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Auf der Wolke

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Was für ein herrlicher Morgen! Kein Unterricht in Hauswirtschaft, Erdbeeren so viel sie essen konnte, das Körbchen würde trotzdem voll - und zum ersten Mal ganz allein im Wald.

„Bestimmt sind auch schon ein paar Blaubeeren reif, rote und blaue Beeren … wie wohl die Hochverehrteste mit blauen Zähnen aussieht.“

Bisher hatte Miranda die Königin immer nur von weitem gesehen, wenn diese einmal im Jahr das Schulfest besuchte und dabei gleichzeitig eine Inspektion der Schule vornahm. Vergnügt summte sie ein Liedchen vor sich hin, während sie in elegantem Schwung um Bäume herumflog, über Sträucher schoss, hinein in gleißende Sonnenstrahlen voller schwebender Staubteilchen, die durch Lücken im Blätterdach bis zum Waldboden fielen. Bald hatte sie das Erdbeerfeld erreicht und begann zu pflücken - eine in den Mund für Miranda, eine in den Korb für die Königin. Dazwischen Blaubeeren, bis ihr Körbchen bis zum Rand gefüllt war. Sie schaute zur Sonne, noch genug Zeit für einen kurzen Ausflug zur Lichtung, die sie so sehr liebte, weil dort das Gras so dicht wuchs, wo gelber Hornklee, blaue Glockenblumen, weißer Giersch und roter Fingerhut blühten, wo Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Vögel zwitscherten, flatterten, summten und brummten. Und auch weil dort Bommel, das Wildkaninchen lebte, das ab und zu so freundlich war, sich in seinem weichen Fell kraulen zu lassen.

„Hallo Bommel, wo bist du,“ rief sie voller Vorfreude – und hielt im nächsten Moment erschrocken inne. Schnell versteckte sie sich hinter einem Baumstamm, denn auf Bommels Lichtung waren drei Menschen: Zwei große und ein kleiner. Sie hatten das Gras niedergetrampelt und eine Decke ausgebreitet, auf der allerlei Essbares ausgebreitet lag. Der kleine Mensch stopfte sich einen letzten Bissen in den Mund und lief davon.

„Geh nicht zu weit weg, Christian,“ rief ihm die Frau hinterher.

Miranda fand, dass er sehr niedlich aussah. Als Christian ein paar Schritte gelaufen war, zog er aus seiner Hosentasche ein Röhrchen hervor, schraubte den Deckel ab, tauchte einen Ring an einem Stab hinein, zog ihn wieder heraus und blies kräftig dagegen. Und dann geschah, zumindest in Mirandas Augen, ein Wunder: Zahllose bunt schillernde Blasen flogen durch die Luft – vor lauter Staunen vergaß sie zu atmen – so etwas Wundervolles hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen.

„Er wird sich um ein Weibchen bemühen,“ dachte sie schließlich, kannte sie doch die Schallblasen der Froschmännchen, wenn sie eine Froschfrau anlocken wollten. Sanft und anmutig schwebten die Blasen in der Luft. Einige von ihnen platzten schon nach wenigen Sekunden, andere stiegen immer höher hinauf, bis sie hinter Blättern und Ästen verschwanden. Miranda war so fasziniert, dass sie jegliche Vorsicht vergaß. Sie flog mitten hinein in einen Schwall kleiner Bläschen, berührte sie und spürte den feinen Sprühregen, als sie zerplatzten. Plötzlich war sie dem Gesicht Christians so nahe, dass dieser sie anschielte.

„Hallo Christian,“ sagte sie strahlend und hielt sich an dem Reif fest, den er gerade aus dem Röhrchen gezogen hatte.

„Nun puste schon, ich will genau sehen, wie du das machst,“ forderte sie ungeduldig.

Im selben Moment stieß der Junge die Luft, die er vor Schreck und Verwunderung angehalten hatte, wieder heraus - bis seine Lungen leer waren - und Miranda fand sich von einer Riesenseifenblase umhüllt und davongetragen.

Sie drückte ihr Körbchen fest an sich und rief ihm zu: „Ich bin Miranda …“

Der kleine Junge starrte ihr verdutzt nach, dann rannte er zu seinen Eltern, brachte aber keinen Ton hervor, sondern zeigte nur immerzu in den Himmel.

„Ja, wir haben sie gesehen, deine Seifenblasen, sehr schön,“ tätschelte ihm sein Vater den Rücken.

„Miranda,“ sagte der kleine Junge unvermittelt und sah seine Eltern erwartungsvoll an.

„Miranda,“ wiederholte seine Mutter verträumt und warf ihrem Mann einen bedeutungsvollen Blick zu, „der Name gefällt mir. Du hast ihm also erzählt, dass er ein Schwesterchen bekommt. Möchtest du, dass dein Schwesterchen Miranda heißt?“

Darüber hatte Christian noch nicht nachgedacht, weil er bis jetzt von einem Schwesterchen gar nichts wusste, geschweige sich eines gewünscht hätte.

„Wo ist sie jetzt,“ fragte er und dachte an die Kleine in der Seifenblase.

„Oh, sie ist noch ganz winzig klein … äh … bald kommt sie zu uns, du musst noch etwas Geduld haben.“

„Tut sie nicht,“ dachte er und war alles andere als traurig, „sie ist nämlich weggeflogen … ganz weit weg.“ Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Siehst du, ich hab’s dir gleich gesagt,“ seine Mutter sah ihren Mann glücklich an, „er freut sich auf das Baby.“

Sie beendeten ihr Picknick im Grünen und machten sich auf den Rückweg. Christian ließ Blasröhrchen und Seifenlauge, die Beweisstücke seiner Untat, im hohen Gras zurück.

Miranda sah es gerade noch bevor sie die Baumwipfel erreichte - und noch höher ging es hinauf, bis der Schatten einer Wolke über sie fiel.

„Oh,oh,“ dachte sie, denn sie hatte ja soeben dutzende Male erlebt, wie leicht Seifenblasen zerplatzen, wenn sie an Hindernisse stoßen. Prompt passierte genau das – Seifenblase und Wolke krachten zusammen. Geistesgegenwärtig machte Miranda einen Satz und landete auf einem bauschig watteweichen Weiß. Nassgespritzt aber sonst glücklich legte sie sich auf den Rücken und starrte in den Himmel. Nach einer Weile stellte sie fest, dass dort nicht viel mehr zu sehen war als andere weiße Wolken. Sie drehte sich auf den Bauch und sah noch weniger. Vielleicht wenn sie ein Loch bohren würde, mit dem Zeigefinger. Noch ein bisschen tiefer, ganz vorsichtig - und dann schaute Miranda durch ihr Wolkenloch auf die Erde unter ihr. Von den drei Menschen war nichts mehr zu sehen.

Mirandas Wolke zog über den Wald, mal etwas schneller, mal etwas langsamer, mal blieb sie stehen, je nachdem von welcher Seite der Wind wehte oder es windstill blieb. Am Waldrand tauchte ihre Schule auf und für einen kurzen Moment überkam sie ein schlechtes Gewissen. Aber nicht lange - das Körbchen war voll, ein wenig Verspätung wäre sicher nicht schlimm. Irgendwann würde die Wolke wieder tiefer sinken, so dass sie einen Absprung wagen und zur Königin fliegen konnte.

„ Aber jetzt bitte noch nicht,“ sagte sie laut, denn sie trieb geradewegs auf die Stadt zu.

Am Rande der Stadt lag eine Schrebergartensiedlung und Miranda lauschte einem Gespräch zwischen zwei Männern in blauen Latzhosen und mit Strohhüten auf dem Kopf.

„Gestern waren es noch sechs Kohlrabi, jetzt sind es nur noch fünf,“ sagte der eine aufgebracht, „irgendjemand klaut hier, wenn ich ihn erwische, kann er sein blaues Wunder erleben!“

„Ich bin dabei! Bei mir verschwinden seit einiger Zeit Salatköpfe und der Brenner Martin drüben vermisst Karotten und Radieschen.“

„Da schau her! Das ist organisierte Kriminalität … vielleicht Kaninchen?“

Miranda lachte laut auf, nein, keine Kaninchenbande, aber diebische Gnome. Erst kürzlich hatte sie sie mit gefüllten Schubkarren durch den Wald ziehen sehen – Kopfsalat war auch dabei gewesen.

„Was sollen wir jetzt machen,“ fragte der Kohlrabi-Geschädigte.

„Fallen aufstellen, Wache schieben … mit einem dicken Knüppel. Ich heute Nacht, du morgen und der Brenner Martin übermorgen. Wär doch gelacht, wenn wir ihn nicht kriegen.“

Eine kleine Brise schob Mirandas Wolke weiter. Sie überlegte, ob sie die Gnome warnen sollte – andererseits, stehlen ist nicht besonders anständig. Sollten die Diebe selber schauen, wie sie ungeschoren davonkamen.

Was war denn das? Miranda bohrte ihr Guckloch etwas größer. ‚Tiergarten‘ stand dort auf einem riesengroßen Schild.

„Soll das etwa ein Tier sein,“ dachte sie und starrte einen braunen Koloss an, der gerade seinen Kopf mit Glubschaugen aus dem Wasser steckte, mit den runden Ohren zuckte und sein Maul aufriss, das so groß war wie der Höhleneingang der Dachse – und mit Zähnen so dick wie die Stängel vom Bärenklau. ‚Fluss-Pferd‘ stand auf der Tafel neben seinem Gehege.

„Das also ist ein Pferd,“ dachte Miranda, „ich hatte sie mir anders vorgestellt.“

Zwei Leoparden hinter Gitterstäben hingen auf den Ästen eines abgesägten Baumstamms, schläfrig und entspannt.

„Oh, so große Mietzekatzen! Und mit einem so außergewöhnlichen Muster in ihrem Fell … und ihre Nasen … wie Herzchen geformt … und diese Samtpfötchen!“ Miranda verfiel in Schwärmerei.

„Warum sind sie denn eingesperrt? Warum dürfen sie nicht frei herumlaufen? Die Menschen scheinen nicht tierlieb zu sein.“

In diesem Moment trat ein kleines Mädchen mit seiner Oma vor den Käfig. Die verträumt in die Ferne gerichteten Augen der Leoparden bekamen einen kalten, durchdringenden Ausdruck.

„Die Größe wäre perfekt,“ schnurrte das Weibchen und schob die messerscharfen Krallen aus ihrem Versteck.

„Du sagst es, meine Liebe,“ pflichtete ihr das Männchen bei, machte einen Buckel und setzte sich auf. „Wenn nur diese Gitterstäbe nicht wären,“ grollte es. Dann zog es die Nase kraus, so dass seine dolchartigen Reißzähne sichtbar wurden und gab einen trockenen, kurzen Laut von sich.

„Der Leopard hat Husten,“ sagte die Kleine mitleidig.

Im gleichen Moment glitt die Leopardin in einer einzigen fließenden Bewegung auf den Boden und kam lautlos und schnurgerade auf das Mädchen zu.

Die Großmutter packte es energisch bei der Hand, sie war etwas blass geworden. „Du hast Recht,“ sagte sie und zog das Mädchen vom Käfig weg, „das fehlte noch, dass du dich ansteckst.“

„Schade,“ maunzte die Leopardin und sprang wieder auf den Baum – dann streckten sich beide aus, gelangweilt und apathisch wie zuvor.

„Das darf doch nicht wahr sein,“ Miranda schnappte nach Luft, „Katzen sind Menschenfresser! Pfui Spinne!“

Mirandas Wolke zog über das Freigehege der Schimpansen, die sich gerade in hellem Aufruhr befanden. Hysterisch kreischend fielen sie übereinander her, beschimpften sich unflätig und schlugen aufeinander ein. Der Grund war ein kleines, rotes Äpfelchen, das ihnen ein Besucher zugeworfen hatte – gleich neben dem Schild ‚Füttern verboten‘. Miranda sah dem Tumult eine Weile zu.

„Sie sind völlig ausgehungert. Kein Wunder, ich möchte mal wissen, welcher Unmensch es verboten hat, ihnen zu essen zu geben!“

Sekunden später fuhr ihr ein gehöriger Schreck in die Glieder, weil sie einen Zusammenstoß mit dem Kopf eines karierten Tieres auf sich zukommen sah.

„Oh weh, ich werde ihm an den Hals springen müssen,“ überlegte sie, „ mich festkrallen und langsam hinabgleiten. Hoffentlich geht das gut!“

Es ging gut, dem Himmel sei Dank, denn erstens war der Hals doch nicht so lang, dass er ihre Wolke erreicht hätte - und zweitens senkte die Giraffe in diesem Augenblick den Kopf, grätschte die Beine weit auseinander und schlürfte Wasser aus einer Wanne.

‚Afrikanischer Kaffernbüffel‘ las Miranda beim nächsten Gehege.

„Die lassen ja ihre Köpfe fast bis zum Boden hängen … kein Wunder bei dem dicken Hornwulst quer über ihrer Stirn und den langen Hörnern … sind bestimmt schwer.“

Zwei Bullen standen sich in einigem Abstand gegenüber, stampften in die trockene Erde, dass es nur so hochstaubte, und schnaubten wütend. Dann setzten sie sich gleichzeitig in Bewegung, der Boden dröhnte unter ihren Hufen – im nächsten Augenblick stießen sie laut krachend aufeinander.

„Autsch,“ schrie Miranda auf, „das gibt eine Gehirnerschütterung, oder zumindest ein paar Tage lang Kopfschmerzen. Ob wohl alle Lebewesen in Afrika ihre Meinungsverschiedenheiten so austragen? Ist vielleicht ein uralter Brauch, andere Länder, andere Sitten.“

Just in dem Moment, als ein Pfau sein prächtiges Rad schlug, wurde Mirandas Wolke von einer kleinen Boe erwischt und schneller weitergetrieben als es ihr lieb war, denn Muster und Farben gefielen ihr ausnahmsweise gut. Was sie daran erinnerte, dass sie in einem Jahr ihre ganz persönliche Ausstattung wählen durfte. Blau und Grün würden ihr gut gefallen, mit Pfauenaugenmuster auf ihrem Hemdchen. Dazu durchsichtige, silbrig-grün schimmernde Flügel, so eine Mischung aus Königslibelle und Pfauenschwanz. Und für den Winter cremefarben, mit einem Muster in sanften Brauntönen ähnlich dem Gefieder der Schleiereule. Auf keinen Fall wollte sie in fadem Erdbraun oder Grau herumlaufen.

Während Miranda sich in Gedanken ihre zukünftige Kleidung ausmalte, hatte ihre Wolke den Tiergarten überflogen und näherte sich einem Stadtviertel mit Einfamilienhäusern, Gärten und Terrassen. Drei Damen saßen beieinander an einem sorgfältig gedeckten Kaffeetisch. Zu ihren Füßen lag brav ein silbergrauer Pudel und döste vor sich hin.

„Ich bin fix und fertig mit den Nerven, wie jedes Mal, wenn ich mit Pepi beim Friseur war,“ beschwerte sich sein Frauchen, „wenn er in der Wanne steht, schüttelt er sich in einem fort, Wasser und Shampoo spritzen nur so umeinander. Eigentlich müsste man Schutzkleidung wie im Labor tragen … na ja, wenigstens hält die Friseuse große Kittel bereit. Und das Schlimmste von allem: das Stutzen. Er wibbelt und zappelt, es ist fast unmöglich, eine ordentliche Frisur zu schneiden. Beim letzten Mal sah er wie ein Irokese aus, obwohl ich ausdrücklich Afro-Look bestellt hatte, und am rechten Öhrchen fehlte ein Stück. Heute musste der ganze Pompom am Schwanz entfernt werden, weil zu viele Zacken und Löcher darin waren. Schaut ihn euch an … nackt und kahl wie bei einer Ratte!“

„Das ist mal wieder soooo typisch, die Herren erfinden Waschanlagen für ihre geliebten Autos, aber glaubt ihr, ein einziger käme mal auf die Idee, uns das Leben zu erleichtern mit einer praktischen Hundewaschanlage? Waschen, schneiden, föhnen. Standardprogramme für große und kleine Hunde, für langhaarige oder kurzhaarige. Dazu individuelle Schnitte, z.B. für Pudel, kann Frauchen am Computer konfigurieren, einschließlich der Haarfarbe.“

„Das wär auch was für meine Enkelkinder,“ sagte die Dritte im Bunde, „ich hatte kürzlich die Zwillinge bei mir, die benehmen sich in der Badewanne genauso wie dein Pudel, und beim Haareschneiden schreien sie Zeter und Mordio, als wenn ihnen ein Leid zugefügt würde. Manchmal hätte ich größte Lust, den Rasenmäher zu holen!“

„Man könnte Hunde- und Kinderwaschanlage auch kombinieren. Eine kleine Caféteria nebenan, wir liefern unsere Schützlinge ab, ich drücke auf ‚Hunde‘, du auf ‚Kleinkind männlich‘.“

„Die Ärmsten,“ Miranda schüttelte den Kopf, „Kinder und Hunde, die dauernd gewaschen werden müssen! Wie und wann machen sie sich denn schmutzig,“ wunderte sie sich, und dann fielen ihr die schmuddeligen Zwerge mit den schwarzen Finger- und Fußnägeln ein, wenn sie von ihrer Untertagearbeit heimkehrten.

„Von wegen ‚die Ärmsten‘, ich nehme alles zurück … wer weiß, was sie ihren Kindern und Hunden zumuten!“

Elfen werden natürlich nie schmutzig, Dreck prallt sozusagen an ihnen ab, egal, ob sie eine Handvoll Erde in den Blumentopf stopfen oder Zwiebeln schneiden – man sieht nichts und man riecht nichts, weder an ihren Händen, noch an ihren Hemdchen. Schürzen sind überflüssig. Sicher, das ist schwer vorstellbar, aber so ist es – in diesem Punkt haben es die Elfen wirklich gut. Bei erwachsenen Elfen, die einmal ihr Äußeres festgelegt haben, bleibt’s wie es ist – für den Rest ihres Lebens. Kein Kamm zerrt an den Haaren oder reißt sie büschelweise aus, keine Wäsche muss gewaschen und gebügelt werden, keine Seife brennt in den Augen.

Mirandas Wolke näherte sich einer Grünanlage mit Bäumen, Sträuchern, Gehwegen, Blumenbeeten und Bänken. Sehr schön zum Spazierengehen und zum Verschnaufen oder einem kleinen Ratsch auf der Bank. Zwei ältere Herren und eine ältere Dame saßen dicht beieinander.

„Sie meinen, sie müssten alles anders machen als wir, modern sein.“

„Du hast aber schlechte Laune heute, Karl-Heinz, was ist denn passiert?“

„Nichts ist ihnen heilig … nur ein Beispiel: Wir haben Sommer und da fangen sie doch tatsächlich an, das nächste Weihnachtsfest zu planen.“

„Warum nicht, in den Supermärkten gibt’s doch auch schon Spekulatius und Printen.“

„Ach Hermine, das finde ich genauso schrecklich.“

„Und was haben sie sich ausgedacht?“

„Ein Krippenspiel.“

„Was soll daran modern sein oder unheilig, das haben schon unsere Großväter und deren Großväter aufgeführt.“

„Du hast keine Ahnung, Paul. Das Christkind soll ‚in‘ werden.“

„Wie ‚in‘? Ein Kind in der Krippe im Stall von Bethlehem, so war’s immer und was ist daran zu modernisieren?“

„Stall von Bethlehem, schön wär’s! Reihenhaus … und das Baby liegt in einem Buggy. Von wegen Kometenschweif … LED-Lampen, batteriebetrieben. Als Engelschöre die Popgruppe ‚Alte Hosen‘ mit dem Song von den alten Rittersleut, für den sie eine neue Strophe gedichtet haben:

Und des Christkind in sei Windel,

Ist a allerherzigst Kindl.

Sagt der Josef voller Stolz,

Hoff‘ntlich wird’s was, klopf‘ auf Holz.

Ja mir san, ja mir san, ja mir san ganz stolz auf unsern Bua,

legt’s nur hin, was ihr habt, und dann lasst uns in Ruah.

Die drei Könige kommen aus China, Alaska und Samoa … eine Frau ist unter ihnen … von wegen der Gleichberechtigung aller Menschen auf der Welt.“

Paul und Hermine blickten betreten vor sich auf den Boden. Dann brummte Paul: „Das ist starker Tobak!“

„Was soll denn ein Chinese dem Christkind bringen, ich denke, Weihrauch und Myrrhe gibt’s nur im Morgenland,“ Hermine zog die Schultern hoch und machte große, runde Augen.

„Falsche Frage! Was soll ein Baby mit Weihrauch und Myrrhe? Wenn ich es richtig verstanden habe, bringt der Chinese einen Panda-Bär, aus Plüsch natürlich, der Eskimo ein Paar Schneeschuhe und die Südseeinsulanerin ein Surfbrett.“

„Wisst ihr was,“ prustete Paul los, „das hört sich doch nach einer Riesengaudi an, wir nehmen an diesem Krippenspiel teil … als Überraschungseier, ich meine Überraschungsgäste … anstelle der Hirten.“

„Ja,“ jauchzte Hermine und in ihren Augen blitzte es, „ich kann Königsberger Klopse machen für Maria und Josef, meinetwegen auch für die Könige und die ‚Alten Hosen‘.“

„Und ich geh‘ zu Aldi und kauf‘ eine Vorratspackung Pampers, damit kann das Kind wenigstens sofort was machen!“

„Reinmachen, meinst du!“

Miranda sah und hörte gerade noch, wie sie lachten, bis ihnen die Tränen kamen und Paul, nun völlig außer Rand und Band, aufsprang und lauthals schrie: „Ja, nehmt euch in Acht, wir kommen, denn wir sind die coolsten Rentner der Stadt!“

Sie schaute zur Sonne und erschrak – schon Mittagszeit. Nun würde sie sich gleich bei ihrem ersten Besuch bei der Königin verspäten, ob sie wohl sehr wütend wird? Cornelia wird es mit Sicherheit. Vielleicht sollte sie ein wenig schwindeln und ihnen weismachen, dass sie sehr lange nach reifen Beeren suchen musste, weil die Waldmäuse sie alle aufgefressen hatten. Sie beschloss, sich zumindest eines der Donnerwetter zu ersparen und direkt zu Eleonore zu fliegen, ohne vorher Cornelia ihr gefülltes Körbchen zu zeigen. Volles Körbchen? Es war fast leer! Ganz in Gedanken und abgelenkt durch all die spannenden Ereignisse hatte sie sich abwechselnd Erdbeeren und Blaubeeren in den Mund gesteckt. Nun war sie zwar satt, hatte dafür aber gleich drei Probleme zu lösen: Sie musste schleunigst zum Palast, sich außerdem ein neues Geschenk für die Königin ausdenken, und vor allem einen Weg finden, von ihrer Wolke herunter zu kommen. Elfen können nur bis zu einer bestimmten Höhe fliegen. Wie bringt man aber eine Wolke dazu, etwas tiefer zu sinken? Sie müsste schwerer werden oder gegen etwas stoßen, etwas viel Längeres als der Giraffenhals. Miranda sah sich um.

Eleonore hatte zu Mittag gegessen, sich ein wenig ausgeruht und wartete nun schon seit einiger Zeit auf die Schülerin Miranda – aber die kam nicht.

„Cornelia wird es doch nicht vergessen haben,“ wunderte sie sich, und weil sie schon den ganzen Tag über schlechte Laune hatte, schickte sie eines ihrer Botenmädchen zur Schulleiterin mit einer ungeduldig formulierten Frage, wo denn die versprochene Miranda bleibe. Cornelia schaute verdutzt, sie war davon ausgegangen, dass Miranda mal wieder eigenmächtig gehandelt hatte und direkt zur Königin geflogen war, also längst im Palast war. Ein Körbchen voller Erdbeeren zu pflücken konnte unmöglich so lange dauern – es sei denn - Cornelia fing plötzlich an zu zittern. Wenn ihr nun was zugestoßen war! Sie hätte sich ohrfeigen können - ein Kind alleine in den Wald zu schicken! Dafür würde sie von Eleonore bestraft. Mehr und mehr steigerte sie sich hinein in ihre Phantasien von schrecklichen Dingen, die Miranda zugestoßen sein könnten. Dieses Mädchen bereitete ihr unentwegt Verdruss. Aber nun musste sie nach ihr suchen, sofort! Vielleicht – und ein wenig Hoffnung keimte in ihr auf – lag sie unter einem Farnbusch und schlief. Dann wäre alles ganz harmlos, sie würde eine Ausrede finden und niemand müsste von ihrem verantwortungslosen Handeln erfahren. Sie schickte die Botin zurück zu Eleonore mit der Nachricht, sie bäte vielmals um Entschuldigung wegen der Verspätung, für die es einen triftigen Grund gäbe, es würde nun ganz bestimmt nicht mehr lange dauern.

„Alle guten Waldgeister, helft mir! Lasst dieser verflixten Miranda nichts Schlimmes zugestoßen sein,“ dachte sie, während sie in den Wald hineinflog. Sie schaute unter jeden Busch, rief unentwegt Mirandas Namen und fragte die Tiere des Waldes, ob sie ihr begegnet seien. Die alarmierende Nachricht kam von Bommel.

„Ich habe sie davonschweben sehen, in einer Blase, auf meiner Lichtung,“ sagte er wichtigtuerisch, „es sah phantastisch aus, wie …“

„Was meinst du mit ‚in einer Blase‘?“

„Nun ja, die drei Menschen … sie haben lauter Blasen gemacht … und in einer haben sie Miranda gefangen und dann ist sie immer höher gestiegen, mindestens bis zu den Wolken.“

Cornelia wurde es schwarz vor Augen: Menschen, Miranda gefangen, fortgezogen in einer Blase zu den Wolken! Was für eine Katastrophe! Das Schlimmste war eingetreten und es blieb ihr nichts anderes übrig, als der Königin ihre Schuld zu gestehen. Andererseits, das Mädchen würde wahrscheinlich nie wieder zurückkehren, warum dann etwas eingestehen? Miranda konnte genauso gut ohne Wissen und Erlaubnis von Cornelia in den Wald geflogen sein. Warum? Woher sollte Cornelia das wissen! Das Mädchen war nun mal ungehorsam und nicht zu bändigen – wie sie immer gesagt hatte!

Miranda indes hatte eine besonders hohe Buche entdeckt und machte sich bereit für eine schwierige Landung. Die Flughöhe müsste stimmen, schätzte sie. Wenn alles gut ginge, würde sie einen Zweig zu fassen kriegen. Sie aß schnell auch noch die letzten Früchte und hängte sich das leere Körbchen über den Arm, da war der Baum auch schon in greifbarer Nähe.

„Und nun schön langsam ins Geäst gleiten, so, ja …“

Genau im richtigen, d.h. im letzten Augenblick bevor ihre Wolke auseinandergerissen wurde und sich auflöste, schwang sie sich auf einen der obersten Äste.

„Zu hoch,“ entschied sie nach einem Blick in die Tiefe, „ich muss weiter runterklettern.“

Zentimeter um Zentimeter hangelte sie sich hinab, von einem Ast und einem Blatt zum anderen. Nach einer Weile war sie so müde von den Anstrengungen, dass sie beschloss, es zu wagen und breitete ihre Flügel aus.

„Ich glaube, so hoch ist noch nie eine von uns geflogen,“ seufzte sie und sprang – und sackte in einem atemberaubenden Tempo nach unten, weil sie ein Luftloch erwischt hatte. Erst kurz über dem Boden erwachte sie aus ihrer Schockstarre und begann heftig mit den Flügeln zu schlagen.

„Puh,“ sie stieß die Luft aus, die sie während ihres rasanten Sturzfluges eingehalten hatte – und hielt sie gleich darauf erneut ein, denn direkt vor ihr tauchte das Gesicht eines kleinen Mädchens auf, das sie verblüfft anstarrte.

„Hallo Süße,“ keuchte Miranda, „wie geht’s?“

„Maaamaaaa,“ schrie das Mädchen wie am Spieß, woraufhin ihre Mutter, die mit einer Freundin auf einer nahegelegenen Bank gesessen hatte, in Panik herbeigestürzt kam.

„Daaaarbiiiiiie!°“

„Marieluise, wenn ich noch ein einziges Mal den Namen Darbie höre, kannst du was erleben. Jetzt ist Schluss! Hast du mich verstanden?“

Und zu ihrer Freundin gewandt, fügte sie erklärend hinzu: „Ich kann diese Darbie-Puppen nicht ausstehen!“

„Sie war ganz weiß,“ schluchzte ihre Tochter.

„Sie kann weiß, grün oder kariert sein, das ist mir völlig egal, von mir kriegst du keine, basta! Und wehe, du schreist nochmal so hysterisch!“

Vor Empörung und Ärger war sie rot angelaufen, Auseinandersetzungen über Darbies hatte es offenbar schon öfter zwischen den beiden gegeben. Abrupt drehte sie sich um und ging wieder zur Bank.

Marieluise kullerten Tränen aus den Augen, sie hatte Darbie direkt vor sich gesehen, mit Flügeln, und sie hatte sogar mit ihr gesprochen. Aber das würde ihre Mutter nicht glauben, nie im Leben – also schwieg sie.

Als das kleine Mädchen zu schreien begonnen hatte, war Miranda in einen Holunderstrauch geflüchtet und beobachtete von dort, verdeckt durch das Blattwerk, was weiter geschah. Da hatte sie ja einen schönen Schlamassel angerichtet.

Die Freundin der Mutter grinste breit während sie in ihrer Handtasche kramte: „Nervennahrung für euch beide! Kommt her,“ und hielt Mutter und Tochter eine Tüte Schokoladenbonbons, eingewickelt in rotes Glanzpapier, hin.

Marieluise fischte eins der Bonbons heraus, seufzte ein letztes Mal, dann stopfte sie die Schokolade in den Mund und ihr Gesicht hellte sich auf.

„Nicht so bescheiden,“ sagte die Freundin und schob ihr eine ganze Handvoll in die Hosentasche.

„Vor dem Essen kein weiteres,“ murrte die Mutter, sah auf die Uhr und stand auf. „Wir gehen jetzt. Vergiss deinen Ball nicht!“

Marieluise lief zurück auf die Wiese. Als sie vor ihrem Ball stand, versetzte sie ihm einen heftigen Tritt und sagte laut zu ihm: „Blöde Darbie, ich mag überhaupt keine Puppen!“

Zwei der Bonbons fielen ihr aus der Tasche – nur Miranda sah es und beschloss, noch ein klein wenig zu warten. Als die Drei kurze Zeit später auf dem Heimweg waren, flog sie auf die Wiese, schnappte sich die Bonbons und legte sie ins Körbchen. Sie mussten etwas ganz Besonderes sein, vielleicht eine Medizin, wenn sie Kummer und Tränen auf der Stelle vertreiben konnten. Wäre das nicht ein Geschenk für Eleonore? Sicher war auch eine Königin ab und zu traurig. Hoffentlich waren sie nicht bitter. Und dann kam ihr noch ein guter Gedanke: „Der niedliche Christian hatte doch seine Luftblasenmaschine weggeworfen … wenn sie noch auf der Lichtung lag … die Königin würde nicht schlecht staunen über diese Geschenke. Kurze Zeit später lagen Blasrohr und Seifenlaugenbehälter neben den knallroten Bonbons im Körbchen.

Aber jetzt schleunigst zur Königin. Miranda schaute nicht nach rechts und nicht nach links, durch nichts und niemanden wollte sie sich nochmal aufhalten lassen. Außer Atem kam sie im Palast an.

Eleonore empfing sie mürrisch: „Du warst mir viel früher angekündigt, nicht erst für den Nachmittag. Wie kommt ihr dazu, mich so lange warten zu lassen? Ich habe keine Lust, mich mit sowas zu langweilen!“

„Nur ich habe dich warten lassen, Hochverehrteste, weiseste und gelehrteste Majestät.“

„Das wird ja immer schöner, du scheinst ja tatsächlich unverschämt zu sein … und warum, wenn ich fragen darf.“

„Weil ich meiner Hochverehrtesten, weisesten …“

„Na, wenigstens kennst du meinen Titel … aber lass ihn jetzt weg, das spart Zeit.“

Während Miranda wahrheitsgemäß erzählte, was sich zugetragen hatte, schmolz Eleonores Zorn dahin wie Schnee in der Sonne, die Langeweile war wie weggeblasen – und am Schluss hätte sie ihre Krone hergegeben für eine Reise auf der Wolke mit Guckloch – na ja, vielleicht für einen Tag. Wieder einmal wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie als Königin leider keine Abenteuer mehr erleben durfte, aber wenigstens ein bisschen träumen war erlaubt.

Als Miranda in ihrem Bericht bei Christians Wundermaschine angekommen war und sehr anschaulich die größte der Blasen beschrieb, die, die sie in die Luft bis zu ihrer Wolke getragen hatte, fügte sie hinzu: „Es ist mir einfach passiert, ich wollte es gar nicht.“

„So, so, es ist dir einfach passiert … lassen wir das erstmal beiseite. Was ich nicht verstanden habe… was sollen denn das für Blasen sein, ich kann mir beim besten Willen nichts darunter vorstellen.“

„Darf ich es dir vorführen?“

Leonore hatte Mühe, sich zu beherrschen: „Du meinst, du kannst … jetzt … hier?“

„Oh ja, schau nur her.“

Miranda drehte den Deckel des Röhrchens ab, tauchte den Ring hinein und blies kräftig. Der Saal füllte sich mit umeinander wirbelnden Kugeln. Und weil die Wände aus purem Bergkristall bestanden, versprühten sie ein Feuerwerk an schillernden Farben. Die Königin war von ihrem goldenen und mit weichen Kissen gepolsterten Thron heruntergesprungen und flog nun entzückt zwischen den Blasen umher, während Miranda immer neue blies.

„Willst du auch mal darin fliegen?“

„Äh … vielleicht später mal,“ sagte Eleonore, hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, es zu wagen, und ihrer Vernunft, erst einmal den Dingen weiter auf den Grund zu gehen.

„Auf dem Röhrchen steht ‚Seifenlauge für Seifenblasen‘ … ich weiß aber nicht, was Seifenlauge ist … vielleicht ein Zauberelixier der Menschen,“ spekulierte Miranda.

„Ach was, Menschen können nicht wirklich zaubern, sie tun nur so. Aber es macht ihnen trotzdem einen Riesenspaß … habe ich gehört. Wasser und Seife ergeben also Seifenlauge, und daraus entstehen diese schönen Kugeln … so einfach ist das. Erinnere mich daran, dass ich bei den Zwergen Seife bestelle. Im Übrigen, normalerweise waschen sich Menschen mit Wasser und Seife.“

„Weil ihre Kinder und Hunde sich ständig schmutzig machen.“

„Nicht nur ihre Kinder! Wie kommst du darauf?“

Miranda fuhr fort von dem zu erzählen, was sie an diesem denkwürdigen Tag erlebt hatte. Eleonore hörte ihr gebannt zu, nur hin und wieder konnte sie sich eine Bemerkung oder eine Frage nicht verkneifen.

„Diese frechen Gnome, anstatt sich selber einen Schrebergarten anzulegen, stibitzen sie lieber, was sind denn das für Manieren! Ich werde ihnen auf meiner nächsten Reise einen Besuch abstatten und ihnen gehörig ins Gewissen reden. Aber verpfeif‘ sie nicht, die Menschen werden schon nicht verhungern, wenn ein paar Radieschen fehlen.“

„Und das dicke Flusspferd stank aus dem Maul wie ein Abfallhaufen? Und das hast du bis zu deiner Wolke gerochen? Das ist stark!“

„Wieviel größer sind denn die gefleckten Katzen als die Wildkatzen hier im Wald? Wie bitte? Du übertreibst doch, oder? Und sie verspeisen kleine Kinder? Wie entsetzlich! Die hungrigen Schimpansen etwa auch?“

„Ich glaube nicht, eher Obst und Gemüse.“

„Vielleicht, weil nicht genug Kinder in den Tiergarten kommen.“

Miranda schaute die Königin entsetzt an, dann sah sie deren Zwinkern: „War nicht ernst gemeint … nur schwarzer Humor!“

Das mit dem Giraffenhals wollte sie keinesfalls glauben und beharrte darauf, dass es so lange Hälse auf der ganzen Welt nicht gäbe. Und zu den Kaffernbüffeln meinte sie nur achselzuckend, dass jeder seines eigenen Glückes oder Unglückes Schmied sei. Wer so dumm sei, hätte es nicht anders verdient als mit Migräne durchs Leben zu gehen. Zu Mirandas Vorstellungen über ihre zukünftigen Kleiderfarben nickte sie lebhaft, blau-grün waren auch ihre Lieblingsfarben.

Etwas schwierig wurde es für Miranda, die Unterhaltung der drei älteren Leute im Park wiederzugeben, weil sie die Geschichte von Weihnachten, dem Christkind und den Heiligen Drei Königen gar nicht kannte und deshalb auch nicht begriffen hatte, warum man sich erst aufgeregt und dann solchen Spaß daran hatte.

Da konnte Eleonore aufklären: „Was es mit Weihnachten auf sich hat, ist schnell gesagt. Die Menschen glauben an einen Geist dort oben im Himmel und nennen ihn Gott, so ähnlich wie wir an die Waldgeister glauben. Er belohnt und bestraft sie für ihre guten oder schlechten Taten. Die Weisen aus dem Morgenland, wie man die Könige auch nennt, hatten gehört, dass Gott seinen Sohn auf die Erde geschickt hat, um den Menschen zu helfen, das Richtige zu tun. Deshalb folgten sie einem Zeichen am Himmel … und das führte sie zu einem Neugeborenen namens Jesus. Da es damals weder Plüschtiere, noch Pampers, noch Surfbretter oder Schneeschuhe gab, brachten sie als Geschenke Weihrauch, Myrrhe und Gold mit. Was Maria, seine Mutter, und Josef, sein Stiefvater, damit gemacht haben, weiß ich allerdings nicht. Eigentlich hätten sie nun sehr reich sein müssen.“

„Vielleicht gab es auch damals schon diebische Gnome?“

„Gut möglich.“

Eleonore seufzte tief, oh, wie sie Miranda um dieses Erlebnis beneidete. In diesem Moment stürmte Cornelia herein. Geistesgegenwärtig schnappte sich die Königin das Schilfkörbchen und versteckte es hinter ihrem Rücken. Weit über ihr trieb noch eine einsame Seifenblase durch den Thronsaal, aber Cornelia war so in Tränen aufgelöst, dass sie es nicht bemerkte. Verzweifelt rang sie ihre Arme und rief: „Oh, Hochverehrteste …“

Weiter kam sie nicht, denn in dem Moment sah sie Miranda, blieb wie angewurzelt auf der Stelle stehen und verstummte.

„Meine liebe Cornelia,“ strahlte die Königin, „komm näher … aber warum bist du denn so außer dir?“

„Wegen der Verspätung …,“ stotterte die Schulleiterin verblüfft.

„Ach was, das bisschen Verspätung, nicht der Rede wert. Miranda hat mir … äh … ein Körbchen voller Erdbeeren gebracht …“ Sie sah Miranda vielsagend an.

„Und Blaubeeren,“ ergänzte diese.

„Genau, und Blaubeeren,“ fuhr Eleonore fort und in ihren Mundwinkeln zuckte es, „wie lieb von dir, Cornelia, mir eine solche Freude zu machen. Ich liebe Beeren … übrigens, ich habe Miranda gerade zum Abendessen eingeladen, weil ich noch einiges mit ihr zu besprechen habe … möchtest du auch teilnehmen?“

Cornelia hatte sehr wohl herausgehört, dass dies keine ernst gemeinte Einladung, sondern nur eine höfliche Floskel war. Dankend lehnte sie ab wegen wichtiger Aufgaben, die noch zu erledigen wären und verließ den Palast, heilfroh, dass die Geschichte so glimpflich ausgegangen war und sie offenbar nicht um ihren Posten bangen musste. Aber warum hatte sich Miranda überhaupt verspätet? Egal - dieser Mümmelmann Bommel hatte ihr jedenfalls eine Menge Unsinn erzählt - wer weiß, was er wieder gefressen hatte, dass ihm so wirres Zeug im Kopf herumspukte wie Blasen, die zum Himmel aufsteigen. Sie zuckte die Achseln: „Wie auch immer … Eleonore hat nun selber erlebt, wie unzuverlässig dieses Mädchen ist. Sie wird ihr gleich weiter auf den Zahn fühlen und noch mehr schlechte Eigenschaften an ihr entdecken. Alles läuft nach meinen Wünschen.“

Eleonore beobachtete Miranda in der Tat während des Abendessens sehr genau und fing an, sich zu wundern. Sie konnte weder Aufsässigkeit feststellen, noch Dümmlichkeit, Frechheit oder schlechte Manieren - ganz im Gegenteil, das Mädchen gefiel ihr von Minute zu Minute besser – und sie hatte sich schon lange nicht mehr so gut unterhalten.

„Was ist denn in dem roten Papier eingewickelt,“ fragte sie mit einem Blick ins Körbchen.

„Ich glaube, Medizin … sie wirkt gegen Sorgen und Trübsal. Auf dem Papier steht ‚Schokolade‘.

„Ach, das also ist Schokolade,“ stieß Eleonore überrascht hervor und betrachtete das braune Bonbon von allen Seiten. „Ich habe mal von einem Kakaobaum gehört, an dem große Früchte hängen, und in diesen Früchten sind Kakaosamen, aus denen die Menschen Schokolade herstellen. Ich bin sehr gespannt, wie sie schmeckt.“

Sie biss ein Stückchen von dem Bonbon ab und ließ es auf der Zunge zergehen.

„Igitt,“ spuckte sie es wieder aus.

„Ist es zu bitter,“ fragte Miranda.

„Im Gegenteil, zu süß … ich mag partout nichts Süßes. Hier, iss‘ es selber, wenn du traurig bist.“

„Ich mag auch nichts Süßes,“ antwortete Miranda prompt, „und traurig bin ich auch nicht.“

„Dann schenk das zweite Bonbon Cornelia, sag ihr, es käme von mir, für eine baldige Aufheiterung ihres Gemütes. Ich kann mir gut vorstellen, welche Ängste sie ausgestanden hat, als du nicht rechtzeitig zurückgekehrt bist.“

Eleonore erhob sich: „So, und nun, bevor es dunkel wird, fliegst du zurück ins Internat, ich gebe dir eines meiner Mädchen als Geleit mit auf den Weg, damit du sicher ankommst und nicht schon wieder in Abenteuer verwickelt wirst … ganz unabsichtlich.“

Dann sah sie Miranda lächelnd an und fügte hinzu: „Das war ein interessanter Nachmittag mit dir, hättest du Lust, mich bald mal wieder zu besuchen? Dann erzähle ich dir etwas, was mir in deinem Alter zugestoßen ist. Und noch etwas, es ist besser, zu erzählst niemandem von deinem Abenteuer in der Seifenblase, auch nicht Cornelia. Schließlich habe ich ihr gegenüber kräftig geschwindelt. Meinst du, du könntest das auch … ein wenig?“

„Sicher,“ antwortete Miranda ohne zu zögern, „manchmal muss es sein.“

Eleonore verkniff sich ein Grinsen. Als Miranda, ihr Körbchen am Arm, davonflog, schaute sie ihr lange nach und hörte aufmerksam in sich hinein – da war sie wieder, diese innere Stimme, die ihr so oft schon Klarheit im Trüben verschafft und Ratschläge bei Unsicherheiten zugeflüstert hatte.

„Wir werden sehen,“ sagte sie schließlich und wandte sich ab.

Elfen sind keine Engel

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