Читать книгу Mami Bestseller 6 – Familienroman - Gisela Heimburg - Страница 9

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»Hallo, Angela, sieht man dich auch wieder mal?«

Angela Hoffmeister, die in Gedanken versunken über die belebte Einkaufsstraße geeilt war, blieb stehen und wandte sich um.

»Du, Ina?« rief sie freudig überrascht und streckte der dunkelhaarigen jungen Frau mit dem Pagenkopf die Hand hin. »Ich denke, du wohnst nicht mehr in Hamburg?«

»Tue ich auch nicht, ich bin nur zu Besuch hier. Aber ich wollte dich ohne­hin anrufen und fragen, ob wir nicht mal eine Tasse Kaffee miteinander trinken wollen«, lächelte Ina Schrader und erwiderte Angelas Händedruck fest.

»Wenn du Zeit hast, können wir es gleich tun, ich habe sowieso nichts zu tun«, erwiderte Angela mit leiser Bitterkeit.

»Gern, ich habe nur einen Einkaufsbummel gemacht und wollte gerade heimfahren.« Ina schob ihren Arm unter Angelas. »Gehen wir ins Café König?«

Angela nickte, und sie steuerten das kleine Café an, das ganz in der Nähe lag.

»Besuchst du deine Eltern?« erkundigte sich Angela.

»Meine Mutter, ja, mein Vater ist vor einem Jahr gestorben. Wir wollten sie danach zu uns holen, aber sie wollte nicht, weil doch mein Bruder noch hier ist und sie seine Kinder betreut, weißt du«, erzählte Ina.

»Und ihr habt noch keine Kinder?« wollte Angela wissen, denn die frühere Kollegin hatte geheiratet und hatte ihre Stellung gekündigt, als ihr Mann versetzt worden war.

Ina lächelte. »Noch nicht«, sagte sie betont.

»Aber bald?« Unwillkürlich ging Angelas Blick an der noch gertenschlanken Figur Inas herunter.

»In einem halben Jahr ist es soweit.«

»Wie schön! Ihr freut euch doch?«

»Und wie! Klaus ist ganz aus dem Häuschen und möchte mich am liebsten in Watte packen.«

Sie waren vor dem Café angelangt, fanden drinnen noch einen freien Tisch und bestellten Kaffee.

»Nun erzähle mal von dir!« bat Ina.

»Was machst du denn jetzt? Daß die Morgenpost eingegangen ist, habe ich gehört, aber…«

»Nichts aber«, fiel Angela ihr ins Wort, »seitdem liege ich auf der Straße. Du weißt ja, Stellen für Journalisten sind zur Zeit nicht gerade dick gesät, und im Zweifelsfalle nimmt man lieber einen Mann, der Weib und Kind zu versorgen hat.«

Erschrocken sah Ina sie an. »Aber du warst eine gute Journalistin, Angela, und leben mußt du schließlich auch!«

»Wer fragt danach?« Bitter verzog Angela den Mund. »Hin und wieder bringe ich einen Artikel an den Mann, aber damit verdient man sich nicht die Butter aufs Brot.«

»Und Peter? Ich meine, er ist ein gefragter Architekt, und ihr könntet doch heiraten.«

»Du kennst ihn doch. Peter liebt seine Freiheit noch immer mehr als mich, außerdem hat mir ein freundlicher Mitmensch gesteckt, daß er wieder einmal eine neue Flamme hat.«

Mitfühlend legte Ina ihre Hand auf die von Angela.

»Das tut mir leid, Angela, weiß denn dieser Dummkopf nicht, was er an dir hat? Du bist noch hübscher geworden und…«

»Keine Komplimente bitte«, unterbrach Angela sie mit einem kleinen Lächeln. »Ich bin immerhin achtundzwanzig, und es gibt jüngere.«

»Aber Peter ist über dreißig!«

»Eben deswegen«, bemerkte Angela ironisch. »Aber sei ganz beruhigt, es tut nicht mehr weh. Darüber bin ich längst hinaus. Ich sehe ihn inzwischen so wie er ist, bin nicht mehr so blind wie zu Anfang und habe auch keinerlei Ambitionen mehr, was eine Bindung betrifft. Seltsamerweise macht er mir zwischen seinen Amouren regelmäßig einen Heiratsantrag, den ich ebenso regelmäßig ablehne, weil ich mir zu gut bin, sein zwischen zwei Liebschaften angeschlagenes Selbstbewußtsein aufzupolieren.«

»Vollkommen richtig!« pflichtete Ina ihr bei. »Aber so wie du aussiehst, dürfte es dir an Verehrern doch nicht mangeln. Wenn ich nur noch an Hänschen Weise von der Sportredaktion der Morgenpost denke, du lieber Himmel, hat der dich angehimmelt!«

Angela lachte. »Hänschen ist längst unter der Haube, nachdem er endlich gemerkt hat, daß ich ihm nur freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte. Ich bin eben hoffnungslos romantisch und warte immer noch auf die ganz große Liebe, Ina. Wahrscheinlich gibt es die gar nicht, oder man hat großes Glück, so wie du mit Klaus.«

»Zugegeben, aber was willst du nun machen? So kann es doch wirklich nicht weitergehen.«

»Ich glaube, ich nehme das Angebot meines Onkels an und gehe zu ihm. Er ist ja der einzige Verwandte, den ich noch habe, und er hat, ich glaube, ich habe es dir erzählt, eine gutgehende Arztpraxis. Er hat mir angeboten, diese Durststrecke jetzt bei ihm als Sprechstundenhilfe zu überbrücken. Zufällig bekommt eine seiner jetzigen Hilfen ein Baby und fällt für einige Monate aus. Das wäre für eine Journalistin zwar nicht gerade eine überwältigende Karriere, ich gebe es zu, aber es ist immer noch besser als nichts.«

»Trotzdem ist es ein Jammer, daß deine Talente dann brachliegen sollen«, sagte Ina mit zusammengezogenen Brauen.

»So wäre es nicht. Mein Onkel braucht mich nur halbtags, weil nachmittags eine andere Hilfe da ist, und so hätte ich immer noch Zeit genug, nebenbei etwas zu schreiben. Und nicht wie jetzt unter Druck, sondern auch mal über Dinge, die mich besonders interessieren, die ich immer schon einmal angehen wollte. Kurzgeschichten zum Beispiel«, sagte Angela eifrig.

»Na ja, so gesehen wäre es vielleicht eine ganz gute Lösung«, nickte Ina nachdenklich. Nun wollte Angela auch von ihr hören, dann kamen sie auf die Zeit zu sprechen, da sie noch Kolleginnen gewesen waren. Ehe sie sich versahen, waren zwei Stunden vergangen, und Ina war nun doch etwas erschrocken, als sie auf die Uhr sah.

»Du lieber Himmel, jetzt haben wir uns aber verplaudert! Meine Mutter wird denken, ich sei unter die Räder gekommen.«

Sie zahlten eilig und verließen das Café, verabschiedeten sich draußen herzlich und versprachen einander, nun wenigstens brieflich wieder regere Verbindung zu halten.

*

Kaum war Angela in ihr Einzelzimmerappartement zurückgekommen, als das Telefon läutete. Sie stürzte zum Apparat. In letzter Zeit hoffte sie immer auf das Wunder, daß sich ein Verlag oder eine Redaktion meldete, um ihr eine neue Stellung anzubieten oder zumindest jemand, der einen Auftrag für sie hatte.

Als Peter sich meldete, war sie enttäuscht. »Ach du«, sagte sie matt und verspürte keinerlei Freude.

»Wo steckst du denn, ich habe schon ein paarmal angerufen«, sagte Peter Krämer vorwurfsvoll.

»Nachdem ich eine ganze Woche nichts von dir gehört habe, kannst du nicht erwarten, daß ich weinend neben dem Telefon sitze und auf deinen Anruf warte«, erwiderte Angela ärgerlich.

»Ich komme gleich vorbei«, erklärte Peter, was sie wiederum ärgerte, weil es ihm gar nicht in den Sinn kam, zu fragen, ob es ihr recht wäre. Doch bevor sie widersprechen konnte, hatte er schon aufgelegt.

Am liebsten hätte Angela zurückgerufen und ihm gesagt, daß sie auf sein Kommen keinerlei Wert lege. Ihre innere Beziehung zu Peter hatte im Laufe des letzten Jahres sehr gelitten, nachdem sie festgestellt hatte, daß er immer wieder anderen Frauen seine Aufmerksamkeit zugewandt hatte. Im ersten Jahr ihrer Freundschaft hatte sie das nicht gesehen und auch nicht sehen wollen, war ziemlich blind verliebt in den gutaussehenden und erfolgreichen Architekten gewesen, der sich schon jung selbständig gemacht hatte und nun ein gutgehendes Architekturbüro besaß. Peter besaß viel Charme, konnte ein blendender Unterhalter sein und hatte viel Erfolg bei Frauen. Als er ihr das erste Mal von Heirat gesprochen hatte, war sie glücklich und auch ein wenig stolz gewesen, daß er, der an jedem Finger eine haben konnte, gerade sie heiraten wollte. Aber dennoch hatte sie ihn vertröstet, denn damals hatte sie Aussicht auf einen Redakteurposten gehabt und wollte sich die nicht entgehen lassen. Sie war sehr ehrgeizig, wußte, was sie konnte und wollte etwas erreichen. Als Peters Frau wäre ihr Beruf zu kurz gekommen, das war ihr trotz aller Blindheit klargewesen. Denn so freiheitsliebend Peter für sich selbst war, so ein­engend war er ihr gegenüber.

»Wenn wir heiraten, sollst du nicht mehr arbeiten«, hatte er immer erklärt. »Das hast du dann nicht mehr nötig.« Und er hatte nie begriffen, daß auch eine Frau sich beruflich Bestätigung wünschen konnte.

Zehn Minuten später schellte es, und Angela betätigte den elektrischen Türdrücker. Automatisch warf sie dabei einen Blick in den Dielenspiegel. Wenigstens sah man ihr ihre derzeitigen Sorgen nicht an, dachte sie befriedigt, obwohl sie ein wenig schmaler geworden war. Aber sie hatte Zeit genug gehabt, sich auf ihrem winzigen Balkon zu sonnen, und der leichte Goldton stand ihr zu ihren hellbraunen Haaren mit dem aparten Rotschimmer und den grünschimmernden Augen sehr gut.

Als sie den Lift heraufkommen hörte, preßte Angela die vollen roten Lippen zusammen und krauste das zierliche Näschen. Sie gedachte nicht, Peter einen freundlichen Empfang zuteil werden zu lassen.

Die Lifttür öffnete sich, und schnelle Schritte näherten sich, dann stand Peter vor ihr. Er strahlte über das ganze Gesicht, in dem nicht das geringste Schuldbewußtsein zu lesen war. Obwohl Angela keineswegs klein war, überragte er sie um eine halbe Haupteslänge. Seine Figur war sportlich durchtrainiert, denn er spielte leidenschaftlich gern Tennis, Golf und Bowling, ritt auch gelegentlich. Angela hatte allerdings das Gefühl, daß er es vor allem deswegen tat, weil er eine gute Figur dabei abgab.

»Hallo, Kleines!« Er schloß sie in die Arme und küßte sie auf beide Wangen.

»Tag«, sagte Angela kühl und löste sich von ihm. Die Blumen, die er ihr jetzt hinstreckte, hatte sie längst gesehen, und sie wußte, was die Glocke geschlagen hatte. Peter brachte ihr immer Blumen, wenn der Flirt mit einer anderen Frau sein Ende gefunden hatte.

»Aha«, sagte sie nur spöttisch.

»Nicht was du denkst!« beteuerte Peter mit treuem Dackelblick. »Ich hatte wirklich unheimlich viel zu tun, Geli. Stell dir vor, ich habe den Auftrag für das neue Schulzentrum bekommen und die gesamte Konkurrenz aus dem Felde geschlagen!«

»Wahrscheinlich hast du mit der Sekretärin des Schulrats geflirtet«, erwiderte Angela trocken und ging in ihr hübsch eingerichtetes geräumiges Wohnzimmer, das mittels einer Bücherwand in einen Wohn- und einen Schlafbereich unterteilt war.

»Schlecht gelaunt?« erkundigte sich Peter, der ihr gefolgt war, sanft.

»Im Gegenteil, ich bin blendender Stimmung«, betonte Angela. »Willst du etwas trinken?« Sie ging zu ihrer kleinen Hausbar.

»Ich will nichts trinken, ich will einen Kuß!« Peter trat hinter sie und zog sie an sich. »Ich weiß, ich habe dich ein bisserl vernachlässigt, Kleines, aber nun sei doch nicht gleich so nachtragend.«

»Nachtragend? Du lieber Himmel, darüber bin ich doch längst hinaus.« Angela konnte sogar lachen, nachdem sie beschlossen hatte, Peter nicht ernst zu nehmen. »Aber du verschwendest deine Mühe, lieber Peter, ich beabsichtige nämlich, von hier fortzugehen.«

»Fortzugehen?« wiederholte Peter überrascht und ließ sie los. »Heißt das, du hast eine neue Stellung gefunden?«

»So kann man es nennen. Ich gehe zu Onkel Ernst. Er hat mir angeboten, zu ihm zu kommen.«

»Und was willst du da machen?«

»Ihm in der Praxis helfen. Von der Luft kann ich schließlich nicht länger leben, nachdem mein Konto in den letzten Wochen ziemlich geschmolzen ist.«

Betroffen sah Peter sie an. »Mein Gott, Geli, warum hast du denn nichts gesagt! Ich helfe dir natürlich aus, das ist doch klar.«

»Erstens habe ich dich nicht zu Gesicht bekommen, und zweitens bettele ich keinen um Geld an, der nicht von selbst auf die Idee kommt, daß es mir nicht gutgehen könnte«, entgegnete Angela nun doch etwas scharf.

»Heute trete ich wieder mal nur ins Fettnäpfchen!« stöhnte Peter und rollte die Augen zur Decke. »Aber du leidest an falschem Stolz, mein Kind. Schließlich kennen wir uns lange und gut genug, so daß du ruhig mal den Mund hättest aufmachen können.«

»Das ist deine Meinung, aber ich denke darüber nun mal anders.« Angela schenkte Cognac ein und reichte ihm ein Glas. »Whisky habe ich leider keinen mehr. So was kann ich mir nicht mehr leisten.«

»Danke.« Betreten nahm er ihr das Glas ab, und sie setzten sich. »Steht es wirklich schon ganz fest, daß du zu deinem Onkel gehst?«

»Bombenfest, in der nächsten Woche fahre ich zu ihm.«

»Und ich könnte dich nicht davon abhalten?«

»Und wie stellst du dir das vor?« fragte Angela spöttisch.

»Selbst auf die Gefahr hin, daß du mir wieder einen Korb gibst, Geli, aber wir könnten doch endlich heiraten.«

»Aus Mitleid vielleicht? Nee, danke«, erwiderte Angela schroff.

»Blödsinn, was redest du denn da. Es ist ja nicht der erste Antrag, den ich dir mache, also kannst du mir das nicht unterstellen. Ich mag dich immer noch, auch wenn du heute nicht nett zu mir bist.«

»Peter«, sagte Angela ruhig, »das kannst du dir aus dem Kopf schlagen, ein für allemal, ich habe keine Lust mit einem Mann verheiratet zu sein, der ständig, mehr oder weniger intensiv, nach anderen Frauen schielt. Das ist wahrhaftig nicht, was ich mir für eine gute Ehe wünsche.«

»Mein Gott, es waren doch nur harmlose Flirts. Geliebt habe ich immer nur dich, begreife doch!« widersprach Peter heftig.

»Ich war ja auch bequem, weil ich dir nie Vorwürfe gemacht habe.«

»Vielleicht nur, weil du meine Gefühle nicht erwidert hast«, entgegnete Peter ungewöhnlich ernst. »Möglicherweise habe ich es unbewußt sogar herausfordern wollen, daß du einmal richtig explodierst und mir damit gezeigt hättest, daß dir an mir liegt.«

»Der große Psychologe, hört, hört! Muß man jemanden eifersüchtig machen, um seiner Liebe sicher zu sein? Ich finde, das ist nicht die richtige Methode. Das sollte man an anderen Dingen spüren«, sagte Angela kopfschüttelnd, aber innerlich war sie doch ein wenig betroffen. Hatte sie Peters Eskapaden vielleicht doch nur deshalb widerspruchslos hingenommen, weil die richtige Liebe fehlte? War es nicht Großmut gewesen, wie sie sich einzureden versucht hatte? Es hatte ihr zwar weh getan, wenn er mit anderen geflirtet hatte, aber vielleicht mehr aus verletzter Eitelkeit?

»Na, ich weiß nicht, aber wie dem auch sei, Geli, ich habe mir immer gut vorstellen können, mit dir verheiratet zu sein und dich eigentlich auch immer als Mutter meiner zukünftigen Kinder gesehen. Ein Wort von dir, und ich bestelle morgen das Aufgebot.«

Angela schüttelte den Kopf. »Nein, Peter, dafür ist jetzt, wenn überhaupt, einfach nicht der richtige Augenblick. Vielleicht tut uns eine räumliche Entfernung mal ganz gut? Wir können dann beide testen, wie es um uns steht.«

»Du wohl, denn ich weiß es genau«, beharrte er. »Aber du warst ja leider immer schon eine eigenwillige kleine Person, tust am Ende ja doch, was du willst.«

»Mag sein.« Sie lächelte. »Trotzdem brauchen wir ja nicht gleich den großen Punkt hinter alles zu setzen.«

»Nein, auf keinen Fall«, sagte er schnell. »Ich hoffe sehr, daß dir bewußt wird, was du an mir hast und eines Tages in meine hebend ausgebreiteten Arme sinkst.« Er grinste.

»Wenn es soweit ist, gebe ich dir Bescheid«, scherzte Angela und war froh, daß das Gespräch sich nun wieder entspannte. Sie wollte alles andere, als im Streit mit Peter auseinandergehen.

Schließlich gingen sie einträchtig miteinander essen und zwar ganz opulent, da Peter meinte, Angela sähe ziemlich verhungert aus. Es wurde noch ein ganz netter Abend, nur als Peter Anstalten machte, bei ihr die Nacht zu verbringen, schickte ihn Angela freundlich aber entschieden nach Hause.

*

»Tag, Onkel Ernst, da wäre ich also!«

Angela stand vor der Tür des gepflegten aber schon älteren Einfamilienhauses, in dem Dr. Ernst Hoffmeister wohnte und seine Praxis innehatte, und setzte ihren schweren Koffer ächzend nieder.

»Ja, Kind, ich hatte erst morgen mit dir gerechnet!« rief er überrascht, zog sie in seine Arme und küßte sie schallend auf die Wange. »Ich werde langsam auch immer zerstreuter, fürchte ich.«

»Keineswegs, Onkelchen!« Auch Angela küßte ihn herzhaft. »Ich wollte ja auch erst morgen kommen, aber da meine Koffer gepackt waren, habe ich kurz entschlossen den Abendzug genommen.«

»Na fein, dann komme erst mal herein.« Dr. Hoffmeister, der ältere Bruder von Angelas verstorbenem Vater, nahm die Koffer auf. »Du großer Gott, hast du Blei darin? Müßt ihr Weibsbilder eigentlich immer so viel Zeugs mit euch herumschleppen?« Er keuchte und zog eine Grimasse.

»Aber es ist wirklich nur das Allernötigste, Onkel.«

»Ja, ja, das Lied kenne ich«, schmunzelte er.

Als Angela die gemütliche Diele betrat, atmete sie tief ein. In gewisser Weise ersetzte ihr dieses Haus das Elternhaus. Als Kind war sie meistens in den Schulferien hier gewesen, und Onkel und Tante, die unter ihrer Kinderlosigkeit sehr gelitten hatten, hatten sie immer sehr verwöhnt. Onkel Ernst in seiner derb-liebevollen Art hatte manchen Spaß mit ihr gemacht, die Tante hatte sie mit all ihrer unverbrauchten Liebe förmlich überschüttet.

»Hier ändert sich nie etwas«, stellte sie, sich umsehend, befriedigt fest.

»Warum sollte ein alter Mann wie ich auch noch viel ändern.« Dr. Hoffmeister setzte die Koffer ab. »Auspacken kannst du später. Ich wollte mir gerade etwas zum Essen machen, weil die Köhler heute frei hat. Hältst du mit?«

»Gern.« Angela folgte ihm in die Küche.

Brot, Butter, Käse und Wurst standen schon auf dem Küchentisch, und Tee war gerade fertig. So setzten sie sich der Einfachheit halber gleich hier an den Tisch und aßen. Erst als sie dabei waren, merkte Angela, daß sie doch hungriger gewesen war, als sie geglaubt hatte. Vielleicht lag es auch nur daran, daß sie nicht allein am Tisch saß, und daß die drückenden Sorgen plötzlich von ihr abfielen. Onkel Ernst war ein Mann, der schon rein äußerlich das Gefühl vermittelte, daß man bei ihm beschützt und geborgen war. Er war groß, von kräftiger Statur, und sein breitflächiges Gesicht strahlte Ruhe aus. Er betonte zwar gern sein Alter, ein wenig kokett, wie Angela meinte, aber für seine fast sechzig Jahre wirkte er noch recht vital. Angela hatte sich oft gewundert, daß er nicht wieder geheiratet hatte, denn daß es Frauen gegeben hatte, die ihn gern geheiratet hätten, wußte sie. Aber er hatte sehr an Tante Käthe gehangen.

»Was ich hatte, wußte ich, was ich kriege, weiß ich nicht«, erklärte er immer wieder, obwohl ihm das Alleinsein anfangs nicht leicht gefallen war. Aber im Laufe der Jahre hatte er sich daran gewöhnt und war darüber ein wenig schrullig geworden. Außerdem hatte er ja die gute Frau Köhler, die ihn ziemlich verwöhnte, und an deren etwas betuliche Art er sich gewöhnt hatte.

Während sie aßen, mußte Angela genau erzählen, warum ihre Zeitung eingegangen war und was ihre Versuche, eine neue Stellung zu finden, gebracht beziehungsweise leider nicht gebracht hatten.

»Na ja«, meinte er, als sie geendet hatte, »jetzt bleibst du erst mal hier, und wenn Frau Henning ihr Baby hat, werden wir weitersehen. In ein paar Monaten kann sich einiges tun. Ich freue mich jedenfalls, daß du deinem alten Onkel eine Zeitlang Gesellschaft leistest, Gelchen.«

»Ich freue mich auch, bei dir sein zu können, Onkel Ernst«, erwiderte Angela dankbar. »Ich hoffe nur, ich kann dir in deiner Praxis wirklich nützlich sein.«

»Und ob. Mir fehlt wirklich jemand. Von mir aus kannst du sofort anfangen.«

»Mache ich, Onkel.«

»Fein, dann erkläre ich dir morgen vor der Sprechstunde das Wichtigste, und alles Weitere lernst du dann bald. Ingrid, meine andere Sprechstundenhilfe, kann dich ja nachmittags auch ein bißchen einweisen, was die Instrumente anbetrifft. Aber du hast schon als Kind schnell begriffen, da mache ich mir gar keine Sorgen. Komm, und jetzt gehen wir ins Wohnzimmer und trinken noch ein Glas Wein miteinander. Oder willst du doch lieber erst auspacken?«

»Wenigstens die Kleider würde ich gern aus dem Koffer nehmen, damit sie nicht so zerdrücken.«

»Gut, dann bringe ich dir deine Koffer hinauf. Frau Krämer hat dir das Gästezimmer schon fertig gemacht zum Glück.«

Es war ein hübsches Zimmer, wie alle Räume etwas altmodisch solid eingerichtet, aber sehr gemütlich mit den dunklen Möbeln, dem schönen alten Schreibschrank und den duftigen Raffgardinen. Angela beeilte sich, zog ein bequemes Hauskleid über, machte sich ein wenig frisch und ging dann wieder hinunter.

Der Onkel hatte in dem großen Wohnzimmer mit den schweren Stilmöbeln schon Wein und Gläser auf den Tisch gesetzt und zündete sich nun eine seiner geliebten dunklen Zigarren an.

»Rauchst du immer noch?« fragte Angela vorwurfsvoll.

»Immer noch, und ich habe niemanden mehr, der es mir verbietet«, schmunzelte Onkel Ernst. »Und soviel ich mich erinnere, mein liebes Kind, hast du eine Zeitlang auch ganz schön gepafft.«

»Aber seit zwei Jahren nicht mehr!« erklärte Angela stolz. »Es hat mich allerdings meine ganze Willensstärke gekostet«, fügte sie ehrlich hinzu.

Onkel und Nichte waren bald in ein Gespräch vertieft, und wieder stellte Angela fest, daß man mit Onkel Ernst wunderbar reden konnte. Trotz gewisser Schrullen war seine Einstellung sehr lebensnah.

Es ging auf zwölf, als sie schließlich zu Bett gingen, und zum ersten Male seit Wochen schlief Angela sofort ein.

*

Einen Monat war sie nun schon bei Onkel Ernst, und Angela hatte sich gut eingelebt. Ihre neue Tätigkeit machte ihr Freude, auch wenn ihr klar war, daß das kein Dauerzustand werden sollte. Zu Menschenstudien hatte sie, die von Natur aus neugierige Journalistin, reichlich Gelegenheit. Immer wieder überrascht war sie, zu sehen, wie ängstlich äußerlich große starke Männer oft in der ärztlichen Praxis waren, während manch zarte Frau sich klaglos mit ihrer Krankheit herumschlug. Das rein Fachliche hatte sie schnell begriffen, und Onkel Ernst war sehr zufrieden mit ihr. »Wie wäre es, wenn du noch Medizin studiertest?« schlug er ihr einmal vor. »Dann kannst du meine Praxis übernehmen und bräuchtest dir um deine berufliche Zukunft keinerlei Sorgen mehr zu machen.«

»Ich befürchte, dazu bin ich zu gern Journalistin und auch zu unbeständig, Onkelchen«, erwiderte Angela seufzend. »Wahrscheinlich hielte ich es nicht aus, immer nur in der Praxis zu arbeiten und meine Nase nicht mehr in anderer Leute Dinge stecken zu können.«

»Na, als Arzt tut man das in gewisser Weise ja auch«, schmunzelte Onkel Ernst.

Um ihr den Aufenthalt etwas kurzweiliger zu gestalten, raffte er sich sogar auf, mit ihr hin und wieder ins Theater oder Konzert zu gehen, sonntags gingen sie öfter essen oder fuhren in die Umgebung hinaus.

Einmal hatte Peter angerufen und sich erkundigt, wie es ihr ginge. Auch von einem Besuch war die Rede gewesen, aber das war nun schon zwei Wochen her, und Angela vermutete, daß ihm wieder einmal eine hübsche Frau über den Weg gelaufen war, die seine guten Vorsätze zunichte gemacht hatte.

Für heute war die Sprechstunde beendet, und während Angela noch aufräumte, schellte es an der Tür. Kam noch ein verspäteter Patient? Das kam öfter vor, und Onkel Ernst wies niemanden ab und schickte ihn zum Notarzt, wenn er im Hause war.

Angela ging zur Tür und öffnete. Draußen standen zwei Herren. Das schmerzverzogene Gesicht des einen sagte ihr, daß es sich hier um einen Notfall handelte, aber dann fiel ihr Blick auf seinen Begleiter, und sie hielt unwillkürlich den Atem an. War das ein Mann! Umwerfend gut sah er aus. Noch größer als Onkel Ernst, schlank, doch breitschultrig mit dunklem, leicht gelocktem Haar, scharfgeschnittenem, markantmännlichem Gesicht und den tiefblauesten Augen, die sie je gesehen hatte. Sein Blick ging an ihr in jener Art herunter, die männliches Wohlgefallen in hohem Maße ausdrückt, ohne jedoch aufdringlich zu wirken. Nun lächelte er und zeigte dabei ein blendendes Gebiß.

»Massi«, stellte er sich vor und wies auf seinen Begleiter, »das ist Herr Danniger, er hat starke Schmerzen, und man hat uns zu Ihnen geschickt, weil wir nur besuchsweise ein paar Tage hier sind und in der Nähe in einer Pension wohnen. Wäre es möglich, daß der Herr Doktor meinen Freund noch untersucht, obwohl die Sprechzeit schon vorbei ist?«

»Selbstverständlich«, nickte Angela, die unter seinem Blick förmlich zerschmolz. »Bitte, kommen Sie doch herein und nehmen Sie einen Augenblick im Wartezimmer Platz, meine Herren.«

»Auch noch warten?« brummte der Schmerzgeplagte. »Ich vergehe vor Schmerzen, Fräulein!« Er sah sie an, als sei sie eine Sadistin.

»Es dauert wirklich nicht lange, mein Onkel ist ja im Hause«, sagte Angela, sah dabei aber mehr seinen Begleiter an. Er sollte nicht glauben, daß sie hier nur eine kleine Sprechstundenhilfe war.

Sie wies die Herren ins Wartezimmer und suchte Onkel Ernst. Er befand sich im Bad, und die Dusche rauschte, so daß er ihr Klopfen nicht gleich hörte. Aber dann wurde das Wasser endlich doch abgestellt, man hörte es prusten, und dann rief er: »Angela, bist du es?«

»Ja. Da ist noch ein Patient mit Schmerzen, Onkel.«

»Gut, ich bin in fünf Minuten unten.«

Angela lief ins Sprechzimmer, bereitete das Untersuchungsbett vor und öffnete die Tür zum Wartezimmer.

»Wenn Sie bitte hereinkommen wollen, Herr Danniger.«

»Endlich!« stöhnte der und erhob sich. Er war jetzt etwas grünlich im Gesicht, und man sah ihm an, daß er Schmerzen hatte. Aber auch wenn es so war, brauchte man nicht so unfreundlich zu sein, fand Angela und wunderte sich, wie sein netter Begleiter so einen Freund haben konnte.

Stöhnend ließ er sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch nieder, den Angela ihm anwies. Kaum kleiner als sein Begleiter, war er von viel kräftigerer Statur, ohne jedoch dick zu sein, besaß ein etwas grob geschnittenes Gesicht und sein Lippen-Kinnbart machte sein finsteres Gesicht noch finsterer. Mit den tiefliegenden dunklen Augen, die keinen Vergleich zu den strahlend blauen Augen seines Freundes aushielten, musterte er sie ärgerlich, als sie um seine Daten für die Karteikarte bat.

»Danniger, Jobst, 36 Jahre alt, bisher kaum krank gewesen«, knurrte er.

Das merkt man, dachte Angela wütend, das sind immer die Schlimmsten, wenn sie mal ein Wehwehchen haben!

»Und in welcher Kasse sind Sie?« fragte sie jedoch ruhig.

»In keiner, ich bin Privatpatient«, erwiderte er in einem Ton, als hätte sie das wissen müssen.

»Und Ihre Adresse?«

»München, Birkenallee 9.«

»Danke.« Angela notierte es gewissenhaft. In diesem Augenblick kam ihr Onkel herein, ging auf den Patienten zu und streckte ihm die Hand hin, nannte seinen Namen. »Nein, nein, bleiben Sie nur sitzen«, sagte er sofort, als er sah, daß Jobst Danniger das Gesicht verzog, als er sich erheben wollte.

»Was haben Sie denn für Beschwerden, Herr Danniger?« hörte Angela ihren Onkel noch fragen, als sie sich taktvoll ins Nebenzimmer verzog.

Sie hörte die Stimmen der beiden Herren nur gedämpft, es war eine Weile still, und dann ertönte ein rauher Schrei. Gleich darauf rief der Onkel sie wieder herein.

Der Patient war gerade dabei, sich das Hemd wieder überzuziehen, als sie eintrat.

»Herr Danniger muß sofort ins Krankenhaus, Angela, er hat eine akute Blinddarmentzündung und muß operiert werden, wenn es nicht zum Durchbruch kommen soll. Ob du es wohl übernehmen könntest, die Herren gleich ins Krankenhaus zu fahren. Einen Krankenwagen brauchen wir wohl noch nicht, und bevor man ein Taxi ruft, da die Herren ohne Auto sind…«

»Das ist nicht nötig, Doktor, wir können doch…«, wollte Jobst Danniger protestieren, doch mitten im Satz brach er ab, krümmte sich und preßte die Hände auf den Leib.

»Alles klar, meine Nichte übernimmt das«, erklärte Dr. Hoffmeister entschieden. Angela nickte und schlüpfte schon aus dem Kittel.

»Ich sage noch dem Begleiter von Herrn Danniger Bescheid.« Sie begab sich in das Wartezimmer, und der gutaussehende Mann sprang auf.

»Guido, ich muß ins Krankenhaus und unters Messer!« rief Danniger von drinnen, noch ehe sie etwas sagen konnte.

»Wirklich?« Massi sah Angela fragend an.

»Ja, es ist eine akute Blinddarmentzündung.«

»Ich habe so etwas vermutet.«

»Wir haben beschlossen, daß ich Sie gleich in die Klinik fahre, damit nicht unnötig Zeit verloren wird. Ich fahre gleich mit dem Wagen vor. Bitte, kommen Sie dann gleich heraus, wenn Ihr Freund fertig ist.«

»Das ist aber reizend von ihnen, vielen Dank«, sagte er höflich, und sein Lächeln ließ Angelas Knie weich werden.

Sie hatte gerade Onkel Ernst Kombiwagen vor der Haustür geparkt, als die beiden Herren auch schon aus der Tür traten. Massi stützte seinen Freund, der leicht gekrümmt ging.

Angela stieg aus und öffnete die Tür zum Fond. »Der Patient nimmt wohl besser hier Platz«, sagte sie und wunderte sich, daß er widerspruchslos einstieg.

Massi setzte sich neben sie. »Ach so, in welche Klinik hat mein Onkel Herrn Danniger eigentlich eingewiesen?« fragte Angela.

»In die Universitätsklinik.«

»Gut, dann kenne ich mich aus.« Angela fuhr an.

»Sie sind nicht von hier?«

»Nein, ich helfe nur vorübergehend bei meinem Onkel aus«, erwiderte Angela. »Und Sie kommen aus München, wie ich hörte?«

»Mein Freund nur, ich wohne in Oberstdorf im Allgäu.«

»Also mitten in den Bergen, wie schön.« Angelas Blick wurde sehnsüchtig.

»Sie lieben die Berge?«

»Sehr. Ich bin aus Hamburg, ein Kind der Ebene also, und man schwärmt ja meistens für das, was man nicht immer hat, nicht wahr?«

»Da haben Sie recht. Ich ziehe im Urlaub zum Beispiel deswegen das Meer vor. Und Hamburg ist ja auch eine wunderbare Stadt.«

»Doch, das ist sie.« Angela mußte ein wenig scharf bremsen, weil eine Ampel gerade auf Rot umsprang.

»He, ihr da vorn, vielleicht könntet ihr mal weniger Konversation betreiben und daran denken, daß hier ein Schwerkranker sitzt!« kam eine murrende Stimme von hinten, denn Jobst Danniger war etwas unsanft nach vorn gerutscht, was ihm Schmerzen bereitet hatte.

»Entschuldigen Sie, aber ein professioneller Krankenfahrer bin ich leider nicht«, entgegnete Angela verärgert.

»Machen Sie sich nichts draus«, lächelte Massi, »mein Freund ist sonst ganz erträglich. Es ist schon ärgerlich, wenn man in einer fremden Stadt ins Krankenhaus und gleich unters Messer muß.«

»Sicher, das verstehe ich durchaus, aber das muß man nicht unbedingt an seinen Mitmenschen auslassen«, sagte Angela keineswegs leise.

»An wem denn sonst?« kam es unwirsch von hinten, aber Angela würdigte den Ungnädigen keiner Antwort mehr, konzentrierte sich nun ganz auf den Verkehr.

Wenig später hielt sie vor der chirurgischen Klinik.

»Bitte, bleiben Sie sitzen, ich gehe erst hinein und sage Bescheid«, sagte Angela und stieg aus. Die Schwester an der Pforte beauftragte zwei Pfleger, den Patienten auf einer Trage hereinzuholen.

Doch als Angela wieder herauskam, war Danniger mit Hilfe seines Freundes schon ausgestiegen. Jobst Danniger war ganz käsig, und Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

Zum Glück kamen die Pfleger nun mit der fahrbaren Trage angerollt.

»Ist das der Notfallpatient?« fragte der eine.

»Ja«, nickte Angela und trat zur Seite.

Ehe Danniger es sich versah, hatte man ihn auf die Trage gebettet und rollte mit ihm davon.

»Ich schaue morgen nach dir!« konnte Massi ihm gerade noch nachrufen. »Mach’s gut, alter Junge!«

Er und Angela erledigten noch die Aufnahmeformalitäten, und da Massi noch wissen wollte, zu welchem Termin die Operation angesetzt werden würde, wies man sie in einen Warteraum.

»Halten Sie den Zustand meines Freundes für lebensgefährlich?« erkundigte Massi sich besorgt, als sie sich gesetzt hatten.

»Ach…«, er tippte sich an die Stirn, »was frage ich Sie das, Sie sind ja auch nicht vom Fach.«

»Das zwar nicht, aber ich glaube, ich kann Sie beruhigen«, lächelte Angela. »Wenn es so wäre, hätte mein Onkel niemals zugelassen, daß ich Sie hergefahren hätte. Zweifellos ist die Sache akut und kann jederzeit aufbrechen, wie mein Onkel ja auch sagte, aber so eine Blinddarmoperation ist heutzutage doch schon ganz alltäglich. Kamen die Schmerzen bei Ihrem Freund denn ganz plötzlich? Ich meine, hatte er vorher niemals irgendwelche Beschwerden?«

»In den letzten Tagen, die wir zusammen waren, zumindest nicht. Aber als es losging, gestand er mir, in den letzten Wochen gelegentlich schon mal ein Zwicken verspürt zu haben. Typisch für ihn, daß er es nicht ernst genommen hat, bei seiner sonstigen Bärengesundheit. Sind Sie eigentlich sehr böse auf ihn, weil er so garstig war?«

»Momentan war ich etwas scho­ckiert«, gestand Angela mit einem schiefen Lächeln, »aber man muß die Menschen wohl so verbrauchen, wie sie sind, nicht?«

»Unter der rauhen Schale hat er jedenfalls ein gutes Herz und ist gar nicht so unsensibel, wie man vielleicht meint«, verteidigte Massi seinen Freund nochmals.

»Sie sind gute Freunde, nicht?« fragte Angela.

»Ja, wir sind zusammen zur Schule gegangen, wissen Sie. Seitdem haben wir immer noch Verbindung gehalten, mal mehr, mal weniger. Zufällig hatte er beruflich hier zu tun und ich ebenfalls, eine Tagung, und so ergab es sich, daß wir zusammen hergefahren sind.«

Angela hätte schon interessiert, was die beiden Herren, vor allein Massi für Berufe hatten, aber sie fragte natürlich nicht. Einige Zeit später kam eine Schwester und erklärte ihnen, daß Herr Danniger nach den üblichen Vorbereitungen am nächsten Morgen operiert werden würde.

»Sollte sich sein Zustand verschlechtern, natürlich sofort«, fügte sie noch hinzu.

»Sehen Sie, gar so eilig scheint es nicht zu sein«, meinte Angela mit einem kleinen Lächeln, als sie sich bedankt hatten und zum Ausgang gingen. »Kann ich Sie zu Ihrer Pension fahren?« fragte sie dann, als sie wieder zum Wagen gingen.

»Das wäre sehr nett von Ihnen, Fräulein…« Massi sah sie fragend an.

»Hoffmeister, wie mein Onkel«, stellte sie sich vor.

»Dürfte ich Sie für Ihre Freundlichkeit vielleicht zum Abendessen einladen, Fräulein Hoffmeister?« fragte er unterwegs.

»Aber ich bitte Sie, das habe ich gern getan, dafür brauchen Sie sich wirklich nicht verpflichtet fühlen, sich zu revanchieren«, sagte Angela hastig.

»Aber nein, so ist das nicht, aber ich würde wirklich gern in Ihrer Gesellschaft essen, falls Sie nichts Besseres vorhaben!« beteuerte er.

Angela zögerte. Seine Einladung freute sie, freute sie sogar sehr, aber wenn sie sie annahm, begab sie sich in Gefahr, das war ihr klar.

Noch nie hatte ihr ein Mann auf Anhieb so gut gefallen, und das beruhte nicht allein auf seinem guten Aussehen, sondern auch auf seiner freundlichen, liebenswürdigen Art.

Aber dann überwand sie ihre Bedenken. Die Verlockung, mit diesem Mann einen netten Abend zu verbringen, war einfach zu groß.

»Also gut«, nickte sie, »aber dann wurde ich mir gern noch etwas anderes anziehen und mich ein wenig frisch machen. Auch müßte ich ja meinem Onkel Bescheid sagen, damit er sich keine Sorgen macht.«

»Fein, genügt Ihnen eine halbe Stunde? In der Nähe unserer Pension gibt es ein gemütliches Restaurant, da könnten wir sogar zu Fuß hingehen.«

»Meinen Sie das Bierstübchen?«

»Ja, genau das.«

»Gut, dann können wir uns ja gleich dort treffen«, schlug Angela vor.

Massi erwartete sie pünktlich an der nächsten Straßenecke und kam strahlend auf sie zu.

»Ich dachte mir, wir könnten auch gleich zusammen hingehen«, sagte er und sah sie bewundernd an. Angela entging das nicht, aber es freute sie, daß er ihr kein billiges Kompliment machte.

Im Bierstübchen fanden sie einen gemütlichen Ecktisch und vertieften sich erst einmal in die umfangreiche Speisekarte.

»Wir haben in den letzten Tagen öfter hier gegessen«, sagte Massi, »und ich kann Ihnen einiges empfehlen.« Er wies auf einige Gerichte, die sich tatsächlich sehr verlockend anhörten.

»Ist das nicht ein bißchen zu opulent?« gab Angela zu bedenken.

»Gehören Sie am Ende auch zu den Frauen, die sich und anderen die Freude an einem guten Essen verderben, indem sie im Geiste die Kalorien zählen?« fragte er mit gerunzelter Stirn. »Zumal Sie es in keiner Weise nötig hätten«, setzte er noch hinzu.

»Zum Glück habe ich keinerlei Neigung zum Dickwerden, aber ich wollte Ihren Geldbeutel nicht übermäßig strapazieren«, erwiderte Angela freimütig.

Überrascht sah er sie an. »Wirklich? Ich bin gerührt«, sagte er dann, und es klang, als meinte er es auch so. »Aber machen Sie sich darüber bitte keine Gedanken, Fräulein Hoffmeister, es geht mir ganz gut, denke ich. Beruhigt Sie das?«

»Kollossal!« lachte Angela.

Nachdem sie ausgewählt hatten, ohne der rechten Seite der Karte nun also große Bedeutung zu schenken und Massi einen guten Wein bestellt hatte, unterhielten sie sich zunächst über allgemeine Dinge. Später erzählte ihr Massi, daß er Chemiker sei und einen eigenen Betrieb besäße, den er schon von seinem Vater übernommen und erweitert hätte.

»Dann sind Sie also Fabrikant?« fragte Angela überrascht.

»Ach nein, das klingt zu hochtrabend. Mittelständischer Unternehmer trifft es eher«, wehrte er bescheiden ab. Ob er wohl verheiratet war, fragte sich Angela. Einen Ring trug er nicht, aber das wollte ja nicht viel besagen.

Er grinste, schien ihr ihre Gedanken vom Gesicht abgelesen zu haben.

»Ich bin nicht verheiratet«, sagte er zu Angelas Verlegenheit. »Sonst würde ich hier auch nicht mit Ihnen sitzen. Ich gehöre komischerweise zu den altmodischen Leuten, die Begriffe wie Treue noch sehr hoch schätzen.«

Wieder war Angela überrascht. Bei einem Mann wie ihm, der doch wohl an jedem Finger eine haben konnte, war das beachtlich! Unwillkürlich mußte sie an Peter denken, an seine ständigen kleinen Affären, und ihre Sympathie verstärkte sich noch. Sympathie? War sie nicht bereits auf dem besten Wege, sich in diesen Mann zu verlieben? Halt bloß dein Herz fest, Angela, warnte sie sich selbst. So, wie die Dinge lagen, er lebte dort unten in den Bergen, sie hier und vielleicht bald anderswo oder wieder in Hamburg, war das eine völlig aussichtslose Sache und würde besser bei diesem einen Abend bleiben.

»Finden Sie nicht auch, daß Treue die Basis der Beziehungen zwischen Mann und Frau ist?« unterbrach er nun ihre Gedanken.

Eifrig nickte sie. »O ja, aber nicht jeder denkt heutzutage noch so.«

Forschend sah er sie an. »Schlechte Erfahrungen?«

Stumm nickte sie.

»Dann geht es Ihnen wie mir.« Ein Schatten ging über sein Gesicht.

»Man kommt eben immer an den oder die Falschen«, murmelte Angela.

»Aber das muß ja eigentlich nicht sein, nicht?« Nun lächelte er wieder.

Das Essen kam, und sie genossen es, denn es war wirklich ausgezeichnet. Auch der gute Chablis dazu ging Angela bald in die Glieder, und eine leichte traumhafte Stimmung bemächtigte sich ihrer. Sie wollte nicht an morgen denken, sondern einfach diesen schönen Abend genießen!

Natürlich wollte er später auch wissen, was sie sonst, wenn sie nicht bei ihrem Onkel aushalf, beruflich machte.

»Ich bin Journalistin«, sagte sie.

»Oh!« Anerkennend blitzte es in seinen Augen auf. »Ein interessanter Beruf. Dann können Sie also schreiben? Ich bewundere jeden, der das kann, denn…«, er grinste, »mir fällt es schon schwer, einen ganz gewöhnlichen Geschäftsbrief zu diktieren. Übrigens, mein Freund Danniger ist ebenfalls Journalist.

»Na so was!« rief Angela überrascht. Das hätte sie wirklich nicht gedacht.

»Und sogar ein sehr guter«, lächelte Massi. »Jedenfalls ist es gut, daß die Begabungen verschieden verteilt sind, nicht?«

»Sicher«, nickte Angela. Es hätte sie interessiert, was Danniger genau tat, aber sie mochte nicht fragen, und dann sprachen sie bald von etwas anderem. Sie kamen, wie man so schön sagt, vom Hundertsten ins Tausendste. Massi erzählte ihr, daß er ganz gern reiste, und da auch Angela schon einige schöne Reisen unternommen hatte, waren sie bald in eine interessante Unterhaltung über fremde Länder, Menschen und Sitten vertieft.

Die Zeit verging wie im Fluge, und als Angela einmal auf ihre Uhr sah, ging es schon auf Mitternacht.

»Du lieber Himmel, da haben wir uns ja ganz schön verplaudert!« rief sie erschrocken.

»Wenn Sie morgen also nicht ausgeschlafen haben, ist es meine Schuld«, sagte er zerknirscht.

»Ja, und das ist fast nicht wieder gutzumachen«, lächelte Angela.

Er zahlte, und sie brachen auf. Stumm gingen sie dann nebeneinander her, denn ihnen war bewußt, daß sie einander wohl kaum wiedersehen würden. Massi hatte erzählt, daß er am Abend des nächsten Tages leider wieder abreisen müsse.

»Dürfte ich Sie um einen Gefallen bitten, Fräulein Hoffmeister?« fragte er, als sie schließlich vor Dr. Hoffmeisters Haus standen.

»Und der wäre?« Gespannt sah Angela zu ihm auf.

»Da ich ja nun morgen wieder nach München zurückfliege, wollte ich Sie bitten, ob Sie nicht hin und wieder einmal nach meinem Freund schauen könnten«, bat er. »Wissen Sie, er kennt ja hier sonst niemanden, und es ist doch deprimierend, in einer fremden Stadt im Krankenhaus zu liegen. Oder bin ich unverschämt?«

Angela war nicht gerade begeistert, und das sah man ihr auch an.

»Na ja«, meinte sie dann zögernd, »das würde mir zwar nichts ausmachen, und ich würde es ganz gern tun, aber ich frage mich, ob Herr Danniger sehr begeistert sein würde.«

»Sie schätzen ihn falsch ein, Fräulein Hoffmeister, wirklich. Er ist mein bester Freund, und ich kenne ihn gut genug. Er hat eine etwas rauhe Schale, aber einen weichen Kern. Seine Rauhbeinigkeit ist eher eine Tarnung, um seine Sensibilität zu verstecken. Ich gebe zu, es braucht ein bißchen, um dahinterzusehen, aber Sie täten mir einen großen Gefallen, wenn Sie sich ein bißchen als Samariterin bei ihm betätigten. Allerdings werden Sie mit Recht fragen, wie Sie dazu kämen, mir, einem Wildfremden, einen Gefallen zu erweisen, der Ihnen noch dazu widerstrebt, aber ich dachte, ich meine…« Nun kam Massi doch ein wenig aus dem Konzept.

Sie würde ihm nur zu gern einen Gefallen erweisen und konnte es ihm gar nicht abschlagen, das war Angela klar.

»Aber nein, für Sie tue ich es gern«, lächelte sie.

»Danke, vielen Dank, Fräulein Hoffmeister!« Er nahm ihre Hand und zog sie an seine Lippen. »Das ist furchtbar nett von Ihnen, und ich denke, auch mein Freund wird es zu würdigen wissen. Darf ich Sie in den nächsten Tagen einmal anrufen?«

Freudig nickte Angela. »Gern, Herr Massi.«

Er zog eine Karte aus seiner Jackentasche und reichte sie ihr. »Das ist meine Karte mit Telefonnummer. Falls es Jobst nicht gutgeht, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir Bescheid gäben«

Angela nahm sie und warf einen kurzen Blick darauf. Dr. Guido Massi las sie überrascht, und darunter standen Adresse und Telefonnummer.

»Oh, Sie sind Doktor, da habe ich Sie ja falsch angeredet«, sagte sie betroffen.

»Um Himmels willen, jetzt werden Sie bloß nicht formell!« protestierte er. »Ich bin nicht titelsüchtig und unterschlage ihn immer.«

Auch das berührte Angela wieder sehr angenehm. Sie konnte Leute, die ihre Titel wie ein Schild vor sich hertrugen, nicht ausstehen. Dann streckte sie ihm die Hand hin.

»Also gut, Herr Massi, Sie können sich auf mich verlassen. Und nun bedanke ich mich für das opulente Essen und…«

»Bitte nicht.« Er drückte ihre Hand fest, fast schmerzhaft. »Ich habe vielmehr für den wunderschönen Abend zu danken, Fräulein Hoffmeister. Ich habe mich lange nicht so gut mit einer Frau unterhalten, die ich kaum kenne. Außerdem danke ich nochmals für Ihre Hilfsbereitschaft. Wir hören also voneinander?«

Angela nickte und errötete, denn er hielt ihre Hand noch immer. Im allgemeinen haßte sie es, wenn ein Mann schon nach der ersten Begegnung den Versuch machte, sie zu küssen, aber jetzt, das gestand sie sich ein, hätte sie nichts dagegen gehabt.

Er sah zu ihr herunter, und für einen Augenblick sah es auch so aus, als wollte er sie an sich ziehen, doch dann ließ er ihre Hand sanft los.

»Schlafen Sie gut«, sagte er leise.

»Danke, Sie auch, und guten Flug morgen.« Zögernd wandte Angela sich ab und öffnete das Gartentörchen.

Er blieb stehen, bis sie die Haustür aufgeschlossen hatte. Als sie sich umwandte, hob er die Hand, lächelte warm und ging dann davon.

Beschwingt, aber auch ein wenig traurig zugleich, stieg Angela die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, als sie sah, daß unten alles dunkel war. Onkel Ernst war zwar eine Nachteule, aber heute war er offenbar doch schon zu Bett gegangen. Sie war froh darüber. Sie wollte jetzt allein sein. Als sie im Bett lag, zog der Abend noch einmal an ihr vorüber, und sie nahm ein markantes Männergesicht mit in ihre Träume…

*

Am übernächsten Tag beschloß Angela, den Pflichtbesuch bei Jobst Danniger hinter sich zu bringen. Sie traf keine eingehenden Vorbereitungen, was ihr Äußeres betraf, aber trotzdem sah sie in dem kleingeblümten Rock und der hellen Seidenbluse sehr hübsch aus. Unterwegs kaufte sie einen Blumenstrauß und fuhr dann mit dem Bus, da der Onkel seinen Wagen brauchte, zum Krankenhaus.

An der Pforte erfuhr sie, in welchem Zimmer Danniger lag, nahm den Lift und fuhr in die zweite Etage hinauf. Als sie vor der Tür mit der Nummer 107 stand, bekam sie dummerweise etwas Herzklopfen. Bei diesem Danniger wußte man ja nicht, wie er auf ihren Besuch reagieren würde, und sie traute ihm durchaus zu, daß er sie kurzerhand wieder hinauswarf.

Sie klopfte, hörte ein rauhes Herein und öffnete die Tür. Ihr Blick fiel gleich auf das Bett des Patienten, der ein Einzelzimmer innehatte. Mit einer Leidensmiene lag er da, und das gebräunte Gesicht war ein bißchen schmaler geworden. Er wandte den Kopf und sah sie überrascht an.

»Nanu, wollen Sie etwa zu mir?« knurrte er.

»Wenn Sie erlauben?« lächelte Angela etwas gezwungen, schloß die Tür hinter sich und trat zum Bett. »Guten Tag, Herr Danniger, ich komme auf die Bitte von Dr. Massi, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen. Geht es Ihnen denn schon ein bisserl besser?«

»Miserabel geht’s mir!« brummte er und sah sie an, als sei sie daran schuld.

»Ach, das wird sich mit jedem Tag bessern, glauben Sie mir«, erwiderte Angela freundlich, obwohl sie sich schon wieder ärgerte. »Ich habe Ihnen ein paar Blumen mitgebracht, ob es hier eine Vase gibt?« Suchend blickte sie sich um.

»Da im Fenster steht eine. Vielen Dank auch«, knurrte der Patient, und es wirkte keineswegs erfreut.

Angela holte sie, füllte sie mit Wasser, stellte die Blumen hinein und setzte sie auf seinen Nachttisch.

»Darf ich mich setzen?« Sie zog einen Stuhl herbei, ohne seine Antwort abzuwarten, und er sagte auch nichts. »Haben Sie noch Schmerzen?« fragte sie dann.

»Sicher, aber die scheuchen einen hier brutal aus dem Bett und lassen sich einen schon selbst waschen. Ich frage mich, wozu ich eigentlich erster Klasse liege, wenn man dafür kein Personal hat«, murrte Jobst Danniger.

»Das ist wegen des Kreislaufs«, erklärte Angela.

»Ja, ja, so reden sich die Schwestern auch immer heraus. Nicht einmal was Anständiges zum Trinken bekommt man hier«, beschwerte er sich weiter. »Immer nur Tee oder so komisches Wasser ohne Kohlensaure und das auch erst, nachdem ich zwei Tage nur Schleimzeugs bekam, das ich sowieso verabscheue.«

»Mit Bier und Eisbein kann man nach so einer Operation wohl kaum anfangen.« Angela beschloß, alles mit Humor zu nehmen. Schließlich wollte sie sich mit einem Kranken nicht anlegen.

Er verzog sein Gesicht. »Machen Sie mir bloß nicht den Mund wäßrig!«

»Vielleicht könnte ich Ihnen Fruchtsaft besorgen?« schlug Angela vor. »Sollen wir die Schwester mal fragen, ob Sie den schon trinken dürfen?«

»Vielen Dank«, winkte er ab, »für so süßes Zeugs bin ich auch nicht.« Er sah sie groß an. »Soso, da hat Sie also mein Freund Guido hergeschickt. Rührend von dem Knaben. Ich hoffe, es ist Ihnen nicht zu schwer gefallen, seine Bitte zu erfüllen?«

»Es geht, ich war ja darauf gefaßt, daß Sie sich darüber nicht besonders freuen würden. Wozu ja auch kein Anlaß besteht, ich gebe es zu«, fügte sie schnell hinzu. »Aber Herr Massi wollte mich anrufen, um zu hören, wie es Ihnen geht, und da wollte ich ihm gern Auskunft geben.«

»Soso, anrufen will er Sie«, erwiderte Danniger mürrisch. »Er gefällt Ihnen wohl, der schöne Guido, wie?«

Helle Röte schoß Angela ins Gesicht. »Jedenfalls ist er ein viel höflicherer und freundlicherer Mensch als Sie!« sagte sie ärgerlich.

»Ich bin eben keiner, dem glatte Worte so schnell von der Zunge gehen wie anderen. Dafür weiß man bei mir immer, woran man ist.«

»Ja, das glaube ich«, erwiderte Angela trocken. »Wann werden Sie denn entlassen?« erkundigte sie sich dann ablenkend.

»In einer Woche. Zehn Tage muß ich schon bleiben, meinte der Arzt, denn es war keine ganz leichte Operation.«

»So? Und ich dachte immer, eine Blinddarmoperation ist etwas ganz und gar Alltägliches«, konnte Angela sich nicht enthalten zu sagen.

»Ach, gehen Sie doch zum Teufel! Erst machen Sie in Mitgefühl, und dann zeigen Sie, wie Sie wirklich denken!« stieß Jobst Danniger wütend hervor.

Gekränkt erhob sich Angela. »Wenn das so ist, bitte sehr, dann will ich Sie nicht länger behelligen.« Sie ging zur Tür und öffnete sie. Im Hinausgehen hörte sie ihn noch etwas sagen, das sich wie »doch nicht so gemeint« anhörte, doch sie beachtete es nicht und schloß energisch die Tür hinter sich.

So ein Klotz! dachte sie wütend, während sie das Krankenhaus verließ. Keine zehn Pferde würden sie dazu bringen, diesen widerlichen Menschen noch einmal zu besuchen.

*

Das erklärte sie auch Dr. Massi, als er sie noch einmal anrief, und dieser zeigte sich sehr betroffen, daß sein Freund sich so unmöglich verhalten hatte.

»Das hätte ich nicht erwartet«, meinte er. »Er ist zwar in seiner Art sehr geradeaus, aber daß er so grob geworden ist, verstehe ich eigentlich nicht, selbst wenn man ihm zugute hält, daß er zur Zeit krank ist und Schmerzen hat. Aber Sie haben völlig recht, unter diesen Umständen sollten Sie natürlich nicht mehr zu ihm gehen. Ich werde ihm gehörig den Kopf waschen, darauf können Sie sich verlassen.«

»Tun Sie es ruhig, aber vermutlich ist es ihm gar nicht bewußt«, meinte Angela.

Guido Massi fragte sie dann noch nach ihrem Ergehen und fügte hinzu, daß es doch schade sei, daß sie so weit voneinander entfernt wohnten.

»Sonst könnten wir wieder einmal so nett essen gehen«, setzte er hinzu. »Es war ein so schöner Abend, und ich denke noch oft daran, Fräulein Hoffmeister.«

»Ja, das ist leider nicht zu ändern«, erwiderte Angela und verspürte eine leise Trauer.

»Sollten Sie aber mal in diese Gegend kommen, dann müssen Sie mich unbedingt anrufen, versprechen Sie mir das?«

»Gern«, sagte Angela, obwohl ihr klar war, daß das so bald nicht der Fall sein würde.

Nachdem er sich noch einmal bei ihr bedankt und für seinen Freund entschuldigt hatte, legten sie auf, und Angela hatte das Gefühl, daß es das letzte Mal gewesen war, daß sie von Guido Massi gehört hatte.

Trotzdem gingen ihre Gedanken in der nächsten Zeit noch öfter wehmütig zu ihm, aber sie bemühte sich, dieses kleine Intermezzo, für das es keine Fortsetzung geben konnte, zu vergessen. Eine Woche später kam überraschenderweise ein Bote von einem Blumenhaus und brachte ihr einen wunderschönen Strauß von gelben und roten Rosen.

Angelas Herz klopfte freudig, als sie die beiliegende Karte aus dem Umschlag zog. Sie las die eigenwillige Schrift:

Herzlichen Dank für Ihren Besuch am Krankenbett eines nicht sehr gut aufgelegten Patienten, der reumütig um Entschuldigung bittet und Ihnen alles Gute wünscht.

Ihr Jobst Danniger

Angela war enttäuscht. Sie hatte angenommen, daß Massi ihr die Blumen geschickt hatte. So konnte sie nicht einmal Freude empfinden, daß Jobst Danniger offenbar in sich gegangen war.

*

Samstags, wenn keine Sprechstunde war, pflegte Angela ein wenig länger zu schlafen, und wenn sie dann herunter kam, hatte der Onkel meist schon gefrühstückt. So war es auch heute. Sie ging in die Küche zu Frau Köhler, einer freundlichen Frau, mit der sie gut auskam, und trank der Einfachheit halber gleich bei ihr Kaffee.

»Ach übrigens, da ist Post für Sie gekommen, Fräulein Hoffmeister«, sagte Frau. Köhler. »Sie liegt auf dem Schränkchen in der Diele.«

»Danke, aber wahrscheinlich ist es nur eine Rechnung«, meinte Angela mit einem etwas schiefen Lächeln und hatte es nicht eilig, nachzuschauen. Erst als sie fertig war, fiel ihr der Brief wieder ein. Es war ein länglicher weißer Umschlag, der den aufgedruckten Absender eines Münchner Zeitungsverlages trug. Der Grüneberg-Verlag? Was wollte denn der von ihr? Angela zog die Brauen zusammen. Während sie das Kuvert mit dem Fingernagel aufschlitzte, fiel ihr aber ein, daß sie sich dort, kurz nach ihrer Ankunft hier, um die in einer überregionalen Zeitung ausgeschriebene Stellung als Redakteurin für die Frauenseite beworben hatte. War das eine Absage, wie immer? Etwas anderes wagte sie schon nicht mehr zu hoffen, obwohl der Umschlag nicht besonders dick war. Im allgemeinen kamen mit einer Absage ja auch gleich die Bewerbungsunterlagen zurück.

Es war tatsächlich nur ein Schreiben darin, und sie überflog es hastig. Es war eine Einladung zu einer persönlichen Vorstellung, und zunächst konnte sie es gar nicht fassen. Das bedeutete zwar noch längst nicht, daß sie ohne Konkurrenz war und die Stellung nun auch bekommen würde, aber es war ein Hoffnungsschimmer. Angela kam in der Regel gut an, und wenn man ihr die Chance zu einer persönlichen Vorstellung gab, durfte sie guten Mutes sein. Endlich mal wieder eine reelle Aussicht. Als Vorstellungstag war der zehnte November angesetzt, und das war – Angela überlegte kurz – schon in fünf Tagen.

Sie fand ihren Onkel im Garten hinter dem Haus, wo er Laub zusammenharkte, und berichtete von dem Brief. »Das freut mich für dich, Kind«, schmunzelte er. »Dann mußt du natürlich hinfahren, ganz klar. Fräulein Ingrid muß dann eben schon morgens zu mir kommen.«

»Und wenn Sie mich nehmen, Onkel?« fragte Angela. »Die Stellung war, soviel ich mich erinnere, schon zum 1. Dezember ausgeschrieben. Ich wundere mich, daß ich erst jetzt Bescheid bekomme, denn das ist ja ziemlich kurzfristig.«

»Dann nimmst du sie an, falls es dir dort gefällt, ganz klar«, erwiderte er entschieden. »Ich bekomme schon Ersatz, deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Könntest du dir denn vorstellen, von Hamburg nach München zu ziehen?«

»O ja«, nickte Angela eifrig, »München ist doch eine schöne Stadt, wenn sie auch andere Reize hat als Hamburg.« Und dann fiel ihr ein, daß sie dadurch ganz in die Nähe von Guido Massi käme, und ihr Herz tat einen freudigen Hüpfer. Auch seinetwegen wünschte sie, die Stellung zu bekommen!

Sie erzählte ihrem Onkel, daß der Grüneberg-Verlag eine bedeutende Wochenzeitung herausgab, eine Tageszeitung und noch Fachzeitschriften und meinte, daß es einen Schritt auf der beruflichen Erfolgsleiter bedeutete, dort zu arbeiten.

»Also, dann werde ich mal beide Daumen drücken«, versprach Onkel Ernst.

Die nächsten Tage vergingen sehr schnell, und Angela war schon ganz fieb­rig. Sie wählte einen frühen Zug nach München, obwohl die Vorstellung erst nachmittags um drei Uhr sein sollte, um nicht in Zeitnot zu kommen.

Zu einem sportlichen beigefarbenen Rock und gleichfarbenen Stiefeln zog sie das hübsche braune Pelzjäckchen an, das sie sich im letzten Winter geleistet hatte, und Onkel Ernst fand, daß sie beeindruckend gut aussähe. »Du hast große Chancen«, schmunzelte er, als sie sich von ihm verabschiedete, »wenn der Chefredakteur auch nur ein bißchen was von hübschen Frauen hält. Und schreiben kannst du sowieso, also ich bin überzeugt, du kriegst die Stellung.«

Jetzt, so kurz vor der Abfahrt, war Angela gar nicht mehr so zuversichtlich, und es tat ihr gut, daß der Onkel es wenigstens war.

Für die Fahrt kaufte sie sich einige Zeitungen, die im Grüneberg-Verlag erschienen, und studierte sie gründlich. So verging die Fahrt ziemlich schnell. Um die Mittagszeit kam sie in München an, und sie hätte eigentlich noch essen gehen können, verspürte aber nicht den geringsten Appetit. So ging sie in ein kleines Café in der Nähe des Verlagshauses, nachdem sie noch eine Weile in der Stadt herumgeschlendert war, und bestellte sich dort nur einen Kaffee. Am liebsten hätte sie eine Zigarette geraucht, um ihre Nervosität zu bekämpfen, aber sie beherrschte sich, um nicht rückfällig zu werden. Ungeduldig verfolgte sie den Zeiger der Uhr.

Endlich war es soweit. Sie zahlte und ging zum Verlagshaus hinüber. Als sie dem Pförtner erklärte, daß sie zur Vorstellung gebeten worden war und ihren Namen nannte, schickte er sie in den ersten Stock zu einer Frau Stangl. Es handelte sich um die Vorzimmerdame des Chefredakteurs, wie Angela erfuhr. Die Dame, eine freundliche Enddreißigerin, bat sie, einen Augenblick Platz zu nehmen und betätigte dann eine Sprechanlage.

»Fräulein Hoffmeister ist da, Herr…«

Und sie nannte etwas undeutlich einen Namen, den Angela aber nicht verstand.

»Soll reinkommen!« klang es ziemlich, kurz.

»Bitte, Fräulein Hoffmeister!« lä­chel­te die Sekretärin und wies zu der gepolsterten Tür, hinter der sich das Zimmer des Allgewaltigen verbarg. Sie öffnete sie, und Angela trat ein.

Es war ein großer Raum mit einer riesigen Fensterfront, Bücherwänden und einem Schreibtisch, hinter dem Angela nun einen Herrn sitzen sah, der ihr sehr bekannt vorkam.

»Guten Tag«, preßte sie heraus, denn beinahe wären ihr die Worte im Halse stecken geblieben. Dort saß der Mann, den sie nicht gerade in bester Erinnerung hatte: Jobst Danniger.

Er grinste spöttisch, als hätte er sich auf ihre Verblüffung regelrecht gefreut.

»Guten Tag, Fräulein Hoffmeister.« Nun erhob er sich, kam um den Schreibtisch herum auf sie zu und streckte ihr die Hand hin. »Ich sehe, Sie sind überrascht.«

»Sind Sie hier der Chefredakteur?« stieß Angela heraus und hätte sich am liebsten auf dem Absatz herumgedreht.

»So ist es.« Sein Händedruck war so fest, wie es seiner ganzen Art entsprach.

»Ich sehe, es bereitet Ihnen Vergnügen, mich derart überrumpelt zu haben!« Angela dachte nicht daran, aus ihrem Herzen eine Mördergrube zu machen. Wenn dieser Mensch sich einbildete, sie würde ihm aus der Hand fressen, bloß um die Stellung zu kriegen, dann hatte er sich jedenfalls geirrt! »Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich nicht gekommen und hätte mir die weite Fahrt ersparen können.«

»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« sagte er sanft, all zu sanft, wie Angela fand, und tat, als habe er ihre letzten Worte gar nicht registriert.

Sie ließ sich in dem Lehnstuhl nieder, der seinem Schreibtisch gegenüber stand, und sah ihn kampflustig an.

»Wie ich aus Ihren Unterlagen ersehe, sind Sie etwa drei Monate ohne Arbeit, und ich dachte, Sie wären daran interessiert, wieder in Ihrem Beruf zu arbeiten«, sagte er dann ruhig.

»Natürlich, das bin ich auch. Aber damit verbinden sich natürlich auch gewisse Vorstellungen und Hoffnungen. Unter einem Chef zu arbeiten, zu dem man ein gutes Verhältnis hat, zum Beispiel. Und der Ton, den ich von Ihnen kennengelernt habe, gefällt mir ganz und gar nicht, Herr Danniger. Das wäre kein Anreiz für mich, hier anzufangen, keiner!« sagte Angela heftig. Mochte er sie doch gleich hinauswerfen, ihr war es schon egal.

Doch er grinste amüsiert. »Temperament haben Sie jedenfalls«, stellte er fest, »und ich mag eigentlich Mitarbeiter, die Schwung haben, sofern sich das auch in ihrer Leistung zeigt. Außerdem ist es eine gute Stellung, Sie sollten das bedenken. In unserem Hause gearbeitet zu haben, bedeutet immer eine Empfehlung.«

Letzteres klang sehr selbstbewußt, aber leider hatte er recht. Angela wußte das sehr gut. Der Grüneberg-Verlag hatte einen ausgezeichneten Ruf.

»Das mag sein«, erwiderte sie nun etwas ruhiger, »aber wenn der Preis, hier zu arbeiten, zu hoch ist, verzichte ich dankend.«

»Na ja, viel hätten Sie mit mir nun auch wieder nicht zu tun, bis auf die tägliche Konferenz. Aber wenn Sie Ihre Sache gut machen, wäre ich der Letzte, der das nicht anerkennt.«

»Da bin ich eben leider nicht so sicher!« brauste Angela auf. »Schon die Art, mich hierherkommen zu lassen, spricht dafür, daß es Ihnen Spaß macht, die Leute zu schockieren.« Die sichtliche Heiterkeit ihres Gegenübers brachte Angela immer mehr auf. Sie erhob sich.

»Also, Sie haben nun Ihren Spaß gehabt, nun kann ich wohl wieder gehen!« sagte sie böse.

»Herrschaft, so bleiben Sie doch, und seien Sie nicht so nachtragend«, sagte er, und etwas in seinem Ton ließ erkennen, daß er wirklich nicht wollte, daß sie ging.

Unwillkürlich sank Angela in ihren Stuhl zurück.

»Na also. Und nun reden wir einmal ganz sachlich miteinander. Eben so, wie Sie es erwartet haben, okay?« Wieder lächelte er, aber diesmal ohne Spott. Dann setzte er ihr nüchtern auseinander, was man erwartete und wie in diesem Hause gearbeitet wurde. Das hörte sich nicht schlecht an, außerdem war das gebotene Gehalt sehr gut, und die sozialen Einrichtungen erstklassig. Auch eine Wohnung stand zur Verfügung, die Angelas Vorgängerin bis dahin bewohnt hatte.

»Nun?« schloß Danniger und sah sie fragend an. »Reizt Sie das nicht? Ich meine, es wäre zumindest eine Überlegung wert.«

»Sicher«, gab Angela zu, »aber Sie haben doch sicher noch andere Bewerberinnen für diese Stellung gehabt und werden sich zwischen diesen noch entscheiden müssen.«

Danniger winkte ab. »Nein, davon kommt keine in Frage.«

»Und wieso ich?« wollte Angela mit zusammengezogenen Brauen wissen.

»Weil mir die Stilproben, die Sie mitgeschickt haben, gefallen und dem entsprechen, was wir uns vorstellen. Nur das ist der Grund«, setzte er betont hinzu.

Darauf war nichts zu sagen, und Angela überlegte. Die Stellung reizte sie zwar sehr, und ihr war klar, daß sie eine bessere sobald nicht wieder geboten bekommen würde. Im übrigen war sie schon mit anderen Leuten fertig geworden, warum sollte sie eigentlich nicht mit diesem Danniger auskommen? Wenn er wollte, konnte er ja auch ganz sachlich sein, wie sich gezeigt hatte. Außerdem schien ihm wirklich daran zu liegen, daß sie sie annahm. Warum sollte sie also nicht den Versuch machen? Wenn es schiefging, konnte sie schließlich immer noch kündigen. Und ganz hinten in ihrem Hinterkopf steckte auch der Gedanke an Guido Massi, den sie dadurch vielleicht doch einmal wiedersehen konnte.

»Also gut«, nickte sie aufatmend, »dann nehme ich die Stellung also an. Sollte die Probezeit für Sie oder mich nicht zufriedenstellend ausfallen, können wir uns ja immer noch trennen.«

»Na also, das ist ein Wort!« Danniger wirkte sichtlich erfreut. »Dann zeige ich Ihnen jetzt das Haus, mache Sie mit Ihren künftigen Kollegen bekannt, und anschließend machen wir den Arbeitsvertrag, den meine Sekretärin einstweilen vorbereiten kann. Wären Sie auch an der Wohnung Ihrer Vorgängerin interessiert? Fein, dann kann Ihnen meine Sekretärin die Adresse geben, damit Sie sie gleich noch ansehen könnten.«

Angela mußte schlucken bei dem Tempo, das ihr künftiger Chef vorlegte. Die Besichtigung fiel recht hoffnungsvoll für die Zukunft aus, und auch die künftigen Kollegen schienen recht nett. Als der Arbeitsvertrag unterschrieben war, begab sich Angela zu der Wohnung, die etwa zehn Minuten vom Verlagshaus befand. Das war praktisch, denn Angelas altes Auto hatte nun mal seine Mucken, und so konnte sie notfalls zu Fuß hingehen. Bei dem guten Gehalt, das sie nun bekam, war auch sicher einmal ein neuer Wagen drin.

Die Wohnung befand sich in einem Hochhaus, bestand aus zwei Zimmern, Bad und kleiner Küche, besaß einigen Komfort und war dennoch nicht zu teuer. Vom sechsten Stockwerk aus hatte man einen schönen Blick. Angela mietete sie sofort, und da sie leer stand, konnte sie bereits einige Tage vor ihrem Arbeitsbeginn einziehen und sich dort in Ruhe einrichten.

Als Angela abends wieder im Zug saß, fühlte sie sich von all dem Neuen, was an diesem Tag auf sie eingestürmt war, doch etwas erschöpft. Den Kopf gegen die Polster gelegt und die Augen geschlossen, ließ sie den Tag noch einmal an sich vorüberziehen und konnte es noch gar nicht richtig glauben, daß sie nun wieder eine Stellung gefunden hatte, die recht aussichtsreich war. Zu komisch, daß nun ausgerechnet dieser Danniger ihr Chef sein würde, von dem sie nicht geglaubt hatte, ihn je wiederzusehen! Sie war selbst neugierig, wie die Arbeit mit ihm werden würde. Anspruchsvoll war er, aber sie fühlte sich seinen Ansprüchen eigentlich gewachsen. Eine neue Stellung anzutreten, brachte zwar immer eine schwierige Umstellungsphase mit sich, aber, obwohl ihr ein wenig davor graute, war die Freude, nun wieder in ihrem Metier arbeiten zu können, doch größer.

Auch Onkel Ernst freute sich mit ihr, als sie ihm nach der Rückkehr berichtete. Natürlich staunte er auch, als er hörte, wer nun ihr zukünftiger Chef war, meinte aber, daß er Herrn Danniger eigentlich sympathisch gefunden habe.

»Du weißt, ich mag Menschen, die geradeaus sind und nicht so glatt und geleckt. Ich schätze, er ist, wenn auch vielleicht nicht sehr verbindlich, so doch gerecht. Außerdem halte ich ihn für eine Persönlichkeit. Du weißt, als Arzt wird man zwangsläufig zum Menschenkenner, und ich bin sicher, daß dieser Danniger hinter seiner etwas rauhen Fassade einiges verbirgt, was sehr für ihn spricht.« Das war erstaunlich, fand Angela, denn Onkel Ernst war durchaus kritisch und nicht so schnell von einem Menschen begeistert.

*

Sobald der Onkel einen Ersatz für Angela gefunden hatte – zum Glück fand sich in wenigen Tagen eine geeignete Kraft –, fuhr sie zurück nach Hamburg, um ihren Umzug vorzubereiten.

So war sie sehr beschäftigt und hätte fast vergessen, sich von Peter zu verabschieden. Erst drei Tage vorher fiel es ihr ein, und sie rief ihn an. Er fiel aus allen Wolken, als er hörte, daß sie fortzog.

»Und das sagst du mir erst jetzt?« rief er vorwurfsvoll.

»Mein Gott, ich hatte schließlich genug um die Ohren«, verteidigte sich Angela. »Außerdem hättest du dich ja auch mal melden können.«

»Aber wir sehen uns doch noch mal?«

»Ich wollte morgen ein paar Bekannte einladen, um Abschied zu feiern, wenn du auch kommen willst, bist du gern gesehen«, erwiderte Angela leichthin.

Peter murrte ein wenig, daß er lieber mit ihr allein gewesen wäre, sagte dann aber doch zu. Da ihre Wohnung schon weitgehend leergeräumt war, traf man sich in einem netten kleinen Lokal, und es wurde recht nett. Aber Angela war selbst erstaunt, wie leicht ihr der Abschied fiel. Sie verspürte keinerlei Wehmut.

Peter dagegen zeigte sich elegisch und betonte immer wieder, wie sehr sie ihm fehlen würde.

»Es wird dir noch leid tun, von hier fortgegangen zu sein«, prophezeite er düster.

»Das ist dann mein Bier, lieber Peter, darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen.«

Wieder fragte er, ob er sie besuchen dürfte, aber Angela wußte ja inzwischen, was sie von seinen Versprechungen zu halten hatte. Er merkte, daß sie es nicht ernst nahm, und ihr Abschied fiel recht nüchtern aus.

Auch die letzten beiden Tage vergingen noch wie im Fluge, dann kam der Möbelwagen, und in kurzer Zeit war ihre Wohnung gänzlich leer. Angela hatte ihren Wagen noch einmal gründlich überholen lassen und belud ihn mit ein paar persönlichen Dingen, fuhr dann ohne Wehmut in Richtung München.

Dort gab es dann auch wieder eine Menge zu tun. Es machte ihr Spaß, die neue Wohnung einzurichten, und da Onkel Ernst sehr großzügig gewesen war, konnte sie sich auch die kleinen Neuanschaffungen leisten, die wohl immer anfielen, wenn man eine neue Wohnung bezog.

Drei Tage vor Arbeitsbeginn war Angela mit allem fix und fertig und konnte sich noch ein wenig ausruhen. Eine freundliche Nachbarin, etwa in ihrem Alter, und deren Mann hatten ihr gleich ihre Hilfe angeboten, und Angela war sehr froh, in ihnen etwas Anschluß gefunden zu haben. Sie lud sie zu einer kleinen Einweihungsfeier ein. Es waren richtige gemütliche Urmünchner, und es wurde ein netter Abend.

Milly und Tony Gaßner besaßen einen großen Freundeskreis und boten ihr an, durch sie ein paar nette Leute kennen zu lernen.

»Kommen Sie zu uns in den Tennisklub«, schlug Milly vor, »da finden Sie sofort Anschluß.«

»Aber ich kann gar nicht mehr Tennis spielen«, wandte Angela ein. »Ich habe zwar als junges Mädchen einmal ein paar Stunden gehabt, aber später habe ich es nie mehr betrieben.«

»Dann sollten Sie es wiederaufnehmen, Fräulein Hoffmeister.« Das versprach Angela, und die Gaßners meldeten sie gleich an.

Ein wenig Herzklopfen hatte Angela doch, als sie den Grüneberg-Verlag an ihrem ersten Arbeitstag betrat. Aber die neuen Kollegen empfingen sie sehr freundlich und bemühten sich sehr, sie in ihren neuen Wirkungskreis einzuführen.

Ihren neuen Chef bekam sie erst am nächsten Morgen bei der Redaktionskonferenz zu sehen. Er begrüßte sie sehr formell und sprach ein paar passende Worte, ging dann aber sehr schnell zur Tagesordnung über. Erstaunlicherweise war der Ton in der nachfolgenden Debatte sehr locker. Jeder, der etwas zu sagen hatte, kam zu Wort und brauchte aus seiner Meinung auch keinen Hehl zu machen. Ernsthaft wurde über jeden Vorschlag gesprochen. Nur als jemand unsachlich wurde, zeigte Jobst Danniger seine Autorität und schaltete sich energisch ein.

Angela hielt sich natürlich zurück, verfolgte aber alles mit größter Aufmerksamkeit. Erst nach der Konferenz nahm Danniger sie beiseite und sprach ein paar persönliche Worte mit ihr, erkundigte sich, ob sie sich inzwischen in München schon ein wenig eingelebt hatte und ob ihr ihre Wohnung gefiele. Angelas Aufgabe war es, für die Frauenseite einer Tageszeitung und eines Wochenblattes Artikel zu schreiben. Es gab vorgegebene Themen, aber sie konnte sich auch selbst welche wählen. Da sie auch während ihrer Zeit bei Onkel Ernst einiges geschrieben hatte, konnte sie gleich diesen oder jenen Artikel einbringen und ging mit Eifer an ihre neue Arbeit. Jetzt wurde ihr bewußt, wie sehr sie die Zeitungsluft vermißt hatte, Das Klappern der Maschinen, die gewisse Hektik sogar, den ganzen Betrieb um sie herum.

Abends war sie dann rechtschaffen müde, trotzdem aber ging sie hin und wieder mit den Gaßners zum Tennis. Wenn man den ganzen Tag hinter dem Schreibtisch gesessen hatte, war dieser Sport ein schöner Ausgleich. Ihr Trainer lobte sie sehr, und schon bald war sie als Spielpartnerin begehrt, lernte dadurch einige wirklich nette Leute kennen. Sie bereute nicht, den Wechsel gewagt zu haben. Natürlich trug auch ihr gutes Gehalt dazu bei, das ihr auch finanzielle Bewegungsfreiheit gab.

Jobst Danniger hielt sich ihr gegenüber sehr zurück, das heißt, er behandelte sie wie alle anderen Mitarbeiter und unternahm nie den Versuch, auf Grund ihrer früheren Bekanntschaft vertraulich zu werden.

Es war ganz seltsam, aber Angela, die doch darüber hätte froh sein können, fühlte sich ein wenig in ihrer Eitelkeit gekränkt! Dabei war sie sicher, daß sie ihm ohnehin eine Abfuhr erteilt hätte. Dadurch genoß sie auch keine Sonderstellung und war im Grunde nur eine von vielen, die ihre Arbeit tat, ohne aufzufallen.

Wahrscheinlich, sagte sie sich ärgerlich, las Jobst Danniger ihre Artikel nicht einmal.

Aber darin irrte sie ganz gewaltig. Jobst las alles, was seine Mitarbeiter schrieben, und so geriet ihm eines Tages ein kritischer Artikel in die Hände, in dem sich Angela mit der Emanzipation auseinandergesetzt hatte und darin vor allem die Haltung der Männer angeprangert hatte. Er ließ sie sofort rufen.

»Nanu, was bedeutet denn das?« sagte sie zu Hans Weiser, der seinen Schreibtisch neben dem ihren hatte und für die Lokalredaktion der Tageszeitung arbeitete.

»Vielleicht kriegen Sie eine Gehalts­erhöhung, Angela«, witzelte er. Die meisten Kollegen nannten einander beim Vornamen, was die Arbeitsatmo­sphäre sehr auflockerte.

»Nach zwei Monaten wohl kaum.«

»Es könnte allerdings auch sein, daß der Alte Ihnen ein Zigärrchen verabreicht«, grinste Hans.

»Ja, das vermute ich schon eher«, seufzte Angela und begab sich ins Allerheiligste.

»Sie wollten mich sprechen?« fragte sie ruhig, als sie eingetreten war.

Danniger, der etwas redigierte, sah nicht auf und machte weiter seine Korrekturen.

»Setzen Sie sich bitte!« kam es dann knapp.

Nun erst sah er auf, griff nach einem maschinengeschriebenen Bogen und zog die Brauen zusammen.

»Haben Sie nicht das Gefühl, in Ihrem Artikel über die Emanzipation ein wenig über das Ziel hinausgeschossen zu sein?« fragte er dann.

»Wenn, dann war es mir jedenfalls nicht bewußt«, erwiderte Angela mit einem unterdrückten Lächeln. Hatte Jobst Danniger sich etwa selbst getroffen gefühlt?

Er setzte ihr auseinander, was ihn störte, und sie verteidigte ihren Standpunkt temperamentvoll. Sein Kontra kam ziemlich scharf, aber Angela blieb ihm keine Antwort schuldig. Als er ihr erklärte, daß einige Passagen gestrichen werden müßten, fuhr Angela zornig auf.

»Nur bloß keinem weh tun, nicht wahr? Es könnten sich ja zu viele der männlichen Leser getroffen fühlen und das Abonnement aufkündigen.« Ironisch verzog sie den Mund. »Dabei wollte ich mit meinem Artikel gewisse Männer ja herausfordern, über ihre Einstellung nachzudenken.«

»Das kann man auch, ohne beleidigend zu werden, Fräulein Hoffmeister.« Seine Stimme wurde lauter.

»Ist die Wahrheit denn beleidigend?«

»Oftmals schon. Man kann solche Dinge auch anders ausdrücken. Wir sind schließlich keine Emanzenzeitung, wo die Damen sich solche Töne erlauben dürfen.«

»Ich bin es nicht gewohnt, daß man als Journalist einen Maulkorb tragen muß und kann auch nicht schreiben, wenn ich immer nur daran denken soll, wie weit ich gehen kann und wie weit nicht«, rief Angela hitzig und war darauf gefaßt, daß er sie nun an die Luft setzen würde.

»Verdammt noch mal, nun seien Sie doch vernünftig und begreifen Sie endlich, daß ich nichts anderes will, als daß Sie den Artikel nicht in der Aussage, aber im Ausdruck etwas umschreiben!« donnerte Jobst Danniger, und dann begann er überraschender Weise plötzlich dröhnend zu lachen. »Ich habe ja gewußt, was ich mir mit Ihnen für eine Laus in den Pelz setzte!«

»Na, hören Sie mal, das ist nicht gerade ein schmeichelhafter Vergleich!« Angela wußte nicht, ob sie einfach mitlachen oder sich ärgern sollte. »Also geben Sie her«, sagte sie und streckte die Hand aus, »ich werde versuchen, die Wahrheit ein bißchen zu verkleiden, wenn Sie mich überhaupt noch behalten wollen.«

Er grinste breit, und um seine Augen bildeten sich kleine Lachfältchen. »Wollten Sie es darauf ankommen lassen?«

»Durchaus nicht. Ich reagiere leider meistens so, wenn ich mich ärgere«, gestand Angela.

»Ich auch«, erwiderte er trocken, und der Frieden war wiederhergestellt.

Angela nahm das Blatt an sich und wollte sich erheben, als er sie bat, noch zu bleiben.

»Ich hätte noch eine Frage.« Plötzlich wirkte er etwas verlegen.

»Und die wäre?«

»Hätten Sie Lust, mich am Wochenende nach Oberstdorf zu begleiten? Ich besuche meinen Freund Massi, und da ich ihm erzählt habe, daß Sie bei mir im Verlag arbeiten, bat er mich, Sie doch mitzubringen. Genauer ausgedrückt, er würde sich sehr freuen.«

Nach seinen ersten Worten zeigte Angelas Gesicht Ablehnung, doch als er dann Massis Namen nannte, änderte es sich jäh. Guido Massi hatte sie also nicht vergessen? Ihr Herz tat einen Freudenhupfer. »Tatsächlich?« entschlüpfte es ihr, und sie spürte, daß sie rot wurde.

Er grinste nun nicht mehr und sah sie forschend an. »Freut Sie das?«

»Ihr Freund ist ein sehr netter Mensch. Ich weiß nicht, ob er Ihnen erzählt hat, daß wir einmal einen sehr hübschen Abend miteinander verbracht haben«, erwiderte sie zögernd.

»Das hat er allerdings.« Es klang ein wenig spöttisch. »Also, wenn Sie nichts anderes vorhaben, hole ich Sie am Samstagmorgen um elf Uhr ab. Früher geht es nicht, weil ich hier noch zu tun habe. Wenn Sie Skikleidung haben, können Sie sie einpacken, dort hat es ja schon ganz ordentlich geschneit, und Brettln können wir von Massi bekommen, Sie sind natürlich auch in seinem Hause zu Gast wie ich.«

»Das… ist sehr nett von Ihnen, daß Sie mich mitnehmen«, sagte Angela stockend, aber sehr froh. »Ich liebe die Berge sehr, hatte aber bisher noch keine Gelegenheit zu einem Ausflug dorthin.«

»Also abgemacht. Ich bin pünktlich um elf bei Ihnen. Bitte, lassen Sie mich aber nicht warten, ich kann Unpünktlichkeit nicht leiden«, fügte Danniger schon wieder ein wenig schnodderig hinzu.

Angela fühlte sich entlassen und stand auf. »Ich werde fertig sein«, lächelte sie friedfertig und verließ das Zimmer.

*

Der Samstag kam, und schon eine Stunde vor der verabredeten Zeit war Angela fix und fertig. Sie hatte Wasch- und Nachtzeug in ein kleines Köfferchen gepackt, dazu noch einen langen Kaminrock und Bluse für den Abend und eine Skijacke, falls man tatsächlich auf die Brettln ging. Hose und einen dicken Pullover zog sie an und darüber ihr Pelzjäckchen. Die Haare hatte sie frisch gewaschen, sie ringelten sich in natürlichen Locken duftig um ihr Gesicht. Ihr Make-up hatte sie dezent gehalten. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel. Sie hatte in den letzten Wochen ein paar Pfund zugenommen. Gerade so viel, daß sie nicht mehr gar so überschlank war wie vorher und zum Glück auch an den richtigen Stellen. Nur ein wenig blaß war sie, nachdem die Sommerbräune verblaßt war, und so tupfte sie ein wenig Rouge auf die Wangen.

Pünktlich, fast auf die Minute genau, schellte es. Sie betätigte den Summer vorsichtshalber und schaltete die Sprechanlage ein. Als Danniger sich meldete, fragte sie ihn, ob er heraufkommen wollte, um nicht unhöflich zu sein. Er bejahte, und ein wenig später kam der Lift herauf. Angela öffnete die Tür.

»Nanu?« sagte sie verwundert, als zunächst ein kleiner, blondschopfiger Bub, sieben oder acht Jahre alt, sichtbar wurde. Dann kam auch Danniger heran.

»Mein Sohn Timo«, stellte er den Kleinen vor. »Ich glaube, ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, daß er mitkommt.«

»Hallo, Timo!« Angela streckte diesem die Hand hin und lächelte. Sie war überrascht. Dann war Danniger also verheiratet? Natürlich, warum eigentlich nicht, schließlich war er in einem entsprechenden Alter, sagte sie sich dann.

»Guten Tag.« Timo gab ihr brav die Hand. Er war ein reizendes Kerlchen mit seinen tiefblauen Augen, ein paar Sommersprossen auf der Nase, die ihm etwas Lausbubenhaftes gaben, und der in diesem Alter obligatorischen Zahnlücke.

»Möchten Sie einen Moment hereinkommen?« Fragend sah Angela seinen Vater an.

»Für einen Moment gern. Ich bin von Natur aus neugierig«, grinste er, »und wüßte gern, wie Sie so untergekommen sind.«

»Bitte, schauen Sie sich ganz ungeniert um«, spöttelte Angela, als die beiden in der Diele standen, und wandte sich dann an Timo. »Magst du etwas trinken?«

»Nee, geben Sie ihm nichts«, schaltete sich Danniger ein, »sonst müssen wir unterwegs dauernd anhalten.«

»Dann wollen wir mal nachsehen, was ich sonst noch für dich habe, ja?« Angela nahm Timo an die Hand, ging mit ihm ins Wohnzimmer und öffnete dort eine Schranktür. Dort fand sich eine Tafel Schokolade, die sie ihm in die Hand gab. »Hier, für unterwegs.«

»Danke.« Der Kleine lächelte zu ihr auf.

»Sehr hübsch haben Sie es sich gemacht.« Danniger sah sich ungeniert um.

»Man tut, was man kann. Übrigens, darf ich Ihnen etwas anbieten?«

Aber er lehnte dankend ab und fragte, ob er auch die anderen Räume noch anschauen dürfte. Er war wirklich reichlich neugierig, fand Angela und zeigte ihm dann noch Küche, Bad und ihr Schlafzimmer. Letzteres war ihr allerdings etwas peinlich.

Er warf einen Blick zu ihrem Bett hin, grinste wieder, sagte aber nichts.

»Wäre Ihr Wissensdurst damit gestillt?« fragte Angela gelockert und hatte gar nicht mehr das Gefühl, daß er ihr Chef war.

»So einigermaßen. Tja, dann wollen wir mal, nicht?«

In der Diele stand ihr Köfferchen. Nicht groß, aber wohlgefüllt.

Kopfschüttelnd nahm er es auf. »Was Frauen doch immer so mit sich herumschleppen? Bei meiner Frau ging es auch nie nur mit einer gewöhnlichen Reisetasche ab.«

Da er in der Vergangenheit sprach, war anzunehmen, daß er entweder geschieden oder verwitwet war. Später erfuhr Angela, daß letzteres zutreffend war.

Sie gingen hinunter. Vor der Tür stand Dannigers Wagen, ein ziemlich großes und also auch sehr bequemes Auto. Danniger öffnete Angela die Tür zum Beifahrersitz, während Timo in den Fond kletterte. Danniger war ein guter Fahrer, das mußte Angela zugeben.

»Ein schöner Wagen«, sagte sie, sich zurücklehnend. »Wenn Sie in meiner Kiste sitzen würden, müßten Sie sich einen Knoten in die Beine machen.«

Der kleine Timo hinten begann zu lachen. Diese Vorstellung erheiterte ihn sichtlich.

»Aber wahrscheinlich würden Sie sich gar nicht hineinsetzen«, fuhr Angela fort, »denn alt und schäbig ist es außerdem.«

»Ein echter Oldtimer also?« grinste er.

»Wenn es das noch wäre!«

»Und warum kaufen Sie sich kein neues Auto? Verdienen Sie bei uns so schlecht?«

»Bekomme ich eine Gehaltszulage, wenn ich ja sage?« lachte Angela.

»Typisch weibliche Raffinesse«, tadelte er.

»Was ist das, Papi, Raffinesse?« erkundigte sich Timo.

»Das ist, wenn jemand auf listige Weise seinen Vorteil im Auge hat«, erklärte dieser.

»Dann hast du auch Raffinesse, weil du beim Spielen immer mogelst«, stellte Timo fest.

»Es heißt nicht, du hast Raffinesse, sondern in dem Falle sagt man, du bist raffiniert«, korrigierte sein Vater.

»Wie dem auch sei, Timo hat jedenfalls Ihre Erklärung gut verstanden«, spottete Angela.

»Klar, er ist ja nicht dumm«, grinste Danniger. »Wie geht es übrigens Ihrem Onkel?« lenkte er dann ab.

»Danke, recht gut.«

»Und er kommt nun ohne Ihre Hilfe aus?« spöttelte er.

»Schwer, sehr schwer«, erwiderte Angela lachend.

In einer Raststätte machten sie halt und tranken etwas. Während Timo »ganz dringend« in den Waschräumen verschwand, erzählte Danniger Angela, daß seine Frau vor drei Jahren durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.

»Sie war eine gute Autofahrerin, und es war auch nicht ihre Schuld. Das war für Timo und mich ein schrecklicher Schlag, wie Sie sich denken können.« Sein Gesicht verdunkelte sich, er starrte vor sich hin, und Angela verspürte Mitleid mit ihm, obwohl sie sich fragte, wie die Frau wohl gewesen sein mußte, die mit diesem Mann ausgekommen war. »Freunde rieten mir, den Jungen in ein gutes Heim zu geben, denn meine Arbeit läßt mir ja nur wenig Zeit, aber das wäre für mich nie in Frage gekommen. Die Trennung von mir und seiner gewohnten Umgebung hätte Timo nur noch mehr Schaden zugefügt. Inzwischen hat er sich gefangen, wenn er seine Mutter auch noch immer vermißt. Ich widme ihm jede freie Minute, und natürlich schleppe ich ihn an den Wochenenden immer mit. Ich hoffe, es stört Sie nicht, daß er heute dabei ist.«

»Wie können Sie so etwas denken!« sagte Angela. »Timo ist ein reizendes Kerlchen.«

»Bei dem Vater!« Nun grinste er wieder.

»Ja, das wundert mich auch«, erwiderte Angela, und schon waren sie wieder in dem Ton, der von Anfang an zwischen ihnen aufgekommen war. Irgendwie stand immer eine gewisse Spannung zwischen ihnen, einer reizte den anderen zum Widerspruch.

»Gehst du gern in die Schule?« erkundigte sich Angela später bei Timo, als sie weiterfuhren, um ihn ins Gespräch einzubeziehen. »Nä, nicht so gern«, gestand dieser freimütig. »Wir haben jetzt so eine doofe Lehrerin, die überhaupt keinen Spaß versteht.«

Angela lachte. »Solche Leute gibt es leider nicht nur unter Lehrern, Timo.«

Danniger warf ihr einen mißtrauischen Seitenblick zu. »Meinen Sie jemanden ganz Bestimmten?«

»Eigentlich sprach ich ganz allgemein, aber man zieht sich ja immer die Jacke an, die einem paßt, nicht?«

»Meine Dame, Sie lassen den nötigen Respekt vor Ihren Vorgesetzten vermissen«, tadelte er.

»Entschuldigung, ich werde von jetzt ab nur noch denken, was ich aussprechen möchte«, erwiderte Angela spitzig.

»Bitte nicht!« sagte er schnell. »Ich mag es im Grunde, wenn jemand aus seinem Herzen keine Mördergrube macht.«

»Weil Sie es auch nicht tun?« lächelte Angela.

Er grinste nur, sagte aber nichts.

»Spielen wir Farben raten?« meldete sich Timo, der sich ein wenig langweilte, und Angela war einverstanden.

»Ich sehe etwas, das du nicht siehst, und das ist blau!« rief Timo eifrig.

»Es heißt Sie, Herzchen, du kannst doch Fräulein Hoffmeister nicht einfach so duzen«, verbesserte sein Vater mißbilligend.

»Aber das Spiel heißt doch so, Papi«, verteidigte sich Timo, und Angela stimmte ihm zu. »Ja, er hat recht, so sagt man wirklich.«

Sie spielten es eine ganze Weile, und Timo freute sich diebisch, wenn Angela etwas nicht erriet.

»Na, ich bin vielleicht blöd!« Angela tippte sich an die Stirn, als sie wieder einmal etwas nicht erraten hatte, Timo hatte die rosa Farbe ihrer dezent gelackten Fingernägel gemeint.

»Nein, du bist überhaupt nicht blöd, und ich kann dich gut leiden!« widersprach Timo so impulsiv, daß Jobst Danniger ihm im Rückspiegel einen erstaunten Blick zuwarf. »Du bist viel netter als Papis frühere Freundinnen«, fügte er dann allerdings zum Ärger seines Vaters hinzu.

Schadenfroh sah Angela ihn an. »Das ist aber ein ausgesprochen nettes Kompliment, Timo!« sagte sie honigsüß.

Danniger brummte etwas in seinen Bart, das wie »altklug« klang.

Angela dachte über Timos Bemerkung nach. Freundinnen hatte ihr Herr Chef also sehr wohl? Und warum nahm er sie dann mit und nicht eine von ihnen? Aus reiner Freundschaft für Guido Massi? Sie blickte da nicht so ganz durch…

*

Währenddessen war die Berglandschaft immer winterlicher geworden. In den oberen Lagen kurz vor Oberstdorf, dem sie sich nun näherten, war Neuschnee gefallen. Die Straßen waren morgens frisch geräumt worden.

Dann erreichten Sie das Haus von Guido Massi, das außerhalb des Ortes an einen leichten Hang geschmiegt lag. Es war wunderschön, sehr groß und im alpenländischen Stil neu erbaut. Kaum hielt der Wagen vor dem Haus, als auch schon die Tür aufging.

Guido Massi trat heraus. Er trug braune Cordhosen und einen beigefarbenen dicken Rollkragenpullover und sah wieder so umwerfend gut aus, daß Angelas Herz ein paar schnelle Schläge tat. Mit ausgestreckten Händen kam er, als sie ausgestiegen war, auf sie zu, und sein wunderbar gebräuntes Gesicht, in dem die weißen Zähne blitzten, strahlte.

»Herzlich willkommen, Fräulein Hoffmeister, ich freue mich ja so sehr, Sie wiederzusehen!« rief er und zerquetschte fast ihre Hand.

»Ich freue mich auch.« Angela sah hingerissen zu ihm auf.

Nun stand Jobst Danniger neben ihnen, und sie sah, wie er spöttisch den Mund verzog, als er ihren Blick auf den Freund registrierte. Wie sie ihn anhimmelt, den guten Guido, dachte er, und das war ihm so deutlich vom Gesicht abzulesen, daß Angela errötete.

»Grüß dich, alter Junge!« Massi wandte sich ihm zu, drückte auch seine Hand und schlug ihm mit der Linken herzhaft auf die Schulter.

Timo wurde hochgestemmt und durch die Luft geschwenkt, dann luden die beiden Männer das Gepäck aus. Inzwischen war auch eine junge Frau in den Dreißigern aus dem Haus gekommen. Sie war blond und blauäugig, eine gutaussehende, aber mehr frauliche Erscheinung. Angela gab es einen Stich. Wer war die Frau?

Sie atmete erleichtert auf, als Massi sie ihr als seine Schwester Margret vorstellte, die ebenfalls für dieses Wochenende zu Besuch gekommen war. Freundlich lächelte sie Angela an.

Dariniger begrüßte sie überaus herzlich, indem er sie umarmte und auf beide Wangen küßte.

»Fein, dich auch einmal wiederzusehen, mein Mädchen«, sagte er und tätschelte dann noch ihre Wange. »Gut schaust du aus, wirklich gut.«

»Wenn du mir ein Kompliment machst, zählt es doppelt, Jobst!« lachte sie.

Angela kombinierte. Bestand zwischen den beiden eine engere Beziehung?

»Tante Margret, hast du Bine nicht mitgebracht?« fragte Timo, nachdem sie ihm einen herzhaften Kuß gegeben hatte.

»Freilich doch, Bubi, nur ist sie gerade drüben beim Gerstenhuber, der ihr das neue Fohlen zeigen will, weißt du.«

»Darf ich auch hin, Papa?« fragte Timo begeistert und verschwand nach dem Nicken seines Vaters wie ein Blitz in Richtung eines etwas oberhalb liegenden Bauernhofes.

»Bine ist meine Tochter Sabine, wissen Sie«, erklärte Frau Margret Heisenfeld, als man ins Haus ging. »Sie ist so alt wie Timo, und sie sind gute Freunde.«

»Ist dein Mann nicht mitgekommen, Margret?« fragte Danniger.

»Nein, er ist geschäftlich für ein paar Tage in London.«

Sie betraten eine geräumige Diele, die mit Schafwollteppichen, Bauerntruhe und einem wunderschönen alten Bauernschrank sehr dekorativ und zugleich gemütlich wirkte.

»Ihr habt unterwegs hoffentlich nicht zu Mittag gegessen? Wir haben nämlich extra gewartet. Frau Huber hat Kalbshaxen gemacht, Jobst«, sagte Guido Massi lächelnd.

»Großartig!« freute sich der.

Im Wohnzimmer nahm man einen Drink, dann kamen die Kinder, und man begab sich in das Eßzimmer, ebenfalls im Bauernstil und sehr rustikal, hinüber. »Ich traute meinen Ohren nicht, als ich hörte, daß Sie jetzt Jobsts Mitarbeiterin sind«, sagte Guido zu Angela, als sie einander zuprosteten. »Ich bin dem Zufall sehr dankbar, der Sie so in meine Nähe geführt hat«, fügte er leise hinzu und sah ihr tief in die Augen.

»Und ich war maßlos verblüfft, als ich meinem neuen Chef gegenüberstand«, lächelte Angela froh.

»Haben Sie sich in München schon eingelebt?«

»O ja, es gefällt mir sehr gut. Die Leute sind nett und aufgeschlossen, und meine Arbeit macht mir Spaß. Im Grunde hat mich in Hamburg gar nichts gehalten.«

»Es freut mich, daß Sie das sagen.« Wieder traf sie ein langer Blick.

Als die Kinder kamen, die kleine Sabine war ein reizendes Kind, begann man zu essen. Frau Huber, die Haushälterin Dr. Massis, war eine hervorragende Köchin, und es mundete allen ausgezeichnet. Man unterhielt sich dabei lebhaft, und Angela fühlte sich in diesem Kreise überhaupt nicht fremd. Hin und wieder fiel ihr auf, daß Jobst Danniger sie und Guido beobachtete, wenn sie sich unterhielten und nicht am allgemeinen Gespräch beteiligten. Sie hatte den Eindruck, daß er gern gehört hätte, was sie sprachen.

Als Guido vorschlug, am Nachmittag eine kleine Skitour zu machen, erklärte seine Schwester, daß sie lieber daheimbleiben würde.

»Und du, Jobst, leistest du mir Gesellschaft?« fragte sie lächelnd.

Doch er meinte, ein bißchen Bewegung täte ihm auch ganz gut.

»Nanu?« wunderte sich sein Freund, »du bist doch sonst kein begeisterter Skiläufer, Jobst? Wie ist das mit Ihnen, Fräulein Hoffmeister, sind Sie einigermaßen sicher?«

»Ich bin lange nicht gelaufen, aber ich glaube, ich war immer eine ganz gute Läuferin.«

»Fein, dann starten wir also?« Guido schien etwas unwillig, daß der Freund unbedingt mitkommen wollte, und auch Angela wäre lieber mit Guido allein losgezogen. Wenn Danniger sie schon Guidos wegen mitgenommen hatte, war es eigentlich ziemlich taktlos, ihnen keine Gelegenheit zum Alleinsein zu geben, fand sie.

Sie kleideten sich um und fuhren mit den Brettln im Wagen zum nächsten Skilift. Hier herrschte reger Betrieb, und es dauerte eine Weile, bis sie auf dem Hang oben waren.

Mit Dannigers Laufkünsten war es wirklich nicht allzu weit her, während Angela erfreut feststellte, daß sie noch recht sicher war und nichts verlernt hatte. Es war herrlich, neben Guido Massi, der ein vorzüglicher Läufer war, die Hänge hinunterzugleiten.

Leider mußten sie immer wieder auf Jobst Danniger warten, der ihnen bedeutend langsamer folgte.

»Der gute Jobst lernt’s nie«, meinte Guido kopfschüttelnd, als er an einer Kehre bedenklich ins Wanken kam.

»Fahren wir ihm doch einfach davon!« schlug Angela herzlos vor.

»Ich hätte nicht übel Lust dazu«, brummte Guido. »Wie wäre es, wenn du in der nächsten Hütte eine kleine Pause einlegtest?« schlug er dem Freund vor, als er keuchend neben ihnen anlangte.

»Wollt ihr mich loswerden?« knurrte der und sah finster von einem zum anderen.

»Ach geh, alter Junge, ich meine es doch nur gut«, sagte Guido hastig.

Angela blieb stumm, aber ihr Blick sprach Bände. Doch Danniger lehnte ab und heftete sich beharrlich, wenn auch mühsam an ihre Fersen.

Angela war darum ziemlich hin und her gerissen. Es ärgerte sie, daß er so stur war, auf der anderen Seite war sie glücklich über das Wiedersehen mit Guido Massi, das sie letztlich ihm verdankte.

»Na, war es schön?« empfing sie Frau Margret, als sie schließlich zurückkamen. Guido und Angela wirkten erfrischt und kein bißchen müde, Danniger reichlich aus der Puste.

»Herrlich war es!« sagte Angela begeistert. »Schade, daß Sie nicht mitgekommen sind, Frau Heisenfeld.«

»Der Onkel Doktor hat es mir für die nächsten Monate verboten«, erwiderte diese, und ihr Blick bekam etwas Weiches, Versonnenes.

Danniger begriff schneller als Angela.

»Margret, du erwartest ein Baby?« fragte er überrascht.

Sie nickte lächelnd. »Ja, stell dir vor, nach acht Jahren und auf meine alten Tage noch einmal! Aber Peter und ich sind sehr glücklich.«

»Alte Tage, so ein Blödsinn, du bist eine Frau in den besten Jahren, und schließlich ist es nicht dein erstes Kind. Ich freue mich für euch, Margret«, sagte Jobst herzlich. »Ganz neidisch könnte man werden«, fügte er leise hinzu.

»Dann heirate wieder, mein Guter!« lachte sie.

War es Zufall, daß Jobst Dannigers Blick in diesem Augenblick auf Angela fiel? Ein seltsamer Ausdruck, den sie nicht zu deuten wußte, stand in seinen Augen. Dann sagte er: »Ich werde mir deinen Rat zu Herzen nehmen, Margret.«

Man machte es sich am Kamin im Wohnzimmer bequem. Frau Huber brachte Tee und Gebäck. Angela hatte sich in ihrem hübschen Gästezimmer umgekleidet und trug ihren langen Rock und die weiße Seidenbluse dazu und sah sehr hübsch aus.

Im Schein des Feuers schien ihr rötliches Haar Funken zu sprühen, ihre Augen schimmerten wie Bergseen, und ihre Wangen waren von einem zarten Rot überhaucht.

Guido Massi konnte den Blick nicht von ihr wenden, aber auch Jobst Danniger sah immer wieder zu ihr hin.

Timo und Bine lagen am Boden und spielten »Mensch-ärgere-dich-nicht, waren ganz vertieft darin, während sich die Erwachsenen angeregt unterhielten. Dabei zeigte sich, wie unterschiedlich die beiden Freunde charakterlich waren. Worüber man auch sprach oder debattierte, Guido Massi ließ auch die Meinungen der anderen gelten, stimmte zu, wenn er sich überzeugt fühlte, während Danniger hartnäckig seine Ansichten vertrat und dabei manchmal regelrecht aggressiv wurde.

Seltsam war, daß Angela ihm in manchen Dingen innerlich mehr beipflichten mußte als Guido und daß es sie ärgerte, daß dieser meistens nachgab und sich gegen seinen Freund nicht zur Wehr setzte. Es schien ihn jedoch nicht zu stören, daß er manchmal den Kürzeren zog.

Nach dem Abendessen brachte Frau Margret die Kinder zu Bett.

»Kommen Sie mit hinauf, Fräulein Hoffmeister?« fragte sie, als die Kinder gute Nacht gesagt hatten.

»Gern«, nickte Angela und folgte ihnen. Timo und Bine durften zusammen in einem Zimmer schlafen, was sie wunderbar fanden. Als sie schließlich gebadet und mit geputzten Zähnen im Bett lagen – zuvor hatte es noch eine kleine Kissenschlacht gegeben, merkte man ihnen an, daß sie nun doch müde waren, obwohl sie behauptet hatten, noch lange nicht schlafen zu können.

»Gute Nacht, Timo, schlafe schön.« Angela beugte sich zu ihm hinunter und strich ihm über die Wange.

»Gute Nacht, Fräulein Hoffmeister. Es ist richtig schön, daß Sie mitgekommen sind«, murmelte Timo schon ein wenig verschlafen, legte die Arme um ihren Hals und gab ihr einen Kuß.

»Wissen Sie, daß Sie in Timo eine ganz große Eroberung gemacht haben?« fragte Frau Margret lächelnd, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten.

»Ach, ich komme im allgemeinen gut mit Kindern aus.«

»Mag sein, aber Timo leidet noch sehr unter dem Verlust seiner Mutter, wissen Sie. Vor einem Jahr wollte sein Vater wieder heiraten, aber die Verbindung ist an Timos Abneigung gegen dessen Freundin gescheitert. Wann immer ein weibliches Wesen im Gesichtskreis seines Vaters auftaucht, wird er sofort störrisch wie ein kleiner Esel.«

»Nun, bei mir spürt er wohl, daß mich sein Vater nicht interessiert«, erwiderte Angela. »Als Frau, meine ich«, fügte sie hinzu.

»Aber umgekehrt ist es schon der Fall, und das merkt ein sensibles Kind wie Timo sehr wohl.«

»Sie meinen doch nicht etwa, daß Herr Danniger sich für mich interessiert?« fragte Angela betroffen und schüttelte dann lachend den Kopf. »O nein, da irren Sie sich, Frau Heisenfeld. Wir geraten doch wegen jeder Kleinigkeit aneinander, ist Ihnen das nicht aufgefallen?«

»Eben deswegen. Ich kenne Jobst recht gut. Mit einer Frau, die ihm gleichgültig ist, würde er jedenfalls nicht streiten.«

»Na schön, dann reize ich ihn vielleicht zum Widerspruch, aber wenn es so wäre, wie Sie glauben, hätte er mich sicher nicht mit zu Ihrem Bruder mitgenommen.« Als sie es gesagt hatte, biß sie sich auf die Lippen und errötete, denn indirekt hatte sie damit ja ausgedrückt, daß Guido ihr nicht gleichgültig war.

Frau Margret lächelte fein. »Ich kenne auch meinen Bruder«, sagte sie nur, und Angela verstand nicht, was sie ihr damit sagen wollte. »Jobst ist jedenfalls ein feiner Kerl«, fuhr sie dann fort. »Hinter seiner rauhen Fassade steckt ein sehr liebenswerter Mensch, und ich wünsche ihm von ganzem Herzen, daß er noch einmal die richtige Frau findet und damit das Glück, das er verdient.«

Als sie dann wieder unten bei den Männern saßen, die inzwischen einen ausgezeichneten Wein eingeschenkt hatten, ging Angela das, was Frau Margret gesagt hatte, noch im Kopf herum. Sie fragte sich immer wieder, was sie damit hatte ausdrücken wollen. Ob sie am Ende eifersüchtig war, was ihren Bruder betraf? So etwas sollte es ja geben. Angela beschloß, sich davon nicht beeindrucken zu lassen, und da Guido sehr reizend zu ihr war und ihr im Laufe des Abends immer tiefer in die Augen sah, vergaß sie schließlich die Andeutungen seiner Schwester.

Es ging auf ein Uhr, als sie sich schließlich zu Bett begaben. Der Wein hatte die Stimmung gehoben, und unter Lachen und Scherzen begab man sich nach oben.

Als jeder in sein Zimmer gegangen war, trat Angela in ihrem ans Fenster öffnete es und schaute in die sternenklare Nacht hinaus. Sie spürte die Kälte nicht, denn im Inneren war ihr warm. Guido hatte ihre Hand an seine Lippen gezogen, als sie einander gute Nacht sagten, und sie preßte unwillkürlich ihren Mund auf diese Stelle. Sie war verliebt bis über beide Ohren, und Guido, davon war sie überzeugt, ging es nicht anders. Tief atmete sie ein.

»Sind Sie es, Angela?« hörte sie plötzlich eine Männerstimme fragen. Es war Jobst Dannigers Stimme, die sie jäh aus ihren Träumen riß. Er stand am Fenster des Nebenzimmers, das er innehatte und beugte sich weit heraus. »Können Sie auch noch nicht schlafen?« Seine Stimme klang etwas belegt.

Auch Angela beugte sich vor. »Ich wollte nur noch ein bisserl frische Luft schnappen, nachdem Sie mit Ihrem Knaster unten alles ganz schön eingequalmt haben«, erwiderte sie burschikos. Danniger war ein starker Pfeifenraucher.

»Ach so.« Es klang hörbar ernüchtert. »Warum haben Sie nicht gesagt, daß es Sie stört?«

»Weil ich ein höflicher und toleranten Mensch bin.«

»Na, mir scheint eher, weil Sie nur Augen und Ohren für meinen Freund Guido hatten«, kam es bissig. »Also gute Nacht.« Das Fenster nebenan wurde abrupt geschlossen.

Man hätte tatsächlich meinen können, er wäre eifersüchtig. Aber Angela hielt das für ausgeschlossen, und seine Schwester mußte sich auch irren. Es wäre zumindest eine sehr ungewöhnliche Art, einer Frau den Hof zu machen!

Auch Angela schloß ihr Fenster, duschte noch in dem Bad, das zu ihrem Zimmer gehörte und legte sich nieder. Ihre Gedanken gingen zu Guido Massi, und sein Gesicht nahm sie mit in ihre Träume.

*

Auch der Sonntag wurde ein wunderschöner Tag. Nach dem Frühstück machten alle, auch die Kinder, einen ausgedehnten Spaziergang, und es ergab sich wie von selbst, daß Guido an Angelas Seite ging, so daß sich Jobst Danniger gezwungen sah, sich Frau Margret zu widmen.

Als Angela einmal ins Rutschen kam, nahm Guido ihre Hand und gab sie nicht wieder frei. Und er sagte ihr viele nette Sachen, endlich konnten sie einmal allein miteinander reden, obwohl die beiden anderen dicht hinter ihnen blieben und besonders Jobstens laute Stimme immer wieder zu ihnen drang.

Da die Haushälterin heute ihren freien Tag hatte, lud Guido alle zum Essen in ein gutes Restaurant ein. Als sie dann wieder in seinem Hause waren, bat Angela Guido, ihr die Steinsammlung zu zeigen, von der er ihr erzählt hatte.

Sofort sprang er auf. »Ja gern, kommen Sie.«

Sie gingen in sein Arbeitszimmer hinüber, in dem sich die Vitrine befand. Es war eine umfangreiche Sammlung zum Teil wunderschöner Stücke, die er in den verschiedensten Ländern und Kontinenten selbst zusammengetragen hatte. Mit dem Eifer des Sammlers erklärte er ihr, um was für Steine es sich handelte und woher sie stammten.

Angela hörte ihm mit nur mäßigem Interesse zu. Konnte er das Alleinsein mit ihr nicht anders nutzen? Sie trat einen halben Schritt näher, als er ihr gerade ein besonders schönes Stück zeigte, und sah nicht den Stein, sondern ihn an.

Irritiert unterbrach Guido mitten im Satz, legte den Stein in die Vitrine zurück.

»Angela«, murmelte er und faßte nach ihren Händen.

»Hat er nicht eine schöne Sammlung?« hörte sie in diesem Augenblick Jobst Dannigers Stimme von der Tür her fragen.

Abrupt ließ Guido Angelas Hände los, griff wieder nach einem Stein und fuhr in seinen Erklärungen fort, als sei nichts gewesen.

Angela warf dem Störenfried einen wütenden Blick zu, den dieser gelassen, mit leisem Spott erwiderte. Er war also in voller Absicht hereingeplatzt.

Wenn sich Guido darüber ärgerte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken und zeigte dem Freund noch einige Steine, die dieser noch nicht kannte. Gemeinsam ging man dann ins Wohnzimmer zurück. Es fiel Angela schwer, ihren Unwillen nicht zu zeigen. Nach dem Kaffee, gegen drei Uhr, drängte Jobst zum Aufbruch, damit man auf der Rückfahrt nicht in die Dunkelheit käme, wie er erklärte.

»Ich denke, es macht dir nichts aus, im Dunkeln zu fahren?« wunderte sich Guido. »Früher jedenfalls hast du…«

»Früher, früher«, unterbrach ihn Jobst gelassen, »da war ich auch noch jünger, mein Lieber.«

»Ich wußte gar nicht, daß du auch anfängst, mit dem Alter zu kokettieren!« Sogar der sonst so friedfertige Guido wurde jetzt ein wenig scharf.

Es wurde dann doch ein wenig später, und dann gab es einen sehr herzlichen Abschied. Guido hielt Angelas Hand lange und drückte sie sehr fest.

»Sie müssen bald einmal wiederkommen, versprechen Sie mir das?«

»Gern, aber Sie können sich ja auch einmal in München sehen lassen«, lächelte Angela.

»Das tue ich sehr bald«, versprach er und küßte wieder ihre Hand.

Auch Frau Margret verabschiedete sich herzlich von ihnen, und als sie dann im Wagen saßen, winkten ihnen die drei Zurückbleibenden noch nach, bis das Auto um die nächste Biegung verschwand.

Eine Weile blieb Angela stumm. Wie gern wäre sie noch ein wenig länger geblieben.

»Warum küßt Onkel Guido Ihnen eigentlich immer die Hand?« erkundigte sich Timo plötzlich.

»Ach, weißt du, mein Sohn, das sind so altmodische Sitten, die eigentlich gar nichts mehr zu bedeuten haben«, antwortete Jobst an Angelas Stelle leichthin.

Angela ärgerte sich, weil es so abwertend klang. »Aber Frauen mögen das ganz gern, auch wenn es altmodisch ist«, sagte sie, und es war mehr an die Adresse des Vaters als des Sohnes gerichtet.

Danniger grinste hämisch, und das brachte sie noch mehr auf, und so schwieg sie lange Zeit hartnäckig.

»So still?« fragte er schließlich und sah sie an. »Müde?«

»Nein, nur nachdenklich«, erwiderte sie kurz.

»Schade, daß ich nicht Gedanken lesen kann.«

»Das dürfte nicht gut für Sie sein«, sagte Angela bissig und ging später nur noch auf Timos kindliches Geplauder ein, der begeistert von all den Tieren auf dem Gerstenhuberhof erzählte.

»Ich glaube, ich werde auch mal Bauer!« erklärte er.

»Stelle dir das bloß nicht so leicht vor, mein Kleiner«, schmunzelte sein Vater.

»Wenn man Tiere hat, muß man immer für sie dasein. Sie wollen auch sonntags gefüttert werden, die Kühe müssen gemolken werden und so weiter. Ferien gibt es keine.«

»Nein?« fragte Timo betroffen und meinte dann, unter den Umständen wäre es wohl doch nicht das Richtige.

»Dein Papa muß dir mal einen Hund schenken, wenn du Tiere so gern hast«, schlug Angela vor »Das wollte er ja, aber Frau Leineweber kann Tiere nicht leiden«, maulte Timo.

»Die Leineweber ist unsere Haushälterin«, erklärte Jobst. »Sie ist ein bißchen pingelig und auch nicht gerade tierlieb. Aber da wir ja auf sie angewiesen sind, Haushälterinnen gibt es nicht wie Sand am Meer, wie Sie vielleicht wissen, können wir nicht einfach tun, was wir wollen.«

»Tante Biggy hatte einen Hund, einen richtigen großen Schäferhund, und da hat sie immer gemault, wenn die gekommen ist. Außerdem fand sie die Biggy zickig und hat gemeint, Papi wäre schön blöd, wenn er die…«

»Jetzt halte endlich mal den Mund!« fuhr sein Vater ärgerlich dazwischen, denn offenbar war Timo wieder im Begriff, etwas aus seiner Intimsphäre auszuplaudern.

Daß Angela leise, aber doch hörbar in sich hineinlachte, machte ihn noch wütender, und er ging so rasant in die nächste Kurve, daß Angela, obwohl sie angeschnallt war, gegen ihn fiel.

»Wollen Sie uns umbringen?« fauchte sie in ihrem Schreck.

»Pardon«, murmelte er scheinheilig.

Angela war froh, als sie vor dem Hause hielten. Jobst holte ihr Köfferchen aus dem Kofferraum und reichte ihn ihr. Es hätte sicher einen besseren Eindruck gemacht, wenn sie Vater und Sohn noch zu einem Kaffee eingeladen hätte, doch dazu verspürte sie nicht die geringste Lust. So streckte sie ihm nur die Hand hin, lächelte ein wenig steif und bedankte sich, daß er sie mitgenommen hatte.

»Sie brauchen sich nicht zu bedanken, ich hoffe nur, es zahlt sich für Sie aus«, spöttelte er, und Angela wußte natürlich, daß er dabei an Guido dachte.

»Tschüß, Timo, mach’s gut!« verabschiedete sie sich von diesem und fuhr ihm durch den blonden Schopf.

»Besuchen Sie uns bald mal?« fragte er.

Wieder registrierte sein Vater mit Verwunderung diese Frage, die Timo noch nie einer seiner weiblichen Bekannten gestellt hatte.

Angela brachte er damit etwas in Verlegenheit, und so sagte sie schnell: »Du kannst mich ja mal besuchen, du weißt ja nun, wo ich wohne.«

»Darf ich, Papa?« fragte Timo eifrig und sah zu seinem Vater auf.

»Darüber reden wir noch«, nickte der, aber er nahm Angelas Einladung wohl nicht so ernst wie sein Sohn.

»Bis morgen dann!« Sie sagten es fast wie aus einem Munde, dann nickte Angela den beiden noch einmal zu und ging ins Haus.

*

Schon zwei Wochen später kam Guido nach München. Wenn er sonst für ein paar Tage oder ein Wochenende gekommen war, hatte er sich bei Jobst einquartiert, dessen schöner Bungalow in einem der feinsten Wohnviertel immer für Freunde offenstand und auch Platz genug bot. Diesmal jedoch zog er ins Hotel und rief Jobst von dort aus an.

»Du bist in München?« fragte der überrascht. Gleichzeitig gab es ihm einen Stich. »Ja, da kommst du doch wieder zu mir, nicht?«

»Sei nicht böse, alter Knabe, aber ich bin im ›Regina« diesmal«, sagte Guido, und es klang etwas verlegen.

»Verstehe ich nicht, warum denn?«

»Ich bin einer jungen Dame wegen hier, Jobst«, gestand Guido.

Jobst pfiff durch die Zähne. »Aha, ich verstehe!« brummte er. »Scheinst ja ziemlich weg zu sein, mein Guter. Wenn du so rasch die Initiative ergreifst, hat es dich wohl mächtig erwischt.«

»Ich glaube schon. Ich bin dir sehr dankbar, mein Alter, daß du Angela mitgebracht hast neulich.«

»Na ja, wenn du es nur wirklich zu schätzen weißt, was du mir damit verdankst.« Es kam ziemlich bedrückt, aber Guido entging das. »Wie lange bleibst du denn? Ich meine, willst du dich denn gar nicht mal bei mir blicken lassen?«

»Ich habe mir zwei Tage freigenommen und bleibe dann noch über das Wochenende. Und natürlich komme ich mal bei dir vorbei, ganz klar! Bloß abends ist es schlecht«, fügte er zögernd hinzu.

»Was für ein Blödsinn, du kannst Angela Hoffmeister doch mitbringen, wenn ihr euch schon keinen Abend trennen wollt. Wie wäre es am Samstagabend zum Essen? Ich lasse die Leineweber etwas Gutes kochen, wie wäre das?«

Jobst wußte selbst nicht, was ihn dazu trieb, die beiden einzuladen und wieder zu sehen, wie sie sich mit Blicken fast verschlangen. Es mußte wohl eine Art Selbstquälerei sein. Oder auch der Wunsch, wenigstens zu sehen, was auf ihn zukam, es vielleicht – aber das war nur eine winzige Hoffnung – noch verhindern zu können.

Guido brachte es selten fertig, etwas abzulehnen und dem Freund gegenüber, an dem er nun einmal hing, schon gar nicht. So stimmte er, wenn auch zögernd zu, obwohl er eigentlich lieber mit Angela allein gewesen wäre.

Angela war freudig überrascht gewesen, als er sie angerufen und ihr gesagt hatte, daß er für ein paar Tage in München wäre.

»Haben Sie beruflich hier zu tun?« fragte sie froh.

»N… nein, eigentlich nicht«, gestand er zögernd. »Ich bin eigentlich gekommen, weil ich Sie gern wiedersehen wollte, Angela.«

Das Herz klopfte ihr bis in den Hals. »Oh… das freut mich aber sehr!« stieß sie dann hervor.

»Wirklich? Dann können wir uns heute abend sehen?«

Natürlich war sie einverstanden gewesen, und sie hatten sich abends verabredet, um essen zu gehen. Als er dann gekommen war, um sie abzuholen, hatte sie ihn gefragt, ob sie nicht bei ihr essen wollten. Es sei doch gemütlicher, und sie habe schon etwas vorbereitet.

Es war ein wunderschöner Abend geworden. Überrascht hatte er festgestellt, daß sie ausgezeichnet kochte. Bei Kerzenlicht, am schön gedeckten Tisch, hatten sie zunächst mit Genuß gespeist und dann beieinander gesessen und über Gott und die Welt geplaudert. Erst ziemlich spät war er gegangen, und zum Abschied hatte er sie geküßt.

Für heute abend hatte er Theaterkarten besorgt, und vorher – er wollte Angela vom Verlag abholen – wollten sie essen gehen. Angela hätte am liebsten geschwänzt, und wenn er ihr ein wenig zugeredet hätte, hätte sie es sicher auch getan, aber dazu war Guido zu korrekt. Schließlich hätten sie ja das ganze Wochenende füreinander Zeit, hatte er gemeint. Und nun kam also die Einladung von Jobst dazwischen.

Zögernd erzählte er ihr es, als sie, nachdem Angela sich umgekleidet hatte, bei Humplmayr aßen.

»Ich wollte Jobst nur anrufen, um ihm guten Tag zu sagen, wo ich schon mal da bin, weißt du. Aber dann hat er uns eingeladen, und ich brachte es nicht übers Herz, abzusagen. Der arme Kerl ist ja auch viel allein. Du bist doch nicht böse, Angela?«

Enttäuscht sah sie ihn an. Guido war sie nicht böse, um so mehr aber Jobst, denn sie hatte wieder das Gefühl, daß er ihnen beiden, aus was für Gründen auch immer, die Zweisamkeit nicht gönnte. Schon in Oberstdorf hatte er ihnen ja kaum Gelegenheit dazu gegeben. Mußte er nun schon wieder dazwischenfunken?

»Ich bin nicht böse, nicht auf dich«, sagte sie schließlich, »mehr auf deinem Freund, Guido. Ich habe das Gefühl, er gönnt es uns nicht, allein zu sein.«

»O nein, das darfst du nicht denken!« widersprach Guido überzeugt. »So ist Jobst wirklich nicht. Er hat uns wirklich ganz spontan eingeladen.«

Angela hätte ihm gern widersprochen und gesagt, daß sie da aber ganz anderer Meinung sei, aber sie unterdrückte ihren Protest. Als Frau in eine langjährige Männerfreundschaft einzugreifen, und sei es nur mit Worten, war immer eine riskante Sache.

»Na gut, gehen wir also hin«, sagte sie mit gespielter Leichtigkeit. Und dann dachte sie daran, daß sie ja den heutigen Abend ganz für sich hatten, und ihre gute Laune kehrte wieder zurück. Seit Guido sich gemeldet hatte, schwebte sie schon wie auf Wolken, und der Abend zuvor war so wunderschön gewesen, daß sie lange nicht hatte einschlafen können.

Erleichtert sah Guido sie an und nahm ihre Hand. »Du bist eine fabelhafte Frau, Angela, und außerdem ist keine so hübsch wie du hier. Du solltest immer schwarz tragen, es steht dir hervorragend.«

Angela war bereits für das Theater gekleidet und trug ihr schickstes Kleid, das sie erst vor kurzem in einer exklusiven Boutique erstanden hatte. Es war aus leichtem Seidenjersey und ganz schlicht, vorn hochgeschlossen, gearbeitet. Der Pfiff lag in dem tiefen spitzen Rückenausschnitt, und der Sitz des Kleides verriet das Modell. Angela hatte tief dafür in die Tasche greifen müssen, aber es hatte sie nicht gereut, und jetzt war sie doppelt froh. Wenn man mit einem Mann wie Guido ausging, dem so viele Frauenblicke folgten, brauchte man das Gefühl, selbst hübsch auszusehen, umso mehr.

Obwohl das Essen hervorragend war, fand Guido, daß das, was Angela bereitet hatte, in keiner Weise nachstand.

»Du bist ein Schmeichler«, lächelte sie und mußte sich bezwingen, ihm nicht über sein dunkelgelocktes Haar zu streichen.

»Das bin ich nicht«, widersprach er und schaute sie verliebt an. »Und das weißt du sehr gut. Schau doch, wie die Männer sich nach dir die Hälse verrenken?«

»Und die Frauen nach dir!« entfuhr es ihr, aber dann biß sie sich auf die Lippen. Männer waren ohnehin eitel genug.

»Ach geh, das ist doch nicht wahr«, winkte er ab, und man konnte fast glauben, daß er es ernst meinte. Jedenfalls gehörte er erfreulicherweise nicht zu jenen Männern, die unerträglich eitel und sich ihres Aussehens immer bewußt waren. Und das machte ihn um so liebenswerter.

Sie hatten sich ein heiteres Boulevardstück ausgesucht, nichts Dramatisches oder Klassisches. Danach stand den Verliebten nicht der Sinn. Das Stück war spritzig und sehr erheiternd, sie kamen fast nicht aus dem Lachen heraus. Guido hielt Angelas Hand fast die ganze Zeit. In der Pause tranken sie Sekt, und Angela hätte die ganze Welt umarmen mögen.

Danach gingen sie noch in eine Bar, tranken noch eine Flasche Sekt, tanzten, hielten Händchen und küßten sich, flüsterten sich all die verliebten Worte zu, wie sie Liebespaare zu allen Zeiten gefunden haben.

Mit einem Taxi fuhren sie weit nach Mitternacht heim, denn auch Guido hatte ja einiges getrunken.

»Trinkst du bei mir noch einen Kaffee?« fragte Angela, als der Wagen vor ihrem Hause hielt.

»Sehr gern.« Guido drückte sie an sich, zahlte und stieg mit ihr aus.

Im Lift küßten sie einander leidenschaftlich, und als sie Angelas Wohnung betraten und die Tür hinter sich geschlossen hatten, fanden sich ihre Lippen wieder.

Beim Kaffeekochen machte er ihr einen Heiratsantrag. Angela zögerte nicht eine Minute.

»Ich nehme ihn an!« lachte sie glücklich. »Und ich nehme ihn ganz ernst an, du. Rede dich also morgen nicht damit heraus, daß wir beschwipst gewesen sind.«

»Ich denke ja gar nicht daran, weil es mir ja auch bitterernst ist, mein Liebes. Wir sind jetzt verlobt, daß du es weißt, und morgen besorgen wir auch gleich Ringe.«

»Dabei kennen wir uns im Grunde erst ein paar Tage«, sagte Angela, als sie nebeneinander auf dem Sofa saßen und sie sich in Guidos Arm gekuschelt hatte.

»Ja, das ist schon ein kleines Wunder, zumal ich sonst nicht der Schnellste bin«, lächelte er und küßte sie wieder. »Aber schau, die Hauptsache ist doch, daß wir uns liebhaben, nicht? Wir werden uns verstehen, davon bin ich fest überzeugt.«

»Hättest du denn eigentlich den Versuch gemacht, mich wiederzusehen, wenn dein Freund Jobst mich nicht angestellt und ich bei meinem Onkel geblieben wäre?« wollte Angela wissen.

»Ich bin nicht ganz sicher«, gestand Guido verlegen. »Wir wohnten so weit voneinander weg, hatten uns nur zweimal gesehen. Ich glaube, ich hätte mich nicht getraut, mich unter diesen Umständen noch einmal zu melden.«

»Aber so zaghaft siehst du gar nicht aus!« rief Angela verwundert und auch ein wenig betroffen.

»Ich bin es aber leider. Du bist da anders, nicht? Das ist gut, dann kannst du mir künftig immer mal einen kleinen Stupser geben.« Er grinste. »Mein guter Jobst war also so etwas wie ein Amor, nicht? Na, der wird ja staunen, wenn wir uns morgen als Verlobte präsentieren!«

»Ja, das glaube ich auch«, nickte Angela ein wenig schadenfroh, denn sie hatte das Gefühl, daß er sich nicht darüber freuen würde.

»So, und nun werde ich dich leider alleinlassen müssen, mein Liebling«, sagte Guido.

»Muß das sein?« flüsterte Angela und schmiegte sich an seine Brust.

»Wir wollen doch nichts überstürzen, nicht?« murmelte er.

»Haben wir das nicht schon?«

»Eben darum.« Er küßte sie und zog sie dann auf.

Angela brachte ihn zur Tür, nachdem er es abgelehnt hatte, ein Taxi zu rufen. Ein Gang durch die frische Luft würde ihm guttun, erklärte er.

Noch einmal nahm er sie in die Arme, küßte sie zärtlich und wünschte ihr eine gute Nacht.

»Frühstückst du morgen bei mir?« fragte Angela, die immer noch mit ihrer Enttäuschung kämpfte.

»Sehr gern. Wann soll ich hier sein?«

»So gegen zehn?«

»Gut, ich werde pünktlich sein.«

Als er gegangen war, begab sich Angela sofort zu Bett, aber einschlafen konnte sie nicht gleich. Peter wäre geblieben, wenn sie es ihm so leicht gemacht hätte, und mancher andere Mann auch, dachte sie und wußte nicht recht, ob sie traurig oder zornig sein sollte. Dabei war sie doch zuvor noch so glücklich gewesen. Im Grunde mochte sie keine Männer, die eine Frau gar zu schnell erobern wollten. Aber sie war bereit gewesen, sich erobern zu lassen und fühlte sich zurückgestoßen. Jobst Danniger hätte seine helle Freude daran gehabt, wenn er es wüßte. Nicht einmal er würde eine Frau im ungeeigneten Augenblick verlassen! Als ihr das noch bewußt wurde, zog sie die Decke über den Kopf und drehte sich entschlossen auf die Seite.

Sie wollte schlafen und nicht mehr darüber nachdenken.

*

Am nächsten Morgen erwachte sie erst kurz nach neun Uhr und sprang mit einem Satz aus dem Bett, als sie auf den Wecker sah. Sie duschte, machte sich hübsch und kleidete sich an. Dann lief sie zum Bäcker und holte frische Brötchen.

Sie hatte gerade den Tisch gedeckt, der Kaffee lief durch die Maschine, die Eier kochten, als es auch schon schellte. Strahlend, mit einem großen Strauß dunkelroter Rosen stand Guido vor der Tür. Ihr Herz flog ihm wieder zu, und sie vergaß die dummen Gedanken, mit denen sie eingeschlafen war, als er sie stürmisch in die Arme nahm und küßte.

Sie frühstückten unter Lachen und Scherzen, räumten gemeinsam ab und begaben sich dann in die Stadt zu einem Juwelier, bei dem sie Verlobungsringe erstanden.

Später, im Englischen Garten, steckten sie sie einander auf und liefen glücklich wie Kinder durch den winterlich verschneiten Park. Als sie nach dem Mittagessen wieder in Angelas Wohnung beieinander saßen und Gudio sie in die Arme nahm, war Angela wieder ohne Einschränkung glücklich.

Gegen acht Uhr fuhren sie nach Solln, wo Jobst wohnte. Beeindruckt betrachtete Angela den schönen modernen Bungalow, der trotz seiner Größe nicht protzig wirkte. Auf dem ausgedehnten Grundstück standen Tannengruppen und hohe Bäume, die bestimmt älter waren als das Haus.

Frau Leineweber, die freundliche ältere Haushälterin, öffnete ihnen, aber dann erschien auch schon Jobst und begrüßte sie mit einem breiten Lächeln und überaus herzlich.

»Ich freue mich.«

Fast schmerzhaft fest drückte er Angelas Hand, klopfte dem Freund auf die Schulter. »Ich mußte Timo versprechen, daß ihr ihm noch gute Nacht sagen kommt«, sagte er, als er ihnen die Mäntel abgenommen hatte. »Am liebsten wäre er ja aufgeblieben.«

»Sind Sie so streng in diesem Punkt?« In Angelas Frage lag ein leichter Vorwurf.

»Na ja, irgendwelche Erziehungsprinzipien muß man wohl haben«, grinste er und führte sie in Timos Zimmer. Noch putzmunter turnte der kleine Kerl dort in seinem Bett herum und strahlte, als die Besucher eintraten. Vorsorglich hatte Angela eine Tüte mit Süßigkeiten mitgebracht, die sie ihm nun gab.

»Ich dachte, du hältst dein Versprechen und besuchst mich mal?« Sie lächelte ihn an.

»Ich wollte ja kommen, aber Papi hat gesagt, Sie hätten Ihre Einladung nicht ernst gemeint.« Vorwurfsvoll sah Timo seinen Vater an.

»Da hat er aber keine gute Meinung von mir«, sagte Angela tadelnd.

»Aber Papi hat gesagt…«

»Willst du dich nicht für die Süßigkeiten bedanken?« unterbrach ihn sein Vater ziemlich abrupt. Wer wußte, was sein vorlauter Sohn da gerade wieder zum Besten geben wollte!

»Vielen Dank auch«, murmelte Timo schuldbewußt.

Angela und Guido beschäftigten sich eine Weile mit ihm, bis Jobst ein Machtwort sprach. »Nun genug, mein Sohn, jetzt wird geschlafen.«

»Kommt ihr bald wieder?« fragte Timo, als er brav im Bett lag und sich von Angela zudecken ließ.

»Demnächst kommst du erst mal zu mir, ja? Und nun schlafe schön, Timo.« Angela strich ihm über die Wange.

»Ehrenwort, daß ich wirklich kommen darf?« Timo hielt ihre Hand fest.

»Ganz großes Ehrenwort«, versicherte Angela lächelnd. Als sie dann aufsah, traf ihr Blick den von Jobst. Er sah sie ganz seltsam an, fast glaubte sie, etwas wie Rührung, auf jeden Fall aber einen ungewöhnlich weichen Ausdruck in seinen Augen zu lesen.

Hastig, wie um es zu verbergen, beugte er sich dann zu seinem Sohn hinunter und gab ihm einen Kuß. »Schlaf schön, Lausbub«, murmelte er.

Sie gingen hinunter in ein großzügig geschnittenes Wohnzimmer, das in seiner Höhe zweigeschossig war und oben noch eine Art Galerie besaß. Der Eßraum war mit schönen alten Kirschbauernmöbeln im Biedermeierstil eingerichtet, im Gegensatz zu den modernen Möbeln im Wohnraum. Trotzdem wirkte alles sehr harmonisch.

Sie nahmen einen Aperitif, dann trug Frau Leineweber das Essen auf, und Jobst schenkte einen guten Wein ein, hob dann sein Glas.

»Zum Wohl!«

Guido wechselte einen Blick mit Angela, lächelte dann.

»Auf meine Verlobung mit Fräulein Hoffmeister.«

Jobst starrte erst ihn, dann Angela an und setzte sein Glas vor Überraschung wieder auf den Tisch.

»Wie bitte?« fragte er dann, obwohl er recht gut verstanden hatte.

»Tja, alter Junge, es stimmt schon, wir haben uns gestern verlobt«, nickte Guido.

»Das… ist allerdings eine Überraschung«, murmelte Jobst betroffen.

»Hör mal, willst du uns nicht gratulieren?« fragte Guido verwundert.

Jobst riß sich zusammen. »Natürlich, freilich doch.« Er streckte Angela die Hand hin. »Herzlichen Glückwunsch, Fräulein Hoffmeister.«

»Danke«, lächelte sie.

»Auch dir meinen Glückwunsch!« Er drückte auch Guidos Hand. »Das ist allerdings schnell gegangen. Ich wußte gar nicht, daß du so entschlußfreudig sein kannst, mein Lieber!«

»Ja, da staunst du, aber wenn man an die richtige Frau gerät, dann ist man es wohl. Und das verdanke ich dir, Jobst, oder vielmehr deinem Blinddarm, und deshalb erfährst du es auch als erster.«

»Und wann heiratet ihr?«

»Ehrlich gesagt, darüber haben wir noch gar nicht so eingehend gesprochen«, gestand Guido etwas verlegen. »Aber zu lange warten wir nicht, nicht wahr, Liebling?« wandte er sich an Angela.

»Haben Sie Angst, bald wieder eine Nachfolgerin für mich einstellen zu müssen?« wich diese seiner Frage aus, indem sie sich an Jobst wandte.

Daran hatte dieser ganz und gar nicht gedacht. Er war nur maßlos enttäuscht, daß Guido wieder Erwarten so schnell gehandelt hatte, er selbst seine Hoffnungen nun begraben konnte. Aber das konnte er natürlich nicht eingestehen.

»Genau das war meine Sorge«, nickte er.

»Nun, so unersetzlich bin ich wohl nicht«, spöttelte Angela. »Notfalls kann ich ja selbst eine Nachfolgerin suchen, wenn es soweit ist. Und überdies haben wir nicht die Absicht, etwas zu überstürzen, nicht, Guido?«

Stimmte dieser nicht fast ein wenig erleichtert zu? Fast schien es Jobst so. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren? Er mußte sich etwas einfallen lassen.

Nach dem wirklich ausgezeichneten Essen saßen sie in der weichgepolsterten Sitzecke aus weichem Veloursleder, plauderten angeregt und tranken bereits die zweite Flasche von Jobstens gutem Wein.

Jobst trank ein wenig schneller als seine Gäste und zeigte sich als überraschend guter Gastgeber, wie Angela feststellte. Zum ersten Male gerieten sie nicht gleich aneinander, wenn sie verschiedener Meinung waren, was ganz entschieden an Jobst lag, weil er nicht so scharf argumentierte wie sonst immer, erstaunlicherweise auch einige Male ihre Meinung gelten ließ. Ein sonderbarer Mann! Und wieder und wieder ruhte sein Blick so eigenartig auf ihr, wenn er glaubte, sie merkte es nicht.

So verlief der Abend erfreulicher, als sie befürchtet hatte, und als sie schließlich recht spät aufbrachen, erinnerte ihn Angela an ihr Versprechen seinem Sohn gegenüber.

»Ich würde mich wirklich freuen, wenn er einmal zu mir käme«, sagte sie.

»Gut, dann sagen Sie mir wann, dann bringe ich ihn mal vorbei.«

»Wie wäre es am nächsten Samstag oder Sonntag?« schlug Angela vor.

»Falls Sie da nicht selbst etwas mit ihm vorhaben, meine ich natürlich.«

»Nein, das ist nicht der Fall. Ich sage Ihnen noch im Verlag Bescheid, ob am Sonnabend oder Sonntag, einverstanden?«

»In Ordnung.«

»Der gute Jobst ist aus allen Wolken gefallen, als er von unserer Verlobung hörte, nicht?« schmunzelte Guido, als sie im Wagen saßen. »Komisch, ich hatte beinahe den Eindruck, als wenn er ein bißchen neidisch war.«

»Er war etwas sonderbar, aber ehrlich gesagt, ich durchschaue ihn nicht recht«, erwiderte Angela.

»Wie dem auch sei, die Hauptsache ist doch, wir sind glücklich, mein Schatz, nicht wahr?« Guido faßte nach ihrer Hand.

In dieser Nacht blieb das Hotelzimmer von Dr. Guido Massi leer…

*

Jobst hatte keine gute Nacht gehabt, und auch an den folgenden Tagen war er so mißgelaunt, daß es sogar seinen Mitarbeitern auffiel.

Immer wieder grübelte er über die Tatsache nach, daß ausgerechnet sein bester Freund sich mit der Frau verlobt hatte, die ihm nicht gleichgültig war. Er hätte sich ohrfeigen mögen, daß er Guido überhaupt erzählt hatte, daß Angela bei ihm im Verlag arbeitete. Wenn er geahnt hätte, daß es Guido diesmal so ernst war, hätte er es nie und nimmer getan!

Aber Geschehenes war nun einmal nicht rückgängig zu machen. Trotzdem kam er immer wieder zu dem Schluß, daß die beiden im Grunde gar nicht zueinander paßten. Und er tröstete sich damit, daß verlobt ja noch nicht verheiratet war.

Und dann kam ihm der rettende Einfall. Er erinnerte sich, daß ihm irgend jemand kürzlich erzählt hatte, daß Bettina, Guidos einstige große Liebe, die einen anderen geheiratet hatte, inzwischen wieder geschieden sein sollte. Sie hatte auch in München gelebt, und da Jobst wußte, daß sie mit einem Zahnarzt namens Pertramer verheiratet gewesen war, schaute er im Telefonbuch nach. Es gab zwei dieses Namens, die Zahnärzte waren, aber Jobst rief kurz­entschlossen den ersten an und fragte ihn, ob seine Frau Bettina hieße. Natürlich hatte er die Privatnummer gewählt und bis zum Abend gewartet.

»Ja, meine Frau heißt Bettina, aber wir haben uns getrennt, und nun lebt sie nicht mehr bei mir«, kam die etwas knappe Antwort.

»Würden Sie so freundlich sein, mir ihre Adresse oder Telefonnummer zu geben, Herr Doktor?« bat Jobst höflich.

»Hören Sie, mein Herr«, kam es ärgerlich, »ich bin doch nicht…«

»Nicht, was Sie denken, Doktor!« unterbrach ihn Jobst schnell. »Es geht nicht um mich, sondern eine gemeinsame Bekannte hatte mich gebeten, Bettina ausfindig zu machen.«

»Dann soll sie unter Kaiser im Telefonbuch nachschauen. Bettina hatte ihren Mädchennamen wieder angenommen«, kam es kurz, und dann wurde aufgelegt. So ganz schien der Herr Doktor dem Frieden nicht zu trauen.

Immerhin fand sich Bettinas Name tatsächlich, und Jobst rief sie an.

»Du, Jobst?« rief sie überrascht, als er sich meldete. »Das ist aber eine Überraschung.«

Nach den ersten Fragen hin und her wollte Bettina in allzu beiläufigem Ton wissen, wie es denn Guido ginge. Jobst war Frauenkenner genug, um gerade daraus zu schließen, daß sie ihn keineswegs vergessen hatte.

»Er ist der Grund, weshalb ich dich anrufe, Bettina. Aber worum es dabei geht, möchte ich nicht gerne am Telefon besprechen. Können wir uns nicht einmal treffen?«

»Von mir aus noch heute!« kam die prompte Antwort, und Jobst atmete befreit auf.

Sie besprachen, daß sie sich in einem kleinen Lokal in der Nähe ihrer Wohnung treffen wollten. Bettina war sogar schon dort, als Jobst hinkam, und er stellte fest, daß sie eigentlich noch hübscher geworden war. Sie war nie sein Typ gewesen, er mochte hochgewachsene Blondinen nicht so, aber nett hatte er sie immer gefunden. Sie war mehr ruhigerer Wesensart, und Jobst hatte sie eigentlich immer als langweilig eingestuft, wobei ihm klar war, daß er ihr damit sicher Unrecht tat. Aber für ihn selbst waren eben lebhafte Frauen, die das gewisse Etwas ausstrahlten, immer interessanter gewesen.

»Du hast mich neugierig gemacht«, erklärte Bettina, nachdem sie einander begrüßt und etwas zum Trinken bestellt hatten. »Was ist denn mit Guido?«

»Er ist dir noch immer nicht ganz gleichgültig, Bettina?«

Sie errötete ein wenig. »Um offen zu sein, nein. Ich habe meinen geschiedenen Mann eigentlich mehr aus Trotz geheiratet, weil Guido keine Anstalten machte, unsere langjährige Freundschaft zu legalisieren, wußtest du das nicht?«

»Guidos Version lautete anders. Er behauptete, du hättest von einem Tag auf den anderen Schluß gemacht, weil du einen anderen kennengelernt hättest.«

»Na ja, er hat nie begriffen, worum es mir ging«, seufzte Bettina. »Ein Wort von ihm, und ich hätte noch auf dem Standesamt nein gesagt.«

»Und nun ist es prompt schiefgegangen mit dir und deinem Mann.«

»Ja, aber das lag nicht nur an mir!« widersprach Bettina.

»Das behauptet jeder, aber darüber wollen wir ja auch gar nicht reden, Es freut dich sicher nicht, zu hören, daß Guido sich kürzlich verlobt hat,

stimmt’s?«

»Guido? Verlobt?« Nein, Bettina sah ganz und gar nicht erfreut aus! »Mit wem denn bloß?«

»Du kennst sie nicht.« Und nun erzählte Jobst ihr die ganze Geschichte und verschwieg auch nicht, daß ihm diese Verlobung Angelas wegen ganz und gar nicht paßte.

»Und ich wollte Guido demnächst anrufen«, murmelte Bettina traurig. »Aber das kann ich mir ja nun sparen.«

»Er hat die Sache mit dir aber sehr schwer genommen, Betti«, sagte Jobst. »Noch vor kurzem hat er mir gestanden, daß er immer noch an dich denkt. Ich finde, du solltest dein Vorhaben ruhig durchführen. Ich bin sicher, Guido freut sich trotzdem, auch wenn er verlobt ist.«

»Weiß er denn, daß ich geschieden bin?«

»Ich glaube nicht. Ich selbst habe es ja auch gerade erst erfahren. Vielleicht hätte er sich gar nicht verlobt, wenn er es gewußt hätte, Betti.«

»Höre mal, Jobst, was führst du eigentlich im Schilde?«. Mit zusammengezogenen Brauen sah Bettina ihn an.

»Na ja, schau, wenn Guido Angela heiratet, weil er die Hoffnung, dich betreffend, aufgegeben hat, dann ist es sicher nicht die große Liebe, und das wiederum täte mir für Angela leid und letztlich auch für ihn und dich, wenn du ihn noch magst.«

»Du edler Mensch!« Bettina lachte. »Und an dich denkst du natürlich zuletzt.«

»Ich sehe, du durchschaust mich, Betti. Aber wie dem auch sei, tue mir den Gefallen und rufe ihn an, wobei du natürlich so harmlos tun mußt, als wüßtest du von seiner Verlobung nichts. Jammere ihm ein bißchen vor, wie unglücklich du bist, daß du ihn noch immer nicht vergessen hast und gern einmal wiedersehen würdest. Bleibt Guido standhaft, können wir die Hoffnung wohl aufgeben. Trifft er sich dagegen mit dir, dann…«

»Wird deine angebetete Angela tod­unglücklich!« vollendete Bettina seinen Satz. »Kann ich das verantworten?«

»Da ich dann als Tröster aufzutreten beabsichtige, schon«, grinste Jobst.

»Bist du deiner Sache so sicher?«

»Na ja, ich rede es mir zumindest ein. Ich glaube nämlich, daß Angela gar nicht so gut zu ihm paßt und das selbst bloß noch nicht erkannt hat. Sie braucht einen Grobian wie mich, um glücklich zu sein.«

Bettina lachte. »Du bist köstlich, Jobst. Aber gut, ich tue es, weil ich selbst gern die Probe aufs Exempel machen würde.«

Jobst strahlte. »Und wann?«

»Na ja, heute nicht mehr, aber morgen vielleicht.«

»Fein. Rufst du mich hinterher an und sagst mir, wie er reagiert hat?«

Bettina versprach es hoch und heilig, und nachdem sie noch eine Weile geplaudert hatten, brachen sie auf. Jobst war hochzufrieden mit dem Ergebnis dieses Treffens und hatte wegen seiner Intrige nicht das geringste schlechte Gewissen.

*

Am nächsten Abend saß er sprungbereit neben dem Telefon, und je später es wurde, ohne daß das Rufzeichen ertönte, um so unwilliger starrte er den kleinen grauen Kasten an. Hatte Bettina es sich überlegt und doch nicht angerufen?

Er war schon drauf und dran, sie anzurufen, als es endlich klingelte. Er riß den Hörer von der Gabel und meldete sich. Es war Bettina.

»Hast du schon gewartet?« erkundigte sie sich.

»Und wie! Du hast meine Geduld auf eine harte Probe gestellt, meine Liebe. Und wie war es? Hast du mit Guido gesprochen?«

»Habe ich. Und ziemlich lange sogar, darum rufe ich ja auch so spät an. Er fiel aus allen Wolken, als er dann hörte, daß ich geschieden bin, sagte er eine ganze Weile gar nichts. Stell dir vor, er hat mir nichts von seiner Verlobung gesagt und sich prompt am Wochenende mit mir verabredet!« Bettinas Stimme verriet, wie froh sie darüber war.

»Donnerwetter, das klingt gut!« rief Jobst erfreut. »Daß er dir nichts von seiner Verlobung gesagt hat, ist doch äußerst vielsagend, findest du nicht? Kommt er nach München?«

»Nein, ich habe gesagt, ich wolle in Oberstdorf eine Freundin besuchen, und so treffen wir uns dort.«

»Das ist gut. Betti, du mußt dein Bestes tun, um seine Gefühle wieder anzufachen, hörst du?«

»Ich habe das Gefühl, soviel gehört gar nicht dazu«, verriet sie ihm aufatmend. »Wenn ich bloß wegen dieser Angela nicht so ein schlechtes Gewissen hätte!«

»Quatsch, wieso denn? Wenn du durch mich nichts von ihr wüßtest, würdest du es ja auch nicht haben, Und ich sage dir, Angela ist kein Typ, der an gebrochenem Herzen stirbt, zumal ich dann alles tun werde, um sie aufzurichten. Ich drücke dir jedenfalls beide Daumen, daß alles so ausgeht, wie du es dir wünschst.«

»Und du dir«, ergänzte Bettina spöttisch. »Vergiß nicht, Guido ist ein sehr moralischer Mensch, und selbst wenn ich ihm mehr bedeutete als diese Angela, kann ich mir nicht vorstellen, daß er einfach die Verlobung mit ihr löst.«

»Lieber Himmel, Betti, muß man dir erst auf die Sprünge helfen, wie du es anstellen mußt, daß der gute Guido zu einer Entscheidung gezwungen wird?« rief Jobst ungeduldig.

Sekundenlang blieb es still am anderen Ende der Leitung. Trotzdem glaubte Jobst förmlich zu hören, wie Bettina über seine Worte nachdachte.

»Ich verstehe zwar, was du damit sagen willst«, meinte sie nach einer Weile zögernd, »aber ich weiß nicht recht, ob ich das so fertigbringe, ich gehöre nun mal nicht zu den raffinierten Frauen, die alles mit gewissen Tricks schaffen. Sonst hätten Guido und ich schon damals geheiratet, glaube mir.«

»In der Liebe darf man nicht so viele Skrupel haben, mein Kind«, belehrte Jobst sie und redete noch eine Weile auf sie ein, um ihr Selbstbewußtsein zu stärken. Schließlich hatte er das Gefühl, daß er erreicht hatte, was er wollte, und verabschiedete sich mit vielen guten Wünschen von Bettina und legte auf, nachdem sie wiederum versprochen hatte, ihn auf dem laufenden zu halten.

Als er noch eine Weile über das Gespräch nachgedacht hatte, hatte er eine Idee, die ihn wiederum zum Hörer greifen ließ. Noch einmal wählte er Bettinas Nummer…

*

Am Samstag darauf brachte er, wie inzwischen verabredet worden war, Timo zu Angela. Es fiel ihm schwer, nicht mit hinaufzugehen, aber er bezwang sich. Unterwegs hatte er einen hübschen bunten Blumenstrauß gekauft und ihn Timo in die Hand gedrückt.

»Den nimmst du Fräulein Hoffmeister mit, das gehört sich so.«

»Hätte ich ihr nicht lieber Pralinen oder Schokolade mitbringen sollen, Papi?«

»Damit sie dir davon angeboten hätte, wie?« schmunzelte Jobst, doch Timo protestierte lautstark.

Als sie mit dem Wagen vor Angelas Haus angelangt waren, setzte Jobst seinen Sohn in den Lift und betätigte dann die Klingel. Als Angela sich per Haustelefon meldete, sagte er ihr, daß Timo gleich oben sein würde.

»Sie hätten ruhig mit heraufkommen können«, meinte Angela.

»Vielen Dank für die freundliche Einladung«, erwiderte er etwas ironisch, »aber ich habe noch etwas zu erledigen. Und bringen Sie Timo nur heim, wenn er Ihnen auf die Nerven geht«, setzte er noch hinzu.

»Das tut er bestimmt nicht. Dann bis später, Herr Danniger.«

»Viel Spaß«, meinte er lakonisch.

»Fein, daß du kommst!« empfing Angela ihren kleinen Besucher, der ihr die Blumen entgegenstreckte. »Und so schöne Blümchen bringst du mir mit? Danke schön, Timo. Und nun komm herein. Ich dachte, wir trinken zuerst einmal Kaffee, ja?«

Zuerst war Timo ein wenig befangen, aber bei Kakao und Kuchen taute er bald auf. Angela hatte ein paar Spiele hervorgekramt, und er war Feuer und Flamme, als sie mit Mensch-ärgere-dich-nicht begannen und er gleich einige Male gewann.

Danach ging Angela mit ihm zu einer nahegelegenen Minigolfbahn, und in einem Non-stop-Kino schauten sie sich einen Zeichentrickfilm an, der so drollig war, daß sich nicht nur Timo, sondern auch Angela köstlich amüsierte.

Dabei ergab es sich, daß Timo Angela gegenüber das Du herausrutschte, und als er es merkte, wurde er verlegen und entschuldigte sich.

»Ach was, bleiben wir doch dabei. Ich bin also Angela«, lächelte diese, und Timo strahlte.

»Trinken wir nachher richtig Brüderschaft?« fragte er.

»Na klar, wie es sich gehört«, nickte Angela.

Und das taten sie dann auch und stießen – wieder bei ihr – mit Limonade an.

»Und jetzt mußt du mir einen Kuß geben!« forderte er.

Angela küßte ihn auf die Wange und er sie auch.

»Ich kann dich gut leiden«, murmelte Timo. »Wenn ich groß bin, heirate ich dich, Angela.«

Sie lachte.

»Aber dann bin ich auch älter und bekomme schon Falten und graue Haare, mein Kleiner.«

»Das macht nichts, dann färbst du sie eben, und gegen die Falten kaufe ich dir eine Creme«, schlug er vor.

»Und was machen wir mit Onkel Guido? Wir sind schließlich verlobt, und er wäre sicher nicht einverstanden, wenn du als Rivale auftrittst.«

»Du kannst ihn ja erst mal heiraten, und wenn ich groß bin, entheiratest du dich eben wieder«, wußte er Rat.

»Ach, du bist mir schon einer!« Angela amüsierte sich.

Zum Abendessen buk Angela Eierkuchen, denn Timo hatte ihr gestanden, daß sie sein Leibgericht wären und sich beschwert, daß Frau Leineweber sie nur selten machte.

Sie gerieten vorzüglich, und er rollte die Augen verzückt zur Decke.

»Du bist die beste Köchin der Welt, Angela!«

»Nun übertreibe mal nicht, mein Kleiner«, lächelte Angela.

Gegen acht Uhr fuhr sie ihren kleinen Gast wieder nach Hause.

»Papi ist da!« Timo wies auf den Wagen von Jobst, der noch vor der Garage stand. »Kommst du nicht mit rein?« fragte er dann, als Angela sich vor der Tür von ihm verabschieden wollte.

In diesem Augenblick öffnete sich jedoch die Haustür. Jobst trat heraus und kam mit schnellen Schritten den Gartenweg herunter.

»Papi, es war ganz toll!« Timo stürzte ihm entgegen.

»Na fein, mein Kleiner.« Er sah Angela an. »Sie hatten aber Geduld, alle Achtung!« Er grinste.

»Davon kann keine Rede sein, es hat mir Spaß gemacht, und wir haben uns prächtig amüsiert, nicht, Timo?«

»Ja, und wie! Wir haben Spiele gespielt und Minigolf und im Kino waren wir, und Eierkuchen hat Angela für mich gebacken und…«, rasselte Timo herunter.

»Angela?« Streng sah ihn sein Vater an.

»Na, das wollte ich dir ja erzählen, aber wenn du mich auch nicht ausreden läßt«, erwiderte Timo vorwurfsvoll. »Weil wir nämlich Brüderschaft getrunken haben.«

»Soso, na, dagegen läßt sich natürlich nichts sagen«, brummte Jobst. »Aber du wolltest deine Gastgeberin doch nicht etwa vor der Haustür verabschieden?«

»Er nicht, aber ich«, sagte Angela schnell.

»Ich protestiere! Bitte, tun Sie mir den Gefallen und trinken Sie wenigstens noch etwas mit mir. Bitte«, fügte er leise hinzu, als Angela zögerte.

»Also gut.«

Sie gingen ins Haus. Natürlich mußte Timo, dem das Herz voll war, seinem Vater erst noch eingehend über den schönen Nachmittag berichten, aber dann verfügte Jobst, daß Schlafenszeit war, und er verschwand ohne Murren, nachdem er sich von Angela mit einem herzhaften Kuß verabschiedet hatte.

»Ich staune immer wieder, wie schnell Sie seine Zuneigung gewonnen haben«, sagte Jobst nachdenklich, und sein Blick machte Angela etwas verlegen.

»Ich bin eben eine gute Kindertante«, spöttelte sie.

»Wünschen Sie sich selbst einmal Kinder?« Er fragte es ernst, ohne die Ironie, die sie an ihm gewohnt war.

»Natürlich und nicht nur eins, wenn es geht«, sagte sie sofort.

»Und Guido wünscht sich neuerdings auch welche?«

»Darüber haben wir noch nicht gesprochen«, entgegnete Angela errötend. »Aber wieso sagen Sie neuerdings?«

»Nun, früher wollte er nie welche. Es mag Kinder zwar und ist reizend zu Timo, aber immer Kinder um sich zu haben, würde seine Ruhe und Behaglichkeit stören. So sagte er jedenfalls bisher immer. Schön für Sie, wenn er seine Meinung geändert hat«, fügte er hinzu, als er Angelas betroffene Miene sah. »Übrigens, wie wäre es, wenn wir ihn morgen überraschten und zu ihm führen?« schlug er dann überraschend vor.

Verblüfft sah Angela ihn an. Er überraschte immer wieder mit seinen plötzlichen Einfällen.

»Wir haben uns früher öfter mal spontan und ohne große Voranmeldungen getroffen, wenn Sie also nichts anderes vorhaben, könnten wir doch wieder einmal zu ihm fahren. Was meinen Sie, wie sich der gute Junge freut.«

»Meinen Sie wirklich?«

»Na gar keine Frage! Oder stört es Sie, wenn Timo und ich dann dabei sind?«

Mißtrauisch sah Angela ihn an. »Nein, nicht im geringsten«, sagte sie schnell, als sie wiederum keine Anzeichen von Spott in seiner Miene zu lesen vermochte:

»Also gut, fahren wir, wenn Sie meinen.«

Sie verabredeten noch die Uhrzeit, und dann ging Angela. Er brachte sie noch bis zu ihrem Wagen.

»Guido sollte Ihnen bald mal einen neuen schenken«, bemerkte er. »Mit dem altersschwachen Ding können Sie es ja wirklich nicht riskieren, ihn zu besuchen.«

»Ich würde mir nie von einem Mann, auch wenn es mein Verlobter ist, ein Auto schenken lassen«, erwiderte Angela hochmütig.

Seltsamerweise kam daraufhin keine spöttische Bemerkung. Vielmehr glaubte sie Bewunderung in seinem Blick zu lesen. »Ja, ich glaube, Sie lassen sich nicht kaufen«, sagte er leise.

Er hielt ihre Hand ein wenig länger. »Ich freue mich auf morgen, Angela«, fügte er ungewöhnlich weich hinzu. »Einsame Wochenenden habe ich hassen gelernt.«

Sie wollte erwidern, daß es sicher genug Frauen gäbe, die ihm nur zu gern Gesellschaft leisten würden, doch sie blieb stumm unter seinem Blick. Noch nie hatte er sie so angesehen, und plötzlich hatte sie das Gefühl, daß er gar nicht so rauhbeinig war, wie er sich immer gab.

»Also dann bis morgen«, sagte sie hastig und entzog ihm ihre Hand. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht… Angela.« Er blieb stehen und sah ihrem Wagen nach, bis die Straße eine Biegung machte. Sie sah es im Rückspiegel und fühlte plötzlich Mitleid mit ihm, wie er da so verloren stand…

*

Pünktlich zur vereinbarten Zeit holte er sie am nächsten Tag ab, und Timo war natürlich auch wieder dabei. Angela war guter Stimmung, denn sie freute sich auf Guidos Überraschung. Auch Jobst und Timo waren guter Dinge. Unterwegs gingen sie essen, denn sie wollten, wie Jobst meinte, Guido nicht gerade ins Mittagessen fallen.

Als der Ober, der sie bediente, erkennen ließ, daß er sie für eine Familie hielt, kicherte Timo amüsiert.

»Angela, der denkt, du bist Papis Frau und meine Mami.«

»Meinst du?« Sie ärgerte sich, daß sie errötete.

»Würde dir das gefallen?« fragte Jobst seinen Sohn.

»Na ja, eigentlich wollte ich Angela ja heiraten, wenn ich groß bin«, erwiderte dieser verschmitzt, »aber wenn sie meine Mami wäre, fände ich das auch ganz schön.« Er legte den Kopf schief und sah die beiden Erwachsenen an. »Eigentlich könntest du statt Onkel Guido meinen Papi heiraten, Angela.«

»Ihr Sohn hat eine blühende Fantasie!« Angela lachte, aber es klang ein wenig belegt, denn wieder war in Jobstens Blick ein Ausdruck, der sie verwirrte.

»Die hat er von seinem Vater.« Jobst sagte es merkwürdig betont.

»Sicherlich«, Angela lachte, als habe er einen Witz gemacht und sprach dann schnell von etwas anderem.

»Und wenn Guido gar nicht zu Hause ist?« meinte Angela plötzlich kurz vor dem Ziel.

»Erstens glaube ich das nicht, und zweitens wäre das auch kein Unglück. Dann würden wir den Tag auch so herumbekommen«, meinte Jobst.

Vor seinem Hause stand ein roter Sportwagen. »Hat er am Ende schon Besuch?« sagte Angela und wußte selbst nicht, warum sie sich auf einmal so beklommen fühlte.

»Wir werden ja sehen.«

Sie stiegen aus, und Timo schellte am Gartentörchen, während Angela und Jobst schon auf die Haustür zugingen. Es dauerte eine Weile, bis geöffnet wurde. Guido war selbst an die Tür gekommen und starrte die Besucher bestürzt an. Ja, bestürzt, das merkte Angela sofort.

»Ihr?« brachte er schließlich heraus.

»Wir wollten dich überraschen, alter Junge, und ich sehe, das ist uns gelungen«, feixte Jobst. »Willst du deine Braut nicht begrüßen und uns einlassen?«

»Na… natürlich«, stotterte Guido und zog Angela kurz an sich, küßte sie auf die Wange.

»Sehr erfreut wirkst du aber nicht«, sagte diese enttäuscht.

»Aber doch… ich freue mich, es ist halt nur die Überraschung. Bitte, kommt doch herein.« Timo zu begrüßen vergaß er ganz und gar, bis der ihm die Hand hinstreckte.

Drinnen nahm er Angela den Mantel ab und hängte ihn auf, zögerte dann und erklärte sichtlich verlegen, daß er noch anderen überraschenden Besuch bekommen habe.

»Es ist Bettina Kaiser…«, er sah Jobst fast flehend an, »du kennst sie ja. Sie ist eine alte Bekannte von Jobst und mir«, setzte er dann zu Angela gewandt hinzu.

»Da schau her, die Betti!« tat Jobst erstaunt, grinste dann breit. »Du kannst Angela doch sagen, daß sie mal deine Freundin war, alter Junge, was ist schon dabei, zumal sie jetzt verheiratet ist.«

Nun verstand Angela Guidos seltsamen Empfang und seine Verlegenheit. Sie lachte erleichtert auf. »Also, so kleinlich bin ich wirklich nicht, Liebling.«

»Dann ist es ja gut.« Aber komischerweise klang Guidos Stimme immer noch nicht ganz unbelastet.

Als sie ins Wohnzimmer traten, fiel Angelas Blick auf eine schlanke Blondine mit regelmäßigen Zügen und schönen blauen Augen, die jetzt lächelte und schöne weiße Zähne zeigte. Sie sah so aus, wie man sich immer eine blonde Schwedin vorstellte.

Guido machte die beiden Damen miteinander bekannt, fügte aber nicht hinzu, daß Angela seine Verlobte war. Vergaß er es absichtlich? Mißtrauisch sah Angela ihn an.

Jobst begrüßte Bettina, als habe er sie schon ewig nicht gesehen, und weder Angela noch Guido bemerkten den Blick des Einverständnisses, den die beiden miteinander wechselten.

»Hilfst du mir, ein paar Drinks zu machen?« Guido lag sichtlich daran, mit dem Freund ein Wort unter vier Augen zu wechseln.

»Klar.« Aber bevor Jobst aufstand, schoß er genau die Frage an Bettina ab, die Guido hatte vermeiden wollen. »Ist denn dein Mann nicht mitgekommen, Betti?«

»Aber, Jobst, ich bin doch geschieden, wußtest du das nicht?« Bettina sagte es so unschuldig, daß Jobst ihr beinah anerkennend zugeblinzelt hätte.

»Ach, entschuldige, wenn ich das gewußt hätte, hätte ich natürlich nicht so taktlos gefragt«, murmelte er scheinbar reumütig.

»Macht nichts, ich dachte halt, es hätte sich in München schon herumgesprochen,. Aber Guido wußte es ja auch nicht. Ich war ziemlich trostbedürftig nach alledem, und da alte Liebe nicht rostet, nicht wahr, Guidoschatz, da bin ich halt hergekommen.« Bettina warf Guido einen liebevollen Blick zu, der nicht gespielt war. Aber als sie dann Angelas Gesicht sah, fühlte sie sich doch nicht besonders wohl in ihrer Haut. Sehr fair war dieses Spiel nicht, auf das sie sich auf Jobsts Drängen eingelassen hatte.

Nun erst folgte Jobst Guido zur Bar, wo dieser ihm entsetzt zuflüsterte, daß weder Bettina von seiner Verlobung mit Angela wüßte, noch diese eine Ahnung habe, wie lange und eng er mit Bettina zusammen gewesen sei. »Mußtest du gleich nach Bettinas Mann fragen, du Idiot?« knirschte er böse.

»Lieber Himmel, wie konnte ich denn wissen, daß dir noch so viel an Bettina liegt«, gab Jobst leise zurück.

»Wie kommst du denn darauf?« Guidos Stirn rötete sich.

»Weil du sonst mit offenen Karten gespielt hättest, mein Lieber. Und Angela hat das schon durchschaut, verlaß dich drauf!«

»O Gott, was mache ich denn bloß?« fragte Guido verzweifelt.

»Hast du die Dinge überhaupt noch in der Hand?« Jobst grinste spöttisch.

»Sie sind sicher die neue Freundin von Jobst, nicht wahr?« fragte Bettina Angela währenddessen und fuhr dann, ehe Angela etwas sagen konnte, gleich fort: »Es freut mich, daß Jobst endlich wieder eine nette Frau gefunden hat, wirklich! Er ist ein so lieber Mensch, und schon Timo wegen sollte er wieder heiraten. Kommen Sie gut mit dem Kleinen aus?«

Timo war zum Glück gerade hinausgegangen.

»O ja, sehr gut«, nickte Angela, ohne den Irrtum aufzuklären, obwohl sie innerlich kochte. Aber sie wollte doch sehen, wie sich Guido aus der Affäre zog. »Haben Sie auch Kinder?«

»Zum Glück nicht, denn die sind ja meistens die Leidtragenden, wenn eine Ehe auseinandergeht.«

»Ich hoffe, wir stören nicht zu sehr, wenn Sie doch gern mit Guido allein sein wollten«, sagte Angela mit steifen Lippen.

»Ach, ich bitte Sie, dazu haben wir noch Zeit«, winkte Bettina großmütig ab. »Er hat mich eingeladen, ein paar Tage bei ihm zu bleiben, also haben wir noch genügend Zeit füreinander.« So war es wirklich gewesen, Bettina log keineswegs. Und obwohl ihr Angela leid tat, dachte sie, daß Guido sie nicht so lieben konnte, wie es sein sollte, sonst hätte er sie – Bettina – bestimmt nicht eingeladen. Und dieses bildhübsche Mädchen hatte es eigentlich nicht nötig, die zweite Geige zu spielen. Und außerdem war da ja Jobst, der nur darauf wartete, sie trösten zu dürfen, sagte sie sich obendrein und fand ihr Tun damit gerechtfertigt.

Die beiden Herren kamen mit den Drinks, und man prostete einander zu. Guido wußte nicht recht, zu wem er sich setzen sollte. Ob zu Bettina aufs Sofa oder zu Angela, die in der Sitzecke Platz genommen hatte. Zum Glück ließ sich aber Jobst neben Angela nieder, und so setzte Guido sich in einen Sessel.

»Geht es Ihnen gut?« flüsterte Jobst Angela mitfühlend zu.

Hatte er etwa Mitleid mit ihr? Das war das Letzte, was Angela jetzt ertragen konnte »Mir geht es prächtig!« zischte sie böse.

»Ich freue mich für dich, lieber Jobst, daß du in so reizender Begleitung gekommen bist«, wandte sich Bettina nun an diesen, obwohl eine solche Bemerkung keineswegs abgesprochen war. »Ich sagte gerade, daß du wirklich wieder heiraten solltest, wenn du endlich die richtige Frau gefunden hast.«

Zunächst starrten die beiden Männer sie perplex an, doch dann faßte Jobst sich schnell.

»Oja, das habe ich auch vor, Bettina«, lächelte er und legte seinen Arm um Angelas Schultern.

Nun war es allerdings mit deren Beherrschung vorbei.

»Dann müssen wir uns allerdings erst entloben, nicht wahr, Guido?« rief sie zornig und sprang auf.

»Aber… Angela, was… ist denn los?« stotterte Guido völlig verwirrt.

»Ach, ich habe diese Komödie satt! Gründlich satt!« Sie lief zur Tür und riß sie auf. »Vielleicht einigt ihr euch mal.« Dann lief sie hinaus, riß ihren Mantel von der Garderobe, schlüpfte hinein und rannte aus dem Haus.

Die drei Zurückbleibenden sprangen erschrocken auf. Jeder hatte auf seine Weise ein schlechtes Gewissen. Jobst murmelte einen Fluch und lief Angela nach.

Als sie seine Schritte hinter sich hörte, beschleunigte sie die ihren noch, aber schließlich holte er sie doch ein und faßte ihren Arm.

»Um Gottes willen, Angela, nun drehen Sie doch nicht gleich durch.« Er hielt sie eisern fest, als sie sich losreißen wollte. »Ich verstehe ja, wie Ihnen zumute ist«, fuhr er dann fort, als sie schließlich stehen blieb.

»Danke, ich brauche Ihr Mitgefühl nicht!« brauste sie auf, sah ihn dann aus schmalen Augen an. »Womöglich verdanke ich diese Situation noch Ihnen, wie? Vielleicht wußten Sie von dieser Bettina und daß sie vorhatte, Guido zu besuchen. Ich traue es Ihnen durchaus zu, deshalb mit mir hierher gefahren zu sein, mißgünstig, wie Sie nun mal sind!«

»Aber was reden Sie denn da, ich hatte doch auch keine Ahnung«, verteidigte sich Jobst, aber so recht überzeugend klang es nicht. Am liebsten hätte er ihr ja auch alles gestanden und ihr gesagt, warum er das alles eingefädelt hatte. Aber ihr in ihrer jetzigen Verfassung eine Liebeserklärung zu machen, führte zu nichts, dazu war sie viel zu wütend.

»Wie dem auch sei, ich fahre sofort zurück, denn was ich von Guido zu halten habe, weiß ich ja nun auch.«

»Vielleicht sehen Sie das alles ganz falsch. Er wurde ja auch von Bettinas Besuch überrascht«, widersprach Jobst lahm.

»Und dann lädt er sie gleich ein, ein paar Tage bei ihm zu bleiben und läßt sich Guidoschatz nennen? Für wie blöd halten Sie mich eigentlich? Und nun lassen Sie mich gehen, ich will zum Bahnhof!«

»Denken Sie, ich ließe Sie in dieser Verfassung allein zurückfahren?« Jobst legte den Arm um ihre Schultern und kehrte um. »Kommen Sie, wir fahren mit meinem Wagen!«

»Ich betrete dieses Haus nicht mehr!« Angelas Stimme schwankte verdächtig.

»Das sollen Sie auch nicht. Setzen Sie sich schon ins Auto, ich hole nur noch Timo. Ich glaube, der ist wieder zu den Gerstenhubers nebenan.« Sie waren am Wagen angelangt, und er ließ Angela einsteigen. Dann ging er zu dem Bauernhaus etwas oberhalb von Guidos Haus hinauf.

Inzwischen kam Guido heraus, und als er Angela im Wagen des Freundes entdeckte, kam er zögernd näher, öffnete dann die Tür zum Beifahrersitz.

»Liebling, nun laß dir doch alles in Ruhe erklären«, bat er zerknirscht.

Angela sah starr geradeaus. »Da gibt es wohl nicht mehr viel zu erklären, und außerdem habe ich keine Lust dazu.« Sie schlug die Tür wieder zu.

»Aber, Angela, ich…«, hörte sie ihn noch rufen, dann sah sie ihn ratlos die Schultern heben und ins Haus zurückgehen.

Jobst kam mit Timo; sie sprachen ein paar Worte miteinander, und ihre Mienen waren nicht gerade freundlich. Dann ließ Jobst Timo einsteigen und setzte sich selbst neben Angela. Er hatte seinen Sohn offenbar instruiert, denn Timo sagte und fragte nichts, saß stumm auf seinem Platz und wirkte nun auch ein bißchen verstört.

Jobst stellte während der Fahrt das Autoradio an, damit das Schweigen zwischen ihnen nicht so drückend wurde. Man spielte eine sentimentale Melodie, und Angela begann heftig zu schlucken, konnte nicht verhindern, daß ihr ein paar Tränen über die Wangen kullerten. Sie wandte den Kopf zur Seite, damit Jobst es nicht sah.

Aber es war ihm nicht entgangen, und er griff nach ihren Händen, die sie im Schoß verkrampft hielt.

»Nicht traurig sein«, murmelte er.

»Ich bin nicht traurig«, schwindelte sie, »nur wütend!« Dann entzog sie ihm ihre Hände. Sie war nicht sicher, ob Jobst wirklich Hintergedanken gehabt hatte, als er ihr den Vorschlag gemacht hatte, zu Guido zu fahren, aber das war es im Grunde nicht, was sie so traurig machte. Es war vielmehr die Tatsache, daß sie wieder einmal an einen Mann geraten war, dem sie nicht vertrauen konnte. Denn wenn ein Mann seine frühere Freundin einlud, ein paar Tage bei ihm zu bleiben, dann geschah das nicht von ungefähr, dann mußte er für sie auch noch etwas empfinden. Wieder einmal war sie auf die schönen Sprüche eines Mannes hereingefallen, der gar nicht so gemeint hatte, was er sagte.

Jobst fuhr sehr schnell, und zum Glück war nicht viel Verkehr. So waren sie in wenig mehr als einer Stunde wieder in München.

»Ich lasse Sie nur ungern allein, Angela«, sagte Jobst bedrückt, als er vor ihrem Haus anhielt.

»Keine Sorge, ich sterbe nicht an Liebeskummer«, erwiderte sie mit schmalen Lippen. »Danke fürs Heimfahren.« Sie wandte sich nach Timo um, aber der war während der wenig unterhaltsamen Fahrt sanft und selig entschlummert. »Bitte, grüßen Sie ihn von mir«, sagte sie leise, »es tut mir leid, daß ich ihn um ein paar schöne Stunden bei seinen Freunden gebracht habe.« Dann stieg sie aus, winkte ab, als er ihr folgen wollte und ging sehr gerade und hochaufgerichtet zur Tür.

Erst oben in ihrer Wohnung ließ sie ihren Tränen freien Lauf…

Später läutete einige Male das Telefon, aber sie nahm nicht ab. Wer immer es war, sie wollte mit niemandem sprechen.

*

Am nächsten Tag saß sie lustlos an ihrem Schreibtisch, und es fiel ihr schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie merkte selbst, daß der Artikel, den sie geschrieben hatte, schlecht war, machte sich aber nicht die Mühe, ihn zu korrigieren. Sie war froh, daß Jobst ihr nicht über den Weg lief und sie auch nicht zu sich bestellte.

Am Abend erlebte sie eine Überraschung, denn als sie aus dem Lift trat, sah sie Peter vor ihrer Wohnungstür stehen!

»Was machst denn du hier?« fragte sie verdutzt und auch nicht besonders freundlich.

»Ich habe auf dich gewartet, Geli.« Er kam auf sie zu und umarmte sie, gab ihr einen Kuß auf den Mund, als sei alles noch wie früher. »Ich hatte in München zu tun und dachte mir, ich besuche dich einmal«, fügte er erklärend hinzu und sah sie forschend an. »Ist das so eine unerfreuliche Überraschung für dich?«

Sie lächelte gezwungen. »Aber nein, wir haben uns ja schließlich in aller Freundschaft getrennt. Nett, daß du hereinschaust. Komm herein. Du hast doch ein bißchen Zeit?« Vielleicht lenkte sie Peters Besuch ein wenig von ihrem Kummer ab, dachte sie, denn die Aussicht, an diesem Abend ihren Grübe­leien überlassen zu sein, war nicht gerade erheiternd gewesen.

»Ich fahre erst übermorgen zurück«, nickte Peter und folgte ihr in die Wohnung. »Du hast es aber hübsch hier!« Er sah sich um.

»Die Wohnung ist schöner als die in Hamburg, nicht?« Angela zeigte sie ihm, und er stimmte ihr zu. »Ißt du mit mir eine Kleinigkeit?«

»Ich würde gern einen Drink nehmen und anschließend mit dir essen gehen, Geli, und zwar richtig…«

»… opulent«, ergänzte sie, weil er das immer gesagt hatte früher, und dann mußten sie beide lachen.

»Gut, ich bin einverstanden«, nickte sie dann, »ich ziehe mir nur etwas anderes an, ja?«

»Ich finde zwar, du bist hübsch genug, aber wenn du meinst. Aber beeile dich bitte.«

»Mixt du uns inzwischen etwas? Wo ich meine Vorräte aufbewahre, weißt du ja noch«, bat Angela und verschwand im Schlafzimmer. Jetzt freute sie sich sogar über Peters Besuch. Mit ihm essen zu gehen war viel besser, als traurig allein zu sitzen. Und mit Peter unterhielt man sich immer, ein Trauerkloß war er nie gewesen. Sie wählte ein Kleid aus, das er noch nicht kannte. In sanftem Grün gehalten, weich und fraulich geschnitten, stand es ihr sehr gut. Komisch, lag ihr denn noch daran, Peter zu gefallen? Nein, es war wohl mehr eine allgemeine Eitelkeit, die in jeder Frau steckte.

Als sie wieder ins Zimmer kam, hatte es sich Peter in einem Sessel bequem gemacht und hielt ein Glas in der Hand. Er reichte auch ihr eines.

»Ich sehe, du weißt noch sehr gut, was ich gern mag«, sagte sie lächelnd und nahm einen Schluck.

»Ich denke überhaupt noch sehr viel an dich, Geli.«

»Wie mir das schmeichelt!« spöttelte sie.

»Ich meine das ernst, und du weißt das sehr gut.« Plötzlich wurde sein Blick starr, denn er hatte ihren Ring bemerkt. »Sag mal, ist das etwa ein Verlobungsring, den du da trägst?« fragte er sichtlich betroffen.

»Ach, dieser?« Angela hob die Linke, schaute darauf und zog den Ring dann ab, legte ihn auf den Tisch und lächelte bitter. »Ja, es war einer. Es war, Peter, und daß ich ihn eben abgesetzt habe, war sozusagen symbolisch.«

»Ich begreife es immer noch nicht, Geli. Was hat sich in der kurzen Zeit seit du hier bist, bloß alles abgespielt? Mit mir hast du dich in all den Jahren nicht einmal verlobt«, fügte er gekränkt hinzu.

»Soll ich es dir wirklich erzählen?«

»Natürlich, ich will alles wissen«, nickte er.

»Gut, aber gehen wir erst?«

Peter war einverstanden, und als sie dann in einem guten Restaurant am Tisch saßen, erzählte sie ihm von Guido, wie sie einander kennen- und liebengelernt hatten und was vor ein paar Tagen geschehen war.

Ohne sie zu unterbrechen hatte Peter zugehört. Als sie geendet hatte, atmete er tief ein. »Das sollte mir zwar für dich leid tun, Geli, aber wenn ich ehrlich bin, bin ich eigentlich nur froh, daß es so gekommen ist und mich das Schicksal dir gerade jetzt wieder über den Weg geführt hat. Vergiß den Mann, er ist es nicht wert, daß du noch einen Gedanken an ihn verschwendest, glaube mir.«

»Und das sagst ausgerechnet du, mit dem ich Ähnliches mehr als einmal erlebt habe?« konnte Angela sich nicht enthalten zu sagen. »Da zeigt sich wieder einmal, daß es offenbar nicht dasselbe ist, wenn zwei das Gleiche tun.«

»Ist es auch nicht!« widersprach Peter und griff nach ihrer Hand. »Wir hätten längst verheiratet sein können, wenn du nur gewollt hättest. Mehr als einmal hast du mir einen Korb gegeben, und so etwas nagt nun mal am Selbstbewußtsein eines Mannes. Man glaubt dann, es sich immer wieder beweisen zu müssen, verstehst du das nicht? Und mußt du mir nicht zugestehen, daß ich es trotzdem wieder und wieder versucht habe? Was meinst du wohl, warum ich dich jetzt wieder besucht habe, hm?«

»Um mir wieder eine Liebeserklärung zu machen etwa?«

»Vielleicht«, lächelte Peter und nahm ihre Hand. »Aber ich weiß, daß das jetzt nun wirklich nicht der richtige Augenblick ist. Nach so etwas braucht man schon ein bißchen Zeit, um wieder zu sich selbst zurückzufinden. Jedenfalls bin ich froh, daß du es mir erzählt hast, Kleines, denn das zeigt mir, daß zumindest…«

»Vorsicht, Peter«, unterbrach ihn Angela hastig, »nicht gleich zuviel darin sehen. Vielleicht hast du einfach den richtigen – oder auch falschen Augenblick erwischt – wie man es nimmt.«

»Wie dem auch sei, es ist schön, wieder mit dir zusammenzusein«, sagte er warm. »So viele Jahre lassen sich nicht so schnell auslöschen, nicht wahr?«

Angela hob die Schultern. »Ich weiß es nicht, Peter. Ich freue mich auch, dich wiederzusehen und dir mein Herz ausgeschüttet zu haben, aber vielleicht hätte ich das heute abend bei jedem getan, der mir über den Weg gelaufen und einigermaßen vertraut gewesen wäre. Aber reden wir doch nicht nur von mir. Wie ist es dir inzwischen denn ergangen?«

»Meinst du im allgemeinen oder im besonderen?« Nun grinste er wieder in der altvertrauten Art.

»In beidem«, sagte sie prompt.

»Also beruflich geht es bestens, um damit zu beginnen.« Er erzählte ihr von einem bedeutenden Auftrag, den er trotz starker Konkurrenz zugeschlagen bekommen hatte. »Und was das Herz anbelangt, so gibt es keine Frau in meinem Leben, bei der ich an eine feste Bindung gedacht habe. Zur Zeit bin ich…«

»… wieder mal ganz frei!« Angela lachte und lauschte dann ihrem eigenen Lachen nach. So schnell war es ihr gelungen, ihre Enttäuschung zu verdrängen? Lag das nun an Peters Gegenwart oder mehr daran, daß ihre Gefühle für Guido gar nicht so tief gewesen waren, wie sie geglaubt hatte? Sie war außerstande, sich diese Frage zu beantworten.

Sie plauderten noch eine Weile über weniger persönliche Dinge, dann brachte Peter Angela heim.

»Geht es dir nun wieder etwas besser?« fragte er, als sie vor ihrer Tür standen.

Sie nickte. »Viel besser. Danke für den schönen Abend, Peter.«

»Sehen wir uns morgen noch einmal?«

»Gern, aber ich arbeite bis fünf Uhr.«

»Dann hole ich dich ab, wenn es dir recht ist. Wo ist der Grüneberg-Verlag?«

Sie beschrieb es ihm und streckte ihm dann die Hand hin.

»Dann also bis morgen. Gute Nacht, Peter.«

»Gute Nacht, Geh, und schlaf schön.« Er küßte sie auf die Wange und machte keinen Versuch, sie zu bitten, ob er noch mit hinaufkommen dürfte, wie sie befürchtet hatte. Manchmal konnte Peter auch überraschend feinfühlig sein.

Später, als Angela im Bett lag, fragte sie sich ernsthaft, ob Peter ihr nicht doch mehr bedeutete, als sie glaubte, da sie doch durch die Stunden mit ihm ihren Kummer hatte vergessen können. Aber sie kam zu dem Ergebnis, daß sie ihn zwar noch mochte, daß sich ihre Gefühle aber gewandelt hatten. Jetzt kam er ihr vor wie ein großer Bruder, der die jüngere Schwester zwar öfter geärgert hatte, was aber der Zuneigung keinen Abbruch tat. Sie kannte ihn so gut und so lange mit all seinen Vorzügen und Fehlern, daß er sie eigentlich nicht mehr enttäuschen konnte, das war es wohl.

*

Am nächsten Tag beeilte sie sich, um pünktlich Feierabend machen zu können, aber es wurde dann doch Viertel nach fünf, als sie endlich das Haus verlassen konnte.

Peter, der gegenüber wartend in seinem Wagen gesessen hatte, stieg schnell aus, als sie heraustrat, winkte ihr zu und kam über die Straße.

In diesem Augenblick hörte sie sich beim Namen gerufen und wandte sich um, sah Guido vor sich stehen.

»Ich muß dich sprechen, Angela!« sagte er hastig.

Im ersten Moment gab es ihr einen Stich, und sie mußte schlucken, doch dann wurde sie ganz ruhig.

»Ich glaube nicht, daß das noch einen Sinn hat«, sagte sie kühl.

»Aber, Angela, soll das etwa heißen, daß…« Irritiert brach Guido ab, denn Peter war herangekommen und blieb bei ihnen stehen.

Beide Männer sahen sich an, kritisch und nicht gerade freundlich musterten sie sich. Angela stellte sie einander vor, aber sie nickten nur steif, ohne sich die Hand zu geben. Guido wußte von Peter, aber sein Nachname sagte ihm nichts. Trotzdem spürte er, daß der andere nicht nur ein flüchtiger Bekannter oder Kollege war.

»Entschuldige, ich wußte nicht, daß du verabredet bist«, murmelte er.

Besitzergreifend legte Peter seinen Arm um Angelas Schultern.

»Gehen wir?«

»Es tut mir leid, Guido, aber ich sagte dir ja bereits, wie ich über die Angelegenheit denke, die für mich erledigt ist«, sagte Angela nachdrücklich, nickte ihm zu und ging hocherhobenen Hauptes an Peters Seite über die Straße. Als sie neben ihm im Wagen saß, sah sie gerade noch, wie Guido das Verlagshaus betrat.

»Das war er also«, stellte Peter sachlich fest. Dann grinste er schadenfroh. »Eine kühle Abfuhr hast du ihm ja gegeben, Kleines.«

»Ja, ich wundere mich selbst, aber schon gestern abend ist mir klargeworden, daß ich mir mehr Gefühl für ihn eingeredet habe, als ich wirklich für ihn hatte.«

»Er sieht zweifellos sehr gut aus, und ich kann schon verstehen, daß eine Frau bei ihm schnell den Kopf verliert«, erwiderte Peter verständnisvoll. »Aber was hat sie letztlich von so einem Beau, um den sie immer nur Angst haben muß.«

»Nein, so einer ist Guido eigentlich nicht«, verteidigte Angela ihn. »Er ist nicht borniert wegen seines guten Aussehens, wirklich nicht. Wahrscheinlich befand er sich in einem ähnlichen Gefühlschaos wie ich.«

Das klang in Peters Ohren bereits wieder viel zu verständnisvoll. »Hättest du mit ihm gesprochen, wenn ich nicht gekommen wäre?«

»Vielleicht. Aber es wäre nichts anderes dabei herausgekommen, da bin ich ganz sicher.«

»Gut, dann reden wir nicht mehr davon«, schlug Peter befriedigt vor. »Und jetzt machen wir uns einen schönen Abend, ja?«

Angela nickte. Natürlich war das unerwartete Auftauchen Guidos doch nicht so spurlos an ihr vorübergegangen, wie sie vor Peter getan hatte. Im Nachhinein fragte sie sich, ob es richtig gewesen war, ihn nicht anzuhören, sich mit ihm auszusprechen. Hatte sie nicht wie ein verstocktes Kind reagiert? Aber dann entschuldigte sie sich selbst. Irgendwie stand sie noch unter dem Schock des Geschehenen und wäre sicher gar nicht in der Lage gewesen, ruhig mit ihm zu sprechen. Dazu kam noch die Erkenntnis, daß sie im Grunde mehr verletzt, in ihrer Eitelkeit gekränkt war, als tieftraurig, wie sie es doch hätte sein müssen. Im letzteren Fall wäre sie wahrscheinlich über sein Kommen trotz allem froh gewesen und bereit, ihm zu verzeihen.

Ach, es war schon alles sehr kompliziert! Nicht nur was die anderen, sondern auch was das eigene Innenleben betraf! Und nun war Guido also zu Jobst Danniger gegangen. Sie wäre gern Mäuschen gewesen, um zu hören, was die beiden jetzt sprachen…

*

Natürlich war Jobst überrascht, als seine Sekretärin ihm den Freund meldete und empfing ihn sofort.

»Du kommst zu mir?« fragte er erstaunt, als Guido eintrat. »Hast du denn schon mit Angela gesprochen?«

Seufzend ließ sich Guido nieder und berichtete, wie sie ihn gerade abgewiesen hatte und daß ein Herr Krämer sie abgeholt habe, mit dem sie dann fortgefahren sei.

»Krämer?« Jobst zog die Brauen zusammen. »Kenne ich nicht. Ein Kollege vom Verlag ist es jedenfalls nicht.«

»Sie schien ihn jedenfalls sehr gut zu kennen.« Plötzlich schlug sich Guido an die Stirn. »Aber sein Wagen, fällt mir gerade ein, hatte ein Hamburger Kennzeichen. Ob es etwa ihr ehemaliger Verlobter gewesen ist? Natürlich, er muß es sein! Sie hat mir ja erzählt, daß er sporadisch immer wieder versucht hat, mit ihr anzubändeln. Verdammt, da muß sie ihn ja sofort gerufen haben!« Finster starrte er vor sich hin.

Auch Jobst bekam einen schmalen Mund. Seinen Trost hatte sie zurückgewiesen, und ein anderer war nun also der lachende Dritte? War seine Intrige ganz umsonst gewesen? Schuldbewußt sah er den Freund an.

»Sie war natürlich schon schockiert, alter Junge, das muß man verstehen. Nichts dagegen, daß du dich mit Bettina getroffen hast, dagegen hätte auch Angela sicher nichts gehabt. Aber die Situation wirkte nicht nur auf sie, sondern auch auf mich ziemlich eindeutig, als wir unerwartet auftauchten.«

»Es ist verrückt«, murmelte Guido, »aber ich habe mich riesig gefreut, als Bettina sich meldete und mir sagte, daß sie wieder frei ist und mich sehen wollte. Natürlich war mir klar, daß es Angelas wegen Unrecht war, aber es war nun mal so. Deshalb habe ich Bettina auch meine Verlobung verschwiegen. Ich wollte, daß sie auch wirklich kommt und ganz unbefangen ist. Tatsächlich gestand sie mir dann, daß sie mit ihrer Heirat einen Fehler gemacht hätte, an dem ich durch mein Zögern aber auch mit schuld gewesen wäre. Sie gab mir zu verstehen, daß sie mich immer noch mag, und da war es auch wieder um mich geschehen.

Um ganz ehrlich zu sein. Es tut mir leid, daß Angela es auf diese Art erfuhr, aber ganz sicher hätte ich mit ihr gesprochen und ihr die Situation geschildert. Ich bin doch kein Lump, Jobst.«

»Vielleicht war es aber gut, daß sie es so erfuhr«, gab er zu bedenken. »Schau, ihr Verhalten zeigt ja, daß sie zornig ist, und Zorn kann einem auch helfen, über eine Enttäuschung hinweg zu kommen. Vielleicht besser, als wenn du in aller Offenheit mit ihr gesprochen hättest und sie dann keinen Grund gehabt hätte, auf dich böse zu sein.«

»So kann man es auch sehen«, nickte Guido nachdenklich, »aber es macht mir einfach zu schaffen, so auseinanderzugehen, verstehst du das nicht? Das ist nie mein Stil gewesen. Wenn die Trennung einer Beziehung sich als nötig erwies, habe ich sie immer mit dem nötigen Takt gelöst und mich bemüht, der Frau nicht weh zu tun. Ich kann noch heute jedem Mädchen in die Augen sehen, mit dem ich mal befreundet war und war eigentlich immer stolz darauf.«

»Ich bin sicher, das kannst du noch, wenn Angelas Zorn abgeebbt ist. Und falls es dich beruhigt: ich hatte eigentlich den Eindruck, daß sie wirklich mehr gekränkt als traurig war.«

»Na ja, nachdem sie sich mit ihrem Exfreund so schnell getröstet hat, muß ich das ja wohl auch annehmen«, lächelte Guido etwas schief. »Hoffentlich macht sie damit keinen Fehler, denn was sie mir von diesem Peter erzählt hat, klingt nicht besonders hoffnungsvoll. Es muß ein ziemlicher Casanova gewesen sein, und so schnell ändert sich ein Mensch doch nicht.«

»Wie fandest du ihn denn sonst? Ich meine rein äußerlich«, fragte Jobst gespannt.

»Na ja, schlecht sah er nicht aus, das kann man beim besten Willen nicht behaupten, aber in der Situation war er mir halt unsympathisch. Aber das besagt wohl wenig, da ich ja gleich voreingenommen war, als er so besitzergreifend tat. Was soll ich denn nun machen?«

»Wieder heimfahren und mit Bettina ins reine kommen, denn das ist es doch, was du wirklich willst, oder?«

»Das ist schon geschehen. Wir haben danach, ich meine, als ihr weg wart, noch lange gesprochen. Wir werden heiraten, Jobst. Sie war sehr verständnisvoll.«

Kein Wunder, dachte Jobst, aber er sprach es natürlich nicht aus.

»Das freut mich für dich«, lächelte er. »Und was Angela anbetrifft, so habe ich sie ja im Auge und kann vielleicht vermitteln, ihr an deiner Stelle noch alles erklären, wenn sie sich beruhigt hat. Dieser Exverlobte kann ja nicht ewig hierbleiben, wenn er in Hamburg wohnt. Und gleich mitnehmen kann er sie zum Glück ja nicht, schließlich hat sie bei uns einen Arbeitsvertrag und müßte erst einmal kündigen. Außerdem muß das Erscheinen dieses Herrn ja nicht bedeuten, daß die beiden nun wieder zusammenkommen, nicht?«

»Alte Liebe rostet nicht, das siehst du ja an Bettina und mir«, meinte Guido.

Das wäre schlimm für mich, dachte Jobst niedergeschlagen. Aber konnte er es verhindern, wenn Angela für ihn nicht das Gleiche empfand wie er für sie? Leider hatte er sich ja alle Mühe gegeben, seine Gefühle zu verstecken! Er hatte eben alles falsch angefangen.

Als Guido vorschlug, noch ein Glas Wein miteinander zu trinken, bevor er wieder nach Oberstdorf zurückfuhr, lehnte er es unter dem Vorwand, einen Elternabend in Timos Schule besuchen zu müssen, ab. Der fand zwar statt, aber erst am nächsten Tag. Aber Jobst wollte allein sein und über alles nachdenken.

*

Seitdem waren einige Wochen vergangen. Peter war wieder nach Hamburg zurückgekehrt. Zwar hatte er Angela nicht bedrängt, ihr jedoch unverblümt zu verstehen gegeben, daß er froh wäre, wenn sie zu ihm zurückkäme.

Obwohl Angela genau wußte, daß das für sie nicht in Frage kam, versprach sie ihm, es sich noch einmal zu überlegen. Danach stürzte sie sich erst einmal in die Arbeit. Jobst hatte ihr einen interessanten Auftrag gegeben, der sie sehr beschäftigte. So bekam sie mit der Zeit Abstand zu den Dingen. Ihr wurde klar, daß ihre Gefühle für Guido wohl doch mehr ein Strohfeuer gewesen waren.

So rief sie ihn eines Tages an und erklärte ihm, daß es ihr leid tue, ihm keine Gelegenheit zu einer Aussprache gegeben zu haben, legte aber gleich klar, daß sie die Verlobung als gelöst betrachtete, ihm aber nicht mehr böse sei. Sie sprachen in aller Offenheit miteinander. Guido seinerseits schilderte ihr, wie alles gekommen war und in welchem Zwiespalt er sich befunden hatte. Sie versprachen einander, Freunde zu bleiben und wünschten sich zum Schluß alles Gute.

Durch Guido erfuhr auch Jobst von diesem klärenden Gespräch, und er war sehr erleichtert. Allerdings vermied Angela mit ihm jetzt auch jeden privaten Kontakt. Auf seinen zaghaften Versuch, sie einmal einzuladen, ging sie nicht ein.

Heute fand die obligatorische Redaktionsbesprechung statt. Es ging dabei ziemlich lebhaft zu, da man vorhatte, eine der Zeitschriften umzugestalten.

Mittendrin erschien plötzlich die Sekretärin von Jobst. Sie wirkte etwas verstört, und nachdem sie sich wegen der Störung entschuldigt hatte, sprach sie leise mit Jobst. Es war offensichtlich eine schlechte Nachricht, die sie ihm zu überbringen hatte, denn er wurde blaß, sprang dann hastig auf und wandte sich an seinen Stellvertreter. »Bitte, machen Sie allein weiter, ich muß sofort ins Krankenhaus, mein Sohn…« Er sprach nicht weiter, lief hinaus. Später erfuhren sie durch die Sekretärin, daß sein Sohn einen Unfall gehabt hatte und mit einem Schädelbruch ins Krankenhaus eingeliefert worden war.

Alle waren voller Mitgefühl, aber Angela war natürlich ganz besonders erschrocken. Armer Timo, wie mochte das bloß passiert sein? Aber sein schwergeprüfter Vater tat ihr von Herzen leid.

Als sie nach Feierabend heimkam, rief sie sofort bei ihm an, doch wie erwartet, war er im Krankenhaus. Aber Frau Leineweber selbst ganz außer Fassung, berichtete ihr, was geschehen war.

Timo habe kürzlich ein neues Fahrrad bekommen, erzählte sie unter Tränen, über das er sehr glücklich gewesen sei. Sein Vater hatte ihm aber streng verboten, außerhalb des Gartens allein damit herumzufahren. Leider habe er es dann doch getan, sei von einem Auto erfaßt worden und auf die Straße geschleudert worden. Man hätte einen Schädel- und einen Armbruch festgestellt, und der Kleine befände sich in Lebensgefahr.

»Und ich fühle mich leider nicht schuldlos«, weinte sie. »Ich hatte ihm zwar auch eingeschärft, im Garten zu bleiben, dann hatte ich aber eine kurze Besorgung zu machen und habe ihn in dieser Zeit nicht im Auge gehabt. Da ist es dann passiert. Sie wissen ja, wie Kinder sind, sie vergessen sich, wenn niemand da ist.«

»Hat Ihnen Herr Danniger denn Vorwürfe gemacht?«

»Nein, nein, das nicht, aber ich mache mir ja selbst schon genug Vorwürfe. Wenn er nur durchkommt, der kleine Kerl!« Wieder weinte sie.

Angela redete ihr gut zu und legte dann verstört auf. Ob sie einfach ins Krankenhaus fahren sollte? So nahe stand sie Jobst Danniger schließlich nicht. Aber nach einigem Überlegen warf sie ihre Bedenken über Bord, setzte sich ins Auto und fuhr zu der Universitätsklinik, in die Timo eingeliefert worden war. Sie vermuteten, daß er auf der chirurgischen Unfallstation lag, was sich auch bestätigte. Timo Danniger befand sich dort auf der Intensivstation, zu der Besucher, ausgenommen engste Angehörige, natürlich nicht zugelassen waren.

Angela fragte einen Pfleger, der die Station gerade verließ, nach Timo.

»Sind Sie die Mutter?« wollte er wissen.

»Nein, nur eine gute Bekannte der Familie. Aber es wäre nett von Ihnen, wenn Sie Herrn Danniger, dem Vater des kleinen Timo, ausrichten würden, daß Angela Hoffmeister gekommen ist, um sich nach dem Befinden seines Sohnes zu erkundigen.«

»Das können Sie ihm selbst sagen«, lächelte der junge Mann. »Herr Danniger sitzt dort im Warteraum, da sein Sohn gerade operiert wird.« Er wies auf eine Tür gegenüber der Intensivstation.

»Danke vielmals.«

Beklommen öffnete Angela die Tür. Jobst, der am Fenster stand und hinausstarrte, weil es ihm unmöglich war, zu sitzen, fuhr herum. Er erwartete den Bescheid des Arztes über den Verlauf der Operation.

Als er Angela erkannte, die zögernd eintrat, weiteten sich seine Pupillen überrascht.

»Bitte, verzeihen Sie, daß ich hergekommen bin«, sagte sie hastig, »aber nachdem wir gehört hatten, was passiert ist und ich bei einem Anruf bei Ihnen zu Hause von Frau Leineweber noch Näheres erfuhr, hielt es mich einfach nicht zu Hause. Wie geht es Timo?«

Es war seltsam, aber in diesem Augenblick verließ den großen, starken Mann, der sich bisher so zusammengenommen hatte, die Fassung.

»Nicht gut«, sagte er erstickt und wandte sich schnell wieder um, damit Angela seine Tranen nicht sehen sollte.

Sie war erschüttert, und wie ein eiserner Reif legte es sich um ihre Brust, nahm ihr den Atem. Sie sah die Schultern des Mannes zucken, und wie von selbst setzten sich ihre Füße wieder in Bewegung, bis sie hinter ihm stand.

»Oh, Jobst, es tut mir so leid«, flüsterte sie und merkte gar nicht, daß sie seinen Vornamen gebrauchte. Auch ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Jobst stand zunächst, ohne sich zu rühren.

»Danke, daß Sie gekommen sind«, sagte er dann rauh. »Es ist furchtbar, hier so allein zu sitzen und nicht zu wissen, was auf einen zukommt.« Er räusperte sich. »Ich bin sonst gewiß kein Schwächling, aber wenn es um den Jungen geht…« Die Stimme versagte ihm.

Zart legte Angela die Hand auf seinen Arm. »Nicht verzweifeln, Jobst, Timo ist doch in besten Händen hier, er wird, er muß einfach durchkommen!«

Jetzt endlich wandte er sich um, sah ihre nassen Augen, stöhnte auf und schloß sie in die Anne. Es war eine Geste der Hilflosigkeit und Verzweiflung, des Trostsuchens, und Angela entzog sich ihr nicht.

Sie spürte, daß er ihre körperliche Nähe suchte wie ein unglückliches Kind die der Mutter. Jetzt zeigte sich ihr dieser Mann zum ersten Male ohne Maske und verriet damit, wie tief und innig er lieben konnte!

Schließlich gab er sie frei, und beide wußten nicht, wie lange sie so gestanden hatten.

»Kommen Sie, setzen wir uns doch.« Er führte sie zu einer Sitzbank und ließ sich neben ihr nieder, berichtete dann, was die Ärzte festgestellt hatten, und daß sie keinen Zweifel daran gelassen hatten, wie schlimm es um Timo stand.

»Sie operieren gerade, weil Splitter des Schädelknochens ins Gehirn eingedrungen sein können. Ich weiß gar nicht, wie lange ich hier schon sitze und warte wie einer, der sein Todesurteil erwartet«, schloß er dumpf.

»Sie dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, Jobst!« sagte Angela eindringlich und bemühte sich, mehr Zuversicht zu zeigen, als sie innerlich fühlte. »Gottlob ist die Medizin doch weit genug vorgeschritten, und man wird alles tun, damit Timo überlebt und gesund wird. Und eine kräftige Konstitution hat der kleine Kerl doch auch.«

»Ich war nie ein besonders frommer Mensch«, gestand er leise, »aber in diesen Stunden habe ich beten gelernt, das dürfen Sie mir glauben.«

»Ich glaube, das geht vielen Menschen so in einer solchen Situation«, nickte sie.

»Der Junge ist doch alles, was ich habe«, sagte er leise, und seine Stimme schwankte. Und nach einer Weile sagte er: »Ich bin so froh, daß Sie gekommen sind, Angela.«

»Ich hatte erst Bedenken, Sie könnten mich aufdringlich finden, aber dann mußte ich einfach kommen«, erwiderte sie leise.

Ohne sie anzusehen griff er nach ihrer Hand, drückte sie fest und behielt sie dann in der seinen.

Die Minuten schlichen dahin. Sie sprachen nicht mehr, waren einander aber doch sehr nahe. Endlich öffnete sich die Tür, und ein Arzt trat herein. Jobst sprang auf.

»Wie geht es meinem Sohn, Doktor?« fragte er mit belegter Stimme.

»Die Operation hat er überstanden, Herr Danniger, aber mehr vermag ich Ihnen im Augenblick nicht zu sagen. Zumindest aber das, daß das Gehirn durch die Splitter nicht verletzt zu sein scheint. Sie sind alle an der Oberfläche geblieben. Folgeschäden sind nicht zu erwarten, wenn der Kleine die nächsten drei Tage überlebt. Wir tun, was wir können, darauf können Sie sich verlassen, aber er ist halt sehr geschwächt, und sein Kreislauf macht uns etwas Sorgen, leider.«

»Es besteht also nach wie vor Lebensgefahr?« fragte Jobst bedrückt, nachdem er zunächst aufgeatmet hatte.

Der Arzt nickte schweigend.

»Dürfen wir ihn sehen?«

Der Arzt zögerte und warf Angela einen fragenden Blick zu.

»Dr. Heinze, Fräulein Hoffmeister, eine liebe Freundin von mir«, stellte Jobst vor. »Timo hängt sehr an ihr«, fügte er hinzu.

»Gut, dann kommen Sie bitte mit. Aber Sie dürfen nur einen Blick auf ihn werfen, er ist ja noch bewußtlos.«

Sie folgten ihm, bekamen von einer Schwester sterile Oberkleidung und betraten dann den langgestreckten Saal, in dem die Schwerkranken und Frischoperierten lagen, die ständiger Beobachtung bedurften.

Timo lag bleich im ersten Bett. Es war immer beklemmend für Besucher, all die vielen lebensrettenden Apparaturen zu sehen und die ganze Atmosphäre in diesem Raum hatte für sie schon etwas Niederdrückendes.

Auch neben Timos Bett standen Geräte, und er hing an einem Dauertropf. Von seinem schneeweißen Gesichtchen war durch den Kopfverband kaum etwas zu sehen, und die kleine Gestalt mit dem ebenfalls bandagierten Arm verschwand fast in dem großen Bett. Auf Zehenspitzen traten Jobst und Angela näher und schauten in das Gesichtchen mit den geschlossenen Augen. Atmete der Kleine überhaupt? Erst bei näherem Hinsehen bemerkten sie, daß sich die Bettdecke über seiner Brust ganz schwach hob und senkte.

»Oh, mein Gott!« hörte Angela Jobst erschüttert flüstern.

Dann bat Dr. Heinze sie leise, wieder zu gehen. Draußen erklärte er, daß Jobst besser heimginge.

»Kommen Sie morgen wieder, Herr Danniger, obwohl sich bis dahin noch nichts wesentlich an Timos Zustand ändern wird, das sage ich Ihnen besser gleich. Natürlich rufen wir Sie sofort an, falls Ihre Anwesenheit erwünscht ist«, fügte er hinzu, und sie verstanden sehr wohl, was er damit meinte.

Stumm verließen sie das Klinikgebäude. »Sind Sie mit Ihrem Wagen da?« fragte Jobst schließlich.

Angela nickte.

»Würden Sie es anmaßend finden, wenn ich Sie bitten würde, noch mit zu mir zu kommen?« fragte er, als sie dort angelangt waren. »Wenn ich allein sitze, werde ich verrückt«, fügte er leise hinzu.

»Ich komme mit, wenn Ihnen das hilft«, erwiderte sie warm, und er dankte ihr mit einem Blick.

»Lassen Sie uns Ihren Wagen erst zu Ihnen nach Hause bringen«, schlug er noch vor, als sie schon eingestiegen war. »Ich möchte nicht, daß Sie von mir aus noch so spät heimfahren müssen und bringe Sie dann.«

»Aber das macht mir nichts aus, wirklich nicht.«

»Bitte«, sagte er nur, und so nickte sie.

Frau Leineweber empfing sie gleich in der Diele und faltete unwillkürlich die Hände, als sie hörte, daß Timo die Operation überstanden hatte.

»Möchten Sie noch etwas essen?« fragte sie dann.

Jobst schüttelte den Kopf. »Danke, ich nicht, aber vielleicht richten Sie Fräulein Hoffmeister eine Kleinigkeit.«

Doch auch Angela lehnte ab und erklärte, sie könne nichts herunterbringen. Nur einen Kaffee wünschte sie sich.

»Ja, der wird uns guttun«, nickte Jobst.

»Erzählen Sie mir etwas«, bat er, als sie dann im Wohnzimmer saßen, »irgend etwas, was einen von diesen schrecklichen Gedanken ablenkt.«

Der starke heiße Kaffee tat ihnen gut, und dann begann Angela aus ihrer Kindheit zu erzählen, die so glücklich und unbeschwert gewesen war, bis – sie war gerade fünfzehn – ihr Vater ganz plötzlich an einem Herzinfarkt verstorben war.

»Das war ein schwerer. Schlag für meine Mutter und mich. Vater war ja gerade erst fünfundvierzig. Auch finanziell mußten wir uns danach ziemlich einschränken, denn seine Pension, er war Amtsrat, war natürlich nicht sonderlich hoch. Mein Onkel, Sie kennen ihn ja, unterstützte uns, als ich mein Studium begann. Ich war gerade fertig und tat den ersten Schritt ins Berufsleben, als auch meine Mutter starb. Aber ich erzähle Ihnen lauter traurige Sachen«, sagte sie dann erschrocken.

»Aber es interessiert mich, aus Ihrem Leben zu hören«, widersprach er. »Sie haben also auch schon einiges durchmachen müssen. Meine Eltern leben zwar auch nicht mehr, aber Vater starb schon, als ich noch so klein war, daß ich mich nicht mehr an ihn erinnerte. Mutter ist dann erst vor einigen Jahren gestorben. Timo war gerade ein Jahr alt.«

Sie kamen auf ihr Studium zu sprechen und auf die Zeitungen, an denen sie sich die ersten journalistischen Sporen verdient hatten. Wenn einmal eine Pause eintrat und ihre Gedanken abzuchweifen drohten, nahm der eine oder andere rasch den Faden wieder auf.

Als es auf elf Uhr zuging, erklärte Jobst, daß er sie jetzt nach Hause bringen würde.

»Ich war ohnehin viel zu egoistisch«, meinte er schuldbewußt.

Zuvor rief er jedoch noch im Krankenhaus an. Timos Zustand war unverändert, was in seinem Fall, so sagte man ihm, durchaus nicht negativ zu sehen war.

»Ich werde Ihnen nie vergessen, daß Sie mir heute Ihre Zeit geopfert haben, Angela«, sagte er, als er sie heimgefahren hatte und sie noch bis zur Haustür brachte. »Man hat viele Freunde, aber in der Not doch recht wenige, die einen wirklich verstehen und mitfühlen.«

»Mitfühlen? Was Timo betrifft, so fühle ich mich einfach mitbetroffen, Jobst«, erwiderte Angela und legte ihre Hand in die seine. »Und nun sollten Sie versuchen zu schlafen und sei es mit Hilfe einer Schlaftablette. Ich nehme an, morgen kommen Sie nicht in den Verlag?«

»Ich gehe zuerst ins Krankenhaus, aber dann komme ich. Ich muß mich ablenken, verstehen Sie? Gute Nacht, Angela, und nochmals danke.« Er zog ihre Hand an die Lippen, drehte sich dann abrupt um und ging zum Wagen zurück.

*

Zwei Tage vergingen. Immerhin war Timo zwischendurch einige Male zu Bewußtsein gekommen, was immerhin ermutigend war. Am dritten Abend, als Jobst Angela gebeten hatte, ihn wieder ins Krankenhaus zu begleiten, öffnete Timo die Augen, als sie gerade an seinem Bett standen.

Zuerst war sein Blick leer, aber dann bewegten sich seine Pupillen und wanderten herum. Angela und Jobst hielten den Atem an, als sich sein Blick auf sie richtete. Würde er sie erkennen?

»Papa!« Sie hörten nichts, konnten es aber von seinen Lippen ablesen.

»Mein Liebling!« Johst beugte sich über ihn und berührte mit den Fingerspitzen seine Wange.

Es sah so aus, als wollte der kleine Patient noch etwas sagen, aber er brachte kein Wort heraus.

»Nicht sprechen, mein Herz, es ist ja alles gut, schlafe nur, schlaf dich gesund«, flüsterte Jobst überwältigt.

Bevor Timos Augen zufielen, fiel sein Blick auf Angela. Ging nicht die Andeutung eines Lächelns um seinen Mund?

»Es geht aufwärts«, sagte Dr. Heinze, als sie wieder gingen.

Draußen atmete Jobst tief ein und legte den Arm um Angelas Schultern. »Mein Gott, was bin ich froh!«

Von da ab begleitete Angela ihn jeden Abend ins Krankenhaus. In stillschweigender Übereinkunft geschah das eigentlich. Mit jedem Tag ging es Timo nun ein wenig besser, es bestand nun keine Lebensgefahr mehr, und die Ärzte waren mit seinem Zustand recht zufrieden, auch wenn es immer wieder Tage gab, da er sich nicht so gut fühlte.

Er schien es als völlig selbstverständlich anzusehen, daß Angela seinen Vater, der natürlich auch zwischendurch in die Klinik fuhr, jeden Abend begleitete. Sie war jedesmal aufs neue gerührt, wie sehr er sich über ihr Kommen freute.

An den Hergang des Unfalls erinnerte er sich noch nicht, aber die Ärzte bestätigten, daß ein Gedächtnisverlust bei schweren Kopfverletzungen ganz normal war. Es war offenbar eine Schutzmaßnahme des Körpers, daß die Erinnerungen an den auslösenden Unfall verdrängt wurden. Aber man hatte ihm natürlich erklärt, wie alles gekommen war und warum er im Krankenhaus liegen mußte. Timo war froh, daß sein Vater ihm keine Vorwürfe machte. Außerdem war er bereits verständig genug, einzusehen, wie teuer er seinen Ungehorsam bezahlen mußte.

»Also bis morgen«, sagte er jedesmal, wenn sich Angela wieder verabschiedete, bis sein Vater schließlich meinte, so selbstverständlich sei das nun wirklich nicht.

»Schau, Angela hat sicher auch mal etwas anderes vor, nachdem sie nun schon eine Woche jeden Abend zu dir gekommen ist.«

Timos Augen wurden dunkel. Es sah aus, als würde er gleich zu weinen anfangen.

»Aber nein, ich komme doch gern zu dir«, beruhigte ihn Angela schnell.

Seine Genesung machte nun beste Fortschritte, und man konnte ihm versprechen, daß er in zwei Wochen etwa entlassen werden würde. Obwohl hier alle sehr nett zu ihm waren und ihn inzwischen auch seine Spielkameraden besuchen durften, war seine Freude groß.

»Zu Hause ist es doch schöner«, erklärte er immer wieder. Aber er sagte es nur, wenn die Ärzte oder Schwestern es nicht hören konnten.

Dann kam der Tag seiner Entlassung. Angela begleitete Jobst, als er ihn abholte. Er war noch ein bißchen wackelig auf den Beinen, aber sonst ging es ihm wieder gut.

Zuerst entdeckte er sein schönes Zimmer und alle Spielsachen wieder neu, dann gab es sein Leibgericht, das Frau Leineweber ihm gekocht hatte und zu dem natürlich auch Angela eingeladen war. Es war Samstag, und sie hatte ja frei. Auch Jobst, der sonst immer noch morgens im Büro saß, war natürlich nicht zum Verlag gefahren.

Nach dem Essen mußte Tinio sich für ein paar Stunden niederlegen, das hatten die Ärzte ihnen ans Herz gelegt. Angela ging mit hinauf, um ihm beim Ausziehen zu helfen.

»Aber wenn ich aufwache, bist du doch noch da?« fragte er, als er im Bett lag.

»Timo, ich kann doch nicht immer hier sein«, sagte Angela lächelnd. »Schau, Frau Leineweber sorgt für dich, und jetzt hast du doch wieder deine Spielsachen und langweilst dich bestimmt nicht. Ich komme dann vielleicht morgen noch einmal dich besuchen, ja?«

Timo faßte nach ihrer Hand. »Ich wünschte, du würdest meinen Papi heiraten und immer bei uns bleiben.«

»Das wünschte ich auch«, ertönte plötzlich die Stimme von Jobst hinter ihnen. Unbemerkt war er eingetreten und hatte die letzten Worte seines Sohnes noch gehört.

Angela fuhr herum. Er lächelte zwar, aber der Ausdruck seiner Augen war ernst.

»Was ihr euch so ausdenkt, ihr zwei«, versuchte Angela zu scherzen. »Also schlafe jetzt erst einmal schön, Timo, ja?« Sie ging hinaus, und Jobst folgte ihr.

»Müssen Sie denn wirklich schon gehen, Angela? Ich meine, haben Sie noch etwas vor?« fragte er.

»N… nein, vor habe ich nichts, aber…« Sie zögerte.

»Also dann bleiben Sie heute da, ja?« Er schob sie ins Wohnzimmer, drückte sie dort auf die bequeme Ledercouch und setzte sich neben sie.

»Einfach so über mich zu verfügen!« tadelte sie, aber es klang nicht sehr ernst.

»Nein, so stelle ich mir eine Ehe nicht vor, aber es könnte doch sehr schön mit uns sein, Angela, meinen Sie nicht?« sagte er ruhig und nahm ihre Hand. »Ich habe das vorhin nämlich ganz ernst gemeint, so ernst wie Timo übrigens auch.«

»Ein Komplott also?« lächelte Angela verwirrt.

»Nennen wir es besser eine stillschweigende Übereinkunft. Ich liebe dich nämlich, Angela. Nicht erst seit heute, sondern eigentlich vom ersten Tag, als ich dich sah.«

»Eine seltsame Art, Liebe zu zeigen«, murmelte sie.

»Weil du nur Augen für Guido hattest und ich von Anfang an schrecklich eifersüchtig war. Aber Guido…«

»Guido haben Sie nun ja ausgetrickst, nicht?« Ganz plötzlich war Angela diese Erkenntnis gekommen.

»Im Krieg und in der Liebe sind alle Mittel erlaubt«, grinste er.

»O nein, da muß ich widersprechen. Es ist höchst unfair, wenn man…«

»Ach, Angela, kannst du dir die Strafpredigt nicht für später aufheben und mir sagen, ob du mich nicht auch ein bißchen magst?«

»Ich weiß es zwar noch nicht lange, aber ich glaube, ich liebe dich auch, du unmöglicher Mensch«, flüsterte sie glücklich und schloß die Augen.

Er küßte sie mit einer Leidenschaft, die sie erschauern ließ. Noch nie hatte ein Mann sie so geküßt, und Angela, obwohl sie zuletzt geahnt hatte, daß hinter der rauhen Fassade ein Mann mit Gefühl steckte, wußte nun, daß er der war, auf den sie im Grunde ihres Herzens immer gewartet hatte…

*

Vier Wochen später heirateten die beiden Glücklichen, denn sie fanden, daß sie schon Zeit genug verschenkt hatten. Als sie es Timo sagten, machte dieser einen Freudensprung und fiel Angela dann in die Arme.

»Ich freue mich so, ich freue mich ja so!« rief er immer wieder.

Guido war allerdings weniger überrascht, als sein Freund es ihm mitteilte, denn Bettina hatte ihm inzwischen alles gebeichtet.

»Ich müßte dir ja böse sein, alter Junge«, sagte er, »denn mit fairen Mitteln hast du dir deine Angela ja nicht gerade erkämpft. Aber letztlich wäre ich wohl doch nicht der richtige Mann für sie gewesen, und außerdem verdanke ich dir, Bettina wiedergefunden zu haben. Wir sind also quitt, würde ich sagen. Wir sind doch zur Hochzeit eingeladen?«

»Keine Frage. Und wie steht es bei euch? Wollt ihr eure nicht gleich mitfeiern?«

Guido lachte. »In einem Aufwasch, meinst du? Du hattest immer schon einen ausgeprägten Sinn fürs Praktische, mein Lieber, aber zweimal Hochzeit zu feiern, ist schließlich auch schön, findest du nicht? Wir heiraten, wenn ihr von eurer Hochzeitsreise zurück seid, einverstanden?«

Angelas Onkel Ernst war hocherfreut, als Angela es ihm sagte. Natürlich hatte er sich ausbedungen, Angelas Trauzeuge zu sein, während Guido das für Jobst übernahm.

Es wurde eine sehr stimmungsvolle Feier im kleinen Kreise, so, wie sie es sich gewünscht hatten.

Von Peter kam ein riesiger Blumenstrauß, dem ein Brief angeheftet war, in dem er dem Brautpaar mit ein paar humorigen Worten seinen Glückwunsch aussprach und sich als guter Verlierer zeigte. Als post skriptum war noch angefügt, daß auch er glaubte, inzwischen die richtige Frau gefunden zu haben.

»Wieder mal!« lachte Angela, als sie es gemeinsam lasen. »Ach, der unverbesserliche Peter. Wünschen würde ich es ihm allerdings von ganzem Herzen.«

Ein Jahr später kam im Hause Danniger eine kleine Joana zur Welt und Jobst war der stolzeste Vater, den man sich denken konnte.

Aber auch Timo freute sich sehr über das kleine Schwesterchen. Er bedauerte nur, daß sie noch so klein war und er nicht gleich mit ihr spielen konnte.

»Na ja, macht nichts«, meinte er großmütig, als man ihm das kleine Wesen zum ersten Male zeigte, »sonst ist sie ja ganz niedlich, und wenn wir ihr immer ordentlich zu essen geben, wächst sie vielleicht ein bißchen schneller.«

»Wir werden unser Bestes tun, mein Sohn«, versprach Jobst belustigt und fuhr ihm über den blonden Schopf. Dann sah er die geliebte Frau an, und ihre Blicke versanken ineinander…

Mami Bestseller 6 – Familienroman

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