Читать книгу G.F. Barner Staffel 9 – Western - G.F. Barner - Страница 9

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Er ist elf Jahre alt, als es geschieht. Und er weiß nicht, daß alles, was von diesem Tag an in ihm vorgeht, mit diesem Erlebnis zu tun hat. Es wird zum tragenden Moment seines Lebens, jenes Erlebnis, das er mit elf Jahren hat.

An diesem Tag unterhalb des Moencopi Plateaus, an jener abfallenden Ward Terrasse, die in die Painted Desert übergeht, geschieht es.

Es ist früher Morgen, als der Prospektor David Reynolds erwacht und fröstelnd in den kühlen Morgen blickt. Reynolds liegt einen Augenblick still, er sieht die ferne Kette der Coconinos in der außerordentlich klaren Luft über der Wüste im Westen. Die Berge, deren höchster der Humphreys Peak, der größte Berg in ganz Arizona, ist, scheinen sehr nahe zu sein. Die Luft mit ihren rauchgrauen Schatten, der violetten Färbung an den Bergen, auf deren Gipfel schon die Sonne strahlt, scheint alles heranzurücken. Und doch sind die Berge Meilen entfernt. Von ihrem Rastplatz genau vierzig Meilen. Eine unendliche Entfernung, die jetzt im Morgenlicht gering erscheint.

David Reynolds hebt den rechten Arm, wendet etwas den Kopf und blickt nun auf seinen Sohn.

Jim ist elf Jahre alt und ein aufgeweckter Bursche, der seinem Vater hilft. Der Junge ist in Ordnung, David könnte niemals einen besseren Sohn haben. Manchmal entdeckt er Züge an dem Jungen, die ihm fremd sind. Niemals ist David Reynolds verbissen gewesen, niemals hat er eine Sache um jeden Preis machen wollen – und darin gleicht ihm der Junge nicht. Bereits seit zwei Jahren hat David Reynolds das bestimmte Gefühl, daß aus seinem Sohn einmal ein guter Mann werden wird. Was immer Jim beginnt, er führt es durch und fragt nicht danach, ob die nächste Feuerholzstelle zehn oder nur sieben Meilen entfernt ist. Der Junge holt Feuerholz, wann immer sie etwas brauchen, er besteht darauf, immer einen Vorrat mitzuführen, ein Junge, der mit beinahe diktatorischem Einfluß seinen Willen durchzusetzen vermag.

Jim schläft noch. Er liegt auf der Seite, das Haar wirr, die Augen geschlossen. David lächelt, als er ihn betrachtet. Es ist vier Jahre her, daß Myrna, Jims Mutter, gestorben ist. Seit diesem Tag ist es mit David bergab gegangen. Zuerst hat er trinken müssen, um über Myrnas Verlust hinwegzukommen. Dabei sind ihre mühsam ersparten Gelder verbraucht worden, jene Gelder, die aus dem einzigen großen Silberfund Davids am Meldeena stammen. Die Abfindung, die er von dem Minenkonzern bekommen hat, sie ist verbraucht worden. Und es ist vielleicht der eine Satz gewesen, der David aus seinem Trinken gerissen hat, der eine Satz des siebenjährigen Jim Reynolds:

»Vater, ich bin so schrecklich hungrig!«

An dem Tag ist David Reynolds erwacht. Sein Junge hat Hunger, sein Junge hat nichts zu essen. Myrna würde ihm nie verzeihen, daß der Junge Hunger leiden muß, während der Vater sich seinem Schmerz hingibt. Und so ist David losgezogen. Zuerst hat er gearbeitet, hat hier und da ein wenig Geld verdient, um den Jungen und sich durchzubringen. Dann aber ist die alte Traumwelt in einer Nacht gekommen, jene Welt, die ihn einen Fund machen sieht, einen gewaltigen Fund. Jenen, von dem jeder Prospektor, der mit Schürfgerät und Maultieren durch die Berge zieht, ein ganzes Leben lang träumt.

David ist losgezogen und hat seinen Jungen mitgenommen. Vor zwei Jahren hat es begonnen.

Und heute wird es enden.

Mit seinem letzten Blick wird er die Berge sehen, seinen Sohn und dann nichts mehr.

David bewegt das Bein, er will aus der Decke kriechen. Und das ist die Bewegung, die ihm den Tod bringt, dieses kurze Anziehen seines rechten Beines.

Reynolds spürt den heftigen, brennenden Schmerz am Bein, genau in seiner Kniekehle und zuckt heftig zusammen. Er schleudert die Decke fort, spürt einen dumpfen, ziehenden Schmerz in der Kniekehle, der sein Bein fast taub erscheinen läßt und stemmt sich hoch.

Die Decke fliegt weg, der Mann zuckt noch einmal zusammen und sieht dann auf die Schlange.

In dem Augenblick, da er sie sieht, bricht ihm der Schweiß aus allen Poren, und ein heiserer, keuchender Seufzer steigt aus seinem Mund.

David Reynolds weiß, wie giftig diese Schlange ist. Man überlebt ihren Biß nur, wenn man sofort etwas macht.

Der Mann hat keine Sekunde zu verlieren und greift auch schon, den Schweiß innerhalb von drei, vier Sekunden am ganzen Körper spürend, zu seinem Gurt, in dem das Messer steckt.

Und Jim schläft, Jim ist müde, denn sie haben spät Rast gemacht.

Jim weiß nicht, daß die Schlange an den wärmenden Körper seines Vaters gekrochen ist, daß sie sich in seinen gebeugten Knien zusammengeringelt hat.

Und als sich David bewegt hat, da beißt sie, vom Knie gedrückt, jäh zu.

David Reynolds rollt sich herum, hört das Zischeln der Klapperschlange, deren Leib mit den fast silbernen Schuppen, zwischen denen die schwarzen, gezackten Linien der Querstreifen stehen, sich jetzt schnell davonwindet.

»Brennt – oh, Teufel, brennt das!« sagt David Reynolds stöhnend und schneidet sich mit zwei, drei Schnitten die Hose auf. »Wie kann sie denn unter die Decke… Ich habe mich doch eingerollt?«

Er sieht auf seine Kniekehle und die Adern, die schon immer besonders stark ausgeprägt hervorgetreten sind.

Sofort entdeckt er die beiden Einstiche, an denen nicht einmal Blut steht. Es sind nur kleine rote Punkte, deren Umgebung sich jedoch bereits blau zu färben beginnt. Zudem breitet sich jetzt im Bein ein kaltes Gefühl aus, als ob ihm jemand ein Stück Eis in die Kniekehle gelegt hat. Er jagt sein Messer mit einem kurzen, heftigen Stoß in den Boden und schnallt den Hosenriemen ab. Mit zwei Griffen hat er ihn um sein Bein geschlungen, streift ihn bis fast zur Mitte des Oberschenkels und zieht den Riemen dann an.

Vielleicht hilft es, denkt er, aber er muß wieder auf die Punkte sehen, die direkt über der Ader liegen.

Es wird nicht helfen – plötzlich ahnt er es. Die Gewißheit, verloren zu sein, läßt ihn einen Augenblick ganz mutlos den Kopf senken. Zu dicht an der Ader, vielleicht hat die Schlange sogar direkt in die Ader gebissen.

Das Bein wird kalt, als er das Messer ansetzt und eine Sekunde zaudert. Er starrt auf sein Bein, auf das Fleisch und die Spitze der Klinge. Dann setzt er entschlossen das Messer an, weiß, daß er nicht zu tief schneiden darf, um sich nicht die Ader aufzuschneiden und zu verbluten. Seine Lippen sind aufeinandergepreßt, als er das Blut fließen sieht, er stöhnt tief und schmerzhaft.

Und da sagt Jim neben ihm:

»Vater – Vater, was ist? Vater, was tust du da?«

David kann keine Antwort geben, er muß den Querschnitt ausführen und hört Jims rasches Atmen, dann taucht Jims Kopf neben seinem Bein auf.

»Eine Schlange«, sagt David stöhnend, als er das entsetzte Gesicht von Jim sehen muß. »Eine Schlange, Junge, da hinten ist sie zwischen die Steine gekrochen, hinter uns – am Hang. Mach Feuer, mach schnell Feuer, hörst du?«

»Was für eine…«

Jim ist schon hoch. Und hat Müdigkeit in seinem Gesicht gestanden, ist die Verschlafenheit in diesem Gesicht gewesen, dann ist sie jetzt verschwunden.

»Klapperschlange, Junge! Mach, mach schnell Feuer!«

Jim Reynolds stürzt los, macht voller Eile Feuer und sieht dann wieder zu seinem Vater hin, der heftig am Bein blutet und der leise stöhnt.

Plötzlich hat der Junge Angst, Angst, daß sein Vater auch so fortgehen kann, wie damals seine Mutter fortgegangen ist.

»Vater – Vater, ist es schlimm, hast du Schmerzen?« fragt er angstvoll.

»Nein, Jim, nur ein taubes Gefühl in meinem Bein. Junge, ich glaube… Haben wir noch Whisky?«

Ab und zu trinkt David immer noch einen Schluck, aber wirklich nur einen Schluck und keine ganze Flasche.

»Ich sehe nach!«

Jim sieht nach. In der Flasche im Packen ist wirklich noch ein kleiner Rest.

»Gib her, Junge!«

Zwei Stunden, denkt David Reynolds, zwei Stunden dauert es, wenn das Gift direkt in die Blutbahn kommt, sieben, wenn man nur etwas Gift behält, aber nach sieben Stunden ist man mit Sicherheit tot und lacht nie mehr. Mein Gott, lieber Gott, ich werde nie mehr mit meinem Jungen lachen. Und was haben wir schon für Spaß gehabt? Auf die Jagd sind wir gemeinsam gegangen, der Junge kann für sein Alter besser schießen als mancher Mann. Er hat mir geholfen, die Beute abzuziehen, die Felle zu gerben, er ist geschickt in allen Dingen. Hat es noch Sinn, daß ich den Biß ausbrenne?

Er weiß, daß er es wenigstens versuchen muß, wenn es vielleicht auch nicht mehr viel Sinn hat.

»Jim, nimm mein Messer hier und halte es in die Flammen«, sagt er heiser, nachdem er getrunken hat. »Ich muß den Biß ausbrennen!«

Jim kommt sofort, kauert dann am Feuer und wendet die Klinge in den Flammen.

»Vater, ist es sehr gefährlich? Ich weiß noch von dem alten Daniels…«

Sie denken beide an den alten Fallensteller aus dem Rincon Basin, den eine Echse gebissen hat und der daran langsam gestorben ist. Das Gilatier mit dem seltsamen Namen Heloderma suspectum, den der Vater genannt hat, hat Daniels umgebracht. Daniels hat geschrien in seiner Bewußtlosigkeit, die Stunden gedauert hat.

»Ich glaube, es ist nicht schlimm«, sagt David Reynolds leise. »Ich habe gleich geschnitten, und jetzt noch ausbrennen, das muß helfen. Ist die Klinge glühend, Jim?«

»Ja, ich denke, Vater.«

Der Junge sieht auf das Messer, dessen Klinge hellrot ist und schließt, während ihm die Hitze des Feuers auf der Haut heftig brennt, die Augen. Einen Moment denkt er, daß die Hitze jetzt schon schlimm genug ist, wie heftig muß es dann erst brennen, wenn man sich die Klinge, die hellrot glüht, in das Fleisch…

Jim Reynolds zieht die Hand mit dem Messer schnell zurück, macht dabei die Augen wieder auf und hastet dann zu seinem Vater.

David Reynolds nimmt das Messer in die Hand und spürt die Kälte, die in seinem Bein hochsteigt.

Zu spät, sagt er sich bitter, während er das Messer an sein Bein führt. Ich habe genug von Schlangenbissen gehört, ich habe einige Leute an ihnen sterben sehen und weiß, was diese Kälte für mich bedeutet. Zuerst wird es kalt, dann wird man müde und will schlafen. Danach kommt die Bewußtlosigkeit, vielleicht redet man oder schreit, aber dann ist es vorbei. Man ist tot – man? Ich habe doch den Jungen…

»Sieh weg!« sagt er laut und heiser, als Jim immer noch neben ihm kauert. »Sieh weg, Jim. Geh los, such dir aus dem Feuerholz einen Gabelstock und fang die Schlange. Drüben unter den Steinen ist sie verschwunden, hol sie, mach es!«

»Ja«, sagt Jim und wendet sich ab. »Ja, ich hole…«

Er kommt nicht weiter, er kann nicht mehr sprechen, denn er hört hinter sich den Vater stöhnen und dann das Klirren, mit dem das Messer auf dem Boden landet.

»Vater?« fragt er mit abgewendetem Gesicht. »Vater, soll ich den Packen holen? Brauchst du ihn?«

»Ich hole ihn mir selbst, Junge«, erwidert David mühsam und umklammert sein Bein, denkt daran, daß er den Riemen lösen muß, sonst wird es brandig. »Geh nur – fang die Schlange. Du weißt, wie man es macht, Jim!«

Jim geht los, aber ihm ist seltsam und erschreckend elend zumute. Helfen kann er nicht, der Vater liegt dort, er rutscht jetzt über den Boden auf den Packen zu. Wenn es nur nicht schlimmer mit dem Vater wird, wenn er die Bißstelle nur rechtzeitig im Kreuzschnitt zum Bluten gebracht hat und das Ausbrennen noch hilft – wenn!

Jim sucht einen Stock und erinnert sich, schon öfter eine Schlange mit dem Stock erwischt zu haben. Er nimmt sein Taschenmesser, als er den Stock hat, schneidet die Gabel spitz und geht dann auf die Steine zu. Dort muß die Klapperschlange stecken, dort wird sie sein, hier zwischen den beiden Steinen in dem Spalt. Er stochert im Spalt, hört das Zischeln und weicht dann zurück. Der Spalt zwischen den Steinen läuft wie ein kleiner Tunnel an der anderen Seite wieder hinaus. Und dort erscheint sie jetzt, sie schlängelt sich schnell davon, will den Hang abwärts, über den gerade die Sonne fällt.

Der Junge sieht die Klapperschlange und fühlt auf einmal Zorn in sich. Daß es Haß ist, weiß er nicht, denn Haß ist ihm bis zu dieser Sekunde unbekannt geblieben.

Er haßt die Schlange und weiß es nicht, als er sie in den Sonnenschein verfolgt, der auf den Hang und die kargen Büsche fällt.

Der Boden wirkt in diesem ersten, strahlenden Sonnenlicht, das von der Howell Mesa herübergreift, wie ein rotes, blutgetränktes Tuch. Staub wallt unter den Stiefeln des Jungen auf, der die Klapperschlange auf einen Busch zuschlängeln sieht und ihr in kurzen Sprüngen folgt. Er läuft, den Blick starr auf den silberglänzenden Leib gerichtet, dessen schwarze Querzackstreifen sich in der schlängelnden Bewegung dauernd verändern, an ihr vorbei, er umrundet sie und bleibt dann ganz dicht vor ihr stehen.

»Du Biest!« sagt er mit einem hohen, singenden Ton in der Stimme. »Du abscheuliches Biest!«

Dann schlägt er mit dem Stock einmal zu, vor dem Kopf der Klapperschlange wirbelt Staub hoch. Wieder saust der Stock herab, als der Schlangenleib zurückzuckt. Und dann wendet sich die Klapperschlange nach links um, sie will weg, will seitlich am Hang entlang verschwinden.

Der Stock ist fast zwei Yards lang, der sich wie ein Speer hinter der Klapperschlange nach unten senkt. Und dann stößt Jim Reynolds zu.

Er trifft mit dem linken, scharf angespitzten Spieß der Gabel den Schlangenleib und sieht Blut, als er den Schuppenleib durchstößt. Und dann drückt er den Stab mit aller Gewalt in die Erde, hinein in den Staub, und sagt keuchend:

»Da – da, jetzt hab’ ich dich, jetzt hab’ ich dich, du Biest, du abscheuliches, jetzt habe ich dich!«

Sie windet sich, sie ringelt sich um den Stock und bringt mit ihren Bewegungen den Stock zum Zittern, aber Jim hält fest und beobachtet das Winden genau. Er hat sie kurz hinter dem Kopf erwischt, genau an der richtigen Stelle.

Staub wallt hoch, der Schwanz der Klapperschlange prallt klatschend gegen den Boden, noch mehr Staub steigt auf. Und in diesem Staub tritt der Junge stampfend, mit verzerrtem Gesicht und keuchendem Atem auf die Schlange.

Die Schlange ringelt sich um den Stock, um den der Staub in bizarren roten Schleiern zieht. Und all jenes, was der Junge in sich fühlt, das bricht in dieser Minute nach außen. Es ist wie ein Sturm, der eine Befreiung sucht und findet.

Dann rutscht der Schuppenleib vom Stock, bleibt nun nicht mehr glänzend, eher matt und überpudert vom Staub auf dem Boden liegen.

Jim Reynolds blickt von seinen Stiefeln, wie aus einem Traum erwachend, der ihn gequält und bedrückt hat, hoch. Er sieht seinen Vater am Feuer liegen, das Bein erhoben, um das er einen Leinenlappen wickelt. David Reynolds führt diese Bewegungen mechanisch aus, er sieht auf seinen Jungen und schrickt zusammen, als sich ihre Blicke treffen.

Der Junge sagt nichts, er steht nur da, starrt wieder auf die Klapperschlange und sagt tonlos:

»Sie ist tot, sie wird niemanden mehr beißen, sie ist tot!«

Er wiederholt dieses »sie ist tot« ein dutzendmal, er sagt es mit einer grausigen, unfaßbaren Monotonie, völlig ausdruckslos und heiser.

»Ja«, sagt David müde und knotet das Leinen zusammen. »Ja, ist sie tot? Jim, komm her und gieß Wasser in den Topf, ich bin durstig.«

»Durstig – ja.«

Jim Reynolds geht los, kauert sich am Feuer hin und legt neue Zweige nach. Er gießt Wasser in den Topf, aus der Büchse nimmt er den gemahlenen Kaffee.

»Wir werden nach Flagstaff gehen«, sagt David auf einmal leise und setzt sich auf, aber ihm ist plötzlich schwindlig. Es packt ihn, und er sinkt wieder nach hinten. So liegt er, denkt an Flagstaff und sagt wieder: »Wir werden nach Flagstaff gehen. In der Mine haben sie mir schon vor einem Jahr einen Aufseherposten angeboten. Du kennst doch Hiram Oldbright?«

»Ja, er ist ein freundlicher Mann, Vater!«

»Das ist wahr, ich bin lange mit ihm zusammen in den Bergen schürfen gewesen«, antwortet David Reynolds. »Dort gehen wir hin, du wirst sehen, wir bekommen eine kleine Hütte, ich arbeite für uns beide. Wir brauchen nicht mehr umherzuziehen und zu suchen.«

»Dann – dann«, murmelt der Junge, »wirst du den Tag über in der Mine sein, vielleicht auch in der Nacht. Und ich bin allein. Warum sollen wir nicht hier in den Bergen bleiben, Vater? Die Berge sind unsere Heimat, ich möchte nicht in die Stadt, es ist viel schöner hier und wir sind immer zusammen.«

David sieht seinen Sohn an, blickt dann über die Berge, jene purpurne Unendlichkeit mit dem hellblauen Himmel darüber.

Zusammensein, denkt der Mann und fühlt die Müdigkeit stärker werden. Wir beide – allein in den Bergen. Ich habe geglaubt, daß es für ihn nichts ist, dauernd unterwegs zu sein, von der Jagd zu leben, vom Fang eines wilden Pferdes, das man verkauft, wie man Felle gerbt und auch verkauft, um Geld zu haben, damit man weiter suchen kann… Tag für Tag, immer auf der Suche, auf der Suche nach Gold, Silber, Kupfer oder Zinn. Und nun sagt er mir, daß er hier zu Hause ist, in diesen Bergen, daß er nicht in die Stadt will. Was wird aus ihm, wie soll ich ihm beibringen, daß ich – daß ich niemals mehr nach Hause, niemals mehr in eine Stadt kommen werde? Er wird bald ganz allein sein, ohne einen Menschen, der ihn liebt – oder?

Plötzlich erinnert er sich an Mathilda, die Tante seiner Frau. Mein Gott, Mathilda lebt in Nevada, in einem Gebiet, in dem die ständige Bedrohung durch die Modocs vorhanden ist. Eine Frau wie ein Mann, mit rauchiger Stimme, einem Saloon und festen Händen, mit denen sie manchen Sturm durchgestanden hat. Mathilda und Jimmy? Sein Junge bei der alten Ma? Das geht nicht, was soll sie mit so einem Jungen? Aber irgendwo muß er bleiben.

»Dann – dann«, sagt David keuchend, »laß uns doch zu Tante Mathilda gehen, Jim.«

»Ich möchte nicht, Vater, ich will mit dir zusammensein.«

Wo, denkt David, und spürt sein Bein schon gar nicht mehr, in das er sich kneift, wo willst du denn mit mir zusammensein, mein Junge? Ich gehe an einen Ort, an den du noch nicht zu gehen brauchst, ich gehe so weit fort, daß keine Füße jemals so weit laufen können. Ach, mein Junge, was wird aus dir, wenn ich nicht mehr – wenn ich in einigen Stunden tot bin?

»Wenn, wenn ich dich aber bitten würde, wenigstens mitzukommen, Jimmy? Würdest du nicht mit mir zu Tante Tilda kommen?«

»Ja, sicher, du brauchst mich nicht darum zu bitten, Vater. Aber dort sind wir auch nicht zu Hause. Ich weiß es noch, sie hat einmal zu Mutter gesagt, du hättest nur Flausen im Kopf, du würdest einem Adler nachlaufen, der schneller fliegen könne als deine Füße liefen, Vater, was hat sie damit gemeint?«

»Ach, es hat ihr nicht gefallen, daß ich umhergezogen bin, Junge. Tante Tilda ist eine patente Person. Sie ist okay. Wenn mir mal – ich meine, wenn ich vielleicht krank werde und nicht mehr für uns beide sorgen kann, dann mußt du zu ihr gehen.«

»Dann werde ich für dich und mich schon arbeiten. Schießen kann ich auch, Felle gerben kann ich, du hast es mich gelehrt. Ich bringe uns beide durch, Vater. Haben wir nicht die Hütte jenseits der Rose-Wells-Hügel am Colorado hoch oben in den Bergen? Dort werde ich dich gesund pflegen. Du wirst doch nicht jetzt krank, Vater?«

Nein, denkt David Reynolds, ich werde nicht krank, dies ist keine Krankheit. Ich werde sterben und meinen Jungen allein lassen. Ist es schon schwer für einen Mann, sich durch das Leben zu bringen, wieviel schwerer muß es dann für einen Jungen sein?

»Ich werde nicht krank«, sagt er und sieht zu, wie Jim das Kaffeepulver in das siedende Wasser schüttet. »Aber merke dir, mein Junge, daß du bei Tante Mathilda immer einen Platz finden wirst. Merkst du dir das?«

»Sicher, Vater.«

Er läßt den Kaffee noch etwas ziehen, dann reicht er seinem Vater den Becher und fragt, ob er hungrig ist. David ist nicht hungrig, David Reynolds trinkt seinen Kaffee und läßt dann die Hand mit dem Becher matt sinken.

Er wird so schläfrig, daß er die Augen schließen muß, legt sich hin und versucht zu lächeln.

»Ich bin müde, Jim, mein Junge«, sagt der Mann mühsam. »Ich werde ein wenig schlafen, laß mich schlafen, Jim!«

*

Jim Reynolds sitzt eine Weile bei seinem Vater. Dann holt der Junge die Schlange nach anfänglichem Zaudern und enthäutet sie, spannt sie auf ein Brett und stellt das Brett an einen Stein in den Schatten. Dort ist die Luft heiß, und die Haut wird bald trocken sein.

»Vater?« fragt er nach einer halben Stunde. »Vater, soll ich irgend etwas tun?«

David Reynolds stöhnt nur leise, er wacht nicht auf. Und der Junge denkt, daß er ihn schlafen lassen soll. Vielleicht ist der Vater doch krank, denkt Jim. Kranke schlafen sich gesund, das sagt man immer. Ich lasse ihn schlafen.

Er packt schon alles, er macht alles fertig, damit sie, wenn der Vater aufwacht, weiterziehen können. Nach einer Stunde redet David Reynolds im Schlaf. »Myrna – der Junge – Myrna…«

Myrna, so hat seine Mutter geheißen, die Mutter, die schon lange gestorben ist. Der Junge lauscht den leisen, murmelnden Worten seines Vaters und denkt, daß er im Schlaf redet.

Nach einiger Zeit wird der Vater ganz ruhig, er liegt still, und die Sonne wandert immer weiter. Kaum sieht Jim noch die Berge im Südwesten. Dort ist jetzt der Dunstschleier, der sie verhüllt. Die Hitze nimmt zu und der Vater liegt still.

Ich werde ihn aufwecken, denkt Jim, als die Sonne fast über dem Camp steht. Ich werde ihn aufwecken müssen, wir wollen doch weiterziehen.

Er geht hin und rüttelt ihn, aber der Vater sagt nichts mehr.

David Reynolds liegt still am Boden und rührt sich nicht.

»Vater – aufwachen! Vater – wach auf!«

Er gibt keine Antwort, seine linke Hand, die auf seiner Brust liegt, rutscht langsam und schlaff nach unten.

Jim ergreift die Hand und schüttelt sie, aber als er sie losläßt, da sinkt sie wieder nach unten. So schlaff ist die Hand, so müde muß der Vater sein.

Er blickt verwirrt auf das blasse Gesicht, beugt sich dann über ihn und lauscht.

Der Wind streicht jetzt um die Felsen am Berg, streicht durch die Büsche und schafft ein leises, säuselndes Geräusch.

Der Junge lauscht dem Atem, aber er hört nur den Wind gehen, keinen Atemzug, den der Vater von sich gibt.

»Dad!«

Kein Atemzug, alles still, alles tot – tot.

»Nein«, sagt der kleine Jim und schreit dann: »Vater, Vater, wach auf!«

Er wacht nicht auf, er ist still und sein Gesicht ist ganz ruhig. Jetzt ist er bei der Mutter, jetzt endlich ist er bei ihr und spricht vielleicht mit ihr.

Mutter ist tot – Vater ist tot.

Und der Junge ist allein.

Er sitzt da und beginnt zu schluchzen, hilflos, verloren und trocken.

Die Sonne brennt auf seinen Nacken, scheint auf seine Jacke. Es ist heiß, und der Wind geht leise.

Die Schlangen, denkt Jim Reynolds, die Schlangen, diese Klapperschlangen – ich hasse sie. Ich werde jede Klapperschlange, die ich erwischen kann, umbringen, jede, so viel ich nur kann. Vater – sag doch etwas!

Der Vater sagt nichts mehr, und der kleine Jim kauert neben ihm – eine Stunde, zwei – drei. Der Vater wacht nicht wieder auf, er spricht nicht mehr mit ihm.

Stunden später, als die Sonne drüben über dem weit entfernten kleinen Colorado-Fluß fast untergeht, steht er endlich auf und geht zum Packen. Dort ist eine Schaufel und eine Hacke. Er zieht die Spitzhacke aus dem Werkzeugpacken. Jim sucht einen guten Platz aus und begräbt seinen Vater.

Jetzt ist er ganz allein.

*

Griffith Augh macht zwei hastige Schritte auf das Tor zu und hebt die schwielige Hand dem Reiter entgegen.

Er sieht den Mann, der den Hauch der Wüste auf Sichtweite verbreitet, seine beiden Pferde zurückhalten und die Hände auf das Sattelhorn stützen.

Griffith ist nun fast sechzig Jahre alt und schon immer bei Howard Dunn. Er kann sich nicht erinnern, jemals für einen anderen Mann gearbeitet zu haben. Vor vierzehn Jahren, denkt Griffith, dem der Schweiß unter den Achselhöhlen das Hemd fleckig gemacht hat, vor vierzehn Jahren, da sind wir in Arizona gewesen. Howard, die Sprudis-Brüder und ich. Vermessen haben wir damals. Und den hier gefunden. Seltsam, daß er sich nicht verändert hat, seltsam in der Tat, daß aus einem Jungen ein Mann werden kann und er doch dasselbe Gesicht behält, so ein Gesicht, in dem man die Weite lesen kann, die Weite eines Landes, in dem er immer gelebt hat, er…

Klapperschlangen-Jim!

Klapperschlangen-Jims Haar ist hell wie der Sand am Pyramiden-See, seine Augenbrauen stark und buschig, seine Augen hell wie klares Wasser. Und das Gesicht tiefbraun, fast das Gesicht eines Indianers. Dabei ist er hager, dieser Mann, den sie alle Klapperschlangen-Jim nennen. Er wird wohl nie rundlich werden, niemals einen Bauch bekommen wie ihn Griff hat und wie ihn auch Howard Dunn vor sich her schiebt.

Jim wird immer mager sein, ein Wüstenwolf, einer, der umherstreift, der mal hier ist und wieder dort auftaucht, der aber auf eine rätselhafte, unheimliche Art immer da auftaucht, wo es für den alten Howard Dunn und seine Männer Ärger gibt. Er hält jetzt und sieht auf den Alten herab, auf dessen grauweißen Bart und die blinzelnden Äuglein, die sich hinter schweren Lidern zu verstecken scheinen.

Dies ist auch ein Blick, den alle Männer haben, die viel in der glühenden Sonne Nevadas, Utahs oder Arizonas reiten, sie alle kneifen ihre Augen fast ganz zu. So entsteht für den, der diese Männer nicht kennt, der Eindruck, daß sie dauernd in einer Art von Halbschlaf unterwegs sind.

Aber in Wirklichkeit sind diese Männer hellwach.

Von Klapperschlangen-Jim sagen sie, daß er eigentlich immer wach ist und niemals schläft.

Er hält, ein Mann, dessen Leibriemen aus der Haut einer Klapperschlange geflochten ist, dessen Hutband breit und seltsam gezackt, ebenfalls aus Klapperschlangenhaut ist, genau wie sein Geldbeutel.

Und einige sagen gar, er sei so leise wie eine Klapperschlange, die den Schwanz verloren hat.

Jetzt blickt er den Alten an und schiebt den ausgestreckten Daumen unter die Krempe seines alten Hutes, genau wie damals, als sie ihn gefunden haben und er von über einem halben Hundert toter Klapperschlangen umgeben gewesen ist. Er spricht wieder nicht, er sieht den alten Griff nur an und wartet.

»Hast du die Nachricht bekommen?« fragt der alte Mann heiser. »Howard wartet auf dich, du ahnst nicht, wie sehr er schon wartet.«

»Ich habe sie bekommen«, sagt Jim und sieht über den Alten hinweg auf den Hof, in dem nur noch drei Wagen und etwa ein Dutzend Maultiere stehen. »Alle unterwegs?«

»Ja, oben in der Humboldt-Kette, nur Merriwater Higgs ist noch da, und ich.«

»Du wirst wohl immer da sein, Griff!«

»Ein alter Mann findet keinen anderen Boß, ich will auch gar nicht weggehen. Ich bin groß geworden mit Bäumefällen, Löcher in den Boden stampfen, Stangen einstecken und Draht an die Isolatoren binden. Das war und ist auch heute noch mein Leben. Wo bist du gewesen?«

»Bei Tilda!«

»Ah, der alte Schraubendampfer? Wie geht es ihr?«

»Sie ist neunundsiebzig geworden. Man soll Geburtstage nie vergessen.«

»Ach, darum bist du weggewesen? Hat sie wieder versucht, dich zu halten?«

»Das wird sie immer tun. Doch sie wird noch allein fertig«, sagt Jim und lächelt belustigt. »Zwei wilde Cowboys haben vorgestern zuviel getrunken, sie hat beide eigenhändig hinausgeworfen!«

»Mit neunundsiebzig…«

»Ja«, sagt Klapperschlangen-Jim und zwinkert mit den Augen. »Sie hat jeden am Kragen gepackt, zur Tür geschleift und ihre Köpfe in die Regentonne gesteckt, da waren sie plötzlich still.«

»Allmächtiger, sie ist ein Monsterweib! Hat sie dich gehen lassen?«

Jim sieht ihn an und lächelt nicht mehr. Da sind viele Erinnerungen – und alle hängen mit diesem »gehen lassen« zusammen. Tilda hat es oft versucht, zuerst, als er zwölf Jahre alt war. Immer hat sie ihn halten wollen. Und immer ist er fortgegangen.

»Wohin willst du, Junge?« hat sie gefragt und die Arme in die Seiten gestemmt.

»Nach Hause gehen!«

»Nach Hause? Du bist bei mir zu Hause, Jim!«

»Dort – dort ist mein Zuhause«, hat der kleine Jim gesagt, und die Hand hat einen großen Kreis beschrieben, der die Unendlichkeit des Horizontes eingeschlossen hat. »Dort…«

Dort ist er auch heute noch zu Hause, in der Wüste, in den Bergen, in der Einsamkeit.

Und alle fürchten, daß er niemals seßhaft werden wird, daß jenes Grab in der Wüste sein Wallfahrtsort bleiben wird, bis er selbst irgendwo in den Bergen, in der Wüste oder in all jener freiwilligen Einsamkeit liegenbleibt.

Immer, wenn er nach Wochen oder Monaten nach Reno gekommen ist, dann hat er jedesmal die Häute dabei, Berge von Häuten, aus denen Macolm Lewis, der Kunsthändler und in ganz Nevada bekannte Sattler, die Zigarrentaschen oder Geldbeutel macht. Echte Klapperschlangenhaut ist eine begehrte Sache für jedermann.

Jedes Jahr ist er fortgegangen, kurz bevor es soweit war, daß neue Klapperschlangenjungen die Gegenden unsicher machten. Und jedes Jahr bringt er sie nach Hause zu der alten Tilda Jones, die manchmal das Frösteln bekommt, wenn sie die Berge Häute sieht.

Jim Reynolds blickt den alten Griff an und nickt.

»Was sollte sie sonst tun?«

»Du bist ein Narr, Jim, du weißt es auch, denke ich. Sie hat das feinste Hotel, den prächtigsten Saloon, die hübschesten Mädchen und die dickste Brieftasche, und all das kannst du sofort haben. Du bist ihr Erbe, warum gehst du nicht hin und bleibst bei ihr?«

»Sie kann nicht stillsitzen.«

»Sie will dich aber bei sich haben.«

»Sitzen«, sagt der seltsame Mann, den sie Klapperschlangen-Jim vom Sacramento bis zum Salz-See nennen. »Essen und von der Arbeit einer alten Frau leben, das ist nicht gut, mein Freund.«

»Du würdest für deine Kinder auch arbeiten.«

»Ich bin nicht ihr Sohn.«

»Ach, für sie bist du das, jeder weiß es. Könntest in einer prächtigen Kutsche fahren, was vom Leben haben. So verrückt wie du wäre ich nicht. Ich würde bleiben.«

»Das könnte dir so passen.«

»Dich kann man nicht ärgern, was? Geh zu Howard, da hast du mehr Ärger, als du vertragen kannst!«

»So?« fragt Klapperschlangen-Jim. »Wer macht Ärger?«

»Einige Leute an der Humboldt-Kette. Es gefällt ihnen nicht, daß wir den Wald abschlagen und Telegrafenmasten setzen, daß wir Bäume fällen und schneiden, um Grubenholz zu machen. Bill hat es erwischt.«

»Tot?«

»Nein, er ist angeschossen worden. Er hat eine Kugel in der Schulter, Jim. Unterwegs haben ihn drei Männer angehalten, Leute von einem Rancher.«

»Hat er zuerst gezogen?«

»Er sagt nein, sie sagen ja. Drei gegen einen, weißt du, wie das aussieht?«

»Schlecht! Drei Männer sagen immer die Wahrheit! Und Howard?«

»Geh zu ihm, ich habe schon genug geredet. Zwei Rancher sind bei ihm – Davis auch.«

»So«, sagt Klapperschlangen-Jim nur, dann reitet er an Griff vorbei, er kommt mitten in den Hof der Lovelock-Niederlassung von Dunn and Tilghmans Transport-Linie.

Rechts kauert der Feuerbart Merriwater Higgs auf der Bank und stichelt mit der Schweinsborste und einem Pechdraht im Sielenzeug.

»Hoh, Jim!«

»Hoh, Merriwater, bist du fleißig?«

»Was sein muß, muß sein. Bist du in Reno gewesen?«

»Ja, ich habe die alte Eule besucht.«

»Laß sie das nicht hören. Vielleicht enterbt sie dich.«

»Sie sagt, alte Eule sei endlich das richtige Wort für sie. Immerhin ist die Nacht ihr wirkliches Leben, und das seit vierzig Jahren.«

»Fährst du heute noch mit Griff?«

»In zwei Stunden, wenn du mitkommen willst? Aber du wirst es eiliger haben, fürchte ich. Howard ist drin.«

Er legt seine Arbeit hin, kümmert sich um Jims Pferde und sieht Jim langbeinig und federnd auf das Haus zugehen. Rechter Hand ist der Anbau, vor dessen Balken vier Pferde stehen. Als Reiter sieht Jim Reynolds sofort, daß es ausgesucht gute Pferde sind. Das eine Pferd, ein hochbeiniger, breitbrüstiger Rappe mit dem typischen schlanken Hals eines Schnelläufers, steht ganz links.

Es ist das Pferd, und es ist der Sattel, der Jim Reynolds anhalten läßt. Er erinnert sich, diesen Tausend-Dollar-Sattel und das Pferd schon einmal gesehen zu haben, kommt aber nicht gleich auf den Mann, der dieses Pferd geritten hat.

Er steht vielleicht eine Minute still, hört die tiefe Stimme eines Mannes undeutlich aus dem linken Hausfenster, das offensteht, und gleich darauf einen anderen Mann mit einer knarrenden, langsamen Stimme sagen:

»Dunn, ich warne Sie nur einmal, danach gibt es keine Warnung mehr!«

Genau diese Worte sind es, die Jim Reynolds die Erinnerung an den Mann zurückrufen, der das Pferd und den Sattel hier geritten hat.

Der Mann heißt Lee Hull und hat mit fast den gleichen Worten beim großen Rodeo in Reno jemand gewarnt, der ihm mitten beim Rennen quer vor das Pferd geritten ist.

Langsam setzt sich Jim Reynolds wieder in Bewegung, geht bis zur Tür des Hauses und öffnet sie geräuschlos. In dem Raum sieht er Mark Smith, den Schreiber von Howard Dunn, und begrüßt ihn freundlich. Die Tür zum Sprechzimmer, dem eigentlichen Büro von Dunn, hat oben eine Mattglasscheibe. Man kann ganz undeutlich den Hinterkopf eines Mannes erkennen, der vor der Tür stehen muß.

»Gott sei Dank«, sagt Smith, ein kleiner, nervöser Mann, der eine zanksüchtige Frau zu Hause und wenig Freude am Leben hat, erleichtert. »Jim, sie reden wie die wilden Longhorns mit Howard. Dabei haben wir einen Regierungsauftrag, der…«

»Schon gut, immer ruhig«, sagt Jim leise und geht auf die Tür zu. »Mark, du solltest weniger nervös sein.«

Dann legt er die Hand auf den Drücker, und seine staubige, graurot aussehende Lederkleidung verliert einen Teil des Staubes im Luftzug, als er die Tür öffnet und der Luftzug durch das Fenster und die Tür schießt.

Es ist der Luftzug, der vom Schreibtisch, hinter dem Howard Dunn aufrecht steht, ein Stück Papier hochwehen läßt.

Und es ist dieses Papier, das Lee Hull wie von Geisterhänden getragen genau vor die Brust wirbelt.

Lee Dunn, ein großer, knochiger, schwerer und düsterer Mann mit einer anrüchigen Vergangenheit, greift blitzschnell zu. Schon hat er das Papier und sagt grollend:

»Diesen Fetzen werde ich behalten und den Narren, der ihn dir ausgestellt hat, Dunn, zwingen, ihn aufzufressen. So wahr ich Lee Hull heiße, ich…«

Er sieht sich bei seinen Worten um und blickt mitten in Jim Reynolds helle Augen hinein.

Rechts hinter dem Schreibtisch steht wie immer Howard Dunns Schatten, der Kolonnenaufseher, Art Davis, ein breitschultriger, die graue Kleidung der Meßingenieure bevorzugender Mann.

»Hull, leg das Papier hin«, sagt Davis grimmig. »Du kannst dich hier nicht benehmen wie ein Ochse im…«

Dann erkennt er Jim und schweigt. Jim Reynolds tritt ganz in das Zimmer und schließt die Tür mit einer behutsamen Bewegung.

Er sieht nur Hull an, an den er sich wegen der Schießerei nach dem Rodeo erinnert, die einen Mann das Leben gekostet hat. Was immer damals der Grund gewesen ist, für Jim gibt es so schnell keinen Grund, einen Mann zu töten, mit dem er einen Streit bekommt. Darin liegt seine Abneigung gegen Lee Hull begründet, dessen übler Ruf in ganz Nevada bekannt ist.

»Oh, Jim«, sagt da auch schon Howard Dunn heiser. »Jim, du kommst gerade richtig, finde ich. Mr. Hull hat da meine Genehmigung, in der Humboldt Range Holz einzuschlagen – und er möchte sie zu gern behalten. Was sagst du dazu?«

»Was dieser Schlangenfresser«, fährt Hull jetzt auf ihn los, »dazu sagen will, das soll mich wenig kümmern. Ich reite nach Carson City. Und ich will den Burschen besuchen, der euch diesen Wisch hier gegeben hat. Bilde dir nicht ein, Dunn, daß ich vor deinem Schlangenfresser weglaufe!«

Die drei anderen Männer, ein älterer Mann, zu dem ein jüngerer Bursche gehören muß, der eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm besitzt, und der dritte, ein untersetzter Enddreißiger, blicken verstört von Hull zu Jim Reynolds.

Dann sagt der Enddreißiger auch schon:

»Du bist der Mann, den sie...« Er macht eine kleine Pause, fährt dann aber fort: »Klapperschlangen-Jim nennen?«

»Man nennt mich manchmal so«, erwidert Jim ruhig und blickt keinen der Männer, sondern nur den einen an – nämlich Lee Hull. »Lee, ich würde das Papier sehr schnell auf den Schreibtisch legen. Du hast kein Recht, ein Schriftstück zu nehmen, das dir nicht gehört, mein Freund. Nun…«

Er hat sich damals nach der Schießerei über Lee Hull näher erkundigt. Hull ist ein großspuriger Mann, der sich viel auf seinen Revolver einbildet und immer die besten Anzüge trägt. Man nennt Hull manchmal den »Wild Bill« Nevadas, denn genauso protzig ist Hulls Auftreten immer. Zudem kann er den Revolver schnell ziehen und abfeuern, bestimmt nicht weniger schnell als der richtige Wild Bill.

Alle jene Dinge, die Jim von Hull erfahren hat, lassen Jim augenblicklich vorsichtig werden. Hull ist zuzutrauen, daß er aus einem nichtigen Grund eine Schießerei beginnt.

»Schlangenfresser«, sagt Hull höhnisch. »Soll das eine Drohung sein, dann komm mit mir vor die Tür. Ich habe gehört, daß du Dunns bester Mann sein sollst, du könntest es gleich gewesen sein!«

Howard Dunns Gesicht hinter dem Schreibtisch wird blaß. Art Davis nagt an seiner Unterlippe und hebt leicht die Hand. Der Enddreißiger, dessen Namen Jim nicht kennt, räuspert sich scharf und sagt beschwörend:

»Lee, so kommen wir nicht weiter. Gib ihm das Papier!«

»Gib her«, murmelt Jim ganz ruhig und stellt den linken Fuß vorwärts, während er mit dem rechten Knie leicht einknickt und Hulls kurzes Zucken der Lider als Warnung erkennt. »Es gehört nicht dir, Lee, diese Sache kann beredet werden, aber nicht, wenn du hier den wilden Mann spielst. Gib schon her.«

Er streckt die Hand aus, sieht das unmerkliche Zurückziehen von Hulls linker Schulter genau und betrachtet doch scheinbar nur Hulls rechte Hand, die das Papier hält.

»Du bist ziemlich mutig, Schlangenfresser, wie?« fragt Hull spöttisch, streckt aber die rechte Hand mit dem Papier aus. »Ich werde noch mit dir zu tun bekommen, das fürchte ich. Hier hast du…«

Er hebt die rechte Hand hoch, so daß Jim das Papier vor Augen hat. Und in dieser einen Sekunde ist Jim Reynolds sicher, daß Hull einen Trick versuchen wird. Man kann ihm nicht trauen.

Als Hull das Papier hoch genug gehoben hat, macht er einen schnellen Schritt nach vorn und schlägt auch schon die linke Faust mit aller Gewalt gerade nach oben.

Jim Reynolds hat sich nicht verrechnet und den Mann richtig eingeschätzt.

Es ist nur zu verständlich, daß Hull gleich versucht, einen für ihn unbequemen Mann einzuschüchtern. Mit Sicherheit scheint es um die Abholzung von Bäumen in der Humboldt-Kette mächtigen Ärger zu geben, sonst würde Hull niemals das Papier behalten haben. Hull handelt schon jetzt, um gleich zu zeigen, daß er hart genug ist, für seinen Boß jede Arbeit zu tun und die Holzfäller zu verjagen.

Er hat sich nur in einer Sache verschätzt, in einer Sache, von der er wahrscheinlich nicht genug versteht, um sie zu begreifen.

Jim Reynolds geht viel mit Schlangen um, seine Augen sind es gewohnt, jedes kleine Zucken des Schlangenleibes sofort zu deuten, und der er ausweichen kann, ehe die Schlange vorschnellt und zubeißt.

In dieser Sekunde, in der Hulls Linke blitzschnell hochschießt, duckt sich Jim Reynolds und stürzt wie der Blitz nach vorn unter der ausgestreckten rechten Hand von Lee Hull hinweg. Jim macht einen schnellen Satz, streckt die Linke aus und reißt mit einem Ruck, ehe Hull überhaupt zur Besinnung kommen kann, Hulls schweren Armee-Revolver aus dem Halfter. Dann wirbelt er herum und schleudert den Revolver weg.

»Ver…«

Hull stößt einen Fluch aus, aber er kommt nicht mehr herum. Jim Reynolds unterläuft ihn von der Seite, schlingt seine linke Hand unter der rechten Achselhöhle von Hull durch, führt dann die Hand von hinten um Hulls Nacken und packt Hull mit der anderen Hand am Hosenboden.

Es ist nur ein kurzer Ruck, mit dem Jim diesem Hull den Hosenboden so stramm zieht, daß seine beiden Beine vom Boden hochgehoben werden. Dann macht Jim eine halbe Drehung, hört Hull wild brüllen und schleudert ihn gegen die geschlossene Tür zum Vorraum.

Hull versucht, nach der Tür zu greifen, als von draußen der kleine Mark Smith die Tür aufreißt. Es ist weiter nichts als ein dummer Zufall, daß die Tür von Smith, der Hull brüllen hört und das Schlimmste befürchtet, aufgerissen wird.

So kommt es zu folgendem Ablauf der Dinge:

Die Tür geht vor den Händen Hulls, der sich an ihr abstützen will, überraschend auf.

Hull hat dadurch keinen Halt, sondern greift ins Leere. Er stolpert, fällt und saust mit dem Kopf genau gegen den Türbalken.

Das Holz dröhnt. Dann rutscht Hull, der auf einmal nicht mehr schreit, vor dem entsetzt zurückweichenden Smith auf den Boden und bleibt auf dem Gesicht liegen.

»Alle Wetter«, sagt Jim Reynolds kopfschüttelnd. »Smith, das hast du nicht besser machen können, obwohl du es sicher nicht absichtlich getan hast. Howard, Hull ist plötzlich verteufelt still und friedlich geworden, wie?«

»Gerechter, er hat dich schlagen wollen«, japst Howard Dunn verstört. »Wie kommt dieser Bursche dazu, hier in meinem Haus Streit zu beginnen? Mr. Lacombe, jetzt ist das Maß voll!«

Dunn kommt mit schnellen Schritten hinter dem Schreibtisch hervor, bückt sich nach dem Papier und hebt es rasch auf. Lacombe verliert die Beherrschung. Er dreht sich wütend um, mustert Jim mit einem eisigen Blick und sagt fauchend:

»Mister, hören Sie gut zu: Dies hier wird Ihnen Hull niemals vergessen. Sie wissen nicht, was das heißt, aber Sie werden es erfahren! Dunn, unsere Unterredung ist beendet. Ich habe mit gutem Willen herkommen und verhandeln wollen, das ist jetzt vorbei.«

»Hören Sie, Lacombe…«

»Genug, Dunn«, sagt Lacombe zornig. »Dies ist keine Art, mit jemandem zu verhandeln. Gehen Sie zum Teufel, Sie werden sehen, was Ihre Leute erwartet. Ich lasse mir nicht den Wald abholzen. Lewis, wir wollen gehen!«

Die drei Männer sehen sich stumm und ergrimmt an, dann gehen sie auf die Tür zu. Dort dreht sich der jüngere Mann noch einmal um, sieht Jim Reynolds unsicher an und zuckt bitter die Schultern.

»Reynolds, das wird dich eine Menge kosten«, sagt er düster. »Du hättest Hull nicht so rauh behandeln sollen!«

»Wer in einem fremden Haus Streit beginnt, der muß sich nicht wundern, wenn er hinausgeworfen wird«, erwidert Jim knapp. »Tragt ihn nur auf sein prächtiges Pferd, aber vergeßt seinen Revolver nicht.«

Der junge Lewis dreht sich um, bückt sich, um die Waffe aufzuheben und sagt: »Ach, zum Teufel, was soll daraus werden?«

Dann folgt er seinem Vater und Lacombe, die den besinnungslosen Lee Hull zwischen sich tragen und ihn draußen mühsam ächzend auf sein Pferd heben.

»Jim«, meldet sich Dunn beklommen hinter Reynolds. »Jim, was wird, wenn er aufwacht?«

»Nicht viel«, antwortet Jim kühl, geht hinaus und winkt Griffith, der das nächste Gewehr, eben Jims, aus dem Scabbard gezogen hat und eilig herankommt. »Gib her, Griff!«

Jim Reynolds nimmt das Gewehr unter den Arm, lädt durch und sieht bei dem Klicken die beiden Rancher zusammenzucken, während der junge Lewis den Kopf wendet und erschrocken auf das Gewehr blickt.

Hull, in dessen Halfter wieder der Revolver steckt, wendet keuchend den Kopf, schüttelt die Hand von Lacombe ab, die ihn hält, und stemmt sich mühsam hoch.

Sein Blick fällt auf Jim Reynolds, der ruhig mitten in der Tür des Hauses steht und die Waffe mit dem Kolben an der Hüfte hat. Zwar zuckt Hulls Hand einmal in seiner anfänglichen Benommenheit nach dem Halfter und dem dort steckenden Revolver, doch dann streckt der Revolvermann die Hand langsam aus und legt sie auf das Sattelhorn.

»Fang besser nichts an«, sagt Jim bitter, der genau weiß, wie wenig Hull bei Verstand ist, um vielleicht zum Selbstmörder zu werden. »Ich schieße niemals vorbei, mein Freund. Du hast hier Streit gesucht und deine Quittung bekommen, reite nach Hause und vergiß es!«

Die beiden Rancher schweigen. Hull braucht zwei volle Minuten, in denen er sich nicht bewegt und nur starr vor sich hin sieht. Endlich hebt er den Kopf, blickt Jim grimmig an und sagt fauchend:

»Wir sehen uns wieder, Schlangenfresser, dann bring deinen letzten Willen und das Geld mit, das du für einen Sarg brauchst! Wir sehen uns noch!«

»Sei ein Narr, wenn du willst!«

Jim bleibt stehen, blickt genau auf Hulls rechte Revolverhand und wartet. Aber diesmal ist Hull schlauer, er versucht nichts, wenn auch seine Kiefer hörbar mahlen. Er reitet mit den anderen an, jagt aus dem Tor und in gerader Linie die Straße nach Nordosten entlang.

Hinter Jim knarren die Dielen des Hauses. Dunn kommt seufzend heraus und lehnt sich an die Wand.

»Jim«, sagt er ernst, »er hat dich angreifen wollen, das hat jeder gesehen. Jetzt hat er eine Beule am Kopf und sicher das Summen in seinen Ohren – und du hast einen Feind, obwohl du sonst keinen hast. Muß ich mir um dich Sorgen machen?«

»Ich glaube nicht, Howard«, erwidert Jim Reynolds ruhig. »Was haben diese Leute bei dir gewollt und weshalb wollte Hull das Papier haben?«

Howard Dunn seufzt noch einmal, blickt sich dann nach Davis um und brummt:

»Gehen wir besser ins Haus, eine fürchterliche Hitze heute. Und zu dem verdammten Ärger da oben am Humboldt nun auch noch dies. Die Geschichte ist lang und ziemlich rauh, komm herein und laß dir einen Drink geben. Smith, hol eine Flasche aus dem Keller und einen Eimer kaltes Wasser!«

Er geht vor Jim her in sein Büro zurück, stellt den Stuhl wieder hin, gegen den Hull geprallt ist, und knetet seine Hände, daß die Gelenke knacken.

»Du bist in Reno gewesen?«

»Ja!«

»Nun gut, ich habe nach allen möglichen Orten telegrafiert, Junge. Setz dich doch, stehend wirkst du auf mich zu groß. Also – die alten Telegrafenmasten stehen nun fast zwanzig Jahre. Sie sind fast alle faul oder morsch. Zum Teil wurden einige hin und wieder erneuert, aber bei jedem Wind, der durch die Senken fegt, fallen Masten um. Du weißt doch, daß ich wegen der Linie mit der Western-Electric verhandelt habe?«

»Ja, ich weiß, du hast davon schon vor einem halben Jahr gesprochen. Jetzt sollt ihr also die Masten von

Frisco bis nach Salt Lake City erneuern?«

»Von Frisco bis Sacramento geht es, von dort bis Reno sind wir fertig«, erwidert Dunn seufzend. »Ärger macht nur noch die Strecke von Reno bis Salt Lake City, die Linie soll dem Verlauf der alten Auswandererstraße angepaßt werden und drei Querbalken erhalten. Alle fünfzig Schritt einen Mast, kannst du dir ausrechnen, was wir da brauchen?«

»Für zehn Meilen einen Berg von über dreihundert Masten«, gibt Jim zurück. »Und woher?«

»Ein Teil wird mit der Bahn bis Lovelock hierher gebracht, sie kommen aus den Wäldern um den Lake Tahoe, aber dann wird der Transport zu teuer, das weißt du ja alles. Die Bahn kann nicht jeden Tag für zehn Meilen Strecke Masten heranschaffen, außerdem steigen die Frachtraten dann so hoch, daß die Sache für die Western-Electric unrentabel wird. Also müssen wir hier in der Humboldt-Kette Bäume schlagen.«

»Und dort gibt es wenig, die Berge sind fast kahl«, brummt Jim »Eine feine Sache, wenn dort niemand wohnt, aber ich denke, dort wohnen genug Leute, wir haben eben ihren Besuch gehabt. Gehört ihnen der Wald da oben?«

»Ach was!« sagt Dunn grimmig und wird zornig. »Der Wald gehört dem Staat. Natürlich ist Wald ein Schutzgürtel, aber…«

»Aber wenn man ihn braucht, dann schlägt man ihn ab«, unterbricht Jim ihn nachdenklich. »Was haben die Leute in Kansas gemacht, nun? Abschlagen, nicht wieder aufforsten und einfach so liegen lassen, wie? Dann kommt Wind, reißt den Boden auf und Sand folgt, der das gute Land bedeckt. Alles erstickt. Ist das hier genauso?«

»Genauso – genauso«, sagt Dunn bissig. »Soll ich den Wald vielleicht aufforsten?«

»Das heißt also, du schlägst ihn ab, du hast die Genehmigung der Regierung, es zu tun. So ist es doch, Howard?«

Davis seufzt. Dunn flucht zwischen den Zähnen und beginnt, wütend auf und ab zu gehen.

»Jetzt paß gefälligst auf«, sagt Dunn dann bärbeißig. »Ich kenne schließlich die Berge dort, ich weiß genau, daß nicht viel Wald dort ist, aber es ist mehr dort gewesen. Dieser Lacombe hat vor drei Jahren ein Waldfeuer verursacht, das einige Quadratmeilen Wald gefressen hat. Leichtsinniger Bursche, wie? Meinst du, ich kann mit den abgestorbenen und aufgeplatzten Stämmen viel anfangen? Ich bin hergekommen und habe gesagt, daß ich die Genehmigung der Regierung zum Fällen haben muß, damit alles gesetzlich ist und nicht irgendein wilder Rancher auf mich losgehen kann. Ist das nicht genug? Die Regierung hat alles geprüft, die Genehmigung ist erteilt worden. Jetzt kommt dieser Strolch Lacombe, der sich erst selbst den Wald angesteckt hat, einfach her und macht mir Schwierigkeiten. Er hat die anderen aufgehetzt, die Bills Wagen überfallen und Bill angeschossen haben. Soll ich mir das gefallen lassen? Ich bin im Recht!«

»Du wirst immer im Recht sein, aber diese Leute werden sich auch im Recht glauben. Es hat also Ärger gegeben. Und nun soll ich hin und nachsehen, daß die Transporte nicht gefährdet werden, wie?«

»Das weißt du doch, Junge«, murmelt Davis. »Ich kann mich nicht um alles kümmern, schon gar nicht um laufenden Ärger. Du bekommst die Woche wie immer deine vierzig Dollar und sorgst für Ruhe. Mehr hast du nicht zu tun!«

»Mehr ist es nicht?« fragt Jim Reynolds leicht spöttisch. »Es ist ungefähr so, als wenn du mich mitten unter einen Haufen liebesbedürftiger Klapperschlangen wirfst. Howard, Art ist ein Gemütsmensch, wie? Du hast nun die Genehmigung und fällst die Bäume, was die Rancher zu verhindern suchen. Wieviel Rancher gibt es dort oben?«

»Ein Dutzend ungefähr, aber nicht alle liegen an den Waldstreifen, die wir fällen wollen«, erwidert Dunn. »Jim, ich habe einen festen Kontrakt und die Genehmigung, ich muß bis zum Monatsende hundert Meilen Mastenstrecke gesetzt haben, teilweise einen ganz neuen Abschnitt. Im Camp sind hundertsechzig Mann: Mastenaufsteller, Holzfäller, Fahrer, Drahtzieher und noch einige andere Gruppen. Bei diesen Schwierigkeiten werde ich nicht mit der Arbeit zum Termin fertig.«

»Fertig?« fragt Jim Reynolds knapp. »Du bekommst für die ganze Strecke eine feste Summe, so ist es doch. Arbeitest du länger an ihr, dann wird dein Gewinn immer kleiner. Hat die Telegrafengesellschaft dir Gelder für die Wiederaufforstung gegeben?«

Dunn wechselt einen Blick mit Davis, kratzt sich am Kopf und sagt endlich:

»Hat sie, aber – ich werde nicht aufforsten, wenn ich weiter solchen Ärger mit den Ranchern habe, verstehst du? Ich will ihnen ja nicht schaden, aber rede mit ihnen, wenn sie den Verstand ihrer Kühe angenommen haben! Ich sage dir, ich bin ein ehrlicher Mann…«

»Ach, Howard«, sagt Jim grinsend. »Ehrlich ist jeder, solange er nicht ein dickes Geschäft machen kann, dazu gehörst du auch, ich kenne dich. Du wirst aufforsten, das mußt du mir schon versprechen, wenn ich dir helfen soll.«

»Siebentausend schöne Dollar«, sagt Dunn jammernd.

»Du wirst aufforsten!«

»Sieben – hol dich der Teufel. Ja, ich tue es!«

Jim setzt sich wieder und greift nun erst nach der Flasche.

»Du bist wirklich der hartnäckigste Halunke, der mir jemals begegnet ist«, sagt Dunn jammernd. »Oh, warum habe ich dich bloß damals in den Bergen aufgelesen und mitgenommen? Heute macht der Kerl mich mit seiner Rechthaberei ganz krank und elend.«

»Ich wäre auch allein durchgekommen.«

»Ja, wahrscheinlich hättest du wirklich Schlangen gegessen«, brummt Howard Dunn bissig. »Dir ist alles zuzutrauen, Junge. Wann willst du reiten?«

»Wenn ich genau weiß, daß diese Leute da oben nicht mehr Recht haben als du auch«, erwidert Jim Reynolds kurz. »Hast du eine Karte hier? Ich kenne die Gegend da oben zwar ganz gut, aber genau den Ort bestimmen, an dem der Wald steht, das kann ich nicht.«

Dunn geht zum Schrank, zieht eine Armeekarte heraus und breitet sie auf dem Tisch aus.

»Hier«, sagt er halblaut. »Die Humboldtberge liegen in einer Kette von Süd nach Nord. Ihr höchster Punkt ist der Star-Gipfel im Norden, am Stern-Gipfel gibt es keinen Wald, aber unterhalb des Gipfels, knappe zwei Meilen tiefer wächst Wald genug. Es ist nur ein ganz schmaler Streifen. Steiles Gelände, viel Felsen, wenig Gras, und zundertrocken, hier hast du die Bäche, ich zähle sie dir von Norden herunter nach Süden auf.«

»Schon gut«, murmelt Jim und beugt sich über die Karte. »Der beste Wald ist ganz im Süden am Büffel-Gipfel, er führt dann bis nahe an das Terrassenland im Westen heran. Du kannst die Wagen also nahe genug heranbringen, stimmt es?«

»Wenn du es weißt, was fragst du mich dann, Junge?« antwortet Howard und steckt sich eine Zigarre an. »Hier sind die Minen, siehst du?«

Jim Reynolds sieht die eingezeichneten Minenstellen und fährt mit dem Finger die Bergkette entlang bis weit nach Südosten nach Imlay.

»Also, Imlay ist Station?«

»Nein, es ist eine Rancherstadt, kein Platz für Leute, die Ärger mit den Ranchern haben«, sagt Art Davis heiser. »Wir haben das Camp bei Valery Siding. Aus dem Eldorado Creek kommt genug Wasser für die Maultiere und Pferde, das Camp liegt fünftausend Fuß hoch an dem Waldstück hier. Der Ärger kommt von diesen Ranches, da hast du sie, die Torrington-Ranch, hier die von Lewis und dort die von unserem Freund Lacombe. Weiter im Süden die Ranches von Sherman, Dickins, Hartney, Fields und Jessup. Das sind acht Ranches, die uns Schwierigkeiten machen. Zwanzig Meilen haben unsere Wagen zu fahren, eine Entfernung, die bei dem hügeligen Gelände nicht zu überblicken ist. Ein Mann müßte dauernd unterwegs sein, um aufzupassen.«

»Also – ich?« fragt Jim langsam. »Hier ist das Camp, eine ziemliche Entfernung bis zur weitesten Einschlagstelle, aber kaum zu ändern. Howard, habe ich den Befehl, wenn ich…«

»Natürlich«, erwidert Dunn knapp. »Ich will Sicherheit für meine Leute haben, jeder dort wartet auf dich. Du hast nicht nur die Transporte für die Telegrafenlinie, sondern auch die für die Bergwerke zu überwachen. Kein Stamm ist so kurz, daß er nicht noch einige Stützstreben für die Bergwerke hergibt. Ich habe zusätzlich einen Kontakt mit den Minen geschlossen.«

»Aha!« sagt Jim Reynolds.

»Was heißt ›aha‹?« fragt Dunn brummig. »Soll ich das Holz verbrennen? Lieber mache ich aus ihm Geld – und die Minen zahlen nicht schlecht. Wir liefern pro Tag sieben bis zehn Kubikmeter Stempelholz – auf dem Papier, denn in Wirklichkeit kommt nicht die Hälfte über den Weg. Die Leute haben nach Billys Verwundung einfach Angst zu fahren. Statt drei Wagen und drei Fuhren über den Weg gehen zu lassen, da warten sie aufeinander, so entstehen Pausen. Und niemand kann sie dazu bewegen, allein zu fahren. Jeder hat Angst, daß es aus irgendeiner Richtung knallt. Ich kann nicht mehr Löhne zahlen, keine Gefahrenzulage. Also, reite hin und sieh dich um, Junge. Da hast du die Genehmigung, lies sie dir durch.«

Jim Reynolds greift schweigend nach der Genehmigung, studiert sie und weiß, daß Howard Dunn im Recht ist, wenn er Wald einschlägt. An der Genehmigung ist nichts auszusetzen.

»Der Sheriff?« fragt er kurz. »Was sagt der Sheriff zu dem Schuß auf Bill?«

»Was soll der Mann groß sagen können?« fragt Dunn bitter. »Drei Männer sind bereit zu beschwören, daß sie nicht zuerst zur Waffe gegriffen haben. Will er gegen drei Aussagen etwas tun? Außerdem ist er kein Freund von Holzfällern und steht auf der Seite der Rancher, das kannst du dir denken. Sieh zu, daß du nach Möglichkeit allen Streit mit ihm vermeidest.«

»Er heißt Milton?«

»Du kennst ihn?« erkundigt sich Dunn erstaunt. »Ja, John Milton, kennst du ihn gut?«

Jim richtet sich auf, greift nach seinem Hut mit dem Klapperschlangenband und stülpt ihn wieder auf seinen Kopf.

»Ja«, sagt er träge. »Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, daß er jemand ganz und gar nicht leiden kann, denn der Jemand hat seinen Vetter einmal angeschossen!«

»Wer? Du doch nicht etwa?« fragt Dunn besorgt.

»Ich nicht, ich spreche von unserem Freund Lee Hull«, gibt Jim zurück. »Ich möchte wetten, daß er Lee nicht leiden kann. Wie lange ist Lee bei diesem Lacombe?«

»Keine Woche«, meldet sich Davis. »Er ist ziemlich überraschend für uns aufgetaucht, wir haben mit diesem Burschen nicht gerechnet. Die anderen drei, die Bill angeschossen haben, kennst du wahrscheinlich. Zwei Brüder und ihr Vetter – die Tylers!«

»Was, Joe, Adam und Barton Tyler etwa?«

»Du sagst es, Jim. Hast du Barton nicht mal bei Tilda aus dem Saloon geworfen?«

Jim Reynolds lächelt und nickt.

»Er hat seine Zeche nicht bezahlen können und ist frech geworden«, sagt er dann trocken. »Die alte Eule wollte, daß ich ihn hinauswerfe. Zufällig war das Fensterkreuz in seinem Weg.«

Dunn und Davis beginnen zu lachen, sehen Jim schon auf die Tür zugehen und Smith hereinkommen.

»Brauchst du Verpflegung, dann laß sie dir geben«, ruft Dunn Jim Reynolds nach. »Jim – und dann paß auf, daß du Lee Hull nicht auf einmal hinter dir hast, das soll seine Art sein.«

Jim hält noch einmal an und zwinkert mit den Augen.

»Klapperschlangen«, sagt Klapperschlangen-Jim zwinkernd. »Klapperschlangen klappern nicht immer, die Leute sagen das, aber die wenigsten wissen, daß es nicht stimmt. Ich bin immer darauf vorbereitet, sie nicht zu hören – vielleicht weiß der gute Lee das auch nicht, Howard. Mach dir nur keine Sorgen.«

»Er wird auf dich auch aus dem Hinterhalt feuern«, warnt ihn Davis besorgt. »Sieh dich vor, Jim, du kennst ihn vielleicht auch zu wenig.«

»Nur vielleicht«, murmelt Jim und geht aus dem Haus. »Nur vielleicht.«

Er marschiert über den Hof zum Depot und läßt sich einen Packen mit Verpflegung geben, dann sitzt er auf und reitet aus dem Tor.

Er ist noch keine dreißig Schritt geritten, als er den Mann vom Gehsteig treten sieht und die halb erhobene Hand von Sheriff John Milton erkennt, die ihm ein deutliches Stop-Zeichen zuwinkt.

Jim Reynolds hält an und sieht von oben auf den näherkommenden Sheriff herab.

Milton, ein ruhiger Mann in den Vierzigern, dessen Schnurrbart nach oben in der Art von General Nelson A. Miles gezwirbelt ist, hat beide Daumen in den Waffengurt gehakt.

»Ich habe dich kommen sehen, Jim«, sagt er langsam. »Danach bin ich neugierig geworden und habe über den Zaun geblickt. Ich muß sagen, du lebst in letzter Zeit ziemlich gefährlich, mein Freund. Lee ist ein Bursche, der irgendwie deinen Klapperschlangen gleicht, vergiß das nicht eine Sekunde. Er hat die prächtigste Beule am Kopf, die ich seit langem bei jemandem gesehen habe. So schnell ist er noch nirgendwo hinausgeflogen – und das wird ihn mehr wurmen als die Stiche in seinem bösen Kopf.«

»Meinst du, John?« fragt Jim sanft. »Nun, wer sich schlecht beträgt, der muß gehen – oder gegangen werden.«

»Hat er dich anzugreifen versucht?«

»Ach«, macht Jim. » Sucht jemand einen Grund, um ihn endlich in den Käfig zu stecken, in den er schon sehr lange Zeit gehört?«

»Ich würde ihn kaum in einen Käfig bekommen«, murmelt der Sheriff. »Also hat er dich angegriffen?«

»Nur ein Versuch, den ich rechtzeitig erkannt habe, mein Freund.«

»Dieser Versuch wird nicht der einzige bleiben. Und immer erkennt man nicht alle Dinge, Jim. Du reitest für Howard?«

»Das hast du dir gleich ausrechnen können. Ja, ich reite für ihn. Hast du etwas dagegen?«

»Nicht gegen ihn selbst, aber gegen die Genehmigung, den Wald abzuholzen, Jim. Die Regierung bestimmt etwas über unsere Köpfe hinweg.«

»Dann solltest du wissen, daß wieder aufgeforstet werden soll!«

Milton zuckt zusammen, blickt Jim groß an und sagt erstaunt:

»Woher hast du diese Weisheit?«

»Von Howard – ich habe ihn gefragt!«

»Wenn das so ist – nun gut, vielleicht kann ich einige Dinge für euch tun!«

»Du solltest nur das tun, was du als Sheriff tun mußt, Milton, nicht eine Sache mehr.«

»Manchmal ist das nicht leicht. Ich werde also demnächst zu euch ins Camp kommen und hoffe, daß alles ruhig bleibt. Jim, ich möchte nicht, daß du in eine Schießerei verwickelt wirst. Manche Leute schwören das Blaue vom Himmel herunter.«

Jim Reynolds blickt an ihm vorbei, kratzt sich am Kinn und sagt leise:

»Du meinst die Tylers?«

»Ich meine gar nichts, aber es wäre falsch, mich für einen Narren zu halten, der keine Augen und keinen Verstand besitzt, Jim. Fange nichts an, was du nicht übersehen kannst, Jim, das ist eine Warnung. Manchmal kann man nichts tun, selbst wenn man jemand nicht alles glaubt. Lacombe ist ein gerissener Bursche, es gefällt mir nicht, daß er Lee geholt hat, aber ich kann es nicht verhindern. Mußt du schießen, dann mach es rauh und sehr hart, verstehst du?«

»Ich werde nur das tun, was ich tun muß. Sonst noch etwas, John?«

»Ja«, sagt der Sheriff und blickt sich um. »Jemand hat mir gesagt, daß ihr einige neue Männer beschäftigt, einer von ihnen hat eine verdammte Ähnlichkeit mit jemandem, der auf einem Steckbrief aus Wyoming beschrieben ist. Er nennt sich hier Cartney, James Cartney, sieh ihn dir an.«

»Und wie war sein Name in Wyoming, John?«

»Nelson Strong. Ein Bandit, der neben Rindern auch Geld gestohlen hat, ein ziemlich rauher Bursche. Kann sein, daß er seinen Namen gewechselt hat. Zuletzt hat er versucht, die Deadwood-Stagecoach zu überfallen, man hat ihn also in Montana gesehen. Dort hatte er allerdings kein Glück. Er soll einige Freunde haben, vielleicht ist er mit ihnen zusammen. Ich habe es erst vor drei Tagen erfahren.«

»Gut, ich sehe ihn mir an, ihn und seine Freunde. Sonst hast du nichts mehr, John?«

»Im Augenblick nichts, aber achte auf deinen Rücken. Lee ist eine verdammte Klapperschlange!«

»Bis jetzt hat mich noch keine beißen können«, erwidert Jim Reynolds und nimmt die Zügel hoch. »Und ich denke nicht, daß mir das einmal passieren wird, John!«

Er reitet an und verläßt die Stadt. Diesmal nimmt er nicht die Straße, sondern kreuzt sie nach jeweils einer Meile, um einige hundert Schritt rechts oder links neben ihr nach Nordosten zu reiten.

Immerhin könnte Lee Hull doch nicht klappern.

Jim Reynolds ist etwas vorsichtig geworden.

*

Um vor dem Wind geschützt zu sein und Schatten zu haben, ist das Camp mitten auf eine abgeholzte Fläche im Wald gelegt worden.

Jim Reynolds hört die Rufe der Männer, die gerade Mittagspause machen, zieht den würzigen Duft von Tannenreisern ein und reitet durch den träge dahinziehenden Rauch der vielen Kochfeuer auf die schnell errichtete Baracke zu, die Art Davis als Zweigstelle dient. Vor dem Büro, das drei Räume hat, sitzt Barney in der Sonne, ißt von einem tiefen Blechteller und grinst, als er Jim ankommen sieht.

Linker Hand stehen einige Zelte, darunter das der Western-Electric-Telegrafenkompanie, vor dem Maulesel mit Vermessungsstangen und einem Theodolitenkasten stehen. Mehrere Männer sitzen zu Jims Überraschung dort und rauchen. Sie haben sicher schon gegessen, müßten unterwegs sein und schlagen doch hier die Zeit anscheinend tot.

Von allen Seiten kommen Männer in kleinen Gruppen herangelaufen, einige bringen ihr Essen mit und begrüßen Jim mit lauten Rufen.

Jim Reynolds steigt ab, wirft die Zügel seines Pferdes locker um den eingeschlagenen Pfahl vor dem Bretterschuppen und muß dann mehr als drei Dutzend Hände schütteln. Bat und Duncan Sprudis, jeder von ihnen kommandiert eine der Kolonnen der Wagenfahrer beziehungsweise Holzfäller, bauen sich vor ihm auf und mustern ihn mit kritischen Blicken.

»Hoo«, sagt Bat mit dem üblichen Begrüßungswort aller Waldmänner. »Du kommst spät – aber nicht zu spät. Bill ist da drin und zählt die Fliegen an der Wand. Was macht Howard?«

»Als ich ihn verließ, nahm er eine Flasche Whisky aus einem Eimer mit kaltem Wasser.«

»Er sollte uns lieber ein Dutzend Flaschen liefern, damit wir den Ärger besser runterspülen können«, erwidert Duncan Sprudis grimmig. »Jim, wenn nicht der ausdrückliche Befehl bestände, die Ohren an den Kopf zu pressen und nichts zu tun, dann würden wir alle vereinigten Ranchermannschaften verprügeln und der Weg wäre frei! Hast du gehört, daß Lacombe diesen Revolverschwinger Lee Hull angeworben hat?«

»Na, sicher, ich habe«, sagt Jim nachlässig. »Ich bin ihm begegnet.«

Die Männer, es sind jetzt eine ganze Menge geworden, sehen sich an. Dann ruft der kleine Oats von hinten lärmend:

»Und was hast du getan?«

»Ihn aus dem Bau von Howard geworfen, als er auf mich losgehen wollte, Ted!«

»Yeiiihhhh!« schreit Bat Sprudis. »Endlich etwas, worüber man nur Freude haben kann. Hat er nicht versucht, seinen Mörderrevolver auf dich zu richten?«

»Er hat eine so große Beule«, sagt Jim und ballt die Faust. »Und sicher Mücken im Gehirn schwirren. Und ich hatte ein Gewehr unter dem Arm. Er wollte kein Selbstmörder sein und ist weggeritten. Nun mal Ruhe. Bat, warum sitzt ihr alle hier herum?«

»Er fängt schon an, kaum, daß er da ist«, sagt hinten jemand nörgelnd. »Jim, geh um die Ecke, dann siehst du einen Wagen, in den Holzwürmer in Bleiform einige Löcher gemacht haben. Nicht mal gesehen haben wir die Burschen, die aus dem Hinterhalt auf den Wagen geschossen haben!«

»Wer?« fragt Jim scharf. »Wer hat den Wagen gefahren?«

»Ich – mit Layton«, sagt Oats bissig. »Und ich sage dir, diese Gauner haben ernsthaft auf meine Hacken gezielt, ich bin noch nie so schnell gerannt, um hinter einen Baum zu kommen. Fast hätten sie mich erwischt.«

Layton kommt jetzt mit Oats durch die Gasse der Männer und zeigt seine Jacke vor, in der ein Loch ist.

»Hier«, sagt er und steckt den Finger durch das Loch. »So nahe, wie leicht hätte der mich in den Hintern treffen können, was? Meine Rockzipfel haben geflattert wie eine Fahne im Wind.«

Die Männer grinsen leicht, als er sich an das Gesäß klopft. Jim wendet sich um, geht zur Ecke und sieht auch schon den Flachwagen. In den beiden Seitenbrettern sind eine Menge Löcher, das Holz ist teilweise ausgesplittert.

Aus dem Zelt der Western-Electric-Leute kommen jetzt zwei Mann herüber. Einer ist Jim bekannt, er hat schon öfter in Nevada gearbeitet und heißt Rawlins. Der andere trägt einen Kneifer und sieht etwas nach einem zu korrekten Mann aus, er hat sogar einen Gummikragen von drei Zoll Höhe um den Hals, aus dem sein Kopf wie der eines Vogels heraussieht.

»Hallo, Jim«, sagt Rawlins und bläst den Rauch seiner Pfeife in die Luft. »Wenn du einen Blick auf die Stangen dort hinten werfen willst, dann tue es, ich kann dir aber schon vorher sagen, daß Cowboys nicht immer Rinder mit Lassos fangen, sondern manchmal auch Stangen. Sie haben hinter uns, ehe wir etwas begriffen haben, drei Dutzend unserer Stangen umgerissen. Und natürlich sind die Stangen zerbrochen.«

»Ja«, sagt jener steifhalsige Mister würdevoll, während sich sein Gesicht rötet. »Sehen Sie hier diesen Hut, Mr. Klapperschlangen-Jim? Und dann sagen Sie mir, ob das ein Loch ist. Jemand hat mir meinen Zylinder vom Kopf geschossen.«

»Wo?« fragt Jim, der sich ziemlich unglücklich bei all den wilden Klagen vorkommt. »Wo, Mister – eh?«

»Harkinson, Thomas B. Harkinson, ich bin der Chefvermesser unseres Trupps, mein Freund«, erwidert der steifhalsige Mann hastig. »Es ist zwischen Humboldt und dem Florida Canyon gewesen. Auf einmal kracht es ganz laut, und mein schöner Zylinder…«

»Gut«, unterbricht ihn Jim. »Und nun arbeiten Sie nicht weiter, Harkinson?«

»Bin ich wahnsinnig?« fragt Harkinson empört. »Zwei Zoll tiefer, und ich würde nicht mehr leben. Mr. Reynolds, niemand kann verlangen…«

»Sie arbeiten im Kontrakt für Ihre Gesellschaft«, antwortet Jim gelassen. »Mr. Harkinson, wie sollen die Männer hier Masten aufstellen können, wenn keiner weiß, wohin man sie zu pflanzen hat? Haben Sie dafür eine Erklärung?«

»Äh – ich werde einen Bericht machen – ich habe die Hälfte schon geschrieben«, sagt Harkinson verlegen. »Hier muß ein Sheriff her, nicht dieser Mr. John Milton, der auf beiden Augen blind zu sein scheint. Meine Gesellschaft kann nicht verlangen, daß ich mich für sie totschießen lasse. Davon steht nichts in meinem Kontrakt.«

»Schon gut, Harkinson«, sagt Jim kurz. »Ehe Ihr Bericht erst einmal von der Gesellschaft geprüft worden ist und jemand herkommt, um für Ordnung zu sorgen, vergehen vierzehn Tage. Das heißt, daß in vierzehn Tagen keine zehn Meilen Masten gesetzt werden.«

»Ja, aber – Jim, Augenblick mal«, sagt Rawlins wütend. »Einer unserer Drahtspanner hat auf dem Mast gehockt, um den Draht anzuziehen. Und jemand hat eine Kugel unterhalb seiner Sitzfläche in den Stamm gejagt. Der wilde Kerl hat den Drahtspanner mit jedem weiteren Schuß jeweils ein Stück höher den Mast hinaufgejagt. Als er oben war, da hat er den Halt verloren und ist heruntergesaust. Willst du dir den Mann und sein gebrochenes Bein ansehen? Jeder von den Drahtziehern erwartet, sobald er auf dem Mast hockt, daß ihm die gleiche Geschichte passiert. Stell dir vor, du sitzt auf einem Mast und jemand schießt auf dich. Das ist kein schönes Gefühl.«

Jim Reynolds senkt den Kopf und überlegt einen Moment. Dann sagt er bitter: »Habt ihr einen der Burschen erkannt?«

Harkinson schüttelt den Kopf, aber da sagt Bat Sprudis knapp:

»Ich bin sicher, Joe Tyler erkannt zu haben, nachdem auf Oats geschossen worden ist. Wenig später bin ich dort gewesen und habe drei Mann flüchten sehen. Der letzte hat sich umgesehen. Es ist dieser Bursche Joe Tyler gewesen, Jim.«

»Für wen arbeitet Tyler, für Lacombe?« fragt Jim.

»Nein, für den alten Sam Lewis, Jim.«

»Lewis«, stellt Jim grimmig fest. »Und seit wann sind die drei Burschen bei ihm?«

»Etwa seit einem Monat, Jim.«

»Gut, Bat, dann wird man sich um Lewis kümmern müssen. Oats, ist Charles Seldon hier?«

Oats schüttelt den Kopf und meint:

»Er ist mit Shinwell und Don Bonham unterwegs und schafft Stempelholz in die Mine am Büffel-Canyon. Ist irgend etwas mit ihm?«

»Nichts, du kannst dein Pferd nehmen und sie holen, sie sollen sich beeilen, ich brauche sie hier. Sage ihnen, daß sie bis zur Dunkelheit hier sein sollen.«

»Aber die Zeit…«

»Oats, du holst sie her, das ist alles. Bat, Duncan, ihr beide kommt mit zu Bill Dollin. Du auch, Barney, ich habe mit euch zu reden!«

Er geht mit Barney und den anderen in die Baracke, in deren letzten Raum er Bill Dollin findet. Bill liegt auf einem Feldbett aus Armeebeständen, hat den rechten Arm angezogen und in der Schlinge, seine Schulter ist dick bandagiert.

Bei Jims Eintritt hebt er matt die linke Hand und lächelt.

»Fein, daß du da bist, Jim. Ich habe nicht angefangen, sie lügen, diese hinterlistigen Schlangen.«

»Ja, du brauchst mir das nicht zu sagen. Wie ist es gekommen, Bill?« fragt Jim und setzt sich neben dem Feldbett auf einen Schemel. »Du bist noch mit dem Wagen unterwegs gewesen?«

»Ja, ich bin durch das Tal westlich von Imlay gefahren, Jim. Ich habe Verpflegung aus der Stadt geholt, die dort von der Bahn gelagert wird. Der Weg führt durch eine Gebüschstrecke, dort haben sie auf mich gewartet und mir von hinten ein Lasso über den Kopf geworfen, um mich zu Boden zu reißen. Dabei haben sie nicht gut genug geworfen, so daß ich meinen Arm freibekommen habe und das Lasso zerschneiden konnte. Doch es hat nicht viel genutzt. Sie haben ohne Warnung geschossen, noch ehe ich meinen Revolver gezogen hatte.«

»Wer?«

»Barton Tyler, Jim. Er schoß ohne Vorwarnung, es hat sofort gekracht.«

»Bill, ich werde mich darum kümmern«, verspricht Jim Reynolds. »Fehlt dir hier was?«

»Nichts, ich habe alles, Jim. Nur – erwische die Burschen richtig!«

»Darauf kannst du dich verlassen, Alter.«

Er nickt ihm zu, geht in das Büro und setzt sich auf den Tisch.

»Also, Nick, du hast das Kommando, wenn Art nicht hier ist«, sagt er ruhig. »Warum hast du nichts getan, um die Sache schneller voranzutreiben?«

»Augenblick«, brummt Nick Barney. »Erstens ist es erst heute in der Frühe passiert. Und zweitens hat Art gesagt, er würde bis zum Nachmittag hier sein. Du bist an seiner Stelle gekommen, also wirst du auch die Befehle geben. Soll ich einen Befehl geben, ehe Art hier ist? Ich kann mich irren und alles falsch anfangen. Wenn es nach mir ginge, dann würde ich nach Imlay reiten – mit fünfzig Mann!«

Bat und Duncan Sprudis wechseln einen Blick, dann sagt Duncan grimmig:

»Gib einen Befehl, dann brechen hundert Mann auf und gehen zur Stadt, um sämtliche Burschen zu verdreschen, die es verdient haben!«

»So siehst du aus«, brummt Jim. »Wir fangen nie etwas an. Und wenn – dann auf eine Art, die uns ganz unschuldig erscheinen läßt. Paßt jetzt auf, Männer: Wir können nicht warten, bis sich Sheriff Milton um die Dinge hier kümmert. Erstens wird er niemanden finden, der für diese Schüsse verantwortlich zu machen ist, zweitens unternehmen die Rancher in der Zeit auch bestimmt nichts, um sich nicht ins Unrecht zu setzen. Ich weiß, was du sagen willst, Bat, aber beweise Joe Tyler mal, daß er wirklich geschossen hat.«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Und sein Bruder und sein Vetter werden beschwören, daß sie fünfzig Meilen weit weg mit ihm gewesen sind, als du ihn gesehen haben willst. Mach dir doch nichts vor, dieser Kampf ist heimtückisch. Wir werden die besten Männer einteilen, so daß auf die einzelnen Wagenkolonnen jeweils zwei Wachmänner kommen. Die Drahtspanner und Vermesser bekommen auch zwei Mann, insgesamt werden wir höchstens zehn Leute brauchen, die sich hart genug fühlen, um zu schießen, wenn andere das auch tun. Beginnen unsere Gegner eine Schießerei, so müssen sie sicher sein, daß niemand kneift und zurückgeschossen wird, das wird die Dinge ändern können. Bat, wen willst du haben, um bei den Wagen für Ordnung zu sorgen?«

»Shinwell und Oats, die beiden!«

»Und du beim Holzfällercamp, Duncan?«

»Gib mir Bonham und die beiden Laytons!«

»Du kannst sie haben, Duncan. Bleibt noch der Transport zur Mine, wen nehmen wir hier? Bat, mach einen Vorschlag!«

Bat Sprudis denkt einen Moment nach, dann sagt er knapp: »Ich würde sagen – Cartney und Tucker!«

»Cartney«, sagt Jim überrascht. »Wer ist Cartney?«

»Ein eisenharter Bursche, gefährlich und rauh, sehr schnell mit dem Revolver. Er hat gesagt, er würde es mit zwei der drei Tylers allein aufnehmen, und ich glaube ihm das, Jim!«

»Was macht er jetzt?«

»Er fährt die Minenstrecke und kennt den Weg genau, darum mein Vorschlag. Zudem hat er ein eigenes Pferd, genau wie Tucker, Jim.«

»Tucker, ist das sein Partner?«

»Ja, sie schlafen zusammen in einem Zelt. Tucker ist schweigsam und immer ein wenig finster, aber hart ist er. Genau der richtige Mann.«

»Hat er noch mehr Freunde hier?«

»Da ist nur noch Sidney Cooper, er ist mit den anderen beiden gekommen«, antwortet Bat Sprudis. »Warum fragst du nach ihnen so merkwürdig, Jim?«

»Nenne einige andere Namen, diese drei kommen nicht in Frage, Bat.«

Bat sieht ihn bestürzt an, schüttelt den Kopf und sagt:

»Das verstehe ich nicht, es sind unsere besten Leute für diese Arbeit. Hast du etwas gegen sie?«

Sie wissen nichts von der Nachricht, die Sheriff Milton bekommen hat, denkt Jim verwirrt. Im Camp scheint nichts über sie bekannt zu sein. Woher, zum Henker, hat Milton dann die Nachricht bekommen?

»Meine Gründe«, sagt er kühl. »Bat, nenne zwei andere Männer, ich kann weder Cartney, Tucker noch Cooper gebrauchen. Zwei andere – nun?«

»Wenn du Gründe hast – nun gut«, sagt Sprudis nachdenklich. »Dann nimm den alten John Miller und Lacy Trout, sie sind beide alt, wissen aber genau, was sie zu tun haben. Kann man erfahren, was du für Gründe gegen die drei Männer hast?«

»Nein«, brummt Jim. »Sind sie jetzt unterwegs?«

»Sie müßten auf der Rückfahrt von der Mine sein.«

»In Ordnung, Barney kann mir den Weg zeigen, den sie fahren, ich reite hin und sehe mich um. Das ist alles, ihr Burschen. Sagt Harkinson, daß er zwei Wachmänner aus seinem Verein bestimmen soll. Zulage zwei Dollar pro Tag, ich werde das vertreten können – auch für die anderen!«

Die beiden Brüder stehen auf und gehen hinaus, während Barney sich die Wasserflasche nimmt, einen Schluck trinkt und ihn wieder ausspuckt.

»Was ist mit den drei Burschen los, ich habe keinen Anlaß, über sie zu klagen, Jim«, fragt Barney dann. »Sie machen ihre Arbeit ordentlich.«

»Ja, ja«, murmelt Jim. »Zeig mir jetzt den Weg, den sie fahren, die Karte hängt dort an der Wand.«

»Du willst also nichts verraten?«

»Du merkst aber auch alles. Ich rede nie über Dinge, die noch nicht spruchreif sind. Dieser Weg hier?«

Barney brummelt vor sich hin, erklärt ihm aber dann den Weg, den die Wagen von der Mine bis zum Camp nehmen und fragt abschließend:

»Willst du nichts essen, Jim?«

»Nein, ich habe genug Verpflegung bei mir.«

Jim geht hinaus, nimmt sein Pferd und läßt diesmal das Packpferd stehen. Mit nur einem Pferd bricht er auf, hält sich etwas abseits des Weges, der sich an der Westflanke der Humboldtberge entlangzieht und ist kaum eine Stunde unterwegs, als er drei Wagen sieht. Es sind Shinwell, Bonham und der alte Miller, die in Begleitung von Oats den Weg heraufgefahren kommen. Jim zeigt sich nicht, läßt sie vorbei und reitet, als sie außer Sicht sind, langsam weiter.

Er mag zwei Meilen entfernt sein, als er zwischen den Büschen die Pferde und die Wagen sieht. Es sind drei Wagen, die am Rand einer Weglichtung gehalten haben. Drei Männer hocken im Schatten eines masthohen Pinyons und reden leise miteinander.

Langsam geht Jims Pferd an, bis er die Wagen und die drei Rast machenden Männer umrundet hat und im Waldsaum, versteckt zwischen den Bäumen, absteigen kann. Von hier aus legt Jim Reynolds die letzten achtzig Schritt zu Fuß zurück, muß ein Stück kriechen, kommt dann jedoch genau zwanzig Schritt hinter den drei am Boden hockenden Männern heraus.

Sie wenden ihm den Rücken zu, und der eine Mann links außen sagt gerade mürrisch:

»Dave, wenn es so weitergeht, dann werden wir nicht viel verdienen, denn sie zahlen keine Prämien für Leerfahrten. Dieser Reynolds wird sich etwas einfallen lassen müssen, sonst können wir packen und weiterziehen.«

»Ehe wir packen, gibt es noch einige Dinge zu tun«, sagt der zweite Mann finster. »Denkt gefälligst daran, daß wir hier nicht so leicht erkannt werden. Wer sucht schon jemand in einem Holzfällercamp?«

In diesem Augenblick hat sich Jim aufgerichtet, steht hinter dem vorletzten Baum und sagt scharf:

»Strong!«

Er sagt nur den Namen, aber die Wirkung ist verheerend.

Der Mann rechts außen wirft, heftig zusammenfahrend, den Kopf herum, dann schnellt er sich auch schon ab und rollt über den Waldboden hinter einen Baumstamm. Die anderen beiden Männer spritzen, als er jäh aufspringt, wie Hasen auseinander, und der Mann links zieht in der wirbelnden Bewegung seinen Revolver.

In der Sekunde, in der er stillsteht und schießen will, hat Jim seinen Revolver schon hoch, zielt kurz und drückt dann ab.

Der Schuß hallt donnernd unter den Bäumen wider, aus der Hand des Mannes fliegt der Revolver im Bogen davon. Der Mann reißt beide Hände nach oben, während der Bursche, der in der Mitte gesessen hat, mit zwei, drei wilden Sätzen auf den Wagen zufliegt, der ihm am nächsten ist.

Strong, der sich hinter den Baum geworfen hat, macht eine kleine Bewegung mit der rechten Schulter, als Jim kühl und ruhig sagt:

»Nicht schießen, Strong, ich will nichts von euch. Mein Name ist Reynolds, ich habe keine Absicht, euch auszuliefern. Sei friedlich und lege den Revolver hin. Ich komme ohne Waffe. Strong, ich komme ohne Waffe!«

Er schleudert seinen Revolver auf die langen Nadeln der Pinyons und tritt dann hinter dem Baum hervor.

Zwar sieht er im gleichen Augenblick, daß Strong seinen Revolver auf ihn gerichtet hat, während der Mann am Wagen sein Gewehr über den Kasten reißt, hinter dem er steht. Nur der dritte Mann, dem er den Revolver aus der Hand geschossen hat, nimmt jetzt die Arme langsam herab und sagt grimmig:

»Der Narr kommt wirklich ohne Waffe, Nelson! Mann, du bist verteufelt schnell und geschickt, ich habe nicht einmal einen Kratzer erwischt!«

»Das ist auch nicht meine Absicht gewesen«, brummt Jim und kommt ganz ruhig näher. »Strong, du kannst herauskommen, ich habe wirklich nur den einen Revolver und keine feindlichen Absichten. Was ihr in Wyoming und Montana angestellt habt, das geht mich nichts an – nur den Sheriff!«

»Den Sheriff«, stößt Strong, der falsche Cartney, heraus und taucht hinter dem Baum mit dem Colt im Anschlag auf. »Weißt du, daß du gleich sterben kannst, mein Freund? Woher weißt du meinen Namen? Nun, antworte, ich frage nicht gern zweimal – also?«

Jim tritt ruhig näher, bückt sich dann kaltblütig nach seinem Colt und steckt die Waffe ein, obwohl er nicht sicher ist, daß Strong die Nerven behält und nicht doch schießt.

»Mann«, sagt da der Bursche hinter dem Wagen, dessen grämliches Gesicht verrät, daß es sich um Tucker handeln muß. »Du bist ganz schön ruhig, an deiner Stelle würde ich es nicht sein. Woher weißt du von uns?«

»Ich habe mit Milton gesprochen«, erwidert Jim kühl. »Er hat eine Nachricht bekommen, daß sich im Camp ein gewisser Nelson Strong befinden soll, der einige Freunde besitzt. Ich frage mich, woher der Sheriff das weiß, wenn niemand im Camp eure richtigen Namen kennt. Tucker, sicher ist dein Name Miller oder Smith – und deiner wird auch ein wenig anders sein, Cooper, was?«

Die drei Männer sehen sich düster an, dann hebt Cooper seine Waffe auf, massiert seine Hand und brummt:

»Ich heiße wirklich so, Reynolds. Wann will Milton kommen? Ist er schon unterwegs?«

»Er hat davon gesprochen, daß er erst in den nächsten Tagen kommen will«, erwidert Jim. »Wahrscheinlich möchte er keinen Ärger mit euch haben und will, daß ich euch einen Tip gebe, damit ihr verschwindet. Dies ist nur ein Rat, ihr drei Burschen, verlaßt das Camp mit eurem ausstehenden Lohn und kommt nicht wieder in das County. Der Sheriff muß euch sonst einsperren. Ihr werdet in Wyoming und Montana gesucht«, murmelt Jim. »Kein Sheriff ist wild darauf, bei einer Schießerei mit Leuten aus einem anderen Staat eine Kugel zu erwischen – ich meine, er hat mir eine Warnung an euch übermitteln wollen. Macht ihm keine Schwierigkeiten und verschwindet!«

»Gut«, sagt Nelson Strong knapp. »Weiß jemand im Camp etwas – ich meine, hast du was gesagt?«

»Nichts!«

»Dann werden wir unser Geld holen. Reitest du wieder zurück, Reynolds?«

»Ich werde eher als ihr dort sein und das Geld bereitlegen lassen. Verschwindet so schnell ihr könnt, das wird für euch gesund sein!«

*

Er geht los, läßt die drei Männer zurück und reitet wenig später den Weg entlang, der zum Camp führt. Hier verläuft der Weg ein Stück schnurgerade, zieht sich eine Anhöhe hinauf und senkt sich dann wieder. Auf der Anhöhe zieht Jim die Zügel an, wendet sich im Sattel um und blickt zurück. Er kann die Staubfahne sehen, die die drei Wagen aufwirbeln. Sie folgen ihm also ziemlich rasch, seine Warnung hat genügt, um sie handeln zu lassen. Jim ist sicher, daß John Milton mit seiner Erwähnung von Strong sich Ärger ersparen will. Kaum ein Sheriff sucht nach Banditen, wenn diese aus einem weit entfernten Staat kommen und nicht gerade einen Mord begangen haben.

Jim reitet zurück zum Camp.

*

Der alte Griffith Augh fährt seinen Wagen genau unter die Bockrampe, die man am Ende des Hanges aus starken Bäumen errichtet hat und schielt auf den Baumstamm.

Der Baumstamm, von allen Ästen befreit und geschält, kommt rumpelnd den Hang herabgekollert. Er bleibt genau in der Rinne, saust dann mit dem dickeren Ende voran gegen die Baumstümpfe, die man mannshoch abgesägt hat, und bleibt nach dem tönenden Anprall liegen.

Schon kommen je zwei Mann mit den Seilen und den Schnapphaken heran, schlagen die Haken ein, treiben dann die Pferde an und ziehen den Stamm herum. Jetzt rutscht er über das letzte Stück bis auf die Rampe, unter der der Wagen steht. Einige Männer, die Arme und die bloßen Oberkörper voll von Baumharz, packen zu, rollen mit Stangen den Stamm weiter und lassen ihn dann auf den Wagen krachen.

»Mann«, sagt der alte Griff Augh seufzend, als Jim von links den Weg heraufreitet und bei ihm hält. »Was ist, wenn so ein dicker Zahnstocher mal über die Sperrbäume hinweggeht und auf den Wagen herunterdonnert? Der schlägt Mann, Pferde und Wagen entzwei wie nichts.«

Jim Reynolds schüttelt den Kopf, deutet auf die vielen Bäume, die man mannshoch abgesägt hat und die eine Sperre vor der Rampe bilden.

»Ich weiß nicht, wie ein Baum fallen soll, um hier herabzudonnern, Griff«, erwidert er nachdenklich. »Bis jetzt ist es noch nicht passiert. Hast du Angst?«

»Angst? Man kann nur einmal sterben«, sagt der Alte grinsend. »Wenn man wie ich immer mit Bäumen zu tun gehabt hat, dann wünscht man sich manchmal einen schnellen Tod, vielleicht durch einen Baum. Nur nicht alt werden, hilflos sein und niemanden haben, der einen versorgt. Anderen zur Last fallen.«

»He, was hast du, Alter?« fragt Jim verwundert. »Du und sterben, es müßte seltsam zugehen, hättest du diese Gedanken.«

»Gedanken, wer hat die nicht«, brummt der alte Griffith. »Erinnerst du dich an meinen Bruder?«

»Den die Indianer umgebracht haben?«

»Genau den. Stell dir vor, ich habe einen ganz verrückten Traum gehabt.«

»Einen Traum? Wer hat den nicht«, sagt Jim und lächelt dabei mit vielen Falten um die Augen. »Griffith, hast du geträumt, daß er drei Minuten vor dir geboren worden ist?«

Griffith Augh, der sich zeit seines Lebens mit seinem Zwillingsbruder darüber gestritten hat, wer von ihnen eigentlich älter gewesen ist, sieht Jim seltsam an und sagt bedrückt:

»Mir ist gar nicht so zum Lachen, Junge. Weißt du, wenn du träumst, daß du ein junger Mann bist, dann sagt das nicht viel, aber wenn du erst im Traum dich und deinen Bruder mit weißen Bärten auf einer Bank sitzen siehst und er sagt dir, daß er froh ist, dich endlich bei sich zu haben, dann wirst du doch nachdenklich!«

»Hast du das geträumt?« fragt Jim belustigt.

»Du glaubst mir nicht, was? Wohl, weil ich immer Lügengeschichten erzählt habe? Aber diesmal ist es wahr, wirklich, Junge. Ich habe neben Tude auf der Bank gesessen. Und sein Bart ist so weiß wie der meine gewesen. Komisch, was?«

»Du solltest«, sagt Jim und reitet an, »vielleicht einen Whisky trinken, Alter, das hilft gegen böse Träume. Griff, nimm nicht mehr als neun Bäume, verstanden? Der Weg dort hinten ist steil.«

»Bin doch kein Säugling«, meint Griffith. »He, sieh mal, wer da kommt!«

Bei seinem Ruf blicken sich ein Dutzend der Holzfäller um und sehen verstört auf den Kammweg, auf dem ein Mädchen auf einer Pintostute herabkommt.

Jim Reynolds kneift die Lider zusammen, nimmt dann sein Pferd herum.

Oats ruft: »Wer ist denn das? Doch wohl nicht die Tochter vom alten Lewis?«

»Ja, und jetzt halte deinen Mund und benimm dich anständig, Kleiner.«

Jim reitet den Hang hinauf und sieht dort die Säger die Arme in die Seiten stemmen. Sämtliche Männer an den Bäumen lassen die Arbeit liegen und blicken auf das Mädchen.

Reynolds jagt den Hang empor, kommt gerade rechtzeitig, um die ersten Rufe zu stoppen und zieht seinen Hut.

»Hallo, Miß Lewis«, sagt er freundlich. »Die Burschen hier sind alle ein wenig wild und ungeschliffen.«

»Hallo, Mr. Reynolds!«

Sie lächelt kurz, streckt ihm die Hand hin und nickt ihm zu.

»Ich habe noch nie eine Kolonne bei der Arbeit gesehen.«

»Nun, dann tun Sie es jetzt, kommen Sie mit, wir müssen hier herunter, man fällt hier die Bäume. He, macht schon weiter!«

Die Säger bücken sich. Wie überall sägt kein Mensch die Bäume etwa unten ab, sondern in halber Höhe, so daß man noch im Stehen die schweren M-Sägen durch das Holz reißen kann.

Das schnarrende Geräusch der in das Holz greifenden Zähne kommt wieder auf, und von oben ertönt der laute, hallende Ruf:

»Baum fällt! Baum fällt!«

Die Kiefer ächzt und stöhnt, dann neigt sich ihre Krone, jäh die Sonne freigebend, die sie solange verdeckt hat, immer rascher in die Waagerechte. Sonnenlicht fällt in einer breiten Bahn mitten auf die Pferde von Jim Reynolds und Linda Lewis.

»Oh«, sagt das Mädchen staunend. »Oh, die Sonne kommt…«

Den Rest des Satzes verschlingt der krachende Aufprall des Stammes.

»Kommen Sie nach unten, Lady, hier oben kracht gleich der halbe Baumbestand herab. Sehen Sie, wenn man schnell fällen will, dann sägt man die Bäume weiter unten nur wenig an, vielleicht zehn oder zwanzig in einer Reihe. Fällt man dann die Bäume weiter oben, so stürzen etwa zwanzig bis dreißig in einem Fall zu Boden. Das geht schneller, wenn es auch nicht gerade ohne Baumrisse abgeht. Kommen Sie hier weg, die Männer da oben laufen schon.«

Er zieht ihr Pferd bis auf die Höhe der Rampe und blickt dann von der Seite beobachtend in ihr Gesicht. Das Mädchen beobachtet nur die Männer oben.

Bat Sprudis, der oben bei den Männern ist, steht mit einer Heultonpfeife im Mundwinkel und ruft verzerrt:

»Fertig?«

»Wir noch nicht, Bat, Augenblick!«

Zwei Mann arbeiten wie wild an einem dickeren Baumstamm, reißen dann die Säge heraus und laufen hastig los.

»Fertig, Bat!«

»Alles fertig dort oben?«

»Fertig!«

Bat Sprudis bläst so kräftig, daß das heulende Wimmern der Pfeife durch Mark und Bein geht, dann beginnt hoch oben das erste Knarren. Eine Krone taucht, die anderen in ihrer Fallbahn streifend und wild peitschend, zwischen den schlanken Stämmen auf. Der fallende Stamm kracht an einen angesägten, schleudert diesen Stamm unter Ächzen und Knarren herum. Ein lauter Knall, der Stamm platzt von der Sohle her auf und dreht sich wirbelnd.

Bat Sprudis, obwohl im Grunde weit genug entfernt, rennt hastig zur Seite. Hinter ihm donnern drei, vier Bäume zu Tal, denen weitere folgen.

»Oh – der schöne Wald.«

Jim, der das Mädchen immer noch beobachtet, sieht den Schreck in ihrem Gesicht. Hat Linda Lewis eben noch gestaunt, dann steht nun Bestürzung in ihrem Gesicht, denn im Wald klafft eine breite Lücke, die alles kahl erscheinen läßt.

»Ja«, sagt er heiser. »Schön ist das nicht, aber die Telegrafenlinie muß sein, es ist nicht zu ändern, Miß Lewis. Viele von uns sagen, daß das Knarren der abbrechenden Bäume für sie so schlimm wie der Todesschrei eines Menschen sei. Es ist nicht so, daß die Männer ohne jeden Gedanken hier ihre Arbeit tun. Kennen Sie das Gedicht von White über den weinenden Wald?«

»Nein, Mr. Reynolds, ich wußte nicht, daß es ein Gedicht darüber gibt. Ruft man nach Ihnen?«

Jim sieht oben Bat mit beiden Armen winken und sagt knapp:

»Er will etwas. Augenblick, Miß Lewis, bleiben Sie hier unten! Was ist, Bat?«

»Drei hängen fest ineinander, bring den Anker mit!«

Auf dem Gerätekarren liegt das lange zusammengerollte Seil mit einem Dreizackanker. Jim nimmt das Seil, jagt den Hang hoch und hört schon die krachenden Axthiebe. Bat läuft vor ihm her auf ein halbes Dutzend Holzfäller zu, die drei in sich verkeilte Bäume losschlagen wollen, von denen einer noch steht.

Einer der Männer, dem der Schweiß über den Körper rinnt, sagt keuchend: »Ausgerechnet in die Gabel sind sie gesaust. Kommst du hoch genug?«

»Mal sehen.«

Jim Reynolds löst den Verschluß des Seiles, bindet das Ende an den Ring des Sattelhorns und wirbelt dann den Anker um seinen Kopf. Das Pfeifen des Ankers erfüllt die Luft, der Anker kreist immer schneller und fliegt dann rasend schnell, das Seil abspulend, hoch in die Luft.

Nach einer Flugstrecke von vielleicht zwanzig Metern schießt er genau zwischen den beiden Bäumen in die Astgabel des dritten Baumes.

»Du kannst es besser als einer von uns«, sagt Bat brummig. »Herum mit dem Gaul. He, kommt mit, wir ziehen auch noch!«

Jim reitet einen kleinen Bogen, das Seil spannt sich, der Anker gräbt seine scharfen Haken in den Stamm. Schon geht das Pferd weiter, knarrt oben die Gabel, rollt der Stamm leicht und fällt im nächsten Augenblick tosend herab.

Ihm nach stürzt der zweite Stamm.

»Mach den Anker los, Mike«, ruft Jim einem der Männer zu, die mit den Flachäxten auf die Bäume losrennen.

In dieser Sekunde sieht unten am Hang der alte Griffith Augh das Mädchen neben dem Wagen auftauchen und auf den herabkollernden Baumstamm blicken.

Sie beobachtet staunend den schnellen, polternden Fall des schon zugeschnittenen Stammes, der wieder an die Sperrbäume donnert und dann liegenbleibt.

Linda Lewis sieht den alten, schon fast weißbärtigen Mann freundlich an und fragt:

»Wieviel Stämme laden Sie auf den Wagen, Mister?«

»Neun«, erwidert Griffith. »Mehr läßt Jim nicht zu, obwohl der Wagen seine zwölf tragen kann. Der Weg da hinten ist steil, müssen Sie wissen, Miß Lewis. Da kommt ein Wagen leicht… He!«

Oben am Hang, an dem die Männer die Stämme entrinden und von vorstehenden Astresten befreien, schieben zwei Mann den nächsten Stamm aus dem Haufen der anderen zur Fallrinne. Sie wuchten mit ihren langen Hebestangen zwischen die Stämme, als plötzlich der ganze Haufen ins Gleiten kommt.

Es hört sich an, als wenn jemand auf einer Riesentrommel zu schlagen beginnt, die nassen Stämme geben beim Rollen und Kollern einen dumpfen, tackenden Laut von sich. Dann rollen auch schon die ersten über die Kante der Rinne.

Beide Männer springen weg, den einen streift noch ein Stamm und schleudert ihn herum. Während der Mann halbbenommen mit schmerzender Seite am Boden liegt, schreit der andere gellend:

»Vorsicht, die Rinne! Sie rutschen – sie rutschen. Den Wagen weg!«

Vielleicht erkennt der Holzfäller die Gefahr rechtzeitig, aber sein Ruf kommt bereits zu spät. Die Bäume, glatt und schlüpfrig, schießen den Hang abwärts, kollern die Rinne herab, überschlagen sich und werden hochgeschnellt, sobald einer quer auf einen anderen Stamm donnert.

Griffith Augh sieht den ersten Stamm kommen, jagt mit einem wilden, heiseren und erschrockenen Schrei seine Pferde an und fliegt bei dem Ruck nach hinten über das Sitzbrett.

Die Pferde ziehen an, der Wagen rumpelt los. Griffith Augh denkt zuerst an seine Pferde und den Wagen, der aus der Gefahrenzone muß.

Er handelt nicht anders als jeder gute Fahrer, der seine Pferde liebt. Sein verstörter Blick geht aus dem Liegen, während der Wagen wie irr über die Furchen rumpelt, den Hang herauf.

Griffith sieht einen Stamm im wirbelnden Fall den Hang herabkrachen, dann auf zwei andere prallen und wieder hochfliegen.

»Der Baum«, sagt der alte Mann heiser. »Mein Gott – der Baum!«

Und dann, als sein Blick auf das Mädchen fällt, das abgestiegen ist und neben der Rampe steht:

»Lady, fort, weg, schnell!«

Durch die Luft wirbelt der Baum herab, schießt jetzt an den ersten Sperrbaum und dreht sich wie ein Kreisel, dabei aber nur noch an Höhe gewinnend.

Griffith Augh stürzt vom Wagen, rennt los, hört den Schrei des Mädchens, das endlich die Gefahr erkennt und entsetzt auf den herumwirbelnden Stamm blickt.

Er rennt, ein alter Mann, der jetzt die Bewegung des Mädchens erkennt, der schon viele Bäume fallen gesehen hat und ihre Flugbahn schätzen kann. Und die Furcht ist in ihm, die Furcht, zu spät zu kommen, denn das Mädchen läuft zur falschen Seite. Es müßte unter die Rampe laufen und nicht von ihr fort.

In diesem Moment spannt der alte Griffith seine ganze Kraft an, schnellt sich ab und streckt mit einem Schrei die Arme vorwärts.

Er schleudert Linda Lewis nach vorn und sieht sie fallen, drei, vier Schritt weiter.

Er selbst liegt am Boden, ist hingestürzt und stemmt sich dann hoch, will sich noch wegwerfen, als er den Blick hebt und den Stamm kommen sieht.

Der alte Mann hat viele Stämme gefahren, viele, deren Rinde abgeschält gewesen, deren Harz aus den Wunden der abgeschlagenen Äste nach außen getropft ist.

Der Baum, denkt der alte Mann und gibt den Versuch auf, der sinnlos geworden ist. Der Baum…

Er hört einen hellen Schrei und spürt einen dumpfen Schlag.

Und der Baum kollert weiter, bis er jenseits des Weges liegenbleibt.

Über ihm aber, über der Rampe, hinter der das Mädchen liegt, poltern ein halbes Dutzend Stämme gegen die Sperrbäume, sausen zwischen ihnen durch und schlagen mit wildem Dröhnen auf die Rampe, die unter dem wütenden Anprall zusammenbricht.

Staub wirbelt hoch, Holz splittert und kracht auf den Boden. Stämme kollern und springen über den Weg, über die zerborstene Laderampe hinweg.

Das Mädchen wird zurückgeschleudert, prallt mit dem linken Bein irgendwo an und spürt einen stechenden, wilden Schmerz. Dann rieselt Erde, kommt Sand auf sie herab. Und die Rufe der Männer nähern sich der Rampe.

Von oben, mitten in dem wilden Tosen der stürzenden Stämme, rast Jim Reynolds auf seinem Pferd herunter, sieht den alten Griffith springen und das Mädchen wegfliegen.

Der Mann treibt sein Pferd zur rasenden Schnelligkeit an, erkennt die Wucht, mit der die Stämme auf die Rampe schlagen, den Staub, der hochwallt, und nichts mehr von dem Mädchen, das unter der Rampe verschwunden ist.

Jim Reynolds beißt die Zähne zusammen und reißt dann sein Pferd hart neben der Rampe herum. Er fliegt förmlich aus dem Sattel, wirft einen Blick auf den still am Boden liegenden alten Griffith Augh und wirft sich dann nach vorn in den Staub hinein.

Dort liegt der zerbrochene Tragebaum der Rampe, unter dem ein Stück Weiß matt durch den Staub schimmert. Dort stößt das Mädchen einen leisen, wimmernden Laut aus und liegt still.

»Kümmert euch um Griffith«, ruft Jim laut und stürzt in den Staub hinein. »Miß Lewis, Miß Lewis!«

»Mein Bein – mein Bein!«

Sie kann reden, denkt er, wenigstens kann sie reden. Mein Gott, wie ist das denn nur gekommen, wie können die Stämme denn alle auf einmal herunterrollen?

Dann ist er bei ihr, hebt sie vorsichtig hoch und ruft heiser:

»Merriwater, Merriwater, komm schnell, faß an!«

Der alte Higgs stürzt herbei, immer mehr Männer kommen, aber sie brauchen nichts mehr zu tun. Higgs und Jim fassen an, tragen das Mädchen, dessen Bein in Ordnung zu sein scheint, neben den Weg in das Gras und legen es vorsichtig nieder.

»Wo ist der Schmerz?« fragt Jim keuchend. »Miß Lewis, wo schmerzt es?«

»Im Fuß – Mr. Reynolds, im Fuß.«

Er betastet den Stiefel, hört sie stöhnen und dann das Knirschen ihrer Zähne.

»Moment, ich sehe nach, halten Sie still, Lady!«

Er nimmt sein Messer, schneidet den Stiefel, den er ihr unmöglich ausziehen kann, der Länge nach auf und zieht auch den Strumpf ab.

Der Knöchel ist geschwollen, er zeigt einen blutunterlaufenen und kreisrunden Fleck, der rasch größer wird.

»Was ist, Mr. Reynolds, ist der Fuß gebrochen?«

»Ich bin nicht sicher, Lady, es sieht mehr wie ein Bluterguß aus. Man kann es aber nicht wissen, am besten ist, Sie halten den Fuß still. Ich werde Sie zur Hütte schaffen lassen und reite dann in die Stadt, um einen Arzt zu holen. Merriwater, zwei Pferde, eine Trage und eine Decke, mach alles fertig. Moment!«

»Der alte Mann, er hat mich weggestoßen – der alte Mann«, sagt sie plötzlich furchtsam und zittert heftig. »Mr. Reynolds, was ist mit dem alten, freundlichen Mann?«

»Jim, komm her!«

Es ist Bat, der in langen Sätzen den Hang herabgesprungen ist und neben dem alten Griffith kauert.

Jim blickt sich kurz um, steht dann hastig auf und geht immer langsamer, je näher er seinem alten Freund und Fahrer kommt, der ihn einmal vor vielen Jahren in den Bergen Arizonas gefunden hat.

Der alte Mann liegt auf dem Rücken, hat die Augen offen und sieht ihn groß an.

Seine Jacke ist blutig, er muß rasende Schmerzen haben, liegt aber ganz still und hat die Hände zu Fäusten geballt.

»Griffith – Griffith«, sagt Jim tonlos und kauert sich neben ihm nieder. »Alter, was machst du denn nur für Sachen?«

Er denkt, daß Griffith nicht mehr reden wird, die ganze Seite muß eingedrückt worden sein, aber der Alte sagt ganz leise:

»Früher – früher habe ich solche – solche Zahnstocher an – an der Uhrkette getragen – Junge. Manchmal zwei – und noch mehr! Ist das Girl gesund?«

»Nur der Fuß verstaucht, mehr nicht, Alter.«

»Die Bäume – laß ein paar – ein paar um – um mich ste…«

»Griffith – Griffith!«

Er liegt da und lächelt, der Sohn eines Schotten westlich vom sturmumtobten Balmoral.

Jim kauert mit nach vorn gesunkenen Schultern am Boden, dann richtet er sich langsam auf.

»Auf dem Kamm«, sagt Jim Reynolds und sieht die Männer alle mit den Hüten in den Händen dastehen. »Laßt einige Bäume auf dem Kamm stehen und holt Bretter für ihn. Es soll wie eine Insel aus Bäumen aussehen, er wird sich darüber sicher freuen.«

Dann wendet er sich ab, sieht Merriwater Higgs, der seit vielen, vielen Jahren mit Griffith Augh zusammen gefahren ist, schluckend am Pferd lehnen und hört ihn leise sagen:

»Bat – Bat, mach du die Trage fertig, ich – ich will ihn ganz allein begraben, ich allein.«

Er wischt sich mit seinem großen rotgewürfelten Tuch über die Augen und stolpert los, um Werkzeug zu holen.

»Der alte Mann«, sagt Linda und beginnt laut zu schluchzen. »Mr. Reynolds, der alte Mann…«

»Miß Lewis, beruhigen Sie sich!«

»Er – er hat mich weggestoßen – oh, mein Gott, er hat sich für mich…«

Sie schlägt die Hände vor das Gesicht und schluchzt laut.

Und die harten Männer um sie wenden sich ab, denn so hart sind sie auch nicht.

Bat geht los, macht eine Trage zwischen zwei Pferden bereit und hilft dann Jim, das Mädchen hineinzulegen.

»Ich bringe sie zur Hütte, die wir vor drei Tagen geräumt haben«, sagt Jim heiser. »Schick nachher jemanden hoch, der ein wenig auf sie achtet, während ich nach Imlay reite, Bat. Ich muß den Doc holen und den alten Sam Lewis benachrichtigen.«

»In Ordnung, Jim!«

Er schwingt sich auf das eine Pferd und reitet mit ihr an.

Bald erreichen sie die von Holzfällern verlassene Hütte. »Kommen Sie, ich hebe Sie herunter und lasse dann die Decke hier. Jemand meiner Männer wird kommen und sich hier vor die Tür setzen, Sie brauchen sich nicht zu fürchten!« sagt Jim.

»Ich – ich fürchte mich nicht. Erschrecken Sie Old Sam nicht zu heftig, Mr. Reynolds.«

Er hebt sie herab, trägt sie in die Hütte und geht hinaus, um die Decke zu holen. Als er hereinkommt, sagt sie nach einem Blick auf sein Hutband:

»Warum – warum jagen Sie eigentlich Schlangen, Jim?«

Er hebt sie hoch, legt die Decke unter sie und holt aus der Tonne Wasser, mit dem er sein Halstuch anfeuchtet, das er um ihr Bein legt.

»Das ist eine lange Geschichte«, murmelt Jim Reynolds. »Sie fängt damit an, daß ich eines Morgens erwacht bin und meinen Vater zusammengekrümmt am Boden gesehen habe. Er ist beim Aufstehen von einer Klapperschlange gebissen worden, die sich vor der Nachtkühle in seiner Kniekehle gewärmt hat. Ich werde die Geschichte ganz erzählen, wenn ich zurück bin!«

»Dann – hassen Sie Schlangen, Jim?«

»Hassen?« sagt er dumpf. »Ich weiß nicht mehr. Nein, ich weiß es wirklich nicht mehr! Das ist ja – ich weiß es nicht, Miß Lewis!«

»Linda – Linda Lewis!«

»Ich weiß«, sagt er verlegen. »Ich – ich habe es gehört!«

»Sie haben nach meinem Namen gefragt?«

Er geht zur Tür und setzt seinen Hut dort erst auf.

»Das«, sagt Klapperschlangen-Jim in der Tür sehr verlegen, »das weiß ich genau!«

Und dann ist er draußen und springt auf sein Pferd.

Jim Reynolds will in die Stadt, um den Arzt zu holen.

Aber in der Stadt…

*

Samuel Lewis hat vor einem Jahr Laureen Baker kennengelernt. Der alte Ed Baker ist Bäcker. Auch Samuel Lewis, aber das hat einen anderen Grund, wenngleich sich Samuel auch viel aus Kuchen macht. Noch mehr aber macht sich Samuel aus jenem Wesen, das freundlich hinter dem Ladentisch steht und die Kundschaft bedient – Eds Tochter Laureen.

Samuel hat Laureen versprochen, heute zu kommen. Und was man verspricht, das muß ein echter Lewis halten. Wenn der alte Sam auch nichts von den Versprechen seines Sohnes weiß, eins ist sicher: Der Alte möchte die Tochter von seinem östlichen Nachbarn, jenseits der Berge, Mulligan, als Schwiegertochter sehen. Das weiß der junge Samuel Lewis auch sehr genau. Und darum hat er sich mit Betty Mulligan ausgesprochen. Betty mag ihn zwar ganz gern, aber Archer Smith aus der südlichen Nachbarschaft nun doch noch lieber.

»Jeeeh«, sagt Jung-Samuel seufzend und kratzt sich am Hinterkopf, als er auf die drei Pappeln vor dem Haus zureitet, die so schön gewachsen sind wie Laureen.

»Jeeh, wenn der Alte das erfährt, dann spielt er drei Tage den wilden Mann, wetten?«

Er steigt ab, bindet sein Pferd an den an die Pappeln genagelten Querbalken und stolziert, sich das Halstuch noch zurechtrückend, auf die Tür zu.

Freundlich grinsend, in Erwartung von Laureens Lächeln, macht er die Tür auf und sieht den alten Ed hinter dem Ladentisch stehen.

Der Tag hat keine Sonne mehr, obwohl sie noch sieben Stunden scheinen müßte.

»Ach, Samuel«, sagt Ed freundlich und lehnt sich an den Tresen. »Was soll es sein, mein Freund? Frische Hörnchen oder einfaches Brot?«

»Wa – was es sein soll?« fragt Samuel verwirrt und sehr enttäuscht. »Äh – äh, zwei Hörnchen, Ed!«

Ed wendet sich umständlich dem Regal zu, nimmt aus dem Fach zwei Hörnchen und langt dann ein Fach tiefer in einen Korb. In dem Korb liegen einige jener kleinen Kuchen, die mit Marmelade gefüllt und mit Zuckerguß überzogen werden. Eben diese Kuchen vertilgt Samuel in Mengen, sobald er mit Laureen allein im Laden ist.

»Willst du eins, Sam?«

Sam hat nicht mehr Hunger auf Kuchen mit Marmelade, aber er sagt:

»Na ja, eins kann ich ja essen. Ist Laureen nicht hier?«

»Doch«, sagt Ed ganz sanft und freundlich und gibt ihm den Kuchen. »Sie ist hinten und heult!«

»Was – warum heult sie denn, Ed?«

»Weil ich den Schlüssel zu ihrem Zimmer in der Tasche habe!«

»Warum hast du sie eingesperrt?«

Ed beugt sich über den Tresen nach vorn. »Sam, ich habe nichts gegen dich, im Gegenteil, dir schmeckt mein Kuchen besonders gut!«

»Bestimmt, bestimmt«, beeilt sich Sam zu versichern und beißt kräftig in den Marmeladenkuchen. »Aber – ich mag – eh, ich mag Laureen nun mal!«

»Das sagst du, und was sagt dein Vater?«

»Gerechter Moses«, brummt Sam. »Ich werde doch meinen Vater nicht fragen, wenn ich ein Mädchen mag!«

»Weiß er nichts?«

»Nein!«

»So«, sagt Ed ernst und bläst imaginären Staub von seinem Ladentresen. »Ehe er es nicht weiß und du nicht mit ihm einig geworden bist, siehst du Laureen bestimmt nicht mehr!«

»Ed, ich werde mit Old Sam reden!«

»Und dann – ich hörte da von Betty Mulligan?«

»Betty mag einen anderen Mann mehr als mich, Ed. Für die Lewis-Ranch ist es doch ganz gleich, ob nun Betty oder Laureen als Rancherin einzieht. Das muß ich Old Sam nur klarmachen können.«

»Das heißt, du hast ganz ernste Absichten?«

»Natürlich habe ich die«, sagt Samuel laut. »Ich will Laureen und sonst nichts, wenn du damit einverstanden bist, Ed!«

»Bin ich, frage aber zuerst deinen Vater. Sam, willst du noch einige Kuchen mitnehmen?«

Sam starrt auf die Kuchen, hat ein ganz flaues Gefühl im Magen und sagt stockend:

»Ich – ich glaube, ich trinke lieber einen anständigen Whisky, bevor ich es Old Sam beichte.«

»Aber trinke nicht zu anständig, Junge!«

»Nein«, sagt Sam und geht zur Tür. »Ed, bestell Laureen einen Gruß!«

»Ja«, grinst Ed. » Ich werde sie für dich küssen – auf die Wange.«

Er grinst noch, als Sam mit rotem Kopf nach draußen saust und auf sein Pferd steigt, um zu Carter zu reiten.

Bei Carter hält Sam an, denkt an den Alten, der mächtig toben kann, wenn nicht alles so läuft, wie er es haben will und macht, daß er in den Saloon kommt.

»Nanu, Sam!« sagt Carter verwundert, der in seinem leeren Saloon sitzt und sein bester Gast ist. »Junge, eine Hitze ist das heute, was? Willst du einen?«

»Gib mir einen Doppelten!«

»Du gehst scharf ran bei der Hitze!«

»Ich muß auch«, seufzt Sam. »Gib schon her, dieser Tag müßte schon zu Ende sein!«

Und damit hat er nicht unrecht, denn draußen hält ein Reiter am Beginn der Straße, blickt über die flimmernden Hitzeschleier auf das Pferd von Samuel Lewis und sagt dann höhnisch.

»Sieh mal an, sieh mal an, dieser Sohn eines Feiglings! Wenn es stimmt, daß er seinem Alten noch zugeredet hat mit den Holzfällern Ruhe zu halten, dann soll ihn der Teufel holen, das sagt Scott auch. Dabei hat Scott sich mit Terrence alles so schön ausgerechnet gehabt. Nun gut, ich werde herausfinden, ob Joe Tyler mich belogen hat!«

Er erinnert sich lebhaft an seine Unterredung mit den Tylers vor zwei Tagen, bei der Joe ihm gesagt hat, daß Samuel Lewis den alten Sam noch darin bestärkt haben soll, sich nicht mit Reynolds und dessen Holzwürmern anzulegen.

Lee Hull, der in Humboldt gewesen ist und dort mit zwei Männern gepokert und viel Geld verloren hat, rülpst einmal. Er hat versucht, seinen Zorn über den Verlust des Geldes mit einigen Gläsern Whisky hinunterzuspülen, ist dann jedoch losgeritten und nun hier in Imlay angelangt. Sein Zorn aber ist eher größer geworden.

Im Saloon trinkt Samuel Lewis den dritten Doppelstöckigen, als hinter ihm die Tür klappt.

Das Klappen ist es, das Samuel aus seinen finsteren Gedanken reißt, die sich alle darum drehen, wie er Old Sam am besten die Sache mit Laureen beibringt.

Dann sagt auch schon Carter:

»Hallo, Mr. Hull!«

»Hallo«, entgegnet Lee Hull mürrisch, und seine Stimme knarrt noch tiefer als sonst. »Gib mir den Whisky mit dem alten Franzosenkaiser drauf!«

»Ja«, murmelt Carter, der jeden Mann einschätzen kann und als Saloonkeeper jeden Ärger eines Mannes sofort spürt. »Augenblick, der steht im Keller, Mr. Hull, ich muß ihn holen!«

»Dann beeile dich gefälligst, ich will hier nicht anwachsen, Carter«, gibt Lee Hull zurück. »Geh schon!«

Carter denkt noch, daß Hull nicht eine, sondern zwei Läuse über die Leber gelaufen sein müssen, dann macht er die Klappe hinter dem Tresen auf und steigt nach unten in den Keller.

Über ihm nimmt Hull den Platz am anderen Ende des Tresens ein, während Samuel seinen Whisky hastig austrinkt und das Glas auf die Platte stellt.

Wenn es wahr ist, sagt sich Samuel Lewis besorgt und schielt zu Lee Hull hin, daß Lacombe an unser Land will, dann ist Hull der richtige Mann, um den Ärger mit uns anzufangen. Bloß raus, ehe der Ker…

Und da sagt Lee Hull gereizt:

»Was schielst du mich so an, he? Du kannst wohl keinem Menschen mehr gerade in die Augen sehen, nachdem du mit deinem prächtigen Alten gekniffen hast! He, ich rede mit dir!«

Samuel Lewis sieht starr auf die Tresenplatte und schluckt einmal.

»Ich habe nicht geschielt, Hull!«

»Mr. Hull, für dich Feigling bin ich Mr. Hull, verstanden?«

Samuel beißt die Zähne aufeinander, greift in die Tasche, legt das Geldstück auf den Tresen und wendet sich so um, daß er Hull den Rücken zuwendet.

Nur raus, denkt Samuel beklommen, der Kerl will etwas anfangen, nur schnell nach draußen.

»He, Lewis, du bist ein feiges Stinktier!«

Sam Lewis beißt die Zähne noch heftiger aufeinander und geht hastig los. Soll dieser Radaubruder ihn sonstwie nennen, er wird ihm nicht den Gefallen tun und sich in einen Streit einlassen.

Unten im Keller hört Carter Hull reden und wird vor Schreck steif. Nicht umsonst haben in den letzten Tagen zwei Rancher bei Carter erzählt, daß Lacombe auf den alten Lewis schlecht zu sprechen sein soll, dessen Stillhalten für die meisten anderen Rancher maßgebend ist. Auch die anderen Rancher unternehmen nun nichts mehr gegen die Holzfäller.

Mein Gott, denkt Carter entsetzt, dieser Hull wird doch nicht…

Samuel Lewis geht mit singenden Sporen auf die Tür zu, als Hull, der böse grinst, laut sagt:

»Samuel, dein Vater ist das feigste – unter der Sonne!«

Samuel Lewis bleibt stehen, als wenn er vor eine Wand prallt, wird kreidebleich und wendet sich dann langsam um.

»Du bist ja betrunken, Hull«, sagt er gepreßt. »Das wirst du zurücknehmen!«

Hull hat die Augen zusammengekniffen und starrt ihn böse und voller Hohn an.

»Zurücknehmen?« fragt Lee Hull höhnisch. »Ich werde es ganz laut über die Straße schreien, damit alle hören, was ihr für ein feiges Gesindel seid. Dein Vater ist das feigste – unter der Sonne! Soll ich noch lauter rufen?«

»Du – du schmutziger Revolverschießer«, sagt Samuel und verliert nun endgültig die Beherrschung. »Ich werde dich jetzt auffordern, das zurückzunehmen. Und tust du es nicht, dann…«

»Du kannst ja auch nur so kneifen wie dein Vater, der von einem – abstammt!« brüllt Hull ihn an. »Feiglinge seid ihr. Wenn Feigheit stinken würde, dann würde eine ganze Stadt vor euch voller Abscheu wegrennen. Du bist ein schmutziger Skunk, und dein Vater ist noch viel…«

Carter taucht mit dem Kopf aus der Kellerluke auf und macht die Augen zu, als Hull losbrüllt.

Samuel Lewis ist kreideweiß geworden, steht drei Schritt vor der Tür und hört draußen ein Pferd prusten. Danach knarrt Sattelleder, und jemand betritt den Gehsteig.

»Hull«, sagt Samuel Lewis totenblaß. »Du kannst mich beleidigen, aber nicht meinen Vater. Du wirst mit mir hinauskommen auf die Straße!«

»Auf die Straße?« fragt Hull und lacht ihm mitten ins Gesicht. »Sieh mal an, du bist direkt mutig, wie? Oder willst du nur zuerst hinaus und dann wegrennen, du Feigling?«

»Halte den Mund«, gibt Samuel gepreßt zurück. »Du steckst bis an die Haare voller Gift, Hull. Wenn du weiter so redest, dann kannst du es gleich hier haben!«

Er senkt die Hand langsam auf den Revolver und sieht Hull einen kurzen Schritt vom Tresen weggehen.

»Hier, auch gut, Feigling«, sagt Hull höhnisch. »Wieviel Sekunden willst du eher ziehen dürfen, Kleiner?«

In diesem Augenblick tritt jemand in den Saloon.

Die Tür fliegt mit einem Krach auf, und die Flügel donnern an die Wand.

Und dann steht der Mann in der Tür, beide Hände ausgestreckt, um die Flügel abzufangen, die jetzt zurückschnellen.

»Lee«, sagt der mit Staub bedeckte und ganz ruhig an der Tür stehende Jim Reynolds träge: »Lee, ich glaube, der Junge ist nicht der richtige Mann für dich. Willst du es nicht mit mir versuchen?«

Er steht da, der Schweiß hat Furchen in den Staub auf seinem Gesicht gezogen, und er läßt jetzt die Flügel los, um einen Schritt in den Raum zu machen.

Lee Hull starrt ihn groß an, schließt dann die Augen noch weiter und hebt die Hand über den Revolver.

»Du, Schlangenfresser?« sagt er heiser. »Auf dich habe ich noch gewartet. Ich schieße dich tot!«

»Du triffst ja nicht mal ein Scheunentor auf sechs Schritt, Lee«, erwidert Jim spottend. »Geh mal ein wenig zur Seite, Samuel, dieses Großmaul muß endlich eine Lektion erhalten. Geh zur Seite, sage ich!«

»Ich…«

»Geh zur Seite und halte dich heraus!«

»Ach, ist das dein Freund?« erkundigt sich Lee Hull bissig. »Wenn du denkst, daß du mich ärgern kannst – du schaffst es nicht, Schlangenfresser!«

»Wer will dich ärgern?« fragt Jim kalt. »Du kannst nur so behandelt werden, wie du es verdienst, Mann. Wenn du Sams Vater einen Feigling genannt hast, dann werde ich deinen Vater beim richtigen Namen nennen, mit dem du immer so prahlst, Lee! Du weißt doch, auf welche Weise er gestorben ist?«

Lee Hulls Gesicht zuckt einmal heftig, dann sagt er fauchend:

»Halte den Mund!«

»Warum? Ich weiß doch, daß er den ganzen Weg zum Galgen nur geschrien und gejammert hat wie ein Waschweib. Die Miner in Kalifornien haben ihn in Hangtown gehängt. Und er hat geplärrt!«

In diesem Moment weiß er, daß Hull explodieren wird. Dies ist für Jim nichts anderes als das Gegenstück zu der Tätigkeit, mit der man eine Klapperschlange reizt, aus den Ritzen zwischen den Steinen herauszuschnellen, in denen sie sich verkrochen hat.

Es gibt sicher wenige, die alle Arten der Herauslockung so beherrschen wie der Mann, den sie Klapperschlangen-Jim genannt haben. Und jetzt ist es nicht eine Schlange, die es herauszulocken gilt, sondern einer der berüchtigsten Revolvermänner Nevadas.

Lee Hull stößt einen scharfen Zischlaut aus.

Jim Reynolds Klapperschlangentrick zeigt seine Wirkung.

Hulls rechte Hand zuckt nach unten, aber dieses Zucken kommt in einem Augenblick, in dem sich Jim Reynolds rechte Hand bereits bewegt und rasend schnell auf den Kolben des Revolvers zuschießt.

Sam Lewis sieht voller Schreck den berüchtigten Hull ziehen, nimmt entsetzt den Kopf herum und erkennt die zuckende Bewegung, mit der Reynolds seinen Revolver aus dem Halfter hat.

Dann feuert Reynolds auch schon los.

Der Schuß brüllt durch den Saloon, dessen Fensterscheiben im Donner der Explosion klirrend erzittern.

Jim Reynolds blickt starr auf Lee Hulls rechte Hand, die nach hinten gerissen wird und aus der der Revolver krachend gegen die Tresenwand schlägt.

Es gibt einen dumpfen Laut, dann poltert der Revolver zu Boden.

Lee Hull bückt sich mit einem heiseren Aufschrei nach seiner Waffe.

Für Lewis, der verstört auf den am Boden liegenden Revolver Hulls blickt, kommt Jim Reynolds nur wie ein lossausender Schatten durch den Raum.

Jim macht einen gewaltigen Satz, der ihn bis an den Tresen bringt. Dort rammt sein Fuß Lee Hulls rechten Arm, schleudert ihn zur Seite und von der Waffe fort.

»Du…«, sagt Hull wild und schlägt mit dem linken Arm zu, als Jim auf ihn prallt. »Jetzt wirst du…«

Er schafft es wirklich mit diesem Hieb Jim Reynolds wegzustoßen, wirft sich dann, er blutet leicht am Ballen der rechten Hand, mit einem keuchenden Laut auf Jim und zieht die Linke noch einmal herum.

Seine Faust zielt mitten auf Jim Reynolds’ Kopf, aber da zuckt dieser Kopf so schnell wie der zustoßende Kopf einer Schlange zur Seite.

Lee Hull schlägt ins Leere und erkennt zu spät seinen Fehler. Reynolds anzugreifen, das war falsch. Er hätte seinen Revolver erwischen müssen.

Jim Reynolds ist kein Freund einer wilden Prügelei, genausowenig, wie er sich gern mit jemanden schießt. Der Hieb ist kurz und trocken, der den Revolvermann am Kinn erwischt.

Lee Hull fällt zu Boden, bleibt dort liegen und weiß nichts mehr. Er hat nur noch die Faust gesehen.

Langsam stemmt sich Jim gegen den Tresen, keucht einmal hart und bückt sich dann. Seine Hände tasten den Revolvermann hastig ab, fahren unter die Jacke und ziehen einen kurzläufigen Smith und Wesson heraus. Dann hebt Jim den schweren Armeerevolver von Hull auf, nimmt beide Waffen und entlädt sie, ehe er sie auf den Tresen legt. Die Patronen wirft er in Carters Spülbecken.

Dabei sieht er Carters Kopf und sagt knapp:

»Komm hoch, mein Freund, er hat genug!«

Carter richtet sich, in der Hand die Flasche mit dem Kaiserkopf, hastig auf und beugt sich über den Tresen.

»Ist er…«

»Ich habe ihm nur einen Kinnhaken verpaßt«, erwidert Jim Reynolds bitter. »Ich hatte nicht vor, Hull zu töten. Das ist eine Sache, die ich nicht will.«

»Mein Gott«, sagt Samuel Lewis ächzend. »Mr. Reynolds, warum haben Sie sich eingemischt, er hätte…«

Reynolds wendet sich um, blickt ihn seltsam an und sagt dann leise:

»Jeder Mann hat einen Grund, wenn er etwas macht, ich auch, Sam. Er ist nicht halb so schnell wie eine Klapperschlange.«

»Wie eine Klapperschlange«, murmelt Sam Lewis tonlos. »Aber er wird das nicht vergessen.«

»Vielleicht nicht, dann muß er selbst für alles einstehen, was er von nun an beginnt«, gibt Jim zurück und tritt von dem heiser stöhnenden Hull drei Schritte fort. »Lee, komm hoch!«

Hull, der sich aufstemmen will, läßt sich wieder sinken, liegt dann still und wendet erst nach einer halben Minute langsam seinen Kopf. Er kann Jim Reynolds links von sich stehen sehen, blickt hoch und schweigt verbissen.

»Nun, Lee«, sagt Reynolds düster. »Das nächste Mal überlebst du nicht mehr, ich sage es dir jetzt und dann niemals wieder. Du wirst dich bei Sam Lewis entschuldigen. Und tust du es nicht, dann sei sicher, daß ich dich dazu bringen werde. Hörst du mich auch ganz richtig, Lee? Ich werde dich dazu bringen, ich kann das, verlaß dich darauf!«

»Ich will verdammt sein…«

»Du solltest wirklich nicht fluchen, sondern dich entschuldigen, Lee.

Ich nehme dich sonst mit und bringe dich dazu, daß du es laut durch die ganze Stadt schreist. Lee, entschuldige dich!«

Lee Hull starrt ihn an, sein Gesicht wird grau, als er in Jim Reynolds’ eiskalte Augen sieht. Er sinkt wieder nach vorn, stemmt sich dann hoch und sagt schrill:

»Ich entschuldige mich.«

Niemand weiß, was ihn diese drei Worte gekostet haben, aber Jim ahnt es. Wie alle Revolvermänner hat auch Lee Hull die Eigenschaft, besonders empfindlich zu sein, wenn ihm Schmerzen drohen. Dazu ist er zweimal geschlagen worden, etwas, was ihn in diesem Augenblick zermürbt. Ob dieses Gefühl anhalten wird, das ist nicht sicher. Hull wird nach zwei Stunden nur noch an Rache denken können und sich vor der ganzen Stadt gedemütigt vorkommen.

»Steh auf, Lee«, sagt Jim kalt. »Auf dem Tresen liegen deine beiden Revolver – ohne Patronen! Nimm sie und verschwinde. Ich jage dich aus der Stadt, mein Freund. Und fängst du noch einmal etwas an, dann werde ich dich besuchen kommen. Los, hoch!«

Lee Hull steht auf, greift nach seinen Revolvern und steckt sie langsam ein. Dann geht er zur Tür, sieht sich um und erkennt den Revolver in Jim Reynolds’ rechter Hand. Er stolpert durch die Tür nach draußen, hat die Menge vor sich, die zusammengelaufen ist, und senkt den Kopf.

In diesem Augenblick fühlt er sich einer Ohnmacht nahe, und sein Stolz ist zertreten. Mit gesenktem Kopf geht er zu seinem schwarzen Renner, zieht sich in den Sattel und sieht Jim beim Aufsteigen noch in der Tür stehen.

»Verschwinde«, sagt Jim eisig. »Komm nie wieder und fang nichts an, Lee. Dies ist die letzte Warnung!«

Lee Hulls Augenlider öffnen sich einmal. Und Jim, der mitten in die dunklen Augen Hulls blicken kann, erkennt nichts als Haß in ihnen. Dann nimmt Hull die Zügel hoch und reitet scharf an.

Er verläßt die Stadt als ein geschlagener Mann. Diese Tatsache wird wie ein Geschwür in ihm sitzen und eines Tages aufplatzen. Und dieser Tag wird schlimm für einen Mann: Jim Reynolds!

Jim blickt Hull nach, wendet sich dann um und tritt in den Saloon zurück, in dem Samuel Lewis immer noch am gleichen Fleck steht.

»Sam«, sagt Reynolds, schon wieder ganz ruhig. »Deine Schwester liegt oben am Echo Canyon in der Hütte. Sie hat sich den Fuß verstaucht, vielleicht auch gebrochen. Ich werde den Doc mitnehmen, vielleicht besorgst du von eurer Ranch einen Wagen und holst sie dann ab? Mach schnell, mein Freund.«

»Linda?« fragt Samuel verstört. »Was hat sie denn, wie ist es passiert?«

Jim erklärt es ihm mit wenigen Sätzen, geht dann bis zur Tür und bleibt kurz stehen.

»Sei vorsichtig«, sagt er von dort aus warnend. »Lee Hull ist jetzt verrückt genug, um jemanden ohne viele Vorreden zu erschießen. Reite schnell und paß auf, daß du ihn nicht triffst.«

»Ja, Mr. Reynolds. Ich danke Ihnen, Hull hätte mich erschossen.«

»Schon gut, Sam, schon gut. Geh jetzt, ich muß zum Doc.«

Jim geht hinaus und sieht ein Mädchen angerannt kommen, hinter dem ein Mann mit einer mehlstaubbefleckten Schürze her rennt.

»Was ist mit Sam?« ruft der Mann heiser. »Hat Hull auf ihn geschossen?«

»Ich denke nicht, er ist gesund«, murmelt Jim Reynolds und geht weiter.

Und niemand weiß besser als er, daß der Junge nicht mehr leben würde.

Hull würde ihn kaltblütig erschossen haben, jener Lee Hull, den Jim aus der Stadt gejagt hat. Lee Hull wird das niemals vergessen, solange er noch atmen kann.

Was wird Hull tun?

*

Das abgeschlagene Astwerk der Bäume türmt sich zu einer Mauer hinter dem Westkamm am Echo Canyon, zu dessen beiden Seiten der Wald gefällt worden ist.

In der Mitte des Canyons ist jetzt das Camp, das Jim Reynolds von oben sehen kann. Zwischen den wenigen Bäumen, die man nicht geschlagen hat, steigt der Rauch der Feuer auf. Die Männer arbeiten nicht mehr, die Arbeit dieses Tages ist getan. Auf dem Kamm stehen die Holzfäller, Drahtspanner und Fahrer alle zusammen um den Hügel zwischen der Baumgruppe.

Hier ist das Grab eines guten Mannes, der mit Steinen bedeckte Hügel, zu dem jeder Mann einen Stein herangetragen hat. Das ist ihre Sitte, wenn einer von ihnen bei der Arbeit stirbt: Jeder Mann bringt einen Stein für das Grab. Und sein bester Freund macht das Grabscheit.

Es ist ein dickes, klobiges Grabscheit aus einem Baumstamm, den sie sauber gespalten und behauen haben. Merriwater Higgs hat mit einem Eisen den Namen eingebrannt und das Scheit gesetzt.

Drüben hinter dem Hang ist die Hütte, in der immer noch das Mädchen liegt. Der Doc muß jeden Augenblick kommen, und auch Sam Lewis kann nicht mehr weit sein, obwohl es ein schlechter Fahrweg bis hinauf zur Hütte ist.

Jim Reynolds steht mit Davis, den beiden Sprudis-Brüdern und Merriwater gemeinsam am Grab, wendet sich dann um und hört von unten die Feuerwachen rufen:

»Jim, Jim, der Boß kommt mit dem Sheriff!«

»Jetzt geht der Ärger los«, brummt Davis an seiner Seite. »Jim, Howard kommt etwas zu spät, um seinem alten Partner den letzten Gruß zu erweisen. Willst du…«

»Ja, immerhin hat er den Sheriff gleich mitgebracht«, antwortet Reynolds bitter. »Ich habe die letzten drei Tage schon auf Milton gewartet, der sicher eine Menge Fragen haben wird. Merriwater, bleib am besten oben an der Hütte und gibt Bescheid, wenn der Doc oder der alte Lewis kommen.«

»In Ordnung!«

Merriwater Higgs stampft los, während Jim, Art Davis neben sich, den Hang herabgeht und Howard Dunn unten an dem Feuer halten sieht.

Neben Howard sitzt Milton mit düsterem Gesicht im Sattel seines Pferdes und blickt mürrisch zu Boden, als sich Jim nähert.

»Hallo, Jim«, sagt Howard Dunn und zwinkert Jim heftig zu. »Habt ihr da oben eine Versammlung, oder was ist es sonst?«

Jim begrüßt ihn, deutet dann mit der Hand auf den zum Hügel ziehenden Rauch der Feuer und erwidert bitter:

»Wenn der Rauch nicht wäre, dann könntest du das Grabscheit sehen. Wir haben Griffith vor einer halben Stunde begraben!«

Dunn verfärbt sich, blickt starr auf den Hügel und fragt dann tonlos:

»Griffith? Wie ist das passiert?«

Jim erzählt es ihm in wenigen Worten, sieht Howard absteigen, sich umblicken und einen Stein aufheben. Dann geht Howard Dunn zu Fuß den Hügel hinauf, an seinen Männern vorbei, die kein Wort an ihn richten und legt oben den Stein auf den Hügel. Er steht einsam über dem Camp im ziehenden Rauch, ein Mann, der von Anfang seines Geschäfts an auf die Treue seiner Männer gebaut und jetzt einen seiner treuesten verloren hat.

Sheriff John Milton blickt ihm nach, wendet sich dann an Jim und sagt polternd:

»Tut mir leid um den Alten, Jim.«

»Schon gut, Milton, aber steige ab und rede. Wenn du jemanden suchst, du wirst ihn nicht mehr finden!«

Milton steigt jetzt erst ab, spürt die unfreundlichen Blicke der Männer des Camps deutlich und hat ein unbehagliches Gefühl.

»Das habe ich erwartet«, murmelt Milton düster. »Niemand kann von mir erwarten, daß ich Banditen suche, die in Nevada nichts getan haben. Du hast keine Ahnung, wohin die Banditen geritten sind?«

»Keine Ahnung, ich nehme an, sie werden nach Kalifornien verschwunden sein, dort liefert man niemanden aus, das weißt du.«

Dunn sagt grimmig: »Milton, der Jim stirbt noch mal an seiner Anständigkeit. Eines Tages läßt Lacombe noch Hull auf dich los!«

Reynolds schüttelt den Kopf, steht auf und sagt kühl:

»Ich habe Hull heute getroffen!«

Er hat bis jetzt keinem über den Zusammenstoß mit Lee Hull berichtet. Die Männer sehen ihn bestürzt an und Bat sagt heiser:

»Und da bist du noch heil?«

Jim berichtet knapp, sieht den Sheriff wütend von dem Baumstumpf aufstehen und hört ihn sagen:

»Wenn ich nur einen Grund hätte, um den Kerl endlich in das Jail zu bringen! Jim, warum hast du ihn nicht…«

»Jetzt fängst du auch wie Howard an«, stellt Reynolds bitter fest. »Ich weiß, daß ich schneller bin als er, soll ich ihn da umbringen? Milton, Lee Hull ist kein Gegner für mich, das mußt du begreifen!«

»Keiner?« fragt Milton ärgerlich. »Jim, bist du ein Narr, oder handelst du nur wie einer? Lee Hull wird dir das niemals vergessen und von hinten auf dich losgehen, sobald er eine Gelegenheit dazu erwischt. Er nimmt die erste beste Gelegenheit, Mann! Warum hat er auf den jungen Lewis losgehen wollen?«

»Hast du nichts davon gehört, daß Lacombe seine Rinderherde vergrößern will? Er kann nur von der Lewis-Ranch Weideland bekommen, das müßtest du doch wissen!«

»Gehört habe ich davon, aber sollte das der Grund sein?« wundert sich Milton. »Ich werde ihm eine Warnung zukommen lassen. Morgen früh bin ich bei Lacombe, ich werde ihm einige Dinge zu sagen haben, die ihm nicht gefallen. Nun gut, will ich noch vor der Dunkelheit in der Stadt sein, dann muß ich losreiten.«

Sheriff Milton steht auf, schwingt sich in den Sattel und sagt von oben bitter:

»Na, dann kann ich nichts mehr tun. Howard, bist du morgen in der Stadt?«

»Ich muß zur Bahn!«

»Nun gut, dann sehen wir uns sicher, ich muß ein Protokoll machen, warte auf mich bei Carter!«

Er reitet an und schlägt die Richtung auf die Stadt ein. Es ist nicht mehr weit bis zur Dämmerung, als Sheriff John Milton unterhalb des Price Royal Canyons ist und die beiden Männer auf dem Steilhügel hinter den Büschen anhalten.

»Das ist doch Milton?« sagt der eine der beiden Männer überrascht. »Was sagst du dazu, wollen wir es aufschieben?«

Der andere Mann, der sein Packpferd betrachtet, schüttelt nur den Kopf und lächelt dann böse:

»Der Wind«, sagt er dann heiser. »Immer zum Abend frischt er auf. Und im Zwielicht sieht niemand etwas. Der Wind kommt aus Westen!«

»Dann wird er bald stark genug sein?«

»Das mußt du doch wissen«, sagt der andere Mann hämisch. »Wenn er nach Osten treibt, dann liegt auch der Wald von Sam Lewis in der Richtung!«

Sie sehen sich beide an, warten dann ab, bis Sheriff Milton außer Sichtweite ist und reiten an.

In der Dämmerung kommen sie beide an dem ersten Hang vorbei, an dem die Holzfäller gearbeitet haben. Einige Haufen von knochentrockenen, in der Tageshitze innerhalb von einer Woche ausgedörrten Baumwipfeln liegen vor ihnen.

Der eine Mann reitet an die Kronen heran, nimmt einen Ast zwischen seine Hände und bricht ihn mühelos durch.

Das scharfe Knacken ist das einzige Geräusch am Hang, in das das Lachen des zweiten Mannes kommt.

»Trocken«, sagt der eine, als sie weiterreiten. »Und ganze Haufen davon. Wir müssen nach links.«

Sie reiten schweigend den Hang herab, kommen unterhalb des Stern-Gipfels durch und rasten hier.

Von oben haben sie einen weiten Blick auf die Täler, die Rauchfahne im Westen und die Staubwolke, die durch das Tal links von ihnen getrieben wird. Die blaugrauen Schatten der Dämmerung beginnen, die tiefer liegenden Täler in Zwielicht zu tauchen, die Nacht ist nicht mehr fern.

Keiner von ihnen achtet auf die herbe Schönheit der Berge, der eine Mann sagt nur, während er seine Zigarre unter dem Stiefelabsatz zertritt:

»Wer fährt da oben noch in einem Wagen?«

»Paß auf, daß du kein Feuer machst!«

Sie sehen sich an und lachen beide heiser los. Erst nach einer Weile meint der andere:

»Weiß der Teufel, wer da noch fährt, es kann uns gleich sein. Es ist die Richtung zum Camp!«

»Brechen wir auf, es wird dunkel sein, ehe wir dort sind!«

Das Packpferd schaukelt hinter ihnen durch das Tal, sie reiten langsam und kommen quer durch die Berge in der Dämmerung zum Canyon. In einem Seitental schwenken sie ein, reiten nach Süden und schlagen einen Bogen.

Der Abendwind weht ihnen entgegen, der eine Mann hält an den Furchen des Weges an, den die schweren Holzwagen zernagt haben und hebt leicht die Hand.

»Nicht über den Weg, wegen der Spuren!«

»Ja«, sagt der andere Mann und lacht leise. »Spuren werden sie nicht finden, nur das Pferd!«

Sie blicken beide auf das Pferd und das Brandzeichen. Es ist nicht das Brandzeichen, das auf ihren Pferden ist. Dann nickt der eine Mann zufrieden, taucht mit seinem Pferd vor dem anderen, der das Packpferd an der Leine hat, in das Buschland ein, in dem die Schatten so lang sind, daß man keine hundert Schritt weit sehen kann. Keine vierhundert Schritt weiter kann man jetzt den Feuerschein zwischen den Bäumen flackern sehen. Sie sind nahe am Camp und wenden die Gesichter in den Wind.

»Noch etwas weiter nach Norden?«

»Genau!«

Die Hufe tacken, einmal bricht ein morscher Ast unter den Tritten der Pferde, ein Busch rauscht, Baumstümpfe ragen hoch. Hier liegen abgeschlagene Kronen, einige Tage alt, in ganzen Bergen umher. Die Zweighaufen sind so hoch, daß man die Männer und die Pferde hinter ihnen nicht ausmachen kann. Die Dunkelheit verschluckt sie nun beide. Sie steigen ab und nähern sich dem Packpferd.

»Ist es weit genug?«

»Ganz sicher, nimm den Beutel und die Schnur!«

Der eine Mann zieht einen Beutel aus dem alten Packsattel und bindet ihn auf. Aus dem Beutel nimmt er die Schnur heraus, die gut dreißig Meter lang ist und von den Minen zum Zünden der Sprengladungen verwendet wird.

»Roll sie aus, aber langsam, damit sie sich nicht verwickelt und wir Ärger haben. Binde sie hier um die Krone!«

»Paßt du auf?«

»Natürlich, ich kann nachts sehen wie eine Katze!«

Der eine bindet die Schnur an die eine abgeschlagene Krone, entrollt sie dann und huscht durch die Dunkelheit an den Baumstümpfen und Buschresten vorbei. Der andere Mann starrt in die Nacht zu den Feuern hin, aber niemand kommt. Im Camp ist Ruhe.

»Fertig!«

Der Mann kommt von der ausgerollten Schnur zurück und schnauft etwas.

»Ist was?«

»Nichts zu sehen, sie sind müde von der Arbeit. Faß mal an, roll das Seil ab und nimm das Packpferd an deine Seite.«

Er steigt auf sein Pferd, blickt sich noch einmal um, damit er in der Dunkelheit auch die Stelle wiederfindet und beugt sich dann über die Flanke des Packpferdes, an dem der Kumpan steht und fluchend sagt, daß er den Verschluß des Kanisters nicht öffnen kann.

»Nimm doch die Zange!«

Die Zange greift um den Schraubverschluß des Kanisters, der Verschluß gibt nach. Sie ziehen beide die Luft ein.

»Wenn einer vorbeikommt und es riecht?«

»Der Wind steht günstig, der Weg ist weiter westlich. Das riecht niemand. Verdammt, paß doch auf!«

Flüssigkeit spritzt aus dem Kanister über die Brust des einen Mannes und rinnt über die Hose.

»Du hast zu früh das Seil angezogen!«

»Ich? Du hast nicht festgehalten! Die Sachen kannst du wegwerfen! Los jetzt, geh zur Seite!«

Der andere Mann folgt ihm, als er anreitet. Er hält den Kanister schräg nach unten. Aus dem Einfüllstutzen platscht die Flüssigkeit über den Weg, rinnt in die trockenen Äste. Das Gluckern verstummt nach dreißig Metern.

»Nimm den nächsten Kanister.«

»Mann, wenn jemand kommt!«

»Dann hat er Pech gehabt!«

Auch aus dem nächsten Kanister gluckert es auf Zweige, trockenes Gras, abgerindete Borke und ganze Kronen.

»Komm zurück, das ist weit genug!«

Die Hufe tacken leise durch die Buschgegend, halten an, und die Stimme sagt knarrend:

»Hast du die Schnur?«

»Ja! Soll ich sie anstecken?«

»Geh zum Ende, steck sie unter dem Hut an. Kein Lichtschein darf zu sehen sein. Ist es auch die richtige Schnur? Zehn Sekunden für ein Yard!«

»Es sind dreißig Yards, also fünf Minuten. Da sind wir weit weg! Ich habe die richtige Schnur.«

»Dann geh schon!«

Der Mann läßt die Schnur langsam durch seine Finger gleiten und geht zu dem Haufen Zweige, an dem die Schnur endet. Er kauert gleich darauf am Boden, hat den Hut in der einen Hand, das Streichholz in der anderen.

Einen Augenblick zaudert er, aber durch die Finsternis kommt die Stimme knarrend zu ihm hin:

»Was ist noch?«

»Nichts!«

Er reißt das Streichholz am Schweißleder des Hutes an, hält die Flamme an die Schnur, und sieht blaue Funken sprühend aus dem Schnurende zischen.

Das Streichholz verbrennt ihm fast die Fingerspitzen, er bläst es aus.

»Fertig, brennt sie?«

»Ja«, sagt er heiser. »Ja, sie brennt!«

Dann dreht er sich um und rennt wie gehetzt los, schwingt sich auf sein Pferd und drückt ihm die Hacken in die Weichen.

»Langsam, nicht so schnell!«

Die Hand des anderen Mannes legt sich um seinen Arm. Sie reiten nun langsamer, blicken sich um und werden erst nach hundert Schritten schneller.

»Jetzt laß das Pferd laufen!«

Dann galoppieren sie in dem Seitental hoch, kommen auf Geröll und nehmen den nächsten Hang. Auf ihm preschen sie weiter.

»Weit genug«, sagt der eine Mann auf dem Hang und zieht das Packpferd links neben sich an den steilen Abfall des Hanges heran. »Jetzt!«

Sein Pferd macht einen Satz, das Packpferd strauchelt, stolpert über die Kante und rutscht dann den Hang abwärts, auf dem es sich nicht halten kann.

»Weiter!«

Sie jagen in die kahlen Berge hinein, sehen sich um und erkennen den zuckenden Feuerschein, der plötzlich hinter ihnen aufflackert.

»Weg, so schnell wir nur können!«

Und hinter ihnen brennt es.

Dort jagt eine Feuerwolke hoch, die mit ihrer hellen, lodernden Front die Baumstümpfe anleuchtet. Über abgeschlagene Kronen, Rindenhaufen und trockenes Gras flackert der Feuerschein. In ihm sehen die Stümpfe der gefällten Bäume wie Pfähle aus, die jemand in den Boden gerammt hat.

Der Wind jagt Funken über den Waldboden. Gras flackert in zwanzig, dreißig Schritten Entfernung auf, Flammen züngeln bis zu den trockenen Zweigen der Pinyons hoch. Knisternd, knackend platzen die Nadeln auf. Prasselnd springen hier und da unter den wirbelnden Funkenregen die Flammen hoch.

*

An den Feuern, in den Zelten, unter den Wagen und in der transportablen Baracke liegen Männer. Viele schlafen, andere hocken an einem der Feuer und haben die Karten oder einen Würfelbecher vor sich.

Der alte Merriwater Higgs kommt krummbeinig und müde den Hang herab, hat das Blockhaus verlassen, in dem Jim jetzt seit einer halben Stunde ist. Gerade ist der Doc gekommen.

Der Alte blinzelt, denn der Rauch treibt auf ihn zu und beißt in den Augen, die müde sind. Er stolpert über eine Wurzel, hält sich an einem Baumstumpf fest und sagt schimpfend:

»Wurzelbiest, ich soll mir wohl…«

Dann sagt er nichts mehr.

Er starrt auf die Feuerwand vor sich. Sie ist auf einmal da.

Einen Augenblick steht der alte Merriwater sprachlos und ungläubig auf den Stumpf des Baumes gestützt, dann reißt er die Lider weit auf, aber er träumt nicht.

Das ist Feuer.

»Feuer!« schreit der Alte jäh los. »Feuer! Der Wald brennt, der Wald brennt!«

Er stürzt davon, rennt auf das Camp zu, in dem die Männer bei seinen wilden Schreien, mit denen er den Hang hinabrennt, auffahren. Sie stürzen aus den Zelten, springen an den Felsen hoch und sehen entsetzt keine dreihundert Meter entfernt die Flammen.

»Feuer – Feuer!«

Art Davis stürzt aus der Baracke. Howard Dunn, der auf einem Feldbett liegt und noch liest, springt auf Strümpfen an die Tür und handelt innerhalb von Sekunden.

»Die Wagen, spannt an, schnell, spannt an!«

Männer rennen los, viele halbbekleidet, die sich im Laufen die Hemden zuknöpfen oder die Jacken überwerfen.

Von allen Seiten kommt der gellende Ruf:

»Feuer – Feuer!«

Thomas B. Harkinson kommt taumelnd aus seinem Zelt, sieht das Feuer und brüllt:

»Den Theodoliten, schnell, packt ihn auf den Wagen! Den Plantisch, macht, greift zu! Rawlins, komm schnell!«

Sie rennen jetzt alle. Bat stürzt zu den Pferden, und mit seinem Bruder Duncan teilt er die Pferde ein.

»Holt euch die Pferde, die Sielen, kommt her, nicht durcheinander. Bonham, hierher, deine Pferde, Mann! Oats, komm, du hilfst den anderen Männern! Die Gerätewagen anspannen, schnell!«

Er blickt sich entsetzt um, als Duncan heiser sagt:

»Die Hölle kommt zu schnell, der verdammte Wind treibt die Flammen schnell auf uns zu.«

Sie erkennen es alle in wenigen Augenblicken. Die Flammen springen förmlich von den harzigen und nun trockenen Reiserhaufen zum Gras, wieder zum nächsten Haufen über, erfassen rasend schnell das Gehölz und lecken überall an den Kronen der noch stehenden Bäume empor.

Schon brennen mehrere Baumkronen, schon stieben von diesen Kronen die Funken weit durch das Unterholz und fallen sogar in die unmittelbare Nähe des Camps.

Howard Dunn rennt zu einem Wagen, beordert ihn vor die Tür und schreit:

»Art, Barney, bringt den Tisch heraus, werft ihn auf den Wagen!«

»Nicht den Tisch«, sagt Barney keuchend, der schon geschlafen hat. »Billy – Billy!«

»Mein Gott, Billy!«

Bill Dollin liegt in einem Raum der Baracke, ist aus seinem ersten Schlaf aufgeschreckt worden und hört draußen die Männer schreien. Er ist noch zu schwach, um selbst lauter als sie rufen zu können. Als er den Kopf wendet und auf das Fenster blickt, da sieht er nur Flammen in den Himmel schlagen.

Feuer!

»Nick – Nick«, ruft Bill Dollin und will hoch, als keiner kommt, keiner ihn hört. »Nick – hilf mir. Nick!«

Er rutscht aus dem Bett, kauert mit den Knien auf der Erde, liegt mit der Seite auf der Bettkante.

»Nick – Art, helft mir doch – helft mir!«

In diesem Augenblick fliegt die Tür auf, Nick stürzt herein und sieht Bill Dollin am Boden kauern.

»Nur ruhig, Billy, ich helfe dir schon. Leg dich auf den Boden, ich nehme den Strohsack deines Bettes und packe ihn auf den Wagen! He, Art…«

»Ja, ich komme, nur die Papiere heraus, die Listen!«

»Wo kommt das Feuer her, Nicky?«

»Einer muß es gelegt haben!«

»So ein Lump, so ein Lump«, sagt der verwundete Dollin ächzend. »Ist Jim da, wo ist Jim?«

»Jim«, schreit da auch schon Bat draußen wild. »Jim, die Zelte, wir schaffen es nicht! Laßt die Zelte stehen, Leute!«

»Reißt nur einen Pflock aus, bindet ihn an den Wagen und zieht das ganze Zelt hinterher«, brüllt Jim Reynolds scharf: »Ide, fahr den Wagen hier weg. Wer fertig ist, sofort den Weg hier hoch und an der Hütte vorbei! Los, los, beeilt euch!«

Jim Reynolds stürmt in die Baracke, sieht Howard Dunn die Papiere in einen Sack werfen und greift nach der Kiste mit dem Verbandszeug.

»Wo ist Bill, Art?«

»Drüben, kannst du anfassen, Jim? Ich muß erst die Sachen hier rausschaffen.«

»Ja, in Ordnung!«

Jim wirft die Kiste auf den Wagen, sieht Nicky Barney mit dem Strohsack in der Hand.

Die ersten Funken fallen direkt ins Camp.

»Nick, komm, Bill holen!«

Barney hastet mit ihm in den Nebenraum, sie heben Bill hoch, tragen ihn keuchend zum Wagen und legen ihn sacht auf den Strohsack. Merriwater wirft vorn die Sielen über die Pferde, schnallt die Gurte fest und brüllt:

»Den Drahtzieher, auf den Wagen mit ihm!«

Jim greift nach einer Decke, die am Boden liegt, wirft sie Bill Dollin über und sagt scharf:

»Bill, halte sie fest, deck dich gut zu! Harkinson, wo ist eigentlich dein Mann?«

»Im Zelt, im Zelt!«

Harkinson taucht aus dem Zelteingang auf, schleppt mit Rawlins den Theodolitenkasten und deutet auf zwei Männer, die gerade hereinstürzen, um seinen Drahtzieher zu tragen.

In diesem Augenblick packt der Wind einen glühenden, flackernden Ast und schleudert ihn auf die knochentrockene Zeltplane.

»Vorsicht!«

Jim reißt sein breites Messer heraus, stürzt mit noch einem Mann an die Plane und kommt doch zu spät. Im Zelt schreit einer der beiden Männer heiser auf, taucht mitten in den lodernden Flammen der Zeltplane auf und schlägt wild mit den Armen um sich. Gemeinsam werfen sie sich auf die Plane, reißen sie zu Boden und ersticken mit ihren Körpern die Flammen. Zwei fallen auf den Drahtzieher, der sich das Bein gebrochen hat. Der Mann schreit, wird dann aber rasch aufgehoben und zum Wagen getragen.

Die ersten Wagen rasseln los.

Überallher scheinen jetzt die Funken zu kommen. Sie können die Pferde kaum noch halten, schaffen es aber mit knapper Not. Howard Dunns Schriftsachen werden noch schnell auf den Wagen gepackt, und los geht die Fahrt.

Jim, der sich sein Pferd genommen hat, sieht Duncan Sprudis im Vorbeireiten hinten auf dem Wagen hocken und mit beiden Armen die Werkzeugkiste umklammern.

»Duncan, habt ihr alles Werkzeug gerettet?«

»Ja«, schreit Duncan zurück. »Alle Kisten sind auf den Wagen! Jim, der ganze Waldstreifen wird verbrennen!«

Sie sind schon fast auf der Höhe der Hütte, vor der der Wagen des Doc steht, neben dem ein zweiter Wagen hält, mit dem der alte Sam Lewis und dessen Junge gerade gekommen sind.

Jim hält bei ihnen an. »Lewis, das Feuer wird deinen ganzen Wald vernichten. Weiß Gott, wer der Lump gewesen ist, der ihn angesteckt hat, aber ich werde ihn finden!«

»Den Kerl bringe ich um«, sagt der alte Sam grollend und tritt aus der Tür. »Reynolds, ich habe nie in meinem Leben jemanden um Hilfe gebeten, aber Reynolds, ihr seid hundertsechzig Männer, könnt ihr nicht zwei Hügel weiter halten?«

»Warum, Sam?«

»Am Steilhügel ist eine Schneise, wenig Bäume und ein steiler Hang, danach wird der Wald dann dichter. Wenn ihr nun am Hang zu fällen beginnt, dann kommt das Feuer nicht über das Tal hinweg, meine ich. Ihr rettet über die Hälfte von meinem Wald. Ich will die Männer bezahlen, hörst du, ich bezahle sie zweifach, wenn sie…«

»Bezahlen«, sagt Jim brummend und blickt Linda Lewis an, die auf den Wagen gehoben wird und ihn furchtsam ansieht. »Sam, das kannst du bleiben lassen, ich denke, sie tun es von ganz allein, wenn ich es ihnen sage!«

Dann reißt er sein Pferd herum, jagt neben dem schmalen Weg, der für die Wagen eigentlich viel zu eng und holperig ist, an der Kette der Wagen vorbei und kommt zu Howard Dunn.

»Howard, warte.«

Er sagt ihm kurz, was der alte Sam Lewis sich gedacht hat. Dunn überlegt einen Augenblick, wendet dann den Kopf ab und sagt gallenbitter:

»Jetzt soll ich helfen, was? Vorher haben sie mich alle in die Hölle gewünscht! Ich werde…«

»Howard, ich werde wild!«

»Laß mich ausreden, Junge. Ich werde es tun, aber nur, weil ich nicht will, daß der schöne Wald verbrennt! He, Leute! Komm, laß mich auf dein Pferd, Junge!«

Er steigt hinter ihm auf und brüllt seine Männer an, daß sie sich fertigmachen sollen, noch einmal zu arbeiten. Und das mitten in der Dunkelheit, in die noch kein Mondlicht fällt.

So reitet Jim Reynolds mit Howard Dunn an den Wagen vorbei.

Hier im Tal stehen nur vereinzelt Bäume, während der Wald auf der Höhe wieder mit seinem Dickicht beginnt.

Der erste Wagen mit Bat kommt heran, fährt oben auf dem Weg weiter, läßt aber die erste Werkzeugkiste zurück. Schon springen die ersten Männer herbei, reißen Äxte und die langen M-Sägen aus der Kiste und rennen den Hang hinab.

»Fangt vorn an, zweihundert Schritt weiter. Zwanzig Mann an den Hang, schlagt in einer Linie alle Büsche weg«, ruft Davis. »He, Duncan, nimm du auch zwanzig Mann und dann ab mit euch nach drüben, fangt da an und arbeitet aufeinander zu. Transportiert das Strauchwerk gleich ab und werft es hier oben zwischen die Bäume, aber weit genug entfernt. Jim, gehst du zu den Fällern?«

»Ja, Art, ich mache das schon, sieh du nur zu, daß die Sträucher wegkommen und die Flammen keine Nahrung finden können.«

In weniger als drei Minuten setzen die ersten Männer die langen M-Sägen an und beginnen die Bäume anzuschneiden.

Sie arbeiten in einer Linie, und Jim, der auf seinem Pferd von Baum zu Baum reitet, ruft immer wieder:

»Fangt links an, laßt sie gegen den Wind fallen, hört ihr? Laßt sie nicht fallen, ehe ich es sage!«

Es dauert nicht mehr als eine Minute, dann rufen die ersten Männer ihm zu:

»Jim, wir sind soweit!«

»Vorsicht bei den anderen, paßt auf, ob er sich dreht. Achtung, Baum fällt!«

Der erste Baum kracht um, dann der zweite. Sobald einer der Bäume zu Boden gekracht ist, lassen die Männer ihn liegen und stürzen sich auf den nächsten Baum.

Im Abstand von wenigen Sekunden schallt der Ruf:

»Vorsicht, Baum fällt!«

Viele sehen unruhig auf die näherkommende Feuerwand, die rasend schnell vorrückt. Das Feuer muß jetzt etwa die achthundert Meter weit entfernte Hütte erreicht haben, es wird über den Kamm ziehen und näherkommen.

Der alte Merriwater, der auf seinem Wagen kauert und Bat mit einer Riesenfuhre Büsche vorbeikommen sieht, hebt kaum den Kopf.

»Merriwater, was hast du?« fragt ihn Bat Sprudis.

Der alte Fahrer sagt leise. »Jetzt verbrennen seine Bäume!«

»Seine Bäume?«

Bat starrt ihn groß an und begreift dann, daß Merriwater Higgs an die kleine Baumgruppe denkt, die um das Gras von Griffith Augh steht. Heiser sagt er:

»Wir pflanzen die schönsten Setzlinge für ihn ein, Alter!«

»Ja, ja, aber ehe sie groß sind…«

Die Wagen donnern vorbei, unten im Tal krachen die Bäume um, splittern Kronen ab, laufen Männer in Deckung, wenn sich manchmal einer der Bäume dreht und in die falsche Richtung stürzt. Schon liegen innerhalb kurzer Zeit über hundert Bäume unten, schon arbeiten sich die Sägemannschaften den Steilhang hoch, an dem zwischen den Felsen nur einzelne Bäume stehen.

»Das Feuer kommt drüben über den Hang, Jim«, ruft Art Davis von oben herab. »Schaffen wir es?«

»Frag die Männer!«

»Hooo, wir schaffen es!«

Stahl flirrt, Sägen schnarren, lange Äste werden abgehackt und an die Männer verteilt, die am oberen Waldrand in zehn Meter Abstand Aufstellung nehmen.

Die letzten Bäume sausen donnernd zu Tal, rollen den Steilhang abwärts.

Und dann kommt das Feuer, doch durch die Schneise wird es gebannt. Hier und da brennt Gras zwischen den gefällten Bäumen, wird aber sofort ausgetreten.

Sie haben es geschafft.

Der alte Sam Lewis geht von einem Mann zum anderen und schüttelt jedem die Hand.

»Ihr kommt am Sonntag alle auf die Ranch«, sagt er schnaufend. »Ich lasse einige Mavericks für euch schlachten. Und was zu trinken bekommt ihr natürlich auch. Danke, Männer, vielen Dank!«

»Du«, sagt Bat zu Oats, als der alte Sam vorbei ist. »Ob der weiß, was wir alles verdrücken können, wenn wir wollen? So schlecht ist der alte Nußknacker gar nicht, was?«

»Und ’ne feine Tochter hat er«, grinst der rußgeschwärzte Oats. »Hast du gesehen, wie die Jim ansieht?«

»Wenn ich ein Girl wäre, dann würde ich ihn auch so ansehen! He, da kommt er, wollen wir wetten, daß er losreitet und jemand sucht?«

Jim Reynolds kommt im ersten Mondlicht auf die haltenden Wagen zugeritten, hält bei Howard an und steigt ab, um sich schweigsam die Wasserflasche zu nehmen und einen Schluck zu trinken. Dann füllt er seine eigene Flasche wieder auf, schnallt sie fest und wendet sich um, beobachtet von mehr als fünfzig Männern.

»Jim«, sagt Dunn in diesem Augenblick heiser. »Jim, es ist Nacht, nimm jemanden mit!«

Reynolds wendet sich um, blickt ihn an und schüttelt den Kopf.

»Bis zum Morgen sind alle Spuren tot«, sagt er langsam und düster. »Ich will allein reiten und werde sie allein erwischen! Das kann niemals ein Mann gewesen sein, dazu ist das Feuer in zu breiter Front aufgekommen. Howard, ich werde sie finden und herbringen. Du kannst einen Mann zum Sheriff schicken!«

»Aber wenn es mehrere sind«, sagt Dunn zweifelnd. »Jim, nimm wenigstens Bat mit!«

»Ich reite allein!«

Im gleichen Moment läßt er sein Pferd anreiten und jagt nach links davon.

Bat aber sagt düster:

»Howard, du solltest dir keine Gedanken machen. Diesmal braucht er niemanden. Ich wette, er wird sie finden und herschaffen. Soll ich zum Sheriff reiten?«

»Nun gut, reite hin!«

Howard Dunn blickt auf die Senke, durch die Jim Reynolds nach Süden jagt.

Jim Reynolds wird seinen Mann finden.

Er verschwindet drüben am Hang.

Die Fährte ist noch warm!

*

Cliff Mulligan ißt anders als andere Leute. Er beginnt das Frühstück mit einer Brühe, dann muß ihm seine Frau drei große Steaks braten, weil Cliff sagt, daß er ohne drei Steaks nicht denken und arbeiten kann. Dazu trinkt er eine Kanne Kaffee leer. Und schließlich vertilgt Cliff als Nachspeise noch drei Pfannkuchen.

Zwar sagt er, daß er nach diesem reichhaltigen Frühstück erst richtig arbeiten kann, aber seine Arbeit besteht immer daraus, sich auf die Bank neben dem Vorbau des Ranchhauses zu setzen und sich den Bauch zu halten. Cliff macht hier ein kurzes Nickerchen, sozusagen als Erholung nach dem Essen.

Und weil sich das so eingebürgert hat, sagt Mrs. Mulligan schon lange nichts mehr dazu.

An diesem Morgen hat Cliff seine drei Cowboys und seinen Sohn auf die Weide geschickt. Und weil allein dieses Hinschicken und Arbeitseinteilen anstrengend ist, schläft Cliff besonders gut auf der Bank vor dem Haus.

Die Sonne scheint warm, es ist still und friedlich. Auch Betty schläft noch. Mrs. Mulligan sortiert die Äpfel von gestern, damit sie Apfelmus kochen kann. Sie sitzt in der Küche und hört Cliff schnarchen.

»Der Mann«, sagt sie seufzend. »Dieser Mann, nun schläft er schon wieder. Dabei wird er immer dicker.«

Der Mann sitzt draußen und schnarcht.

Im Auslauf für die Hühner kräht der Hahn.

Drei Schweine hinter dem Stall grunzen.

Und der Schatten, der über das Schweinehock fällt, stört die Schweine nicht.

Dann wandert der Schatten über den Eckpfosten hinweg, fällt an den Stall und gegen ein Seitenfenster.

Im Glas des Seitenfensters spiegelt sich die Gestalt eines Mannes wider.

Der Mann hat das Gewehr unter dem Arm, die rechte Hand am Abzug und blickt auf die Ecke. Als er diese erreicht, sieht er nach links und findet den Mann auf der Bank immer noch in der gleichen Haltung, in der er ihn vom Saum des Buschstreifens oberhalb des Buena Vista Creeks gesehen hat.

Der Mann auf der Bank schnarcht leise. Das Küchenfenster, das etwa vier Schritt von ihm entfernt ist, steht offen. Gegen die Hauswand fällt gleich darauf der Schatten des Mannes mit dem Gewehr, sinkt herunter, kommt unterhalb des aufstehenden Fensters durch und hält einen Moment an.

Pitsch, macht es in der Küche, wenn ein von Mrs. Mulligan entkernter Apfel in die Schüssel mit Wasser geworfen wird.

Und Cliff Mulligan schläft und träumt von einem fetten Steak, das ihm scheußlich quer im Magen zu liegen scheint.

Der Druck im Magen läßt ganz und gar nicht nach, er wird so schlimm, daß Cliff die Luft jetzt ganz heftig ausbläst.

»Pfüüühhh«, macht Cliff und öffnet die Lider erschreckt. »Das Steak soll doch…«

Er faßt sich, noch nicht ganz bei Sinnen, an den Bauch.

Cliff Mulligans beide Hände umklammern ein Eisenrohr, er erschrickt gräßlich und wird mit einem Schlag munter.

Er sieht den Lauf einer Winchester, den er umklammert. Als er das erkennt, läßt er den Lauf mit einem kurzen Japser los und hebt den Blick.

Im nächsten Moment erkennt Mulligan den Mann, der ihm das Gewehr mitten auf den Bauch gesetzt hat.

Cliff öffnet den Mund, starrt dem Mann ins Gesicht und sagt dann nur ein einziges Wort: »Reynolds!«

»Ja, mein Freund«, erwidert Jim Reynolds eisig und verstärkt den Druck des Gewehres noch mehr. »Das bin ich – und hier bist du! Hast du gut geschlafen, Mulligan?«

»Gut ge – ja, Reynolds!«

»Du wirst noch viel länger schlafen, wenn du nicht die Wahrheit sagst, Mulligan!«

»Ich – ich sage die Wahrheit, Reynolds! Hör mal, ich habe dir nichts getan, was willst du eigentlich hier auf der Ranch?«

Er sieht ein Zucken auf Reynolds’ Gesicht und er erschrickt heftig, denn dieses Zucken wird von einem so finsteren Ausdruck überschattet, daß ihm beinahe übel wird.

»So, nun steh mal auf, mein Freund! Steh auf, sage ich! Und jetzt kommst du mit!«

In dieser Sekunde taucht Mrs. Mulligan am Fenster auf, stößt einen Schrei aus und sagt zitternd:

»Mann, Mann, was hast du getan? Was will Reynolds von dir?«

»Weiß ich nicht, Frau, ich habe nichts getan, das muß ein Irrtum sein.«

Reynolds blickt die Frau mit einem kühlen Blick an und sagt knapp:

»Bleiben Sie im Haus, Madam, dann geschieht nichts, aber bleiben Sie dort!«

»Mein Gott, was wollen Sie von meinem Mann, Reynolds?«

»Einige Dinge«, erwidert Jim. »Geh voran, Mulligan!«

Cliff Mulligan stolpert los, muß um die Ecke gehen und wird bis an die Scheune geführt, vor deren Ecke er anhalten soll.

»Reynolds«, sagt er gepreßt, »ich habe nichts getan, sag mir endlich, was du von mir willst, Reynolds…«

»Geh jetzt um die Ecke«, erwidert Jim hart und tritt an seine Seite. »Komm schon!«

Mulligan folgt ihm, sieht dann neben dem Pferd von Reynolds einen anderen Gaul.

Er bleibt stocksteif stehen, in seinem Gesicht zeigt sich heftige Bestürzung. Und dann sagt er stockend:

»Das – das ist ja mein Brauner. Wie kommt das Pferd hierher, Reynolds?«

»Ich habe es mitgebracht, mein Freund«, antwortete Jim grimmig. »Sieh es dir nur genau an, fällt dir etwas auf?«

Mulligan blickt noch einmal hin, runzelt die Stirn und sagt verstört:

»Mein alter Tragsattel! Was – was soll das? Ich denke, der Tragsattel ist auf dem…«

»Wo soll er sein, Mulligan?« fragt Jim scharf, als der Rancher bestürzt schweigt.

»Auf – auf dem Speicher«, erwidert Mulligan verständnislos. »Mein Gott – die Kanister!«

»Ja«, gibt Jim zurück und deutet mit dem Gewehrlauf auf den Haufen alter Kanister, die an der Ecke der Scheune neben dem Abfallhaufen liegen. »Dort liegen noch mehr, wie? Geh zum Pferd und rieche mal an den Kanistern!«

»Ich verstehe das nicht«, murmelt der Rancher verwirrt. »Das Pferd ist mir gestohlen worden! Vor einer Woche ist es mir gestohlen worden, Mann!«

»Das wirst du beweisen müssen, mein Freund! Riech jetzt am Kanister!«

Mulligan beugt sich vor, riecht am Kanister und sagt nur:

»Petroleum!«

»Genau das«, fährt ihn Jim an. »Und mit dem Petroleum hast du unseren Wald angesteckt!«

»Waaas?« fragt Mulligan entsetzt. »Ich soll… Mann, bist du irr? Ich bin gestern früh zu Bett gegangen, das kann meine Frau bezeugen. Reynolds, welcher Halunke hat mir das in die Schuhe geschoben? Ich soll den Wald angesteckt haben? Wann?«

Zu seiner Verblüffung senkt Reynolds das Gewehr, stützt sich auf den Lauf und sagt düster:

»Genau das habe ich erwartet. Dieser Lump muß es geplant haben und das nicht erst seit gestern, er hat die Sache sorgfältig vorbereitet, Mulligan. Ich bin hergekommen, weil ich gehofft hatte, daß ich bei dir mehr erfahren würde. Weißt du, daß zwei Reitspuren von der Ranch in die Berge führen, sich auf den Felsen verlieren und genau westwärts an unserem Camp enden? Die Spuren sind nicht gut genug verwischt worden, eine Fährte, die mich genau hergeführt hat. Ich finde im Tal dieses Pferd, es ist anscheinend bei der Flucht der beiden Burschen zu nahe an die Schluchtkante gekommen und einen Hang herabgekollert. Ich finde den Sattel, auf dem innen dein Name steht. Und hier liegen die gleichen Kanister, wenn auch verrostet. Mulligan, jemand hat dir einen Waldbrand anhängen wollen!«

»Warum das?« fragt Mulligan, der sich bei Reynolds’ Worten langsam von seinem fürchterlichen Schreck erholt. »Ich schwöre dir, Reynolds, ich habe mit der Sache nichts zu tun, keiner meiner Leute. Du kannst jeden fragen, ich habe gestern noch mit Sam Lewis über die Sache gesprochen. Mann, wer hat mir das eingebrockt?«

»Jemand, der will, daß meine Leute über dich herfallen«, erwidert Jim Reynolds düster. »Du bist der beste Freund von Sam Lewis, er wird dich nicht im Stich lassen, das ist sicher, wenn du von uns angegriffen werden solltest. Eine ziemlich böse Rechnung für dich, Mulligan, die dir da jemand gemacht hat. Gestern habe ich mich mit dem Doc lange unterhalten und viele Dinge erfahren. Seltsam, daß man ausgerechnet den Wald so angesteckt hat, daß auch Sam Lewis’ Wald verbrennen muß. Sam Lewis hätte das Feuer als einen Leichtsinn meiner Leute auslegen können. Der Bursche, der sich das ausgedacht hat, hat ganz sicher sein wollen. Gehen wir nach vorn, deine Frau wird sich Sorgen machen!«

Er nimmt das Packpferd und seinen Gaul, führt ihn, Mulligan neben sich, nach vorn und sieht Mrs. Mulligan am Fenster stehen.

»Unser Brauner!« sagt die Frau überrascht. »Wo kommt der denn her?«

Mulligan schimpft jetzt wütend los, erklärt seiner Frau alles und sagt, daß er den Kerl aufhängen wird, bekommt er ihn.

»Du bist ziemlich schnell dabei, wenn es darum geht, jemanden aufzuhängen, Mulligan«, brummt Jim von der Seite, und Mulligan verschluckt sich. »Hast du eine Idee, wer dir das Pferd gestohlen haben kann?«

»Ich wüßte nicht, wen ich verdächtigen sollte«, meint der Rancher verlegen. »Wenn der Gaul noch jung gewesen wäre, dann hätte ich sicher überall nach ihm suchen lassen, aber er ist zu alt, hat hier nur draußen in der äußersten Weidekoppel gestanden und sozusagen sein Gnadenbrot bekommen. Vor einer Woche ist der Corral leer gewesen, ich habe gedacht, daß jemand ihn mitgenommen hat, irgendein Tramp. Aber der Sattel – Frau, sieh dir das an, der Kerl muß den Sattel vom Speicher geholt haben!«

»Siehst du, siehst du«, sagt Mrs. Mulligan heftig. »In der Nacht, als der Braune verschwunden ist, Mr. Reynolds, da habe ich ein Geräusch gehört und Cliff geweckt, aber er hat gesagt…«

»Sei doch still, Frau«, brummt Mulligan unwillig. »Du hörst öfter mal Geräusche. Wie soll ich wissen, daß wirklich etwas wahr daran ist? Stimmt, Reynolds, meine Frau hat mich geweckt, aber…«

»Schon gut«, beruhigt ihn Jim. »Ich bin genauso klug wie zuvor. Einen Verdacht habe ich schon, doch dann müßte ich erst zur Stadt und mich erkundigen, wer derartig viel Petroleum gekauft hat. Mulligan, wenn ihr etwas Kaffee habt, ich habe mächtigen Durst, und bin seit gestern noch nicht zur Ruhe gekommen!«

Er bekommt Kaffee, sieht dabei Betty Mulligan, ein dralles, freundliches Mädchen und verabschiedet sich dann auf dem Hof.

»Weißt du, wo du zu suchen hast?« fragt ihn Mulligan zum Abschied.

»Ich denke«, murmelt Jim und grüßt knapp zum Fenster hinüber und reitet vom Hof.

Er hat nach der Karte die einzelnen Ranches im Kopf, schlägt sofort die Richtung nach Westen ein und schwenkt erst um, als Mulligan ihn bestimmt nicht mehr sehen kann.

Jim Reynolds reitet nach Süden über den Buena-Vista-Bach hinweg und läßt sein Pferd schnell auf den Cottonwood-Bach zulaufen.

Es dauert nicht lange, dann erreicht er den Bachlauf, bleibt aber nicht unten im Tal, sondern reitet auf die steile Hügelkette zu, die sich beiderseits des Tales hinzieht.

Nach kaum einer Stunde hat Reynolds die ersten Grate hinter sich und nähert sich jetzt dem höchsten Punkt der Humboldt-Kette. Jenseits der steilen Grate senkt sich das Gelände wieder, er kann linker Hand den Pole Canyon ausmachen, an dessen Ende eine Ranch liegen muß.

Vor ihm liegt nun wie eine Barriere die erste Schluchtwand, an der er entlangreiten muß, wenn er in den Canyon will.

Reynolds reitet langsam an, er kennt den Weg nicht genau. Kaum ist er eine halbe Meile weiter, da biegt der Weg scharf nach rechts ab. Jim hält an, wendet sein Pferd und sagt grimmig:

»Das ist ein Paßweg, der auf dem Grat entlangführt. Ich Narr, jetzt muß ich umdrehen!«

Und dann wendet er sein Pferd.

In dieser Minute jagt der Mann, der Reynolds die ganze Zeit von den Bergen aus beobachtet hat, sein Pferd scharf an und fegt hinter einige Büsche dicht an der Kehre, an der Reynolds nach rechts abgebogen ist. Hier ragen einige Felsen hoch auf. Der Weg zur Schluchtwand läuft genau unter ihnen durch und verschwindet um die nächste Kehre nach Süden.

»Er ist wirklich genau hingeritten«, sagt der Mann und verzieht sein Gesicht zu einer wilden Grimasse. »Und dann muß er sich gesagt haben, daß nur ein Mann hinter der Sache stecken kann, denn er kommt her. Dann komm nur, mein Freund, du sollst dich gleich wundern!«

Er bindet sein Pferd hinter den Felsen, etwa hundert Meter vom Weg entfernt, an, nimmt dann sein Lasso und das Gewehr mit und kriecht mühsam auf die Felsen, hinter denen er sich duckt.

Langsam rollt er sein Lasso auf, blickt vorsichtig über den Felsblock vor sich und grinst.

Reynolds kommt den Weg wieder zurück. Er wird genau unter ihm durchreiten.

Schon hört man das Klappern der Hufe auf dem Weg. Reynolds reitet im Schritt bis an die erste Kehre, an der sich der Weg gabelt. Er reitet links weiter.

»Du Narr«, sagt der Mann oben auf dem Felsen grimmig, unter dem Reynolds in zwei Metern Entfernung durchreiten muß. »Du denkst wohl, du wirst uns überraschen, wie? Warte nur, wer nachher sehr überrascht sein wird!«

Er zieht sein rechtes Bein an, hält ein Lasso locker in der Hand. Reynolds kommt immer näher.

Und dann ist er unter ihm.

Der Mann richtet sich jäh auf und schleudert die Schlinge mit einem kurzen Ruck aus dem Handgelenk auf Reynolds.

Das Lasso fällt so gut, daß der Mann sie nur mit einem erneuten Ruck anziehen braucht, um Reynolds die Arme an den Körper zu pressen. Zugleich stößt der Mann einen schrillen Schrei aus, der Reynolds Pferd anspringen läßt.

Unter Jim Reynolds springt der Gaul weg, Jim wird aus dem Sattel geschleudert, spürt den wilden Ruck, mit dem ihm die Arme an die Seiten gepreßt werden und stürzt dann auf den felsigen Boden.

Ein stechender, scharfer Schmerz geht beim Aufprall durch seine rechte Schulter. Er hat das Gefühl, daß sein Arm gebrochen ist. Er steht auf, wird aber umgerissen und prallt mit dem Kopf gegen die Felswand, rutscht haltlos an ihr herunter und liegt still.

Der Mann über ihm blickt kurz über die Kante. Er sieht Reynolds unten liegen, der sich nicht mehr rührt. Hastig klettert der Mann herunter, schneidet das Lasso entzwei und bindet Reynolds die Beine zusammen. Als er Jims rechten Arm berührt, stöhnt dieser einmal tief.

»Hast du ihn dir gebrochen?« sagt der Mann über ihm und sieht eiskalt auf ihn herab. »Nun, dann wird es noch mehr nach einem Unfall aussehen!«

Er bindet ihm auch noch die Hände zusammen und nimmt ihm dann den Revolver weg. Danach holt er die Pferde, legt Reynolds quer über den Sattel und steigt auf sein Pferd.

Jim Reynolds wacht mit einem dumpfen Schmerz in der rechten Schulter auf. Er stöhnt heiser, hört dann einen Mann lachen und neben sich einen Sattel knarren.

Mühsam hebt Jim den Kopf, sieht den Sattel neben sich und senkt den Blick wieder.

Der Sattel ist so teuer, daß Jim ihn sich niemals kaufen würde. Die Silbernägel funkeln in der Sonne.

»Na«, sagt Lee Hull knarrend. »Jim, mein Freund, du hast genau das getan, was ich gehofft habe. Hast du etwa Schmerzen in deinem Arm?«

»Keine«, erwidert Jim und bemüht sich, möglichst ruhig zu reden. »Du stinkst immer noch nach Petroleum, Lee!«

Lee Hull zieht wirklich die Luft scharf ein, sagt dann aber grimmig:

»Ich stink nicht, Schlangenfresser.«

Einen Moment schweigt Hull, die Pferde gehen an, Jim kann den Boden erkennen und einen Teil der Gegend ausmachen. Es geht nach links in ein Tal hinein.

Auf einmal stößt ihn Hull an, kichert und fragt dann höhnisch:

»Schlangenfresser, bist du neugierig?«

»Manchmal schon!« gibt Jim kühl zurück und denkt, daß er vor Schmerz in dem Arm, den Hull ihm mit Gewalt auf den Rücken gebunden hat, brüllen muß.

»So, manchmal. Willst du wissen, wohin ich mit dir will?«

»Sicher zu deinem Freund Lacombe, wie?«

»Lacombe ist ein Narr«, brummt Hull. »Er hat nicht die Hälfte Verstand wie sein Vetter und will nicht mehr, wenn ich dich nicht schaffe!«

»Dann weiß er nicht, daß du den Wald angesteckt hast?«

»Das habe ich ihm heute früh gesagt, er ist beinahe vor Furcht gestorben, der Feigling. Ich bin nicht feige, hörst du?«

»Du, du bist noch feiger als feige, Lee. Du wirst immer nur groß sein, solange dir jemand nicht gewachsen ist, das weißt du auch. Täusche dich nur nicht selbst.«

Hull schweigt, knirscht aber hörbar mit den Zähnen. Erst nach einer ganzen Weile sagt er zischend:

»Du wirst bald schreien, daß ich Gnade walten lasse, du wirst bald schreien!«

Diesmal gibt Jim, der rasende Schmerzen in seinem gebrochenen Arm hat, keine Antwort. Anscheinend erwartet Hull auch keine, denn er murmelt unverständliche Worte vor sich hin.

Nach zehn Minuten hält er an. Er zieht Jim vom Pferd und schleift ihn zu einer Felswand, an die die Sonne prallt.

Dort erst richtet ihn Hull auf, so daß er sitzen kann, und bleibt breitbeinig vor ihm stehen.

»Wir sind da, Schlangenfresser!«

»Ein schöner Patz, wirklich!«

»Dir wird der Spott gleich vergehen! Weißt du, was ich mit dir machen werde?«

»Irgendwas schon!«

»Bist du nicht neugierig, he?«

»Nein, nicht mehr!«

Hull kneift die Augen zusammen, starrt ihn durchdringend an und sagt:

»Dann sieh dich mal genau um, siehst du was?«

Jim Reynolds sieht einige verdorrte Büsche, an der anderen Wand des Talkessels die Geröllhalde und eine Menge mittlerer Felsblöcke rechts an der Wand, in der viele Risse und Spalten sind.

»Na?«

»Nichts«, sagt Jim beherrscht, obwohl er Orte wie diesen hundertfach gesehen hat. »Was soll hier sein?«

»Stell dich nicht dumm, Schlangenfresser! Wenn es wahr ist, was sie alle sagen, dann weißt du es ganz genau. Hast du keine Angst?«

»Nein!«

»Du wirst vor Angst brüllen, sage ich, du wirst vor Angst laut schreien und mich um Hilfe anflehen!«

Jim blickt in sein verzerrtes Gesicht und schüttelt langsam den Kopf.

»Weil du vor mir Angst gehabt hast, da meinst du, ich müßte auch vor dir welche bekommen? Lee, ich werde nicht schreien, niemals. Ich bin kein Feigling wie du!«

Lee Hull verfärbt sich, holt mit dem Fuß aus, tritt aber dann doch nicht.

»Mensch«, sagt er gurgelnd vor Wut, »Mensch, du wirst heulen, sobald ich die Schlange habe, du wirst mit den Zähnen klappern und die Augen verdrehen! Du wirst mir alles bieten, was du hast, wenn ich dir helfe!«

»Du bist ein Narr!«

»Was bin ich?«

Er sieht Jim so fürchterlich an, daß dieser an seinem Verstand zweifeln muß. Hull wendet sich um, geht bis an einen Busch und schneidet mit seinem Messer einen Ast mit einer Gabel ab.

»Siehst du, was ich mache?« brüllt Lee Hull mit überschnappender Stimme. »Siehst du es jetzt, du Großmaul?«

»Lee, du bist wahnsinnig, mein Freund. Hast du schon mal eine Schlange gefangen?«

»Nein, aber ich kann es, ich kann alles! Ich habe mich erkundigt. Sie liegen dort hinter den Felsen in der Sonne. Ich scheuche sie auf.«

»Lee, ich an deiner Stelle würde es nicht versuchen, es ist wirklich gefährlich!«

»Was du kannst, du Schlangenfresser, das kann ich schon lange!«

Lee Hull stößt ein wildes Gelächter aus, verzieht sein Gesicht höhnisch und springt auf ihn zu, ihm mit dem Stock vor dem Gesicht herumfuchtelnd.

»Aha, jetzt haben wir es, jetzt haben wir es! Angst hat er, Angst! Da versucht er, mir aus lauter Angst einzureden, daß ich es nicht kann, der Feigling. Will mir weismachen, daß ich es nicht auch schaffe. Angst hast du, Angst!«

Er lacht, stößt Jim den Stock vor die Brust und springt von einem Bein auf das andere.

»Hör auf zu lachen«, sagt Jim ernst. »Ich habe keine Angst, Lee, du irrst dich, Mann. Laß es sein, es kann dir passieren, daß du Pech hast und dich eine Schlange erwischt. Hier sind sehr viele von den Viechern!«

»Die hört man, sie klappern, wenn sie kommen!«

»Sie klappern um diese Zeit nicht, die Schwänze klappern erst, wenn sie trocken werden. Lee, sei kein Narr!«

»Er will mir Angst machen!« brüllt Lee Hull schrill. »Mir! Dieser Schlangenfresser, er belügt mich, um seine Haut zu retten. Er will mir die Furcht einblasen! Jetzt gehe ich los!«

»Lee«, sagt Jim und erkennt voller Entsetzen, daß sich Lee Hull in eine Wahnidee verrannt haben muß. »Lee, Mann, bleib hier! Ich kenne Plätze wie diesen genug, hier sind nicht nur zwei oder drei, hier sind Dutzende von Klapperschlangen!«

Lee Hull lacht brüllend und schwingt den Stock.

»Halt an, Mensch«, brüllt Jim heiser. »Du rennst in dein Verderben. Störst du eine auf, dann kommen die anderen heraus. Es ist noch zu früh, sie schlafen noch, Lee!«

»Angst will er mir machen – mir? Dabei zittern ihm die Knie, dem Feigling, dabei quellen ihm die Augen vor Furcht aus den Höhlen, dem Burschen! Ich bin gleich da, gleich habe ich eine. Und wenn ich sie habe… Handschuhe habe ich mitgenommen!«

»Mann, halte an! Du weißt nichts von ihnen, du kennst sie nicht. Halte an, Mensch!«

Lee Hull rennt auf die Wand zu, stolpert über das Geröll und schreit dabei:

»Lauter Klapperschlangen für Klapperschlangen-Jim! Du hast schon Tausende umgebracht, was?«

»Hör auf, du bist ja verrückt«, schreit ihn Jim heiser an. »Du brauchst nur eine falsche Bewegung zu machen, dann schnappen sie zu, sie vertragen keine Störung, das reizt sie nur noch! Lee, halte an!«

Lee Hull rennt auf die Wand zu, blickt auf den Boden und hebt den Stock hoch.

Er dreht den Stock um, nimmt die Gabel in die Hand und stößt den Stock in einen Spalt hinein.

Knacks, der Stock bricht ab.

Hull stößt einen hellen Schrei aus. Er steht einen Schritt vor der Felswand, als der Stock, den er mit aller Macht in einen Spalt gestoßen hat, glatt durchbricht.

Hull fällt nach vorn an die Felsen. Abwehrend streckt er die Hände aus, prallt mit der rechten Hand gegen den rauhen Fels und stößt einen schrecklichen Schrei aus. Dann betrachtet er seine Hand.

Aus seinem Mund kommt ein fürchterlicher, schriller Laut. Er taumelt nach hinten, preßt die Hand an seine Brust und wird kreidebleich. Seine Kraft scheint ihn zu verlassen. Er torkelt heftig, geht dann in die Knie und streckt die Hand Jim Reynolds entgegen.

»Du – du«, sagt er lallend. » Gebissen – du, ich – ich bin – gebissen!«

Er rutscht auf seinen Knien auf Jim Reynolds zu und schreit immer wieder:

»Ich bin gebissen worden! Ich bin gebissen worden!«

»Sei still, zeig her«, sagt Jim keuchend, die wild flackernden Augen Hulls dicht vor sich. »Zeig her, ich glaube nicht…«

Hull hebt die Hand hoch, zeigt sie ihm und schreit:

»Ich muß sterben, ich bin vergiftet, ich muß sterben, wie ein Hund sterben!«

Jim Reynolds blickt auf die Hand und sagt heiser:

»Das sieht nicht nach einem Biß aus, es blutet zu sehr. Wisch es ab! Abwischen sollst du es!«

»Abwischen? Ich muß sterben!«

»Halte deinen Mund, du Feigling, so schnell stirbst du nicht! Zeig jetzt her! Nein, das ist kein Biß!«

»Ich muß sterben, ich muß wie ein Hund sterben!«

»Hör doch, das ist kein Biß, Lee!«

Lee Hull zuckt zusammen, seine Lippen bewegen sich, dann sagt er:

»Kein Biß – nicht sterben?«

»Nein, es ist kein Biß, du stirbst daran nicht!«

Hulls Augen flackern, dann taucht jäh Mißtrauen in ihnen auf.

»Du lügst, du Schlangenfresser, du willst nur, daß ich langsam sterbe, ganz langsam! Du lügst mich an, weil du Spaß daran haben willst. Oh, mein Arm, mein Arm wird kalt!«

»Du bist ja wahnsinnig, Mensch! Dein Arm kann gar nicht kalt werden, denn das ist kein Biß! Du hast dich an einigen Felsspitzen gestoßen, glaube mir doch!«

»Wird kalt«, sagt Hull und stiert auf seinen Arm. »Der wird eiskalt. Ja, ja, ich muß sterben, das Gift bringt mich um! Du – du, denkst du, ich falle um und kann dir nichts mehr tun, wenn du mich lange genug beschwatzt hast? Könnte dir so passen, daß ich umfalle und nichts mehr tun kann, was?«

Er starrt Jim an, greift dann langsam nach seinem Revolver und sagt lallend:

»Ganz kalt – ganzer Arm wird kalt. Das Gift bringt mich um, aber vorher will ich noch dich…«

Und dann hat er seinen Revolver in der rechten Hand und stützt tatsächlich die rechte Hand mit der linken, weil er sich vor lauter Furcht einbildet, den Arm nicht mehr bewegen zu können.

Er kauert keine drei Schritt vor Jim Reynolds am Boden und hebt den Revolver langsam immer höher.

Dann zieht er den Hammer des Revolvers nach hinten.

Jim Reynolds blickt auf den Revolver, sieht den Hammer hochkommen und wartet nur noch auf das Krümmen des Zeigefingers.

Lee Hull ist vor Furcht fast irr und wird schießen, weil er sich einbildet, sterben zu müssen, während Jim Reynolds ihn überlebt.

Jim schließt die Augen, hört den brüllenden Knall und dann das heftige Kollern von Steinen. Er öffnet die Augen wieder, als Schritte auf den Felsen zu hören sind, und ein Mann ruft:

»Reynolds, Vorsicht, er bewegt sich!«

Im nächsten Augenblick tauchen zwei, drei Männer auf, stürzen sich nach unten und rennen auf ihn zu. Einer läuft zu Hull, reißt dessen Revolver an sich und durchsucht fieberhaft seine Taschen.

Jim aber sitzt da, starrt sie verstört an und sagt endlich japsend:

»Strong, Mann, wo kommst du her?«

Strong, den Revolver in der Faust, zuckt die Schultern und grinst lässig.

Cooper und Tucker beugen sich zu Jim herunter, binden ihn los und grinsen auch.

»So ein verrückter Bursche«, sagt der mürrische Tucker. »Geht er wirklich an dem Biß…«

»Es ist kein Biß, wirklich nicht. Bindet ihn, ich brauche ihn noch. Strong, ihr solltet doch verschwinden?«

Strong sagt grinsend: »Wir haben uns gesagt, daß jeder denkt, wir seien verschwunden.«

Jim blickt ihn an, sieht das seltsame Grinsen der drei Burschen und fragt sich, was sie wirklich bewogen haben mag, solange zu bleiben und sich der Gefahr der Entdeckung auszusetzen.

»Habt ihr mich gesehen?«

»Ja«, meint Tucker. »Dich und deinen Verfolger. Da sind wir neugierig geworden, anscheinend nicht zur falschen Zelt, was? Wir haben hier oben ein Versteck, aber wir wollten ohnehin morgen fort!«

»Morgen?« fragt Reynolds nachdenklich. »Morgen – Strong, du Gauner, ich weiß es!«

Strong schielt ihn schief an und grinst nicht mehr.

»Was weißt du, he?«

»Ihr habt doch für die Mine die Stempel gefahren, wie?«

»Na und?«

»Und morgen kommt das Geld, mit dem die Mine die Löhne bezahlt! Morgen früh, was?«

»Was er nicht alles redet?« wundert sich der mürrische Tucker. »Reynolds, wir sollten dich hier liegenlassen!«

»Hört zu, ihr Narren«, keucht Jim scharf. »Das könnt ihr nicht machen! Der Transport wird kaum mehr als zweitausend Dollar bringen. Macht keinen Unsinn, sie werden euch dann überall suchen, auch in Kalifornien. Strong, du bist doch nicht der Narr, der sich selbst einen Strick um den Hals legt? Hört zu, geht nach Sacramento zu Tilghman, er ist der Teilhaber von Howard Dunns Linie. Bestellt ihm einen Gruß von mir und sagt ihm, daß er euch einen anständigen Job geben soll. Sie bauen eine Oregon-Linie aus. Geht hin, ich will sehen, was ich für euch später tun kann, aber macht diesen Fehler nicht, hört ihr?«

Die drei Männer wechseln einige Blicke, dann steht Strong auf und grinst.

»Du wirst doch deinen Freund Hull dem Sheriff ausliefern, was?«

»Natürlich, er hat den Wald angesteckt. Und wie ich Milton kenne, läßt der Hull die ersten zwanzig Jahre nicht heraus! Was willst du sagen, Strong?«

Strong prüft kurz die Fesseln von Hull, der die Kugel in die rechte Schulter bekommen hat und nur wenig blutet. Dann grinst er, wendet sich um und geht zu Hulls Pferd.

»Wenn ich so nachdenke«, sagt der hilfsbereite Bandit Strong dort glucksend, »dann braucht dieser freundliche Mister seinen Prachtsessel sicher nicht mehr, wie?«

»Strong, he!«

»Streng dich nicht an, du hast einen gebrochenen Arm, du brauchst uns nicht zu helfen, Jim!«

»Mensch, ihr seid doch!«

»Was?« fragt Tucker mürrisch. »Braucht er ihn vielleicht noch? Bring den Narren, der glaubt, sterben zu müssen, nur gut zum Sheriff, mein Freund. Von dem Sattel läßt sich eine ganze Weile gut leben. Vielleicht gehen wir auch gleich zu Tilghman!«

»Wenn ihr klug seid, dann macht ihr es, ich denke nicht, daß Milton euch verfolgen läßt!«

»Sage ihm, wir wollen ihn nicht erschießen müssen«, brummt Strong. »Wiedersehen – Schlangenfresser!«

Sie verschwinden, und er hört sie lachen.

Dann richtet er sich ächzend auf, nimmt seinen Revolver wieder an sich, den sie Hull aus dem Gurt gezogen haben und steckt die Waffe in das Halfter.

»Das war knapp«, sagt er bitter. Der Schmerz steckt in seinem Arm und tobt sich aus, weil er nicht genug Widerstand nach vierundzwanzig schlaflosen Stunden in Jims Körper findet. »Diese Burschen, man soll es doch nicht für möglich halten! Komm schon, Lee, vielleicht lasse ich dich solange in dem Glauben, gebissen worden zu sein, bis der Sheriff uns trifft. Du wirst dann sicher alles sagen, was du ausgefressen hast.«

Mit Müh und Not schafft er es, Hull in den Sattel zu hieven. Erst dort verbindet er ihn.

Nach einer Viertelstunde steigt er selbst auf sein Pferd. Er sieht sich um, blickt auf die Löcher und Risse in der Wand, auf die jetzt die Sonne prallt.

Klapperschlangen suchen sich immer eine Ostwand als Nistplatz aus, das hat er schon mit zwölf Jahren genau gewußt.

Er hört sie und starrt auf die Löcher und Risse.

Dann taucht die erste auf, ihre Zunge bewegt sich spielerisch.

Der Mann wartet und sieht die Schlangen kommen, immer mehr.

Plötzlich erinnert sich Jim an den Tag auf dem Moenkopi-Plateau, an dem sein Vater durch einen Schlangenbiß starb.

»Nein«, sagt er, als er sein Pferd herumnimmt und mit dem besinnungslosen Hull anreitet. »Nein, im Grunde ist das alles sinnlos gewesen, jetzt weiß ich es. Klapperschlangen-Jim, ich fürchte, ich werde den Namen nie mehr los, aber vielleicht habe ich ihn verdient, ich kann es nicht mehr ändern. Wenn dies hier vorbei ist, dann will ich nach Reno reiten. Vielleicht wird sie denken, daß ich mich geändert habe, wenn sie mich ohne Häute ankommen sieht, aber es hat den Sinn verloren, dieses Reiten.«

*

Es ist Sonntag.

Auf der Weide unter den Bäumen hinter Old Sams Ranch wimmelt es von Holzfällern, Mastenpflanzern und Drahtziehern.

Die Tylers sind weg. Old Sam hat sie entlassen.

Lee Hull sitzt in Lovelock im Jail. Dicht neben ihm sein prächtiger Boß Lacombe. Lacombe wird wohl nicht viel passieren, aber Hull…

Oats, Bat und Duncan Sprudis stehen zusammen an einem Wendespieß.

Die anderen sitzen alle an langen Brettertischen und sehen einen ganz zufriedenen Old Sam neben Howard Dunn und Art Davis sitzen.

»Ja«, sagt Old Sam Lewis zu Dunn. »Mein lieber Freund, alles kommt anders, als man denkt.«

»Dann wirst du also eine Schwiegertochter aus einer Bäckerei bekommen?«

»Das macht gar nichts, meine ich. Außerdem gefällt sie mir. Ich sage immer, zwanzig Jahre jünger müßte man sein!«

»Wem«, seufzt Dunn, »sagst du das, Sam? Wo ist Jim eigentlich?«

Jim Reynolds ist nicht da, wenigstens nicht hinter dem Haus.

Jim Reynolds lehnt an der Wand neben der Tür des Hauses, vor der das Mädchen in einem Schaukelstuhl sitzt.

Gehen kann sie zwar, aber sie soll den Fuß nicht anstrengen, damit die Schwellung zurückgeht.

»Ja«, sagt Jim seufzend. »Wir sind beide lahm, wie? Hand und Fuß, ziemlich seltsam.«

Das Mädchen sieht ihn kurz an, wird plötzlich rot und sucht nach Worten.

»Aber – man sagt, Hand und Fuß gehören zusammen, Jim!«

Jim Reynolds schluckt einmal, ehe er antwortet.

»Sicher, sagt man«, murmelt er leise. »Da ist eine alte Lady, meine Tante Tilda, sie hat einen Saloon…«

»Und wirft Männer hinaus, die ihr nicht gefallen, ich weiß. Merriwater Higgs hat mir von ihr erzählt, als ich in der Hütte gelegen habe.«

»So schlimm ist sie nicht. Ist Merriwater Higgs gefragt worden, ob ich Verwandtschaft habe?«

»Ach«, meint sie verlegen. »Jemand hat sich auch nach mir erkundigt, Jim, ist es nicht so?«

»Es ist so. Die alte Eule hat gesagt, ich sollte eines Tages gefälligst eine ordentliche Frau mitbringen. Aber so ein Saloon und ein Hotel machen mächtig viel Arbeit.«

»Wenn Hand und Fuß zusammenhalten, dann sollte das zu schaffen sein, Jim.«

»Meinst du, Lady?« fragt er heiser. »Ich bin sicher, du würdest der alten Eule gefallen.«

»Vielleicht schreibst du ihr das erst?«

»Ich bin schreibfaul, aber ich kann es tun. Wenn ich hier mit der Arbeit fertig bin – würde der Fuß mitkommen?«

»Ich glaube, er würde ohne seinen Arm langsam sterben. Jim, du bist so weit weg!«

»Ist das nahe genug?« fragt er und tritt hinter den Stuhl.

Old Sam Lewis kommt mit Howard Dunn um die Hausecke und bleibt wie angewurzelt stehen.

Dann gehen zwei Männer auf Zehenspitzen zurück und sehen sich an.

»Hast du das gesehen, Howard?«

»Ich denke, ich sehe noch ganz gut.«

»Jetzt bin ich sie auch los, was?«

»Es sieht so aus, Sam.«

Sam Lewis holt tief Luft.

Und dann sagt er grollend:

»Dieser – dieser Klapperschlangen-Jim!«

G.F. Barner Staffel 9 – Western

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