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Eine Nacht auf dem Revier
ОглавлениеEs war zu tiefsten DDR-Zeiten. Ein Abend anlässlich der deutsch-sowjetischen Freundschaft, zu dem der Betrieb aus unverständlichen Gründen Kai delegiert hatte, ging angeheitert zu Ende. Ganz freiwillig war Kai dem »Verein« nicht beigetreten. Aber damals wurde man so lange bearbeitet, bis sich die meisten dazu breitschlagen ließen. Kai hatte mich zu dieser Feierlichkeit als Begleitperson mitnehmen dürfen, weil er nicht allein hingehen wollte.
Auf dem Weg zur Straßenbahn begann es wie aus Kannen zu gießen. Der Wetterbericht hatte ausnahmsweise nicht gelogen und ich zum Glück einen Schirm dabei. So plötzlich, wie der Regen begonnen hatte, hörte er auch wieder auf. Da noch genügend Zeit war, bis die Straßenbahn kam, schlenderten Kai und ich zur nächsten Haltestelle. Während wir quatschten, ratterte Kai selbstvergessen mit der Spitze meines Stockschirmes an einem Zaun mit dem Flair eines Bretterverschlages entlang. »Rattattattatt ...«
An der Haltestelle angekommen, trudelte auch schon die Bahn ein. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich einen Polizisten, der auf einem alten, bedenklich klappernden Damenfahrrad, angehetzt kam.
Amüsiert stieß ich Kai an. »Guck dir mal den an! Gleich fällt das Rad auseinander.«
Während der Polizist das Fahrrad fallen ließ, rief er keuchend: »Halt! Hierbleiben!«
Wir sahen uns neugierig um, doch außer Kai und mir war niemand zu sehen. Ergo nahmen wir an, dass der Befehl dem Straßenbahnfahrer galt.
Gerade als Kai im Begriff war, in die Bahn zu steigen, wurde er von dem kleinen dicklichen ABVer (Abschnittsbevollmächtigte waren für Bürger eingesetzte Polizisten, die u. a. Streifendienst versahen) in einer viel zu engen Uniform unsanft am Ärmel zurückgezogen.
Die Straßenbahn fuhr von dannen und wir blieben mit offenem Mund zurück.
»Was soll das? Wir wollen nach Hause. Eine Frechheit ist das!«, schimpfte Kai aufgebracht.
»Weisen Sie sich bitte aus!«, ordnete der Ordnungshüter dienstbeflissen, ohne auf Kai einzugehen, an.
Verblüfft stellte ich fest, dass Kai durch den Tonfall eingeschüchtert war und regelrecht stramm stand. Er schien in ihm Erinnerungen an seinen Grundwehrdienst zu wecken.
Der Polizist drängte sich samt Fahrrad zwischen Kai und mich. Er verglich die Passbilder mit uns und steckte sich unsere Ausweise ein.
Beschwipst, wie Kai war, fand er das Ganze nun doch irgendwie lächerlich. »Upps, ist schon Sperrstunde? Oje und wir sind noch auf der Straße.«
»Machen Sie sich über mich lustig?«, wurde er lautstark und schroff für seinen provokanten Scherz zurechtgewiesen.
Kai verneinte befangen.
»Sie kommen jetzt beide mit auf die Polizeiwache!«
Mir war nicht geheuer zumute. Ich nickte und zog es vor, nichts zu sagen.
»Können wir erfahren, was wir dort sollen?«, traute sich Kai kleinlaut nachzufragen.
»Eine Aussage machen. Genaueres erfahren Sie rechtzeitig genug«, bekam er kantig zur Antwort.
»Vielleicht ist was passiert und wir waren Zeugen«, grübelte ich halblaut.
Auf dem Flur der Wache wurden Kai und ich getrennt gesetzt. Langsam kam uns die Sache immer spanischer vor. Wir hatten keinerlei Möglichkeit, uns auszutauschen, sogar Zeichensprache wurde uns untersagt. Nach einer gefühlten Stunde wurden wir einzeln vernommen. Es war ein filmreifes Verhör, mit Protokoll und allem Drum und Dran.
Kai wurde vorgeworfen, mit dem Schirm eine strafbare Handlung begangen zu haben. Und zwar hatte der Schirm oder genauer gesagt Kai, der ja am Griff des Schirmes hing, mit der Schirmspitze am Zaun angetackerte Plakate zerstört. Und diese Plakate forderten zu nichts anderem, als zur deutsch-sowjetischen Freundschaft auf. Irgendjemand musste Kai beobachtet und nichts Besseres vorgehabt haben, als die Polizei auf uns anzusetzen. Das Kuriose daran war, dass wir Auskünfte geben sollten, obwohl weder Kai noch ich das Verbrechen, geschweige denn diese Plakate, registriert hatten.
Wir wurden wie eine Zitrone ausgequetscht. Unsere Verhöre, stellten wir im Nachhinein fest, verliefen nahezu identisch. Mit dem Unterschied, dass ich beschuldigt wurde, Mittäter zu sein, weil ich Kai nicht von seiner Zerstörungswut abgehalten hatte. Kai hingegen wurde als Feind der Sowjetunion angeklagt. Er wurde bezichtigt, eine verfassungsfeindliche Straftat begangen zu haben. Ich schwor Hals und Bein, dass ich nichts bemerkt und Kai so etwas Verwerfliches niemals mit Absicht tun würde. Kai gab ähnliche Erklärungen ab, auf die ebenso ignorant reagiert wurde, wie auf meine.
Kai gingen die Nerven durch. Ihm platzte der Kragen und er regte sich fürchterlich auf. »Was soll das Affentheater? Ihr habt wohl Langeweile im Nachtdienst? Mich wundert, dass Sie den Schirm nicht verhaftet haben. Der war doch der Täter!«
Die angedrohten zusätzlichen Unannehmlichkeiten, wegen seiner Aufmüpfigkeit und wenn er keine Ruhe geben und seine Zuarbeit verweigern würde, wiesen ihn umgehend in die Schranken.
Nach unseren Verhören mussten Kai und ich, wiederum bewacht und getrennt sitzend, im Gang warten. Das Theater wegen ein paar verwitterter Plakate, die in den nächsten Tagen von selber abgefallen wären, konnten wir absolut nicht nachvollziehen. Wir tauschten hilflose Blicke aus und fragten uns, was uns als Nächstes bevorstand. Wollte man uns einsperren? Durften wir endlich heimgehen? Weder noch. Denn wir wurden zu einer Fahrt zum Polizeirevier eingeladen.
Kai konnte sich nicht bremsen. Er witzelte herum, als er in das Polizeiauto einsteigen sollte. »Ist das geil! Wie im Krimi! Mit der Grünen Minna wollte ich schon immer mal fahren! Ein Kindheitstraum wird wahr!«
Von den Polizeibeamten erntete er dafür eine deutliche Verwarnung.
Auch während der Fahrt mit der Grünen Minna kamen wir in die Gunst einer Einzelbetreuung. Wir fühlten uns wie Schwerverbrecher, lediglich die Handschellen fehlten.
Am Eingang des Polizeireviers stand ein Polizist mit einem Schäferhund. Der Hund machte einen freundlicheren Eindruck als sein Herrchen und Befehlsgeber.
Kai musste das ebenso empfunden haben, denn es animierte ihn beim Vorbeigehen zu sagen: »Du bist aber ein Hübscher!«
Worauf er ein barsches: »Halten Sie den Mund!«, zu hören bekam.
Möglicherweise hatte das Herrchen angenommen, dass nicht der Hund gemeint war.
Wir wurden in ein Zimmer geführt, in dem schon acht Leute vor sich hin dösten. Alle waren von fleißigen Polizisten wegen was und wo auch immer eingesammelt worden. Die Vollmondnacht schien eine Sternstunde für Gestrauchelte, Verbrecher und Staatsfeinde zu sein.
Jeweils einzeln wurden die Leute in ein Verhörzimmer beordert. Kai und ich waren zuletzt dran. Im folgenden Akt machten wir mit einem Mann von der Staatssicherheit Bekanntschaft. Ein Schrank von einem Kerl mit zynischem Gesichtsausdruck. Das gleiche Frage- und Antwort-Spiel wie auf der Wache folgte. Anschließend konfrontierte er uns mit unserer vermeintlichen Feindseligkeit gegenüber der Sowjetunion und forderte uns auf, unsere niederen Beweggründe zu schildern.
Erneut beteten wir psalmartig unseren Text herunter.
»Das Vorkommnis tut mir sehr leid«, entschuldigte sich Kai am Schluss seiner Aussage und schleimte weiter: »Wissen Sie, wir kamen nämlich von einer Veranstaltung zu Ehren unseres Bündnisses mit der Sowjetunion! Ich bin in der Schule jahrelang FDJ-Sekretär gewesen. Und bei den Jungen Pionieren der Vorsitzende.«
Ein Glück, dass ich nicht dabei war! Ich wäre auf Grund seiner schwülstigen Erklärungen in schallendes Gelächter ausgebrochen und hätte Kai womöglich tiefer reingeritten.
So leicht ließ der Stasimensch nicht locker. Er bohrte weiter in der Hoffnung, aus Unvorsichtigkeit würde sich eine Quelle aus Kais tiefstem Abgrund auftun. Scheinbar hoffte er, eine fette Belohnung einzuheimsen, weil er den Staatsfeind Nummer 1 festgenagelt hatte.
»Ich wollte die Plakate nicht kaputt machen«, beteuerte Kai. »Das ist aus Versehen passiert. Ehrlich!«
»Mann, lügen Sie nicht. Es war Zufall, dass sie nicht zerfetzt wurden!«, polterte der Stasimensch los.
Jetzt verstand Kai die Welt nicht mehr. Fassungslos begann er nun seinerseits loszupoltern: »Wie jetzt? Die Plakate sind gar nicht kaputt? Warum, verdammt noch mal, bringen Sie uns dann um unsere Nachtruhe? Wegen so eine Lappalie!«
»So, so … für Sie ist das eine Lappalie. Ob kaputt oder nicht ist nebensächlich. Sie hatten vor, die Plakate zu zerstören. Das genügt!«, konterte sein stures Gegenüber.
Erst über eine Stunde später, inzwischen war es drei Uhr morgens und wir waren todmüde und erschöpft, ließ man uns laufen.
Die dämliche Frage: »Alles in Ordnung? Haben Sie irgendetwas zu beanstanden?«, triggerte Kai noch einmal gewaltig.
»Und ob ich das habe! Ihre Grünen auf der Wache waren schon reichlich unverschämt, aber was hier abging, geht über keine Kuhhaut! Das glaubt einem kein Mensch.«
Die Androhung, ob er auf eine weitere Anzeige mit Verhör Wert legen würde, brachte ihn sofort zum Schweigen.
Seit dieser erlebnisreichen Nacht betrachten Kai und ich jedes Plakat mit einer Art Ehrfurcht.