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Aller Anfang ist schwer

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Mit achtzehn lief mir Kai zum ersten Mal über den Weg. Wir lernten uns nicht auf Arbeit, nicht über das Internet – daran war damals nicht einmal zu denken – sondern stinknormal beim Schwofen, wie wir früher zum Tanzen sagten, kennen.

Ich war mit meiner Freundin Monika in einem Gasthof zur Disco. Während sich Moni wie immer die Hacken wund tanzte, stand ich wie fast immer gelangweilt auf der Galerie herum und schaute neidisch nach unten. Moni war biegsam wie eine Weidenrute und konnte nicht nur tanzen, sondern verdammt gut tanzen. Dabei hatte sie nicht mal eine Tanzschule besucht, war also ein ausgesprochenes Naturtalent. Sie ging jedenfalls auf jedem Saal weg wie eine warme Semmel. Höchstwahrscheinlich wegen ihres Tanztalentes, denn es war ziemlich unvorstellbar, dass die Männer aus optischen Gründen bei ihr Schlange standen. Was ihr Aussehen betraf, hatte der liebe Gott entweder einen schlechten Tag gehabt oder sich zu sehr auf ihren Charakter konzentriert.

Eine Frau, die Rhythmus im Blut hat und tanzen kann, zieht Männer magisch an. Das ist wie mit dem Licht und den Motten. Von einer derartig talentierten Frau versprechen sich die Herren der Schöpfung sicher auch sportliche Höchstleistungen auf erotischem Gebiet. Obwohl die meisten Männer vermutlich mit Übungen aus dem Kamasutra körperlich überfordert sein dürften.

Die Lautsprecher brüllten die Töne förmlich aus sich heraus. Zwischendurch krächzten und ächzten die altersschwachen Geräte, wahrscheinlich litten sie unter der Phonstärke.

»Willst du tanzen?«, hörte ich jemand hinter mir schreien.

Neugierig drehte ich mich um. Der Schreihals stupste mich mit dem Finger an und grinste erwartungsvoll.

Ich hob verlegen die Schultern und schrie: »Ich kann nicht tanzen!«, zurück.

Das war nicht gelogen. Schon als Kind war ich steif wie ein Holzbock gewesen. Bei mir hat der liebe Gott bei allem, selbst was entfernt mit Sport zu tun hat, jämmerlich versagt. Beim Tanzen zeigt sich das drastisch. Meine Bewegungen verhalten sich asynchron zum Rhythmus. Mein Gehirn ist unfähig, beides miteinander zu verknüpfen. Ich vermute die Ursache liegt in einem genetischen Defekt mütterlicherseits, da mein Vater ein guter Tänzer war. Tja mit den Genen ist es wie beim Würfelspiel. Je nachdem, wie die Würfel des Lebens fallen – man hat entweder Glück oder Pech.

Der Typ breitete seinen Mund bis an beide Ohren aus. »Macht nix. Das trifft sich gut, ich kann auch nicht tanzen. Ich tanze wie eine bleierne Ente. Also?«

Ich kaufte ihm die Ente nicht ab, zumal gerade ein flotter Titel gespielt wurde. Das war eine nicht unbekannte Taktik der Kerle, um sich interessant zu machen und Mädchen kennenzulernen.

»Lieber nicht. Ich habe kein Taktgefühl«, konkretisierte ich meine Ablehnung und war gespannt, wie hartnäckig der Typ war.

»Oh ja, das mit dem Taktgefühl kenne ich. Deshalb ecke ich oft an«, bekam ich als Antwort.

Mein Gesicht spiegelte meine Verunsicherung wider.

»Das war ein Jux! Ich bin nicht so unintelligent wie ich aussehe«, klärte mich der Typ mit breitem Grinsen auf.

Ich nahm den Scherzkeks genauer unter die Lupe und scannte ihn durch. Er war etwa in meinem Alter – das war in Ordnung. Er hatte eine gesunde Größe – mindestens eins achtzig groß war bei mir Voraussetzung. Er hatte ein Mini-Bäuchlein – das war mit gutem Willen zu übersehen. Er hatte dunkle Haare – von mir bevorzugt. Er hatte braune Augen – ganz mein Geschmack. Und er hatte ein freundliches Gesicht mit Grübchen – spricht für Humor. Verglichen mit den Typen, die ich an diesem Abend auf Grund ihrer Optik oder hirnrissiger Sprüche, wie: »Na, auch hier?« oder: »Hallo, was machst du denn hier?«, auf der Stelle aussortiert hatte, war dieser Typ ein Sahneschnittchen. Blieb die Frage offen, ob ich mich zum Tanzen überwinden und bis auf die Knochen blamieren sollte. Die Alternative war, ihm einen Korb zu geben und den restlichen Abend blöd herumzustehen. Oder schlimmer! Unter Umständen verpasste ich die Chance meines Lebens. Vielleicht war er Erbe einer uralten Münzsammlung oder einer Villa? Vielleicht würde mir ein Traummann durch die Lappen gehen? Schließlich entpuppt sich nicht jeder Frosch in den ersten Minuten als Prinz.

Der Typ musterte mich abwartend. »Komm Kirsche, gib mir eine klitzekleine Chance! Bitte!«

Ich rang mit mir, konnte aber seinem bettelnden Blick nicht länger widerstehen. »Na gut, überredet. Wir warten den nächsten Titel ab«, hörte ich mich sagen.

Mein Unterbewusstsein hatte ein Machtwort gesprochen.

Der Typ strahlte wie ein Honigkuchenpferd.

»Hast du eigentlich einen Namen?«, wollte ich wissen. »Ich unterhalte mich ungern mit anonymen Leuten.«

Der Typ deutete einen Diener an. »Ähm … gestatten … Kai-Uwe.«

Ich gluckste und bremste mein Temperament, um nicht spontan aufzulachen.

»Kai-Uwe. Ach du liebe Güte!«, rutschte mir heraus. »Du veralberst mich.«

Obwohl Kai-Uwe derartige Reaktionen nicht total fremd gewesen sein dürften, wirkte er bedeppert.

»Pionierehrenwort, ich heiße wirklich so. Glaubst du, ich habe mir den Namen ausgesucht?«, antwortete er ernst, als müsste er sich dafür bei mir entschuldigen.

»Es gibt Schlimmeres. Namen sind Geschmackssache und werden überbewertet«, bemühte ich mich, die Kurve zu bekommen. »Lass mich raten … du bist ein Einzelkind und zwischen deinen Eltern gab es einen Namenskrieg?«

»Stimmt zur Hälfte. Ich habe eine Schwester. Aber mit dem Namen liegst du richtig. Meine Eltern konnten sich nicht einigen. Meine Mutter wollte mich unbedingt Kai, mein Vater unbedingt Uwe nennen. Und bevor sie sich deswegen ein Leben lang in den Haaren haben würden, hat meine Mutter in Eigenregie aus beiden Namen einen mit Bindestrich gemacht. Mein Vater fand das nicht prickelnd, war aber froh, dass er seinen Willen wenigstens zur Hälfte durchsetzen konnte. Er hatte nicht viele Chancen, seine Interessen durchzuboxen.« Kai grinste verschmitzt. Dann zwinkerte er mir zu und lachte kurz auf. »Außerdem war meine Mutter noch von der Geburt benommen. Ich war ein Wonnebrocken, habe über vier Kilo gewogen. Mittlerweile habe ich mit ihr Frieden geschlossen. Aber nenne mich bloß nicht Kai-Uwe, Kai reicht!«

Mehr als: »Hm«, wusste ich dazu nicht zu sagen. »Du hast mich zwar nicht gefragt, aber falls es dich interessiert, ich heiße Magret«, setzte ich das Gespräch nach einer kurzen Pause fort.

»Ah, Gretl«, sagte Kai überrascht. »Herrlich, meine Uroma hieß Magret. Wir haben sie immer Oma Gretl genannt. Witzig, ich habe heute eine Gretl kennengelernt.«

Na toll, dem Typen fiel nichts Besseres ein, als den Spitznamen seiner uralten Oma auf mich zu übertragen. Seit Kindertagen hasse ich es, wenn mich jemand Gretl nennt.

Verärgert blinzelte ich ihn an und wiederholte unwillig, jeden Buchstaben einzeln betonend: »Ich heiße Magret. Gretl klingt nach Gänsemagd und bringt mich auf die Palme. Du hast die Wahl!«

Kai überging meine Erklärung kommentarlos. Stattdessen hielt er seinen linken Zeigefinger hinters Ohr, legte seinen Kopf schräg und deutete auf die Tanzfläche. »Neuer Titel, erster Versuch. Und, gehen wir auf die Piste, Magret?«

Ich seufzte. »Hm. Ich gebe mein Bestes.«

Kai hatte nicht untertrieben, er konnte weder führen noch tanzen. Er watschelte wie ein Erpel über das Parkett. Wir holperten durch den Saal. Mal zog ich ihn mit mir, mal er mich mit sich. Ständig kamen wir jemandem in die Quere. Mal standen meine Füße auf Kais Füßen, mal seine auf meinen. Mit der Zeit war mir das egal, weil aus meinen Zehen jegliches Gefühl gewichen war. Dafür meldeten sich gequälte Muskeln und Sehnen, die mir bis dahin unbekannt waren. Erlöst atmete ich auf, als der Titel zu Ende war. Ich schielte zu Kai und wollte ihn von der Tanzfläche ziehen, da klangen die ersten Töne von »Über sieben Brücken« von Karat an. Einer der Klassiker auf der Tanzfläche, wenn es darum ging, ungestraft auf Tuchfühlung zu gehen. Kein Kerl ließ eine solche Gelegenheit ungenutzt verstreichen.

Demzufolge war ich nicht ganz unvorbereitet, als Kai fragte oder besser gesagt so gut wie festlegte: »Diese Runde noch. Ja?«

Ich öffnete den Mund und wollte gerade sagen, dass ich nicht scharf darauf sei und ob wir stattdessen lieber an die Bar gehen könnten, da ergänzte er: »Das Schöne ist, bei langsamen Songs muss man nicht tanzen können. Bitte, nur noch den einen Tanz.« Dazu setzte er einen Dackelblick auf.

Sein anhaltendes Interesse schmeichelte mir ungemein. Langsam tanzen funktionierte auch bei mir besser und er sah mich so süß an, also tat ich ihm den Gefallen. Wir zwei Tanzlegastheniker schlichen in Zeitlupe durch den Saal, bewegten uns zentimeterweise. Diesmal ohne auf unseren und fremden Füßen herumzutrampeln. Wir fanden, dass wir für unsere Verhältnisse eine relativ flotte Sohle aufs Parkett legten. Für andere mussten wir wie zwei Gehbehinderte in Trance ausgesehen haben.

Kai begann leise mitzusingen und startete damit einen unfreiwilligen Angriff auf meine Lachnerven. Ich biss mir auf die Unterlippe und verkniff mir, ihn anzusehen. Wobei Singen für das, was er von sich gab, extrem hoch gegriffen war. Von Bruchstücken abgesehen, konnte er den Text nicht, von der Melodie ganz zu schweigen. Im Anflug einer sinnlichen Welle, presste er mich heftig an sich und nahm mir fast die Luft zum Atmen.

Nach dem Schmusesong wurde es rockig. Für mich und Kai war das tanztechnisch unlösbar. Wir verließen die Tanzfläche und ich hoffte auf eine Einladung an die Bar.

Tatsächlich kam die Frage: »Willst du was trinken? Gehen wir an die Bar?«

Ich nickte erleichtert und ließ demonstrativ meine Zunge heraushängen. »Meine Kehle ist wie ausgetrocknet.«

Ich hievte mich auf einen Barhocker und weil Kai keinerlei Anstalten machte, sich zu erkundigen, was ich trinken möchte, bestellte ich mir völlig selbstverständlich ein Glas Gin Tonic.

»Was nimmst du?«

»Ähm, na ja … ähhh ...«, eierte Kai, anstelle einer klaren Antwort, herum und kramte nervös in seinen Hosentaschen. Letztendlich zählte er exakt fünfunddreißig Pfennig auf den Tresen. »Das ist alles, was ich habe. Ist mir peinlich. Ich habe heute schon eine Menge verprasst, jetzt reicht es nicht mal für mich«, nuschelte er.

Womit er uneingeschränkt recht hatte. Für die paar Kröten gab es selbst in der DDR keinen Cocktail. Kais Blick, mit dem er mich ohne Worte um Almosen anbettelte, erinnerte mich an ein nach Wasser lechzendes Hündchen. Doch ruck, zuck wechselte er wieder zum fröhlichen Grübchengesicht. Keine Spur mehr davon, dass ihm die Angelegenheit unangenehm war.

»Mit anderen Worten, ich muss dir einen ausgeben«, entgegnete ich nicht besonders freundlich und dachte wehmütig an meinen letzten, hart ersparten Geldschein, den ich eigentlich nicht mehr anreißen wollte. »Das bringt dir einen fetten Minuspunkt«, fügte ich süßsäuerlich hinzu.

Kai winkte großkotzig ab. »Null Problemo, das mache ich spielend mit was anderem wett. Übrigens danke für die Einladung.«

Ich ärgerte mich im Stillen. Was für einen sonderbaren und dazu geizigen Vogel hatte ich mir da eingefangen? Mich einladen, nicht bezahlen können und als Krönung scheinheilig tun. Volltreffer, der Typ war einer aus dem Club der Selbstgefälligen.

»Ich bin gespannt, wann und womit du das richten willst«, sagte ich mit unüberhörbarem Hohn, worauf Kai nicht reagierte.

Die Ursache seiner Knauserei erfuhr ich erst, nachdem wir ein Pärchen geworden waren. Und er bewies mir, dass er kein Geizkragen aus Prinzip war. Aber zur Zeit unseres Kennenlernens wollte er Besitzer eines altersschwachen Trabis werden und um diesen Schrotthaufen wiederzubeleben und aufzumotzen, fehlten ihm noch ein paar Piepen. Autos waren Mangelware und gerade ein junger Kerl mit Auto hatte damals Seltenheitswert. Er machte Eindruck und schoss bei den Mädchen auf der Beliebtheitsskala prompt an die Spitze.

»Hast du eine Zigarette?«, schnorrte Kai mich als Nächstes direkt an.

Ich war bekennende Nichtraucherin, hatte allerdings an diesem Tag ganz besondere Zigaretten einstecken – welche für Asthmatiker. Die galten als Arzneimittel, weshalb sie apothekenpflichtig waren. Sie waren zwei Wochen überlagert und von meiner Freundin Moni, sie arbeitete in einer Apotheke, nicht wie angeordnet vernichtet worden. Um Kerle zu veräppeln, hatten wir uns die Glimmstängel redlich geteilt und in leere Schachteln handelsüblicher Zigaretten gesteckt. Die Idee war auf Monis Mist gewachsen. Schon als Kind war sie ein verrücktes Huhn gewesen und hatte oft Schabernack im Sinn.

Als passionierte Raucherin kannte sich Moni bestens aus. Hände reibend hatte sie versichert: »Die Dinger schmecken grauenvoll und werden die Kerle zu Gesichtsclowns mutieren lassen. Keine Angst, die sind bloß eklig, nicht giftig. Mehr als zwei Züge schafft sowieso kaum einer. Außer einer mit Geschmacksverirrung.«

Zuerst war ich skeptisch. Mit Arznei Schindluder zu treiben, hielt ich für gefährlich. Ich hatte Bedenken, jemand könnte dauerhaft Schaden nehmen oder für immer auf der Strecke bleiben. Doch nach Fachfrau Monis Entwarnung und ihrem umfassenden Vortrag über die Wirkung und die Inhaltsstoffe von Asthma-Zigaretten, sah ich unseren Plan locker.

Kai war sozusagen das erste Opfer und ich bedauerte aufrichtig, dass meine Freundin den Spaß nicht miterleben würde. Es dauerte Minuten, bis ich die Schachtel aus meiner mit Krimskrams gefüllten Handtasche gefischt hatte. Ich fingerte eine Zigarette aus der Schachtel und reichte sie Kai.

Um wenigstens ansatzweise fair zu sein, vermerkte ich das mit dem Hinweis: »Nicht wundern, die sind nicht jedermanns Geschmack!«

Bedächtig rollte Kai das Stäbchen zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Was ist das für eine Sorte? Sieht komisch aus. Zeig mir mal die Schachtel!«

Zögernd holte ich sie heraus.

»Das sind ausländische Zigaretten in einer alten F6 Packung«, stammelte ich. »Sind meiner Freundin ihre.«

Misstrauisch nahm Kai den Stängel unter die Lupe. »Du nimmst keine?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich rauche nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Bevor Kai sich die Zigarette anzündete, durchlöcherte er mich einige Sekunden mit zusammengekniffenen Augen. Er inhalierte vorsichtig den ersten Zug. Sensationslüstern beobachtete ich ihn. Ich musste mich gewaltig zusammenreißen meinem Drang, ungehemmt loszuwiehern, nicht vorzeitig nachzugeben. Das Beste würde ja noch kommen.

Die von Moni angekündigten Folgen ließen nicht auf sich warten. Sekunden später wurde Kais Dauergrinsen von einer Grimasse vom Feinsten abgelöst. Er spuckte in den Aschenbecher und schmiss den Glimmstängel mit Karacho hinterher. Husten, Atmen und Fluchen wechselten sich ab.

»Pfui Teufel! Was ist das für Kraut? Das Zeug schmeckt wie Arznei!«

Er hustete, atmete tief ein und aus, hustete wieder und schüttelte sich. Es war ein Bild für die Götter. Meine Beherrschung war zu Ende, ich prustete los. Neben dem Experiment sah ich in der Aktion einen kleinen Racheakt wegen Kais Knauserei. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man Rachegelüste ab und zu ausleben sollte – natürlich ohne jemand böse zu schaden – das würde Energieblockaden lösen. Und ich hatte keine Vorstellung, wie grässlich diese Zigaretten schmeckten! Für mich war jede Sorte ekelhaft.

Ich tupfte mir die Tränen aus den Augen.

»Hundert Punkte! Das ist ein Arzneimittel!«, bestätigte ich, nachdem sich mein Puls und der Blutdruck halbwegs normalisiert hatten.

»So ein Quatsch«, sagte Kai ungläubig und kippte zuerst seinen restlichen, dann meinen Drink auf Ex runter. Er schien zu hoffen, ich hätte ihn mit meiner Antwort veralbert. »Das ist richtige Arznei? Chemie?«, fragte er sicherheitshalber nach.

Ich bestätigte das durch Nicken. Kai wurde blass und betrachtete mich aus einer Mischung von Argwohn und Zorn. Wortlos. Ich war beeindruckt, wie schnell eine große Klappe zu Fall kommen konnte. Mein Gewissen meldete sich plötzlich zu Wort und begann mich zu piesacken. Scheinbar verstand es den Spaß genauso wenig wie Kai, denn auf einmal kam ich mir gemein vor.

»Entschuldige. Keine Bange, davon stirbst du nicht. Diese Glimmstängel machen Kranke gesund«, tröstete ich Kai, ohne mir ein Schmunzeln verkneifen zu können und leierte herunter, was ich über die Gesundheitszigaretten wusste. »Das sind Glimmstängel für Asthmatiker, damit können sie besser durchatmen. Unter anderem ist Huflattich drin. Das ist eine Heilpflanze«, schloss ich meinen schlauen Vortrag ab.

Um Kai eine Angstneurose zu ersparen, verschwieg ich den geringen, aber medizinisch relevanten Anteil an giftigem Stechapfel ebenso, wie die Information, dass die Zigaretten überlagert waren.

Kai starrte mich an und sagte immer noch nichts. Langsam wurde die Situation unbequem. Ich wiederholte meine Entschuldigung und sponserte ihm als Entschädigung eine Cola mit Wodka, die er dankbar annahm. Erst dann verzieh er mir.

Am Ende des Abends tauchte Moni wieder auf. Schließlich fuhr der letzte Bus, den wir erwischen mussten, in einer halben Stunde. Anderenfalls würden wir sieben Kilometer nach Hause laufen oder die Nacht auf der Landstraße verbringen müssen. Kai hatte es nicht weit. Er wohnte in der entgegengesetzten Richtung und wollte nach Hause laufen. Zur Verabschiedung verkrümelte ich mich mit ihm in eine dunkle Ecke, in der wir ausgiebig unsere Kenntnisse im Küssen überprüften. Beim Knutschen ließ Kai ein ungeahntes Temperament blicken. Seine Umarmungen wurden wilder und während seine Hände unkontrolliert auf meinem Rücken herumfuhren, rutschte im Eifer des Gefechts meine Bluse nach oben. Kais Hände rutschten eilig nach. Er stutzte und nahm sie ruckartig zurück, als wäre mein Rücken mit fingernagelgroßen Eiterpusteln übersät. Dabei war meine Haut makellos. Hastig zog er meine Bluse nach unten. Nicht aus Anstand, wie mir augenblicklich klar wurde. Es lag am Wollschal. Der hatte sich selbstständig gemacht und nach und nach von Blasen- auf Nierenhöhe bewegt. Habe ich mich geschämt! Was dachte Kai jetzt von mir und wie sollte ich ihm das erklären? Ich befürchtete eine blöde Anspielung, irgendetwas, aber Kai verlor nicht eine Silbe darüber. Das fand ich sehr anständig von ihm. Jeder andere Kerl hätte die Flucht ergriffen.

Im Übrigen war der Schal keine persönliche Macke von mir. Was das betrifft, kann ich mit anderen Sachen aufwarten. Es gab dafür eine simple Erklärung. Er erfüllte schlichtweg einen rein medizinischen Zweck. Ich hatte eine Blasenentzündung, eine beliebte Krankheit junger Mädchen, und mir den Schal zur Wärmisolation um den Bauch gewickelt. Diese Angewohnheit war derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich mit keiner Faser daran gedacht hatte, mich vor dem Weggehen abzuisolieren. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sich verselbstständigt oder ihn überhaupt jemand bemerken könnte. Vor Kai war außer Florena Creme nichts und niemand an meinen blanken Rücken gekommen!

Nach Monaten traute sich Kai nachzufragen, ob ich wollene Buxen wie seine Oma angehabt hätte. Der Arme war total irritiert gewesen, dass ich eine bis in den Rücken reichende Omabuxe trug. Andererseits hatte ich dadurch geheimnisvoll auf ihn gewirkt und seine Neugier gesteigert. Dagegen fand Kai meine banale Erklärung zum Schal langweilig.

Dass tatsächlich eine fleischwasserfarbene Unterhose mit Bein aus flauschiger Angorawolle – ein Geschenk meiner besorgten Westoma – in meinem Wäscheschrank ruhte, habe ich Kai erst nach unserer Hochzeit gebeichtet. Ihm blieb der trostlose Anblick erspart, mich jemals in einem derartigen Aufzug zu Gesicht zu bekommen. Ich habe diese Buxe irgendwann fein säuberlich zertrennt und zu Putzlappen umfunktioniert.

Wenn Kai wüsste, womit er unser erstes gemeinsames Auto poliert hat …

Der Göttergatte

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