Читать книгу Anno 2100 - Moderne Kurzgeschichten und Gedichte über das 21. Jahrhundert - Gino Aliji - Страница 6

Eine Ära geht zu Ende

Оглавление

2024 brachen die Dämme der Elektroautoindustrie. Plötzlich wollte jeder einen Stromer fahren und konnte es sich auch leisten. Nicht so Herr Umbert, er kaufte damals ein Verbrennungsauto und ist heute einer der letzten, der ein solches Fahrzeug privat überhaupt noch fährt. Er möchte nun endlich dem Strom folgen und sein geliebtes Stück als geschichtliches Andenken an ein Museum weitergeben.

Eine Reportage von Odi Majan, 24.05.2043

Als Friedrich Umbert den Schlüssel in die Zündung steckt und seinen mittlerweile 19 Jahre alten Ford Universe zum Leben erweckt, geht eine leichte Vibration durchs Auto und aus dem Motorraum ertönt ein leises Brummen.

Herr Umbert nickt zufrieden. „In all den Jahren hat mir dieser Wagen nicht ein einziges Mal wirkliche Probleme bereitet“, sagt er fast entschuldigend. „Er läuft immer noch so, wie am ersten Tag und war mir in den 19 Jahren ein treuer Geselle. Natürlich gibt es immer mal wieder kleine Dinge, die an so einem Wagen mit der Zeit gemacht werden müssen. Aber bereuen tue ich den Kauf auf keinem Fall.“

Es ist Januar und die Außentemperaturen sind das erste Mal seit Weihnachten wieder stark unter den Gefrierpunkt gefallen. „Die alten Verbrennungsmotoren sollte man am besten immer vorsichtig warmfahren“, erklärt er. „Das hat etwas mit der Ausdehnung der Kolben in den Zylindern und der Schmierfähigkeit des Öls zu tun“, fährt er fort und legt den ersten Gang ein. Herr Umbert tritt aufs Gaspedal, der Motor heult leicht auf und der Wagen setzt sich langsam in Bewegung.

Der Innenraum des Autos ist kalt und ich bitte Herrn Umbert, die Heizung aufzudrehen. „Da müssen Sie sich leider noch etwas gedulden, junger Mann“, bekomme ich mit einem strafenden Unterton als Antwort zurück. „Die Heizung wird erst dann richtig warm, wenn auch der Motor seine Betriebstemperatur erreicht hat.“

Ich konfrontiere ihn mit der Tatsache, dass die Heizungen in Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeugen keine „Vorwärmzeit“ benötigen und die Innenraumluft sofort aufwärmen. Herr Umbert entgegnet darauf nur kalt: „Wenn ich das all die Jahre überlebt habe, dann werden Sie es sicherlich auch.“ Er lacht kurz auf. „Die Jugend von heute …“, murmelt er dann fast unhörbar vor sich hin.

Während ich darauf warte, dass die Heizung endlich ihren ersehnten Dienst aufnimmt, schaue ich mir den Herrn Friedrich Umbert genauer an. Trotz seines stolzen Alters von fast 80 Jahren bewegt er sich aufmerksam und vorausschauend durch den Straßenverkehr. Er hat eine schlanke Statur, trägt einen kurzen grauen Bart, eine ebenso kurze Haarkranzfrisur und schaut mit einem lieben, aber strengen Blick zu mir herüber.

„Und, was halten Sie von so einem alten Verbrenner? Gar nicht mal so schlecht, was?“, fragt er mich mit einer Mischung aus Neugier und Provokation in seiner Stimme.

Ich denke einen Moment nach. „Es ist ungefähr so, wie ich es als Kind in Erinnerung habe“, gestehe ich ihm. „Man gewöhnt sich schneller wieder an die Vibrationen und die Geräusche aus dem Motorraum.“

„Ach, ihre Eltern fuhren damals auch noch einen Verbrenner?“, bekam ich überrascht als Frage zurück.

„Ja, sie hatten damals einen alten Mercedes Benz“, erzähle ich. „Das war eine richtige Klapperkiste und dauernd ging irgendetwas daran kaputt. Ich erinnere mich noch daran, wie sich meine Eltern einmal darüber stritten, ob sie das Auto noch reparieren lassen sollten, oder nicht. Damals ging es für sie um ziemlich hohe Kosten. Sie haben sich dann relativ schnell ein Elektroauto zugelegt, weil es schlichtweg günstiger für sie war.“

„Günstiger in der Haltung, aber nicht in der Anschaffung, oder?“, fragt Herr Umbert. „Ich erinnere mich, dass die Elektroautos am Anfang ziemlich teuer gewesen waren. Ganz zu schweigen von den Wagen mit Brennstoffzellen.“

„Das stimmt. Aber meine Eltern verkauften einfach ihren alten Wagen, kratzten ihre letzten Ersparnisse zusammen und schafften es dann trotzdem, sich einen gebrauchten Renault ZOE zuzulegen. Sie erzählen mir heute immer noch, dass sie diese Entscheidung nie bereut hätten.“

Herr Umbert überlegt einen Moment lang. „Renault ZOE … Ja, ich erinnere mich noch an dieses Modell. Ein hübscher elektrischer Kleinwagen. Den hatte ich damals auch im Blick, das war aber noch vor 2024, vor dem Elektoboom. Da kosteten diese Autos noch ein kleines Vermögen.“

Während wir auf eine alte Treibstofftankstelle fahren, erklärt mir Herr Umbert, dass er anfangs auch von den Elektroautos begeistert gewesen sei, sie sich aber einfach nicht leisten konnte und es noch kaum Lademöglichkeiten für Leute gab, die kein eigenes Haus mit Solardach besaßen. Außerdem wollte er für ein Auto keinen Kredit bei der Bank aufnehmen, für ihn gab es wichtigere Dinge im Leben als ein Auto.

Wir beide steigen aus dem alten Ford aus und ich schaue mir interessiert die alten Tanksäulen an. Bei ihrem Anblick kommen alte Kindheitserinnerungen in mir hoch.

Herr Umbert schiebt seine DigiCash-Karte in den Kartenschlitz der automatisierten Tanksäule, nimmt die Zapfpistole aus der Halterung und hält sie mir hin. „Wollen Sie es mal versuchen?“, fragt er mich herausfordernd. Ich nehme ihm die Zapfpistole ab und stelle mich vor das Tankloch. Herausforderung angenommen.

Mein Vater betankte mit mir zusammen einmal sein Fahrzeug, als ich noch sechs Jahre alt war. Während des Tankens bemerke ich den stechenden Benzingeruch, den ich ebenfalls noch dunkel aus meiner Kindheit kenne.

„Man sollte die Dämpfe nicht zu tief einatmen“, sagt mir Herr Umbert, als er bemerkt, wie ich meine Nase rümpfe. „Wussten Sie, dass es damals Leute gab, die diesen Bezingeruch sogar unwiderstehlich fanden?“

„Das müssen ja seltsame Leute gewesen sein,“ sage ich mit gerunzelter Stirn.

Herr Umbert lacht. „Ja, in der Tat. Das waren wirklich andere Zeiten damals. Manchmal habe ich das Gefühl, als wäre früher alles einfacher und besser gewesen, aber rein logisch betrachtet macht das natürlich keinen Sinn“, offenbart er mir dann. „Immerhin fährt man heute wesentlich umweltfreundlicher als damals und auch bei den Leuten hat ein Umdenken stattgefunden. Sie leben heute umweltbewusster und gesünder.“ Nach einer kurzen Pause fährt er fort, „Ich weiß, dass ich nicht so klinge, wie es das Klischee von alten Leuten immer behauptet, aber ich wünsche mir die Welt von früher auf keinen Fall zurück.“

„Und trotzdem fahren Sie noch einen alten Verbrenner, Herr Umbert?“, entgegne ich ihm.

„Ja, aber nicht mehr lange“, sagt er grinsend, als wir zurück ins Auto steigen.

„Früher gab es viel mehr von diesen alten Treibstofftankstellen“, sagt er beim Einbiegen auf die Hauptstraße. „Heute muss man teilweise sehr weit fahren, nur um seinen alten Verbrenner überhaupt noch auftanken zu können. Und wenn man dann mal eine Tankstelle gefunden hat, dann muss man sich auch noch mit diesen blöden automatisierten Tanksäulen herumschlagen. Früher waren da wenigsten noch echte Leute, mit denen man an den Kassen sprechen konnte.“ Herr Umbert seufzt tief. „Na ja, heute leben wir einfach in anderen Zeiten“, sagt er dann nach einer kurzen Pause.

Nachdem die Elektoautoindustrie ab 2024 immer mehr Elektrofahrzeuge verkaufte und der enorme Verkaufserfolg auch mehrere Jahre später noch anhielt, bekam man das zuerst an den Tankstellen zu spüren. Viele Tankstellenstandorte wurden nach und nach geschlossen, weil sie keine Gewinne mehr abwarfen und auch die Politik wandte sich mehr und mehr von der damaligen Öl- und Autoindustrie ab, als klar wurde, dass die Zukunft der Fortbewegung in der Elektromobilität lag. Als nächstes kam das Elektromobilitätsgesetz im Jahr 2026, welches Besitzern von Elektrofahrzeugen steuerliche Vorteile, kostenlose Lademöglichkeiten an öffentlichen Straßenlaternen und exklusive Parkplätze zusicherte. Im gleichen Atemzug war im selben Jahr eine sogenannten Umweltschadensausgleichssteuer für Besitzer von Verbrennungsfahrzeugen vorgesehen, aber durch die Arbeit der damaligen Lobbyistenverbände wurde die Einführung der Steuer erst 2029 durchgesetzt.

Jetzt da der Innenraum von Herrn Umberts Wagen kuschelig warm geworden ist, fasse ich all meinen Mut zusammen und stelle ihm die entscheidende Frage. „Herr Umbert, heutzutage muss so ein altes Verbrennungsauto doch eine echte Stange Geld kosten. Ich meine, Sie zahlen ja nicht nur für den Treibstoff, die zusätzlichen Steuern, sondern auch für etwaige Reparaturen. Da diese Motoren aus unzähligen Kleinteilen bestehen und dann noch an einem Getriebestrang hängen, kann dort doch alles Mögliche zu Schaden kommen. Warum haben Sie sich nicht schon längst ein Elektro- oder Brennstoffzellenauto zugelegt?“

Herr Umberts Gesichtsausdruck nimmt einen ernsteren Ausdruck an. „Nun, das hat ehrlich gesagt mehrere Gründe“, setzt er an. „Zuerst dachte ich, dass der überraschende Erfolg dieser Fahrzeuge damals 2024 nur eine Phase war, die wieder vorbeigehen würde. Ich meine, die Verbrennungsmotoren waren damals eine alte, aber ausgereifte Technologie. Ich sah keinen Grund, damals auf eine andere Antriebstechnologie zu wechseln, die nicht nur Nachteile wie eine geringere Reichweite und fehlende Lademöglichkeiten hatte, sondern auch noch in den Kinderschuhen steckte. Ich hätte es damals nie für möglich gehalten, dass wir alle einmal fast nur elektrisch unterwegs sein würden.“

Nach einer kleinen Pause fährt er fort. „Und dann ist da noch der Tod meiner Ehefrau. Mit ihr hatte ich das Auto damals 2024 gekauft und ich habe es bislang einfach nicht übers Herz bringen können, diesen Wagen wegzugeben.“ Herr Umbert holt tief Luft. „An ihm hängen einfach zu viele Erinnerungen. Für mich ist dieses Auto nicht nur ein Fahrzeug, das mich von A nach B bringt. Es ist für mich wie eine Zeitmaschine, die es mir erlaubt, wieder mit meiner Frau zusammen zu sein und an unsere glücklichen Tage zurückzudenken.“ Er macht eine kleine Pause und sagt dann: „Aber alles muss irgendwann ein Ende finden. Ich habe allmählich begriffen, dass meine Frau ein Teil von mir ist“, er tippt mit seinem Zeigefinger erst gegen seine Brust und dann gegen die Stirn, „und ich mein Erinnerungen nur auf dieses Auto projiziert habe.“

Ich nicke nur und gebe ihm so zu erkennen, dass ich verstanden habe. Ich beschließe, die Sache ruhen zu lassen und nicht weiter anzusprechen. Ein Themenwechsel muss her.

„Da Sie ihren Wagen dem neuen Museum für Automobilgeschichte in Wolfsburg überlassen werden und auf ein Elektroauto umsteigen wollen, haben Sie sich denn schon für ein Modell entschieden? Heutzutage ist die Auswahl schließlich nahezu unüberschaubar“, frage ich ihn.

Die Gesichtszüge von Herrn Umbert entspannen sich und seine Augen fangen an zu leuchten. „Oh ja, ich habe mich natürlich schon informiert und ein paar interessante Modelle ins Auge gefasst“, sagt er mit Begeisterung. „Ich hätte natürlich gerne einen Ford, Audi, VW oder BMW als Elektrofahrzeug, aber all die deutschen Autofirmen sind nach dem Elektroboom von 2024 nahezu Pleite gegangen und haben den Einstieg in die Elektromobilität nie richtig geschafft.“

Als wir an einer roten Ampel stehen, schaut er mich direkt an. „Viele wissen es zwar nicht, aber diese Firmen gibt es heute immer noch. Sie sind allerdings nur noch ein Schatten ihrer selbst und bauen hauptsächlich Luxusverbrenner für die Superreichen. Die machen sich ja um die Umwelt und die hohen Strafsteuern keine Sorgen.“

Ich versuche, ihn zurück zu meiner Frage zu leiten. „Ja, die deutsche Automobilindustrie hat damals die große Wende verschlafen und dadurch anderen Firmen wie Tesla, Volta, ElectricDrive oder Sono Motors die Möglichkeit gegeben, sich große Anteile am Markt zu sichern.“

„Das stimmt allerdings“, antwortet Herr Umbert. „Ich tendiere im Moment tatsächlich eher zu ElectricDrive oder Sono Motors. Die haben ein paar sehr schöne kleinere Modelle im Angebot. Als alleinstehender älterer Herr, der ich ja nun mal bin, muss ich keine großen Luxusschlitten mehr fahren.“

Herr Umbert lässt mich in der Nähe meines Wagens raus und ich bedanke mich für die äußerst interessante Probefahrt mit seinem alten Ford Universe. Wir verabreden uns für ein weiteres Treffen zwei Wochen später im Museum für Automobilgeschichte in Wolfburg, dem er sein Auto als einer der letzten Besitzer eines Vebrennungsfahrzeugs übergeben möchte. Bevor ich in meinen Volta Swift steige, höre ich, wie sich der Ford von Herrn Umbert brummend und mit einer kleinen Abgaswolke hinter sich davon macht.

***

Als ich das Museum für Automobilgeschichte zwei Wochen später betrete, befinden sich bereits eine ganze Reihe weiterer Journalisten und Reporter im Eingangsbereich. Auch interessierte Museumsbesucher sind anwesend und stehen vor der festlich geschmückten Bühne in der Eingangshalle. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich den alten Ford Universe wieder, der gut sichtbar und glänzend auf ihr platziert wurde. Die Luft ist von Gesprächsfetzen erfüllt, aber als der Museumsdirektor zusammen mit Herrn Umbert die Bühne betritt, legt sich eine fast gespannte Ruhe über die Zuschauer.

„Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Presse, liebe Besucher“, setzt Direktor Halmet an, „heute ist ein besonderer Tag für dieses Museum und für die Automobilgeschichte. Man könnte vielleicht sogar sagen, dass am heutigen Tag eine Ära zu Ende geht, die weit mehr als ein Jahrhundert angehalten hat und ihren Ursprung am Ende des 19. Jahrhunderts hatte.“

Der Direktor macht eine kleine Pause und das Publikum klatscht Beifall.

„Ich freue mich, Ihnen heute verkünden zu dürfen, dass das Museum ab sofort ein neues Ausstellungsstück zu seiner umfangreichen Kollektion zählen kann“, setzt er fort und zeigt auf Herrn Umberts aufpolierten Ford Universe hinter sich. „Dieser Ford Universe gilt als einer der letzten noch auf der Straße zugelassenen Fahrzeuge mit einem Verbrennungsmotor und wurde 2024 von Herrn Umbert, unserem heutigen Ehrengast neben mir, bis vor ein paar Tagen noch aktiv gefahren.“

Einen Moment später geht die Bühne in einem Schauer aus Kamerablitzen unter. Der Museumsdirektor holt Herrn Umbert näher zu sich heran und die beiden posieren mit einem Lächeln und einem freundlichen Händedruck für die Presse. Danach setzt der Direktor seine kleine Rede fort.

„Wie sie vielleicht alle wissen, wurden von dem Ford Universe damals 2024 nur zehntausend Stück in Europa verkauft und innerhalb kurzer Zeit durch den zunehmenden Umstieg auf Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge verschrottet. Dadurch, dass Herr Umbert diesen Wagen so lange gefahren und gepflegt hat, ist dieses Fahrzeug sozusagen zu einem Einzelstück geworden. Und Museen freuen sich ja bekanntlich immer über Einzelstücke“, sagt er mit einem leicht verschmitzten Lächeln. Der Direktor fährt noch einige Minuten mit seiner Rede fort, spricht von der Zukunft der Automobilindustrie und ihrer „dreckigen“ Vergangenheit.

„Aber nun genug von mir, lassen wir nun Herrn Umbert selbst zu Wort kommen“, sagt er schließlich und räumt seinen Platz am Rednerpult. Herr Umbert tritt leicht verlegen und von den neugierigen Blicken des Publikums etwas eingeschüchtert ans Mikrofon.

„Hallo liebe Besucher“, setzt er an, „mein Name ist Friedrich Umbert und ich freue mich, dass ich selbst in meinem hohen Alter noch jüngeren Leuten und Interessierten mit dieser Geste eine Freude machen kann.“ Er macht eine kleine Sprechpause und das Publikum ergreift die Gelegenheit, um Beifall zu klatschen.

„Ich muss zugeben, dass ich eine sehr lange Zeit lang einfach nicht an den Mythos der Elektromobilität glauben wollte. Die Idee, dass wir alle einmal komplett mit elektrischem Strom fahren und uns fortbewegen sollten, erschien mir damals einfach zu wahnwitzig und zu weit hergeholt. Also schaffte ich mir damals diesen alten Ford Universe an. Ich bereue die Entscheidung nicht und an diesem Fahrzeug hängen auch viele persönliche Erinnerungen, aber erst im Rückblick ist mir klar geworden, dass ich mit meinem Gefährt auf der Straße von Jahr zu Jahr immer mehr zu einer Rarität wurde. Ich sah zu, wie immer mehr Ladestationen an den Straßenrändern auftauchten, ich erlebte, wie die herkömmlichen Tankstellen jedes Jahr immer weniger wurden und ich bemerkte immer öfter, wie sich die Leute immer mehr nach diesem Ford hier umdrehten, wenn ich an ihnen vorbeifuhr. Und dabei ist dieses Auto eine Familienkutsche, wie wir damals sagten, und kein Sportwagen.“

Unter den Zuschauern breitet sich Lachen aus. Auch Herr Umbert muss daraufhin kurz lachen und man merkt, wie die Anspannung von ihm weicht.

„Aber man sollte ein gutes Vorbild für andere sein und zugeben, wenn man sich geirrt hat“, fährt Herr Umbert fort. „Ich habe mich geirrt und es ist genau das passiert, was ich damals für unmöglich hielt. Heute fahren wir alle elektrisch, haben in unseren Städten endlich wieder saubere Luft und gewinnen die Energie fast ausschließlich aus erneuerbaren Quellen. Wir Älteren neigen dazu, die Jugend von heute oft schlechtzureden und uns über ihr seltsames Verhalten zu ärgern. Aber ich glaube, das liegt schlicht und einfach daran, dass wir sie missverstehen. Die Jugend von heute hat nicht nur Unsinn im Kopf, wie wir immer sagen würden. Sie hat aus unserer Welt wieder einen sauberen Ort gemacht und nicht dieselben Fehler begangen, wie meine Generation und die Generationen von mir. Die Jugend von heute ist ihren eigenen Weg gegangen und schauen Sie nur, wo wir heute dadurch stehen. Wir haben wieder saubere Luft und die Zerstörung des Planeten nimmt schon seit dreißig Jahren stetig ab. Und wenn das kein Erfolg ist, dann weiß ich auch nicht. Es wird nun–“

Herr Umbert wird von dem plötzlich ausbrecheden Jubel und Applaus des Publikums unterbrochen. Die Bühne wird wieder von einer Flut an Kamerablitzen überschwemmt und auch der Direktor ist so angetan von den Worten Umberts, dass er ihm anerkennend auf die Schulter klopft. Als sich die Zuschauer wieder beruhigen, setzt er seinen letzten Satz erneut an.

„Es wird nun Zeit, dass ich mich der Zukunft zuwende und dem guten Beispiel der jüngeren Generationen folge. Sie haben mir das gezeigt, was ich für unmöglich hielt, und um ehrlich zu sein juckt es mich schon sehr in den Fingern. Ich möchte auch endlich in den Genuss der elektrifizierten Fortbewegung kommen.“

Nach seiner Rede, werden Herr Umbert und der Museumsdirektor von den Vertretern der Presse belagert. Während sie den investigativen Fragen der Journalisten Rede und Antwort stehen, verlieren sich die anderen Zuschauer allmählich und verteilen sich im restlichen Teil des Museums. Eine ganze halbe Stunde später verabschiedet sich Herr Umbert von den Journalisten und dem Direktor. Ich sehe, wie er ein letztes Mal auf die Bühne geht, seinen alten Ford sanft berührt und ihm etwas zuflüstert. Danach kommt er mit einem Lächeln auf mich zu.

„Schön, dass Sie da sind“, sagt er, als wir uns die Hände reichen.

„Da haben Sie aber eine eindrucksvolle Rede gehalten, Herr Umbert“, lobe ich ihn.

Herr Umbert bleibt bescheiden. „Ich habe nur das gesagt, was schon lange einmal gesagt werden musste. Kommen Sie, ich nehme Sie ein Stück in meinem neuen Wagen mit.“

Wir gehen zusammen auf den Museumsparkplatz und steigen in seinen neuen ElectricDrive Evolution ein. Ich bin vom dem Auto sehr angetan.

„Das ist aber ein sehr schönes Auto, das Sie da haben“, sage ich ihm.

Herr Umbert startet den Wagen und wir verlassen das Parkplatzgelände. Ich bemerke, wie sich auf seinem Gesicht ein Lächeln breit macht.

„Dieses Auto ist Welten von meinem alten Ford entfernt“, sagt er dann. „Es ist fast so, als würde man über die Straße schweben und das nahezu lautlos. Es ist ein wirklich tolles Fahrgefühl.“

„Bereuen Sie es jetzt nicht doch, dass Sie nicht schon viel früher auf ein Elektrofahrzeug umgestiegen sind?“, fragte ich ihn mit einem herausfordernden Unterton.

„Nein“, antwortet er entschlossen. „Aber ich bereue es zutiefst, dass erst unsere Kinder den Mut hatten, diese Antriebstechnologie weiterzuentwickeln und für alle zugänglich zu machen.“

Anno 2100 - Moderne Kurzgeschichten und Gedichte über das 21. Jahrhundert

Подняться наверх