt den Haufen brüllender Männer vorbei. Er sieht den Stallhelp und sagt heiser:
»He, Larry, war er bestimmt nicht hier? Aber da hat doch jemand gerufen, daß es hier sei.«
»Weiß nicht, wer der Narr war«, gibt der Mann zurück und rennt nun auch an dem verblüfften Owen vorbei aus dem Tor.
»Die Pest!« sagt Owen Walburn grimmig. »Harry, da führt uns jemand an der Nase herum. Die Leute rennen wie verrückt nach links und links…«
»Die Hölle!« erwidert Meehan schnaufend. »Links ist doch Budd hingerannt, was? Mann, es wird doch nicht…«
Er packt Walburn am Arm, und sie drehen sich beide um.
Und genau in diesem Augenblick bewegt sich jemand rechts vom Stall, und eine kalte und schneidende Stimme sagt pulvertrocken:
»Es war Budd, Freunde! Ich bin hier!«
Mehr braucht Meehan nicht. Er gibt sich einen Stoß, erkennt in einer Sekunde die Stimme und wirbelt herum.
Walburn erfaßt es erst langsam. Er begreift zu spät, daß dort Steven Clay gesprochen hat und duckt sich dann.
Und während er sich duckt, dreht er sich und reißt an seinem Coltkolben.
Links von ihm ist Meehan mit zwei Sätzen an den Zaun geflogen und wirbelt ganz herum, den Colt in der Faust. Meehan sieht den Schatten in der Nische am Holzstoß und feuert augenblicklich.
Sein Revolver brüllt auf, die Kugel klatscht in den Holzstapel und Steven Clay sagt eiskalt:
»Meehan, weiter rechts! Hier bin ich!«
Und während er spricht, schießt er.
Meehan sieht die Feuerwolke und für den Bruchteil einer Sekunde beleuchtet, Steven Clays grausam kaltes Gesicht.
Dann trifft ihn der Schlag links unter die Weste und stößt ihn halb zurück. Er taumelt nach hinten, prallt an den Zaun und hört, wie Clay heiser sagt:
»Owen, dies ist dein Teil.«
Owen Walburn hört Meehan schrecklich seufzen, hat den Revolver in der rechten Hand und schießt, ehe Steven Clay feuern kann.
Er sieht Clays Schatten ganz deutlich rechts des Holzstoßes, sein Colt bellt auf, und hinter dem Holzstoß verschwindet taumelnd der Schatten. Er hört Steven Clay ächzen und sagt heiser und giftig:
»Da hast du selber dein Teil, Halunke! Warte, ich werde dich schon…«
Er rennt nach links, will um den Holzstapel herum und hört es poltern.
Und er sieht nicht, daß Steven Clay die eine leere Tonne, die an der Ecke des Stalles steht, mit dem Fuß umstößt und mit dem Revolver in der Hand sich in die Nische zurückzieht.
Wie ein wilder Präriebüffel stürmt Walburn mit gezogenem und rauchendem Colt um die Holzstapelecke, sieht den dunklen Fleck am Boden und feuert sofort.
Krachend und knallend jagt die Kugel in das Faß, und der helle Flammenschein des Schusses läßt Walburn zu spät seinen Irrtum erkennen.
Da ist kein Stöhnen mehr, da rollt nur die Tonne knarrend ein Stück an der Wand des Stalles entlang.
Und Steven Clay sagt aus der Dunkelheit der Nische heraus:
»Walburn, nur eine Idee schlauer, dann würdest du nicht hier sein. Da hast du es.«
Der Schuß kommt mitten in diese beiden Sätze hinein.
Walburn sieht die Feuerwolke, den Colt blitzen und der Schlag schleudert ihn gegen den Holzstapel zurück. Er prallt hart an, taumelt und dreht sich. Und sein Colt brüllt zweimal, dreimal, schmettert auf, hämmert los, und die Kugeln jagen in den Boden des Hofes.
Dann verliert Walburn den Colt, preßt beide Hände auf den Bauch und fällt zu Boden. Er liegt da, stöhnt schlimm und will kriechen. Er sieht seinen Colt, sieht die Stiefel kommen und einen ausholen. Der Colt fliegt im Bogen weg, landet irgendwo unter dem Schuppendach am Kastenwagen Ismays, und der Gorilla Mikel Todhunters blickt hoch.
Er sieht mitten hinein in Steven Clays noch rauchenden Revolver und wimmert hoch und schrill, die Furcht läßt ihn zittern wie Espenlaub, und der Revolverhammer knackt einmal scharf.
»Nein!« sagt er schrill. »Nicht schießen. Mein Bauch, ich werde sterben. Mein Bauch, ich sterbe.«
»Du wolltest doch mein Haus anstecken, wie?« fragt Clay düster. »Du wolltest mich doch zerschlagen, Halunke? Nun, was willst du jetzt? Willst du leben? Mister, du wirst leben, ich weiß nicht, wie lange, aber es wird die Hölle sein.«
Er stößt ihn mit dem Fuß an und blickt zu Meehan hin, der am Zaun kauert und seinen Colt mit beiden Händen auf ihn richtet.
Und da macht Steven Clay einen jähen Satz und Meehan sagt verzerrt und kaum hörbar, ehe er abdrückt:
»Ich bringe dich um! Ich bringe dich…«
Und dann drückt er ab, die Kugel faucht über den Hof und schlägt in den Stall als harmloser Abpraller. Meehan verliert den Colt, er hat keine Kraft mehr und fällt auf die Seite.
An ihm vorbei springt Steven Clay mit einem langen Satz, taucht über den Zaun am Holzstoß hinweg und macht die schmale Tür auf.
Brüllend und gestikulierend stürzt eine Menschenmenge aus der Gasse rechts und jemand schreit:
»Da, jetzt war es doch am Exelsior. Heh, da hat es geknallt! Leute, hierher!«
Steven Clay hat die Tür offen und steht in der dunklen Nische, als sie an ihm vorbeirasen. Er stößt sich mitten in diesen Wirrwarr von laufenden Männern hinein, drängt sich nach rechts durch und hört, wie die ersten Männer plötzlich anhalten.
Und jetzt stößt er sich frei aus dem Rudel, bricht nach rechts durch und hört einen Mann schreien:
»Da liegt Sharps bei Brunswick. Verdammt, und hier Meehan und Walburn. Walburn, wer war es?«
Steven Clay rennt über die Straße. Er sieht sich nicht um. Er hat unter den ersten laufenden Männern Clanton gesehen und hört ihn nun laut rufen.
»Walburn, wer war es?« fragt Allen. »War es Clay?«
Und genau in diesem Augenblick erreicht Steven Clay den Vorbau und hetzt geduckt nach rechts. Er ist aus dem Lampenschein heraus, sieht die beiden offenen Fenster und das andere Fenster. Ein schmales und längliches Fenster in der Saloonwand ist angelehnt.
Dieses Fenster führt auf die Bühne des Saloons, und Steven stößt es blitzschnell auf. Er schwingt sich hoch, klettert über das Fensterbrett und kommt innen mit beiden Beinen auf. Vor ihm liegt der schmale Seitengang zur Bühne, er stürmt ihn entlang, reißt die Tür zur Bühne auf, und die Bühne ist leer.
Ireen Clay hat sie vor weniger als dreißig Sekunden verlassen. Sie steht an der Schwingtür, ist quer durch den Saloon gelaufen und weiß auf einmal, wer da geschossen hat. Sie kennt Clays Revolver zu gut, denn er hat oft genug auf der Ranch geschossen.
Ireen Clay kommt genau in dem Moment zur Schwingtür, als keine zehn Schritte weiter links Steven in das Fenster steigt.
Und da hört sie den gellenden Schrei von draußen kommen:
»Clay ist in der Stadt! Er hat Sharp erschossen und Meehan liegt mit Walburn am Boden! Clay ist in der Stadt!«
Sie dreht sich um und starrt auf den jungen Art Ford, der am Tresen steht und sich mit einem Ruck der Tür zudreht. Dann sieht sie auf Mikel Todhunter, sieht sein kreidebleich werdendes Gesicht und die entsetzten Augen der Walcott. Hinter seinem Tresen bewegt sich Duncan Velopes und sagt heiser:
»Wer, Clay? Verdammt, er wird doch nicht…«
Und dann wird er steif.
Auf der Bühne fliegt polternd eine Lampe um und fällt von den Brettern herab auf die Dielen.
Mitten auf der Bühne steht, den Colt in der Hand und das Gesicht zu Stein erstarrt, Steven Clay.
Er sieht starr zu Mikel Todhunter, und der Lauf des Revolvers hebt sich langsam. Der Lauf deutet auf Mikels Kopf, und Steven Clay sagt eiskalt, einen blitzschnellen Blick auf Ford werfend:
»Ford, die Hände nach oben. Ich will nichts von dir, Junge. Halte dich heraus, oder du bist so fertig wie deine Partner. Hoch mit den Händen, schnell!«
Art Ford stiert ihn an und zittert vor Furcht. Er weiß, daß Steven Clay niemals etwas umsonst sagt und streckt die Hände mit einer blitzschnellen Bewegung aus. Er steht still, und seine Augen liegen mit dem erschreckten und verstörten Ausdruck eines sich fürchtenden Mannes auf dem schimmernden Lauf des Revolvers.
An der Schwingtür hat sich Ireen umgedreht, sieht nun starr und wie gebannt auf ihren Mann. Sein Gesicht kommt ihr auf einmal fremd, kalt und erschreckend kantig vor. Es sieht aus, als wäre dies ein fremdes Gesicht.
Sie denkt nur immer dasselbe, als sie Steven Clay betrachtet: Das ist doch nicht dein Mann. Das ist doch nicht der Mann, dessen Kind du aufgezogen hast. Dies ist niemals derselbe Mann, der Zärtlichkeiten flüstern konnte und dem du alles gabst, was eine Frau einem Mann geben kann. Das ist ja ein Fremder.
Mit einem Schlag ist es still im Saloon. Nur Anne Walcott rutscht entsetzt ein Stück weiter, daß die Beine des Stuhles über den Boden schurren und stößt ein heiseres und tief aus der Kehle kommendes Geräusch aus. Es hört sich an, als wenn sie vor Angst sprachlos ist und kein Wort außer diesen Lauten formen kann. Das nackte Entsetzen steht in ihrem Gesicht, und die Furcht läßt die Schweißperlen aus ihrer Haut brechen.
Sie rückt von Mikel Todhunter ab, als wenn er den Aussatz hat. Und endlich kann sie etwas sagen.
»Nein!« sagt sie fast wimmernd vor Furcht. »Nein!«
Und immer wieder »Nein.«
Mikel Todhunters wirres Haar, das ihm in die Stirn hängt, sieht wie ein Büschel Fransen aus, das jemand gerupft hat. Sein Mund steht etwas offen, die Unterlippe hängt herab, und seine Augen flackern heftig.
Er fühlt, wie seine Handflächen feucht werden, wie ihn lähmende Angst packt und sieht auf den Revolver. Und das Grauen beschleicht ihn.
»Steh auf, du Lump!« sagt Steven Clay. »Und dann geh an den Tresen. Dort wirst du stehenbleiben. Halte die Hände hoch, sonst drücke ich gleich ab.«
Er sieht, wie sich Mikel Todhunters Hände auf dem Tisch zu zwei Krallen zusammenziehen. Er sieht, wie Todhunter den Kopf zwischen die Schultern zieht und wie seine Arme langsam hochkommen. Und Todhunters Mund schließt sich endlich, um sich gleich wieder zu öffnen. Er beginnt zu reden. Er redet – schrill, abgehackt und überstürzt.
»Das kannst du nicht tun«, sagt Todhunter hastig. Und seine Stimme vibriert wie eine Violinsaite hoch und schrill. »Du kannst mich nicht fordern. Du bist viel schneller. Old James wird dich von der ganzen Mannschaft jagen lassen. Du wirst keine Chance mehr haben, wenn du mich ermordest, Clay.«
»Du bekommst eine Chance«, sagt Clay ungerührt und fast gleichmütig. Er ist am Ziel seiner Gedanken, und er hat seinen Mann. Und plötzlich ist es keine Befriedigung für ihn, den zitternden und sich hinter seinem Vater verkriechenden Mikel Todhunter vor dem Revolver zu haben.
»Du Feigling!« sagt Clay kühl. »Du zitterst ja, du Feigling. Deine Hose flattert ja. Los, geh zum Tresen! Geh zwei Schritte neben Ford, und da bleib stehen. Halte die Hände oben, geh langsam, ich passe schon auf! Geh, Feigling!«
Und Mikel Todhunter geht, als wenn sein Körper für die Füße zu schwer ist. Die Füße schleifen nach, er geht gebeugt, und die Stiefelsohlen scharren häßlich über die Dielen des Saloons.
»Steven, tu es nicht«, sagt Ireen gepreßt und ihre Stimme kommt ihr selber fremd vor.
»Steven, tu es nicht, er hat keine Chance. Er ist ein Feigling, der zittern wird, wenn er abdrückt. Er wird dich nie treffen.«
Er sieht sich nicht einmal um. Er blickt starr auf den gehenden Mikel Todhunter und sagt nur wie abwesend:
»Niemand mischt sich ein, dies ist meine Sache. Jetzt wirst du bezahlen, Mikel. Du wirst für hundert und mehr Fausthiebe bezahlen, für meinen Hausrat, den Wagen, meinen Sattel, für alles. Und du bist gar nicht mehr groß, du armseliger Weiberheld. Du bist ganz klein. Und du wirst noch kleiner und häßlicher sein, wenn du am Boden liegst und tot bist. An den Tresen, vorwärts mit dir. Und dann steh still. So, das ist weit genug. Jetzt lehne dich mit dem Rücken an. Umdrehen, Mikel, umdrehen!«
Mikel Todhunter steht am Tresen und der kalte Schweiß läuft ihm über den Nacken in sein Hemd. Er steht da und zittert. Und er möchte schreien. Auf einmal möchte er, daß sein Vater da ist und sich vor ihn stellt. Allein die Gegenwart des alten Mannes würde genügen. Nun ist er allein, jetzt hat er niemand, der ihn schützt und seine Taten übersieht, wie sie nur ein Mann übersehen kann – sein Vater.
Er steht seitlich am Tresen und möchte mit einem verzweifelten Sprung über die Platte setzen, aus der Hintertür hasten und laufen, immer nur laufen, bis er umfällt und fertig ist.
Und dann denkt er an den Derringer, den er auf Sharps Rat seit drei Wochen in der Weste trägt. Der Derringer steckt in einer Lederschlaufe und niemand kann ihn sehen. Vielleicht kann er ihn schneller erwischen als seinen Colt aus dem Halfter bekommen. Vielleicht würde Clay nur auf seine rechte Hand achten und nicht auf die linke. Er hat geübt, wie man mit der linken Hand den Derringer zieht, aber er zittert und traut sich nicht zu, ihn jetzt schnell zu ziehen.
»Umdrehen«, sagt Steven Clay. »Was auch immer du denkst, Feigling, ich kenne deine Gedanken. Mich trickst du nicht. Umdrehen, oder ich schieße dir das rechte Ohr ab. Bis jetzt habe ich nur je eine Kugel für deine Strolche gebraucht. Für dich brauche ich auch nur eine, mein Freund. Herum mit dir!«
Mikel Todhunter dreht sich ganz langsam und will Zeit gewinnen.
Er hofft auf ein Wunder. Vielleicht ist Walburn nur leicht verletzt. Vielleicht kommt Meehan gleich durch die Tür und schießt, ohne zu fragen. Er zittert vor Furcht, daß sich nichts an Wundern ereignen könnte und dreht sich.
Und dann sieht er Clay wieder von vorn.
»Die rechte Hand herunter, Mikel«, sagt Steven Clay sanft. »Nimm die rechte Hand herab, und halte den Revolver mit der Mündung nach unten, wenn du ihn ziehst. Hebst du ihn an, schieße ich dich mittendurch. Du wirst deinen Colt auf mich richten und ich werde mein Eisen auf dich richten. Und wir werden dann sehen, wer schneller den Hammer spannen kann. Nimm den Zeigefinger nicht um den Abzug, das sage ich dir! Los, zieh schon!«
»Du bist immer schneller«, sagt Mikel keuchend und starrt ihn voller Furcht an. »Du läßt mir in Wirklichkeit keine Chance. Ich bin nicht so schnell wie du.«
»Du warst schnell genug, mich an den Baum zu hängen«, sagt Clay rauh. »Du warst groß genug, über mich herzufallen. Und jetzt wirst du auch groß genug sein, dich zu schießen.«
»Ich kann nicht so schnell schießen wie du«, sagt Todhunter schrill. Und seine Augen flackern wild. »Du wirst mich kaltblütig ermorden, du Halunke!«
»Zieh schon!« faucht Clay scharf. »Los, zieh, du hast deine Chance. Ich sage dir…«
Er verstummt und sieht auf Todhunters Hand, die sich langsam senkt und sich dem Revolverkolben nähert. Diese Hand ist langsam und packt den Kolben mit vier Fingern an. Der Zeigefinger steht waagerecht am Lauf vorbei, der Daumen packt nicht den Hammer. Und der Lauf des Revolvers deutet nach unten.
Langsam hebt Mikel Todhunter den Colt an, und Ford, der links neben ihm steht, starrt auf den Revolver, als wenn er hypnotisiert ist.
Ganz langsam kommt der Colt Todhunters hoch, und Velopes und Ireen sehen, wie ruhig Clays Hand seinen eigenen Revolver senkt und der Zeigefinger sich vom Abzug löst. Auch der Daumen Clays läßt den Hammer los und Todhunter hält, als er es bemerkt, mitten in der Bewegung inne.
»Jetzt paß auf!« sagt Steven Clay knapp. »Ich habe genau die Chance, die du auch hast. Willst du schießen und sehen, wer schneller ist, oder soll Duncan zählen?«
Es bleibt einige Sekunden still und jeder im Raum weiß, daß es praktisch ein Duell ist, bei dem es zwei Tote geben kann. Jeder dieser Männer hat die Chance, zur gleichen Zeit mit dem Gegner abzudrücken.
Aber es gibt keinen Mann, der absolut im Nachteil wäre.
Und Mikel Todhunter begreift das in einer Sekunde. Dann sagt er höhnisch und seine alte Überlegenheit kommt wieder:
»Du Narr, warum machst du das? Ich kann auch eher schießen.«
»Ich will sehen, ob meine Sache gerecht ist«, sagt Clay eiskalt. » Sie wird gerecht sein, mein Freund. Schöpfst du wieder Hoffnung? Mach dir besser keine. Soll Duncan zählen?«
»Velopes zähle!« sagt Mikel zischend. »Zähle, ich werde es ihm geben, diesem Narren! Zähle, Mann! Bei drei beginnt es!«
»In Ordnung«, sagt Clay völlig ruhig. »Fang an, Duncan.«
Duncan Velopes friert. Er fürchtet sich davor, hier eine Art Richter zu spielen. Aber er sieht die Unerbittlichkeit in Clays Augen und sagt keuchend:
»Ich tue es nicht gern. Wie ihr wollt, dann bringt euch nur gegenseitig um. Ich zähle langsam.
Eins, zwei, dr…«
An der Schwingtür sagt in diesem Augenblick, und ohne sich vorher durch irgendein Geräusch verraten zu haben Allen Clanton scharf und peitschend:
»Die Revolver weg! Alle beide! Ich habe in jeder Hand einen Colt und euch vor den Läufen. Und ich werde abdrücken, wenn ihr nicht friedlich seid. Hier gibt es keine Schießerei. Clay, wenn du abdrückst, bist du tot.«
»Du wagst es nicht«, sagt Clay heiser. »Verdammt, du wagst es nicht. Wenn du auf mich schießt, wirst du mich nur verwunden. Ich habe diesen Burschen gestellt und niemand hält mich mehr auf. Scher dich raus, du änderst nichts mehr!«
»Zum letztenmal!« sagt Clanton peitschend. »Den Colt weg, ihr beiden! Und wenn nicht, dann habt ihr es euch selber zuzuschreiben! Den Colt weg!«
Langsam sieht sich Clay um. Er senkt den Revolver etwas weiter und sieht auf einmal den jähen Funken in Ireens Augen aufspringen. Im selben Augenblick brüllt Allen:
»Mikel, nicht… ni…«
Steven Clay wirft sich herum und sieht mitten hinein die Feuerwolke aus Mikel Todhunters Colt.
Todhunter hat, gemein und hinterlistig wie er ist, in dem winzigen Bruchteil einer Sekunde den Hammer gehoben und vorschnellen lassen. Der Schuß bricht sich an den Wänden, die Kugel fährt in Clays linke Brustseite, und er taumelt einen Schritt zurück.
Und in den roten Nebel hinein, den er vor seinen Augen auftauchen sieht, sagt er heiser:
»Du Lump, du dreckiger Lump!«
Einen Augenblick sieht er Mikel klar und deutlich. Und da schießt er und sieht, wie Mikel strauchelt und sich zusammenkrümmt.
Dann ist auf einmal alles tot und leer um ihn. In seinen Ohren beginnt es leise zu brausen, und das Brausen steigert sich zu einem anschwellenden Heulton.
Er hört von irgendwoher einen ängstlichen Ruf und denkt, daß Ireen nach ihm ruft. Dann prallt er irgendwie auf, liegt auf der Seite und jemand ist bei ihm und hebt seinen Kopf an.
Jemand flucht und etwas poltert. Und seine Augen sehen noch einmal Licht und das Haar seiner Frau über sich.
Er verzieht den Mund und will lächeln. Und seine Lippen bewegen sich und formen fast lautlos zweimal ein Wort:
»Ireen – Ireen.«
Und der Tod steht neben ihm und wirft mit seiner linken Knochenhand das schwarze Tuch des Schweigens und Vergessens über den Mann am Boden, der zu ehrlich war und ehrlich einem anderen Mann eine Chance geben wollte, die dieser Mann nie verdiente.
»Steven!« sagt Ireen Clay entsetzt. »Steven, mein Gott, Steven!«
Und der Mund der sie geküßt, die Hände, die sie streichelten und die Augen, die sie ansehen, alles ist tot, still, schweigt.
Hinter dem Tresen sagt Duncan Velopes entsetzt und voller Abscheu:
»Dieser Schuft, dieser gemeine Verbrecher! Er hat ihn ohne Anruf erschossen. Er ließ ihm nicht die Spur einer Chance. Das war Mord, das war wohlüberlegter Mord! Dieser dreckige Schuft, Clanton, es ist deine Schuld, du hast ihn auf dem Gewissen. Er war zu ehrlich, er wollte nichts gegen das Gesetz tun und sah sich um. Und da hat dieser Hundesohn geschossen!«
Allen steht kreidebleich mitten im Raum, und seine beiden Revolver zeigen auf Mikel Todhunter, der am Boden sitzt und wimmernd die Hand auf die Hüfte preßt. Er hört nichts mehr, dieser Todhunter. Er wimmert hoch und schrill, daß er verletzt ist und sterben wird. Und unter seinen Fingern ist kaum etwas, was nach Blut aussieht.
Allen Clanton bewegt sich. Er reißt sich aus seiner Erstarrung und geht los. Dicht vor dem am Boden wimmernden Mikel hält er an, tritt ihm den Colt weg und reißt ihm die Hand von der Hüfte.
»Du Lump«, sagt er wild und böse. »Du hast ihn ermordet. Es war glatter Mord. Das kostet dich den Hals, das sage ich dir. Dies geht dir nicht durch. Und wenn du zehnmal Todhunter heißt, dafür kommst du in das Jail und später an den Galgen. Das soll eine Wunde sein, von der man sterben kann? Das ist nichts als ein winziger Kratzer, du dreckiger Skunk!«
Er reißt ihn in seinem wilden und plötzlich ausbrechenden Zorn hoch und schmettert ihm die rechte Faust derartig an das Kinn, daß sich Mikel fast überschlägt und sechs Schritte weiter krachend über einen Tisch stürzt.
»Dich sollte man umbringen!« sagt Allen knirschend. »Dich sollte man den Geiern zum Fraß vorwerfen. Das wäre noch zu billig. Ich habe viele gemeine Burschen gesehen, aber so etwas wie dich noch nie. Pfui Teufel, was bist du für ein Skunk!«
Er sieht den zu Boden fallenden und reglos liegenbleibenden Mikel mit allen Zeichen des Widerwillens an und packt ihn am Kragen. Dann zieht er ihn hoch und legt ihn sich über die Schulter.
Sein düsterer Blick geht zur Bühne. Er sieht die Lady dort kauern und ihre Schultern zucken. Und er sagt bitter:
»Madam, sicher ist es meine Schuld, aber ich kann es nicht ändern. Ich werde diesen Burschen eingesperrt halten, bis Ben Braddock aus Alamogordo hier ist. Und er wird seine Verhandlung bekommen. Das ist alles, was ich tun kann, aber es wird geschehen. Er wird nie mehr auf die Leute losgelassen werden, denn es war Mord.«
Sie sieht ihn nicht an und schweigt. Und er sagt heiser, Velopes kurz ansehend und schon auf die Tür zugehend:
»Nimm den Revolver dieses Burschen. Ich bin gleich wieder hier, Duncan.«
Und dann geht er stampfend aus der Tür und die Leute weichen ihm erschrocken aus.
Er geht weiter und macht das Jail auf. Und die Leute starren ihm verstört nach, denn niemand hat gedacht, daß er es im vollen Ernst meinte. Er geht mit Mikel in das Jail, wirft ihn auf eine Pritsche und durchsucht ihn. Und dann findet er den Derringer und spuckt aus.
Teufel denkt er grimmig. Der Bursche hat mit allem gerechnet. Nun, Bursche, ich habe dich. Und du wirst bezahlen müssen.
Er schließt ab, geht gleitend auf den Vorbau und sieht den Doc angerannt kommen.
»Was ist mit Walburn und Meehan?« fragt er hart.
»Meehan wird es glatt überstehen, aber Walburn sieht nicht sehr gut aus«, sagt der Doc heiser. »Sie sagen übereinstimmend, er hätte sie erst angerufen, und sie hätten ihn verfehlt, obwohl sie zuerst feuerten. Und sie verfluchen es beide, daß sie ihn nicht gleich auf die Nase legen konnten.«
»An diese Aussage wirst du dich erinnern müssen«, sagt Clanton bitter. »Vergiß sie nur nicht, Doc. Sind sie transportfähig?«
»Dann sind sie nach drei Meilen tot«, erwidert der Doc grimmig. »Und vielleicht wäre es besser, was, sie würden gefahren werden. Zum Teufel, willst du Mikel wirklich…«
»Was denkst du?« faucht Clanton voller Zorn. »Es war Mord. Niemand wird mich zwingen, diesen Mord zu decken. Mord bleibt Mord. Und wenn es der Präsident selber wäre, ich sperrte ihn ein. Das ist alles, Doc. Komm nachher vorbei, ich bin in fünf Minuten wieder zurück. Du mußt Mikel verbinden. Er ist etwas verletzt, daß es kaum zu sehen ist. Doch er heult wie ein getretener Hund, dieser Feigling.«
Er dreht sich um und geht über die Straße. Am Exelsior Saloon stehen Leute und fragen, wohin sie Meehan und Walburn bringen sollen.
»Zu Velopes«, sagt er hart. »Die Kosten übernimmt sicher Old James. Los, schafft sie hin!«
*
Allen Clanton geht weiter und kommt in den Last Penny. Und dort sieht er die leichenblasse Ireen Clay, die an einem Tisch sitzt und starr auf das Tuch sieht, das man über Steven gebreitet hat.
»Duncan«, sagt er leise. »Duncan, kannst du beeiden, daß er kaltblütig auf Steven schoß? Bist du sicher, daß du es kannst?«
»Du meinst, alle Zeugen könnten umfallen, was?« fragt der Mexikaner bitter. »No, Amigo, ich falle nicht um, sie müßten mich schon totschlagen, eher nicht. Und außerdem hat Ireen es auch gesehen und Ford.«
Art Ford hat ein Whiskyglas in beide Hände genommen und trinkt, aber die Hände zittern. Er stellt das Glas hin und sagt stöhnend:
»Mir ist so schlecht, Clanton, es war glatter Mord. Ich mache das nicht mit, ich höre bei Old James auf, obwohl es der beste Job in dieser Gegend ist. Er wird mich vielleicht zwingen wollen, das Gegenteil zu sagen, aber ich werde bei der Wahrheit bleiben, wenn es zum Prozeß gegen Mikel kommt. No, das mache ich nicht mit. Es war gemein und hinterhältig. Clay hätte ihn erschießen können, aber er ließ ihm die gleiche Chance, die auch er hatte. No, ich werde die Wahrheit sagen, ich höre auf der Flying-H auf.«
»Gut«, sagt Allen leise und geht an den Tisch, an dem Ireen sitzt. »Madam, ich war ein Narr, aber ich kann es nicht mehr ändern. Kommen Sie, ich bringe Sie nach oben. Nun, kommen Sie jetzt, Sie können doch nicht immer hier sitzen.«
Sie hebt langsam den Kopf und sieht ihn an. Und sie sieht die Sorge in seinen grauen Augen und sagt wie verloren:
»Das war gar nicht Steven. So kannte ich ihn nicht. Er sah fremd und brutal aus, als er dort stand und Mikel in Schach hielt. Er war ein ganz anderer Mann. Er war es so lange, bis er starb. Dann lächelte er wieder, und sein Gesicht war wie früher. Clanton, machen Sie sich keine Vorwürfe, er hat es so haben wollen. Mein Gott…«
Plotzlich wird ihr Blick jäh groß und weit. Und dann rutscht sie haltlos an der Platte entlang, und er kann sie gerade noch auffangen, ehe sie auf den Boden fällt.
»Duncan«, sagt er heiser. »Schnell, komm her. Ich trage sie nach oben. Es war zuviel für sie, einfach zuviel.«
Er trägt sie hinter Velopes her, der, eine Reihe mexikanischer Verwünschungen murmelnd, die Treppe empor hastet.
Schließlich liegt Ireen in ihrem Zimmer, und Velopes Frau kümmert sich um sie. Mit finsterem Gesicht geht Allen Clanton die Treppe runter und sieht Ford an, der aus dem Saloon will.
»Ford!« sagt er heiser. »Ford, du bleibst besser hier. Die Nachtkutsche aus Artesia kommt in einer Stunde. Ich will nicht, daß Old James es vor Eintreffen der Kutsche weiß. Los, komm mit!«
Ford sieht ihn starr an und wird bleich, als er den Revolver in Allens Hand sieht. Aber dann geht er widerstandslos vor ihm in das Office und setzt sich hin.
»Old James wird toben«, sagt er gepreßt. »Es macht nichts, daß du sein Neffe bist, ich kenne ihn gut genug.«
»Das ist mir gleich, ich bin hier der Deputy«, sagt Allen bitter. Er steht auf und öffnet dem Doc die Tür, der hereinkommt und seine Tasche in der Hand hält.
»Hast du einen Revolver oder ein Messer, Doc?« fragt Clanton heiser. »Ich sage dir, dieser Bursche macht uns noch Ärger, wenn er eine Waffe in die Hand bekommt. Nun los, geh zu ihm, er wimmert in der Dunkelheit der Zelle, dieser Feigling.«
Ruhig macht er die Tür zum Zellengang auf, und der Doc steckt die zweite Lampe an. Und Ford sieht, daß Mikel auf der Pritsche liegt und sich hin und her wälzt. Mikel Todhunter wimmert dabei schrill und jammert, daß er sterben muß.
Er wird erst ruhiger, als der Doc ihm versichert, daß es nur ein Kratzer ist, und er noch lange genug leben wird, um aufgehängt zu werden.
Mit einem Schlag ist er still, und seine Augen weiten sich entsetzt.
»Was?« fragt Mikel stöhnend und richtet sich langsam auf. »Das wird nie passieren. Allen, du hinterhältiger Schuft, Dad wird dich in die Hölle blasen! Ich sage dir, er wird dich umbringen oder wegjagen. Du wirst die längste Zeit Deputy gewesen sein. Mich behältst du nicht hier drinnen.«
»Du wirst dort stecken, bis der Richter kommt, und wir eine Verhandlung haben«, sagt Allen grimmig. »Du bist ein Mörder. Und nichts rettet dich mehr davor, an den Galgen zu kommen. Und wenn du mein Bruder wärst, ich könnte nichts für dich tun. Halte den Mund, oder ich werde rauh.«
Der Doc kommt heraus und Clanton macht die Tür mit einem Knall zu. In der Zelle brüllt Mikel gellend nach ihm, aber er öffnet nicht, und Mikel gibt es nach einiger Zeit auf.
Der Doc geht. Ford sitzt auf seinem Stuhl und starrt auf die Uhr. Und Allen Clanton schreibt ruhig einen ganzen Bogen voll, faltet das Schreiben und versiegelt es. Dann schreibt er die Adresse von Ben Braddock darauf und sieht nach der Uhr.
»Noch zehn Minuten«, sagt er ruhig. »Art, ich habe dich vor dem Revolver ins Jail getrieben, das kannst du ihm sagen, wenn er wild werden will. Warten wir, die Kutsche wird gleich kommen. Und ehe du auf der Ranch bist, holt sie niemand mehr ein. Auch das beste Pferd und der beste Reiter nicht. Wenn Braddock schnell ist, kommt er morgen nachmittag schon her. Ich hoffe nur, er ist in Alamogordo und nicht gerade auf einer Inspektionsreise durch die Gegend. Nun los, komm schon.«
Er steht auf, klemmt sich den Karabiner unter den Arm und steckt den Brief in die Brusttasche. Ford geht seitlich vor ihm her, sie kommen aus dem Jail, und Clanton hört in der Ferne die Peitsche der Stagecoachfahrer knallen.
Sie wandern ruhig über die Straße und halten vor dem Last Penny an.
»Hole dir nachher ihre Pferde und reite nicht zu schnell, mein Freund«, sagt Allen. »Und sage Old James, er könnte kommen und mit Mikel reden, aber mehr auch nicht. Jeder Versuch, Mikel herauszuholen, würde ihn Mikel kosten. Bestellst du ihm das?«
»In Ordnung«, sagt Ford gepreßt. »Ich sage dir, er holt ihn mit Gewalt heraus. Mach dir keine Hoffnungen, du müßtest zwanzig Gehilfen haben, um ihn zu halten.«
Die Stagecoach kommt unter Gelärm und Peitschengeknalle in die Stadt. Clanton winkt Ford, daß er verschwinden soll. Er geht selber auf die Kutsche zu, sieht die wenigen Leute an der Station und den alten Männer Hillman auf dem Bock thronen. Hillman steigt steifbeinig ab und ruft:
»Elk – New Mexico! Die Kutsche hält fünf Minuten! Wer aussteigen und ein Glas Brandy trinken will – der Last Penny Saloon ist gleich nebenan.«
Und dann sieht er Steven, und er kennt die Geschichte um Mikel und Clay von seiner täglichen Tour, die ihn von Hobbs nach Alamogordo führt.
»Nun, Clanton?« fragt er heiser, als er die Tür des Kutschkastens aufmacht und der dicke Gewürzhändler aussteigt. »Was ist, läufst du immer noch herum und wartest auf Clay?«
»Ich brauche nicht mehr warten«, sagt Allen düster. »Er war hier, und Mikel hat ihn auf die krumme Art erledigt. Männer, nimm diesen Brief an Ben Braddock mit, und gib ihn, triffst du Braddock nicht an, dem Sheriff. Halte dich nirgends auf und erledige es gleich. Ich habe Mikel im Jail wegen Mord.«
»Ach der Teufel«, sagt Hillman heiser. »Well, Clanton, eine Menge Ärger für dich durch den Alten, was? Nun gut, den Brief bekommt nur Braddock und sonst niemand. Ich halte mich sicher nicht auf. Well, noch in der Frühe hat er Bescheid.«
Er fragt, wie es passiert ist, und Allen erzählt es ihm. Und der Alte flucht bitter. Er fährt nach wenigen Minuten los und treibt die Pferde an, die er noch einmal in Cloudcroft wechseln muß.
Allen Clanton sieht der Kutsche nach, und rechts erkennt er Ford, der mit den Pferden seiner Partner und dem Grauen Mikels verschwindet.
Seufzend dreht er sich um und geht zu seinem Office. Er hat die unbestimmte Ahnung, daß Ben Braddock, der gefürchtete Mann weit und breit, sicher gerade auf einer Inspektionsreise durch seinen Richterbezirk sein wird.
Er geht zum Office, legt seine Decken auf das Sofa und verriegelt alles, macht auch die Fensterladen dicht. Neben sich stellt er die Schrotflinte, den Revolvergurt behält er um und liegt still in der Dunkelheit.
Es dauert nicht lange und Allen Clanton schläft ein.
Draußen ist die Nacht, und draußen rollt irgendwo die Stagecoach durch den nach Old James benannten James-Canyon auf Cloudcroft zu.
Irgendwo reitet auch Art Ford und kommt auf die Ranch.
Und es dauert keine halbe Stunde mehr, dann geht der alte James Brian Todhunter stampfend in seiner Halle auf und ab, und Clem Tuttle bobachtet ihn besorgt und voller schlimmer Ahnungen.
»Clem, was würdest du machen?« fragt der Alte, nachdem er Selbstgespräche geführt hat und wild fluchte. »Los, was würdest du machen?«
»Ich habe keine Meinung, Boß«, sagt Tuttle sanft. »Ich denke, man braucht keine Meinung zu haben. Er sitzt da, und ich denke nicht weiter nach.«
»Du lügst«, sagt der alte James
Brian wild. »Clem, heraus damit, was denkst du wirklich? Ich verlange eine Antwort. Und deine ehrliche. Was ich daraus mache, das soll dir gleich sein.«
»Laß ihn drin!« sagt Clem grollend. »Er taugt nichts. Vielleicht ändert er sich doch noch. Laß ihn eine Weile drin. Und wenn man ihn verurteilt, dann laß es so sein. Riskiere nichts um diesen Mister, der dein Sohn ist, Boß!«
Der Alte erstarrt und macht die Augen fast zu. Clem Tuttle sieht die Wut des Alten kommen und weiß, daß er beinahe zuviel gesagt hat.
»Was soll ich?« fragt der Alte fauchend. »Bist du wahnsinnig, Mensch? Das ist mein Sohn, mein Erbe! Für ihn habe ich ein Leben lang geschuftet. Und sie sollen ihn vielleicht sogar hängen? Mensch, bist du toll? Hier bestimme ich. Diese Stadt gehört mir. Und wenn Allen ihn nicht freiwilig herausgibt, dann werde ich ihn mit Gewalt holen. Und du wirst helfen.«
Tuttle sieht ihn an und zieht langsam die Augenbrauen hoch.
»Boß, gegen das Gesetz?« fragt er kurz. »Nun gut, du hast Allen wählen lassen. Du hast ihn bezahlt. Aber er hat einen Orden.«
»Zum Teufel mit dem verdammten Orden!« brüllt der Alte wild. »Einen Dreck ist der Stern wert. Ich werde Mikel herausholen, und er kann nach Mexiko verschwinden, bis Gras über diese Sache gewachsen ist. Meinst du, ich will mich mit dem Gesetz anlegen? Sie hängen ihn womöglich auf, wie? No, ich hole ihn heraus und schaffe ihn über die Grenze nach drüben. Und Allen kann solange im Jail stecken. Hilfst du mir dabei, oder läßt du mich im Stich? Tausend Dollar, wenn du…«
»Boß, du bist ein alter Mann, aber das bewahrt dich nicht davor, ein Narr zu sein«, erwidert der Revolvermann bitter. »Ich sage dir, an Mikel ist alles verloren. Schicke ihn nach drüben, es ist einen Tagesritt entfernt. Schicke ihn nur hin. Eines Tages wirst du sehen, daß er wirklich nichts wert ist. Du hast umsonst gearbeitet, Boß. Du hast keinen Nachfolger, der würdig genug wäre, die Ranch zu leiten. No, ich dachte immer, du hältst viel von Allen?«
»Ich halte auch jetzt noch viel von ihm«, sagt der alte Mann müde. »Er durfte ihn nicht einsperren, ehe er nicht mit mir gesprochen hatte. Mein Sohn und ein Galgen. Weißt du, was das heißt, Ehe ich diese Schande ertrage, bringe ich ihn selber um. Verstehst du nicht, was das heißen wird, Mann? In diesem Land, vom Pecos bis zum Rio Grande, kennt jeder Mann die Flying-H dem Namen nach, fast jeder kennt mich. Und mein Sohn ein Mörder, ein Verbrecher? Er darf nicht im Jail bleiben, keine Gerichtsverhandlung, kein Urteil. Mein Name ist zu schade.«
Er starrt den Revolvermann an, der seltsam düster lächelt und den Mund aufmacht. Und dann sagt Clem Tuttle etwas, was er sonst niemals gewagt hätte zu sagen. Er sagt kalt und spröde:
»Old James, du bist sicher ein guter Mann. Du bist sogar ein sehr guter Mann, aber du hast eins nicht gekonnt: Du konntest deinen Sohn nicht zu einem Mann deiner Größe erziehen. Er war dein einziges Kind, und du hast ihn alles tun lassen, weil du dachtest, dein Name wäre es deinem Sohn schuldig. Weißt du jetzt endlich, daß dein Name sich nicht übertragen läßt? Du kannst kein Ebenbild von dir machen, wenn du es auch gewollt hast. Nun gut, ich hänge auf eine seltsame Art an dir. Und wenn ich dir helfen kann, dann brauchst du keine Befehle. Ich helfe auch ohne tausend Dollar.«
Der Alte ist einen Augenblick sprachlos. Und auf einmal sieht er sein Leben vor sich, er sieht, wie stolz er war, einen Sohn zu haben.
Und er weiß, daß Clem Tuttle, der sonst kaum einmal sagt was ihn innerlich beschäftigt, genau die Wahrheit gesagt hat.
»Verdammt, ja«, sagt er heiser. »Clem, du hast recht. Es ist nur – ich werde es nicht allein tun können. Ich brauche dich. Und ich will, daß du für diesen Bruch des Gesetzes nicht bestraft wirst. An mich wird man sich nicht wagen, das ist sicher. Jeder wird mich verstehen, aber dich wird man jagen. Clem, du hast eine Aufgabe vor dir. Nimm Mikel mit nach Mexiko und mach einen Mann aus ihm. Du bekommst mein Geld und wirst ihm auf die Finger sehen, ihn erziehen. Mach es hart und rauh, mach einen Mann aus ihm, denn zurück kannst du nicht mehr, wenn wir ihn herausgeholt haben.«
»Ich weiß«, sagt der Revolvermann spröde. »Boß, ich weiß das alles, aber ich glaube nicht, daß ich Mikel noch umkrempeln kann. Versuchen will ich es, wenn wir es schaffen, aber versprechen kann ich gar nichts.«
Der Alte reicht ihm den Kasten mit seinen Zigarren, und Clem Tuttle raucht ruhig. Er blickt einmal nach oben und sagt leise:
»Boß, wir werden aufpassen müssen. Wenn Isabell etwas hört, wird sie ihren Bruder warnen. Ich bin ganz sicher, daß sie es macht.«
Er steht gleitend auf und huscht zur Tür. Und dann reißt er sie auf, aber
Isabell Clanton schläft wohl fest. Sie ist nicht im Flur, und der Revolvermann schließt die Tür wieder sacht.
»Sie kann nichts hören, wenn wir leise sprechen«, brummt der alte Mann bitter. »Ich dachte immer, ich könnte sie und Mikel…«
Clem Tuttle fährt herum und starrt ihn überrascht an.
»Was?« fragt er heiser. »Boß, sie und Mikel, ein Unglück wäre es, weiter nichts als ein Unglück. No, dazu ist sie zu stolz und zu schade. Und ich fürchte, Allen würde Mikel selber umbringen, ehe er Isabell bekäme. Nun gut, Boß, wie stellst du dir es vor, Mikel aus dem Käfig zu bekommen?«
Der alte Mann sieht auf seine Zigarre und runzelt die Stirn. Er beginnt leise zu reden und blickt auf die Uhr. Er beobachtet, während er spricht, das Perpendikel, und der Revolvermann unterbricht ihn kaum einmal.
Gedämpft reden die beiden Männer, und die Zeit verrinnt träge.
Es ist drei Uhr früh, als Tuttle sich erhebt und langsam seinen Hut nimmt.
»Well, Boß«, sagt er heiser. »Vielleicht klappt es. Ich reite dann. Vergiß Ford nicht, der Junge hat genug, ich habe es ihm angesehen. Schick ihn besser weg, ehe er gefährlich wird. Du erreichst damit nichts, daß du ihn von einigen Burschen zwingen läßt, alles zu vergessen. Der Junge hat einen Schock bekommen. Mach es nicht rauh, es schlägt vielleicht ins Gegenteil um.«
Der alte Mann nickt und sieht, wie Tuttle langsam den achtunddreißiger Colt von seinem Schreibtisch nimmt, die Ladung der Trommel überprüft und den Colt einsteckt.
»Nimm einen Lappen«, sagt der Alte heiser. »Und sage diesem Narren, wenn er schießt, soll ihn der Teufel holen. Er hat zu warten.«
»In Ordnung«, murmelt Tuttle, nimmt seinen Hut und geht hinaus. Er verschwindet über den Hof, blickt sichernd zu den Fenstern von Isabell Clantons Zimmern hoch und sattelt leise seinen Rappen.
Nach wenigen Minuten verschwindet Clem Tuttle in der Nacht, entfernt sich leise von der Ranch und gibt seinem Hengst dann die Sporen.
Mit trommelnden Hufen fegt der Hengst los, rast über den Weg, daß der Staub in der Nacht wie eine graue Fahne hinter ihm her weht, und jagt auf die Stadt zu.
*
Die Dämmerung ist nicht mehr fern, als Tuttle seinen Hengst hinter die Wand des Frachtwagenhofes stellt und leise aus dem Sattel steigt.
In einem Haus brennt noch Licht, und Tuttle, der durch die Gasse huscht, kommt einen Augenblick in den Lichtschein. Der Schein beleuchtet seine Beine und läßt die rohledernen Mexikanerschuhe, die Tuttle trägt, deutlich sichtbar werden.
Der Revolvermann bewegt sich auf diesen Schuhen völlig lautlos, huscht durch die Gasse und klettert mit katzenhafter Gewandtheit über den nächsten Zaun.
Er schiebt sich am Zaun entlang und fühlt in seinem Gurt den achtunddreißiger Colt. Der Colt drückt in seinen Magen. Er geht vorsichtig und ohne ein Geräusch zu machen durch einen Garten.
Vor ihm ist ein Stall, vor ihm reckt sich der dunkle Schatten der Wand hoch, und Tuttle richtet sich langsam auf.
Clem Tuttle blickt auf das Office und den Anbau des Jails. Er sieht das Licht im Jail, aber das Office ist dunkel.
»Verdammt!« sagt Tuttle leise und zischend. »Was ist, wenn er sich jetzt irgendwo in der Dunkelheit auf die Lauer gelegt hat und wartet? Was ist dann? Zuzutrauen ist ihm das. Er ist sicher vorsichtig wie ein Fuchs.«
Besorgt bleibt er unten, duckt sich hinter den Brettern des Zaunes und beobachtet den Hof. Er hat keine Zeit mehr, denn die Dämmerung ist nicht mehr weit. Die Zeit verrinnt, und
Tuttles scharfe Augen durchforschen jeden Winkel.
Und erst, als er sicher zu sein glaubt, daß Allen Clanton nicht irgendwo steckt, zieht er sich vorsichtig am Zaun hoch und huscht los.
Er hat seine Revolver in den Halftern, denn er weiß genau, daß Clanton bei Gegenwehr auf den Mann schießen wird. Und der Revolvermann will kein Risiko eingehen.
Er schleicht bis unter das Fenster des Office und kauert wie ein Schatten unter ihm. Er lauscht, aber er hört nichts. Er sieht die vorgelegten Blendladen der Fenster und weiß, daß es unmöglich ist, mit Gewalt in das Jail zu kommen. Dabei wird es Tote geben, das ist sicher.
Clem Tuttle steht ganz still, lauscht, aber es rührt sich nichts. Fast fünf Minuten steht er still, und erst dann geht er, gleitend und einen Fuß ganz langsam vor den anderen setzend, weiter.
Irgendwo knackt es am Stall, er dreht sich abduckend herum, und der Schweiß bricht ihm aus. Still und reglos starrt er auf den Stall, aber es rührt sich nichts.
»Oh, verdammt, verdammt!« sagt er heiser. »Nervös wie ein junger Hund.«
Er gleitet weiter und sieht den Anbau des Jails vor sich. Lehmmauern und oben, fast am Dach, eine kleine Öffnung, gerade groß genug, daß Licht in das Jail fällt. Und außerdem Gitter. Kein Mann, sei er noch so klein, wird durch den Spalt kriechen können. So dünn und schmal ist vielleicht ein achtjähriges Kind.
Clem Tuttle sieht sich argwöhnisch um. Er sieht den Pinyonbaum rechts am Anbau, den einen ausladenden Ast, der über das Dach des Anbaues reicht, und hält am Baum an.
Nun kommen ihm seine Lederschuhe zu Hilfe. Er beginnt, flink und geräuschlos wie ein Wiesel, am Baumstamm in die Höhe zu klettern. Und es dauert nicht lange, dann verdeckt ihn das dichte Gewirr der Zweige. Er rutscht, auf dem Ast breitbeinig sitzend und sich vorwärtsschiebend, immer weiter. Ganz langsam läßt er sich hinab, seine Füße berühren das Dach, und das leise Knirschen kommt ihm laut wie das Reiben zweier Mahlsteine einer Mühle vor. Erschreckt bewegt er sich noch langsamer, legt sich auf den Bauch und flucht unterdrückt zwischen den Zähnen.
Irgendwo in der Stadt bellt ein Hund und heult gleich darauf. Ein anderer Hund fällt jaulend ein, und irgendwo rechts kräht ein Hahn.
Du lieber Himmel, denkt Tuttle keuchend und liegt dicht an der Dachkante still. Die Stadt wacht auf. Herr im Himmel, jetzt fangen sie alle an zu krähen. Leute werden aufwachen und ihr Tagewerk beginnen. Und ich liege hier auf dem Dach. Noch ist es dunkel, aber der Teufel mag wissen, wie lange noch.
Er sieht über die Kante hinweg und schiebt sich genau über das Fenster. Hastig zieht er das zusammengerollte Stück Lappen aus seiner Tasche und wickelt den Colt ein. Er macht einen Knoten mit dem Stück Lederriemenband, das er um den Lappen und den Colt schlingt. Und dann pendelt das Stück Riemen, an dem das kleine Paket mit dem Colt hängt, langsam tiefer.
Erst im letzten Augenblick fällt Clem Tuttle siedendheiß ein, daß sie etwas übersehen haben, so schlau sie auch vorgegangen sind.
Was ist, wenn Allen Clanton sich in das Jail gelegt hat?
Tuttle zaudert einen Augenblick, aber die Furcht vor dem Grau der Dämmerung und seiner exponierten Stellung lassen ihn alle Bedenken wegfegen.
Clem Tuttle schwingt den Riemen hin und her. Er starrt auf die Öffnung und sieht ein Stück der Gitterstäbe.
Und dann prallt der umwickelte Colt zum erstenmal gegen die Stäbe.
Ein ganz leiser und dumpfer Ton, nicht mehr.
Der Colt pendelt am Riemen, der Lappen dämpft den Aufprall.
Dreimal, viermal schlägt der Lappen an. Und Tuttle wartet ängstlich darauf, daß sich etwas unter ihm rührt.
Und dann knarrt es plötzlich. Es knarrt leise und kaum vernehmlich. Etwas knirscht leise. Und dann kratzt etwas an der Mauer.
»Mikel«, flüstert Tuttle heiser. »Mikel, bist du allein? Mikel, antworte.«
Es bleibt eine halbe Minute still.
Und erst dann sagt es flüsternd von unten hoch:
»Wer?«
Tuttle erkennt die Stimme am Geflüster und sagt genauso leise:
»Ich, Clem. Bist du allein? Wo ist Clanton?«
»Vorn, die Tür ist zu«, sagt Mikel Todhunter leise. »Der verfluchte Hund hat mich eingelocht wie einen verdammten, einfachen Cowboy. Was ist, Clem, was hängt da? Ich komme nicht ran.«
»Paß auf«, zischelt Tuttle. »Da hängt ein Colt. Ich habe ihn umwickelt. Ich lasse ihn nach innen schwingen und am Riemen hinab. Paß auf, kannst du ihn verstecken?«
»Wenn ich ihn habe, ja. Laß ihn kommen. Sonst was los?«
Clem Tuttle zaudert. Er kennt Mikel und seine Gemeinheit zu gut. Und dann sagt er leise:
»Wir werden, Old James und ich, gegen Mittag einen Besuch machen. Wir werden Waffen tragen, aber er wird sie uns nicht mit in das Jail nehmen lassen. Mikel, dies ist deine letzte Chance. Nimm den Riemen deiner Hose. Hast du ihn?«
»Ja!«
»Gut«, sagt Tuttle. »Nimm den Riemen, wenn wir mit dir gesprochen haben. Und dann hänge dich auf. Binde ihn an die Käfigstäbe und…«
Er liegt auf dem Dach und sein Flüstern reicht keine vier Schritte weit. Und er läßt sich von Mikel versprechen, daß Mikel alles so tun wird, wie es der alte Mann haben will.
»Mach keinen Unsinn«, warnt ihn Tuttle zischend. »Ein falscher Schritt von dir und der Teufel soll dich holen. Der Alte wird dir dann nicht mehr helfen. Hast du verstanden?«
»Ja, in Ordnung«, flüstert Mikel von unten, und Tuttle schwingt den Riemen hin und her. Zweimal schlägt der Colt an, beim dritten Versuch ist er durch den Spalt.
Und dann läßt Tuttle den Riemen immer tiefer, bis er den Zug an ihm verspürt. Es dauert nicht lange, dann zieht er den Riemen hoch.
»Sei friedlich, und heule ihm etwas vor«, sagt Tuttle warnend. »Benimm dich nicht eine Spur anders als immer. Ich muß weg, es wird hell.«
Er huscht zurück, klettert wieder auf den dicken Ast des Baumes und sieht sich argwöhnisch um. Und dann ist er am Baumstamm herab und gleitet auf dem Hof auf seiner Spur zurück. Hastig verwischt er mit seiner Hutkrempe alle Trittspuren, wechselt wieder über den Zaun und läuft hastig zu seinem Pferd.
Wenig später, der Morgen zieht strahlend über den östlichen Horizont, hängt er im Sattel und prescht, als wenn er den Teufel im Nacken hat, über die Weide davon.
In der Stadt erwacht das Leben, der Doc geht über die Straße und sieht, wie weit offen die Fensterladen des Office sind.
Aus dem Fenster sieht Clanton heraus und blickt auf die Straße. Er sieht den Doc gehen und ruft ihn an.
Sie reden kurz miteinander. Clanton macht die Hintertür des Office vorsichtig auf und blickt in den Hof.
Hastig und sichernd geht er in den Hof, starrt genau unter dem schmalen Loch in der Jailmauer auf den Boden und betrachtet seine Leiter, die am Dach des Stalles am Haken hängt. Er untersucht die beiden Enden der Leiter nach Sandspuren, aber er findet keine. Und Eindrücke unter der Scharte in der Jailmauer findet er auch nicht.
Er geht wieder ins Haus zurück, aber er ist so vorsichtig, die Türen geschlossen zu halten und die Schrotflinte immer griffbereit zu haben.
Wenig später sieht er den Doc zurückkommen und macht das Fenster ein wenig auf. Der Doc bleibt vor ihm stehen, zuckt die Achseln und sagt heiser:
»Ich glaube, unser Freund Walburn wird noch heute sterben. Dieser Narr, ich hatte verboten, ihm Wasser zu trinken zu geben.«
»Yes, und?« fragt Allen Clanton heiser. »Was hat er angestellt?«
»Sie haben nicht an die Kanne auf dem Waschtisch in dem Zimmer gedacht«, sagt der Doc bitter. »Dieser Narr ist trotz der Verletzung im Bett hochgekrochen und hat die Kanne erwischt. Und er hat getrunken. Jetzt liegt er im Bett und hat so hohes Fieber, daß ihm nicht mehr zu helfen ist. Soll er es schlucken, was trinkt er.«
Er sieht sich um, aber die Stadt ist ganz ruhig und auf der Straße kein Flying-H-Reiter zu sehen. Der Doc murmelt leise:
»Er war immer rauh, der alte Bursche. Allen, paß auf, daß er nicht mit seiner ganzen Mannschaft kommt und dich ausräuchert. Sie können von drei Seiten kommen, und du kannst nicht überall hinschießen. Junge, es sieht böse aus, wenn er es rauh macht. Und sicher nimmt er keine Rücksicht darauf, daß du sein Neffe bist. Ich kenne ihn gut genug!«
»Vielleicht sagt er sich langsam, daß Mikel nicht mehr zu bremsen ist, und wird vernünftig«, sagt Allen Clanton grimmig. »Hier ist mein Gesetz. Und ich führe es aus. Er bekommt ihn nur über mich. Tu mir einen Gefallen, geh zu Velopes und sage ihm, er soll mir Frühstück für zwei Mann schicken. Machst du das?«
»Natürlich!«
Der Doc dreht sich um und geht zurück. Es dauert nicht lange, dann brüllt nebenan Mikel Todhunter heulend nach dem Doc. Er jammert wieder über seine brennende Wunde, und Clanton macht grimmig die Zellentür auf.
Mikel liegt auf seiner Pritsche und heult ihn an. Er kreischt vor Wut und Grimm, daß er eingesperrt ist, beschimpft Allen auf die fürchterlichste Art und sagt heiser:
»Du Lump, du willst mein Vetter sein? Der Teufel soll dich holen! Aaah, der Alte wird mit der ganzen Mannschaft kommen. Noch nie hat ein Todhunter im Jail gesessen. Er wird dich in den Straßenstaub hämmern lassen und deinen Qrden von deiner Weste abreißen. Ich sage dir, er holt mich hier raus. Meine Hüfte brennt wie Feuer. Du verdammter Bursche, du hinterhältiger Schuft! Mich umzuschlagen und…«
Allen kommt an das Gitter heran und sagt grimmig:
»Wenn du noch weiter heulst, komme ich herein und werde dich verprügeln. Vielleicht bist du dann endlich ruhig. Willst du essen oder…«
»Aah, verhungern lassen willst du mich auch noch, was?« fragt Mikel giftig. »Du Hundesohn, ich sage dir, bring mir was zu essen, oder ich werde mich beschweren. Und Dad wird dir eine Tracht Prügel geben lassen, daß Clays Prügel dagegen ein Spaß waren.«
Er steht auf und kommt humpelnd und wütend die Fäuste schüttelnd an das Gitter heran.
Allen Clanton starrt auf die Pritsche und blickt unter sie. Er sieht auf die Decke und betrachtet sie genau, er sieht auch unter die Pritsche, aber er braucht nicht zu befürchten, daß Mikel eine Waffe versteckt hat. Er sieht keine und hat ihm alles weggenommen, vom Messer bis zu den Streichhölzern.
Und vielleicht sollte er ganz nach oben in die Düsterheit des Balkenwerkes blicken. Dort liegt, eingewickelt und noch nicht aufgebunden, der eingewickelte achtunddreißiger Colt.
Mikel tobt und flucht. Und Clanton geht aus dem Jail und wartet, bis das Essen kommt. Er nimmt es dem Keeper von Velopes durch das Fenster ab und bringt Mikel eine Portion an das Gitter.
»Los, komm her und iß!« sagt er gallig. »Mikel, mach dir keine Hoffnungen, ehe der Alte dich herausholt, lege ich dich auf die Nase. Und wenn es das letzte in meinem Leben ist, was ich tun kann.«
»Was?« fragt Mikel keuchend. »Du Hundesohn würdest auf einen Gefangenen, der unbewaffnet ist, schießen wollen? Aah, verdammt, hoffentlich schießen sie dich gleich über den Jordan. Verdammter Halunke, laß mich allein essen. Mir wird schlecht, wenn ich dich bloß sehen muß.«
Und dabei lügt er nicht einmal. Er denkt voller Wut und Haß an Allen Clanton, der ihn einsperrte und nicht auf seinen Namen Rücksicht nahm. Es ist das erste Mal, daß Mikel in einem Jail steckt. Und in seinem hochmütigen Verstand ist diese Demütigung schlimmer als eine anständige Tracht Prügel oder seine Verletzung.
Allen Clanton geht brummend aus dem Jail, läßt die Tür aber offen und beobachtet Mikel verstohlen, der sein Essen verschlingt wie ein Wolf.
»Daß du verdammter Mörder auch noch essen kannst«, sagt Clanton bitter, als Mikel nach mehr Fleisch schreit. »Du bekommst nicht mehr, das ist deine Ration. Hör auf zu brüllen, Mikel, ich komme sonst doch noch herein und verprügele dich.«
Mikel flucht heiser und wirft sich auf die Pritsche. Dort bleibt er liegen und beschimpft Allen eine Weile, bis Clanton die Tür zuwirft.
Mikel Todhunter bleibt liegen und starrt auf den Balken an der Decke. Er ist an den Querstangen der Gitterstäbe hochgestiegen und hat den Colt dort versteckt. Eine leichte Arbeit, obwohl es dabei in seiner Hüfte stach. Aber er hat den Colt dort in Sicherheit gebracht, denn auf der Pritsche ist kein Platz, an dem er den Colt lassen kann.
Suchend betrachtet er die an der Wand verschraubte Pritsche. Der Zwischenraum zwischen Wand und Holzgestell ist nicht breit genug, den Colt hineinzuschieben. Vielleicht würde es gehen, wenn er eine der Bolzenmuttern, mit denen das Holz an die Wand geschraubt ist, drehen kann, aber sie sind rostig und drehen sich nicht.
Er schielt aus wütenden und funkelnden Augen auf seine Gürtelschnalle und beginnt plötzlich abscheulich zu grinsen.
Mikel Todhunter hört draußen Allen mit jemandem reden, macht den Gurt auf, zieht ihn aus zwei Schlaufen und steckt die Schnalle auf die freistehende Mutter, an der ein Winkeleisen sitzt, das unten am Bein der Pritsche angeschraubt ist.
Und die Schnalle packt die Mutter wie eine Zange.
»Du sollst dich wundern, verdammter Schuft!« sagt Mikel zischend. »Verfluchtes Mistding, gehst du los?«
Er biegt, den Riemen kurzgefaßt, an der Schnalle, und die eine Mutter ächzt etwas, als sie sich zu drehen beginnt. Er dreht und dreht, dabei lauscht er, aber Clanton kommt nicht. Und schließlich hat er die Mutter fast ganz vom Gewinde, und der Zwischenraum ist groß genug für den Colt.
»Aah!« sagt er heiser. »Warte, du Halunke. Wenn sie vorn sind, werde ich hochsteigen und den Colt hier in die Ritze klemmen. Da siehst du ihn den Augenblick nicht. Und wenn du heraus bist… «
Er stiert auf seinen Bauchgurt, die Weste und denkt, daß der Colt, steckt er ihn nach hinten, von vorn nicht gesehen werden kann.
Das sollst du mir bezahlen, Vetter, denkt er giftig. Niemand schlägt Mikel einfach um und sperrt ihn ein. Das nennt sich Verwandtschaft. Die größten Halunken sind die eigenen Verwandten, alles, was wahr ist. Diese verdammten Clantons. Erst fressen sie unser Brot, leben auf unsere Kosten einen guten Tag und brauchen nichts zu tun. Und dann lochen sie mich ein. Das ist Dankbarkeit, was? Wer ist denn dieser mickrige Small-Rancher schon gewesen, he? So ein Drei-
Kühe-Rancher, was liegt an dem? Einer weniger, der uns die Rinder stiehlt. Und dafür sitze ich hier? Mann, dafür würden sie mich verurteilen und vielleicht sogar aufhängen: Clanton, du verdammter Schuft, ich werde dir zeigen, was es heißt, mich einzulochen. Warte es nur ab.
Er denkt an Isabell Clanton und an seinen Vater, der wütend wie selten wurde, als er sich ihr auf seine schäbige Art nähern wollte.
*
Der Vormittag vergeht ruhig. Und nur Clanton, der mit scharfen Augen ständig die Straße und den Hof beobachtet, ist unruhig.
Er wartet auf die Mannschaft der Flying-H, aber sie kommt nicht.
Es wird Mittag, und noch immer rührt sich nichts. Clanton wagt es nicht, das Office zu verlassen und hat den Karabiner, die Schrotflinte und seinen Revolver ständig griffbereit. Das lange Warten zehrt an seinen Nerven, er wird immer unruhiger und sieht einmal, es ist kurz vor Mittag, wie Ireen Clay aus dem Saloon drüben kommt und den Jungen an der Hand hat.
Sie kommt auf dem Gehsteig am Office vorbei, hält an und sieht Clanton bitter an.
»Clanton«, sagt sie leise. »Ich habe ihn in einen Sarg legen lassen, und morgen werden wir ihn begraben. Vielen Dank, daß Sie seinen Mörder eingesperrt haben, aber es wird schlimm für Sie werden. Überall sprechen die Leute von nichts anderem, als daß diese Stadt noch niemals ein Gesetz gesehen hat, mit einer Ausnahme, dem Gesetz des alten James Brian. Clanton, lassen Sie diesen Narren besser frei. Eines Tages wird er an den falschen Mann kommen, der ihn unter die Erde bringt. Warum wollen Sie Ihr Leben riskieren?«
»Madam«, sagt Allen Clanton düster, »ich trage hier einen Orden. Ich bin nur ein kleiner Hilfssheriff, weiter nichts, aber ich habe schließlich einen Eid geschworen. No, er bleibt da drin. Kümmern Sie sich besser nicht um mich.«
»Allen, Sie tun mir jetzt schon leid, denn Old James wird keine Rücksicht kennen. Er ist ein alter und stolzer Mann, der seinen Namen nicht in den Schmutz gezogen sehen will. Sie werden allein sein, allein und verloren.«
Er zuckt die Achseln und sieht ihr nach. Und er denkt, daß sie eine gute Frau ist.
»Nun gut«, sagt er bitter und macht das Fenster wieder zu. »Noch ist es nicht entschieden. Diese Stadt wird ein Gesetz haben, wenn sie es auch nicht denken. Verdammt, warum kommt der alte Bursche nicht?«
Er blickt besorgt auf die Straße und wartet. Und auf einmal, die Sonne steht im Zenith, und es riecht auf der Straße nach dem Essen, das überall gekocht wird, blicken zwei, drei Leute auf das Südende der Main Street.
Und im gleichen Moment weiß Clanton, daß dort die Entscheidung auf ihn zukommt. Dort kommt der alte James Brian Todhunter. Und seine Mannschaft wird bei ihm sein und das Jail umstellen.
Allen Clantons Gesicht verzieht sich bitter. Er sieht nach Süden, und die Leute rennen alle um den Straßenknick. Sie bleiben auf den Gehsteigen stehen, starren nach Süden, und Clanton lädt sein Gewehr klickend durch.
Und dann sieht er durch das Fenster den Schimmel des Alten kommen. Er sieht das große und hochgebaute Tier, von dem man sagt, daß kein anderes Pferd so schnell ist.
Dort kommt James Brian Todhunter, und an seiner Seite reitet sein Revolvermann. Clanton kneift die Augen zusammen.
Aber er sieht keine anderen Reiter kommen. Er sieht nur diese beiden Reiter und sonst nichts.
Der alte Mann hat seine Mannschaft zu Hause gelassen, oder sie kommt von hinten.
Mit einem wilden Satz fliegt Clanton nach hinten. Und nun, da die Entscheidung kommt, wird er eiskalt und ruhig. Aus schmalen Augen starrt er auf das andere Ende der Main Street, er sieht dort nichts, auch auf dem Hof und in der Gasse nichts.
Und er begreift es nicht.
»Verdammt!« sagt er heiser. »Er kommt doch nicht allein? Er hat vierzig Reiter im Sattel, was will er da allein hier? Wenn er wollte, könnte er das Jail auseinandernehmen. Wo hat er seine Mannschaft, verdammt?«
Die Mannschaft kommt nicht. Nur der alte Mann mit Clem Tuttle nähert sich mitten auf der Straße, und selbst die Leute, die in die Hauseingänge zurückweichen, sehen nichts von einer Mannschaft. Alles starrt nach Süden, wartet auf die Reiter der Flying-H. Und keiner begreift, daß der alte Todhunter allein kommt.
Er reitet, starr geradeaus sehend, mitten auf der Straße, und sein Pferd fällt in den Schritt. Seine rechte Hand hängt wie leblos über dem Kolben des Revolvers an der rechten Seite.
Neben ihm ist Tuttle, und auch
Tuttle ist wachsam und start aus schmalen Augen auf das Office. Sie kommen immer näher, sind keine zwanzig Yards mehr entfernt und Allen Clanton verläßt seinen Platz, von dem aus er den Hof überblicken konnte und geht nach vorn. Langsam stößt er das Fenster auf und hat sein Gewehr in der Hand. Die Mündung richtet sich auf die beiden Reiter, und der alte James Todhunter hält an. Auch Clem Tuttle hält und sagt dann ganz heiser:
»Nun, Allen, was willst du mit dem Gewehr? Suchst du noch jemand außer mir? Hier ist nur James Brian, und hier bin ich. Das ist alles.«
»Langsam!« sagt Allen scharf und richtet den Lauf des Gewehres auf Tuttle. »James, ich habe ihn im Jail, und er kommt nicht heraus. Was willst du? Komm nicht näher, ich muß sonst schießen!«
»Sei kein Narr, Allen«, erwidert der alte Mann grollend. »Ich hätte die Mannschaft nehmen können, aber ich will es noch nicht. Vielleicht werde ich es tun, aber ich will erst wissen, was du vorhast. Und dann will ich mit Mikel sprechen. Das ist mein gutes Recht. Was er getan hat, war ziemlich schlimm, aber ich denke nicht, daß es ausreicht, um ihm einen Prozeß zu machen. Clay hat gedroht, ihn umzubringen. Er hat es ziemlich laut gesagt, und jeder Mann hier weiß es. Vielleicht konnte Mikel nichts anderes tun, wie?«
»Es war Mord!« sagt Allen scharf. »Du kannst es diesmal nicht drehen, James. Wenn du mit ihm reden willst, dann komm herein, aber laß deine Waffen draußen. Komm allein!«
»Nur nicht so eilig«, erwidert der Alte grimmig. »Es geht hier um mehr als nur um einen Besuch. Jedes Wort kann Mikel schaden, und ich will einen Zeugen dabeihaben. Ich kann auch das verlangen! Nun, wie ist es, kann ich hinein?«
Allen Clanton sieht den Revolver des Alten und Clem Tuttles beide Waffen. Und er sagt sich bitter, daß der Alte irgendwo eine Waffe versteckt halten kann, die er im geeigneten Augenblick zieht.
»James, komm zuerst!« sagt er rauh. »Mach den Gurt ab und komm herein. Ich werde dich durchsuchen müssen, und Clem bleibt solange auf seinem Pferd. Ohne Waffe, James!«
»Nun, verdammt, ich habe noch nie meinen Revolver abgegeben!« sagt der Alte wild. »Ich bin kein Narr, daß ich es allein mit Tuttle versuchen würde. Die Mannschaft führt jeden meiner Befehle aus! Ich will nur mit Mikel reden.«
»Nichts zu machen, ohne deinen Gurt am Sattel hängen zu sehen, mache ich die Tür nicht auf«, erwidert Clanton heiser. »Ich will kein Risiko, James. Kommst du, oder willst du deinen Revolver behalten?«
Der Alte starrt ihn an, und jeder Mann sieht, wie er mit sich kämpft. Dann schnallt er fluchend den Gurt auf, und irgend jemand sagt heiser unter dem Gehsteigdach:
»Ich schätze, Clanton ist ziemlich schlau, was? Nun, der Alte schluckt es wahrhaftig.«
»Zum Teufel!« sagt der Alte barsch und sieht sich nach dem Sprecher um. »Wenn ich will, blase ich die Stadt in die Wolken. Halte deinen Mund, Giesbert, oder ich stopfe ihn dir bei Gelegenheit! Hier bestimme immer noch ich. Und nur, weil dieser Narr Allen sich weigert, bin ich friedlich. Allen, ich komme jetzt heran!«
Er steigt ab und macht zwei Schritt, als Allen scharf sagt:
»Halt, James, mach die Jacke auf! Ich will sehen, ob du keinen Colt unter ihr hast. Mach sie auf!«
»Oh, die Pestilenz!« knurrt der Alte wild. »Ich habe keinen. Da, ist das weit genug?«
Er macht die Jacke auf, hebt sie an, und jeder sieht, daß er keinen Colt hat.
Er will wirklich nur mit ihm reden, sagt sich Clanton überrascht. Und ich hatte immer gedacht, es sei ein Trick von ihm. Nun gut, er hat keinen Revolver, keine Tasche ist ausgebeult und hinten im Gurt steckt auch nichts. Und sein Hut?
»James, nimm den Hut ab!« sagt er kalt. »Los, mach es, ich will den Hut von innen sehen.«
»Du verdammter Narr!« brüllt der Alte grimmig. »Ich habe dir gesagt, ich will nur mit ihm reden! Ich habe keine Waffe bei mir! Und Clem wird auch keine versteckt halten. Ich will nur reden, Mensch. Soll ich mich hier auf der Straße vielleicht noch ausziehen? Ich sage dir, langsam reicht es!«
Er nimmt den Hut ab und zeigt ihn. Und er flucht dabei grimmig auf Allen, der die Schimpfkanonade ruhig über sich ergehen läßt.
Und dann kommt der Alte den Vorbau hoch, und Clanton tritt seitlich an die Tür. Er zieht mit der linken Hand den Riegel zurück, macht die Tür auf und einen Schritt nach vorn. Er bleibt in der Deckung der Tür, der Alte steht vor ihm und sieht ihn grimmig an.
»Umdrehen!« sagt Clanton scharf. »Dreh dich um und halte die Hände hoch, James! Ich werde dich durchsuchen. Steh still und versuche nichts.«
Er macht es geschickt, durchsucht ihn, indem er ihm den Colt in den Rücken drückt und ihn mit der anderen Hand abtastet.
»Vergiß die Stiefel nicht, Allen«, sagt Old James grimmig. »Vielleicht habe ich eine Kanone in ihnen stecken, wie? Nun los, diese Stadt wird mich verspotten, und ich weiß nicht, was ich schlechter vertrage als Spott. Hast du gedacht, ich würde meinen Neffen mit vierzig Mann angreifen und ihn zum Sieb schießen lassen? Allen, ich bin nicht Mikel. Und verdammt soll der Tag sein, an dem er Clay in die linke Brustseite schoß. Ich will keinen Krach mit dem Gesetz, aber ich will eine Chance für ihn. Bist du bald fertig?«
»Fertig«, erwidert Clanton kühl. »James, ich hatte dir gesagt, wohin es mit ihm gehen wüde. Jetzt ist er da. Und wenn er viel Glück hat, wird es nur Totschlag sein. Vielleicht kommt er mit zehn Jahren davon.«
Er schiebt ihn nach rechts, läßt ihn nicht in den Raum hinein, und der Alte bleibt knurrend neben der Tür an der Wand stehen.
Auf der Straße steht Clem Tuttle, hat seinen Doppelgurt an den Sattel seines Rappen gehängt und entledigt sich der Weste.
Und der Revolvermann grinst auf die bittere und freudlose Art Allen an. Er dreht seine Taschen um und zuckt die Achseln.
»Nun?« fragt er heiser. »Clanton, du tust mir verdammt leid. Ich habe keinen Revolver, ich habe gar nichts bei mir, was eine Waffe sein könnte. Und mit den Fäusten gegen dich zu marschieren, wäre meine Garantie für einen Nasenbeinbruch. Bist du zufrieden? Ich ziehe mich auch aus, wenn du willst.«
»Clem, laß die blöden Scherze«, sagt der Alte grimmig. »Keiner von uns hat eine Waffe. Ich schwöre es sogar, Allen! Kann man jetzt hinein, oder…«
»Sicher«, sagt Clanton ruhig und geht rückwärts, in der rechten Hand den Colt, mit der linken Hand die Zellentür aufstoßend, in den Bau hinein. »Kommt nur herein. Aber ich sage euch, eine krumme Melodie, und ich spiele auf meinen Eisen dazu. Nun gut, kommt herein, aber bleibt vom Regal weg.«
Er deutet mit dem Colt auf das Regal, in dem drei Karabiner und zwei Gewehre stehen. Der Alte blickt erst gar nicht hin, er sieht auf den Zellengang und geht schnell durch die Tür. Clem Tuttle folgt ihm etwas langsamer, hält aus alter Gewohnheit die Hände vom Körper ab und lehnt sich an die Gitterstäbe vor der rechten Zelle.
Links hat sich Mikel bis an das Gitter geschoben und kneift einmal leicht das linke Auge zu. Sein Gesicht ist wieder mürrisch, als Clanton, der erst die Officetür verriegelt hat, hereinkommt und mitten in der Tür stehen bleibt.
»Mikel, was hast du da angestellt?« fragt der Alte keuchend und schüttelt wütend seine Faust. »Hast du gedacht, ich komme mit der Mannschaft und fange einen Krieg an? Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht, auf Clay zu feuern, ohne ihm eine Chance zu lassen? Antworte! Hattest du Angst, daß er dich umbringen würde, oder was war es sonst?«
»Ich – ich«, sagt Mikel stotternd. »Dad, ich sah seinen Colt, und er hatte gedroht, ich würde kalt und steif sein, ehe er ginge. Als er sich leicht umdrehte, ruckte sein Colt hoch. Ich dachte, er würde schießen und Allen tricksen. Und da drückte ich ab. Es war fürchterlich. Er hatte erst Sharp und dann Walburn mit Meehan erwischt, und dann kam er zu mir. Er sah wie ein Mörder aus. Ich drückte einfach ab, weil ich dachte, er würde tricksen.«
»Oh, verdammt«, sagt Allen Clanton bitter in der Tür. »Er hatte den Revolver nicht mehr auf dich gerichtet. Der Colt zeigte ganz woanders hin. Du hast ihn kaltblütig erschossen, du Mörder! Versuche nur nicht, es auf diese Art zu drehen. Er ließ dir jede Chance und hätte es nicht nötig gehabt. James, er redet sich heraus. Aber es gibt genug Zeugen, die es gesehen haben.«
Der Alte sieht sich knapp um und starrt auf die beiden Revolver in Clantons Händen. Sein Gesicht verzieht sich, und seine Stimme grollt, als er zu Mikel sagt: »Du denkst, ich kann die Zeugen beseitigen, was? Das denkst du doch, wie? Du hast also auf ihn geschossen, als er gar nicht daran dachte. Weißt du, daß Ford dasselbe sagte? Und jeder andere Mann, der dabei war, wird es auch sagen. Mikel, diesmal bin ich nicht da, um dich herauszuhauen. Diesmal wirst du hier sitzen und auf den Richter warten. Du hattest Angst vor Clay, das rettet dich vielleicht vor dem Galgen. Es war fast Notwehr, denn sicher hätte er dich umgebracht, ob Allen zusah oder nicht. Nun gut, ich werde mit Braddock reden, wenn er kommt. Und wenn du fünf Jahre in ein State-Jail wanderst, es wird dir eine Lehre sein. Halte den Mund, fang nur noch an zu flennen wie ein Weib. Du hast es dir eingebrockt, und ich hatte dich ermahnt, endlich vernünftig zu werden. Sorry, Mikel, jetzt sieh zu, daß du dir selber hilfst.«
Er dreht sich wütend um, und Mikel sagt schrill vor Angst:
»Du mußt mir helfen, Dad. Ich verspreche auch, ich werde mich bessern. Dad, du kannst den besten Anwalt holen und mit Braddock reden. Dies ist alles allein Allens Schuld. Er hätte es zur Schießerei kommen lassen sollen. Vielleicht…«
»Vielleicht könnte ich jetzt deinen Sarg dann besuchen, was?« fragt der Alte bissig. »Genug, ich bleibe in der Stadt, bis Braddock kommt. Vielleicht stellt er dich gegen eine Kaution frei.«
»Er wird ihn nicht gegen hunderttausend Dollar auf freien Fuß setzen«, murmelt Allen Clanton knapp.
»James, es war Mord. Vielleicht sieht man einen Milderungsgrund darin, daß er tatsächlich von Clay umgebracht worden wäre. Aber eine Kaution, ich werde nicht eine solche befürworten. Hast du noch was zu sagen?«
»Nein!« sagt der Alte grimmig. Er geht stampfend los.
Hinter ihm schreit Mikel gellend:
»Du mußt mir helfen! Ich bringe mich um, ich bringe mich um, wenn du…«
»Aah, zum Teufel!« sagt der Alte grimmig und tritt aus der Tür. »Er ist durch und durch feige. Und wenn er keine Lehre bekommt, dann wird aus ihm nie etwas. Komm schon, Clem, ich bin hier fertig.«
Clem Tuttle kommt aus dem Raum und wirft mit dem Fuß die Tür hinter sich zu. Und innen heult Mikel wie ein Hund, der mondsüchtig ist und verrückt wird.
Allen Clanton steht an der anderen Wand und sieht James Todhunter bitter an. Er sieht, wie der Alte mit sich kämpft, noch umzudrehen, aber der alte Mann schüttelt langsam den Kopf und sagt tonlos:
»Allen, ich helfe ihm nicht. Ich werde bei der Verhandlung für alles sorgen, aber er muß seine Lehre haben. Auf eine Art bin ich dir sogar dankbar, daß du ihn eingesperrt hast. Er wird für sein ganzes Leben eine Heidenangst vor dem Jail bekommen. Allen, laß ihn brüllen. Er ist viel zu feige, um sich etwas anzutun. Wann kommt Braddock?«
»Gegen vier Uhr. In etwa drei Stunden«, sagt Clanton heiser. Aber er behält die beiden Eisen in der Hand und läßt Tuttle nicht aus den Augen.
»Boß, vielleicht ist er nicht zu feige, sich was anzutun, wie?« fragt Tuttle düster. »Willst du wirklich…«
»Es ist genug«, sagt der alte Mann bitter. »Er taugt nicht viel, das wußte ich schon immer, aber man schießt keinen Mann in den Rücken, wenn man kein Schuft ist. Zum Teufel, laß ihn eine Weile heulen, er ist jetzt schon still und denkt nach. Soll er nachdenken, davon wird er nicht schlechter.«
Er sieht Allen bitter an und geht auf die Tür zu. Als er an der Tür ist, bleibt Tuttle, der hinter ihm geht, mit einem Ruck stehen.
»Boß«, sagt er heiser, »was war das? Da hat es doch gepoltert. He, was war das?«
In der Zelle klirren die Stäbe und poltert es. Der Krach verstummt jäh, und Allen Clanton dreht sich scharf um. Einen Augenblick zaudert er, sieht dann Tuttle an und sagt scharf:
»Los, da hängen die Schlüssel! Nimm sie, Clem, und dann den Gang zurück! Verdammt, was poltert da? Los, du auch, James!«
Er packt den Alten an der Schulter. Tuttle nimmt die Schlüssel vom Haken und reißt die Tür auf. Der Alte stürmt in den Zellengang, Clem ihm nach. Hinter ihnen kommt Clantan und hat beide Revolver schußbereit in den Händen.
In der Zelle hängt Mikel Todhunter an seinem Riemen. Sein Gesicht ist krebsrot, seine Augen quellen ihm aus den Höhlen, und seine Stiefelabsätze schlagen gegen die unterste Quersprosse der Rundstäbe. Sie suchen Halt, stoßen gegen das Eisen und zucken wild.
»Schnell!« sagt Clanton heiser und keucht scharf. »Schließ auf, Clem. Dieser Narr, er ist wirklich nicht zu feige. He, er wird schon blau. Mach schnell, Mann!«
»Mikel, Mikel!« brüllt der Alte schrill und rüttelt wild an der Tür. »Mikel, du Narr, was machst du denn? Clem, schnell doch, er erstickt.«
Clem Tuttle steckt den Schlüssel in das Vorhängeschloß, reißt die Kette auseinander und wirft die Tür auf. Er stürzt in die Zelle hinein, der Alte ihm nach, und Tuttle sagt keuchend:
»Ein Messer, schnell, ein Messer. Ich muß ihn abschneiden. Der Narr ist auf die Pritsche gekettet und hat sich fallenlassen. Zum Teufel, schnell ein Messer.«
»Weg von ihm!« sagt Clanton scharf. »In die linke Ecke, Clem!
James, in die Ecke! Ich schneide ihn schon ab. Los, in die Ecke mit euch!«
Er wirbelt herum, richtet seinen Colt auf die beiden Männer, und Clem springt fluchend in die andere Ecke der Zelle zurück. Der Alte hastet ihm nach und ist aschgrau im Gesicht.
Und wenn er noch so gut schauspielern könnte, jetzt hat er wirklich um Mikel Angst.
Allen Clanton springt mit einem Satz auf die Pritsche, zieht mit der linken Hand das Messer heraus und hält in der rechten den Revolver. Er holt mit dem Messer aus, ein kräftiger Schnitt, und der Hosenriemen Mikels zerreißt.
Mikel Todhunter fällt auf die Pritsche. Er würgt schrecklich, wirft sich hin und her, und der Alte sagt keuchend aus der Ecke:
»Mach doch was, mach doch was, Allen. Er erstickt ja, er würgt fürchterlich. Mach was, Allen!«
Allen Clanton springt von der Pritsche hinab auf den harten Adobeboden und beugt sich über Mikel, er hebt ihn hoch, damit er sitzen soll und Mikel verdreht die Augen. Er versucht sich nach hinten zu stützen, fällt wieder um, und seine rechte Hand bleibt auf dem Rücken.
»Verdammt, hoch!« sagt Clanton scharf. »Mann, was machst du für Geschichten? Du kannst doch nicht…«
Er packt Mikel wieder, will ihn hochziehen und hat die rechte Hand frei. Und da sieht er auf einmal, wie Mikels rechte Hand hinter dem Rücken herauskommt. Er sieht entsetzt den Colt 38 in Mikels Hand, und der Colt sticht wie eine Lanze nach oben.
»Schlagen!« brüllt Clem Tuttle heulend los. Und dann macht Tuttle einen Satz auf Clanton zu. »Schlagen!«
Mikel Todhunter schlägt nicht. Er würgt plötzlich nicht mehr. Er verdreht auch nicht mehr die Augen. Er reißt den Colt hoch, und Clanton führt einen verzweifelten Abwehrhieb auf den Revolverarm zu.
Im nächsten Augenblick sitzt ihm die Mündung an der Hüfte und rutscht bei dem Schlag hoch.
Und dann hört er den brüllenden Knall unter sich, der Schlag trifft seine linken Rippen, und Clem Tuttle springt ihm gegen die Beine.
Der Schuß dröhnt wie ein Kanonenschlag durch das Jail und bricht sich an den Wänden.
Allen Clanton zuckt zusammen, wird zurückgestoßen und sieht Mikels Hand hochfliegen.
Er will sich noch drehen, feuert blindlings und ungezielt auf Mikel, aber der schlägt seinen rechten Arm hoch, krallt seine Finger in seinen Arm und reißt ihn nach vorn.
Im gleichen Augenblick prallt auch schon Tuttle an seine Beine und reißt ihm die Beine weg. Er kracht auf den Boden, der Colt fliegt ihm aus der Hand, und als er links nach dem anderen Eisen greifen will, wirft sich Tuttle auf ihn, und Mikel taucht über ihm auf.
»Der Hund!« sagt Mikel keuchend und schrill voller Haß. »Mich sperrst du nicht wieder ein!! Da hast du es!«
Und er schlägt mit dem Colt zu.
Allen Clanton sieht ein Feuerwerk, er sieht Sonnen- und Feuerräder, einen tiefen Trichter, und der Schmerz bringt ihn fast um. Er hört den Alten wütend brüllen:
»Du verdammter Idiot, wer hat dir gesagt, daß du schießen sollst? Den Revolver weg, hör auf, du schlägst ihn tot! Hör auf, ich sage dir.«
Und die Welt geht für Clanton in einer donnernden Explosion unter. Er fällt und fällt und prallt irgendwo auf. Und dann weiß er gar nichts mehr.
Keuchend richtet sich Clem auf und greift blitzschnell zu. Er erwischt Mikels Hand mit dem Revolver und reißt Mikel mit einem Ruck herum.
Der Revolvermann schlägt den Arm Mikels zweimal kurz über die Kante der Pritsche, und Mikel brüllt schaurig.
»Du Narr, ich werde dich lehren, nicht genau das zu tun, was man dir sagt!« faucht Tuttle scharf. »Du verdammter Narr, weißt du, daß du jetzt das Gesetz selber gegen dich hast? Warum schießt du ihn in die Hüfte, he? Warum, du Narr? Heulst du noch?«
Er holt aus, packt Mikel an den Hüften und schleudert ihn fluchend in die andere Ecke. Mikel prallt an die Stäbe, fällt zu Boden und bleibt dort keuchend sitzen. Und der alte James sagt bissig:
»Du schießt! Du mußt alles immer nach deinem Kopf machen, was, mein Sohn? Ich will dich lehren, deinem Vater zu gehorchen. Das war schon längst fällig!«
Er reißt ihn hoch, und es ist erstaunlich und erschreckend zugleich, welche Kraft der alte Mann hat. Er stellt Mikel hin und holt aus.
Und Mikel bekommt zwei derartige Maulschellen von der knotigen und schwieligen Hand des Alten, daß er von einer Seite zur anderen fliegt.
Er macht ein Gesicht wie ein verstörtes Kaninchen, dem ein anderes das beste Blatt Kohl entführt und setzt sich auf die Pritsche.
»Clem, raus!« sagt der Alte heiser. »Nimm seine Schrotflinte mit nach draußen. Ich wollte keine Schüsse, verdammt. Dieser grüne Narr mußte schießen. Verwundet einen Deputy, feuert auf seinen Vetter. Junge, ich könnte dich fast erschlagen, damit du es weißt. Sitz still, du Idiot, sitz nur still! Los, Clem!«
Clem Tuttles Gesicht ist kalt und hart, als er aus dem Jail stürmt und im Office die Schrotflinte an sich reißt. Dann stößt er die Tür auf, sieht eine Menge von Leuten draußen und hebt langsam die Flinte an.
Die Leute weichen bei seinem Anblick murrend zurück, zerstreuen sich aber nicht und sind noch fast an den beiden Pferden.
»Haut ab!« sagt Tuttle peitschend. »Los, verschwindet, ich drücke sonst ab. Hinter dem Hügel ist die halbe Mannschaft. Ist in einer Minute die Straße nicht leergefegt, werdet ihr laufen lernen! Weg mit euch!«
Er steht kalt und hart auf dem Vorbau, und allein die Drohung, daß die halbe Mannschaft der Flying-H hinter dem ersten Hügel vor der Main Street ist, läßt die Leute auseinanderrennen.
Schräg gegenüber ist der Last Penny, und Clem Tuttle tritt aus dem Schatten des Vorbaudaches in die Sonne. Die Sonne bricht sich auf den beiden Läufen und bescheint seine linke Hand, die um den Läufen liegt. Drüben steht Duncan Velopes und flucht unterdrückt.
»Duncan, die Tür zu und weg!« sagt der Revolvermann. »Eins, zwei…«
Duncan Velopes springt mit einem Fluch hinter die Tür, und ein anderer Mann, der neben ihm stand, hechtet ihm nach.
Die Straße ist in einer halben Minute leergefegt, und Clem Tuttle bleibt abwartend auf dem Vorbau stehen.
»Es ist ruhig, Boß!« sagt er kalt. »Ist Allens Verletzung schlimm?«
»Kaum, die Kugel ist an den Rippen abgeprallt und hinten wieder hinausgefahren«, sagt der Alte im Office. »Ich verbinde ihn notdürftig. Was ist mit den Schlüsseln?«
»Warte, ich komme hinein«, sagt Clem kühl und nimmt den Revolver aus dem Halfter. Er hebt ihn hoch und feuert dreimal in den Himmel.
Erst dann dreht er sich um, geht in das Office hinein, sammelt Clantons Revolver ein und hilft dem Alten, Clanton auf die Pritsche zu legen. Der Deputy ist verbunden und atmet keuchend.
»Du nimmst deinen Gurt und wartest!« sagt der Alte fauchend zu Mikel. »Los, Mark kommt mit den Pferden, dein Gaul ist auch dabei! Schließ zu, Clem!«
»Gleich«, sagt Clem heiser und nimmt die Handschelle hoch. »Es ist besser, ich schließe ihn an, was?«
Er schließt Clantons linke Hand an die Gitterstäbe und steckt den Schlüssel ein. Dann zieht er auch den Schlüssel aus dem Vorhängeschloß der Zelle, rüttelt an der Gittertür und nickt grimmig.
Sie gehen in das Office, verschließen auch die Tür zum Zellengang, und Mikel legt sich seinen Gurt um.
»Fang wieder was an, was in deinem blöden Kopf entsteht, und ich bringe dich eigenhändig um!« sagt der alte James wild. »Raus jetzt, da kommt Mark mit den Pferden.«
Auf der Straße kommt Mark Devon mit vier gesattelten Pferden an und sagt pulvertrocken:
»Hier bin ich, Boß. Und da sind die Pferde. Was ist mit der Mannschaft?«
»Sie besetzt die Stadtausgänge, bis wir weg sind und zieht sich dann zurück«, sagt der Alte knapp. »Los, Sohn, auf dein Pferd!«
»Und wohin dann?« fragt Mikel keuchend. »Warum für jeden zwei Pferde?«
»Weil es bis Mexiko ein weiter Weg ist, du Narr!« erwidert der Alte grimmig. »Fast ein Tagesritt bis Zaragoza. Jetzt weißt du es. Ich habe alles riskiert, aber du kannst nicht in den Staaten bleiben. Clem wird mit dir kommen, wohin du auch gehst. Du wirst ihn nicht mehr los. Fertig, aufsitzen!«
Er sieht Clem an, der alle Jailschlüssel an einem Bindfaden hat und sie einsteckt. Dann sitzen sie auf, Mark Devon zieht sein Pferd herum, und der Alte und Clem nehmen Mikel in die Mitte.
Das Jail ist verschlossen, die Schlüssel hat Clem Tuttle, und es wird lange dauern, ehe man Clanton herausholen kann. Das ist zumindest sicher, denn der Schmied wird alles aufbrechen und die Handschellen zerschlagen müssen.
Unter donnerndem Hufgeräusch jagen die drei Reiter aus der Stadt, und der Mexikaner Velopes sagt grimmig:
»Valgame Dios. Da reiten sie. Und keiner holt sei ein! Damnato«
Die drei Reiter jagen auf den Fluß zu und sind in der Furt, als Clem
Tuttle die Schlüssel nimmt und sie in den River feuert.
»Well!« sagt er kalt. »Jetzt sollen sie suchen! Boß, sie bekommen uns nicht mehr, das schaffen sie nicht. Vorwärts, schneller!«
»Was soll ich in Mexiko?« fragt Mikel giftig. »Dad, was soll ich da?«
»Arbeiten!« erwidert der Alte grimmig. »Ich habe schließlich Freunde dort. Und bei denen wirst du lernen, wozu ein Mann seine Hände hat. Deine waren nur dazu da, Mädchen zu streicheln. Jetzt streichelst du Rinder, mein Sohn. Los, weiter!«
Und am Flußufer, halb verdeckt von den Büschen, zieht Ireen Clay ihren Jungen an sich. Sie deutet auf die Furt und sagt verstört:
»Mein Gott, dann waren es doch die Schüsse für Clanton. Was haben sie da hineingeworfen? Es sah wie Schlüssel aus. Sie werden doch nicht etwa…«
Sie nimmt ihren Jungen und hastet zur Stadt zurück. Und als sie hinkommt, sieht sie die ersten Leute am Jail die Tür zertrümmern und den Schmied mit einer Brechstange wuchten.
»Was ist passiert?« fragt sie Velopes, der wild gestikulierend auf die Männer einredet. »Wo ist Clanton?«
»Wir hörten einige Schüsse, und dann kam Tuttle heraus«, sagt Velopes grimmig. »Er hat Mikel tatsächlich heraugeholt. Der Teufel mag wissen, wo sie den Colt versteckt hatten. Clanton muß da drinnen sein, er hatte sie genau untersucht. Schlagt die Tür ein, sie haben die Schlüssel mitgenommen.«
»Halt!« sagt Ireen spröde. »Mr. MacLeod, halten Sie ein. Sie ritten durch die Furt, und Clem Tuttle warf einen Bund Schlüssel in den Fluß. Ich kenne die Stelle. Schnell, jemand muß sie herausholen.«
Der Schmied wirft die Brechstange hin, schwingt sich auf den nächsten Gaul und hebt Ireen einfach hoch.
»Kommen Sie mit, Lady!« sagt er brummend. »Ich finde sie schon. Nun los, sitzen Sie fest genug?«
»Ja«, sagt sie erschrocken. »Mr. MacLeod, ich…«
Er reitet an und kommt zum Fluß. Und dort läßt er sie hinunter und reitet hinein.
»Wo?« fragt er knapp. »Hier«
»Noch ein Stück weiter«, sagt sie heiser. »Mehr nach links, Mr. MacLeod, noch ein Stück. Ja, da muß es gewesen sein.«
»Ein Glück, daß das Wasser klar ist«, sagt MacLeod grimmig, springt in das Wasser und hat die Schlüssel bald erwischt. »Lady, kommen Sie nach.«
Er reitet los, und als Ireen mit wankenden Knien wieder vor dem Qffice ist, sieht sie Allen Clanton aus dem Bau kommen. Er hat die Hüfte verbunden und seinen Gurt wieder um.
»Vielen Dank, Ireen«, sagt er leise und sieht sie seltsam an. »Es war ein Zufall, ich weiß, aber sie hätten eine halbe Stunde gebraucht, um mich loszubekommen. Duncan, kann ich deine Stute haben?«
»Aber, Allen, ich dachte…«
»Schon gut, Lady«, sagt er heiser. »Sie sind prächtig, ich möchte das noch sagen, ehe ich reite.«
»Aber Sie sind verletzt«, sagt sie gepreßt.
»Es wirft mich nicht um«, erwidert er bitter. »Duncan, was ist? Ich brauche noch zwei Pferde, Ismay, du hast die besten Pferde in der Stadt, ich nehme die beiden besten. Los, verschwinde, sattle sie. Wenn Ben Braddock kommt, kommt er mit der Stagecoach. Leute, Ruhe!«
Sie fragen ihn im wirren Durcheinander, woher Clem Tuttle den Colt hatte, und er sagt kühl:
»Sie hatten wirklich keinen, aber Mikel hatte ihn und schoß auf mich. Woher, weiß ich auch nicht. Ich habe ihn durchsucht und nichts gefunden. Er müßte ihn durch das schmale Fenster hereingeworfen bekommen haben. Unter der Pritsche lag ein Fetzen Tuch, es wird schon so sein. Los, die Pferde her!«
Er geht zum Hof, sattelt sein Pferd und wartet auf Velopes und Ismay. Die Männer kommen nach wenigen Minuten mit den Pferden, er nimmt sie an die Longe und blickt auf die Uhr.
»Sie haben zwanzig Minuten Vorsprung«, sagt er heiser. »Nun gut, es wird noch mehr werden, aber ich schaffe es. Und wenn ihr eure Pferde nicht wiederseht!«
Er sieht sich noch einmal um, sieht Ireen Clays unruhige Augen auf sich liegen und springt in den Sattel. Und dann jagt er an und braust aus der Stadt, die Pferde hinter sich.
Und die Stadt sieht ihn verschwinden, die Hügel jenseits des Penasco Rivers schlucken ihn.
Und das letzte Zeichen, ist die Staubwolke, die über dem Hügel niedersinkt.
Irgendwo in südwestlicher Richtung jagen drei Männer auf den Rio Grande zu. Sie werden den Tag und die Nacht brauchen, ehe sie den Grenzfluß erreicht haben. Die Berge versperren ihnen den Weg, und sie wissen, wie lang der Weg sein wird.
Irgendwo nach Westen, mit einer kleinen Schwenkung nach Süden, treibt auch Allen Clanton sein Pferd an und hält sich auf der Straße. Er gewinnt dadurch mehr Boden, als wenn er über das offene Land reiten müßte. Und er hofft, daß er die Stagecoach erreicht und Ben Braddock, der Richter aus Alamogordo, in ihr ist.
Niemand weiß, ob er Glück haben wird. Niemand sieht ihn reiten, und kaum ein Mann sieht die Spur der drei anderen Männer.
Der Ausgang dieser Sache ist völlig offen.
Vielleicht schafft Allen Clanton es. Vielleicht sieht er noch die Fährte der drei Reiter im Ufersand des Rio Grande, das Zeichen, daß er zu langsam war.
*
Sie kommen in dem ungewissen Grau des Morgens durch das Buschland und hocken zusammengesunken auf ihren Pferden.
Zwischen den Büschen ist Nebel, zerflattern träge die Schwaden und zirpen die ersten Frühgrillen.
Der alte Mann hat den Kopf gesenkt, und die Müdigkeit spürt er stärker als die anderen beiden. Soll ich lachen, oder soll ich fluchen? fragt er sich bitter. Ich, James Brian Todhunter, wie ein Dieb, wie ein Bandit auf der Flucht. Ich bin fast sechzig Jahre alt geworden und hatte nie die Idee, daß ich eines Tages reiten müßte wie ein Rustler – scheu – vorsichtig und immer nach hinten blickend. Und das alles nur wegen Mikel.
Er blickt zur Seite und sieht Mikel im Sattel hängen. Eine schlaffe Figur, ein noch jämmerlicherer Sattelsitz, als ihn der Alte nach dem Gewaltritt hat. Er ist zu weich, er ist nicht hart genug, es durchzuhalten. Und der alte Mann verzieht bitter die Mundwinkel.
Er hat immer alles in seinem Leben allein gemacht, er hat die Ranch hochgebracht, daß sie zur größten Ranch auf achtzig Meilen in der Runde wurde. Und dann hat er seinen Sohn allein und ohne Hilfe seiner Frau erzogen. Alles, was er tat, ist sein Wille und sein Werk gewesen und geworden. Und auf einmal bereut er, daß er Mikel mit Gewalt aus dem Jail holte. Er braucht ihn nur wie einen trägen und faulen, weichen und ganz haltlosen Schwächling so im Sattel sitzen zu sehen, dann läuft ihm die Galle über.
»Sitz gerade, Mikel,« sagt er heiser. »Bist du schlapp, he? Kannst du nicht mehr? Ich kann noch! Und ich bin dreißig Jahre älter als du. Reiß dich zusammen, Bengel!«
Clem Tuttle wendet leicht den Kopf und zwinkert mit den Augen. Der
dunkle Bartanflug auf seinem Gesicht, unrasiert, staubbedeckt, macht ihn viel älter und müder, als er ist.
»Wir sind bald da«, sagt er heiser. »Da vorn, noch drei Meilen. Gleich, wenn sich der Nebel lichtet, werden wir es sehen! Zwei Hügel noch, dann kommt die Ebene, Büsche auf ihr und Gras! Sitz besser, Mikel!«
»Aah, meine Wunde«, sagt Mikel klagend. »Es brennt wie Feuer. Ihr seid ja nicht verwundet worden. Euch macht das ja nichts aus! Ich sitze, wie ich will.«
»Ich schlage dir die Faust ins Kreuz«, sagt der Alte jähzornig. »Sitzt du jetzt richtig, du Waschlappen! Ich werde Miguel Matadores sagen, daß er dich an die Kandare nimmt. Und Clem wird auch auf dich achten. Sitzt du jetzt?«
»Ja, ja doch«, mault Mikel und schielt Clem giftig an. »Wir sind gleich drüben, und ihr habt nichts getan als nur mit mir gemeckert. Ich kann reiten, das wißt ihr, aber die Wunde.«
»Ein lumpiger Kratzer«, faucht der Alte bitter. »Es wird heller, nun gut. Ich komme mit nach drüben. Sieh dich mal um, Clem.«
»Hinter uns ist niemand«, erwidert Clem heiser. »Ich sehe schon die ganze Zeit nach hinten. Es ist nichts. Reiten wir schneller, was?«
Sie treiben die fast ausgepumpten Pferde wieder an und jagen den Hügel hoch.
Im Osten greift das Morgenrot über den Horizont, die Sonne kommt und mit ihr der Wind, der den Nebel teilt. Die Sicht vergrößert sich auf einige Meilen, und das Land hinter und vor ihnen ist leer. Keine Seele zu erblicken. Nur hoch am Himmel, angestrahlt von der Sonne, kreisen zwei Geier lautlos über dem Fluß.
»Etwas nach rechts«, sagt Tuttle heiser. »Da ist die Furt, Boß. Hinter den beiden Bäumen da.«
Sie kommen durch das Tal, den nächsten Hügel herauf und sehen den Fluß blinken. Und das Ufer fällt steil ab, zum Rio Grande.
Die Pferde traben auf die beiden Bäume zu, und der Alte blickt mürrisch auf seinen Sohn. Er sieht drüben, am anderen Ufer, die Schilfhütte, eine runde Lehmwand und zwei magere Kühe in einem Stangencorral.
»Eine Hundehütte«, sagt Mikel gehässig. »Genauso ein dreckiges Loch wie das von Clay! Na gut, gleich sind wir da!«
Und der Wind läßt die beiden Maulbeerbäume am River mit den Zweigen rauschen und das Gras sich legen.
Der Karabiner des schwarzhaarigen und schlanken Mannes, der dicht an der Böschung des Flußufers kauert, richtet sich langsam auf Todhunters Grauen.
Neben ihm kauert der zweite Mann und hat das Gewehr locker in der Hand.
Hinter ihnen schnauben vier Pferde, und ihr Fell glänzt von Schweiß. Die Pferde zittern immer noch und sind für Stunden fertig.
Ganz hinten, jenseits des Flusses, öffnet sich die Brettertür knarrend, die den Eingang zur Hütte verschließt.
Heraus kommt ein Mexikaner, der eine zerlumpte Hose und ein zerrissenes Hemd am Leibe hat. Von seinem breitrandigen und spitzkronigen Hut hängen die Bastfäden herab, und Schuhe besitzt der Mexikaner gar nicht.
»Sole oro!« sagt der Mexikaner und blickt auf den goldenen Ball der Sonne, die über dem Hügel drüben steht. »Goldene Sonne, sehr schöner Tag heute. Ich werde fischen im Fluß. Hasta manana. Que?«
Er blickt gegen die Sonne und sieht die drei Punkte.
Und der schmutzige Mexikaner, der in Hemd und Hose auf einer einfachen Schilflagerschicht schläft wie ein Tier, sieht auf diese Punkte, die auf den Fluß zukommen.
»Por dios, los Americanos?«
Er ist allein an einem Fluß, der träge sein lehmgelbes Wasser auf die Flußkrümmung zu und die Schnellen bei San Elizario wälzt.
Die Sonne blendet ihn schon, obwohl sie noch leicht verschleiert ist.
Und als er mit den Augen zwinkert, sieht er die vier Pferde unterhalb der steilen Uferböschung und die Kronen der Bäume, die gerade über das Ufer ragen.
Sein erschreckter Blick bleibt auf den beiden Männern liegen. Er sieht, daß sie Gewehre haben, und er blickt auf das gekräuselte Wasser an der Furt, die genau an seiner Lehmhütte endet.
»Banditos!« sagt er heiser und denkt das, was jeder Mexikaner am Fluß denkt.
Dort kommen drei Flüchtige, wie viele Flüchtige hier ankommen und über den River gehen. Und zwei Männer warten auf sie.
Der Mexikaner sieht, wie der eine Mann sich umdreht. Er sieht den Stern an dessen Brust selbst auf die Entfernung von zweihundert Yards funkeln. Und er möchte brüllen, will rufen, denn man liebt die Gringos von drüben nicht, und schon gar nicht die Sheriffs. Jeder Flußmexikaner ist ein kleiner Bandit, ein Schmuggler, ein Schacherer und Händler mit harten Dollars, wenn sich eine Gelegenheit bietet.
Viele Dollars, wenn ich sie warne, denkt er. Sie werden Jaime dankbar sein, was? Und Jaime kann Mescal trinken. Eine Menge Mescal, vielleicht auch eine neue Hose kaufen.
Er sieht an sich herunter und denkt, seine Hose hält noch etwas, wenn er die Fetzen zusammenzieht.
Und dann rudert er mit den Händen und brüllt. Er springt hoch und schreit gellend:
»Da vorn Sheriff. Umdrehen, Amigos, umdrehen! Pronto, adelante, umdrehen! Eine Falle!«
Er schreit, und die drei Reiter sind hundertfünfzig Yards vom Flußufer entfernt.
Sie hören es etwas verzerrt, aber verstehen können sie es nicht. Clem Tuttle hebt den Kopf und sieht dort drüben einen zerlumpten Mann stehen.
Er sieht, daß dieser Mann mit den Händen rudert und abwinkt. Und er denkt zuerst, der zerlumpte Mexikaner ist verrückt geworden oder betet in der Art seiner Vorfahren die Sonne an.
»Halt!« sagt er auf einmal mißtrauisch. »Boß, anhalten! Warum winkt dieser Bursche? Sieht es nicht aus, als wenn er uns winkt, nicht zum Fluß zu reiten? Boß, was will der Kerl da?«
»Wo?« fragt der Alte und kneift die Lider zusammen. »Da bewegt sich was, aber ist es ein Mann?«
»Es ist einer, deine Augen sind zu schwach, Boß«, sagt Tuttle heiser. »Verdammt, was… Vorsicht, da, an den Bäumen! Vorsicht, ein Gewehrlauf…«
Er sieht auf einmal das Blinken und reißt sein Pferd mit einem Schlag der Hacken herum.
Und dann hört er den Knall, er hört die Kugel gellend hoch singen und den dumpfen Anprall der Kugel in einem Pferdeleib.
Im nächsten Augenblick peitscht es schon wieder, und der nächste Anprall verrät sich durch den dumpfen Ton.
Schrill wiehernd steigt plötzlich Mikel Todhunters Pferd, und Mikel fliegt im Bogen aus dem Sattel.
Und der Alte sagt verstört und es kaum begreifend:
»Warum sitzt du Narr nicht besser, he? Da hast du…«
Und dann erst versteht er es! Er hört die Kugel förmlich kommen. Er sieht Mikel auf dem Boden hochspringen, und Mikel taumelt mit einem schrecklichen Schrei wieder in das karge Gras zurück.
»Mikel!« schreit er gellend und springt aus dem Sattel. »Mikel, Junge, was ist?«
Er reißt den Karabiner heraus und läuft geduckt los. Und dann sieht er, wie sich Mikels Hemd färbt und Mikel zu kriechen versucht.
Gellend schreit Clem Tuttle:
»Boß, ich versuche es von der Seite! Ich packe sie von der Flanke! Bleib unten.«
Und dann jagt er auch schon auf seinem Rappen los und treibt ihn mit aller Macht an.
»Halt!« schreit der alte Mann brüllend über die karge Fläche hinweg. »Verschwinde, Clem. Reite weg und gehe weiter unten über den River. Du brauchst mir nicht…«
Und als er sich aufrichtet und brüllt, sagt hinter dem Abhang des Ufers der schwarzhaarige und kaltäugige Ben Braddock heiser:
»Du machst keine Stadt gesetzlos, Todhunter. Du schießt auch nicht auf jemand, der einen Orden trägt. Einen Mörder deckst du nicht.«
Und dann schießt er, und der alte Mann bekommt den Schlag gegen die rechte Schulter und prallt wirbelnd auf den Boden zurück.
»Schieß ihn nicht tot, Braddock«, sagt Allen Clanton gepreßt. »Vorsicht, Tuttle kommt. Der Bursche ist dem Alten treu wie sonst niemand. Vorsicht, er ist gefährlich.«
Er dreht sich um und sieht Tuttle angefegt kommen. Tuttle ist links von ihnen über den Hang geprescht und rast nun zwischen den Uferbüschen durch. Er hat den Karabiner in der Hand und schießt am Hals des Pferdes vorbei.
»Er war mein Boß!« sagt der Revolvermann grimmig. »Verdammt, er wollte doch nur seinen Sohn retten! Zum Teufel, Braddock. Warte, du eiskalter Teufel, ich werde dir zeigen, daß ich kämpfen kann! Warte…«
Er schießt noch einmal, und Braddock duckt sich hastig, als die Kugel keine Handbreit an seinem Kopf vorbeifegt.
Und der rasende Hengst mit dem Revolvermann im Sattel kommt schnell näher, prescht durch die Büsche, umd Braddock sagt zähneknirschend:
»Ich bin der Richter, Mister! Da hast du es!«
Er schießt, und der Gaul steigt schrill wiehernd. Und dann fliegt
Tuttle aus dem Sattel, hastet auf einen Busch zu, und Braddock feuert noch einmal.
Clem Tuttle stolpert, taumelt und klatscht in das aufspritzende Wasser.
Ben Braddock richtet sich langsam auf und sieht das Pferd schon in der Mitte des Flusses schwimmen. Er schwimmt durch die Furt, und der Mexikaner auf der anderen Seite rennt auf den Gaul zu.
»Jaime hat ein Pferd, ein richtiges Pferd«, sagt der Mexikaner kehlig. »Jaime ist ein Caballero, que? Gracias, Amigo. Du hattest kein Glück, que? Wir müssen alle einmal sterben, Amigo. Vielen Dank für dein Pferd.«
Er fängt den Gaul ein, der eine Streifwunde hat und sieht zum anderen Ufer. Er sieht den einen Mann mit der Jacke über den Abhang klettern und auf dem kargen Buschstreifen ein Stück gehen.
Er sieht den zweiten Mann mit dem Orden nachgehen, und die beiden Männer bleiben stehen. Und dann bücken sie sich beide.
Am Boden liegt Mikel Todhunter, und Braddock sieht auf ihn hinab. Er sieht auf den alten Mann, der seinen Sohn an der Schulter gefaßt hat und ihn hochzieht.
Mikel Todhunter liegt im Schoß des alten Mannes, und seine Augen sind geschlossen.
Und James Brian Todhunter, der den rechten Arm schlecht bewegen kann, starrt in Braddocks Karabinerlauf.
Dann wandert sein Blick wieder nach unten, und er sagt verstört:
»Er ist tot. Warum das alles? Warum hast du ihn erschossen, Braddock, warum? Oder warst du es, Allen?«
»Er schoß nur auf die Pferde«, sagt Braddock.
»James, hier ist es zu Ende. Er hat genau das bekommen, was er verdient. Du machst mir keine Stadt gesetzlos, mein Freund. Für eine Weile hast du es gekonnt, aber du bist nicht groß genug, es auf die Dauer zu können. Niemand kann das, so groß er auch ist. Es wird immer Gesetze geben und Männer, die sie vertreten. Manche Gesetze werden hart sein, aber immer werden unter diesem Gesetz Menschen leben und sterben. James, ich wollte dich nicht so schlimm verwunden, tut mir leid. Weißt du, was mit dir wird?«
»Mit mir?« fragt der alte Mann heiser. »Braddock, er ist doch tot. Du hast ihn erschossen. Was willst du denn noch?«
»Dich!« sagt der finstere Braddock kalt. »Du hast einen Deputy überfallen, angeschossen und beinahe töten lassen. Sorry, das muß bezahlt werden. Und es ist ganz gleich, wer und was du bist. Es macht sich nie bezahlt, James, auch nicht, wenn du Todhunter heißt.«
»Aber ich wollte doch nur Mikel…«, sagt der Alte heiser und starrt auf seinen Sohn hinab. »Ist das ein Verbrechen, wenn ein Vater seinen Sohn…«
»Du hast dazu kein Recht, James«, murmelt Braddock, und seine Stimme klingt etwas wärmer. »Ich denke, es ist Allens Sache, ob er gegen dich Anklage erhebt.«
Der alte Mann sieht hoch und wischt sich mit dem linken Ärmel über die Augen. Und dann versucht er, aufzustehen, aber er schafft es nicht gleich.
»Warum das alles?« fragt er müde. »Warum mußte es so weit kommen? Ich habe ihn doch erzogen, ich dachte doch, daß er anständig…«
»Halt still, James«, sagt Clanton heiser. » Ich werde dich erst verbinden, wie? Tut mir leid, du hättest ihn nicht mit Gewalt aus der Zelle holen sollen. Nun ja, halte nur still.«
»Ja«, sagt der alte Mann brüchig. »Natürlich, Allen. Ich hatte ihm gesagt, er sollte dich nur niederschlagen, und der Narr schoß. Ich dachte, du würdest es nicht mehr schaffen. Und Clem?«
»Er war treu«, sagt Allen heiser. »Willst du ihn mitnehmen? Ich glaube, er verdient es. Du kannst ihn dann begraben.«
»Du willst mich nicht einsperren?« fragt James Todhunter heiser. »Ich habe dich doch umschlagen lassen, und Clem brachte den Colt in die Zelle. Du willst mich nicht…«
Er sieht zu, wie Allen ihn verbindet, und Allen sagt eine ganze Zeit gar nichts.
Braddock geht wieder zurück und holt Clem Tuttle ans Ufer.
Und Allen Clanton sagt leise:
»James, manchmal muß man etwas verstehen können. Und ich denke, ich kenne dich und weiß, warum es so kam. Ich trage dir das nicht nach. Schon gut, schließlich bist du mein Onkel. Und wir haben uns beide nie etwas vorgemacht. Es wird nicht mehr wie früher sein, aber ich achte dich immer und zu jeder Zeit. Du bist hart genug, um den Rückweg auszuhalten, was?«
»Ich verdiene das sicher nicht!« murmelt der alte Mann. »Ich habe niemand mehr außer dir und Isabell. Und ich bin müde. Ich bin schrecklich müde, Allen.«
Und der ruhige Allen Clanton nickt nur und hilft ihm hoch.
Der Fluß zieht weiter seine Bahn, und in der Sonne funkeln einige Hülsen.
Das ist alles, was bleibt.