Читать книгу G.F. Barner Staffel 9 – Western - G.F. Barner - Страница 6

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Der Mann, der reglos im Schatten des Vorbaudaches lehnt und seine Stadt beobachtet, dieser Mann zuckt zusammen.

Er sieht Jerry Lewis kommen, und der Anblick des kleinen Mannes aus Kansas gibt ihm Grund genug, seine Augenlider halb zu schließen.

Sheriff John Ellison erkennt Jerry Lewis bereits auf hundert Schritt. Der kleine Kansasmann wagt sich in die Stadt, in eine Stadt, die praktisch einem Mann gehört: James Hadley Ornell.

Im Augenblick, das weiß Ellison nur zu gut, denn er beobachtet seit Stunden die Straße, ist niemand der Männer von der Ornell Ranch in der Stadt. Aber sie können kommen und werden jeden Mann der O’Willis-Ranch vertreiben. Sie sind stark und groß genug, obwohl sie zum ersten Male in diesen vier Jahren eine Niederlage hingenommen haben.

Der Sheriff erinnert sich an Doc Wendels Gerede über drei Männer von James Ornells Ranch, die er behandelt hat. Diese drei sollen angeblich auf dem Land der O’Willis Lady gewesen sein, den kleinen Lewis und seine Freunde gestellt haben. Es heißt sogar, daß Dana O’Willis selbst dabei gewesen sein soll, aber... der Sheriff hat sich darum nicht gekümmert. Vielleicht nur deshalb nicht, weil er keine Aufforderung von James Ornell dazu bekommen hat.

»Großer Gott«, sagt Ellison bitter. »Eines Tages werden sie schießen. Ich wollte, ich könnte einen bremsen, wenn nicht beide. Aber weder dieses Mädel noch der alte James geben nach. Sie kauft Mavericks, etwas, was den Alten wild machen muß, da es in der Hauptsache Ornell-Mavericks sind. Ich kann nicht immer beide Augen zumachen und schweigen. Ich muß eines Tages eingreifen. Und für niemanden hier gibt es einen Zweifel, für wen ich reiten werde.«

Er weicht tiefer in den Schatten zurück und legt die linke Hand an die Brust. Jetzt wird sein Stern nicht mehr blinken können. Außerdem ist hier der Schatten tief genug. Der kleine Bursche Lewis soll ihn nicht zu früh sehen.

Lewis kommt. Er reitet wie ein Mann, der niemals angegriffen worden ist, dem es geradezu gut zumute ist.

»Joel sollte hier sein«, sagt Ellison dumpf. »Es würde gut sein, ihn hier zu haben. Wenn einer den alten Narren aufhalten kann, dann ist es sein Sohn, aber er wird vielleicht nicht mehr kommen.«

Er ist einmal mit Joel Ornell zur Schule gegangen. Er ist mit ihm geritten, er ist schließlich einer der besten Reiter auf der Ornell-Ranch geworden. Dieser John Ellison. Und als der Alte dann einen Sheriff brauchte, da hat man ihn, John Ellison genommen. Er ist ein Ornell-Mann, er ist für diese Ranch geritten, er hat mit den Männern gelacht, gestritten und gesungen. Und darum wird er Zeit seines Lebens ein Ornell-Mann bleiben. So sagen es die Leute. Daß es vielleicht im Laufe einer gewissen Zeit in einem Mann Veränderungen gibt, das ahnt kaum einer. Es ist nicht allein jene Änderung, der fast jeder Mann im Laufe seines Lebens unterliegt, es ist dieses Amt, das Sheriff John Ellison übernommen hat. Und es ist dieser Stern, auf den er geschworen hat, Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben.

Ellison tritt ganz in den Schatten und sieht Jerry kommen. Lewis reitet vorbei, der Sheriff ruft ihn nicht an, aber er verfolgt ihn genau mit seinen Blicken.

Lewis reitet jetzt haargenau, als wenn er nur dieses eine Ziel in der Stadt kennt, auf den Saloon zu. Dort singt Lilly McDonald. Dorthin kommen viele Reiter aus diesem Land.

Das Lächeln einer Frau vom Schlage einer Lilly McDonald macht manchen Cowboy für den Rest seiner Wochenarbeit glücklich. Es ist so in diesem Land.

Jerry biegt in den Hof ein, und der Sheriff sagt sich:

»Er ist zu vorsichtig, um sein Pferd auf der Straße zu lassen. Nun ja, schlau ist der Bursche schon.«

Dann geht John Ellison los. Er kommt beim Store vorbei und sieht Lyndell Wyman in der Tür stehen. Auch Wyman muß Jerry gesehen haben. Er hüstelt und fragt leise:

»Ob es klug von dem kleinen Kansasmann ist, John?«

Einen Augenblick bleibt Ellison stehen. Lyndell ist ein alter Mann, der schon zur Indianerzeit gehandelt hat. Er blickt manchmal so weltfremd drein, daß sie alle denken, er ist ein Träumer.

»Ich werde ihm einige Dinge sagen, Lyndell.«

»Damit ergreifst du Partei, Junge.«

»Ach, zum Teufel«, murmelt Ellison heiser. »Lyndell, wir können gleich tauschen, wenn du magst. Was soll ich denn tun? Wenn sich zwei draußen prügeln und keiner kommt und beschwert sich über den anderen, dann kann ich nur zusehen. Wenn sich der alte James nicht meldet, dann heißt das, daß er keine Einmischung wünscht. Und bei der Lady ist es genauso, verstehst du? Dieser Kansasjunge ist gerade gut genug, um aus einer Prügelei eine Schießerei werden zu lassen. Und eine Schießerei in dieser Stadt dulde ich nicht.«

»Danach wirst du auch gerade gefragt werden, Junge.«

»So?« fragt Ellison langgezogen. »Lyndell, was immer ich tue, ich werde es für diese Stadt tun.«

»Und die Stadt lebt von der Ornell-Ranch und deren Freunden.«

»Das sagt nichts.«

Lyndell hebt die Augenbrauen leicht an und nickt.

»Du hast also eigene Gedanken, wie?«

»Wenn ich sie habe, dann sind es meine, Lyndell.«

»Ich verstehe«, erwidert der alte Storebesitzer leise. »Nur, denke nie laut, es könnte gefährlich für dich sein.«

»Für mich? Ich bin der Sheriff, Mann. Wie meinst du das?« fragt Ellison heftig.

»Ich kenne jemanden«, sagt Lyndell warnend. »Dieser jemand hat das meiste Geld in diesem Land. Er bestimmt über die Bank. Er hat mehr Einfluß als alle andern zusammen. Und er geht über Leichen, wenn es sein Ziel erfordert. Weißt du das nicht, Junge?«

Einen Augenblick ist es Ellison, als wenn ihm eine kalte Hand um die Kehle gelegt würde. Er denkt wieder an Larry O’Willis Tod und schluckt.

Dann geht er, ohne eine Antwort zu geben, weiter.

Hinter ihm aber senkt der alte Lyndell Wyman den Kopf und sagt bitter:

»Schwer für dich, Sheriff, sehr schwer. Ich möchte nicht tauschen. Niemand wird das tun, denn niemand will gern sterben. Und das kannst du, wenn es hart auf hart geht. Du tust mir leid, Junge. Und ich mir selbst, daß ich so ein alter Mann bin.«

In dieser Sekunde sieht er einen Mann auftauchen. Der Mann ist groß, hager, hat ein Raubvogelgesicht mit unter schweren Lidern verborgenen Augen, und er sieht die Straße hoch.

Es ist Geronimo Hatherwell, ein Mann dessen Großmutter Indianerin gewesen ist und der mit zwei Brüdern und einem Verwandten in den Bergen westlich der Stadt lebt.

Obwohl Geronimo der Älteste in der Sippe ist, obwohl diese Sippe groß ist und sie weniger als hundert Rinder auf der kleinen, halbverfallenen Ranch besitzen – er hat immer Geld. Und das reichlich.

»Widerlicher Bursche«, sagt Wyman bissig. »Ich mag ihn nicht und die meisten seiner Leute noch weniger. Wenn er nicht so schnell mit seinem Schießeisen sein würde – ich bin sicher, irgend jemand würde ihn längst davongejagt haben.

Manchmal glaube ich, schafft er sogar Troy Beham. Er ist gefährlich wie eine Natter. Und er hat immer Geld. Woher eigentlich?«

Wyman blickt sich nach dem Sheriff um, aber der ist schon im Saloon verschwunden.

Dort steigt in dieser Minute Jerry Lewis über einen Eimer im Gang des Stalles hinweg. Jerry hat sein Pferd eingestellt und ist jetzt auf dem Weg nach draußen.

Er kommt aus der Tür, macht drei Schritte und hört es dann in diesem leeren Hof irgendwo kratzen.

Mit einem Schlag wird Jerry Lewis bewußt, daß es tödlich gefährlich sein kann, in dieser Stadt einen Besuch zu machen. Er senkt die Hand, bereit, sich hinzuwerfen und zu schießen, wenn es sein muß. Einen Augenblick hat er die wilde Furcht in sich, daß es krachen kann und er nicht einmal jemanden zu sehen bekommt.

Aber dann sagt genau an der Ecke des Stalles – keine drei Schritt von der Tür entfernt – John Ellison ruhig:

»Du könntest schon nicht mehr leben, mein Freund, wenn hier ein anderer Mann gestanden hätte. Jerry, warte.«

Jerry Lewis senkt erleichtert die Hand. Er wendet sich um, aber er sieht wenig von Ellison. Einen Moment fragt sich Jerry, ob Ellison nicht einige Dinge übertreibt. Er hätte ihn genausogut im Licht einer Laterne anreden können. Aber dann sagt er sich bitter, daß Ellison ein Ornell-Mann ist.

»Ja, was ist, Sheriff?« fragt er rauh und wendet sich nun ganz der Ecke zu. »Ich will nur einen Besuch machen, mehr nicht.«

»Entweder«, erwidert Ellison, »bist du ein Narr, oder du bist lebensmüde. Ich halte nichts von Selbstmördern, Jerry.«

»Und ich«, sagte Jerry scharf und bissig, »nichts von Männern, die keine Männer sondern Waschlappen sind und sich Befehle geben lassen.«

Er sieht deutlich, daß der dunkle Schatten von Ellison zuckt. Seine Worte tun ihm eine Sekunde später leid, aber sie sind gesprochen worden.

»Hör zu«, antwortet Ellison, ohne auf den Angriff einzugehen. »Jerry, da laufen eine Menge Gerüchte um. Zuerst sollen Leute einige Freunde von dir auf ihrem Gebiet erwischt haben, dann habt ihr...«

»Moment, es ist eine Falle gewesen«, gibt Jerry scharf zurück. »Sie haben uns auf ihre Seite gelockt, wir wissen das, wenn wir es auch nicht beweisen können. Für dich sind wir natürlich nur so hingeritten, um etwas anzufangen, wie?«

»Was ich denke, oder glaube, Jerry, das ist meine Sache, willst du dir das merken?« sagt Ellison nicht ohne Bitterkeit. »Ihr habt euch revanchiert, nicht schlecht, soviel ich gehört habe. Aber, Jerry, von dieser Stunde an ist jemand ziemlich wild. Ich kenne ihn und weiß, daß er sich etwas ausdenken wird. Es kann sein, daß er Beham einen Befehl gibt.«

»Mit anderen Worten, du weißt, daß Beham einen Befehl bekommen hat, wie? Ich habe sie herübergelockt, es ist wahr. Ich sage es dir mitten ins Gesicht, ich habe es getan. Sie hätten mich nie erwischen können, wenn wir das gewollt hätten. Wir haben es nicht gewollt, verstanden? Und Beham ist also losgelassen worden, um mich kleinen, unbedeutenden Mann zu erwischen?«

»Ich sage, ich weiß es nicht.«

»Und das soll ich auch noch glauben, was?« sagt Jerry bissig. »Du denkst wohl, daß ich wirklich verrückt bin, John? Mein Freund, in Kansas hat es Zäune gegeben, früher noch als in Texas oder hier. Ich kenne dieses rauhe Spiel sehr genau. Ich weiß um alle Dinge Bescheid, die passieren können, wenn jemand wild wird. Du hast ja keine Ahnung, wie rauh so ein Krieg um Zäune und freie Weiden werden kann. Aber ich habe die Ahnung und sage dir, daß dieser Streit gegen einen Zäunekrieg ein Nichts sein wird. Beham soll nur kommen.«

»Du bist niemals schnell genug, Jerry.«

»Weißt du das? Aber wahrscheinlich bin ich zäher und schlechter zu treffen. Was soll die Warnung? Willst du mich aus der Stadt jagen? Gehorche nur immer diesem alten Viehdieb.«

»Er ist kein Viehdieb.«

»Er ist einer, ich weiß es. Er hat Larry damals das Vieh abgenommen, das weiß hier jeder, auch du weißt es. Ich nenne das Viehdiebstahl.«

»Larry O’Willis hat ihm Geld geschuldet, Jerry.«

»Na und? Nachbarn sollen sich helfen, aber er hat die Ranch schlucken wollen, wie? Er hat gedacht, daß Larry O’Willis seine Rinder nimmt und an einen anderen Platz zieht, aber der hat ihm lieber die halbe Herde gegeben. Eine Gemeinheit, im späten Herbst von einem Rancher Geld zu verlangen. Du weißt sehr gut, daß eine Ranch Geld braucht, um über den Winter zu kommen. Das nenne ich Diebstahl, John.«

»Bin ich gekommen, um mit dir darüber zu streiten?« fragt Ellison düster. »Man kann es so nennen, nun gut. Ich habe es damals – nun, was geht es dich an, was ich gedacht habe? Jerry, manchmal kann man Dinge nicht verhindern. Ich glaube, du erledigst deinen Besuch hier in der Stadt sehr schnell, was?«

»Also doch. Ich soll verschwinden.«

»Ich will hier keine Schießerei, Mann.«

»Du bist ein Feigling, du bist parteiisch.«

»Halte deinen Mund, Jerry. Was ich bin, das sieht jeder. Ich will keine Schießerei, ich sage es noch einmal. Und du hast dich danach zu richten.«

»Soll ich vielleicht meinen Revolver abliefern, he?«

Ellison schwankt einen Augenblick, er weiß nicht, was nun besser ist. Dann aber sagt er düster:

»Behalte ihn, du Narr. Mit wem nicht zu reden ist, mit dem ist alle Mühe vergebens. Geh und bring dich um.«

»Du bist ein jämmerlicher Feigling«, sagt Jerry hart. »Versteck dich doch, wenn sie kommen. Du wirst weglaufen, was? Lauf nur, aber wirf den Orden weg, ehe du gehst, hörst du? Es könnte sonst sein, daß sich dein Orden schwarz färbt.«

Er hört Ellison heftig schnaufen und weiß, daß er ihn beleidigt hat, aber es ist für Jerry zuviel, wenn man ihn in einer Stadt nicht gern sieht. Hat er denn nicht das gleiche Recht wie andere?

Jerry dreht sich um, lacht bitter und geht dann los. Es ist ihm, als wenn Ellison mit den Zähnen geknirscht hätte, aber er denkt im nächsten Augenblick nicht mehr daran, denn er hört jemanden lachen. Und dieses Lachen erinnert ihn einen Moment an Kansas City, die Schule dicht am Fluß und ein Mädchen mit zwei langen blonden Zöpfen.

Nach wenigen Schritten kommt Jerry Lewis von hinten in den Flur des Saloons. Rechter Hand in die Küche, eine Tür weiter geht es in den Saloon. Auf der Treppe aber steht ein Mann. Es ist Dexter Norton, dem eine mittelgroße Ranch gehört. Neben ihm lehnt ein Mädchen an der Wand. Es hat schon lange keine Zöpfe mehr. Es singt auch nicht mehr in jenem Chor der Kirche, in der ihr Vater einmal die Orgel gespielt hat.

Dieses Mädchen ist groß, sehr erwachsen und singt nur noch in den besten Saloons. Es hat heute seinen freien Tag, das weiß Jerry genau.

Und Dexter, der sich nun umdreht, sagt halblaut:

»Nur einen Drink, Miß McDonald.«

Dann erkennt er Jerry, sperrt den Mund auf, starrt ihn groß und verstört an.

»Hallo, Mr. Norton«, sagt Jerry freundlich, obwohl dies nun der sechzehnte oder siebzehnte Mann sein muß, der Lilly zu irgendwelchen Drinks einladen will. »Ein schöner Abend.«

»Lewis«, staunt Dexter. »Mann. Nun gut, deine Sache. Paß auf, daß es für dich kein schlechter Abend wird.«

Jerry geht weiter, er muß unter der Laterne her. Und er erinnert sich, daß Lilly McDonald, die eigentlich Elizabeth McDonald heißt, ihn noch nie im vollen Licht einer Laterne gesehen hat. Die Lampe ist zwar nicht so hell wie eine Laterne, aber er hebt den Blick und sieht Lilly an.

Und wieder denkt er mit seltsamer Traurigkeit, die sonst gar nicht zu ihm paßt, an den Tag im Frühjahr vor nunmehr vierzehn Jahren.

In dieser Sekunde sieht er auf Lilly McDonalds Gesicht ein kurzes, flüchtiges Zusammenzucken. Dann geht er weiter, macht die Tür zum Saloon auf und sieht ungefähr dreißig Männer, die zum Teil mit den Girls aus der Tanzgruppe, mit der Lilly reist, zusammensitzen. Gelächter liegt über dem Saloon, das sich jäh legt, als sie Jerry erkennen.

Jerry Lewis lächelt dünn. Er weiß, daß sie bei seinem Anblick alle erschrocken sind, aber es stört ihn nicht. Er hat keine Angst vor dem, was noch kommen kann, und tritt ruhig an den Tresen. Hinter dem Tresen steht Adam Worland. Er ist groß und schlank, ein Mann, den man sich nicht als Besitzer eines Saloons vorstellen kann.

Worland sieht gut aus, er trägt immer die besten Anzüge, vor die er allerdings die übliche Schürze bindet, sobald er hinter seinem Tresen steht. Worland ist dunkelhaarig, ein Mann mit leicht ergrauten Schläfen. Und dieser Mann wirkt. Er wirkt wie immer groß, elegant und selbstsicher.

Heute nun, in diesem Augenblick, verläßt Worland seine Selbstsicherheit. Er sieht Jerry Lewis und verliert sein routiniertes Lächeln innerhalb einer Sekunde.

»Hallo, Adam«, sagt Jerry trocken. »Einen Doppelten.«

Er könnte genausogut eine ganze Wagenladung verlangt haben, denn danach sieht Worlands Gesicht aus. Die Männer rechts und links am Tresen sehen Jerry wie einen Geist an. Aber Jerry lächelt nur dünn und farblos. Seine Worte sind laut genug zu hören gewesen. Alles schweigt schlagartig. Nur hinten, an irgendeinem der Tische, an dem Männer mit den Girls aus der Tanzgruppe sitzen, fragt eins der Mädel flüsternd:

»Ist er das?«

»Ja«, sagt ein Mann genauso leise. »Er hat sie hereingelegt. Das ist Jerry Lewis.«

Das bin ich, denkt Jerry, der die Worte doch noch hört. Und ich werde nie kneifen. Sie hat gesagt, daß ich drei Pferde zureiten soll, daß ich im Pferdecorral, der vier Meilen von der Ranch entfert ist, zu bleiben habe. Aber sie ist eine Frau – ach was, Frau, ein Mädchen ist sie, ein Mädchen wie alle anderen, mit denselben Gefühlen, den gleichen Sehnsüchten. Und einer viel zu zarten Figur für diese schwere Arbeit. Ich werde nie einer Frau gehorchen, auch wenn diese Frau mein Boß sein sollte. Schließlich gibt es nur einen Mann, dem ich immer gehorcht habe. Nur einen Mann.

Er weiß, daß sie vielleicht auf die Idee kommen wird, ihn im Pferdecamp zu besuchen, aber dann wird er längst auf und davon sein. Sie kann nur raten, wohin er ist, denn Spuren wird sie nicht finden.

Verboten in die Stadt zu reiten, wie?

Aber Jerry hat einen Grund. Darum ist er bei Isaak Rubinstein vorbeigeritten. Rubinstein hat einen Store, in dem es die unmöglichsten Dinge zu erstehen gibt. Niemand sonst in dieser Gegend führt so feine Dinge wie der alte Isaak. Und wenn er auch gern handelt, bei Jerry ist das nutzlos. Jerry hat genau das bekommen, was er seit Jahren haben will. Darum ist Jerry in der Stadt. Und niemand wird ihn daran hindern.

Das sind seine Gedanken, als er am Tresen steht und Worlands Adamsapfel tanzen sieht.

»Jerry«, sagt Worland gepreßt und schluckt nun nicht mehr. »Jerry, ich – ich meine...«

»Ich weiß«, erwidert Jerry trocken. »Du meinst, daß ich besser gehen soll, wie? Aber ich gehe nicht. Ich bleibe hier und möchte jetzt einen Drink haben, Adam.«

Einen Augenblick zaudert Adam Worland. Dann sagt er leise und rauh:

»Es ist gut, du bekommst ihn, Junge.«

Männer entfernen sich vom Tresen, nachdem sie auf die Tür geblickt haben. Jerry aber sitzt der Hut schief. Er bekommt seinen Drink und denkt, daß er wohl die Pest oder den Aussatz haben muß, denn sonst würden sie wohl kaum alle vom Tresen weggehen.

Er trinkt sehr langsam, sieht Worlands zitternde Finger, die mit dem Tuch die Gläser polieren. Und er hört die Gespräche wieder aufflammen. Es stört ihn nicht, er will hier sein. Und darum wird er bleiben, was immer auch kommt.

Es vergehen keine drei Minuten, dann hört er Dexter Norton kommen. Norton geht grußlos hinaus, und irgendeiner sagt grinsend – man kann dieses Grinsen in den Worten hören, ohne daß man den Mann sieht:

»Der nächste, bitte. Weiter im Text, auch Norton ist abgeblitzt.«

Jerry lächelt und denkt an Mary McDonald, an ihre leckeren Pfannkuchen und die Freundlichkeit dieser Frau. Lange her, sehr lange. Und Jerry ist nur ein kleiner Waisenjunge gewesen... damals.

Dann hört er den Schritt, das Kleid raschelt, und das Gerede verstummt an den Tischen.

Er weiß, daß sie kommt, denn sie hat ihn heute gesehen und seinen Namen gehört. Er hat es so sicher gewußt, daß er zu Rubinstein geritten ist. Die ganzen Wochen hat er in der Dunkelheit gestanden. Irgendwo in einer Ecke, draußen vor der Tür oder an irgendeinem Fenster. Er hat sie gesehen – und sie vielleicht auch ihn, aber erkannt hat sie ihn nicht.

Das Kleid raschelt genau neben ihm. Sie trägt ein schilfgrünes Kleid, das ihr gut steht.

Jerry hebt den Blick und sieht in den Spiegel. Sie steht genau neben ihm, auch sie blickt in den Spiegel. Ihre Augen sind größer als sonst, ihre Nasenflügel vibrieren. Sie ist erregt, er weiß es. Und er lächelt ihr Spiegelbild über den Rand seines Glases hinweg an, er lächelt in ihre Augen hinein und ist weit fort, sehr weit. In Kansas, am großen Fluß, der Kansas City in zwei Teile schneidet.

Sie hat immer noch jenen Ausdruck in den Augen. Graugrüne Augen. Viele Schottenmädels haben diese Augenfarbe.

Lilly McDonald sieht ihn an. Er ist kaum größer als sie, er ist nicht schön, aber er ist mutig.

In diesem Augenblick greift Jerry Lewis in die Brusttasche und fühlt das Päckchen unter seinen Fingern, Rubinstein hat eine Schleife herumgebunden, eine feine Schleife. Und Seidenpapier hat er auch genommen.

Jerry Lewis, dieser Mann, der einmal nichts als ein armer, kleiner, schmutziger Waisenjunge gewesen ist, der nie etwas anderes als Prügel, Elend und Hunger kennengelernt hat, er lächelt und legt das Päckchen langsam auf den Tresen. Ein kleiner Ruck nur, das Päckchen liegt genau vor Lilly.

»Es gab eine Mrs. Hordrey«, sagt Jerry lächelnd und ist immer noch weit fort, weit weg in Kansas. »Sie besaß einen Hund, ein Haus und vier Pferde vor einer prächtigen Kutsche. Mrs. McDonald durfte ihre Wäsche waschen, die Wäsche einer feinen Dame. Und Elizabeth McDonald sagte eines Tages, als Mrs. Hordrey in ihrem prächtigen Wagen vorbeifuhr und ihr Halstuch im Wind wehte: Dies Halstuch möchte ich haben. Erinnerst du dich?«

Er lächelt, aber er sieht doch, daß sie schlucken muß. Irgendwie hat er das immer gewußt, der kleine Mann aus Kansas, der einmal als Junge von Elizabeth McDonald geträumt hat: Liz würde nie schlecht sein können.

»Jerry«, sagt sie und hat feuchte Augen. »Jerry Lewis. Das Tuch – du hast es nicht vergessen?«

»Nein«, sagte Jerry Lewis, der kleine Mann mit dem Mut eines Löwen und der Wildheit eines Tigers. »Ich habe viele Dinge nicht vergessen. Die Lausebengels der Wesson nicht, die dir Teer in das Haar schmierten und die ich verprügelt habe, obwohl sie zwei waren und sie bedeutend älter als ich gewesen sind. Aber, so ein Junge wie ich es damals war, der hat frühzeitig lernen müssen, sich zu wehren und um ein Stück Brot zu kämpfen, seine Ellbogen zu gebrauchen. Das ist dein Tuch, da drin. Ich glaube, es ist schöner als das von Mrs. Hordrey. Und dann wünsche ich dir alles Gute für dieses kommende Jahr und alle Jahre danach.«

»Nein«, sagt sie sehr leise und schluckend. »Du weißt auch noch meinen...«

»Ja«, erwidert Jerry Lewis lächelnd. »Ich habe den Tag nicht vergessen, den hier wohl keiner weiß. Es ist so, wenn man an Dinge denkt, die man nie bekommen kann – man vergißt sie nicht. Jetzt bist du ein großes, prächtiges Mädel. Und ich bin noch immer der kleine, krummbeinige Bursche mit den Sommersprossen, mit dem ein Mädel nicht zum Jahrmarkt gehen wollte. Stell dir vor, als du das damals gesagt hast, da habe ich einen Bimsstein genommen und mir die ganze Haut abgescheuert. Ich habe geblutet wie ein kleines Ferkel. Und meine Ziehtante hat mich wieder mal verprügelt, weil ich Blut in das Handtuch geschmiert hatte. Lange her, aber nicht vergessen, Liz.«

»Das hast du damals... Jerry!«

»Ja«, sagt er leise. »Ich habe keine Sommersprossen mehr haben wollen. So einen Jungen, den kränkt das mächtig. Heute könntest du sagen, daß ich ein schmutziger, kleiner Zureiter bin, es würde mich nicht stören, oder du würdest es nicht merken. Liz, willst du mit mir irgend etwas trinken? Ich weiß, du hast mit niemanden hier, aber...«

»Du dummer, großer Bursche. Weißt du, daß ich tagelang geheult habe, als du damals weggelaufen bist? Das kannst du nicht wissen, aber auf einmal ist es mir damals gewesen, als wenn ich meine Arme verloren hätte. Ich habe geheult wie ein kleiner Hund, weil du einfach fortgelaufen bist. Der Jahrmarkt damals, ich bin nicht mehr hingegangen. Und in jeder Stadt an einem Weg, in der ein Jahrmarkt gewesen ist, habe ich an Jerry denken müssen. Du bist hier, hier finde ich dich wieder. Ich habe dich all die Jahre gesucht und gedacht, ich werde ihn eines Tages treffen. Und dann will ich ihm sagen, daß er von allen Jungens der feinste gewesen ist, nicht nach außen hin, aber in seinem Herzen. Hast du es richtig gehört, Jerry?«

»Ja«, sagt Jerry und muß nun selbst schlucken. »Ich höre. Ich habe schon immer ein gutes Gehör haben müssen damals als Junge. Nun ja, ich habe oft Hunger gehabt und lange Finger gemacht, bloß, um etwas in den Bauch zu bekommen. Ich höre, aber ich bin nicht der feinste aller Jungens gewesen, sicher nicht. So ein schmutziger, kleiner Waisenjunge...«

»Jerry, ich habe nie wieder einen getroffen, der so wie du gewesen bist. Du hast nie gefragt, wenn du jemandem geholfen hast. So ist es sicher auch heute noch, denn sonst würdest du nicht bei dieser Lady mit dem Feuerhaar sein, wie? Sie ist sehr schön, sagt man, ja?«

»Ja«, antwortet Jerry leise. »Das ist sie, wenn man sie mal ohne Hosen sieht, so im Rock, weißt du? Aber du bist schöner.«

»Nein, Jerry. Ich habe sie nur einmal gesehen. Als Frau weiß man so etwas genau, sieht man mal eine andere. Ich bin gar nicht so.«

»Doch, du bist«, sagt er leise. »Für mich bist du es schon immer gewesen, so ist das. Setzen wir uns hin?«

»Wohin du willst, Jerry, aber du darfst keine Komplimente machen, nicht mir.«

Er sieht sie nur an und sagt sehr leise:

»Es ist kein Kompliment gewesen, weißt du?«

Sie weiß es plötzlich. Und sie hat einen Augenblick den Wunsch, sich an ihn zu lehnen und zu weinen. Sie hat schon drei Jahre den Wunsch, mal zu weinen, aber sie lächelt.

Sie geht neben ihm her zu einem Tisch und merkt nicht, daß Worland vor Überraschung vergessen hat, den Mund zu schließen und all die anderen Männer im Saloon wie irr auf den kleinen Mann aus Kansas und sie blicken.

»Er kann die Pferde und Rinder behexen«, sagt Worland keuchend. »Jetzt behext er auch sie. Es ist wahr, er muß etwas an sich haben. Sie laufen ihm alle nach.«

Jerry schiebt ihr den Stuhl hin und lächelt sie dann an.

»Was möchtest du trinken, Liz?«

»Blackberry, Jerry?«

»Ja«, sagt er. »Adam, zwei Blackberry, mein Freund.«

»Weißt du«, murmelt sie. »Du bist der erste Mann, mit dem ich seit drei Jahren ein Glas trinke. Jerry, du hast schöne Augen.«

»Nein, ich? Ich bin ein wilder, kleiner Bursche und habe Augen wie jeder andere. Hast du was?«

»Nichts, Jerry, nur habe ich nie mehr mit einem Mann trinken wollen und tue es nun doch, weil du da bist.«

»Ich, wer bin ich schon? Wir kennen uns, wir haben zusammen gespielt, wie? Nun ja, warum hast du mit niemandem getrunken?«

Er schweigt, als Worland den Blackberry bringt, und hebt dann sein Glas langsam an.

»Haben deine Eltern zu deinem Geburtstag geschrieben?«

»Nein. Sie – sie schreiben mir nicht mehr.«

Sie schluckt heftig und sieht ihn nicht an. Plötzlich erkennt er, daß sie nahe daran ist, in Tränen auszubrechen.

»Mein Gott«, sagt er gepreßt. »Liz, warum schreiben sie nicht mehr?«

»Da war ein Mann.«

Jerrys Finger drücken gegen das Glas, die Knöchel werden sichtbar, sie sind wie weiße Flecken unter der Haut.

Ein Mann, denkt Jerry Lewis, ein Mann, natürlich, bei so einem Mädel muß ja eines Tages jemand kommen.

»Nun ja, und?«

»Jerry, er hat mich nicht geheiratet.«

»Nicht geheiratet?«

Und dann schweigt er. Er weiß plötzlich alles, er braucht nicht mehr zu fragen und blickt in sein Glas. Der Blackberry ist dunkelrot wie Venenblut.

»Ist es zu Hause passiert?« fragt er spröde.

»Ja, noch zu Hause. Ich habe am Theater gesungen, er ist auch Sänger gewesen, großer Name, guter Ruf, als Sänger. Und ich habe keine Erfahrungen gehabt, Jerry, gar keine. Er hat mir den Hof gemacht, wir sind zusammen ausgeritten, haben gemeinsam gegessen und auch getrunken. Nach einigen Wochen habe ich ihm gesagt, daß ich...«

»Ja«, sagt Jerry leise. »Du hast es ihm gesagt, wie? Und er hat dich nicht heiraten wollen, ich weiß schon. Was haben deine Eltern gemacht, als sie es erfahren haben?«

»Vater hat mich hinausgeworfen, Jerry. Ich bin weggegangen, weil Vater es so gewollt hat, sogar Geld hat er mir gegeben, damit es niemand erfahren sollte. Ich bin den Fluß hinuntergefahren und habe gedacht, ich sollte ins Wasser springen. Ich bin allein gewesen, schrecklich allein mit all den Sorgen, die man in einer solchen Zeit als Frau hat. Und da habe ich immer an dich gedacht, ich weiß auch nicht, warum es so gewesen ist, aber ich habe auf einmal gewußt, wie du dich gefühlt haben mußt, denn du bist auch klein gewesen und einsam.«

»Ein Junge ist sicher robuster als ein Mädel«, brummt Jerry. »Es muß schrecklich für dich gewesen sein. Es muß immer noch schrecklich für dich sein, glaube ich. Du bist hier, du fährst von einer Stadt zur anderen, aber allein, obwohl da wohl jemand ist, der dich braucht, wie? Ein Junge?«

»Nein«, sagt sie mit zitternden Lippen. »Ein Mädel, Jerry. Es hat zwei kleine Zöpfe und lebt bei fremden Leuten. Ich besuche es zwischen einem Auftritt in einer Stadt und einem in der nächsten. Es ist jetzt zweieinhalb Jahre alt. Es sagt Mutter zu mir, aber... Jerry, ich muß noch ein halbes Jahr durchhalten, nur noch ein halbes Jahr, dann werde ich ein kleines Geschäft irgendwo aufmachen. Doch ich werde sagen müssen, daß der Vater gestorben ist, verstehst du? Ich werde nie mehr einen Mann ansehen. Weißt du nun, warum ich nie mit jemandem trinke?«

»Ja«, erwidert Jerry leise. »Jetzt weiß ich es. Und nun trinken wir beide auf... Wie heißt sie?«

»Elizabeth wie ich.«

»Ein schöner Name, Liz. Trink jetzt.«

»Ich mag nicht, Jerry.«

»Und wenn ich dich bitte?«

Er sieht sie an und lächelt nicht. Er lächelt gern und macht oft Spaß, aber er lächelt nun nicht, er ist ganz ernst.

»Ja«, erwidert sie nickend. »Weil du es bist und wir beide etwas gemeinsam haben: Wir sind beide Waisen, du und ich.«

Sie trinkt und sieht ihn an.

»Jetzt bist du so ernst, Jerry.«

»Ja, ich glaube, das bin ich. Ich denke nach.«

»Damals bist du zum Nachdenken immer an den Fluß gegangen, weißt du noch, Jerry? Du hast gesagt, Wasser hat etwas Beruhigendes an sich, selbst wenn es noch so wild bewegt ist. Worüber denkst du nach?«

»Ach, nur so«, murmelt er. »Ich habe etwas Geld gespart. Weißt du, wenn man als Junge arm gewesen ist, dann geht man vorsichtig mit seinem Geld um. Du mußt noch ein halbes Jahr arbeiten?«

»Ja. Aber was willst du sagen?«

»Nichts, nichts«, sagt der kleine Mann leise. »Ich habe etwa neuntausend Dollar. Reichen die?«

»Jerry!«

»Was ist?« fragt er und lächelt. »Als ich dich zuerst gesehen habe, da habe ich gedacht, daß du nicht mehr auf die Bühne gehörst, auf der dich jeder Mann so anstarrt, als wärest du nackt. Ich bin beinahe böse geworden und bereit gewesen, jedem dieser Burschen an den Hals zu fahren. Du mußt noch einen Monat singen, wie? Danach

gehst du fort und nimmst so viel Geld mit, daß du dein Geschäft aufmachen kannst. Eines Tages kommt der kleine Jerry dich und die kleine Liz besuchen, nur mal so hereinsehen. Einverstanden?«

Sie sieht ihn an. Ihre Augen sind graugrün und groß. Er wird nie ein Mädel mit schöneren Augen sehen, das weiß er. Er wird auch niemals ein anderes Mädel haben wollen.

»Wenn du mich und Elizabeth willst? Ich könnte nie einen besseren Mann bekommen.«

»Mein Gott«, sagt Jerry. »Ich habe all die Jahre von dir geträumt. Ich werde verrückt, ich werde verrückt.«

Er bemerkt die tödliche Stille im Saloon nicht. Er hört nicht, daß die Schwingtür klappt und Sporen leise singen. In diesem Augenblick würde er nicht einmal darauf achten, wenn jemand neben ihm einen Revolver abfeuert. Jerry Lewis ist taub für all die Dinge seiner Umwelt. Er sieht nur Liz an und sonst nichts.

Und dann sagt die kalte, eisige Stimme von Troy Beham hinter ihm:

»Vielleicht ist es besser, wenn du nicht verrückt wirst, mein Freund. Ich bin hier, Lewis. Und ich sage dir, daß du ein hinterlistiger, feiger und verschlagener Schurke bist. Du bist in meinen Augen ein Skunk. Hast du es gehört?«

Er hat es gehört. Und er weiß, daß dies der Anfang vom Ende sein kann. Niemand nennt einen anderen Mann in aller Öffentlichkeit einen Skunk. Es ist ungefähr die schwerste Beleidigung, die jemand einem anderen an den Kopf werfen kann.

Einer sagt:

»Du bist ein Skunk!«

Und der andere darf das nach den Gesetzen dieses Landes nicht hinnehmen, wenn er nicht für alle Zeiten ein Feigling genannt werden will.

Jerry Lewis sieht den Wechsel der Farbe in Elizabeths Gesicht, den Schreck in ihren Augen, die Starre in ihren Zügen und die Angst, die dem Schreck folgt. Er sitzt ganz still und sieht sie an.

Der kleine Mann aus Kansas lächelt. Er war nie feige. Er hat immer gewußt, seine Ellbogen zu gebrauchen. Und er ist nie weggelaufen.

Sein Lächeln ist da, er lächelt beruhigend und warm mitten in ihre Augen hinein.

Dann aber wendet er den Kopf.

Das Lächeln ist fort, sein Gesicht hart.

Und dann sagt er kühl:

»Ich habe dich gehört, Großmaul!« Er hat die Forderung angenommen.

*

»Jerry«, sagt Liz zitternd. »Jerry, du kannst nicht...«

»Steh auf«, erwidert er langsam. »Dann geh zur Seite oder hinaus! Es ist nichts für dich, gar nichts. Geh, sage ich, Liz!«

Er sieht dabei Troy Beham an. Und er erkennt die kurze Verwunderung, die in den Augen des Revolvermannes auftaucht und erlischt. Sicher wundert sich Beham in diesem Augenblick heftig darüber, daß Jerry Lilly McDonald einfach Liz nennt.

»Ja, Jerry«, sagt sie nun hinter Lewis, und es hört sich an, als wenn ihre Kehle wie zugeschnürt ist.

Ihr Stuhl scharrt, sie steht auf und ist kreidebleich. Sie hat Jerry gefunden, diesen Mann, dessen Jugend sie erst ganz verstanden hat, als sie auch so allein gewesen ist wie er damals. In ihren Gedanken ist Jerry immer ein anständiger, hilfsbereiter und mutiger Mensch gewesen. Er ist es auch heute noch. Sie weiß, daß auf der Ranch des alten Larry O’Willis eines Tages die Männer weggelaufen sind. Und jeder Mann, so sagt man in der Stadt, der es bei dem Mädel auf dem verlorenen Posten aushält, ist entweder irr oder besonders mutig.

Es ist kein Gefühl von Stolz in ihr, daß Jerry Mut besitzt. Sie hat nur schreckliche, bohrende Angst in sich und geht bis zum Tresen.

In diesem Augenblick meldet sich Worland, der bisher geschwiegen hat. Worland ist auch kein Feigling, obwohl er sozusagen diesen Saloon erst mit der Genehmigung von James Ornell bekommen hat. Er hat Geld von der Bank gebraucht. Und James Ornell hätte zu ihm nur ein Wort sagen brauchen: Nein! Ornell hat mit ihm gesprochen und ihm gesagt, daß er das Geld bekommen wird. Ornell hat sich für ihn eingesetzt, aber es sind vier Jahre her.

Worland sieht Beham, und er kämpft eine halbe Minute mit seiner Vernunft. Dann jedoch hat er sich entschieden und sagt gepreßt:

»Troy, dies ist mein Saloon. Keine Schießerei hier drin, ich will das nicht, hörst du?«

Jerry Lewis hört ihn reden. Und irgendwie hat der kleine Kansasmann das Gefühl, daß Worland ein Mann ist, ein Mann, der sich nicht ducken wird. Ihm imponiert Worlands Mut, offen seine Meinung zu äußern.

Jerry blickt an Beham vorbei. Er sieht nun Jake Sherman. Und er hat auch ihn erwartet

Sherman ist links der Tür. Er steht da, ein großer, breitschultriger und irgendwie farblos wirkender Mann mit wasserhellen Augen und weißblonden Augenbrauen.

Sherman ist gefährlich, er ist wie Beham noch nicht alt auf der Ornell Ranch.

Rechts der Tür – Jerry sieht den Mann jetzt, denn wenn er links ist, wird noch einer rechts sein, eine einfache Rechnung – steht Haymes.

Joker Haymes ist klein, er ist schnell und zäh, man sieht ihm das an. Er soll aus Nevada stammen, ein Mann mit einer lederartigen, stark faltigen Haut und dunklen, stechenden Augen.

Er schickt einen schnellen Blick nach hinten und sieht Liz aus der Tür hasten. Sie ist fort. Gut so, das ist nichts für eine Lady, schon gar nicht für Liz. Und die anderen Mädchen verschwinden samt ihren Freunden an der Seitenwand entlang auf den Tresen zu.

Erst in diesem Moment sagt Beham kalt und spröde zu Worland:

»Adam, du bist nicht gefragt. Wenn du dir das merken willst.«

Worland, blaß aber stur, nimmt das Kinn vor und sagt grimmig:

»Ich denke, ihr solltet euren Streit auf der Weide, aber nicht in dieser Stadt austragen, Beham. Das ist nicht meine Meinung allein. Du wirst mir hier nichts entzweischießen!«

»Bist du nicht ganz bei Verstand?« fragt Beham scharf. »Du willst mir sagen, was ich zu tun habe?«

»In meinem Haus, glaube ich, kann ich das, Beham.«

»Sieh mal an, sieh mal an«, sagt Beham nur voller beißendem Hohn. »Das wird jemanden sehr freuen, wenn er es hört. Du hast doch hoffentlich diesen Palast ganz bezahlt, wie?«

»Das habe ich«, erwidert Worland und wird nun wirklich zornig. »Du solltest mir nicht drohen, Beham, ich bin ein freier Mann hier. Und ich rede, wie ich will. Dies ist mein Haus, in dem bestimme ich. Wenn du hier etwas anfängst, dann wirst du was erleben.«

Er schweigt plötzlich, denn er sieht Shermans Bewegung mit dem Revolver. Sherman macht zwei Schritte und sagt dann scharf:

»Bist du jetzt bald still, Schwätzer!«

»Ihr würdet auch niemandem in eurem Haus...«

»Halt die Klappe«, sagt Sherman böse. »Du hast dich nicht einzumischen, Worland.«

Es ist sinnlos, denkt Worland beklommen. Ich habe meine Pflicht getan, mehr kann niemand verlangen. Ich habe meine Neutralität erklären wollen. Aber was soll das.

Er muß lächeln, aber dieses Lächeln ist bitter. In dieser Sekunde erkennt Worland die Gefahr, die ihm selbst drohen kann. Wenn die großen Rancher ihre Mannschaften nicht mehr zu ihm schicken, dann kann er seinen Saloon verkaufen.

»Adam«, sagt da auch schon Jerry trocken. »Misch dich nicht ein. Du kannst die Dinge nicht von dir entfernt halten. Sie werden immer tun, was sie gerade wollen. Beham, mein Freund, kann ich aufstehen?«

»Steh nur auf, Skunk, aber nimm deine Hand von der Hüfte weg.«

»Ich bin doch nicht so ein Narr wie du.«

Beham zuckt, aber er beherrscht sich doch. Er kennt jedoch jene Tricks nicht, mit denen sich die Halbwüchsigen in Kansas City gereizt haben.

Jerry Lewis steht ganz langsam auf und hält die Hand vom Körper ab. Es ist sinnlos, zu ziehen und zu schießen. Er hat bei der Stellung dieser drei Männer keine Chance, selbst wenn Shermann und Haymes nur Zuschauer sein wollen. Er schiebt mit dem Fuß den Stuhl weg und sieht gar nicht hin. Aber bereits in dieser Bewegung liegt der Ansatz zu einem Trick.

Der Stuhl wird von Jerry zwar zur Seite geschoben, aber er steht nun so, daß Lewis seinen Fuß in den Vorderstollen mit seiner Sprosse haken kann.

Hinter Jerry rennen die Leute weg. Sie machen Platz. Sie drängen sich in den Ecken des Raumes zusammen und halten den Atem an.

Ich werde, denkt Jerry, zurückweichen und ihn ärgern. Man braucht nur zu tricksen, um ihn wütend zu machen. Und wenn er auch nur eine Sekunde die Beherrschung verliert, die eine Sekunde reicht für mich aus.

Beham steht zwei Schritt vor der Tür und sieht ihn kalt an.

»Beham«, sagt Jerry und grinst höhnisch, »brauchst du immer zwei Mann zur Begleitung?«

»Sie sind nur mitgeritten, Zwerg!«

»Wozu hat Sherman dann seinen Revolver in der Hand?« fragt Jerry langsam. »Ich verstehe, du brauchst jemanden, der dich deckt, wie? Seitdem du einmal geschlagen worden bist, mußt du vorsichtig sein, Beham. Es ist auch nicht beruhigend zu wissen, daß man einmal weggelaufen ist. Da will man nicht noch einmal... wegrennen müssen!«

Er grinst. Und er weiß es, denn dieses kann Beham nicht auf sich sitzenlassen, es hören zu viele Leute Jerrys Worte.

»Ich bin nie weggelaufen«, sagt Beham und ist um die Nasenspitze ganz weiß geworden. »Du kleiner, schmutziger Lügner, ich bin noch nie weggelaufen.«

»Wenn sie es hier auch nicht wissen«, unterbricht ihn Jerry höhnisch. »Ich weiß es aber, Beham. Du bist vor jemandem aus einer Stadt gerannt. Du hast nicht mal gewartet, daß er kam. Er hat dir eine Frist gestellt.«

»Mensch, noch ein Wort«, sagt Beham keuchend und hat die Hand in der Schwebe über dem Revolver. »Du lügst wie wie der schmutzigste Lump!«

»Nicht so gut wie du«, pariert Jerry. »Sonst würde ich es nicht erzählen und du es nicht abstreiten, du Lügenbeutel. Du kannst nur auf Leute losgehen, die dir, wie du denkst, nicht gewachsen sind. Das hast du schon mal gedacht. Und als du ihn dann hast schießen sehen... Wußtest du das nicht, Sherman? Er hat mal gekniffen, dieser großmäulige Angeber, er hat sich fast in die Hosen gemacht.«

Dabei geht er rückwärts. Er weiß zu gut, daß Beham nun Sherman ansehen wird. Er muß das einfach tun, denn nichts ist schlimmer, als daß seine Freunde glauben könnten, er sei ein Feigling. Gleich wird er hinsehen.

Sherman starrt verstört auf Beham und hat wirklich seinen Revolver eingesteckt.

»Es ist nicht wahr, der Strolch lügt, Jake«, sagt Beham da auch schon mit vor Zorn schriller Stimme. »Ich sage dir, er will mich nur...«

Und da sieht er tatsächlich zu Sherman hin.

In dieser Sekunde holt Jerry Lewis einmal aus.

Es ist ein blitzschneller, gekonnter Tritt. Vielleicht muß man zu solch einem Tritt erst einmal ein Wildpferd geritten haben, denn beim Zureiten entscheidet oft ein einziger Tritt darüber, ob man fliegt oder im Sattel bleiben kann, ob man abgeworfen wird und sich den Hals bricht oder das Pferd besiegt.

Jerry tritt zu.

Er trifft den Stuhlrollen genau am richtigen Punkt.

Und der Stuhl fliegt los.

Die Sache beginnt.

*

Liz McDonald kommt zitternd in den Gang, der zur Hintertür führt.

Einen Augenblick steht sie schwer atmend an der Wand. Ihre Gedanken sind so verwirrt, daß sie einen Moment Ruhe braucht.

Jerry, denkt sie entsetzt, er hat doch keine Chance. Kein Mann kann so eine Beleidigung auf sich sitzenlassen. Und er schon gar nicht. Er wird gegen Beham ziehen müssen. Aber er ist zu langsam für diesen Revolverhelden.

Mein Gott, man muß ihm helfen, aber wie?

Plötzlich denkt sie an den Sheriff. John Ellison muß eingreifen, er muß etwas tun, damit es kein Unglück gibt.

Das, was Beham tun will, wird Mord sein.

Liz läuft los. Sie kommt aus der Hintertür und läuft in den Hof. Da vorn ist das offene Tor, dort vorn ist die Straße. Und schräg gegenüber ist das Sheriffs Office. John Ellison wird etwas tun müssen, schließlich ist er der Sheriff.

Ein Ornell-Mann, denkt sie plötzlich erschrocken. Es heißt, daß er ein Ornell-Mann ist, aber er ist doch Sheriff.

Sie ist am Tor, will vorbei und hört plötzlich das Scharren neben sich.

Im nächsten Augenblick preßt eine Hand ihren Arm zusammen. Es ist ein scharfer, eiserner Griff, der sie am Arm erwischt und sie augenblicklich festhält.

Erschrocken bleibt sie stehen, stolpert und fühlt sich von der anderen Hand an der Schulter gehalten.

»Nur nicht«, sagt John Ellision düster. »Nicht auf die Straße, Lady. Da draußen ist die halbe Mannschaft der Ornell-Ranch!«

Dieser eine, fürchterliche Gedanke ist es, der Liz McDonald alle Kraft nehmen will. Die halbe Ornell-Mannschaft!

»Mein Gott!«

Sie taumelt, aber der Sheriff hält sie fest und sagt kühl:

»Nur nicht zu laut werden, es wird dadurch nicht besser. Sie sind alle da, die hart genug für diese Sache sind. Bleiben Sie hier stehen, Lady!«

»Sie – Sie müssen etwas tun, Ellison«, sagt sie angstvoll. »Da drin ist Beham mit Sherman und diesem Haymes. Sie werden Jerry umbringen. Sie bringen ihn um, hören Sie?«

»Nein«, erwidert Ellison spröde. »Dann würden sie nicht die halbe Mannschaft mitgebracht haben. Sie wollen ihn lebend aus der Stadt bringen, aber nicht etwa tot. Dort drüben halten sie alle in einem Block und warten auf Beham, der Lewis aus dem Saloon bringen soll.«

»Jerry schießt«, sagt Liz ängstlich. »Sheriff, Sie können sich nicht heraushalten oder abwarten. Jerry ist nicht der Mann, der sich vor Beham duckt, er wird schießen.«

»Das macht er nicht, er weiß doch, daß er keine Chance hat, Lady.«

»Doch, doch, ich kenne ihn genau, ich bin mit ihm zusammen aufgewachsen, Ellison, er schießt, ich weiß es. Laufen Sie doch, gehen Sie schnell! Sie kommen doch von hinten noch herein. Er schießt, ich beschwöre Sie, Ellison, gehen Sie!«

»Er wird doch nicht wirklich schießen?«

Ellison faßt sich an den Kopf, dann läßt er Liz jäh los und läuft. Er hat nicht eine Sekunde daran geglaubt, daß Lewis gegen drei Männer etwas unternehmen wird. Nur ein völliger Narr wird sich gegen eine Übermacht stellen. Gegen drei Männer kämpft nur ein Mann, der über so große Fähigkeiten verfügt, daß er sich immer noch eine Chance ausrechnet.

John Ellison rennt am Haus entlang und stürmt auf die Hintertür zu. Er springt durch die offenstehende Tür in den Gang, sieht die Tür zum Saloon vor sich und streckt gerade die Hand aus, als er Beham schroff und wütend sagen hört:

»Ich sage dir, er will mich nur...«

Und dann gibt es ein wildes Gepolter.

Ellison drückt die Klinke nach unten.

Aber ehe er die Tür aufziehen kann, brüllt der Schuß auch schon los und irgendwer sagt:

»Narr!«

Mitten in dieses Wort hinein kracht der zweite Schuß.

John Ellison kommt zu spät.

Lewis hat geschossen.

*

Der Stuhl fliegt urplötzlich hoch. Er dreht sich in der Luft und schießt auf Beham los.

Mehr sieht der kleine Mann aus Kansas nicht, denn er muß sehr schnell sein, schneller als jemals zuvor in seinem Leben.

Jerry Lewis duckt sich. Er braucht nur sein Gewicht etwas zu verlagern, dann kippt er auch schon über den rechten Fuß nach der Seite um.

Seine rechte Hand bewegt sich jetzt. Er fällt, streckt die linke Hand aus und erwischt die Kante des Tisches. Im Fallen stemmt Jerry Lewis den Tisch bereits an. Dadurch kracht er zwar bedeutend schneller zu Boden, aber er kann Beham nun nicht mehr sehen. Er erkennt nur noch, daß Troy Beham wegspringt, um dem Stuhl auszuweichen, der schräg in seine Schußlinie auf Jerry hineinfliegt. Dabei aber schnellt Behams Hand zum Revolver.

Der Tisch, denkt Jerry verzweifelt. Er liegt am Boden und bringt ihn endlich zum Stürzen.

Der Tisch kippt um. Gleichzeitig kracht Troy Behams Revolver los. Jerry aber liegt hinter ihm auf den Knien, hört den wilden, berstenden Laut, mit dem die Kugel in die Platte schlägt, einen langen Holzsplitter losreißt, und er zieht den Revolver hoch.

In diesem Augenblick ist nichts als die Furcht in ihm, daß Beham feuert und noch schneller schießen kann, als Jerry jemals gedacht hat.

Doch Beham ist zu verwirrt und zu wütend. Er sieht Jerrys Revolver auftauchen, duckt sich und sieht auch schon den Blitz aus der Mündung der Waffe schlagen. Jerry Lewis sagt irgendein Wort, das Beham nicht mehr versteht, denn das Gepolter des Tisches und der Krach seines eigenen Revolvers verschlucken es. Dazu liegen die beiden Schüsse auch im Abstand einer Sekunde. Ehe Beham seinen Revolverhammer erneut zurückreißen kann, kracht der Schuß.

Behams rechter Arm wird zurückgestoßen. Die Hand öffnet sich. Und während Beham vor Entsetzen über die Schnelligkeit des Kansasmannes abduckt, poltert der Revolver drei Schritt hinter ihm auf den Boden.

Links neben der Tür sieht Sherman Beham torkeln. Er erkennt nicht gleich, daß Beham nicht ernstlich verletzt worden ist, und denkt entsetzt: Beham fällt um, er ist getroffen!

Dann aber handelt er:

Er kann Jerry Lewis hinter dem Tisch erkennen, den Lewis so blitzschnell umgestürzt hat, daß selbst Beham zu spät die Absicht erkannt hat. Lewis ist da und sagt wild, sein Revolver deutet in diesem Moment schon auf Sherman:

»Hoch mit der Hand, hoch!«

Die Worte fallen in anderthalb Sekunden, aber in sie hinein reißt jemand die Hintertür auf und springt mit einem kurzen Satz in den Raum. Es ist nicht Sherman, der seinen Revolver noch aus dem Halfter bringt.

Es ist der kleine Joker Haymes.

Haymes, ein listiger Mann mit einem schnellen Reaktionsvermögen, zuckt sofort beim Tritt unter den Stuhl zusammen. Und wenn er auch erschrocken ist, er handelt gleich darauf. In diesem Moment hat Haymes seinen Revolver heraus und will ihn hochreißen.

Haymes sieht die offene Tür und den Mann auf sich zukommen.

Er erkennt um ein Haar zu spät, daß es John Ellison ist. Und Ellison wiederum sieht nur den hochkommenden Revolver.

John Ellison hat seinen Revolver bereits im Gang gezogen und schießt augenblicklich.

Es ist Haymes, als wenn ihm jemand mit aller Macht gegen die Haare schlägt. Die Kugel zischt heran, sein Hut fliegt davon, und Ellison sagt, buchstäblich fauchend:

»Laß fallen, du Narr!«

Er, denkt Haymes verstört, er ist doch ein Ornell-Mann, und er schießt auf mich, einen Reiter der Ornell-Ranch? Ist der wahnsinnig, dieser verdammte Narr?

»Laß fallen, Haymes!«

Der spreizt die Hand, der Revolver fällt auf die Dielen. Neben Haymes aber taumelt Beham, dessen Schock viel schlimmer als die Verletzung ist, gegen den nächsten Tisch und hält sich krampfhaft mit der Linken fest. Sein heiseres Atmen erfüllt Haymes einen Moment mit der Furcht, daß Beham schwer getroffen worden ist. Dann erst sieht er Behams rechten Arm und sagt keuchend:

»Der Sheriff, Troy, der Sheriff!«

Beham lehnt am Tisch, er ist halb über ihn gesunken und hat sicherlich Schmerzen. Er hebt langsam den Kopf, sieht nur Ellison an der Wand entlang kommen und begreift nichts mehr.

»Weg mit dem Revolver, Sherman«, sagt John Ellison grimmig. »Ihr Narren, ich werde euch zeigen, in der Stadt eine Schießerei anzufangen. Laß dein Schießeisen fallen, Lewis, laß es fallen, Mann!«

»Ich bin doch nicht verrückt«, erwidert Jerry bissig. »Sie wollen mich haben. Dieser Sherman hat in meinen Rücken kommen wollen. Sheriff, nicht mit mir!«

»Schießt du, dann erlebst du was, Mann!«

Sherman nimmt die Hand vom Revolverkolben und starrt Ellison grimmig an. Er begreift nicht, warum der Sheriff sich einmischt, denn der Alte hat ihnen gesagt, daß sich Ellison heraushalten wird. Er sei sicher, so hat er gesagt, daß Ellison nichts sehen und nichts hören wird. Dieser Ellison, der jetzt kommt, ist ein anderer Ellison, ein völlig anderer Mann. Er wirkt wie eine geballte Ladung Sprengpratronen, die jede Sekunde explodieren kann. Und er geht nicht etwa auf Sherman zu, sondern bleibt dicht an der Wand. Dort hastet er förmlich auf die Ecke des Raumes zu. Und erst in ihr bleibt er, den Rücken zur Wand, stehen.

Beham, dessen Augen stumpf wirken, setzt sich keuchend auf den Stuhl am Tisch. Er kann nicht mehr stehen. Der Schock läßt seine Beine zittern, seine Knie sind weich.

»Schnell den Gurt auf, Sherman«, sagt da auch schon Ellison in seiner Ecke. »Schnell, Mann, das ist ein Befehl. Du schnallst den Gurt auf. Und du, Haymes, behalte die Hände nur oben. Ich schieße sofort, wenn ihr trickst!«

In dieser Sekunde hört er es. Und mit ihm hören es mehr als hundert-fünfzig Leute in den Häusern, auf der Straße und im Saloon.

Draußen knallen Hufe, Pferde gehen an. Irgendwer ruft:

»Troy, Troy, was ist passiert? Troy...«

Gleich darauf aber kommt hell und scharf wie ein Peitschenknall die Stimme irgendwo auf.

»Halt, anhalten, Rooper! Anhalten, sage ich! Keinen Schritt weiter!«

»Ja, reitet nur weiter, ich habe eine prächtige Schrotflinte und drücke ab. Bleibt nur so schön zusammen, Freunde, immer ruhig, Rooper, da sind noch mehr. Zeigt euch, damit der Narr begreift, wie schön eine Falle sein kann, in der es nichts als eine Kugel gibt. Lonny, Torro, Steve – Achtung!«

Ein Pferd trompetet schrill, andere wiehern grell und schmetternd. Die wilden Rufe einiger Männer ertönen draußen.

Und dann kracht der schwere Hall eines Gewehrschusses durch die Straße.

Jemand schreit peitschend und wild:

»Bewegt euch nicht, ihr seid umstellt, Rooper. Die Hände herauf, sonst gibt’s was!«

Männer fluchen, das Hufgetrappel, eben noch laut und heftig, verstummt mit einem Schlag.

Jerry Lewis sieht Shermans längliches Gesicht, aus dem alle Farbe weicht. Haymes erstarrt vollkommen, und Beham richtet sich ächzend auf.

Sie stehen alle in diesem Augenblick still und sehen sich verstört und ungläubig an.

»Nicht bewegen«, sagt John Ellison keuchend, als Haymes eine Bewegung zur Tür machen will. »Bleib stehen, das ist die Eagle-Mannschaft!«

In diesem Moment läuft jemand über den Vorbau, und die helle, scharfe Stimme von Dana O’Willis sagt draußen:

»Lewis, Jerry, alles okay?«

»Mit mir ist nichts, Lady«, erwidert Jerry laut. »Der Sheriff ist hier drin. Kommen Sie nicht herein!«

»Bleiben Sie dort draußen«, meldet sich auch schon Ellison grimmig. »Wenn einer von euch eine Schießerei beginnt, dann sperre ich euch alle ein. Diese Narren, zwei Mannschaften in einer Stadt. Ich werde euch alle hinausjagen. Und wenn es das letzte ist, was ich tue!«

»Du sagst es«, meint Beham höhnisch, der den Schock der Kugel endlich überwunden hat. »Du sagst es ganz genau, du Narr. Was meinst du, was der Boß tun wird, wenn er dies alles hört? Ellison, du bist ein erledigter Mann. Warte, Haymes, warte, sei kein Narr, wir sind zu schwach, die Burschen dieser Viehdiebslady stecken draußen überall, und unsere Leute sind mitten auf der Straße in einem Rudel. Sie können gar nichts tun. Nicht schießen, Rooper!«

Ed Rooper, einer der ältesten Reiter des großen James Hadley Ornell, blickt sich um. Er hat mit seinen Männern auf den Saloon zureiten wollen, aber er ist keine zehn Schritt weit gekommen.

Linker Hand am Store stehen zwei Mann der O’Willis-Ranch und sehen über ihre Gewehrläufe hinweg auf das Rudel Reiter. In der Gasse neben dem Saloon steht der große, schwere Bill Marlow, ein Mann, von dem Magoffin mit leisem, furchtsamen Schauder berichtet hat. Er, dieser Bulle Marlow ist es gewesen, der Webb und Magoffin erwischt hat, als sie zu weit auf dem Gebiet der Feuerhaar-Lady gewesen sind. Und was danach passiert ist...

Einen Augenblick zieht sich Edward Roopers Magen zusammen. Er hat das Gefühl, daß er noch niemals in seinem Leben in einer derartigen Falle gesteckt hat. Er ist seiner Ranch treu, er ist gewohnt, Befehle auszuführen und zu gehorchen, aber er ist nicht irrsinnig genug, jetzt etwas zu tun, obwohl er einen klaren Befehl bekommen hat.

Irgend etwas im Saloon Worlands muß nicht so gelaufen sein, wie sie es sich gedacht haben.

Rooper blickt sich um und zieht fröstelnd die Schultern hoch. Sie sind überall. So weit er blicken kann, stecken sie hinter Hausecken, in Gassenmündungen und hinter Tonnen. Sie sind nun gleichstark, was die Zahl der Männer angeht, aber Roopers beste Leute liegen mit Beulen auf der Ranch und sind beinahe fertig. Sie werden erst in zwei, drei Tagen wieder reiten können.

Mein Gott, denkt Rooper, und die Schwere in seinem Magen nimmt immer mehr zu, wenn sie jetzt schießen, dann ist es aus mit uns!

Sie schießen nicht, sie passen nur auf, und sie bilden eine Mannschaft, die der der Ornell-Ranch plötzlich überlegen ist.

Das ist es, was der nüchtern denkende Ed Rooper die ganzen Jahre befürchtet hat. Dieses Mädel mit der zerbrechlichen Figur und einem unheimlich harten Willen hat sich nacheinander Männer geholt, die durch die Bank eisenhart sind. Niemals haben diese Männer von sich aus etwas angefangen. Sie sind still gewesen, sie haben sich aus der Stadt jagen lassen, drei – oder viermal sind einige von ihnen von der Ornell-Mannschaft verprügelt worden. Und sie haben es geschluckt.

»Das ist es«, sagt Rooper und erkennt die Taktik dieses Mädchens erst jetzt in aller Folgenschwere. »Sie hat gewartet und weiß jetzt, daß sie genug Leute hat, um James die Zähne zeigen zu können. James wird verrückt, wenn er das hört, er wird wahnsinnig vor Wut werden. Genau wie damals, als Joel weggegangen ist. Ach, der Junge müßte hier sein.«

Er ist nicht da, er ist weggegangen. Joel Ornell hat sein Elternhaus verlassen, schon vor Jahren.

»Ruhig«, sagt Rooper heiser, als sich Baldwin bewegt. »Lester, sitz still, wir können hier nur sterben, wenn dieses Mädchen das will. Was für ein Glück, daß sie kein Mann ist, was für ein Glück! Sitz ruhig!«

Im Saloon sieht Beham, vor Zorn mit den Zähnen knirschend, alles, was sich auf der Straße abspielt.

Behams Schwäche ist vorbei. Er ist jetzt nur noch wütend und verliert fast die Beherrschung vor Zorn. Dieser kleine, krummbeinige Lump da hinten ist zu langsam für ihn, aber zu schlau gewesen.

Nur einmal, denkt Beham gallenbitter, nur dieses eine Mal, Lewis. Die Kugel schuldest du mir noch.

Plötzlich weiß er, daß er ihn umbringen wird. Er wird es tun, weil er jene Lügengeschichte über ihn erzählt hat und weil man einen Mann wie Beham nicht trickst.

»Steh still, Beham«, sagt da auch noch John Ellison bitter. »Du hast also zuerst geschossen, wie? Und du drohst mir mit deinem Boß? Paß gut auf, Mann, ich bin der Sheriff. Diese Stadt hat mich gewählt, damit es ruhig in ihr zugeht. Wer immer hier den Stadtfrieden bricht, er wird mich sehen. Du gehst jetzt mit deinen Freunden hinaus, du gehst vor mir. Und ich werde meinen Revolver in der Hand halten. Miß O’Willis, hören Sie mich?«

Sie hat eine vollkommen ruhige Stimme und muß dicht neben der Tür stehen.

»Ja«, sagt sie draußen fest. »Sheriff, was ist?«

»Beham kommt mit den anderen beiden heraus. Gehen Sie dort weg und sagen Sie Ihren Männern, daß nicht geschossen wird, verstanden?«

»In Ordnung.«

Er hört sie rufen und weiß genau, daß er in den Augen des alten Ornell Stellung bezogen hat, aber gegen die Ornell-Ranch. Das kann ihn nicht mehr kosten als nur seinen Posten.

Er sieht Behams stechenden verschlagenen Blick und hört ihn sagen:

»Ich habe keine Schießerei gewollt. Sherman sollte in den Rücken von Lewis gehen, wir wollten ihn nur mitnehmen. Lewis hat angefangen.«

»Womit?« fragt Ellison scharf. »Hat er zuerst geschossen? Nun, warum sagst du nichts, Beham?«

»Es ist ein Trick von diesem Schuft gewesen«, antwortet Beham knirschend. »Ein schmutziger Trick. Er hat mich gezwungen...«

»Raus jetzt«, unterbricht ihn John Ellison scharf. »Geh schon, Beham!«

»Das wirst du bezahlen, Lewis«, fährt Beham unbeirrt fort. »Ich verspreche dir, wenn ich dich noch einmal treffe, dann gibt es keinen Trick mehr für dich, du Skunk. Ich werde schießen und dich umbringen. Und du, Ellison, du bist der größte Narr unter der Sonne, du wirst deinen Orden abgeben müssen. Und wenn ich ihn dir selbst abreiße und ihn in den Staub werfe, aber du wirst ihn verlieren. Das ist ein Versprechen, Mann. Niemand wirft die Ornell-Mannschaft aus dieser Stadt hinaus!«

Ellison schweigt. Er tritt nur etwas zur Seite und sieht Beham losgehen. Einen Moment hat Ellison das heftige Gefühl, Beham anspringen zu müssen und ihn niederzuschlagen. Und wenn Beham nicht verwundet wäre, wer weiß, was John tun würde.

Er kocht, aber er schweigt und läßt sie gehen. Dann tritt er hinter ihnen heraus und sieht die Männer in den Deckungen verteilt und die Ornell-Mannschaft stehen.

Er hört hinter sich im Saloon die Tür klappen und Lilly McDonald gepreßt sagen:

»Jerry, er wird dich umbringen. Jerry, laß uns weggehen, bitte, Jerry!«

»Ich soll...«

Jerry sieht sie groß und staunend an, dann schluckt er einmal und schüttelt den Kopf.

»Ich laufe niemals davon, Liz«, sagt er düster. »Nicht hier und nirgendwo anders. Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Ich laufe niemals fort.«

»Du mußt, Jerry«, erwidert sie keuchend. »Es ist doch Wahnsinn, du weißt, daß er auf dich losgehen wird, sobald er eine Gelegenheit dazu hat. Jerry, ich will, daß du weggehst, hörst du?«

»Du willst?« fragt Jerry. Sein Gesicht wird jäh hart und todernst. »Ist das eine Bedingung?«

»Nun ja, wenn du es so willst, es ist eine, Jerry.«

»Gut«, murmelt Jerry. Und es ist ihm wieder wie damals, als sie gesagt hat, sie würde erst mit ihm auf den Jahrmarkt gehen, hätte er keine Sommersprossen mehr. Sie wird immer wieder Bedingungen stellen. Und er ist nicht der Mann, der jemals von einer Frau Befehle annimmt. »So ist es gut, das hättest du nicht sagen sollen, Liz. Ich gehe, ich gehe jetzt gleich. Und erwarte nicht, daß ich jemals angekrochen komme. Du wirst es tun müssen oder du kannst gehen, wohin du willst. Dies ist mein letztes Wort. Ich habe gesprochen.«

Aus, denkt Jerry, es ist aus. Sie ist zu stolz, um sich zu beugen, sie denkt immer noch, daß ich der kleine, schmutzige Junge von der Riverside bin und ich zu gehorchen habe, wie? Ich will lieber sterben, als mich jemals von einer Frau so klein machen zu lassen, daß die Leute mich einen Schürzenheld und Feigling nennen. Weglaufen, ich? Ich bin noch nie fortgelaufen und habe mich gedrückt.

Einen Augenblick ist er wie blind vor Zorn und Enttäuschung. Sie verlangt von ihm, daß er sich wie ein Feigling aus dem Land schleicht. Sie stellt Bedingungen?

Plötzlich fällt ihm Beham ein. Er spürt Wut, nichts als Wut. Dieser Bursche hat ihm alles entzweigemacht. Wo ist dieser Schuft?

Er dreht sich jäh um und sieht noch einmal ihre großen, erschrockenen Augen. Und dann rennt er nach draußen. Er stürmt wie ein kleiner, wilder Kampfstier durch die Tür und dem Sheriff mitten in den Rücken, der einen Schritt zur Seite taumelt.

Da ist auch Dana O’Willis. Sie sieht Jerry an, und Jerry hat das Gefühl, daß sie ihm noch einige weniger schöne Dinge zu sagen hat. Auch so eine Langhaarige, denkt Jerry wütend. Sie kann mich. Die können mich alle! Wo ist dieser Lump Beham?

Und da sieht er ihn.

Die anderen beiden sitzen schon auf ihren Pferden, aber Beham ist wegen seiner Verletzung langsamer und noch nicht an der Seite seines Pferdes heraus.

»Beham«, sagt der kleine Mann aus Kansas fauchend. »Warte, du Großmaul, und sperre deine Ohren auf. Jetzt sage ich dir etwas, Mister, ich sage es dir und ich werde es tun: Erwische ich dich irgendwann einmal, dann schieße ich. Und es wird mir ganz gleich sein, ob es von vorn oder hinten ist. Ich werde sehen und schießen, damit du endlich in die Hölle kommst. In die gehörst du schon lange.«

Jerry Lewis ist wütend genug, um gleich auf Beham loszugehen.

Er sieht den Sheriff zusammenfahren, Beham kreidebleich vor Wut werden und Dana O’Willis entsetzt den Kopf herumnehmen. So kennt man den Mann aus Kansas hier nicht, so hat ihn noch keiner gesehen: wild, zornig und bis auf das Blut gereizt.

Sie hören alle, was er zu sagen hat.

Er will Beham erschießen, sobald er ihn sieht.

Von vorn oder von hinten, es ist ihm gleich.

Und genau das ist es, was Jerry Lewis eines Tagens einen Strick um den Hals einbringt. Diese Worte sind es.

»Von vorn oder hinten.«

Und dafür bekommt Jerry einen Strick.

Einen Strick um seinen Hals.

Eines Tages.

*

Er flucht nicht mehr.

Er schreit auch jetzt nicht mehr.

Seine Wut ist vorbei, sein Brüllen verstummt. Nur noch der Blick ist wild, mit dem er sich umsieht.

Es dauert Minuten, ehe er erkennt, daß er am Oberlauf des Tecolote-Baches ist und noch immer im Sattel sitzt. Diese Flucht vor sich selbst hat ihn immer weiter in die Berge getrieben. Sie hat ihn mit so ohnmächtiger Wut erfüllt, daß er stundenlang geritten ist und nicht einmal auf den Weg geachtet hat.

Er hält an, weil sein Pferd nicht mehr kann und nur noch wankt. Er hat dieses Pferd hart geritten und sich nicht darum gekümmert, ob es immer weiterlaufen mußte, ob er es mit den Hacken bearbeitet oder sein bestes Pferd sogar mit den Zügeln links und rechts geschlagen hat.

Der Mann weiß es nicht mehr. Es ist heller Tag, die Sonne scheint, und er ist allein auf seinem Land. Auf seinem Land?

Er sieht sich um und weiß, daß er mehr als zehn Meilen von seinem Land heruntergeritten ist.

Und dann sagt er, während sein Pferd zitternd stehenbleibt und die Flanken im Strom der Luft flattern, die das Pferd einsaugt:

»Ich bringe sie alle um. Diese Narren, diese Tölpel, diese völligen Versager. Wozu stellt man sich Leute ein? Wozu bezahlt man ihnen hundert oder siebzig Dollar im Monat? Wozu verläßt man sich auf gehirnlose Schwächlinge, die nicht denken, nicht handeln und nicht einmal schießen können? Dieser Idiot Beham hat eine Kugel im Arm. Und was sagt er, dieser Trottel, dieser nachgemachte Mensch, was plärrt er? Ich bin getrickst worden, Boß, ich habe nicht damit gerechnet, daß dieser Lewis so irrsinnig sein würde zu schießen. Das macht doch kein vernünftiger Mensch.«

Der alte Mann sitzt vorgebeugt still auf seinem Pferd und beginnt zu lachen. Er lacht wild und böse, voller Zorn und mit einem Unterton von Hohn.

»Lewis«, sagt er dann keuchend. »So ein kleiner Bursche und zäh wie eine Katze, schlau wie ein Fuchs und mutig wie ein Löwe, was? Einen Mann von dieser Sorte, nur einen einzigen mit dem Mut dieses kleinen Burschen müßte ich haben. Ja, ich weiß, ich weiß.«

Er steigt ab und läßt sein Pferd einfach stehen. Unter dem Baum findet er einen schattigen Platz, setzt sich hin und stützt den Kopf in die Hände.

Er weiß plötzlich ganz genau, daß kein Geld die Treue ersetzen kann. Man kann mit Geld alles kaufen, aber keine Ideale. Sie kämpfen für ihn, weil er es ihnen befohlen hat. Sie sind aber nicht mit dem ganzen Herzen dabei, das genau ist es.

»Dieses Mädel«, sagt der alte James Hadley Ornell keuchend. »Dieses rot-haarige Frauenzimmer – wer hätte das gedacht? Sie hat sich die Burschen ins Land geholt und ihnen sicher immer wieder gesagt, daß sie friedlich zu sein haben. Diese Männer haben gehorcht. Und ich habe mich bluffen lassen. Sie ist genauso schlau wie dieser alte Teufel Larry O’Willis. Nein, sie ist noch schlauer. Der hat sie vergiftet, der Kerl hat sie schon vergiftet, als sie noch ein kleines Ding von elf oder zwölf Jahren gewesen ist. Ich weiß es noch genau, wie sie damals angekommen ist. Ihre Mutter hat dem alten Larry die Wirtschaft geführt, nachdem Larrys Bruder sie und dieses rotzöpfige Girl allein auf der Welt zurückgelassen hat. Nur zwei Jahre lang, dann ist sie zu ihrem Mann gegangen. Und Larry hat das Mädel auf die Schulen geschickt. Einmal auf diese und dann auf eine andere. Und überall hat sie was gelernt. Er hat alles bezahlt. Sie versteht mehr von Rindern als mancher Mann, was?«

Er sitzt ganz still und greift in seine Brusttasche.

Was, keine Zigarre? Er hat keine mitgenommen. Er ist brüllend und tobend aus dem Haus gerannt, hat geschrien, daß die verfluchten Trottel und Tagediebe ihm sein Pferd sattelfertig hinstellen sollen und ist dann losgejagt. Nicht mal eine Zigarre, er, der reichste Mann in der Gegend. Das ist doch zum Lachen.

Er findet einige Krumen Tabak in der Tasche, sucht nach Papier, findet einen Kassenzettel, dreht sich – das hat er seit dreißig oder mehr Jahren nicht mehr getan – eine dicke, wurstförmige Zigarette und steckt sie an.

»Pfui Teufel«, sagt er nach den ersten Zügen. »So hab’ ich mal geraucht? Das schmeckt ja furchtbar.«

Er hat immer schon geflucht. Er ist ein Mann gewesen, der sich aus dem Nichts seinen Reichtum erarbeitet hat. Nun gut, sein Geld hat dann seine Frau geliefert. Ohne diese Hilfe würde er vielleicht nie weiter als Larry O’Willis gekommen sein. Dieser Larry, dieser Schurke.

Das Mädel fällt ihm bei dem Gedanken an Larry ein. Dieses Mädel. Er hat es nie gesehen und niemals sehen wollen. Jedenfalls nicht mehr seit dem Tag, an dem es nach Hause gekommen ist, weil der Schurke Larry gestorben ist. Damals hat er Joel hingeschickt, seinen Jungen, zu verhandeln, ein Angebot zu machen, die Ranch zu kaufen oder wenigstens den Streifen am Bear Mountain.

Er erinnert sich noch genau, wie es gewesen ist. Joel ist wiedergekommen, hat ihn angesehen und nichts gesagt. Joel ist seltsam verstört gewesen und hat dann nach vielen Fragen gesagt:

»Ich reite weg. Du hast ein schmutziges Spiel mit Larry getrieben.«

Und er, James, hat ihn angesehen, als wenn er sich gefürchtet hätte. Er hat nicht gewußt, was in Joels Kopf vor sich gegangen ist, er hat es einfach nicht lesen können. Und die Furcht hat ihn gepackt, daß der Junge mehr wissen könnte, als es den Anschein hat.

»Wo willst du denn hin, Junge?«

»Weg«, hat der große Joel gesagt. »Ich muß weg, ich halte es hier nicht mehr aus. Laß mich in Ruhe, frag mich nicht, ich will nichts hören, ich will nicht, hörst du! Halte deinen Mund!«

Das hat er gebrüllt. Der Sohn hat seinen Vater angeschrien. Und der Alte hat sich umgedreht und dabei gesagt:

»Dann vermodere draußen im nächsten Buschstreifen! Du bist für mich gestorben.«

Beide den gleichen dicken Kopf, beide. Was hat er nicht alles für Joel getan? Er hat ihn weggeschickt nach Texas. In Houston und El Paso hat er sich auf Ranches umsehen müssen, lernen und anderen Wind um die Nase haben. Hinein in das größte Rinderland der Welt, in sein Zentrum, damit er eines Tages die Ranch leitet und es noch besser macht als er, der Alte, der nicht lesen und schreiben gekonnt hat, ehe er nicht ein Mann gewesen ist. Als Mann mit Geld hat er erst gelernt zu lesen, zu schreiben und mit Zahlen umzugehen. Vorher hat er mit den Fingern gerechnet, und immer richtig. Und wo das Rechnen nicht ging, da hat er seine Ellbogen rücksichtslos eingesetzt. Stehst du mir im Weg, dann fliegst du weg, also sieh dich vor. Das ist James Hadley Ornells Wahlspruch gewesen. Und danach hat er gelebt, bis heute.

Alles umsonst, sein Junge ist weg, er hat nie geschrieben, nicht eine Zeile, nicht mal einen Gruß.

Auf einmal sitzt er da, der große James Hadley und würgt.

Das ist doch alles, was er hat, seinen Jungen. Für den hat er alles getan. Und der hat ihn allein gelassen, der denkt nicht mehr an ihn, meldet sich nicht, ist vielleicht schon längst unter der Erde.

Was weiß der Junge, denkt der Alte beklommen. Ich habe ihn angeschrien, als er wirklich mit seinen Sachen gegangen ist. Ich habe gebrüllt, daß ich ihn enterbe, daß er keinen Cent erbt, nicht einen Halm Gras von meiner Ranch. Was habe ich alles geschrien?

Er weiß nie, was er macht, wenn er in Wut gerät. Dann verliert er die Kontrolle über sich, er brüllt Worte, an die er sich nicht erinnert, sobald die Wut vorbei ist.

Wer weiß, was er Joel noch alles gesagt hat.

Er hat lange gedacht, daß wenigstens einer wissen müßte, wo sein Junge geblieben ist. John Ellison, aber auch der weiß nichts.

»Ellison«, sagt der Alte wieder und feuert seine Tabakwurst auf den Boden. »Dem werde ich’s zeigen, dir werde ich’s zeigen, jawohl. Und wenn sie auf dem Bauch vor mir kriechen, dann werde ich ihnen einen Tritt geben. Das werde ich. Die meisten Leute in der Stadt schulden der Bank Geld. Ich werde alles aufkaufen, was es an Schuldscheinen gibt. Und dann werde ich lachen, lachen, weil sie dann tun müssen, was James Hadley Ornell will. Entweder so tanzen, wie ich pfeife, oder sie zahlen sofort. Mal sehen, noch bestimme ich hier, noch immer ich. Dieses Mädel wird nichts mehr kaufen können, nichts mehr. Keinen rostigen Nagel, dafür will ich schon sorgen. Und Ellison? Hat er nicht für seinen Vater und seine Schwester ein Haus gebaut? Hat er nicht Geld aufgenommen? Warte, du verdammter Narr, dir werde ich eine Melodie vorspielen, daß dir die Ohren klingen. Jagt meine Männer aus der Stadt, was? Na warte, du kommst gleich morgen dran. Und diese rothaarige Hexe erst.«

Er sieht wahrhaftig rot, sobald er an sie denkt. Dreimal hat er ihr ein Angebot machen lassen, die Hochweide zu verkaufen. Dreimal hat sie abgelehnt und zuletzt bestellen lassen, daß sie sich die Rinder, die er ihrem Onkel Larry O’Willis voller List und Tücke abgeluchst hat, zurückholen wird.

Sie hat es wahrgemacht, denkt er. In ein paar Jahren ist ihre Herde so groß wie meine. Sie haßt mich, weil ich Larry in eine Falle gelockt habe, aus der er nur durch den Verkauf eines Drittels seiner Herde gekommen ist. Wenn die wüßte, warum ich es getan habe, was? Wenn sie wüßte, diese rot-haarige Hexe.

Seine Gedanken werden immer noch von der Wut bestimmt. Er kann klar genug denken und weiß, daß er zunächst in die Stadt muß. Er wird lächeln, breit und freundlich lächeln. Sie sollen denken, daß er niemals wütend gewesen ist. Und er wird sogar Ellison guten Tag sagen. Zuerst einen Besuch bei Ellison. Und wenn er dann in der Bank gewesen ist, dann wird er den nächsten Besuch machen und nicht mehr lächeln. Da ist ein Schuldschein, Ellison, ich habe ihn aufgekauft. Na, was hast du? Ist dir schlecht, mein lieber John? Du kannst doch sicher bezahlen, wie? Stell dir vor, dein armer hüftlahmer Vater, der an Krücken gehen muß, hat auf einmal kein Dach mehr über dem Kopf. Naß? Was ist dir denn?

Er lacht wieder. Er lacht leise, böse und glucksend.

Wer Geld hat, hat die Macht.

Ein altes Wort, und immer wieder wahr.

Die sollen sich noch wundern und vor ihm auf dem Bauch kriechen.

Es knackt hinter ihm, ein Pferd prustet.

Er muß doch so in Gedanken gewesen sein, daß er das Pferd überhört hat.

Das Pferd ist ganz nahe.

Auf einmal denkt er an die O’Willis-Ranch und deren Männer. Er ist keine drei Meilen vom Gebiet der »Harten Ranch«, wie man sie seit Monaten nennt, entfernt. Plötzlich ist die Furcht da. Ein Schuß von hinten.

Und dann knackte es hinter ihm.

Er kennt dieses Knacken genau. Ein Revolverhammer ist nach hinten gezogen worden.

Aus, denkt er entsetzt, und sein Herzschlag droht auszusetzen. Aus ist es. Da ist einer und schießt mich über den Haufen. Dann gibt es für sie keine Probleme mehr.

Er hat den Revolver gespannt. Er schießt.

Die Angst ist da, er wagt kaum zu atmen, aber niemand sagt etwas. Nur das Pferd hinter ihm prustet wieder.

Ganz langsam wendet der Alte mit dem grauen Schläfenhaar und dem buschigen Schnurrbart den Kopf.

Jetzt sieht er schon das Pferd, die Brust des Pferdes, einen staubigen Stiefel am Sattel, einen Oberschenkel und ein leeres Halfter.

Ruckartig hebt er den Blick. Wenn schon sterben, dann den Burschen wenigstens sehen.

Und nun sieht er ihn.

Der Mann zielt mit dem Revolver mitten auf seinen Kopf.

Der alte James Hadley Ornell erstarrt, er blickt in den Revolver und fühlt sekundenlang einen kalten Schauder auf dem Nacken.

Dann aber verfärbt er sich. Er holt tief Luft und sagt keuchend:

»Du verdammter Tagedieb, du Strolch, du Herumtreiber und Lumpenkerl! Wenn du mich noch einmal so erschrickst, dann lasse ich dich aufhängen. Ich lasse dich an den höchsten Ast hängen. Der Wind wird dich bewegen und die Geier werden dir zusetzen.«

Er brüllt, steht auf und sieht den Kerl auch noch lachen.

Der Mann sitzt groß und wie ein Raubvogel auf seinem sehr schnellen Pferd und lacht ihn einfach aus.

Er lacht! Und das ist es, was den Alten in rasende Wut bringt. Einen Augenblick hat der alte James Jadley nichts weiter als den Wunsch, diesen Kerl vom Pferd zu schießen. Aber dann erkennt er noch rechtzeitig, daß er gar nichts tun kann, denn ehe er seinen Revolver heraus hat, wird der Mann schießen und dabei noch lachen.

»Der große James Hadley Ornell«, sagt der Mann kichernd und lacht nun wenigstens nicht mehr so gewaltig. »Hast du dich erschrocken, alter Mann? Hast du gedacht, daß ein böser Bursche von der Harten Ranch hinter dir ist und dich erschießen will, von hinten? Oh, er hat Angst gehabt, der große James Ornell. Und dann wird er wütend, weil er seine Angst gezeigt hat, wie? Siehst du, das paßt zu dir, wütend werden, weil man deine Gefühle erkannt hat, James, du hast wohl nachgedacht, was? Und du mußt so in Gedanken gewesen sein, daß ein Kind dich hätte erschießen können. Da sitzt er unter einem Baum, sein Gaul fällt fast um und ist am Ende seiner Kräfte, wie? Ist die Wut wieder mal mit dir durchgegangen, nachdem deine prächtigen Narren sich die zweite Abfuhr geholt haben? Dieses Frauenzimmer kann was erleben.«

Der Alte japst und keucht. Er weiß schon seit zwei, fast drei Jahren, daß er nicht so gesund ist, wie er es gern selbst glauben möchte.

Schwer keuchend lehnt er sich matt an den Baumstamm zurück und sagt mühsam:

»Erschrick mich noch mal so, du Lump, dann lasse ich dich an den nächsten Ast hängen, dich und alle anderen. Was willst du? Was schleichst du hier herum, he?«

»Ich bin nur so geritten, ich reite ganz gern in den Morgen hinein«, sagt der Mann mit dem Raubvogelgesicht hinter ihm spöttisch. »Man sieht Dinge, die man sonst nicht sieht. Du weißt doch, daß ich immer gern am frühen Morgen unterwegs bin, was? Na, weißt du es nicht?«

Das ist Hohn, glatter Hohn. Und der alte Mann merkt es nur zu gut. Er wendet den Kopf weg. Er kann die Stimme dieses Schurken nicht mehr hören, er schließt die Lider und denkt:

Warum lebt so ein verkommener Strolch eigentlich auf Gottes weiter Welt? Ich bin ein schlechter Kerl, aber der... Weiß Gott, bei dessen Geburt hat der Teufel Pate gestanden.

Das Pferd geht an, der Mann kommt aus dem Sattel, steigt neben ihm ab und lacht. Dann starrt er auf den Zigarrenrest mit dem Kassenzettel und lacht laut auf.

»Was ist denn das? Bist du arm geworden, James? Mensch, mach keine dummen Scherze!«

»Ich habe vergessen, Zigarren mitzunehmen«, erwidert der Alte mühsam und weiß, daß er diesen Lumpenkerl nie abschütteln kann, niemals. Der wird immer wieder auftauchen und bissig mit ihm reden. »Das ist alles, du Lump. Aber ich würde froh sein, wenn ich kein Geld mehr hätte.«

»Hähä«, macht der Raubvogel vor ihm und bleibt breitbeinig stehen. »Du und froh? Du würdest daran sterben, Alter. James, deine Leute haben anständig Prügel bezogen und sind aus der Stadt geflohen, was? Sogar John macht es nicht mehr mit, siehst du? Du mußt ihnen zeigen, daß du noch immer der große Mann in dieser Ecke bist, meine Freund, ist dir nicht gut?«

»Mir wird erst wohler sein, wenn ich dich Stinktier nicht mehr sehen muß«, erwidert der Alte heiser. »Was willst du?«

Der Mann sieht ihn an. Er hat gelbe Pupillen wie eine Katze. Es sind seltsame Augen, deren Verschlagenheit und Tücken jeden Mann abstoßen werden, der sie einmal richtig sieht. Die Augen sind jetzt ganz weit offen.

»Ja, ich brauche Geld«, sagt der Mann leise und plötzlich nicht mehr lächelnd, sondern gefährlich bestimmt und eiskalt. »Mein Bruder will sich was anschaffen und von uns weggehen. Ich brauche Geld – morgen!«

»So«, bringt der Alte mühsam heraus. Und plötzlich hat er Angst vor diesen Augen, die ihn höhnisch mustern. »Du brauchst wieder einmal Geld, du Lump. Morgen schon?«

»Ja, genau morgen und nicht übermorgen«, sagt der Raubvogel klirrend. »Du wirst es mir wie immer an die Bäume bringen, und verzähle dich nicht, mein lieber James.«

»Ich bin nicht dein lieber James«, bringt der Alte mühsam hervor. »Ich bin für dich immer noch Mr. Ornell, verstanden, Strolch?«

Der Mann schließt die schweren Lider und sieht ihn stechend scharf an.

»Wenn du Mr. Ornell bist – für mich, verstehst du? Dann bin ich für dich der Präsident der Vereinigten Staaten, hast du begriffen? James, für mich bist du ein Mann, der mit einem Bein ständig in seinem Grab steht. Weißt du, was du bist? Soll ich es dir sagen, lieber Freund?«

Jetzt kommt der nackte Hohn, den der Alte fürchtet. Aber James Hadley müßte nicht mit Nachnamen Ornell heißen, wenn er nicht bereit wäre zu kämpfen.

»Du kannst es sagen«, erwidert der Alte wutschnaubend. »Du kleiner, schmutziger Erpresser, du kannst es, aber frage nicht, was ich dann mit dir tun werden.«

»Was denn?« sagt der Raubvogel spottend. »Ich brauche nur zu reden, dann bist du praktisch tot. Siehst du, um mich zu sichern, dann irrst du dich gleich noch mal. In der Sekunde, wo ich verschwinde, wird was passieren. Weißt du auch was?«

»Das hast du mir schon ein Dutzendmal gesagt, du Blutsauger«, erwidert der alte James Hadley. »Aber wenn ich will, dann lebt ihr alle in einem Tag nicht mehr, bist du dir darüber auch klar? Und wenn ich dich langsam dazu bringe, daß du alles herausschreist, was du hinterhältiger Lump dir ausgedacht hast. Ich schaffe es bestimmt, daß es soweit kommt, Mann, dann haben all deine vielen Pläne nichts mehr zu bedeuten. Also, um den Gestank deiner Gegenwart nicht mehr länger ertragen zu müssen – was willst du haben? Wieviel ist es diesmal?«

Der Raubvogel sieht ihn an und grinst widerlich. Dann verzieht er die Lippen, spuckt aus, schielt den Alten von unten her tückisch an und sagt gelangweilt:

»Fünftausend!«

Ist der Lumpenkerl wahnsinnig? Fünftausend Dollar?

Auf einmal packt ihn die Wut. Er brüllt los, nimmt die Hand herunter und greift zu seinem Revolver.

»Fünftausend? Du schäbiger Erpresser, du Schurke, du gewissenloser Lump, ich werde dir deine Fünftausend... Ah!«

Er ist wirklich ein Raubvogel, er ist wie ein Geier, der im stürzenden Flug auf seine Beute herunterschlägt.

Der Raubvogel spring vorwärts und schnellt seinen rechten Fuß ab. Der Fuß tritt unter den Revolver, schleudert die Hand Ornells gegen den rauhen Stamm des Baumes und läßt den Revolver wegfliegen.

Dann springt der Mann wieder zurück, aber jetzt hat er mit unwahrscheinlicher Schnelligkeit seinen Revolver heraus und sagt voller Wut:

»Du willst mich auch noch umbringen, was? Du großmäuliger Mörder, du denkst wohl, du kannst es mit mir genauso machen, wie? Ich brenne dir eine Kugel in den Pelz.«

Der Alte sitzt erstarrt und kreidebleich am Baum und hält seine schmerzende Hand fest.

»Ich – ich bin kein Mörder«, sagt er dann lallend. »Ich bin kein Mörder. Du Geier, du schmutziger Aasgeier, du weißt es.«

»Ich weiß nur das, was ich gesehen habe«, sagt der Raubvogel fauchend. »Und das kann ich bezeugen. Du bist auf ihn losgeritten und hast ihn über den Hang herabgestürzt. Ich bin der Zeuge, und das bricht dir den Hals, wenn ich den Mund öffne und zu reden beginne. Morgen bringst du mir fünftausend Dollar, genau fünftausend und nicht einen Dollar weniger. Neun Uhr abends am alten Platz, verstanden?«

»Nein«, sagt James Hadley Ornell auf einmal heiser. »Nein, du Erpresser. Du bekommst nichts mehr. Du hast nach und nach über zehntausend Dollar geschluckt. Es ist vorbei damit. Geh doch hin und sage es, geh hin! Wir werden sehen, wem man mehr glaubt.«

Der Raubvogel erstarrt, der Revolver in seiner Hand hebt sich.

Der schießt nicht, denkt der Alte, der wird niemals schießen, solange er nur noch einen Funken Hoffnung hat, mich ausnehmen zu können. Jetzt droht er wieder.

»Du willst nicht? Sag das doch noch mal, du alter Mörder!«

»Ich will nicht, nicht jetzt. Ich brauche mein Geld morgen. Heute schon brauche ich es. Du bekommst nichts.«

»Und wenn ich rede?«

»Dann rede, du Strolch. Ich werde sagen, daß alles Unsinn ist, daß du mich erpreßt hast, und daß es ein Unfall war. Jeder weiß, daß es ein Unfall gewesen ist.«

»So?« fragt der Raubvogel schrill und wild. »Und warum bist du dann den steilen Hang herabgeklettert, obwohl du dir dabei den Hals brechen konntest? Warum hast du ihm etwas aus der Tasche genommen? Warum, he? Und warum hast du mir gleich Geld geboten, als ich aufgetaucht bin und dich bei ihm überrascht habe? Na, nun sag doch noch mal, daß es ein Unfall gewesen ist.«

»Ich – ich bin so erschrocken gewesen, weil er – weil er tot war.«

»Erschrocken? Entsetzt bist du gewesen, daß dich einer beobachtet hat. Entsetzt, das ist der richtige Ausdruck. Du hast mir Geld geboten. Willst du das bestreiten? Ich habe niemals zuerst etwas verlangt. Ist es wahr? Mach den Mund auf, du Mörder!«

»Ich – ich habe es nicht gewollt, ich habe wirklich nicht gewollt, daß es so kam. Was willst du? Ich habe es nicht gewollt.«

»Und was hast du ihm aus der Tasche genommen? Weißt du, wie es jeder ansehen wird, der es hört? Du hast ihn niedergeritten, um in den Besitz von jenem Stück Papier zu kommen, das er in der Brieftasche getragen hat, das er dir gezeigt hat, ehe du ihn umgeritten hast. Das wird jeder glauben. Und dann hängen sie dich auf, du alter Narr.«

Der alte Mann ist kreidebleich geworden. Da ist das Gespenst wieder, das ihn seit vier Jahren verfolgt. Erpresser, er hat nie Erpresser gemocht. Und jetzt kommt dieser Strolch und setzt ihm den Revolver nicht nur auf die Brust, sondern an den Kopf. Dieser Blutsauger.

»Gut, sollen sie«, sagt er stockheiser. »Ich werde das Geld haben, um mir die besten Anwälte nehmen zu können. Und du kannst verschwinden, ich kann jetzt kein Geld lockermachen, jetzt nicht.«

»Jetzt nicht? Na gut, jetzt nicht«, sagt der Raubvogel höhnisch. »Was hast du in der Tasche, he? Raus damit, gib deinen Geldbeutel her!«

»Du bist ja ein Dieb.«

»Und was bist du? Erst hast du ihn hereingelegt, dann hast du ihn umgebracht. Geld her, schnell.«

Er zieht den Geldbeutel heraus und bedauert nur, daß er schon so alt und nicht mehr jung ist, sonst würde er diesem Erpresser zeigen, wie schnell man mit einem Revolver sein kann.

»Es sind keine hundert Dollar, du Erpresser.«

»Ist das kein Geld? Natürlich, für dich ist es nichts, aber für unsereins. Her damit! Und verlaß dich darauf, ich komme wieder!«

»Das wage nicht«, sagt James Hadley Ornell keuchend. »Wenn du kommst, dann werde ich dich erschießen lassen. Du hast genug bekommen, du bekommst nichts mehr. Nie mehr, hast du gehört?«

Der Erpresser steckt das Geld ein und wirft ihm den leeren Geldbeutel mitten ins Gesicht.

Ich bringe ihn um, denkt der Alte. Es geht nicht anders. Wenn ich erst mit allem fertig bin, dann kommt er an die Reihe. Erpresser sind schlimmer als Mörder. Ich bringe dieses Ungeheuer um.

»Ich komme wieder«, sagt der Mann höhnisch. »Und du wirst zahlen, denn sonst könnte ich mich nach Joel umsehen. Und dem würde ich dann erzählen, was du getan hast. Das ganze Land wird vor dir ausspucken, du wirst geächtet sein. Ich komme wieder.«

»Dann stirbst du«, sagte der Alte drohend. »Du stirbst daran, ich warne dich. Ich drohe nicht nur, ich sage dir, du stirbst daran. Verschwinde, du hast genug bekommen, laß dich besser nicht wieder bei mir sehen.«

Der Mann starrt ihn überrascht an.

»Dein Ernst?« fragt er dann lauernd. »Sieh mal an, du machst Ernst?«

»Ja«, sagt James Hadley keuchend. »Geht es dir endlich auf, du schmutziger Bursche? Du wirst zumindest ins Jail gehen müssen. Nicht nur für einige Jahre, es wird mehr als ein Dutzend Jahre sein. Erpresser mag kein Richter. Verschwinde, verdammter Lump, du bekommst nicht einen Cent. Das ist ein Versprechen.«

Der Erpresser sieht ihn aufmerksam und wie einen Freund an. »Von nun an sieh dich vor. Du kennst mich nicht ganz so gut wie ich dich. Ich gehe, aber...«

Er hebt den Revolver des Alten auf, geht zum Pferd, nimmt Ornells Gewehr und schleudert es im Bogen davon, den Revolver hinterher.

»Heb es auf«, sagt er höhnisch. »Hier ist niemand, dem du diese Arbeit auftragen kannst, was? Warte, James, daran denkst du noch!«

Der Alte sieht ihm nach. Und einen Augenblick kriecht Furcht in James Ornell hoch.

Der Erpresser steigt auf und zieht sein Pferd jäh herum.

»Du hörst noch von mir«, sagt er im Abreiten. »Du wirst mich noch hören.«

James Hadley Ornell aber sitzt mit wachsbleichem Gesicht am Baumstamm und preßt die Hände auf sein Herz. Dieser Lump. Immer wieder Geld, immer mehr verlangt er.

»Ich – ich habe es nicht gewollt«, sagt der alte Ornell und blickt auf den Himmel über sich. »Ich habe es nicht gewollt, wenn ich es auch getan habe. Ein Unfall, ja, ein Unfall ist es gewesen. Ich habe es nicht gewollt.«

Ihm ist schlecht, er rutscht am Baumstamm herab und legt sich auf den Rücken. Erst nach Minuten wird ihm besser.

Plötzlich denkt er an seinen Jungen. Joel wird es nicht glauben. Oder doch?

Wenn Joel das glauben könnte. Aus und vorbei, das überlebt er nicht, der Alte.

Was wird der Erpresser tun? denkt James Ornell. Er kann nichts tun, denn er hat Geld angenommen. Und das bricht ihm den Hals, selbst wenn sie mich verurteilen. Er kann wirklich nichts tun.

Er sagt es laut und weiß, daß dieser Raubvogel niemals etwas sagen wird, weil er sich sonst selbst in Gefahr bringt.

»Er wird nichts tun, er wagt das nicht.«

Und er weiß nicht, daß er sich irrt.

Der Erpresser ist zu schlau für ihn.

Er ist ein gewissenloser Lump.

Der Lump wird etwas tun.

Bald.

*

Vier Tage, denkt Jerry und rollt sich in die Decke, vier Tage ist es her. Und er rührt sich nicht, der alte Viehdieb von drüben. Es ist mir auch ganz gleich, ob er sich rührt oder Krach anfängt. Dieses verrückte Frauenzimmer...

Die anderen haben ihn nach jenem Ausbruch Dana O’Willis, der Jerry wie ein Sturzbach überflutet hat, trösten wollen. Sie haben ja gesiegt, immerhin dadurch, daß er in die Stadt geritten ist. Aber er hat sie angefahren und geschrien, daß sie ihn gefälligst in Ruhe lassen sollten. Es ginge sie nichts an, warum er in die Stadt geritten sei. Seine Ruhe wolle er haben.

Da haben sie ihn in Ruhe gelassen. Und selbst der große, dicke und mächtige Bill Marlow hat sich verdrückt. Sie sagen alle, Jerry habe schlechte Laune, er ist wild auf Behams Skalp und ärgert sich über den Befehl der feuerhaarigen Lady, bei der Herde zu bleiben.

Dort sind sie fast alle. An der Jungtierherde, die sie ausgesondert haben, um das Zuchtvieh nicht mit den anderen Tieren zu mischen. Es sind Jerry, Torro Garner, Buck Marsh und Bill Marlow. Bill ist nur in der Nacht hier, am Tag kocht er für sie alle. Jetzt legt er sich hin, seine Runde ist vorbei, er will schlafen und hat die Wache mit Jerry gehabt.

Es ist seltsam, denkt Bill, ich kenne ihn nun drei Jahre, aber ich habe ihn nie so mürrisch und bissig gesehen. Was immer mit ihm ist, er sagt es nicht. Himmel, er muß doch zum Sprechen zu bringen sein?

»Jerry?«

»Was ist?« fragt Jerry maulfaul. »Ich will schlafen, die Nacht ist nicht lang.«

»Hör mal zu, Mann«, brummt der große Bill. »Du hast doch was. Ich habe immer gedacht, du bist mein Freund, Mann, aber wenn du dich so anstellst? Ich hätte dem Mädel ja auch sagen können, daß du schon mal vor vierzehn Tagen deine Arbeit im Stich gelassen hast und in die Stadt geritten bist, obwohl es nichts zu besorgen gegeben hat. Aber ich bin nicht gemein, nicht so wie du, Freund Jerry. Du brüllst jeden an, sobald etwas nicht nach deinem Kopf geht. Als wir die Pferde von oben aus dem Pferdecamp geholt haben, da hast du getobt und Torro angeschrien, er könne nicht mal einen Gaul reiten, geschweige denn Pferde treiben, Jerry, was ist los?«

»Nichts, laß mich doch in Ruhe!«

»Mensch, Jerry, du bist doch sonst immer ein prächtiger Partner gewesen. Hast du dich so über die Miß aufgeregt?«

»Ach, die kann mich mal.«

»Was ist es denn? Willst du vielleicht Behams Skalp haben? Das hast du doch nicht wirklich so gemeint, das mit dem von hinten auf ihn schießen, was?«

»Und ob ich das so gemeint habe«, erwidert Jerry bissig. »Wenn ich den Kerl sehe, dann schieße ich ihm eine Kugel in den Wanst. Dieser Kerl hat mir alles zerstört.«

»Was? Was kann der dir denn zerstört haben, Jerry? Ich kann schweigen, das weißt du. Du kannst es mir doch sagen, Mann?«

Jerry sieht den dicken, mächtigen Bill Marlow schief an und schüttelt den Kopf.

»Der Teufel soll alle Langhaarigen in einen großen Kessel stecken.«

»Also ein Weib«, sagt Bill nach einer Minute Schweigen seufzend. »Hast du ein Girl, Mensch, und uns nichts gesagt? Du bist vielleicht ein Heimlichtuer. Darum also bist du in die Stadt geritten. Interessant, mein Freund.«

»Nicht darum«, gibt Jerry bissig zurück. »Zerbrich dir nicht den Kopf über meine Sorgen, Dicker. Leg dich hin und mach den Mund zu, ich will endlich... Hör mal, da ruft doch Buck Marsh?«

Er richtet sich hastig auf und greift nach seinem Gewehr.

Durch die Nacht kommt Bucks scharfer Ruf:

»Halt! Ich schieße, halt! Wer ist dort?«

Die Stimme kommt gleich darauf zu den beiden Männern, die am schwach brennenden Campfeuer sitzen.

»Die Lady«, sagt Bill brummend. »Sie wird durstig sein, ich will mal eben den Kessel in die Glut stellen. Sie kommt her, Jerry.«

Sie kommt wirklich und reitet nicht erst um die Talseite und den Zaun, in dem die Rinder stehen. Es sind etwa vierhundert ausgesuchte, prächtige Jungstiere, alle gebrannt und alle nicht gerade besonders friedlich.

Dana O’Willis kommt auf das Feuer zu, in das Bill hastig einige trockene Äste wirft und den Kessel darüberschiebt. Sie bringt Buck und Torro mit, steigt ab und sagt:

»Hör zu! Ich bin schon bei den anderen gewesen und habe es erzählt, jetzt kommt ihr an die Reihe. Hast du einen Schluck Kaffee, Bill?«

»Sofort, Miß Dana«, brummt Bill. »Sind Sie wirklich in die Stadt geritten?«

»Natürlich«, erwidert sie lächelnd und klopft sich den Staub von der schwarzen Hose, der rotbraunen Weste und dem grüngemusterten Hemd. »Meinst du, jemand fällt über eine Frau her?«

»Von hinten«, sagt Jerry, der auf Frauen nicht gut zu sprechen ist, bissig, »wird Sie jeder für ’nen Mann halten müssen. Es sollen schon Leute von hinten erschossen worden sein. Was macht der alte Halunke von drüben?«

»Immer noch so bissig, Jerry?« fragt sie und schleudert den Hut am Knie durch kräftiges Schlagen aus. »Ich soll dir einen Gruß bestellen, Jerry Lewis.«

»Wenn das die Person bestellen läßt, an die ich gerade denke«, knurrt Jerry wild, »dann sollte sie jedes Wort besser für sich behalten. Was ist los, Madam?«

Sie sieht Jerry von der Seite an und lächelt karg. Der Feuerschein läßt ihr Haar wie blankes Kupfer schimmern. Ihre Augen erscheinen dunkler als sie wirklich sind, und ihr Mund zeigt zwei Reihen prächtig weiße Zähne, als sich die Lippen beim Lächeln öffnen.

»Nun weiß ich wenigstens, warum du in die Stadt geritten bist, Feuerfresser«, meint sie trocken. »Jerry, du kannst wirklich nicht nur Pferde und Rinder behexen. Ich soll dir sagen...«

»Ich will nichts hören«, sagt Jerry wild. »Es steht in der Bibel. Auf dem Bauch sollst du kriechen, wie? Und sie ist eine Schlange, ja. Was gibt es mit dem alten Nußknacker von drüben?«

Einen Augenblick sieht ihn Dana besorgt an. Sie ist wirklich ein prächtiges Mädel, aber dauernd die langen Hosen, einen Revolver und Männerhemden tragen. Nun gut, sie ist ein halber Mann.

Dana O’Willis hockt sich hin, nimmt einen Ast und stochert in der Glut des Feuers.

»Also«, sagt sie leise. »Er ist vor drei Tagen in der Stadt gewesen. Er hat zuerst so getan, als wenn nichts ist und soll sogar gelächelt haben. Dann ist er zur Bank gefahren. Und nun haltet euch fest! Er hat sämtliche Schuldscheine der Leute aufgekauft, die erstens Schulden und zweitens Einfluß in der Stadt haben. Was das heißt, das könnt ihr euch ausrechnen.«

»Dieser gerissene Gauner«, sagt Bill Marlow grimmig. »Es fragt sich: wer hat bei der Bank Schulden gehabt? Sind denn die Bankleihgelder alle so verliehen worden, daß jeder die Schuldscheine über die einlösen kann?«

»Die Bank hält sich an die Bürger, wenn einer nicht zahlen kann«, sagt Dana bitter.

»In den Schuldscheinen ist ein Absatz, in dem heißt es, daß die Schuld vom Bürgen oder auch von Dritten bezahlt werden kann. Ich habe mir sagen lassen, daß James Hadley Ornell für ein Dutzend Leute gebürgt hat. Und für die anderen ist er der gewisse Dritte. Die Bank kann ihm nichts verweigern, er hat mehr Geld in ihr stecken, als zehn andere Leute gemeinsam zusammenbringen können. Ich habe Ellison gesprochen.«

»Ellison«, sagt Jerry, »Und was sagt der?«

»Nicht viel«, erwidert Dana und senkt den Kopf. »Ich muß es euch sagen: Ellisons Bürge für den Hausbau ist James Ornell gewesen. Er hat für viertausend Dollar gebürgt.«

»Großer Gott«, entfährt es Bill. »Dann ist Ellison also wirklich fertig. Dieser alte, gerissene Bursche. Er ist ein Schuft, wie es keinen zweiten mehr gibt. Ich hoffe doch, Ellison hat ihm den Orden vor die Füße geworfen, anstatt sich zu ducken, wie?«

»Nein«, sagt Dana und löst bei den Männern Erschrecken und Verwirrung aus. »Er hat ihn gefragt, ob er die Summe gleich haben müßte. Ornell soll gesagt haben, das müßte Ellison wohl selbst entscheiden, er sei ja wohl schlau genug, um die richtige Entscheidung zu treffen.«

»Aus«, murmelt Buck Marsh. »Er hat die Leute in der Hand, auch den Sheriff. Jetzt ist es aus. Er kann machen, was er will. Wenn er sich ein halbes Dutzend Revolverschießer holt, dann deckt ihn der Sheriff. Er wird schon einen Grund finden, um gegen uns loszugehen.«

»Er findet keinen«, erwidert das Mädchen langsam. »Buck, ich habe Ellison gesagt, daß ich nicht ein Maverick mehr kaufen werde. Und das halte ich, verstanden? Keine Mavericks nehmen, auch wenn euch eins genau in das Lasso will. Zum anderen aber: Ellison hat heute früh auf der Bank seine Schulden bezahlt.«

»Waas?« fragt Jerry und ist mit einem Satz hoch. »Er hat bezahlen können? Aber dann muß er doch das Haus verkauft haben. Und niemand in der Stadt wird es ihm abkaufen wollen, um nicht den alten Ornell an den Hals zu bekommen. Woher hat Ellison das Geld gehabt?«

»Das sagt er nicht. Er hat es besessen«, antwortet Dana frohlockend. »Wenn ich so viel übrig gehabt haben würde, ich hätte es ihm gegeben. Ich bin sicher, die Stadt erfährt es in dieser Stunde, wenn sie es nicht längst weiß. Ornell jedenfalls hat es bereits gegen Mittag gewußt. Er ist in die Stadt geritten, mit allen Männern. Und er hat John Ellison aufgefordert zu verschwinden, sonst würde er ihn... Was, das hat er nicht gesagt, aber er hat ihm gedroht. Die Dinge sehen für uns schon besser aus. Nur, ich weiß nicht, was der alte Mann drüben sich einfallen läßt. Jerry, ich wollte dich um etwas bitten.«

»Ja?« fragt Jerry trocken. »Was soll ich tun, Lady?«

»Einer muß hinreiten und die Ranch beobachten«, sagt Dana leise. »Ich habe keinen besseren Mann als dich. Aber ich muß mich darauf verlassen können, daß du nichts auf eigene Faust tust, sondern bei Gefahr sofort herkommst. Willst du mir das versprechen?«

»In Ordnung, ich verspreche es«, erwidert Jerry kurz. »Da komme ich wenigstens auf andere Gedanken. Und wenn ich diesen Revolverhelden Beham sehe...«

»... wirst du nichts tun, Jerry. Verstanden?«

»Ich will versuchen, ihm nichts zu tun, das verspreche ich, Miß Dana«, sagt Jerry seufzend. »Na schön, soll ich gleich los?«

»Ja, gleich.«

Jerry steht auf, rollt seine Decke zusammen und geht dann zu einem Pferd. Schweigsam kommt ihm Bill Marlow nach, macht Jerrys Wasserflasche los und sagt dann ernst:

»Du bist wie ein wilder Kater, wenn man dich ärgert. Jerry, sei vorsichtig, du könntest mehr verlieren als nur Haare, sollten sie dich entdecken.«

»Mich hat noch keiner gesehen, wenn ich es nicht gewollt habe«, brummt Jerry Lewis. »Mach dir nur keine Sorgen, Büffel.«

Wenig später hat er die frischgefüllte Wasserflasche, zieht sich in den Sattel und reitet an.

Am besten, denkt Jerry, reite ich durch den Nebenarm im Bogen um die Ranch und nähere mich von der Nordseite her. Sie werden vielleicht auch ihre Plätze an der Herde haben, genau wie wir hier. Zuerst jedoch zum Ranchhaus, einen Blick in die Fenster des Mannschaftshauses werfen und sehen, ob sie alle weg sind.

Er ist nach gut zehn Minuten eine gute Meile weiter und sieht sich noch einmal um.

Von dem Hügel aus, auf dem er hält, sieht er weit hinten den winzigen Punkt des kleinen Lagerfeuers an der Jungtierherde. Dann schweift sein Blick nach rechts. Es ist nur eine Drehbewegung, die Jerry ausführt, um wieder anzureiten, aber in dieser Bewegung sieht er es.

Die Nacht ist stockfinster, kein Mondschein, Wolken und dort im Westen...

»Mein Gott«, sagt Jerry entsetzt. »Feuer, ein Feuer! Unsere Pferdeweide! Das ist ja auf unserem Pferdecamp! Das Haus!«

Er hockt einen Augenblick lang angespannt und entsetzt im Sattel. Es gibt keinen Irrtum, das weiß er.

Dort lodern Flammen. Deutlich sieht er den Feuerschein dort flackern.

Die große Hütte auf der geräumten Pferdeweide muß lichterloh brennen. Und sicher nicht nur sie, sondern auch der mächtige Schuppen mit dem großen Raum und den Stangen-Corrals, in denen sie im Winter die Pferde haben.

Jerry Lewis ist so bestürzt, daß er atemlos in die Flammen am Horizont starrt.

Vier Meilen, denkt er verzweifelt, fast eine halbe Stunde zu reiten, wenn man sein Pferd treibt. Da ist nichts mehr zu retten, nichts. Großer Gott, diese Schurken, diese verkommenen Strolche, sie haben uns alles angesteckt.

Er reißt sein Pferd jäh herum. Einen Augenblick denkt er daran zu schießen, aber er verwirft den Gedanken sofort wieder. Was sich dort hinten abspielt, das ist nicht mehr zu ändern. Es beginnt dort gerade zu brennen, der Brand muß vor wenigen Minuten erst gelegt worden sein, sonst würde dort ein Flammenmeer entstehen. Die ganze Senke des Tales dort oben ist voll von langem dürrem Gras. Das ganze Tal wird lichterloh brennen.

Jerry rast zurück, er schreit heiser, als er nahe genug heran ist und sie ihn hören können. Sehen sie denn nichts, warum machen sie denn nicht ihre Augen auf und blicken nach Westen?

Ach, denkt Jerry, das Feuer muß sich noch mehr ausbreiten. Es ist ja jetzt nur ein kleiner roter Streifen am dunklen Himmel.

»He!« schreit er gellend und prescht in halsbrecherischem Tempo auf die Feuerstelle am Weidezaun zu. »Bill, Billy, es brennt, es brennt! Die Mistkerle haben uns die Hütte und den Heuschuppen angesteckt. Billy, das Pferdecamp verbrennt!«

Am Feuer kommt Billy angerannt und schreit nach Buck Marsh und Torro Grant.

Dana O’Willis, gerade erst abgeritten und nicht mehr als einige hundert Yards entfernt, hört die Rufe der Männer und zieht ihre Pintostute herum.

Ihr Gesicht wirkt wie erstarrt, ihre Augen sind weit offen und dunkel vor Zorn.

»Billy, Jerry, los auf zur Weide! Spuren suchen, schnell! Torro, du reitest sofort zum Hauptcamp zurück, bringst zwei volle Laternen mit und hilfst dann den anderen beiden suchen! Ihr findet die Spuren, verdammt noch mal. Ich will sehen, ob man so gemein sein kann. Torro, bring drei Männer mit hierher! Du schickst einen in die Stadt zum Sheriff, verstanden?«

»In Ordnung«, sagt Torro bitter. »Das sollen sie bezahlen, Miß Dana, dieses hinterlistige Gesindel. Das also ist ihre Antwort.«

Er läuft los, während Billy zu seinem Pferd hastet und es sattelt. Sie sind in wenigen Augenblicken fertig und sehen das Feuer deutlich den Horizont erhellen.

»Buck, paß scharf auf«, ruft Dana O’Willis gepreßt zu Buck Marsh hin, der am Feuer hält und böse nach Westen sieht. »Ich glaube nicht, daß sie es wagen, direkt anzugreifen, aber halte die Augen offen, Buck!«

»Klar, Miß Dana«, ruft Buck Marsh zurück. »Die anderen sind ja auch in einer halben Stunde hier.«

Er schimpft fürchterlich, als er sie wegreiten sieht. Auch Torro ist bereits verschwunden. Er ist allein am Feuer und sagt düster:

»Sie werden sich in die Berge verkriechen. Dort gibt es keine Spuren. Mitternacht – sie haben sich die richtige Zeit ausgesucht. Nun gut, daran werdet ihr noch denken. Wir stecken diesem alten, hinterlistigen Schuft Ornell seine ganze Ranch an, mal sehen, ob er dann zufrieden ist.

Deine Antwort bekommst du. Jetzt ist es genug, mein Freund. Wir werden mit euch fertig, weil wir im Recht sind.«

Er reitet an, um seine Runden um die Herde zu machen. Von der Nordseite der Herde aus kommt er am Zaun entlang. Es ist ein stabiler Pfostenzaun mit drei Drähten. Oben Stacheldraht, unten zwei glatte Eisendrähte. Der Weg führt Buck Marsh an der Ostflanke des Zaunes entlang, bis er im Süden an der Zaunhecke ist und umschwenkt. Der Nebenarm des Tecolote-Baches ist hier nicht weiter als hundertfünfzig Schritt entfernt. Vom Bach aus holen sie mehrmals täglich einen Tonnenwagen voll Wasser herauf, damit die Jungstiere zu saufen haben. Die Umrisse der Rinder und des Wagens sind nun links von ihm. Einen Moment hat Buck Marsh selbst Durst. Er schwankt, ob er über den sieben Schritt tiefen Steilhang zum Bach hinabreiten oder ob er warten soll, bis er wieder am Feuer und am Kaffeekessel ist.

Buck will warten, er reitet weiter.

Er ist allein an der Herde, aber sie werden das nicht wagen, denkt Buck. Ein Angriff auf die Herde, das ist offener Krieg. Der Alte macht den Fehler nicht, glaube ich.

Mal sehen, ob der Kaffee nicht zu bitter ist.

Er ist nun an der Westflanke des Zaunes und reitet hoch. Zwischen ihm und dem Bachlauf mit seinem Steilhang liegen bereits mehr als zweihundertfünfzig Schritt – und über vierhundert junge Stiere.

In diesem Augenblick tauchen sie auf.

Sie kommen zu vier Mann über die Kante des Steilhanges hoch und haben bereits die ganze Zeit die Unruhe der Zuchtrinder gehört, den Wächter gesehen.

Der erste Mann hebt warnend die Hand, duckt sich und deutet auf den schwachen Feuerschein jenseits der Herde.

»Los«, sagt er dann heiser, »aber schnell! Er kann uns nicht hören, die Stiere brüllen zu laut. Ehe er herum ist, muß es getan sein. Auseinander!«

Er lachte leise, als sie auseinanderreiten. Einer ganz nach rechts, die anderen verteilen sich gleichfalls.

Der Mann auf seinem großen, grobknochigen Pferd zieht sich mit einem Ruck sein herabrutschendes Halstuch höher. Dann ist er auch schon am Zaun und hält. Er kann gegen den Schein, der im Westen den Himmel färbt, deutlich Buck Marsh erkennen. Marsh reitet langsam auf das Campfeuer zu. Er wird mehr als zwei Minuten brauchen, um dort zu sein

Neben ihm schnarrt es. Er blickt kurz nach rechts und lacht wieder leise, glucksend und voller Haß.

Die sollen sich wundern, denkt er und lauscht dem leisen Schnarren. Dort gleitet die Säge unten am Pfosten entlang und frißt sich in das Holz.

Die Pfosten stehen jeweils fünf Schritt auseinander. An jedem dritten lauert eine Gestalt und hat eine Säge. Der eine hat eine Baumsäge, die anderen beiden sogenannte Fuchsschwänze.

Schon springt der eine auf, hastet nach rechts zum nächsten Pfosten. Auch der nächste rennt weiter.

Sie wollen neun Pfosten ansägen, eine Lücke im Zaun haben. Nur nicht zu weit sägen! Etwas Holz muß stehenbleiben, nur etwas, so daß der Pfosten nicht etwa bei einem leisen Druck auseinanderfällt.

Der Mann lacht und starrt aus schmalen Augen über sein Halstuch hinweg auf Marsh.

Dann blickt er kurz nach Westen, und sein Lachen klingt nun beinahe teuflisch.

Es brennt so schön.

Feuer machen, das hat ihm immer besonderen Spaß gemacht. Er erinnert sich, daß er schon als Junge gern mit dem Feuer gespielt hat.

Dann sieht er zu Mash. Buck Marsh ist am Feuer und steigt ab.

»Ihr habt Zeit«, ruft der Mann, der Marsh beobachtet, den anderen zu. »Er ist abgestiegen und trinkt. Ab mit euch.«

Der erste seiner Männer ist schon fertig und sitzt wieder auf seinem Pferd.

»Zurück an den Bach und links hochreiten! Da wartest du, verstanden?«

»Ja.«

Er ist weg, verschwunden zwischen den Büschen, die an den Bachsaum grenzen.

Der nächste springt jetzt auch in den Sattel.

Buck Marsh stellt in voller Ahnungslosigkeit seinen Kaffeebecher weg und blickt brummend nach Westen.

Keine dreihundert Schritt von ihm entfernt verschwindet jetzt der dritte Mann lautlos auf seinem Pferd. Und wenn er Geräusche macht... Die Zuchtrinder werden zu laut.

Am Boden ist an neun Pfosten des Zaunes etwas Sägemehl. Es ist kaum zu sehen, Hände haben es verstreut.

Der vierte Mann aber reitet im Augenblick gerade über die Kante des Bacheinschnittes.

Hier hält er, unter dieser sechshundert Yards langen, nur an einzelnen Stellen etwas mehr geneigten Kante, die sonst steil und schroff ist. Geröll liegt hier, kaum Büsche an der steilen Kante. Er sieht sieben Fuß hoch und lacht wieder.

»Warum«, fragt der, der auf ihn als einziger noch wartet, »lachst du denn?«

»Sie bekommen es, sie bekommen es endlich hart genug. Ich wette, sie werden alle bis unter die Haare voll Wut sein. Sollen sie nur, wir warten nur darauf.«

»Es kann schiefgehen«, gibt der andere gepreßt zu bedenken. »Wenn sie uns erwischen, dann hängen sie uns. Denkst du auch daran?«

»Sie werden uns nicht erwischen, beruhige dich. Alles, was sie bekommen, das wird eine Wolke Kugeln sein. Komm, langsam! Ich will sehen, was dieser Marsh anstellt. Hoffentlich merkt er nichts.«

»Ach was, das sieht der nie!«

Buck Marsh reitet um die Herde im Süden und sieht wirklich nichts. Dann schwenkt er wieder nach Westen ein.

In diesem Augenblick kommen die vier Männer leise und vorsichtig aus dem Einschnitt hoch und reiten im Osten vorbei. Sie reiten nicht weit, sie sind wenig später hinter der Bodenwelle genau im Norden verschwunden und halten.

Marsh muß jetzt genau vor ihnen sein. Der eine steigt ab und kriecht die Bodenwelle heran.

Keine Minute darauf entdeckt er Buck Marsh und sagt leise nach hinten:

»Er ist jetzt wieder am Campfeuer und wird gleich im Osten abbiegen. Wir können ihn nicht sehen, ich hoffe, er reitet bis zum Südende des Zaunes durch. Wie lange hat er gebraucht?«

Der eine nimmt wieder den Hut ab und reißt im Hut ein Streichholz an, als der obere die Hand herabschlägt. In diesem Moment ist Marsh genau eine Runde geritten. Wenn er am Feuer anhält, dann... Aber er hält nicht, er hat keinen Durst mehr und reitet gleich weiter.

»Vier Minuten gut, mehr nicht.«

»Gut«, sagt der oben und sieht Marsh auf die Ostecke zureiten. »Geben wir ihm anderthalb Minuten. Macht euch fertig, steckt die Zigarren an!«

Der erste brennt seine Zigarre unter dem Hut an, gibt dann den anderen Feuer. Einer hat zwei Zigarren, eine für den oben. Sie rauchen und sehen sich an.

»Fertig?«

»Ja«, sagt der eine heiser. »Alles in Ordnung. Und wenn Marsh was passiert?«

Der oben kommt jetzt mit sechs, sieben wilden Sätzen den Hang herabgerast und wirft sich in den Sattel seines Pferdes. Die Satteltasche hat er offen.

»Links vom Feuer«, sagt er scharf. »Nicht, daß er uns über die Zuchtrinder hinweg sieht. Was soll ihm schon passieren, wenn er kein Narr ist? Na und? Anreiten, er muß gleich unten sein.«

Sie reiten jetzt an und fassen alle zugleich in die Satteltaschen.

Langsam, im Schritt kommen sie auf die Herde zu und ducken sich tief herunter.

Es dauert keine Minute, dann halten sie in einer Reihe neben der Nordflanke des Zaunes und sehen sich an.

Der Mann auf dem grobknochigen Pferd lacht wieder böse.

»Also los«, sagt er hämisch. »Steckt sie an den Zigarren an und werft sie im Bogen über den Zaun. Diese Viecher stehen doch alle zum Wasser hin. Werft weit genug!«

Er hat die erste Sprengpatrone gezogen und preßt mit dem Daumennagel die Zündschnur gegen die glühende Spitze der Zigarre.

Ein Zentimeter Zündschnur eine Sekunde, zehn Sekunden lang brennt die Schnur. Er ist Fachmann für diese Sachen und sagt nicht etwa, daß eine Zündschnur zehn Zentimeter lang sein muß, um zehn Sekunden zu brennen.

»Zehn Sekunden lang.«

Das sagt er, als der Funke aufspringt und sich schnell die Schnur entlangfrißt.

Dann holt er aus. Sein langer, kräftiger Arm schleudert die Patrone weg. Sie fällt wirbelnd hart an den Zuchtrindern zu Boden.

Er glaubt zu sehen, daß sich die Zuchtrinder nach dem zischenden Ding umsehen. Aber schon hat er die zweite heraus und den Daumennagel wieder an der Zigarrenspitze. Der hinter ihm wirft weit nach vorn und sagt keuchend:

»Schnell, entlangreiten, sie gehen gleich hoch. Wirf weg, schnell!«

»Zeit«, sagt der auf dem grobknochigen Pferd höhnisch und starrt der davonsegelnden Patrone nach. »Viel Zeit!«

Und dann reiten sie. Sie reiten nacheinander in sechs, sieben Sekunden weiter am Zaun entlang nach Westen.

»Sieben«, sagt der letzte warnend und duckt sich, klemmt die Knie an den Leib des Pferdes. »Ach, nein...«

Er weiß, daß sie sich festhalten müssen. Der Krach der explodierenden Sprengpatronen und der Luftdruck werden die Pferde herumdrücken und wildmachen.

»Zehn!«

Er hat kaum das Wort heraus, als es hinter ihnen aufbrüllt.

Sie ducken sich noch tiefer, sie sehen den riesengroßen und haushohen Blitz vom Boden aus gegen den Himmel schlagen. Erdbrocken fliegen in diesem Blitz mit hoch. Ihre Pferde bocken jäh, wollen weg.

»Yeeeaaah, los!«

Jetzt lassen sie die Pferde rennen und werfen noch eine Patrone. Drei Patronen fliegen jetzt durch die Luft und bringen an der Nordwestkante der Herde die Tiere durcheinander.

Hinter ihnen brüllt es. Sie könnten rufen, aber sie würden nicht ein Wort des Gebrülls verstehen können, das der Mann hinter ihnen ausstößt.

Dann drehen sie und sehen die zuckenden, blendenden Blitze hochschlagen. Ihre Pferde werden grob abgetrieben. Die Pferde wollen weg, sie machen genau das, was die ganze Masse der Zuchtstiere nun auch macht.

Beim ersten Knall springen blökend und schrill schreiend die ersten zehn, zwanzig Zuchtstiere weg. Kaum haben sie sich gedreht, kaum sind sie herum und wollen vor dem ungeheuren Krachen hinter sich weglaufen, als es schon wieder aufbrüllt.

Jetzt wird die ganze Herde verrückt. Es geschieht innerhalb von wenigen Sekunden. Überall kracht und blitzt es. Hier wird ein Jungstier von der Wucht der Explosionen herumgeworfen, dort fliegt einer mehrere Schritt, prallt zwischten andere, die brüllend vor Schreck wegrasen wollen. Jungstiere stürzen, andere drängen. Die Masse der Zuchtherde setzt sich in Bewegung und kommt auf Buck Marsh zu.

Es ist Marsh, als wenn plötzlich aus den Wolken zugleich mit dem Blitz auch der Donner kracht.

Im ersten Augenblick sieht er sogar hoch. Dann aber packt ihn die heranbrausende Druckwelle. Er spürt den starken Luftzug auf der Haut und sieht entsetzt drüben den nächsten Blitz hochschlagen.

Jetzt weiß er es, in dieser Sekunde erkennt er, daß man drüben auf die Herde losgeht.

Marsh reißt mit einem Ruck sein Gewehr herum und jagt an. Er will um die Herde herum und nach der Nordseite des Zaunes. Aber es ist noch keine zehn, fünfzehn Schritt weiter, als er das Brüllen der Herde hört. Es ist kein Brüllen im üblichen Sinn. Es hört sich an, als wenn hundert Teufel auf einmal loskreischen. Dazwischen tönt das krachende, grelle Schmettern von vielen, vielen Sprengpatronen. Gegen die Blitze sieht Marsh die Herde toben. Er erkennt die Welle, die ganz hinten an der Nordseite ihren Anfang nimmt.

Es erweckt den Eindruck, als wenn man in ein ganz glattes, träge fließendes Wasser aus großer Höhe einen gewaltigen Felsblock geworfen hätte. Der Felsblock läßt das Wasser aufspritzen und jagt eine Welle los, die durch ihren Sog alles Wasser in Bewegung bringt.

»Sie kommen«, sagt Marsh entsetzt und sieht die Rinder dort im Norden zwischen die anderen rasen. »Ich muß schießen. Ich muß schießen. Der Zaun ist stabil, er wird schon halten.«

Er schießt und reißt sein Pferd herum. Ja, der Zaun wird halten.

Die Rinder kommen, die dringende Bewegung pflanzt sich jäh über die ganze Herde fort. Die ersten Rinder an der Seite von Marsh laufen vor den Schüssen Bucks davon. Aber sie kommen keine fünf Yards weit. Auf einmal kommt die Woge von Norden und erfaßt sie. Sie drehen um, sie wenden und haben die anderen im Nacken.

Die anderen brüllen, treiben den kleinen Teil, der willig vor Marsh weg will, einfach auf Marsh zu.

»Großer Gott, die sind verrückt!«

Marsh hört seine eigenen Worte nicht. Seine Schüsse gehen im hundertstimmigen Gebrüll der Zuchtrinder unter. Die Stiere sehen wohl, daß es aus dem Gewehr von Marsh aufblitzt, aber sie kommen unentwegt. Jetzt auch von dem Gebrüll der anderen angesteckt und genauso wild heulend, auf Buck zu.

Der Zaun, denkt Buck, der Zaun hält. Er ist stabil genug. »Mein Gott! Allmächtiger!«

Sie sind schon am Zaun. Draht samt Pfosten fliegen durch die Luft. Hier spannt er sich, dort gibt er nach. Er hört nicht das Brechen, der Buck Marsh, mit dem die Pfosten umstürzen, aber er sieht die Masse Rinder gegen den Draht stürmen und Draht und Pfosten zwanzig, dreißig Schritt hoch in die Luft fliegen. Und dann ist der Zaun offen. Rinder trampeln über den Draht hinweg und stampfen ihn in den Boden. Sie treten auf die Pfosten, sie trampeln über den Draht hinweg. Und sie sind heraus.

Sie quellen durch den Zaun, sie rasen los.

Und da bricht der Zaun auch schon links von Marsh entzwei.

Er steckt plötzlich – und er sieht es mit entsetzten Blicken – mitten zwischen zwei Rinderkolonnen, die sich schnell auf den Bach zuwälzen.

Der ganze Zaun bricht um, die Spannung des Drahtes ist weg, der Zaun bricht zusammen. Und die Rinder kommen.

Weg, denkt Buck Marsh, bloß weg! Weg hier, drehen!

Er kann nicht mehr nach links oder rechts, er kann auch nicht mehr vorwärts, er kann nur noch zurück.

Sein Pferd dreht knapp dreißig Yards vor den heranstürmenden Rindern. Dann rast er los, angetrieben von Marsh, dem die Angst im Nacken sitzt. Nur fort, sie kommen, sie sind fürchterlich schnell. Wenn sein Pferd strauchelt, wenn es stürzt und wenn Buck Marsh aus dem Sattel fliegt, um laufend den Versuch zu unternehmen, entkommen zu können, dann ist es aus mit Buck Marsh, denn er wird nicht weiter als nur wenige Schritte kommen.

Buck jagt davon, die Stiere hinter sich. Nackte Angst fühlt Marsh.

Und dann sieht er die Kante des Hanges zum Bachlauf vor sich auftauchen.

Erst in dieser Sekunde erfaßt er, warum der Zaun gebrochen sein muß, warum sie von der Nordseite ihre Sprengladungen geworfen und die ganze Zuchtherde verrückt gemacht haben.

Jetzt weiß er es. Und wenn es ihm auch gelingt, über den Weg hinabzukommen, der in einer geringen Neigung zu der Stelle führt, an der sie Wasser holen, die Rinder schaffen das nicht.

Er sieht sich, das Gesicht starr vor Entsetzen, um. Da kommen die ersten Rinder über die steile Kante. Sie rasen auf die Kante zu, sie laufen in der Luft weiter und brüllen.

Buck Marsh hört das Geschrei und sieht alles, Rinder, die besten Zuchtrinder der Starring-Eagle, fallen über den Rand. Viele andere, ein nicht versiegender Strom Leiber, stürzt über die Kante nach, prallt auf sie, die sich erhoben wollen, es noch können, sinken zu Boden, wollen hoch und werden wiederum zu Boden geschleudert.

Die Katastrophe ist so groß und entsetzlich, daß sie Buck Marsh den Atem nimmt. Zwar jagt sein Pferd auf den Bach zu, prescht durch das Wasser und stürmt die andere Seite heraus, aber Marsh blickt nur nach hinten, bewegt die Lippen, bringt aber keinen Ton heraus.

Da stürzen sie noch immer, aber jetzt trampeln sie oben weiter. Unten liegen nun genug. Und das, was nun noch kommt, trampelt über die anderen hinweg und ergießt sich in den Bachlauf.

Schreien, Blöken und Muhen erfüllt die Luft mit tausend beängstigenden Klängen tierischer Not.

Buck sitzt still auf dem Pferd, er sieht einzelne Stiere auf sich zukommen und weicht nicht einmal aus. Sie laufen vorbei, die meisten sind im Wasser des Baches. Es mögen achtzig bis hundert Stiere sein, die an ihm vorbeirasen und immer weitergaloppieren.

Und er sieht alles, er hält und kann nichts sagen.

Es dauert eine, zwei Minuten, ehe er die schwache Bewegung drüben an der anderen Seite des Baches unter dem Hang erkennt. Jetzt reitet er los und sagt immer noch nichts. Nur sein Gewehr klickt in das Brüllen und Jammern der Tierstimmen hinein.

Und nun endlich sagt der totenblasse Buck Marsh: »Dafür bekommt ihr Krieg, dafür bekommt ihr euren Krieg. Und nichts auf der Welt kann uns abhalten, euch jetzt zu zeigen, wie weit ihr gehen könnt. Das hat uns hundert der besten Stiere gekostet. Hundert werden es sein, mein Gott. Sie hätten mich tottrampeln können, aufspießen. Ich darf nicht daran denken.«

Der Schuß peitscht los. Unten am Bach laufen mehrere Stiere nach dem Knall davon.

Tage, denkt Marsh, Tage wird es dauern, ehe wir sie wieder gesammelt haben. Manche werden zwei oder vier Meilen rennen, sich zerstreuen, wandern. Suchen müssen wir, aber nicht jetzt, nicht jetzt.

Er reitet weiter, er schießt, sein Patronengut wird leer. Keine Patrone mehr, aber nun hört er die Rufe und sieht die ersten Männer auftauchen. Sie kommen bis an die Kante, sehen ihn unten und blicken auf ihn herab.

Und dann sagt Torro Grant:

»Ich will sterben, wenn ich mir das gefallen lasse. Ich will eher sterben. Reitet herab und macht weiter, er hat keine Patronen mehr!«

Sie reiten, drei Mann, denen kurz darauf noch zwei folgen. Und dann kommt nach gut einer Viertelstunde Dana O’Willis auf einem abgetriebenen Pferd heran und sitzt klein, zusammengekauert und ganz starr im Sattel.

Sie blicken alle weg, als sie nach vorn auf den Hals ihres Pferdes sinkt und haltlos zu schluchzen beginnt.

»Meine Herde, mein Zuchtvieh!«

Sie sinkt am Hals des Pferdes herab und liegt still am Boden. Sie fiel, ehe Billy Marlow sie auffangen konnte.

Es ist zuviel für ein Mädchen. Obwohl es hart ist, obwohl man ihm nachsagt, daß es immer die Nerven behalten kann, jetzt versagt es doch.

»Sie – sie ist ja nur ein Mädel, weiter nichts als nur eine Frau«, sagt Jerry, der von der Seite herankommt, heiser.

»Torro, ist ein Mann in die Stadt unterwegs?«

»Ja.«

Sie sehen sich an, haben dem Mädel eine Decke unter den Kopf gelegt und blicken dann wie auf Kommando auf den Steilhang hinab.

»Wir sind sieben«, sagt Billy dumpf. »Wir sind nur sieben, aber es wird ausreichen für seine Nordherde.«

»Ja«, erwidert Jerry eisig. »Dafür reicht es. Ich glaube, sie gibt uns nun keine Befehle mehr, wir haben zu lange gehorcht und uns Befehle geben lassen. Kommt!« Sie greifen zu den Gurten, als Buck mutlos die Schultern hängen läßt, und geben ihm jeder eine Handvoll Patronen. Dann sitzen sie auf und blicken auf das Mädchen, das sich langsam bewegt und stöhnend erwacht.

»Miß Dana«, sagt Jerry scharf. »Hier sind wir!«

Sie blickt hoch und sieht sie alle im Sattel. Sie halten in einem Kreis um sie, die am Boden sitzt und die Hände vor das Gesicht schlägt.

»Wir reiten«, sagt Jerry Lewis hart und entschlossen. »Sie können einen Befehl geben, wenn Sie wollen, aber wir werden nicht bleiben. Jetzt reiten wir, und zwar alle. Haben Sie etwas zu sagen, Miß?«

»Jerry, das könnt ihr nicht. Der Sheriff muß...«

»Der Sheriff?« echot Bill Marlow vorwurfsvoll. »Daran kann kein Sheriff etwas ändern, dies ist unsere Sache. Von diesem Augenblick an nimmt die Mannschaft keinen Befehl mehr an, der sie bindet. Diese Mannschaft hat geschworen, treu zu sein und für die Interessen der Ranch zu kämpfen. Sie kämpft jetzt, Miß. Wir reiten los!«

»Halt«, sagt sie entsetzt, und die Furcht drückt sie fast wieder zu Boden. »Jerry, Bill, Torro, das dürft ihr nicht tun, verdammt.«

Ihre Worte gehen im Getrappel der Hufe unter.

Männer kann man nicht anbinden, nur eine gewisse Zeit, denn eines Tages gehen sie, wohin sie wollen und nehmen auf nichts mehr Rücksicht.

Jetzt weiß sie, daß sie für diese Männer immer nur ein kluges, gescheites Mädel gewesen ist. Man hat sie respektiert, weil ihre Pläne klug gewesen sind.

Zum Kämpfen aber taugt keine Frau, auch wenn sie zehn Revolver trägt. Kämpfen müssen Männer.

Und diese werden es tun. Sie kann sie nicht mehr halten, die Mannschaft gehorcht nur noch sich selbst.

Sie sitzt da und ist allein wie selten zuvor in ihrem Leben.

Die Mannschaft der »Harten Ranch« reitet.

Und diese Mannschaft kämpft jetzt.

Sie kämpft.

*

»Siehst du sie?« fragt Jerry leise. »Siehst du alle?«

»Ja«, erwidert der große, mächtige Bill Marlow düster. »Sie reiten im Kreis um ihre Herde. Das da vorn muß Magoffin sein. Also hat der hier die Aufsicht. Die anderen gehören zur Mannschaft, keiner ist besonders hart. Wie machen wir es?«

Sie stecken zwischen den Büschen nördlich des Tecolote-Baches und sehen auf dem Hochplateau die Herde vor sich.

Es sind nur vier Männer an der Herde, die im Kreis um die Rinder reiten. Hier gibt es keinen Zaun, weil der alte Ornell keine Zäune mag. Links ist die Hütte, aber in der Hütte ist niemand. Es sind zwar etwa ein Dutzend Schlafstellen in der Weidehütte, doch keins der Lager ist belegt.

In der Sekunde, in der sie es erkannt haben, ist es ihnen klargeworden, daß sich die anderen Männer Ornells unterwegs befinden müssen. Wohin, das weiß niemand genau, aber sie ahnen es alle. Nur vier Männer hier oben, die auf Ornells Nordherde achten, sonst niemand mehr.

Hinter ihnen knackt ein Ast. Buck Marsh und Torro Grant kommen geduckt heran und drängen sich an den Pferden vorbei nach vorn.

»Was ist, Torro?«

»Spuren«, erwidert Torro träge. »Eine ganze Menge. Sie laufen von der Senke aus, in der ihr Pferdecorral ist, genau nach Südost auf unsere Weide zu. Brauchen wir noch mehr zu wissen?«

»Wie alt?« fragt Bill.

»Keine vier Stunden. Es kommt genau hin. Sie sind zuerst zu unserem Pferdecamp geritten, haben es angesteckt und sind dann über die Herde hergefallen. Was jetzt?«

Jerry Lewis überlegt keine halbe Minute, dann deutet er auf die Senke linker Hand und lächelt wild:

»Wir reiten dort unten entlang, dann haben wir sie in der Flanke und jagen sie den Plateauhang im Westen herunter. Torro, weißt du, wie man Feuer macht?«

»Ja«, erwidert Torro hart. »Das weiß ich. Wann soll es brennen?«

»In etwa zehn Minuten.«

»Gut«, sagt Torro kühl. »Es wird brennen, ich nehme die Lampe und schütte alles aus. In zehn Minuten seid ihr sicher da unten. Sollen sie mich sehen?«

»Ja, sie müssen dich sehen.«

»Gut.«

Torro huscht los, zieht aber sein Pferd hinter sich her und ist in wenigen Sekunden verschwunden.

Die anderen reiten langsam. Sie kommen durch die Büsche gut sechshundert Schritt von der Herde entfernt nach links den Hang herunter und sind gleich darauf im Tal.

»Einzeln reiten«, sagt Jerry knapp. »Großen Abstand, es kann auch eine Falle sein, ich möchte sichergehen, daß wir nicht gerade hineinlaufen. Nehmt die Gewehre und paßt haarscharf auf!«

Er reitet zuerst los. In zehn Schritt Abstand folgt ihm der große Bill Marlow durch das Tal und blickt argwöhnisch auf die vielen Büsche, hinter denen genug Männer liegen können, um keinen von ihnen herauszulassen.

Es geschieht nichts. Sie kommen bis knapp hundertfünfzig Schritt unter das Plateau an die Ostflanke der Herde.

»Bleibt auseinander«, sagt Jerry warnend. »Wir sind immer im Vorteil, wenn wir keinen Block bilden. Bill, paß auf, ich reite hoch!«

Er reitet an, sieht gleich darauf die Pferde vor sich und hält nun unter den Büschen an dieser Senke, die das Plateau in zwei Teile schneidet. Vor ihm kommen zwei Reiter vorbei. Sie sind dicht nebeneinander und reden miteinander. Der Wind trägt den Hall ihrer Worte verzerrt zu ihm hin.

Jerry Lewis hält, denkt einen Augenblick an die Männer, die um diese Herde reiten und es gut fünfhundert Schritt weit bis an die Hütte haben.

Sein Plan ist einfach und, wie er hofft, sicher.

Jerry weiß, daß er innerhalb von zehn, höchstens fünfzehn Sekunden an der Herde sein kann. Und mit ihm alle Männer, die er hinter sich hat. Dieser Krieg ist rauh geworden, er hat ihn nicht gewollt und weiß, daß sie nur noch kämpfen können.

In diesem Augenblick taucht Magoffin auf. Magoffin kommt um die Herde, als die anderen beiden vorn gerade verschwunden sind. Dann muß der Abstand von Maggofin zum nächsten Mann groß sein.

Das ist gut so, denkt Jerry zufrieden, wenn nur einer dort kommt, dann ist sein Pferd dran, ehe er es begreift.

»Jerry, was ist?«

»Alles in Ordnung«, erwidert Jerry laut, denn er spricht gegen den Wind und braucht nicht zu fürchten, daß man ihn an der Herde hört. »Sie reiten in sehr weitem Abstand, Bill. Wenn sie einen Fehler machen, dann kann... Es brennt!«

Er sieht in diesem Augenblick die Flamme aus der Hütte schlagen. Die Flamme läuft aus der offenen Tür. Also hat Torro eine Petroleumspur gezogen.

Im Flammenschein aber ist Torro nur einen Augenblick sichtbar.

Sie sehen ihn nicht, denkt Jerry bestürzt, sie sehen ihn sicher nicht. Und es soll doch wie ein Überfall aussehen.

In diesem Augenblick schreit auch schon Maggofin – er muß links an der Herde sein:

»Feuer, Feuer! Die Hütte brennt, die Hütte brennt! Charlie, Beckett, die Hütte!«

Er reißt sein Pferd herum und sieht den Schatten des Mannes laufen. Schon jagt er sein Pferd an, aber da peitscht es trocken und scharf von der Stelle herauf, an der der Mann gerade verschwunden ist.

Die Kugel kommt haarscharf an Magoffins Kopf vorbei, der sich vor Schreck auf den Hals seines Pferdes wirft.

Gleich darauf, er reißt sein Pferd nach der Seite, hört er den trommelnden Hufschlag und schreit laut:

»Es ist nur einer! Er versucht zu entkommen. Hinterher! Owens, Beckett, wir schneiden ihm den Weg ab! Charlie, kümmere dich um die Hütte! Unsere Sachen!«

Schlau, denkt Jerry, als er die Reiter kommen sieht und sie keine hundertzwanzig Yards vor ihm auf die Hütte zurasen. Das hat Torro richtig gemacht.

Er sieht sich um und sieht Bill mit den anderen hinter sich bereits am Hang.

Dort sind die Pferde, dort rast Magoffin. Er ist jetzt dicht vor der Herde und voll zu sehen.

Jerry Lewis nimmt sein Gewehr hoch und zielt kurz.

Und dann drückt er ab.

»Jetzt«, sagt er, als er Magoffins Pferd stürzen sieht und Magoffin aus dem Sattel springt. »Jetzt habt ihr euren Krieg, ihr hinterlistigen Burschen. Jetzt habt ihr ihn.«

Er hört das Gewehr von Bill krachen. Buck schießt, und die beiden Männer dort rennen von ihren zusammengebrochenen Pferden weg. Sie laufen wie die Hasen. Torro aber, der weit hinten im Tal vermutet wird, hat sein Pferd längst herumgezogen und sieht den vierten und letzten Mann auf die Hütte zukommen.

Torro Grant zielt ruhig, sein Pferd steht. Und dann taucht der Reiter über dem Plateaurand auf.

In dieser Sekunde drückt Torro ab.

Und mit diesem Schuß ist ihr Plan geglückt. Die Herde hat immer noch vier Wächter, aber vier ohne Pferde, denn Torro rast jetzt zum Pferdecorral unten, in dem ihre Ersatzpferde stehen und lenkt sein Pferd mit voller Wucht gegen die Gatterstangen.

Es kracht und splittert, dann prescht Torros Pferd in den Corral hinein. Torro Grant nimmt jetzt seinen Revolver und galoppiert an den Corralstangen entlang auf die Gruppe Pferde zu.

»Das ist es«, sagt Torro verbissen. »Greift uns nur nicht an, Freunde! Raus mit euch, raus! Yeeaah!«

Er jagt brüllend und schießend um die Pferde und treibt sie mit grimmiger Freude aus dem Corral. Jetzt soll Magoffin sehen, wie er mit seinen Männern nachkommen kann. Er kann zu Fuß laufen und wird seine Not haben, um den Hufen der Herde zu entgehen.

Und er irrt sich nicht.

Sie schießen nur einmal, dann kommen sie aus der Senke und jagen los. Sie sind nur Schatten in der schwarzen Nacht, die auftauchen und sich rasend schnell, ehe sich Magoffin und seine Männer von ihrem fürchterlichen Schreck erholen können, der Herde nähern. Magoffin schreit, er versucht, sein Gewehr aus dem Gras zu ziehen, aber das Gewehr wird vom Gewicht seines Pferdes herabgepreßt. Er schreit nach seinen Männern und sieht sie laufen.

»Da«, brüllt Owens dem neben ihm laufenden Beckett zu. »Charlie, Charlie, wo bist du? Beckett, siehst du Charlie?«

Der ist nicht zu sehen. Sie laufen beide zu Magoffin und hören nun hinter sich die Hufe trommeln.

»Reiter«, ruft Magoffin mit überkippender Stimme entsetzt. »Reiter, mein Gott, Reiter! Da sind sie, schießt doch, schießt! Sie wollen uns die Herde nehmen, ganz klar, die Herde, Gerechter Gott!«

Seine Worte werden ihm vom Mund gerissen. Er hört das wilde Hämmern der Schüsse und die gellenden »Yiiah, yiiah« Schreie der Männer, die an der Herde sind.

Die Herde gerät in Bewegung. Dies ist keine Herde, die sich an das Grasen innerhalb einer Umzäunung gewöhnt hat, dies ist eine Weideherde, die zieht, darum ist diese Herde auch unruhig. Und jetzt kommt sie.

»Weg!« schreit Magoffin entsetzt. »Rennt weg, sie kommen über uns, trampeln uns nieder. Weg hier!«

Er fühlt Schmerzen, aber er läuft, obwohl er gerade gut genug reiten kann. Die Sache mit dem Hinterhalt dieses kleinen Gartenzwerges aus Kansas ist noch zu frisch. Sie rennen nun alle drei. Und sie würden in die Hütte laufen, denn dort böten ihnen die Wände Schutz, aber die Hütte brennt.

Doch dort sind zwei Bäume, dicke, schöne Zedern.

Sie laufen und sehen sich nach den Rindern um, die schnell näherkommen. Die ganze Herde ist jetzt im Aufbruch, die ganze Herde kommt auf sie zu, wird sich um die Hütte teilen und dann die Westflanke des Plateaus herabdonnern. Magoffin, erfahren im Traben, erkennt sofort die Absicht der hinter der Herde herreitenden und wild in die Luft schießenden Männer.

»Auf den Baum!« schreit er durchdringend die anderen beiden an. »Hoch mit euch!«

Er kann nicht so schnell laufen wie Beckett, der zuerst am Baum ist, hochspringt und brüllend nach oben klettert. Sogar Owens ist noch schneller als Magoffin und schwingt sich, die Stiere weniger als hundert Schritt hinter sich in eine Front kommen sehend, auf den untersten Ast.

»Zieh mich hoch«, japst Magoffin und springt an den Ast, als Owens eben von diesem Ast auf den nächsten steigen will und Magoffin auf die linke Hand tritt. »Ouuuh, du Trottel, meine Hand, meine Hand! Hilf mir doch!«

Owens schreit, als wenn hundert Indianer hinter ihm her wären. Er kümmert sich nicht um Magoffin, er klettert. Und Magoffin unten schlenkert seine Hand, dreht sich um und sieht die Rinder kommen. Sie sind jetzt so schnell, daß er den Eindruck hat, eine Dampfwalze käme auf ihn zu. Die nackte Angst läßt ihn erneut springen. Er kommt auf den untersten Ast, als der erste Stier gegen den Baum läuft und Beckett oben gellend und angstvoll ruft:

»Ich falle. Hilfe, ich falle!«

Durch den dicken Baum geht bei dem Anprall der Stiere, dem Scheuern, mit dem sie ihn streifen, ein laufendes Rütteln. Drei Männer hocken wie Klammeraffen auf einem dicken Baum und zittern mit ihm um ihr Leben. Wenn der Baumstamm morsch ist...

Sie wagen diesen Gedanken gar nicht zu Ende zu denken. Sie zittern wie Espenlaub, müssen sich anklammern, um nicht herabzustürzen und werden vom Staub eingehüllt. Jetzt müssen sie auch noch husten, die Augen tränen und brennen, dazu das Brüllen unter ihnen, das Zittern des Stammes, das Schwanken des Astes, auf dem Beckett liegt und kaum noch was sieht. Nur noch die grandiose Staubwolke, die vom Feuerschein der brennenden Hütte angestrahlt wird.

Dicht unter Magoffin aber strömt es, Rücken an Rücken und Gehörn an Gehörn, durch. Rinder – sechshundert, achthundert. Fast neunhundert Rinder rasen los. Ihre Hufe schleudern den Staub hoch, im Staub brüllen sie. Und im Staub schießt er.

»Treibt sie schneller. Stampede, treibt sie zur Stampede!«

Magoffin hört den Mann rufen. Er erinnert sich jäh an die Stimmen und fällt fast von seinem Ast herunter.

»Lewis«, sagt er entsetzt. »Lewis ist es. Die Starring-Eagle-Mannschaft fällt über uns her. Diese hinterlistigen Schurken, dafür sollt ihr bezahlen! Stecken uns die Hütte an, treiben das Vieh zur Stampede auf. Oh, diese Schurken, diese Kansas-Teufel!«

Er muß bellend husten. Er kann in dem Staub nichts sehen und auch nicht schießen. Keine Hand ist frei, um den Revolver zu nehmen. Nun ist er sechseinhalb Jahre auf der Ranch Ornells, aber niemals ist ihm so deutlich zu Bewußtsein gekommen, daß die kleinen, armseligen Cowboys von der Starring-Eagle die ganze Zeit geblufft haben. Zuerst hat man fast die ganze Mannschaft des alten Larry weggejagt, man hat jeden Reiter von O’Willis nach der Melodie verprügelt:

»Triffst du ihn, dann haue ihn!«

Und dann hat dieses Frauenzimmer neue Leute eingestellt, ganz zahme, so hat es ausgesehen. Das ist es.

Das sind alles zweibeinige Tiger, jawohl, zweibeinige Löwen und Tiger.

Er glaubt nicht richtig zu hören, aber durch den Staub und das Gebrüll der Tiere kommt auf einmal die Stimme zu ihm hoch:

»Sitzt du da oben gut, du Narr? Jetzt kannst du zu Fuß rennen, ihr habt keine Ersatzpferde mehr. Kommt nie wieder auf unser Land, steckt nie wieder unsre Hütte an. Wir werden euch zeigen, wie groß ihr seid!«

»Hütte, Land?« wiederholt Magoffin. »Was – was ist das?«

Er schreit, aber es kommt keine Antwort. Unter ihm wird es still. Hier und da muht es noch, aber die Walze geht, die große Trommel paukt. Die Herde rennt immer schneller und schneller. Sie kommt heran.

Wohin treiben sie denn? Er rutscht vom Baum, steht keuchend, spuckend und halb betäubt vom Lärm einer fast tausendköpfigen Herde am Baum und flucht, als Beckett ihm um ein Haar in den Nacken springt.

»Hört doch, hört! Sie treiben sie den Fluß hinunter, jagen sie... O großer Gott, sie jagen sie mitten in die Hauptherde hinein. Dort sind nur sechs Mann. Und die können gegen eine heranrasende Herde nichts tun, wenn sich die Herde erst weit genug auseinandergezogen hat. Zwischen denen und uns liegen ein halbes Dutzend Hügel, der Wind steht gegen die Herde, vielleicht haben sie dort nicht mal etwas gehört. Großer Geist, das gibt ein Unglück, das gibt ein Unglück, die Herden stoßen zusammen!«

Jetzt erst weiß er es in vollem Umfang. Sie werden es so machen, sie treiben diese Herde zur rasenden Stampede an und jagen sie mitten in die

Hauptherde hinein. Kaum hat er das begriffen, als er losläuft und durch den zerflatternden Staub in die Senke blickt. Der Corral ist leer, die Pferde sind fort. Keine Pferde – auch das noch.

Sie hasten los, sie laufen, aber sie kommen kaum voran. Hier und da ein Stier, aber die Masse rennt, die Masse rast. Man wird sie am Hauptlager vielleicht gar nicht hören, denn der Wind steht nicht so, daß er Geräusche an die Hauptherde bringt. Dann liegen die Steilhügel zwischen diesem Camp und der Hauptherde. Die Hügel schlucken den Schall.

»Sie kämpfen«, sagt Magoffin tonlos. »Und wie sie kämpfen, diese Strolche. Was wird das nur, was wird das?«

Er kann es nur ahnen und bleibt stehen.

»Hört auf zu rennen«, sagt er tonlos. »Dahinten kommt ja Charlie, was? Laßt das, es hat alles keinen Sinn, sie hören uns nicht.«

Und er humpelt langsam weiter.

Vor ihnen aber wogt die Staubwolke in das nächste Tal und schießt den jenseitigen Hang hoch.

Die Herde läuft in breiter Front auf das Hauptcamp zu.

»Genug«, sagt Jerry Lewis scharf, als sie eine halbe Stunde hinter einer im vollen Wirbel dahinziehenden Herde jagen. »Sie läuft weiter, sie wird ihnen eine prächtige Überraschung bedeuten. Ich wette, daß sie jetzt genauso viele Rinder verlieren wie wir. Wir drehen um, es ist wichtiger, die Herde bei uns zu schützen, als sich hier in einen Revolverkampf einzulassen. Bill, du bringst sie zurück, ich sehe nach, was sie tun. Und kommt Ornell mit seinen drei Schießern und den anderen auf uns zu, dann warne ich euch. Einer muß es tun – ich. Hast du verstanden?«

»Ja«, erwidert der mächtige Bill düster.

»Dieses reicht erst einmal für sie. Und vielleicht gehen dem alten Burschen Ornell endlich die Augen auf, daß er nicht alles mit uns machen kann. Paß du nur auf und sage rechtzeitig Bescheid, wenn etwas geschieht. Und laß dich in nichts ein, Jerry, du bist zu wichtig.«

»Ich weiß, ein Narr bin ich noch nicht. Los, reitet zur Ranch und sagt diesem Girl, daß wir es Ornell gezeigt haben. Ich werde die Verwirrung ausnutzen, in der Spur der Herde reiten und sie alle beobachten. Was immer Ornell macht, er wird mir nicht entgehen.«

Er zieht sein Pferd herum und weiß, daß er jetzt eine weit wichtigere Aufgabe hat als jeder andere Mann der O’Willis-Ranch. Einer muß die Bewegungen der Ornell-Mannschaft bewachen. Jerry wird es tun, er versteht sich darauf, unsichtbar zu bleiben. Und gerade das soll ihm zum Verhängnis werden.

Es wird ihm einen Strick einbringen. Einen langen, rauhen Strick mit einem Knoten.

Einen Strick um den Hals.

*

Der alte Mann schläft und träumt.

Er hat diesen Traum oft und ist jedesmal schweißnaß, wenn er danach erwacht.

James Hadley Ornell ist in einem Zimmer. Das Zimmer ist ganz dunkel, und in ihm ist es so still wie in einem Grab.

Aber dann kommt Licht. Es ist ein Lichtschein, der auf die eine Wand dieses dunklen Raumes fällt. Und es sieht aus, als wenn sich aus der Wand etwas löst.

Der Mann kommt auf ihn zu. Es ist ein kleiner, zierlicher Mann, der noch das Tuch trägt, das die vorige Generation meist mit einer Perle um den Hals getragen hat.

Der Mann ist bleich wie der Tod und streckt die Hände aus. Und auch die Hände sind bleich.

James Hadley Ornell sitzt auf einem Stuhl. Er kann sich nicht rühren und muß den Mann ansehen, der aus der Wand tritt und im Lichtschein, der auf seinem Gesicht gespenstische Schatten schafft, auf ihn zukommt.

James Ornell hat Angst vor diesem Mann, denn er kommt zu oft wieder und spricht nie. Nur seine Hände reden für ihn eine zwar lautlose, aber doch eindringliche Sprache der Gesten.

Dieser Mann verlangt etwas von ihm und winkt immer mit den Händen, als wenn er es endlich haben will.

Ornell läuft der blanke Schweiß über die Stirn, sein Körper ist in Schweiß gebadet. Der Mann will es haben, er kommt immer näher.

»Nein!« schreit James Hadley Ornell heiser. »Nein, nein, du bekommst es nicht, du bekommst es nie mehr!«

Und dann wacht er auf.

Er liegt still und atmet keuchend. Er ist klatschnaß geschwitzt und weiß sofort, daß er zu Hause in seinem Bett liegt. Doch die Dunkelheit, diese Schwärze. Wenn er jetzt wirklich aus der dunklen Wand tritt?

»Licht«, sagt Ornell keuchend. Seine Hände zittern so heftig, daß er kaum das Streichholz anreißen kann. Dann verliert er um ein Haar den Lampenzylinder aus den Händen und hat Mühe, ihn aufzustecken.

Jetzt ist es licht im Zimmer. Er liegt ganz still auf dem Rücken und starrt nach einem ängstlichen Blick auf die Wand gegenüber die Decke an.

Es dauert lange, ehe sich sein wild klopfendes Herz beruhigt hat. Der Schweiß auf seiner Stirn ist nun kalt und feucht. Er klebt, als er sich mit der Hand über das Gesicht fährt.

Seine Medizin, die Tropfen!

Der alte Mann bewegt sich und kommt auf die Seite. Dann zählt er die Tropfen ab, die in das Glas fallen und schüttelt das Glas heftig. Und dann trinkt er, sinkt zurück und liegt still.

Es ist so ruhig in diesem Haus, es rührt sich nichts.

Die Stille ist um ihn, eine Stille, die ihn krank macht. Einmal hat er gedacht, daß ihm Joel eine Frau in dieses Haus bringen würde, daß Kinder in ihm die Treppen herauf- und herabtoben könnten, daß Lachen in diesem Haus sein würde.

Aber es ist still. Ein großes Haus, in dem niemand mehr lacht, in dem alles auf ihn hört und sich nach seinen Launen richtet, wenn er welche hat. Und wann hat er keine?

Ein Mann, der alles im Leben erreicht und doch seinen Sohn verloren hat, dieser Mann wird einsam sein. Er weiß es seit Jahren. Und manchmal tobt er sich aus.

Joel, denkt er, Joel, wenn du kommen würdest, ginge ich zum Sheriff und würde mich stellen. Ich würde sagen: ich habe es nicht tun wollen, es ist ein Unfall gewesen, aber ich kann damit nicht mehr leben, ich kann es nicht, denn es bringt mich um. Ja, Joel, ich würde meinen Frieden machen mit diesem – diesem rothaarigen Frauenzimmer da drüben. Sie sagen alle, daß ich gemein bin, ein gemein denkender alter Mann, der niemandem etwas gönnt, nur sich selbst alles.

»Joel!«

Er lauscht der Stimme nach. Und der Hall des Wortes verläuft sich.

Allein sein, keine Freude mehr, nichts. Früher hat er sich freuen, lachen können. Heute?

Er hebt den Kopf und lauscht. Er ist nun viel ruhiger geworden. Vielleicht wirkt seine Medizin so schnell, er glaubt daran. Und nun hört er das Trommeln deutlich.

Reiter kommen, Reiter kommen in rasendem Galopp auf die Ranch zu.

Ah, denkt er, drei Pferde. Ich muß aufstehen, irgendwo scheint etwas nicht so gelaufen zu sein, wie ich es gesagt habe.

»Sherman, Haymes, Troy!«

Das ist Roopers Stimme, die aus dem Getrommel der Hufe zu ihm kommt.

Rooper ruft also nach den drei härtesten Leuten, die er hat.

Der alte Mann kommt hoch und steht schwankend auf. Er hastet zum Fenster, stößt es ganz auf und beugt sich hinaus. Im Bunkhaus und in dem kleinen Bau, in dem die drei Männer schlafen, die er sich wegen diesem Frauenzimmer jenseits des Baches angeworben hatte, geht Licht an.

Rooper aber hält mitten im Hof. Bei ihm ist Magoffin, und neben Magoffin hält Husley, der wildeste Prügler in der Mannschaft.

»Edward«, brüllt der Alte donnernd in den Hof herab. »Was ist passiert? Warum kommst du wie ein Narr heran und schreist zuerst nach den drei Burschen und nicht nach mir?«

»Weil sie zuerst munter werden müssen«, gibt Edward Rooper keuchend zurück. »Wir brauchen sie, Boß. Big, die Hölle ist los. Sie haben unsere Nordherde überfallen und die Weidehütte angesteckt.«

Er stemmt die Hände fest auf das Fensterbrett und schließt die Lider. Jetzt ist es da, es kommt das, vor dem er sich immer gefürchtet hat. Sie greifen an. Dieses Mädel geht ran und läßt die Mannschaft kämpfen, in der sich alle getäuscht haben.

Was sagt Rooper? Ist es denn noch nicht genug in dieser Nacht kurz vor dem Morgen?

»Boß, sie haben die Nordherde in Stampede gejagt und mitten unter die Hauptherde getrieben. Wir haben es zu spät gehört, die Herden sind zum Teil aufeinandergeprallt, haben sich vermischt, Boß, wir haben mindestens hundert Rinder verloren. Hörst du mir zu, Boß?«

Er hört zu, er hört genau zu und sieht doch nach Süden. Dort wohnt sie, dort lebt sie. Und wenn sie kämpft, dann muß er auch kämpfen. Gegen eine Frau, mit der Waffe in der Hand. Gegen eine Frau kämpfen?

Die Herden zusammengejagt, die Herden...

Er hat die Augen geschlossen und weiß, daß dies der Anfang vom Ende ist. Jetzt muß er kämpfen, er muß die ganze Mannschaft auf die Beine bringen und wird auf seine Art den Kampf beginnen.

James Hadley Ornell macht die Augen auf. Er sieht die drei Männer nur halb angezogen aus ihrem Haus stürzen und in den Hof rennen.

»Edward«, sagt er kalt und scharf. »Läuft die Herde noch oder steht sie?«

»Sie kommen zur Ruhe, Boß.«

Alle sehen zu dem Fenster hoch. Selbst der Koch und der Stallmann sind aus ihren Betten gesaust.

Jetzt, denkt Rooper, jetzt ist es passiert. Jetzt legt er los, er ist nicht mehr zu halten, ich weiß es, ich kenne ihn. Er bringt jeden Mann in den Sattel, jeden, ich weiß es. Er kocht.

Der Alte redet so kalt, das ist ein Zeichen für das, was in ihm tobt.

»Wann ist sie ruhig, Edward?«

»Ich würde sagen, gegen Mittag ist sie ruhig, Boß.«

»Gut«, sagt der alte Mann langsam und schwer. »Jeder Mann an diese Herde, jeder Mann sage ich. Habt ihr gehört? Nur du, Beham, du kommst mit mir, du kannst deinen rechten Arm doch nicht so gebrauchen wie du sollst, wenn du auch mit dem linken schnell genug bist. Edward, paß jetzt auf. Die Herde steht genau zehn Uhr, das ist ein Befehl.«

»Ja, Boß, aber sie wird unruhig sein.«

»Desto besser, mein Alter, desto besser. Ich werde zur Stadt reiten und gegen acht Uhr dort sein, um den Sheriff zu holen. Dann bringe ich ihn mit. Und nun paßt gut auf, Edward, hört alle genau her. Ihr habt die Herde nicht halten können. Ihr habt es versucht, verstanden?«

»Ja, Boß«, sagt Edward Rooper und fühlt eine Gänsehaut auf seinem Rücken. »Und dann?«

»Ihr werdet die Herde auf das Land drüben jagen. Ihr jagt sie auf das Land dieser Rothaarigen. Und ihr treibt sie über ihre Herde hinweg. Ihr jagt sie durch ihre Felder und steckt die Felder hinter euch an. Ihr treibt ihre Herde auf den Mond und radiert die Ranch aus. Das ist ein Befehl.«

Sie sehen sich an und begreifen es.

Er wird den Sheriff mitbringen, aber der Sheriff wird zu spät kommen und vollendete Tatsachen finden, die nicht mehr zu ändern sind. Vielleicht hat einer der Reiter seine Pfeife ausgeklopft, als sie über die Felder geritten sind, die jenseits des Baches liegen? Diese Felder tragen fast reifes Korn, Hafer für die Pferdezucht, die Jerry Lewis auf der Ranch drüben begonnen hat. Weizen für Brot, denn diese Ranch versorgt sich fast mit allen Dingen selbst. Das alles steht drüben auf fast reifen Halmen.

»Und dann, Boß?« fragt Edward Rooper leise. »Was dann, Boß?«

»Kämpft sie nieder und jagt sie aus dem Land, wenn sie sich wehren«, sagt er hart und grimmig, »jetzt ist es genug, sie greifen mich an.«

»Augenblick, Boß«, meldet sich da Magoffin. »Boß, Bill Marlow hat etwas zu mir hochgerufen. Er hat gerufen, daß wir nie wieder auf ihr Land kommen und ihre Hütte anstecken sollen.«

»Was ist das? So ist das also?« sagt der Alte wild. »Wir haben angefangen, was? Ach, das ist zuviel für mich. Ich lasse euch alle hier, ich will keinen Kampf, und das werden sie büßen. Sie haben einen Grund gesucht, um uns anzugreifen, das ist alles. Los, brecht auf, ihr habt einen Befehl bekommen.«

»Boß, sollen wir nicht besser nachsehen, ob etwas Wahres an Marlows Gerede ist?« fragt der besonnene Edward Rooper gepreßt.

»Hast du nicht gehört, du Narr? Du hast einen Befehl bekommen, führe ihn aus, verstanden? In drei Minuten will ich euch nicht mehr sehen.«

Er wirft das Fenster krachend zu, die Scheibe zerspringt und klirrt in den Hof hinab.

»Alle bösen Geister der Hölle«, sagt der Alte und ballt beide Fäuste. »Jetzt ist es vorbei. Ich werde kämpfen, ich werde ihnen zeigen, wer James Ornell ist. Eine so große Herde wie unsere hält niemand auf, durch nichts. Sie soll alles verlieren. Ihr verjagt sie und alles, was zu dieser Ranch gehört. Dieses Land soll sehen, wer ich bin und was ich kann.«

Einen Augenblick denkt er an das Gerede von Marlow, aber er fährt nur um so wütender in seine Stiefel und sagt zornig:

»Gerede. Einen Grund haben sie gebraucht, mehr nicht. Das glaubt ja nicht mal ein Irrer. Ich habe meine Männer zu Hause gelassen. Ich will keinen Krieg, weil ich die Stadt habe und sie von aller Zufuhr abschneiden kann. Und dieses rothaarige Frauenzimmer weiß das und schlägt los. Na, warte, Frauenzimmer, ich werde dich noch aus dem Land treiben.«

Es dauert nicht lange, dann ist er angezogen und nimmt seine Uhr von dem Nagel ab, der in der Wand steckt. Sie hängt dort immer. Diesen Platz neben dem Bett hat schon sein Vater für seine Uhr gehabt. Wütend macht er den Haken der Kette fest und fährt sich mit den Händen durch die Haare. Kämmen und rasieren. Zum Teufel damit.

Fünf Uhr ist es, und der Himmel im Osten rot, als er die Treppe herabkommt und Troy Beham neben seinem Pferd steht.

Er sagt nichts, er blickt nur auf den Himmel und schwingt sich in den Sattel.

Stumm reitet er vom Hof und spricht erst, als sie unterwegs sind und die Ranch weit hinter ihnen liegt.

»Troy, wir werden mit dem Sheriff zum Herdenlager reiten. Kommen wir dort hin, dann ist es sicher schon elf Uhr. Die Spuren der Herde werden nach Süden laufen und alle Zeichen darauf hindeuten, daß die Mannschaft sie nicht halten konnte. Er kommt zu spät, um noch etwas zu tun, dieser neunmalkluge Narr, der sich von irgend jemandem Geld geliehen hat, um ja unabhängig zu bleiben. Was meinst du dazu?«

»Sie können die Herde niemals aufhalten, Boß. Am Ende ist sie fertig. Wenn sie Widerstand leisten, erst recht, Boß, und wenn Ellison nicht in seinem Office ist?«

»Er hat dort zu sein, der schläft lange, das weiß ich. Nur nicht zu schnell, vor acht Uhr will ich nicht dort sein. Der soll seine Überraschung erleben, der Narr.«

Das sagt er und weiß nicht, daß er seine Überraschung erleben wird. Er, nicht der Sheriff.

Und diese Überraschung wird ihn fast töten.

*

Er reitet wie immer. Er sitzt stolz im Sattel und blickt auf den Beginn der Mainstreet.

Da liegt sie, diese Stadt, in der viel von seinem Geld steckt. Diese Stadt wird ihn grüßen, weil sie alle Angst vor ihm und seinem Geld haben, weil sie Schulden bei ihm haben und von ihm abhängig sind.

Er sieht die Schmiede, die Stellmacherei, drüben den ersten Saloon.

Und er reitet vor Troy Beham her in seine Stadt ein. Die Leute stehen auf den Gehsteigen still, sie sehen ihn kommen. Und dann auf einmal – er sieht es und begreift es zuerst nicht, weil es nicht in seinen Kopf passen will – dreht sich der erste Mann um und verschwindet in einem Haus. Zwei Frauen holen ihre Kinder von der Straße. Der Lärm aus dem Saloon vorn, vor dem gut zwanzig Pferde und einige Wagen stehen, verstummt schlagartig.

Vor seinen Augen leert sich die Straße, als wenn ein unheimlicher Spuk in ihr auftaucht.

Und der Spuk ist er, das erkennt er nun.

»Boß«, sagt Troy heiser und sehr tief. »Boß, was ist hier los? Siehst du das?«

»Ja«, sagt James Hadley Ornell beklommen. »Da stimmt etwas nicht. Sieh dir das an, der Store schließt, die Leute rennen weg. Was rufen sie, verstehst du es?«

»Er kommt – das rufen sie«, erwidert Troy Beham heiser. »Was ist denn los hier? Die Straße ist ja schon leer.«

Die Straße ist menschenleer, nur die Pferde stehen an Balken oder Wagen und lassen die Köpfe hängen.

Der Alte sieht sich um. Hinter den Fenstern des Saloon sieht er die Köpfe. Er erkennt die Augen, die ihn anstarren, und liest in den Gesichtern etwas.

Haß, denkt er plötzlich und erkennt es nun. Das ist Haß, sie hassen mich.

Sie sind schon fast am Office von John Ellison und nähern sich schnell dem Balken vor dem Vorbau, an dem kein Pferd steht.

Die Tür des Office ist geschlossen.

Drüben an Worlands Saloonvorbau eine stattliche Anzahl von Pferden, aber kein Mann auf dem Gehsteig, keiner in der Tür.

James Ornell blickt zum Store von Lyndon Wyman. Der Store ist geschlossen. Dann hält er und steigt ab.

»Paß auf, Troy«, sagt er heiser, und in seiner Stimme ist die Unruhe und Bestürzung. »Hier ist etwas passiert. Wenn jetzt Ellison nicht aufmacht, dann...«

Er geht auf die Tür zu und zieht.

Die Tür ist offen, das Office leer.

»Troy, komm herein, schnell.«

Troys Sattel knarrt, dann kommen seine Schritte über den Vorbau und halten hinter dem Alten an.

»Er ist nicht hier, Troy, verstehst du das alles?«

Der alte Mann blickt sich unruhig um und hat das Gefühl, daß etwas auf ihn zukommt und ihn erdrücken will. Er geht hastig auf die Tür zu, rennt die Treppe zur Wohnung von Ellison herauf und starrt auf das Bett, in dem jemand gelegen hat. Das Bett ist kalt, der Mann ist fort.

»John, du Narr, wo bist du?«

Keine Antwort, alles still.

»Ist er auch nicht oben, Boß?«

»Nein«, antwortet er heiser. »Er ist nicht hier oben. He, geh in den Stall, sieh nach, ob sein Pferd in der Box steht.«

Troy stürzt zur Hintertür und reißt sie auf. Er rennt in den Stall. Die Box ist leer.

»Der Gaul ist weg, Boß. Was hat das zu bedeuten?«

Er steht am Tisch, an dem sonst John Ellison seine Mahlzeiten einnimmt und auch seine Schreibarbeiten erledigt. Seine Handknöchel trommeln auf die Platte.

»Ich weiß nicht, ich weiß es nicht, Troy. He, sollte jemand die Schießerei gehört haben und ihn geholt haben? Troy, wenn es das ist, dann ist er zur Stunde vielleicht an der Herde und gibt Rooper Befehle. Troy, wir müssen hin und nachsehen. Hoffentlich kommen wir hin, um zehn Uhr...«

Er blickt auf die Pendeluhr an der Wand des Office und sieht die Zeiger auf zwanzig Minuten nach acht Uhr stehen. Auf einmal weiß er, daß er es nicht mehr schaffen wird. Er hat Befehl gegeben, um zehn Uhr mit der Herde loszujagen.

»Raus«, sagt er hastig. »Troy, du reitest vor und bläst alles ab. Ist der Sheriff dabei, dann wird es böse, dann merkt er die Absicht und schießt, dieser Narr. Und der Kerl ist der Freund meines Jungen und mein bester Mann gewesen. Ich habe ihn erst zu einem guten Mann gemacht und mir ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Die Pest soll ihn holen.«

Er stößt Troy an, der hinausgeht und keine zwei Schritte auf dem Vorbau macht, als er dann sofort jäh stehen bleibt.

Der alte Mann sieht Troy zucken, seine Hand zum Revolver greifen und erstarrt mitten in der Tür.

Sie stehen drüben in einer Reihe. Es sind nicht die Männer, die ihn nie gern gesehen haben. Es sind Männer dabei, deren Geld er fordern kann, Männer, die er für seine Freunde hält.

Dort steht Lucius Clay, der Bankvorsitzende, mit einem Gewehr unter der Achsel. Neben ihm steht Worland, die Schrotflinte in der Faust, den Kolben fest in die Hüfte gestemmt.

Und dann sagt Worland eiskalt und schneidend:

»Fang nur nicht an, du Aushilfssheriff, sonst schießen wir dich mit oder ohne Orden über den Haufen. Wir werden alle auf euch feuern, denn alle können Sie nicht einsperren, ohne eine Stadt zu entvölkern. Ornell, jetzt ist es genug. Wir nehmen keinen Sheriff von dir mehr an. Und schon gar nicht den da, diesen Revolverhelden. Was immer wir von dir gedacht haben, das bestimmt niemals. Du läßt Ellison niederschießen und kommst dann mit seinem Nachfolger frech und frei in diese Stadt, Mann? Fehlt dir der Verstand oder bist du so hochmütig, daß du glaubst, uns alles bieten zu können? Zuerst einen Mordversuch am Sheriff und dann diesen Strolch da? Jetzt ist es aus. Beham, ich will wetten, du hast ihn angeschossen. Laß deinen Waffengurt fallen, schnell. Du bist festgenommen.«

Der alte Mann steht still und macht die Augen zu. Es ist sein Glück, daß er an der Tür steht und Halt finden kann.

Was sagt Worland da, was redet er von Ellison, von Mordversuch?

»Bist du verrückt?« fragt da auch schon Beham. »Was sind das für Neuigkeiten, Worland? Die Mannschaft von der O’Willis-Ranch hat heute nacht unsere Weidehütte angesteckt und unsere beiden Herden angegriffen. Zwei Mann sind verletzt, die ganze Herde rennt durcheinander und tobt. Wir haben den Sheriff holen wollen. Was ist, ich soll auf Ellison gefeuert haben, ich? Mann, ich habe die ganze Nacht, bis zum Erhalt der Nachricht von dem Überfall geschlafen. Ich bin auf der Ranch gewesen, dafür gibt es ein halbes Dutzend Zeugen. Fragt doch den Boß.«

»Er wird genauso lügen wie du«, sagt Worland eisig. »Du reitest einen Schecken, oder? Und der Kerl, der auf den Sheriff gefeuert hat, ritt auch auf einem Schecken. Was sagst du jetzt, Lügner?«

»Es – es ist nicht wahr«, stammelt der alte Mann entsetzt. »Ich schwöre bei Gott, Troy ist zu Hause gewesen. Sie haben mich angegriffen, sie haben mich angegriffen, mich. Ich schwöre.«

Worland verzieht das Gesicht und spuckt aus. Er ist nun gar nicht mehr so prächtig, er ist wild und böse.

»Wann?« fragt er scharf.

»Nach Mitternacht«, gibt der Alte zurück. »Es muß nach Mitternacht gewesen sein.«

»So«, sagt Worland sarkastisch. »Und wer hat vor Mitternacht Heuschuppen, Pferdehütte und Tal der O’Willis-Ranch angesteckt, he? Wer hat die Jungtierherde der Lady über den Steilhang am Tecolote-Nebenarm gejagt, daß hundert Zuchtstiere sich den Hals oder die Hufe gebrochen haben? Wer hat das getan, Ornell, willst du uns das vielleicht sagen? Nun, antworte doch. Ein Mann, der einen Schecken geritten hat, hat John Ellison niedergeschossen. Und du bist der Mann gewesen, der in der Stadt laut und deutlich Ellison gedroht hat. Nun, warum schweigst du, warum redest du nicht?«

»Von meinen Männern hat keiner angegriffen«, sagt der alte Mann und hat das Gefühl, daß der Boden unter seinen Füßen zu rutschen beginnt. »Das ist nicht wahr, ich habe nie den Befehl gegeben, die O’Willis-Weide zu überfallen, ich schwöre es. Ich weiß, daß meine Männer gehorchen, jeder weiß es hier. Mein Gott, was ist das, was hat sich da jemand ausgedacht?«

Er schwankt und sieht auf einmal mit geschlossenen Augen das Gesicht vor sich.

Da ist das Gesicht. Der Raubvogel sieht ihn an und sagt höhnisch:

»Du hörst von mir. Du denkst noch daran.«

Der alte Mann fühlt die Schwäche immer größer werden und kämpft verzweifelt gegen sie an. Ein Ornell sinkt nicht um, ein Ornell steht und zeigt keine Schwäche.

Dieser schmutzige Erpresser, dieses Ungeheuer. Zuerst auf die Weide der O’Willis-Ranch, das Pferdecamp lichterloh angesteckt, dann die Zuchtstierherde dieser rothaarigen O’Willis überfallen. Und die Antwort ist gekommen, die Antwort hat seine Nordherde auf die Hauptherde gejagt. Wenn er nicht in die Stadt... Großer Gott, ihm wird schwarz vor Augen.

Er reißt die Lider hoch und sieht die Straße wie durch dichte Schleier.

James Hadley Ornell kämpft und besiegt seine Schwäche mit letzter Willenskraft.

Der Lump, dieser abgefeimte Schurke, er soll sich verrechnet haben. Plötzlich weiß er, wie der Raubvogel gearbeitet und gedacht hat.

Ornells Drohung hier in der Stadt, die gegen Ellison gerichtet gewesen ist. Der Schuß auf Ellison, der alles gegen ihn, James Hadley Ornell, aufbringen muß. Eine teuflische Rechnung dieses Erzhalunken, nur hat sie einen Fehler.

Zuerst die Mannschaft und die Herde der O’Willis-Ranch angreifen. Die schlägt sofort zurück, der Krieg ist da. Der Sheriff ist außer Gefecht und kann nicht eingreifen. Beide Mannschaften gehen aufeinander los und jagen sich gegenseitig so lange, bis keine mehr kämpfen kann. Stirbt der Sheriff, dann hat es so sein sollen.

Plötzlich weiß der alte Mann alles, er sieht alles vor sich.

James Hadley Ornell hat den Befehl gegeben, den Sheriff zu erschießen, weil er auf die O’Willis-Ranch losgehen will und dabei niemanden im Rücken haben möchte, schon gar nicht das Gesetz.

James Hadley Ornell bekommt die Nachricht, daß seine Herde im Stampede gejagt worden ist. Und was macht er, der alte, zornige Narr? Er bricht auf und schießt. Er bricht los und kämpft, ohne viel nachzudenken, weil er den Überfall vergelten will. Am Ende sind sie vielleicht alle matt, vielleicht auch sind Männer tot, so daß sich dieser Raubvogel mit seinem Gesindel Rinder stehlen kann, so viel er nur will. Das ist es, der Alte erkennt es jetzt. Zwei schlagen sich gegenseitig fast tot. Und der dritte Mann lacht sich dabei krank und – kassiert am Ende alles für sich.

»Dieser Lump«, sagt der alte Ornell wütend. »Ich werde ihn wie eine Schlange zertreten. Fertigmachen. Worland.«

Er geht los und sieht sie an.

»Ich habe das nicht veranlaßt«, sagt der heiser. »Ich habe einmal einen Fehler gemacht, für den ich jetzt bezahlen muß, aber ich bin bereit, es zu tun. Worland, ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, daß wir damit nichts zu tun haben. Ich werde den Mann bringen, der auf Ellison geschossen hat. Ich werde Frieden mit der O’Willis-Ranch machen und ihn halten. Und ich will denen unter euch, die mir Geld schulden, alles stunden – die doppelte Zeit. Ihr könnt schießen, aber dann wird es Mord sein. Ich sage noch einmal: wir haben damit nichts zu tun. Heute noch habt ihr die Burschen, die das verursacht haben, das verspreche ich. Komm, Troy.«

Er geht vor ihm her und sitzt auf. Dann deckt er ihn mit Pferd und Körper und reitet an.

Die Männer aber stehen dumm auf den Gehsteigen und blicken sich an.

»Verstehst du das?« fragt Worland den alten Lyndell Wyman. »Er ist beinahe zusammengebrochen. Hast du es gesehen?«

»Ja«, erwidert Wyman bitter. »Und ich kenne ihn genau. Er hat nicht gelogen. Da ist ein dritter Mann im Spiel, aber wer soll das sein?«

Es weiß nur einer.

Und dieser eine Mann reitet starr nach vorn blickend aus der Stadt.

»Boß, was hast du da geredet?« fragt Troy Beham keuchend. »Wen willst du bringen?«

»Einen Lumpen«, sagt der Alte. »Einen so großen Schuft, wie du ihn noch nicht gesehen hast. Paß auf, Troy. Du reitest jetzt der Herde in den Weg und sagst Edward, daß er sie drehen und zurücktreiben soll. Ich brauche danach jeden Mann, der nicht unbedingt an der Herde bleiben muß. Wir kämpfen nicht mehr gegen diese Lady, Troy. Wenn es vorbei ist, dann werde ich dich, Sherman und Haymes gehen lassen, weil ich Frieden haben will, wenn ich mich mit Dana O’Willis einigen kann.«

»Es ist mein Beruf zu bleiben, solange ich gebraucht werde«, erwidert der Revolvermann. »Bist du sicher, daß du dich mit diesem Mädel einigen kannst?«

»Ja«, sagt der alte Mann bitter. »Ich bin ganz sicher. Es wird mich sehr viel kosten, vielleicht mehr, als ich überhaupt verkraften kann. Reite jetzt, Troy, du hast meinen Befehl, führe ihn aus!«

»In Ordnung, Boß.«

Er reitet an, verschwindet über den nächsten Hügel und läßt nichts als eine Staubwolke zurück.

Troy Beham reitet und denkt nach. Also gehen, sobald es hier vorbei ist. Nun ja, das ist sein Beruf. Der eine braucht ihn einige Zeit, dann muß er wieder weiterziehen. Es ist keine schlechte Zeit auf dieser Ranch gewesen, aber er wird gehen, weil er noch ein oder zwei Jahre Geld verdienen muß, um einen Saloon zu kaufen. Beham hat bestimmte Vorstellungen von diesem Saloon. Spieltische, einige Girls und noch mehr Geld. In zwei Jahren hat er sein Kapital mit seinen Revolvern verdient.

Die Herde, denkt Beham, als er gut eine Stunde geritten ist und sein Pferd schon dampft. Ich muß ihr in den Weg reiten, um sie aufzuhalten. Das ist ja eine Geschichte, da jagt doch jemand die Herde von dieser rothaarigen Lady in den Bach und steckt ihr das Pferdecamp einfach an. Wer?

Was weiß der Alte eigentlich, das niemand von uns ahnt oder kennt?

Er grübelt darüber nach und sieht ganz weit rechts am Horizont eine Staubwolke. Die Herde, dort läuft sie, sie muß gerade aufbrechen oder sie kreist noch.

Im Verlauf der nächsten halben Stunde kommt die Wolke näher. Jetzt weiß er, der ihre Richtung erkennt, daß sie vorhin noch gestanden hat und jetzt läuft.

Die Herde läuft, aber er wird ihr den Weg abschneiden können, kein Problem mehr.

Dann nähert er sich den Hügeln und dem Hohlweg, der einmal durch das Hochwasser des Tecolote-Nebenarmes ausgespült worden ist.

Sein Pferd jagt an der steilen Kieshalde links vorbei. Er kommt um die Büsche und sieht das Lasso auf den Weg hochschnellen.

Verzweifelt zerrt er an den Zügeln, will sein Pferd noch herumreißen.

Das Lasso strafft sich an der Brust seines Pferdes, das rutschend vor das starke Seil schießt.

Im nächsten Augenblick sitzt der Gaul auch schon.

Teufel, denkt Troy Beham noch entsetzt. Wer stellt mir auf unserem Land eine Falle?

Dann fliegt er. Er sieht den Busch, Steine und dann nichts mehr.

Troy Beham prallt auf, und der Mann über ihm sagt hämisch, als Beham langsam vom Busch abgleitet und auf dem Rücken liegenbleibt:

»Siehst du, der weiß es bestimmt. Was für ein Glück, Enrico, daß du ihn gesehen hast. Wenn es wahr ist, daß er mit dem Alten weggeritten ist...«

»Ich sage doch, der Alte ist nicht an seiner Herde, sie läuft ohne ihn nach Süden, Geronimo«, erwidert sein Bruder Enrico heiser. »Die Spuren müssen auf dem Weg zur Stadt zu finden sein, aber ich habe ja keine Zeit gehabt, nachzureiten. Du hast gesagt, ich soll den Aufbruch beobachten, das habe ich getan. Den Alten und den hier habe ich nicht an der Herde gesehen. Mach ihn munter!«

»Darauf kannst du dich verlassen.«

Er bückt sich und zieht Troy Beham aus seiner Betäubung auf. Er schüttelt wild den Kopf und sieht die Stiefel vor sich.

»Steh auf«, sagt Geronimo Hatherwell spottend. »Wer sagt denn, daß du schlafen kannst, mein Freund? Steh mal auf, Troy, ganz auf die Beine, na mach schon, du Narr!«

Troy sieht nach unten. Sie haben ihm den Revolver genommen, er merkt es sofort. Vor ihm steht Geronimo Hatherwell und grinst so breit mit seinem Raubtiergebiß, daß Troy in einer Sekunde klar wird, wen der alte Ornell gemeint hat.

»Sieh mal an, der Herumtreiber und Nichtstuer Hatherwell selbst«, sagt Troy langsam. »Geronimo, ist das kein Irrtum? Du hast doch meinen Revolver, was?«

Das Raubvogelgesicht hat den eigenen Revolver auf den Bauch von Troy gerichtet. »Du merkst aber auch alles, mein Freund. Wo ist der Alte? Wohin seid ihr geritten?«

Troy Beham denkt blitzschnell nach und sagt dann achselzuckend:

»Er ist zu Norton geritten. Er will alle Rancher auf seiner Seite haben. Ich wollte nach Sparkes sehen, aber der ist nicht zu Hause gewesen.«

»Nicht?« fragt Geronimo träge. »Das ist aber schade, mein lieber Freund Troy. Weißt du, meine Großmutter war Indianerin. Ich merke immer, wenn jemand lügt. Raus damit. Ihr seid in der Stadt gewesen, oder?«

»Ich sage dir doch...«

Er hört es hinter sich knacken und sinkt in die Knie.

»Du wirst singen wie ein Vogel«, sagt Geronimo, und er lächelt dabei noch. »Du wirst ganz laut singen, schön laut. Bist du mit dem Alten in der Stadt gewesen?«

Beham schweigt.

»Jetzt frage ich dich zum letzten Male«, sagt Geronimo wild und spannt den Revolverhammer. »Ich schieße dich über den Haufen, du Narr. Was hast du davon, wenn du für den alten Mörder stirbst? Rede jetzt, sonst verliere ich die Geduld!«

»Er – er will zur Ranch«, sagt Beham matt und kauert am Boden. »Er will, daß ich die Herde aufhalte, und dann will er dich jagen.«

»Ah«, sagt Geronimo scharf wie eine Natter, die gereizt zischt. »Die Herde aufhalten und mich jagen. Sieh mal einer an! Geht hinter ihm weg, sage ich. Weg da, Randy, Enrico! Ah, geht weg!«

Sie folgen der Aufforderung, und er geht rückwärts.

Dann holt er aus, der Revolver fliegt los und landet vor Troy Beham auf dem Boden.

»Dann geh nur zur Herde«, sagt Geronimo träge. »Aber erst mußt du mich hier wegbringen, verstehst du? Na, dann geh doch! Du bist doch so schnell, was?«

Beham kauert am Boden und starrt auf seine Hand. Ich bin jetzt nicht fähig, schnell zu sein, denkt Troy Beham, aber dies ist meine letzte Chance.

Er schöpft tief Atem.

Und dann schnellt seine Hand vor.

Im gleichen Augenblick zieht Geronimo auch schon seinen Revolver und ist so schnell, daß Troy erkennt: dieser Mischling ist schneller als ich.

*

Jerry Lewis überholt weit links die Herde, jagt durch den rechten Zufluß des Tecolote und reißt dann jäh sein Pferd auf den Hacken zurück. Er ist kurz vor dem Hang, als er den Schuß hört und in diesem Schuß hinein der zweite blafft.

Jerry hält an. Er zaudert, denn die Herde läuft und wird ihn in einer knappen Viertelstunde westlich überholen. Dann reitet er vorsichtig an den Hang heran und sieht sich um. Die Schüsse sind weit links von ihm gefallen. Es muß an dem Hügel dort gewesen sein, dessen Einschnitt kaum in der flimmernden Hitze über dem Gras zu erkennen ist.

Und dann sieht er sie. Da reiten zwei, drei, vier Mann.

Der eine zieht ein Pferd nach, schlägt darauf ein und jagt es davon.

»Was – was denn?« sagt Jerry Lewis verstört. »Das ist ja der Schecke, tatsächlich. Allmächtiger, nicht zu fassen. Und da, der letzte dieser Burschen reitet ja auch einen. Gleich zwei, was? Nein, das ist doch nicht Beham, mein lieber Freund Beham, der da auf dem Pferd sitzt und jetzt losjagt, als wenn ihm der Teufel im Nacken sitzt? Wohin reiten die denn? Das sieht ja fast so aus, als wenn sie zur Ornell-Ranch wollen, wie? Da, sie sind weg, im Tal verschwunden! Aber der Schecke dort steht still und trottet auf den Einschnitt zu. Was hat das zu bedeuten?«

Er sieht sie nicht mehr. Sie sind im Tal und reiten nach Nordosten davon. Jerry zaudert immer noch, dann aber jagt er sein Pferd an und prescht los. Es dauert keine zehn Minuten, dann hat er den Einschnitt erreicht und kommt auf den Schecken zu, der am Beginn des Einschnittes steht und laut prustet.

»Na, du?« fragt Jerry heiser. »Tatsächlich, der Gaul von meinem lieben Freund Beham. He, Beham... Troy?«

Und da sieht er ihn in der Drehung, die der Schecke ausführt.

Troy Beham liegt am Boden hinter einem Busch. Er liegt auf dem Gesicht, und der Revolver liegt vor seiner Hand.

»Beham«, sagt Jerry entsetzt. »He, Beham, Mensch was ist denn?«

Er ist mit einem Satz aus dem Sattel und rennt los. Dabei sieht er sich nicht um, er starrt verstört auf Beham, der bleich und leblos am Boden liegt und sich nicht rührt. Auf Behams dunkler Jacke glänzt Blut.

»Mein Gott«, sagte Jerry und reißt sein Halstuch herab. »Beham.«

Dessen Puls schlägt noch schwach, aber der Mann ist so tief bewußtlos, daß er nicht einmal zuckt, als Jerry ihm die Jacke aufknöpft und kreidebleich bei dem Anblick wird.

»Wer hat denn das gemacht?«

Und da prustet hinter ihm ein Pferd laut und durchdringend.

Jerry Lewis zuckt zusammen, hebt den Kopf, und er sieht mitten in Jake Shermans Revolver.

Links von Sherman aber hält Joker Haymes das Gewehr in der Hand. Über ihm, hoch oben am Hang, hält Trevor Husley. Und sein Gewehr deutet auch auf Jerrys Brust.

»Du also«, sagt Sherman fauchend. »Du hast ihn erschossen, was? Da finden wir seine Spuren, wollen im Bogen vor ihn kommen und reiten nach links herum, als es kracht. Versuch nichts, Lewis, diesmal schießen wir gleich und fragen dann erst! Ihr seid euch hier begegnet, oder? Und du hast ihn einfach umgelegt.«

»Ich?« entgegnet Jerry entsetzt. »Das ist doch Wahnsinn. Mann, ich habe die Schüsse auch gehört, ich habe sie gehört und bin hergeritten. Du mußt mir glauben.«

»Ach nein«, sagt Haymes voller nacktem Hohn und kommt langsam herangeritten. »Du hast sie auch gehört, was? Du hast Pech, Mister, diesmal hast du nichts als Pech. Vor einer halben Stunde habe ich deine Spuren hinter dem Bach entdeckt und die anderen dann geholt. Du schmutziger Mörder, es ist nichts als ein Zufall, daß ich dich entdeckt habe, denn mein Pferd hat sich einen Dorn eingetreten. Ich bin zur Ranch geritten, um mir ein anderes zu holen. Und auf dem Rückweg stoße ich auf deine Spuren. Wir wollten dir den Weg abschneiden, sieh dir unsere Pferde an.«

Die sind über und über mit Schweiß bedeckt. Aber sie müssen ihn doch gesehen haben, als er hergeritten ist.

»Nein«, sagt Lewis. »Es stimmt nicht, Haymes, ich bin es nicht gewesen. Ihr müßt mich gesehen haben! Ich habe dort im Bachlauf gesteckt und die Herde von der Seite beobachtet, um genau die Richtung zu erkennen. Haymes, ihr müßt mich gesehen haben.«

»Wir sind von dort gekommen«, erwidert Haymes eisig. »Und du denkst, du kannst uns nun erzählen, daß der Hügel dich gegen unsere Sicht verdeckt hat, was? Du redest dich diesmal nicht heraus, diesmal nicht, Mörder.«

»Aber«, sagt Jerry Lewis entsetzt, denn er sieht es an den Augen von Haymes, daß der ihm kein Wort glaubt und bereit ist zu schießen. »Er ist nicht tot. Es sind vier gewesen, vier Männer, die ihn hier erwischt haben. Habt ihr die denn auch nicht gesehen?«

Plötzlich weiß er, daß sie nichts gesehen haben können, denn das Tal ist gleich linker Hand, die vorspringende Ecke des Hügels verdeckt es.

»Seht doch nach«, sagt Jerry, und nun hat er wirklich Angst um sein Leben. »Haymes, ich habe es nicht getan. Die Spuren müssen da sein, seht nach, seht doch!«

Es ist was hinter ihm. Und alles was er noch sieht, ist Buster Webbs Gewehrlauf. Webb ist von hinten an ihn herangeschlichen.

Der Gewehrlauf.

Er wacht auf und will die Hände bewegen, aber er kann nicht.

Mühsam öffnet er die Augen, sieht sich um. Da stehen sie, halten sein Pferd fest.

Was hat er da am Hals?

Jerry Lewis wird leichenblaß und sieht sie entsetzt an.

»Nein«, sagt er keuchend. »Das könnt ihr nicht machen. Die Spuren, es sind doch Spuren da von vier Männern. Seht nach, ehe ihr es macht, seht doch nach, Leute! Ich habe es nicht getan, ich schwöre es euch.«

»Wir«, sagt Husley hart, »haben nur Troy reiten sehen, aber es ist zu weit gewesen, um ihn noch abzufangen. Wir haben dich haben wollen und uns nicht um Troy kümmern können, sonst würde er nicht in deine Falle geritten sein. Außer ihm, mein Freund, haben wir niemanden gesehen. Und vier Männer sollte man sehen, selbst zwischen den Hügeln hier, wie? Du hast doch selbst gesagt, du würdest auf ihn schießen, sobald du ihn siehst. Sitzt du gut?«

»Mein Gott«, sagt Jerry und spürt den Strick an seinem Hals. »Seht doch nach, ihr Narren, seht doch nach! Vier Männer sind es gewesen – in Richtung auf die Ranch. Mein Revolver... Alle Patronen.«

»Die kannst du ausgetauscht haben, was? Zeit genug dazu hast du gehabt. Du lügst, Lewis, du lügst wieder. Du bist der erste von eurem Verein, mit dem wir anfangen. Los, Sherman!«

Jerry sieht hoch, blickt auf den Ast. Dieser Hügel hat nur in der Senke nach Osten hin einige Bäume. Sie haben den Strick am Ast festgemacht und ihn auf sein Pferd gesetzt. Neben dem Pferd steht Sherman und hebt die Hand.

»Nein«, sagt Jerry keuchend. »Sherman, das ist Mord. Ich schwöre euch, ich habe es nicht getan, ihr müßt mir das...«

Und da schlägt Sherman dem Pferd auf die Kruppe.

Jerry Lewis klemmt die Beine an, aber das Pferd springt. Der Strick, denkt Lewis, jetzt!

Er hört den Krach und bekommt einen Augenblick keine Luft mehr. Dann stürzt er schwer zu Boden und bleibt mit keuchendem Atem liegen.

Und dann sagt der Mann tief und hart, seine Stimme klingt wie das Grollen eines Gewitters:

»Keine Bewegung, ich schieße! Husley, bist du wahnsinnig, Mensch? Bist du irr, du Narr?«

Einen Augenblick danach ist es totenstill. Dann ist es Webb, dessen Stimme überkippt und der schrill sagt:

»Nicht, Sherman, er schießt dich über den Haufen, er schießt. Halt, Mann, halt, er schießt. Das ist Joel Ornell, Sherman. Nicht nach dem Revolver greifen, er schießt!«

»Ja«, sagt die tiefe, jetzt ruhige Stimme von Joel Ornell grimmig, »ich schieße wirklich. Jerry, alles okay?«

»Oh, ah«, ächzt Jerry und schüttelt den Kopf, um das Seil zu lockern. »Allmächtiger, Joel, ich habe es nicht getan.«

»Das weiß ich, du bist erst nach den Schüssen hergeritten«, erwidert Joel Ornell kurz, und sein Pferd trottet jetzt den Hang herab und auf die Männer zu. »Hast du die vier Männer erkannt, du hast sie doch gesehen, wie?«

»Nein«, sagt Jerry Lewis gepreßt. »Sie sind in Richtung auf die Ranch verschwunden und haben den da unten liegengelassen. Mach mich los, Alter, schnell!«

Er sieht ihn kommen und dabei die verstärkten Blicke der anderen.

Ja, denkt der kleine Jerry zufrieden, da staunt ihr, was? Ich bin viele Meilen mit ihm geritten, ich habe mit ihm Pferde eingebrochen, unten in Texas, vor dreieinhalb Jahren. Und eines Tages hat er mir von sich erzählt, von seinem Alten, der den Schuldschein von Larry O’Willis einmal aufgekauft hat, um Larry die Hochweide wegzunehmen. Von diesem rothaarigen Mädel, das dann den verunglückten Onkel beerbt hat. Und auch davon, daß er dieses Mädchen einmal vor Jahren in El Paso getroffen hat. Irgendeine Fiesta, ziemlich viel Wein und auch ein Mädchen.

Am Morgen ist dann das Mädchen verschwunden gewesen. Der Mann hat es gesucht und nicht finden können, weil er nur ihren Vornamen gewußt hat. Er ist wieder nach Hause gegangen, hat sie beinahe vergessen, und dann schickt ihn sein Vater auf die Ranch des Nachbarn, auf der die Erbin gerade eingezogen ist.

Jerry liegt still und sieht Joel kommen. Ach, Joel ist ein prächtiger Bursche. Sie haben manchen Streich zusammen ausgefressen und manche Flasche ausgetrunken.

Er ist groß, dieser Joel Ornell, so ein Mann, der nur zu lächeln braucht, um ein Mädchen schwach zu machen.

Da kommt er. Und den anderen fallen fast die Augen aus dem Kopf.

So ist das, denkt Jerry zufrieden, wir kennen uns schon mächtig lange. Wir haben gemeinsam ein paar Pferdediebe bis nach Mexiko verfolgt und unsere Pferde zurückgeholt, wir beide, Joel und ich. Seht mal an, ihr Affen, das wißt ihr noch alles nicht. Ihr wißt auch nicht, daß Joel hier sein Mädchen aus El Paso wiedergefunden hat, als Nachbarin. Und dieses Mädchen hat gesagt, als Joel auf die Ranch gekommen ist:

»Dein Vater hat meinen Onkel ruiniert, Joel Ornell. Er hat ihn gezwungen, seine Rinder zu verkaufen. Er will jetzt diese Ranch kaufen, weil er glaubt, daß ein Mädchen keine Ranch leiten kann und aufgeben wird. Hör gut zu, Joel Ornell, ich werde kämpfen. Um diese Ranch werde ich kämpfen, denn der Verlust seiner Rinder hat meinen Onkel an den Rand des Ruins und vielleicht in sein Grab gebracht. Du bist ein Ornell, ich kenne dich nicht mehr, ich will dich nie mehr sehen. Komm nie wieder her! Du taugst so wenig wie dieser hinterlistige Schurke da drüben. Ich werde kämpfen.«

Joel Ornell ist nach Hause geritten. Und dort hat es dann Krach zwischen ihm und dem alten James gegeben.

Nach einem halben Jahr aber haben sich Joel Ornell und Jerry Lewis unten in Texas getroffen. Sie haben beide Pferde gefangen, verkauft und ein Geschäft aufgemacht. Eines Tages aber hat Joel dann gesagt, daß Jerry nach Norden gehen soll. Das Girl kann sicher einen guten Mann brauchen, wie?

Buuuh, denkt Jerry, also bin ich gegangen, was? Ich habe ihm immer geschrieben, was hier so passiert ist. Und er hat mit Pferden und Rindern gehandelt. Ich bin immer noch sein Partner, was? Joel ist er anständigste Bursche auf der ganzen Welt, sage ich. Gerade richtig gekommen, um den Strick abzuschießen. Well, ich habe ihm neulich geschrieben, daß er nun brandeilig kommen muß, weil es hier nach Pulver stinkt.

Und da ist er.

»Hör«, sagt er. »Großer, machst du mich los? Und dann halte die Herde da hinten an, sie wollen der Lady an den Hals fahren, diese Schurken. Der Alte hat den Verstand verloren.«

»Ich komme gerade aus der Stadt«, erwidert Joel kurz. »He, mach ihn los, Webb, aber schnell. Und du, Husley, bist du noch nicht auf deinem Gaul? Weg mit dir zur Herde. Sag Edward Bescheid, daß er sie dreht. Das ist ein Befehl, verstanden?«

Er bleibt auf dem Pferd und sieht Sherman und Haymes an. Er hat etwas im Blick, das sie beide warnt.

»Kümmert euch um euren Partner. Das ist wohl Troy Beham, wie? Die vier Männer haben ihn hier liegengelassen, Jerry hat damit nichts zu tun. Jerry, komm doch, da vorn sind vier Burschen. Und mein Vater ist auf dem Weg zur Ranch. Seine Fährte und die von Beham gabeln sich. Weißt du, was das heißen kann?«

»Nein«, sagt Jerry ächzend und steht auf. »Großer, das weiß ich nicht. Müssen wir da hin?«

»Du sagst es. Bist du noch nicht weg, Husley?«

»Aber Old Jim hat gesagt...«

»Mensch«, unterbricht Joel fauchend, »noch ein Wort, dann erlebst du die Hölle! Weg mit dir, jetzt gebe ich die Befehle, verstanden? Komm, Jerry, es sind vier, ich möchte wissen, was sie mit der Ranch wollen.«

Er streicht sich sein dunkles Haar zurück und lächelt einmal knapp. Jerry aber läuft, schwingt sich auf sein Pferd und jagt an.

Jetzt, denkt Jerry Lewis, gibt es keinen Krieg mehr.

Aber warum haben die vier Burschen vor uns Troy Beham nur niedergeschossen? Warum?

Was wollen sie auf der Ranch? Dort ist doch niemand mehr. Nun ja, der alte James Hadley.

»Joel, ich erzähle dir unterwegs alles«, sagt er heiser. »Das war knapp, mein lieber Mann. Scheußliches Gefühl am Hals, kann ich dir sagen. Du, was wollen die Burschen auf der Ranch, weißt du das?«

»Nein«, sagt Joel Ornell knapp. »Das weiß ich nicht, Jerry, aber ich denke, ich werde es erfahren. Wir beide werden es erfahren. Und nun fang an zu erzählen, ich weiß nur das, was man mir in der Stadt gesagt hat. Dorthin bin ich ungefähr eine Viertelstunde nach dem Fortreiten meines Vaters gekommen. Was ist passiert, du Kansas-Bursche?«

Und Jerry beginnt zu erzählen.

Vor ihnen aber sind vier Männer.

Sie reiten genau zur Ranch.

*

Das Haus ist so ruhig, denkt der alte Mann und sitzt in seinem großen, hochlehnigen Stuhl wie zerschlagen.

Er kann nur warten, er wartet schon seit Jahren in dieser Stille hier, die ihn krank gemacht hat. Die Mannschaft wird kommen, sobald die Herde zurückläuft.

Das letzte, denkt James Hadley Ornell, es wird das letzte sein, was ich tue. Ich habe nie gewußt, wie alt ich bin, wie müde und krank. Und wenn ich es gewußt habe, ich habe es nicht wahrhaben wollen. Ein Mann lebt sein Leben weiter, das einmal hart und rauh gewesen ist. Er glaubt, er bleibt groß, er ist immer noch rauh und hart. Und eines Tages merkt er dann, daß er nichts mehr ist. Er ist in seinen eigenen Augen weder groß noch bedeutend. Er ist nichts als ein Mann, der Ruhe haben möchte, seine Arbeit einem Jüngeren überlassen will und es doch nicht kann. Ich bin ein Narr gewesen.

Und jetzt sitze ich wieder hier. Ich warte, wie ich immer gewartet habe. Warten, das ist alles, was ein alter Mann noch kann. Einmal werde ich noch reiten, einmal. Ich will diesen Burschen haben. Ich will ihn lebend haben, weil ich mich dem Gesetz beugen will, ich, James Hadley Ornell, den sie alle den großen Ornell genannt haben. Einmal haben – das ist es. Er fühlt sich so elend, daß er wieder an seine Tropfen denkt. Noch einmal Kraft, die Tropfen müssen ihm helfen. Noch einmal Kraft und ein Ende machen.

James Hadley Ornell steht auf. Der Stuhl knarrt leicht. Dann geht er schlurfend los. Ihn sieht ja niemand, es ist keiner da, vor dem er sich zusammennehmen müßte.

Die Halle unten ist sehr, sehr groß. An den Wänden die Erinnerungen an seine große Zeit: Indianerwaffen, Gewehre, Büffelhörner, viele andere Dinge.

Seine Schritte bringen die Dielen zum Knarren. Er geht hinaus, fort von seinen Erinnerungen, in den Flur.

Und dann lacht der Mann.

James Hadley Ornell bleibt stehen und sieht sich nach rechts um.

Da steht er. Er steht an der Wand neben der Tür, die er aufgelassen hat, der alte Mann.

Er steht da und lacht höhnisch, voller Spott und sehr überlegen.

Und in der Hand hat er den Revolver.

»Du Narr«, sagt Geronimo Hatherwell kichernd. »Deine Herde läuft weiter, damit du es weißt. Sie wird um diese Stunde über den Fluß gehen, genauso, wie du es befohlen hast. Ich habe deinen Freund Troy Beham getroffen!«

Aus, denkt der alte Mann. Er ist immer wieder da, er ist wie ein Blutegel, den man abstreift, weil er am Arm gesaugt hat. Man denkt, man ist ihn los, aber er kommt wieder und saugt am Bein, an der Brust, am Rücken. Er ist immer wieder da. So, er hat Troy Beham getroffen?

»Das wird ein feiner Krieg«, sagt Geronimo glucksend und lacht dann, als seine beiden Brüder mit dem Vetter hereinkommen. Sie tun so, als wenn sie hier zu Hause wären. »Deine Mannschaft wird am Ende sicher siegen, aber sie wird klein sein, sehr klein. Und sicher nicht mehr heil genug, um uns zu verfolgen. Man wird uns nie erwischen, denn wir sind schnell verschwunden, James, sehr schnell und gründlich. Es wird heißen, daß du John Ellison auf dem Gewissen hast und Beham ihn erschossen hat. Es wird heißen, daß du den Krieg gewollt hast. Und wenn es auch nicht so kommt, hier gibt es nur einen Gewinner. Uns! Geht hin und haltet ihn fest!«

Er spürt den Zorn, aber er bleibt stehen, denn sie kommen schon.

»Gesindel«, sagt er nur verächtlich. »Gesindel! Was wollt ihr von mir?«

Sie halten ihn. Er hat seinen Revolvergurt am Stuhl in der Halle hängen. Und er ist so matt, daß er sich nicht wehren kann, selbst wenn er wollte.

Geronimo kommt auf ihn zu und hält den Revolver in der Hand. Dann greift er in seine Tasche, zieht die Schlüssel heraus und klimpert mit ihnen vor der Nase James Hadleys.

»Dies«, sagt er eiskalt. »Nur das Geld, das du immer auf deiner Ranch hast. Es ist eine ganze Menge, denn du mußt einfach Geld hier haben, um dein Gefühl nicht zu verlieren, daß du ein reicher Mann bist, James Hadley. Nun, bringt ihn mit, ich kenne mich hier aus!«

»Du – du...«

Er fühlt die Schwäche kommen und wankt zwischen ihnen. Jetzt ist er so schwach, daß er nicht einmal stoßen kann.

Er geht den Flur entlang in sein Arbeitszimmer. Da steht der Geldschrank. Ein teures Stück und nicht gerade leicht zu öffnen, auch mit dem Schlüssel nicht.

»Mach auf, James Hadley!«

Er lächelt und sieht ihn an, diesen Blutsauger.

Der alte Mann lächelt – und denkt an seinen Joel.

Joels Geld, alles gehört Joel. Für ihn hat er gearbeitet, für ihn sogar damals Larry aufgelauert. Und für ihn hat er all die Jahre gezahlt, damit der Erpresser still gewesen ist. Er weiß, daß er niemals hätte zahlen sollen, aber er hat geglaubt, mit Geld Schweigen erkaufen zu können. Schweigen, obwohl er doch nichts getan hat, nichts. Es ist ein Unfall gewesen, Larrys Pferd hat gebockt, ist gesprungen und...

Auf einmal weiß er, daß Larry ihn nie mehr besuchen wird, nie mehr im Traum.

»Nein«, sagt er ganz ruhig und bestimmt. Und nun ist er doch wieder der »Große« Ornell. »Nein, du Erpresser. Der Schrank bleibt zu.«

»Du machst ihn auf. Ich werde dich zwingen, hast du gehört?«

Er lächelt. Joels Geld? Niemals!

Der Junge muß alles haben, wofür er geschuftet hat, wofür er die Ellbogen gebraucht und andere an die Wand gedrängt hat.

»Du bekommst es nicht, du kannst mich umbringen, du kleiner, dummer Narr. Ich kann nur einmal sterben. Soll es jetzt sein, dann gut. Du bekommst nichts.«

»Wir werden sehen, alter Narr!«

Er schließt auf, sehr gut, er hat die Sperrungen auf, aber das Handrad, die Zahlen... Na, mein Freund?

»Mach auf, sage ich!«

»Niemals, kleiner Strolch, niemals!«

»Du – du...«

Er fällt hin und lächelt.

»Du schließt auf! Sag die Zahlen! Wie sind die Zahlen, du alter Strolch?«

Er lächelt und sieht auf den Schrank.

»Du solltest es sagen.«

»Armer, kleiner Narr, du hast mich nie gekannt.«

»Du sagst es, ich schwöre dir, ich bekomme es heraus. Los, wie sind die Zahlen, nenne sie.«

»Such doch, suchen mußt du!«

»Probier es doch«, sagt Enrico stöhnend. »Da ist es drin, es muß viel sein, sonst würde er sich nicht weigern. Laß ihn doch, der sagt es nicht, ich weiß es. Versuche es, es muß gehen, Geronimo!«

»Der sagt es, der sagt es uns, dieser alte Halsabschneider. Sagst du es bald?«

Der alte Mann lächelt nur.

Und das Lächeln macht Geronimo fast irrsinnig.

Er rüttelt ihn, aber das Lächeln bleibt.

»Das ist für meinen Jungen, das ist für meinen Jungen!«

»Ich bringe es heraus.«

Er hastet zum Schrank und dreht.

Die Zahlen, fünf Zahlen, du kennst sie nicht, du kannst ein Jahr suchen und findest es nicht, denkt der alte Mann. Es gehört Joel, es gehört meinem Jungen. Für den habe ich gelebt, für den ist alles. Du Spitzbube, such doch!

Er gibt es auf und kommt zurück.

Er lächelt nur, der alte Mann.

»Ich sprenge ihn in die Luft, ich sprenge ihn in die Luft. Raus, Enrico, geht mit Al, holt die Sprengpatronen. Na, was ist dir? Gefällt dir nicht, was? Holt sie, schnell!«

Er zieht ihn hoch und schüttelt ihn. Das Lächeln bleibt.

»Hör doch auf«, sagt Randy keuchend. »Sie können nicht vor anderthalb Stunden hier sein, wenn sie überhaupt zurückkommen. Wir haben Zeit.«

»Ich will es wissen, ich will es wissen. Er soll es sagen.«

Sie kommen schon zurück, bringen die Patronen.

Im Flur ist ein Bild. Das Bild hat eine Glasscheibe, Geronimo sieht in dieser Scheibe den Mann, der ruhig den Gang entlangkommt, doch er erkennt ihn nicht. Aber es ist nicht Al, es ist auch nicht Enrico. Es sind zwei, die dort kommen, doch nicht seine Brüder.

Geronimo zuckt zusammen und greift an die Hüfte. Der Revolver. Der Mann, der dort kommt.

Und da hat er den Revolver heraus und zieht ihn hoch.

Randy blickt verstört auf den Revolver, den Geronimo blitzschnell zieht und auf die Tür richtet. »Er wird es sagen«, sagt Geronimo heiser, nur um zu reden. »Er wird alles sagen.«

In diesem Augenblick kommt der Mann um die Ecke und sieht gerade noch den Revolver.

Vielleicht muß man Pferdezureiter sein, um so schnell zu reagieren.

Der kleine Mann sieht den Revolver und duckt weg. Er springt und schießt aus dem Sprung.

In seinen Sprung hinein kommt der Krach aus dem Zimmer. Der Krach erschüttert das ganze Haus.

Jerry Lewis spürt den Schlag an seiner Seite und fällt zu Boden. Er macht aber noch sein Mund auf und sagt keuchend:

»Vorsicht, Joel!«

Doch Joel springt schon, steht mitten in der Tür und schießt.

Er sieht Geronimo etwas wanken, gegen den Tisch taumeln, sich drehen und dann an den Geldschrank fallen. Geronimo lehnt mit dem Rücken am Geldschrank und rutscht langsam herab.

Das Rad dreht sich, als er seitlich vorbeigleitet. Unter Geronimos Weste schiebt sich der eine Griffknebel.

Geronimo rutscht immer weiter, seine Weste gleitet vom Griff.

Klick! macht die Tür. Klick!

Die Tür geht auf. Und Geronimo liegt am Boden.

In der Ecke aber schreit Randy ängstlich:

»Nicht schießen! Ich ergebe mich. Ich tue nichts, Joel, ich mache gar nichts.«

Dann senkt sich sein Blick. Er kann die aufgehende Tür sehen, die durch Schwung von Geronimos Weste mitgezogen worden ist.

Der Geldschrank ist ja offen!

Geronimo aber liegt am Boden und hat Schleier vor den Augen, lauter wogende Nebelschleier.

»Die Zahlen«, sagt Geronimo matt und sieht die Schleier zerreißen, den Geldschrank offen und in ihm – klar und deutlich – das Geld. Kleine Häufchen von Scheinen, lauter Scheine, viel Geld. »Er ist ja auf!«

Und dann sagt er nichts mehr, denn der offene Geldschrank wird vor seinen Augen immer kleiner. Es sieht aus, als wenn ihn jemand wegzieht.

»Nein«, sagt Geronimo, denn nun ist er doch auf, und er kann das Geld endlich haben. »Nein, nicht, nein!«

Der Geldschrank verschwindet ganz hinten in einem dunklen Punkt. Dieser Punkt kommt auf Geronimo zu. Er wird immer größer und größer. Dann taucht Geronimo in den Punkt ein.

Und der Punkt saugt ihn auf.

Am Boden aber sagt der alte Mann und weiß, daß es nun nie mehr still sein wird in diesem Haus, er sagt es und lächelt immer noch:

»Die Herde läuft, sie läuft. Zurückbringen, umdrehen, Joel.«

»Sie läuft schon zurück. Willst du nicht mehr kämpfen?«

»Nein«, sagt er und lächelt. »Nie mehr, mein Junge. Ich hätte es nicht gesagt, niemals. Das ist dein Geld, ich hätte es nicht gesagt. Ist das schön, ist das schön. Du darfst nicht weggehen, hörst du?«

»Nein, ich gehe schon nicht. Steh doch auf, Vater!«

Er lächelt.

»Vater, was hast du? Steh doch auf.«

»Ich kann nicht.«

Er kann nicht aufstehen. Sein linkes Bein und sein rechter Arm gehorchen nicht mehr. Aber er lächelt, der alte Mann.

Und er weiß, daß er hinfahren wird, um es zu sagen. Es ist ein Unfall gewesen, ein Unfall. In seiner Wut ist er auf Larry losgeritten, weil der ihm gesagt hat, daß er mit dem Rest jenes Geldes, das er von James Hadley für die Rinder bekommen hat...

Er ist doch schlauer gewesen, der alte Larry. Er hat mit dem Restgeld etwas gekauft. Jene Weide, die an seine Hochweide grenzt und die James Hadley Ornell für alle Rinder das Winterheu geliefert hat. Freie Weide. Und er hat sie gekauft, mit James Hadleys Geld.

Als er das dem alten James mitten ins Gesicht gesagt hat, um dabei auch noch zu lächeln, da hat James Hadley rot gesehen und ist auf ihn zugejagt. Und dann...

Nun ja, ein strauchelndes Pferd, ein Hang und ein Pferd, das über seinen Reiter fällt.

James Hadley wird alles sagen. Daß er das Papier genommen hat, die Kaufurkunde über den Streifen Land.

Nein, das ist nicht anständig gewesen, werden sie sagen. Aber glauben werden sie ihm, denn die drei anderen aus der Sippe von Geronimo, die werden sagen, daß Geronimo ihnen erzählt hat, es sei wirklich ein Unfall gewesen, aber der alte Trottel zahle so gern, da soll er nur lustig und munter von seinem vielen Geld noch mehr geben, immer mehr.

Sie werden noch mehr erzählen. Von Geronimo, einem Gewehr und Sheriff John Ellison.

Vielleicht reden sie im Jail immer noch über ihre Fehler und Geronimos Fehler.

Vielleicht aber läßt man sie an dem Tag laufen, an dem Jerry Lewis mit Liz in der Postkutsche wegfährt.

Jerry kann noch immer nicht ganz richtig gehen, er humpelt leicht und sieht die Frau an. Nun ja, er hat ja gesagt, daß er nie angekrochen kommen würde, wie?

Jedenfalls wollen sie nach Texas fahren und dort bleiben. Mit Pferden und Rindviechern handeln, sagt Jerry grinsend. Und natürlich muß er noch die kleine Liz holen, damit die große Liz zufrieden ist und richtig lächeln kann.

Die ganze Mannschaft der »Harten Ranch« ist an der Station, um den beiden in die Kutsche zu helfen.

Bill sagt was davon, daß er der Lady mit dem Feuerhaar weglaufen will, um nach Texas zu gehen. Und wenn es zu Fuß sein müßte.

Sie sagen jeder etwas zu Jerry und Liz. Dann kommt Dana aus dem Saloon, in dem sie eine Stunde gewesen ist.

Jerry sperrt den Mund auf.

Bill Marlow steigen die Haare hoch.

Torro Grant bekommt Schluckauf.

Die Lady hat keine Hosen an, keine langen. Sie hat ein Kleid an und einen Hut auf dem Feuerhaar. Prächtig, prächtig.

»Jerry.«

Liz sieht es natürlich auch. Und Jerry geht der Ruf voraus, daß er alles und jedes behexen kann.

»Jerry?« sagt Liz noch einmal.

»Jaaah«, sagt Jerry seufzend. »Aber für mich bist du doch die schönste von allen, Liz.«

»Also, Jerry, vielen Dank für all deine Hilfe. Und komm mal wieder, hörst du? Alles Gute, Liz, viel Glück euch beiden.«

»Ja«, sagt Jerry und fühlt die Blicke seiner Liz im Rücken. »Ich werde gewiß mal kommen. Ich muß ja hier noch jemanden besuchen, Dana. Wo bleibt er denn? Er hat doch gesagt, daß er kommen will.«

Er sieht Dana an. Und sie ihn. Sie wird etwas blaß und senkt den Kopf.

Jetzt, denkt Jerry, jetzt möchte ich, daß sie ein Maverick ist. Ich würde sie verhexen, ihr was ins Ohr blasen und sie verrückt machen. Na, nach wem schon?

Einmal möchte ich hexen können. Oh, da kommt er ja.

Er kommt und macht die Augen etwas weiter auf. Er sieht das Kleid und muß schlucken.

El Paso, denkt Joel Ornell. Ich bin dort gewesen, auf irgendeiner Ranch. Dann hat es die Fiesta gegeben. Und auf der Fiesta ist ein Mädchen gewesen. Es hatte rote Haare, und dieses Kleid...

»Hallo«, sagt der große Joel und zwinkert mit den Lidern, denn sie muß zur Seite treten. Am liebsten würde sie ja wohl weggehen, ganz und gar. Oder ihm sagen, daß er verschwinden soll.

»Hallo, Kleiner – Liz. Brecht unterwegs nicht die Kutsche auseinander, verstanden? Und vertragt euch, wie? Ich komme dann mal ab und zu hinunter und sehe, ob ihr euch anständig betragt. Liz, mit diesem Burschen ist das schwierig. Er hat seinen eigenen Kopf und lauter dumme Gedanken in ihm. Paß auf ihn auf, hörst du?«

»Ja, Joel, bestimmt.«

»Der Kerl macht mich schlecht«, seufzt Jerry klagend. »Großer, bleib ein netter Mensch. Ich wünsche dir das. Ich wollte, ich könnte wirklich hexen, verstehst du?«

»Ja, Kleiner«, brummt Joel leise. »Schade, daß du es nicht kannst. Ho, er will abfahren, sehe ich.«

Die Kutsche ruckt an. Sie winken alle mächtig und brüllen laut.

Joel aber tritt noch weiter zurück. Sie laufen hinter der Kutsche her, nur er nicht. Und noch jemand nicht.

Er sieht sie an. Dann dreht er sich um und geht los. Einen Schritt, noch einen. Und dann wirbelt er jäh herum und sagt wütend:

»Jetzt habe ich genug.«

Er hat genug, einen ganzen Arm voll an der Brust. Und rotes Haar am Hals. Und rote Lippen.

Sie stehen mitten auf der Straße.

Jerry aber sieht aus der Kutsche und sperrt den Mund weit auf.

»Da«, sagt Jerry Lewis japsend zu Liz. »Liz, da. Er hat sie wie ein Maverick eingefangen. Sieh dich um, er hat sie.«

Er hat sie wirklich. Sie steht auf den Zehenspitzen.

»Ach«, sagt Liz seufzend, »endlich ist es soweit. Und dann muß man wegfahren.«

»Ja, ja«, sagt Jerry trübsinnig. »Es ist so hell hier drin.«

»Jerry, was tust du? Du kannst doch die Vorhänge nicht zuziehen.«

»Eben«, sagt er kichernd. »Eben. Schließlich sind wir verheiratet. Wo bist du?«

»Hier.«

»Das merke ich.«

Und die Kutsche rollt aus der Stadt.

Fort von den Freunden und weg von der Ranch – der harten Ranch.

G.F. Barner Staffel 9 – Western

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