Читать книгу Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 1 - Giulianna G. Bailie - Страница 7
ОглавлениеKapitel 2
Die goldenen Sonnenstrahlen fielen auf die weissen Laken und erhellten das Zimmer. Rose blinzelte unter der Decke hervor und streckte ihre Glieder. Im ersten Moment war ihr nicht bewusst, wo sie sich befand. So gut hatte sie sich schon seit einiger Zeit nicht mehr gefühlt. Frisch und ausgeschlafen. Dies waren besondere Gaben, welche man nicht immer zur Verfügung hatte, was sie schmerzhaft gelernt hatte. Langsam kam die Erinnerung zurück und ein trüber Schleier legte sich über ihre Gedanken. Sie richtete sich langsam auf und sofort bemerkte sie, dass sie völlig unbekleidet war. Ihre Nerven begannen zu flattern und sie versuchte sich zu erinnern, wie sie ins Bett gekommen war. Trübe konnte sie eine Gestalt ausmachen, welche sie unter die Laken schob. Sie war nicht allein gewesen! Ein kurzer Blick über die weissen Laken machte ihr klar, dass sonst nichts geschehen war. Sie seufzte vor Erleichterung und lehnte sich ans Kopfende. Als sich ihre Atmung wieder normalisiert hatte, fragte sie sich, was sie überhaupt hätte dagegen tun können. Es fiel ihr noch immer schwer sich auf ihre neue Situation einzustellen. Sie schloss die Augen, sie musste sich endlich damit abfinden! Mit einem tiefen Seufzer öffnete sie wieder die Augen und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den hell erleuchteten Raum. Die Wanne war noch am selben Ort, wie letzte Nacht und auf dem runden Tisch stand ein Tablett. Sie schlüpfte aus dem Bett, nahm den Morgenmantel, der auf einen Stuhl hingelegt worden war und ging zu dem Tisch. Eier, Würstchen, Brot und Käse waren darauf zu finden. Sogar eine dampfende Tasse mit einem braunen Gebräu war daneben. Sie roch daran und erkannte es als Kaffee. Auch bei ihnen hatte es ab und zu von diesem braunen Gold gegeben, wenn die Handelsschiffe wieder nach Hause in den Hafen zurückgekehrt waren, dann waren sie voll mit eigenartigen Leckereien aus fremden Welten. Sie konnte sich noch gut daran erinnern als sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sie ihren Vater oft begleiten dürfen, wenn er die Ware begutachtete. Sie setzte sich mit einem Lächeln hin und fing an zu essen. So viele Köstlichkeiten auf einem Teller war sie nicht mehr gewohnt. Sie packte vorsichtshalber noch ein wenig Brot und Käse in ein Tuch. Schliesslich wusste sie sich nicht, ob sie hierbleiben konnte. Sie erhob sich und wollte es in ihren Beutel packen, als ihr einfiel, dass ihre Habseligkeiten noch vor der Haustür liegen mussten. Wie sollte sie jetzt nur ohne ein Kleid der Familie entgegentreten? Sie drehte sich und liess sich auf das Bett fallen. Diese Reise hatte sich zu einer völlig ungeordneten Katastrophe entwickelt! Typisch, dass es so kommen musste. Nur einmal könnte das Glück auf ihrer Seite liegen! Sie schüttelte ihren Kopf und sah an die Decke. Da hörte sie, wie die Tür des Pavillons aufgestossen wurde. Kurz darauf erblickte sie einen Butler, der durch die Tür kam und ihre Sachen auf den Armen trug. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Sie sprang auf und ging auf den Butler zu, um ihm ihre Sachen abzunehmen. Der Butler blickte sie etwas verwirrt an, erwiderte jedoch kein Wort.
„Ich danke euch vielmals“ sagte sie erleichtert. Der Butler nickte nur etwas steiff und ging rückwärts aus dem Pavillon. Als die Tür ins Schloss rastete, schüttete sie ihr Hab und Gut auf das Bett. Aus ihrem Leinensack nahm sie den Beutel mit dem Brot und den wenigen Silbermünzen und packte gleich den neuen Proviant hinein, dann nahm sie das braune Wollkleid und ihre Schuhe und zog sie an. Sie kramte den Rindslederbeutel unter dem Kissen hervor, hob ihren Rock und schnürte ihn unter ihr neues Kleid. Es sass perfekt und war bequem, ganz anders als das Alte, denn dieses war ihr viel zu gross gewesen. Sie hatte es in ihrer Not von einer Wäscheleine gestohlen, um nicht aufzufallen. Sie begutachtete sich kritisch vor dem Spiegel und überlegte, was sie mit ihrem Haar anfangen sollte. Es roch so wunderbar und ihre Locken fielen sanft auf ihre Schultern und verdeckten ein Paar der Kratzer auf ihrer Wange. Ungerne würde sie ihre Haare zusammenstecken, doch es war nicht sittsam die Haarpracht offen zu tragen, hier im Königsland. Sie verzog ihre Miene und kämmte mit ihren Fingern durch ihre Strähnen. Plötzlich bemerkte sie einen Schatten hinter sich. Sie wandte sich um und sah den Mann von letzter Nacht. War es üblich, dass er sich anschlich? Dass man in seiner Nähe so ein einengendes Gefühl in der Brust bekam? Das Herz schneller zu schlagen schien oder ging es vielleicht nur ihr so? Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie ihm Dankbar sein oder lieber auf Konfrontation gehen sollte. Dieses Gefühlsdurcheinander war sie überhaupt nicht gewohnt. Normalerweise konnte man sie nicht so schnell aus der Fassung bringen. Sie hatte ihre Gefühle eisern im Griff, doch dieser englische Kerl war ihr einfach zu… zu… unverschämt, genau dieses Wort hatte sie gesucht! Sie beäugten sich gegenseitig. Es schien als würde die Zeit stillstehen. Die Helligkeit im Raum gab ihr jedoch nun die Möglichkeit ihn richtig ansehen zu können. Seine Gestalt war noch beeindruckender als am Abend zuvor, als er von der Nacht umhüllt wurde und etwas Verzaubertes an sich hatte. Sie stützte sich auf dem Bettgeländer hinter ihrem Rücken ab, denn ihr Herz raste unablässig und sie konnte sich nicht erklären warum. Er bewegte sich von der Tür weg und kam in Richtung Bett. Sein Gang erinnerte sie an den eines Jägers, der seine Beute umkreiste. Sie drehte sich mit ihm, immer in seine Richtung blickend. Er blieb ungefähr drei Schritte vor ihr stehen. Seine Augen liessen sie nie aus dem Blick
„Hattet ihr eine gute Nacht?“
„Ja danke, das hatte ich. Ich möchte mich auch bei den Herrschaften bedanken für die Übernachtung hier im Pavillon und das köstliche Frühstück“ presste sie hervor und widerstand dem Drang ihre Arme vor der Brust zu verschränken. Es erschien ihr, als würde sein Blick durch ihr Kleid gehen. Er nickte nur und sagte
„Ihr könnt hier als Hausmädchen arbeiten. Ihr erhaltet sechzehn Schilling pro Woche, also rund drei ein viertel Pfund im Monat. Kost und Logis sind frei und ihr erhaltet massgeschneiderte Arbeitskleider“. Rose bekam grosse Augen
„Drei ein viertel Pfund im Monat?“ wiederholte sie halblaut. Er sah sie durchdringend an
„Ist das zu wenig?“ Rose schluckte und schüttelte den Kopf
„Nein, ich… Danke. Aber habt ihr mit den Herrschaften schon gesprochen? Damit sie auch wissen, dass Jemand neues anfängt? Ich weiss nicht, ob sie damit einverstanden sind, wenn jemand anderes entscheidet, wer bei ihnen im Haushalt arbeitet“
„Diese Entscheidungsgewalt obliegt mir, so wie es sich gehört“ meinte er süffisant und hob überlegen seine Augenbrauen „Wir haben wenig Angestellte. Diese müssen umso mehr Arbeit verrichten, also ist eine höhere Entlohnung angemessen. Du kannst gleich beginnen. Geh zu Molly in die Küche, sie wird dich in alles einweisen und auch dein Zimmer zeigen“. Er beobachtete sie scharf. Sie fühlte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Rose machte einen Schritt rückwärts. Oh sie hätte sich ohrfeigen können! Wie hatte sie nur so naiv sein können! Er war der Lord of Surrey und sie dumme Nuss hatte dies nicht erkannt! Sie liess ihren Blick schnell über die gesamte männliche Erscheinung gleiten. Heute trug er die besten Stoffe, war elegant gekleidet und man sah ihm den Reichtum und die Macht an. Aber Gestern… Gestern, war er so… gewöhnlich gekleidet gewesen und er hatte sie auch nicht über ihren Irrtum aufgeklärt! Sie presste ihre Lippen aufeinander. Er hatte es genossen das dumme Strassenmädchen in dem Irrglauben zu lassen, dass er nicht von höherem Stand sei! Vermutlich hatte er sich danach über sie lustig gemacht. Sie umklammerte die Bettstange hinter sich so fest, dass das Weisse ihrer Knöchel hervortrat. Sie konnte es nicht verhindern, sie funkelte ihn an. Seine Mundwinkel schienen zu zucken, doch es war so schnell wieder vorbei, dass sie dachte, sie hätte es sich bloss eingebildet.
„Ich bin Alexander de Warenne, Erbe der Grafschaft Surrey. Seit mein Vater erkrankt ist, bin ich hier für alles verantwortlich“ sagte er gedehnt und kam auf sie zu. Ganz dicht blieb er bei ihr stehen. Sein Blick fiel auf ihre halb offenen Lippen. „Ist das ein Hindernis?“ fragte er drohend. Sie blickte an ihm hinauf und sah tief in seine Augen
„Nein Mylord, kein Hindernis“ flüsterte sie fast atemlos. Er war so nah! Er wandte sich ab und verschwand aus dem Pavillon. Ihr schwindelte leicht und sie setzte sich vorsichtig aufs Bett. Sie atmete tief ein und aus. Vorhin hatte das beklemmende Gefühl des Erstickens sich ihrer bemächtigt. In was für eine Situation war sie da nur geraten?! Sie wusste ehrlich gesagt nicht, ob es gefährlicher war draussen im Wald zu sein oder hier in der Nähe dieses Mannes. Sie schauderte. Es führte jedoch kein Weg an ihm vorbei, sie brauchte das Geld. Sie versuchte den Schauder abzuschütteln, räumte ihre Sachen zusammen und stapelte sie auf dem Tisch. Sie trat aus dem Pavillon und lief auf das mächtige Haus der de Warennes zu. Es war, wie zu erwarten nicht nur von Aussen beeindruckend. Die Decken der Gänge waren hoch und ihre Schritte hallten in der Stille. An den Wänden hingen Bilder in Goldrahmen, grosse Spiegel und wertvolle alte Möbel standen in den Ecken. Sie schritt weiter voran und blickte von links nach rechts. Es war beeindruckend. Sie hatte bestimmt mehrere Gänge durchkreuzt, als sie in eine grosse fast kreisrunde Halle kam. Dies musste die Eingangshalle sein, denn auf der gegenüberliegenden Seite war eine grosse Flügeltür aus dunklem Holz. Ihr gegenüber war eine breite weisse Steintreppe, die in die obere Etage zu führen schien. Sie sah ein gemahlenes Muster auf dem edlen Steinboden. Runde schwarze Kreise mit schwungvollen Elementen verbunden. Sie folgte einer Linie, sah dann an die Decke und nun stand sie in der Mitte der Halle. Schwere Kronleuchter hingen hinab mit bestimmt drei Duzend grossen Wachskerzen. Es gab eine Galerie, die über die gesamte Haupthalle reichte. Sie erkannte grosse einzelne Portraits von Frauen und Männern. Eines stach ihr sofort ins Auge. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie bereits einen Fuss auf die Treppe gesetzt hatte ihr Blick auf ein Gemälde weiter hinten gerichtet. Da ging plötzlich auf der Seite eine Tür auf. Es kam eine junge blonde Frau, die einen Staubwedel hielt, aus der Tür. Ihre Schürze war ein wenig verrutscht und ihre Haare wurden nicht mehr ganz von der Haube verdeckt. Als sie Rose entdeckte, setzte sie ein spöttisches Lächeln auf und schnurrte
„Ah du musst also die Neue sein“ sie klang gerade so, als wäre ein neues Möbelstück in das Haus geliefert worden, was allerdings nicht besonders hübsch war. „Geh zu Molly, die sucht noch jemanden, der die Gemächer sauber macht, die Teppiche klopft, Feuerholz holt und noch so einiges… Ich bin im Moment sehr beschäftigt“. Sie kicherte und warf einen Blick in den Raum hinter der Tür zurück. Sie spielte mit ihrem Staubwedel und sah Rose herausfordernd an. „Na was denn?! Mach schon, Molly wartet nicht gerne. Ich bin übrigens Amelia“. Damit verschwand sie wieder hinter der Tür. Rose hatte nicht einmal die Möglichkeit etwas zu erwidern. Sie wandte sich um und ging in die Richtung in die Amelia gedeutet hatte, als sie von Molly sprach. Ein wenig abseits und vom Eingang her schlecht zu sehen, war eine kleine unspektakuläre Tür in der Wand. Sie stiess sie auf und stand nun in einem Gang idem ein weiteres Treppenhaus war. Es war schlicht aus Holz und nicht so hell. Hier brannten bereits Leuchten und zeigten die verschiedenen Treppen. Sie hörte das Klappern von Töpfen und folgte der Treppe nach unten. Ein weiterer Gang schien zwei Räume miteinander zu verbinden. Sie folgte weiter dem Klappern und kam in die grosszügige Küche. Wärme schlug ihr entgegen. Eine Frau mittleren Alters kniete am Boden und warf weitere Holzscheite in den Ofen
„Wie viele denn noch Emil?“ fragte sie harsch. Ein kräftiger Mann, der gerade die Ofentür aufzog, meinte
„Ich glaube, dass reicht Molly. Die Brote brauchen eine gewisse Hitze“. Molly ächzte und Emil half ihr auf die Beine. Die Frau war ein wenig rundlich und hatte braunes Haar, welches sie nach hinten gebunden hatte, aber sie trug keine Haube. Sie blickte auf und sah zu Rose, die vor der Treppe stehen geblieben war
„Ja guten Morgen, ich bin Molly“ sie wischte ihre Hände an der Schürze ab und ging auf Rose zu.
„Guten Morgen, ich bin Rose. Ich bin die neue Hilfe“. Sie schüttelten sich die Hände und lächelten sich zu
„Ja ich kann wirklich etwas Hilfe gebrauchen, denn wir sind nicht gerade viele. Und nicht alle sind einem eine gute Hilfe“ sie seufzte und sah dann zum Mann am Ofen „Das ist Emil. Er ist unser Koch. Er kommt so oft er kann“. Emil nickte ihr freundlich zu. „Zum Glück ist die Mehrheit der Familie nicht so anspruchsvoll, so dass ich in dieser schweren Zeit oft koche und damit die Familie versorge“
„Die Familie hat nur teilweise einen Koch?“ fragte Rose verblüfft. Mollys Wangen färbten sich zart rosa und sie fingerte an ihrer Schürze umher
„Nun weisst du Mädchen, dass hier ist momentan eine schwere Zeit für die Familie de Warenne… Emil hat ein besonderes Talent in der Küche“ sie lächelte ihm zu „Doch selbst hat er Land, welches er bewirtschaften muss... aber jetzt genug des Schwatzens… du wirst es mit der Zeit schon sehen“. Rose stocherte nicht weiter nach. Molly war es offensichtlich unangenehm gewesen, vermutlich da sie noch neu war und Molly erst sehen wollte, ob sie ihr vertrauen konnte. Sie folgte Molly, die sie mit allen Räumlichkeiten vertraut machte und über den Tagesablauf der einzelnen Familienmitglieder sprach. Ebenfalls lernte sie im Laufe des Tages alle Hausangestellten kennen und sie war überrascht, wie wenig sie wirklich waren. Abgesehen von Emil, dem Stallburschen und Demjenigen, der sich um das Land kümmerte, konnte sie die Hausangestellten an einer Hand abzählen. Molly sagte ihr, dass alle Familienmitglieder mehr oder weniger mit den begrenzten Dienstboten zu recht kamen und sie alle auf spezielle Annehmlichkeiten, wie Diener vor den Türen, grosszügigerweise, verzichteten, damit die wenigen, die geblieben waren sich um die wichtigsten Dinge kümmern konnte. Wenn allerdings hoher Besuch kam oder eine Gesellschaft ausstand, kam für diesen Anlass zusätzliches Personal ins Herrenhaus. Molly wies sie in alle Tätigkeiten ein und erklärte ihr auf was sie zu Achten hatte. Nach Stunden des Herumlaufens, hatte sie endlich eine Arbeit beginnen können. Molly zeigte ihr den Besenschrank und den Brunnen, damit sie sich an die Arbeit machen konnte. „Gott Kindchen!“ rief sie aus und fasste nach ihren Händen „Du hast wohl noch nie harte Arbeit verrichten müssen was?“ Sie schüttelte den Kopf ungläubig und reichte ihr den Lappen. Rose verbarg etwas beschämt ihre Hände in der geliehenen Schürze, erwiderte allerdings nichts und so wie es aussah, sagte Molly auch nichts weiter dazu. Sie machte sich alleine auf den Weg zum Salon und begann ihre Arbeit. Sie zog die Laken von den Möbeln und Sitzflächen und klopfte sie ordentlich aus. Die Lady des Hauses, so hatte es ihr Molly gesagt, hatte darauf bestanden wenigstens einen Salon im Erdgeschoss frei zu räumen, falls einmal Gäste erscheinen sollten. Molly hatte ihr, einige Stunden nach dem die Sonne untergegangen war, geraten sich an ihrem ersten Tag nicht zu überanstrengen und ihr Bett nicht lange warten zu lassen. Den Salon könne sie auch noch am nächsten Tag fertigstellen. Aber Rose hatte noch keine Lust oder gar Müdigkeit verspürt. Sie hatte den gesamten Salon gereinigt. Erst als es Mitternacht wurde, hatte sie den Eimer mit dem Schmutzwasser gepackt, die Kerzen gelöscht und war hinunter in die Küche gegangen. Lichterschatten tanzten in der dunklen Küche umher. Das Feuer war noch nicht ganz ausgegangen. Sie stellte den Eimer neben dem Kamin zu Boden und kniete sich hin. Ihre Hände waren rot und rau, doch sie hielt sie trotzdem zu den Flammen. Das ganze Haus war gespenstisch still und nach so vielen Stunden in denen sie beschäftigt gewesen war, kamen ihre Sorgen zurück. Sie blickte auf ein Holzscheit, welches vor sich hin kokelte und immer wieder einmal knisterte. Eigentlich müsste sie jetzt zufrieden sein. Sie hatte eine Arbeit, bekam genügend Geld… und hatte ein sicheres Versteck… doch merkwürdigerweise wollte sich keine Sicherheit einstellen. Es war auf einmal so ungewohnt nicht immer über die Schultern blicken zu müssen und zu hoffen, dass er nicht hinter ihr her war. Ungewohnt in einem Haus zu schlafen, essen zu haben und sich nicht um ihre Tugend sorgen zu müssen. Ihr Kopf wollte es scheinbar nicht akzeptieren
„Ach verdammt… bist du den nie zufrieden?!“ schollt sie sich.
„Mit was nicht zufrieden?“ erklang eine ruhige tiefe Stimme hinter ihr. Rose warf vor Schreck den Eimer um und sprang auf. Es schepperte und das ganze Wasser verteilte sich über den Boden. „Verzeihung, ich wollte euch nicht ängstigen“ antwortete er mit seiner rauen Stimme.
„Mylord!“ nickte sie. Ihr Herz galoppierte und sie presste eine Hand auf ihre Brust. Warum in drei Teufelsnamen?! Aber sie konnte die Worte gerade noch zurückbehalten und sagte stattdessen „Ich bin nicht ängstlich! Ich bin es nur nicht gewohnt von Jemandem angeschlichen zu werden“ sagte sie erregt. Sie versuchte die aufsteigende Verärgerung zu verbergen, was ihr allerdings sehr schlecht gelang. Er schien nicht weiter darauf einzugehen und musterte sie. Er musterte sie gründlich, fast schon obszön. Rose stand stocksteif da und funkelte ihn an. Was erlaubte dieser Hüne sich eigentlich?! Sie wusste, dass es Herrschaften gab, die sich an ihren Angestellten vergingen und sich mit ihnen vergnügten, doch so eine war sie nicht und würde auch keine werden! Sie hatte das Gefühl ihr Zittern und ihr lauter Herzschlag könnte man von weither sehen und hören. Unerklärlicherweise war sie sich nicht sicher was ihr mehr den Atem verschlug, dieser Hüne, der sie mit seinen Augen verschlang oder ihr eigenes verräterisches Interesse an ihm.
„Warum bist du noch hier unten? Es ist schon zu spät, um noch einer Arbeit nachzugehen“ meinte er kühl. Er schien sie genug geprüft zu haben und sah ihr nun wieder in die Augen. Rose spürte, wie sich ihre Glieder langsam aus der Erstarrung lösten
„Ich wollte diese Arbeit noch vor dem zu Bett gehen beenden Mylord“ war ihre Antwort. Rose nahm den Lappen auf, womit sie Staub gewischt hatte und warf ihn in den leeren Eimer. Das Wasser, welches über den Boden rann, war schon in den unterirdischen Kanal gelaufen der unter der ganzen Anlage lag. Den Eimer stellte sie in eine Ecke und wollte an ihm vorbei gehen, doch er schnitt ihr den Weg ab und hielt sie grob am Arm fest
„Ich bin noch nicht fertig. Woher hast du die Rolle Pergament?“ sagte er bedrohlich. Rose sah ihn eine Zeitlang an und wusste nicht genau von was er sprach, dann fiel ihr ein, dass Norman ihr ein Paket gereicht hatte mit dem Auftrag es nur Lord Blackheat persönlich zu übergeben. Rose riss ihren Arm los, empört über den anschuldigenden Ton und fragte sich, ob sie diesem arroganten Tölpel eine Antwort geben oder ihn in Ungewissheit lassen sollte. Sie entschied sich aber angesichts seines durchdringenden Blickes, ihm eine Antwort zu geben
„Norman der Wirt hat es mir aufgetragen und gesagt ich dürfe es nur Lord Blackheat übergeben! Was ich auch vorhatte, bevor ich von einer Bestie verfolgt wurde! Mittlerweile hatte ich es allerdings vergessen, doch ich habe auch nicht damit gerechnet, dass mein Hab und Gut durchsucht wird“. Ihm schien die Zweideutigkeit nicht entgangen zu sein. Er sah sie prüfend an und sagte dann
„Ich bin mir noch nicht sicher, ob mich diese Antwort zufrieden stellt. Ich werde sie jedenfalls überprüfen“. Rose sah ihm in die Augen, erst jetzt bemerkte sie, dass diese eigentlich von sehr dunklem braun waren. Noch nie hatte sie so dunkle Augen gesehen. In der Nacht zuvor waren sie ihr schwarz vorgekommen und tot. Nun erkannte sie weiche Augen in denen viel Gefühl lag, doch schnell verdunkelten sie sich wieder und waren starr und unnachgiebig. Er drehte sich um und ging aus der Küche ohne ein weiteres Wort. Der Hüne liess Rose mit ihren Gedanken allein zurück. Sie war verwirrt. Eine bessere Beschreibung gab es nicht. Sie stand noch geraume Zeit im Dunkeln der Küche und liess die Situation revue passieren. Als sie sich wieder fing, schleppte sie sich erschöpft in ihre Kammer. Molly hatte sie ihr im Laufe des Tages gezeigt. Als sie in der Kammer ankam, überkam sie auch die Müdigkeit. Sie goss Wasser aus der Kanne in eine Keramikschale und wusch sich damit den Schmutz aus dem Gesicht, zog ihre Kleider aus und schlüpfte in ihr Nachthemd. Sie kroch unter die weichen Laken und legte sich auf ihr Bett. Die Matratze und das Kissen waren mit Stroh gefüllt, wie es in den meisten vornehmen Häusern, bei den Bediensteten, der Fall war. Es vergingen nur Sekunden und Rose verfiel Morpheus.
Ω
Alexander schaute sie misstrauisch an. Es gab nur wenige Menschen, welchen er sein Vertrauen schenkte und sie, das wusste er, hatte irgendetwas das ihn verwirrte. Ein Detail, welches nicht zu ihrer Person passte. Bei anderen hätte er sofort die Karten auf den Tisch gelegt, hätte darauf bestanden die Wahrheit zu erfahren. Er hatte bei ihr allerdings ein anderes Gefühl… sie versuchte zwar etwas zu verbergen, doch seine Sinne waren nicht so beunruhigt, dass er fürchten müsste, sie würde ihn in der Nacht erdolchen. Allerdings war da ja noch die Sache mit dem Brief. Sein Blick wanderte von ihrem bezaubernden Gesicht, welches weder durch Schmutz noch von Kratzern getrübt werden konnte, über stechend grüne Augen, die ihn anfunkelten, weiter hinab zu ihrem anmutigen Hals, der so zart war, als würde er bei der kleinsten Berührung zersplittern, zu den bebenden Brüsten die voll und erregt waren. Er musste seinen Blick davon losreissen und wanderte weiter zu ihrer Taille. Sie hatte einladende Hüften, die dann zu muskulösen Beinen gehen mussten. Jetzt konnte er sie nicht sehen, da der weite Rock sie verdeckte, doch Gestern hatte er sie deutlich gespürt, als er sie gegen das Tor gedrückt hatte. Als sein Blick wieder nach oben wanderte, hätte er am liebsten das Weite gesucht. Wenn diese grünen giftigen Augen Pfeile schiessen könnten, würde er gleich jetzt qualvoll am Boden liegen und sich vor Schmerzen winden. Trotz dem Wissen, dass sie etwas Essentielles vor ihm verheimlichte, konnte er die Faszination an ihrem Wesen, an ihrer Person, einfach unmöglich leugnen. Sie war anscheinend wütend über seinen Verdacht, doch dies konnte auch gespielt sein. Er hatte die Zweideutigkeit ihrer Worte eine Bestie, durchaus für sich gedeutet. Er musste klar machen, dass er ihre Geschichte überprüfen würde. Ihre Worte klangen allerdings aufrichtig und meist wusste er, wann man ihn belog und dann war dieser Moment gekommen. Sie hatte ihm in die Augen gesehen und er spürte, wie sie ihn durchforstet hatte. Er war unachtsam gewesen. Das Betrachten ihrer Erscheinung hatte ihn veranlasst Gefühle zu offenbaren, die er nicht hatte. Als hätte sie ihn in einem seiner schweren Momente gesehen… Sein Körper hatte reagiert, während sein Verstand noch schlief. Er hatte die Küche verlassen und war von diesem Wesen, welches ihn immer mehr verwirrte, geflohen. Alec ging grossen Schrittes in Richtung seiner Kammer. Was war nur mit dieser Person? Er hatte sie heute ein wenig beobachtet, als sie es nicht bemerkt hatte. Sie war freundlich und Molly anscheinend eine grosse Hilfe, doch immer, wenn sie ihn erblickt hatte oder vorhin als er mit ihr sprach, bekam sie diesen unnachgiebigen Blick, der ihn zu durchbohren schien. Aber vertrackterweise fühlte er sich von ihr angezogen. So etwas hatte er nicht mehr von seinem Körper gespürt, seit er ein junger Spund gewesen war. Dieses Gefühl, dass sein Körper von dieser Frau ersehnte, konnte er nur schwer unterdrücken... Es lag sicher daran, dass er schon einige Zeit enthaltsam gelebt hatte... Er müsste sich nur wieder einmal dem Vergnügen hingeben... In seiner Kammer angekommen, nahm er wie üblich auf seiner Chaiselongue platz. Carson hatte eine Flasche Brandy bereitgestellt und das Kaminfeuer geschürt. Er goss sich ein Glas ein und trank es in kurzen Schlucken aus, bevor er es wieder füllte. Er wusste gar nicht mehr, wie lange er schon kein Auge mehr ohne Alkohol zugetan hatte. Es war so einfach. Es betäubte ihn, liess ihn wenigstens für einige Stunden einschlafen und morgen musste er ausgeschlafen sein. Er hatte vor ein Bataillon für den König zusammenzustellen und mit Rickard nach Carlisle zu senden. Von dort aus wäre es nicht mehr weit bis zur schottischen Grenze. Er schwenkte sein Glas und fragte sich, wie lange der König Krieg gegen die Schotten führen wollte. Die Vorstellung Carlisle voll auszukosten spukte immer bewusster in seinen Gedanken herum. Eine Frau war nicht nötig. Frauen machten nur alles komplizierter. Aber der König hatte ihm schon beim letzten Besuch nahegelegt, er möge sich eine Frau nehmen, am besten strategisch günstig. Natürlich strategisch günstig für den König. Er stellte gar einen höheren Titel in Aussicht. Er seufzte und setzte das Glas an seine Lippen. Bis auf Weiteres müsste er allerdings in der Gunst des Königs stehen bleiben und für ihn in den Krieg ziehen. Die Flüssigkeit wärmte seine Kehle und bahnte sich einen Weg in seinen Magen. Er hatte bisher nichts dagegen einzuwenden gehabt, doch in den letzten Monaten regte sich Unmut in ihm, woran Teils der Thronwechsel von Henry VII auf seinen Sohn Henry VIII schuld hatte… aber auch seit er hier bei seinem Vater auf dem Land war, wuchs der Wunsch in ihm auf seinen eigenen Ländereien die Arbeit zu übernehmen. Vielleicht sollte er die Idee mit einer Ehefrau noch nicht ganz verwerfen, immerhin könnte es Vorteile haben und somit hätte er als letzte Diensttat dem König erneut seine Gunst erwiesen. Mit diesem letzten Gedanken schlief Alexander ein.
Ω
Die Sonne ging auf, berührte mit ihren Strahlen die Tautropfen auf den Blüten der Blumen, um sie aus ihrem Schlaf zu rütteln. Die Knospen richteten sich auf gen Himmel zur Sonne und fingen bald darauf an sich zu öffnen. Es war ein zu betörendes Bild, als dass man es sich entgehen lassen konnte. Wie die Morgenröte sich über den noch fast dunklen Himmel kämpfte und ihn in ein zartes rosa verwandelte. Rose wickelte sich noch mehr in ihren Mantel aus brauner Schafswolle und erschauerte. Es waren nun schon einige Wochen vergangen seit sie hier war und so oft sie konnte, musste sie sich den Sonnenaufgang in diesem kleinen abgetrennten Garten ansehen. Er gehörte noch zu der grossen Anlage, hatte aber eine separate Tür. Als Rose den Garten zum ersten Mal gesehen hatte, erinnerte es sie an den Garten ihrer Mutter. Aber hier hatte, bis vor ein paar Wochen, nur Unkraut sein Zuhause gefunden und er war verwüstet worden, fast als hätte ihn jemand zerstört. Sie hatte ihn, jetzt da sie ihn entdeckt hatte, nicht in diesem Zustand lassen können. Sie hatte sich heimlich an die Arbeit gemacht und den Garten auf Vordermann gebracht. Nun würden nach und nach die verschiedenen Blumen wie Rosen, Veilchen, Tulpen, Orchideen, verschiedene Irisarten und wunderschöne Lilien wachsen. Dieser Garten war in den letzten Wochen ihre Ruhequelle geworden. All die Ängste und Unsicherheiten begannen sich zu legen, seit sie sich den Garten vorgenommen hatte. Ihre Mutter hatte Blumen genauso geliebt und ihren Garten mit derselben Sorgfalt gepflegt. Die vielen Düfte, die ihre Sinne verzauberten und sie alles vergessen liess. Wenn es so weitergehen würde, dann wäre es wohl der perfekte Ort für sie. Bis jetzt hatte sie niemand verdächtiges hier gesehen oder von jemandem gehört, dass man eine Frau in ihrem Alter suchte. Ihre Täuschung war aufgegangen und würde ihr die Zeit verschaffen, genügend Geld zu verdienen und ihr Vorhaben umzusetzen. Ausserdem waren Molly, Emil und der gut situierte Carson nette Menschen und gaben ihr das Gefühl geborgen zu sein. Was sie ebenfalls positiv wertete war, dass sie nicht wieder den Weg mit dem jungen, unverschämt gutaussehenden Lord Blackheat gekreuzt hatte. Was sicher auch daran lag, dass sie es tunlichst vermied ihn irgendwo alleine anzutreffen. Aber die meiste Zeit war er im Arbeitszimmer oder wie Carson ihr erzählte auf den Ländereien seines Vaters unterwegs. Doch auch wenn Rose sich einredete, dass sie darüber äussert erfreut war, gab es tief in ihrer Magengrube ein Bedauern. Sie verdrängte dieses merkwürdige Gefühl jedoch. Heute war ihr erster freier Tag und sie wusste nicht so recht was sie damit anfangen sollte. Sie dachte daran in die riesige Bibliothek zu gehen und sich einem schon lange nicht mehr gegönnten Vergnügen hinzugeben. Bei ihren Putzaktionen mit Molly hatte sie sich immer wieder dabei ertappt, wie sie die Bücherbänder und die alten Schriftrollen durchging, um zu sehen, welche Werke darin standen, doch vor Molly konnte sie nicht gut danach fragen, ob sie ein Buch ausleihen dürfe. Es gab selten Hausangestellte, welche lesen konnten. Sie wollte sich schliesslich nicht über die anderen stellen und so wenig wie möglich auffallen, aber heute hätte sie die Gelegenheit. Molly war auf den Markt gegangen und Carson war anderweitig beschäftigt. Von diesem Gedanken beflügelt eilte sie die Steintreppe im Garten hinauf und ging den Aussen mit grossen weissen Säulen bestückten Gang entlang, trat durch die Seitentür ins Haus und lief weiter bis sie in der Eingangshalle war. Die grosse Marmortreppe, die in den ersten Stock führte, türmte sich vor ihr auf. Niemand war hier, sie sah nach links und rechts und nahm dann zwei Stufen auf einmal. Sie lauschte und konnte immer noch kein Geräusch ausmachen, dass eine weitere Person ankündigte. Sie trat auf die Galerie und lief an den vielen grossen, kleinen und mittelgrossen Gemälden vorbei. Einige zeigten stattliche Herren einmal in ihren Jagdkostümen und mit ihren Jagdhunden oder hoch zu Pferd. Daneben gab es Portraits von eleganten Damen und kleinen Kindern. Sie hielt inne und besah sich ein kleineres Gemälde.
„Alice Charlotte de Warenne“ las sie leise vor. Rose hielt inne und trat näher. Sie fand, dass der Maler die Distanziertheit und die kühle Aura, welche die Lady des Hauses immer zu umgeben schien, ziemlich prägnant in diesem Kunstwerk erfasst hatte. Ihr hüftlanges braunes Haar war streng zusammengebunden und hinter ihrem Nacken befestigt worden. Die eisblauen Augen starrten stur geradeaus, während ihre Hände vorbildlich in ihrem Schoss gefaltet lagen. Durch das dunkle Kleid wurde die Blässe ihrer Haut besonders betont. Sie wusste, dass dies dem Schönheitsideal entsprach, aber für Rose wirkte das gesamte Gemälde dadurch nur grotesker, da die Lady in ihren Augen kränklich erschien. Sie trat wieder etwas zurück und stutzte. Die Wand hinter dem Gemälde schien vergilbt und man konnte deutlich erkennen, dass zuvor hier ein anderes, grösseres gehangen haben musste. Sie lief ein Bild weiter und entdeckte das Bild des Hausherren John Alexander de Warenne. Er musste zum Zeitpunkt dieses Gemäldes noch ziemlich jung gewesen sein. Er war grossgewachsen, hatte breite Schultern und dunkelblondes nackenlanges Haar. Ein verwegenes Lächeln lag auf seinen Lippen. Mit der einen Hand hielt er die Zügel eines Braunen und die andere berührte den Schaft seines Degens, welcher in einer Scheide steckte, der um seine Hüfte hing. Sie fand ebenso die Gemälde von Rickard Ramsey Hugh de Warenne, der dasselbe verwegene Lächeln, wie sein Vater auf den Lippen trug und jenes von einem kleinen süss dreinblickenden Kind. „Elaine Elizabeth Alice de Warenne“ las sie auf dem Namensschild. Sie schmunzelte. Aber ihre Augen suchten schon länger nach einem anderen Gemälde. Sie lief weiter fast bis zum Ende und da entdeckte sie es. Ihr Herzschlag beschleunigte sich auf einmal und sie war von den dunkeln Augen gefesselt. Obwohl sie so dunkel, wie die echten waren, so waren diese hier voller Gefühl und Tiefgang. Sie hatte beinahe das Gefühl diese Augen würden sie tatsächlich anstarren. Er stand nahe eines grossen Baumes und die Sonne schien soeben unterzugehen. Im Gegensatz zu den anderen Herrschaften schien er ganz schlicht gekleidet zu sein. Er war fast ganz in schwarz gehüllt und der Mantel spielte um seine Knöchel. Das weisse Leinenhemd war halb offen und der V Ausschnitt zeigte etwas von seiner Brust. Er war stattlich gebaut, die breiten Schultern schien er schon in jungen Jahren gehabt zu haben. Er konnte hier nicht viel älter als siebzehn gewesen sein. Aber im Unterschied zu seinem Vater und Bruder waren seine Lippen geschlossen und ausdrucklos. Sein Blick war hart, unnachgiebig und verschlossen… genau wie sie ihn bisher erlebt hatte. Er war halb im Profil gemalt und dies sorgte dafür, dass er überheblich und stolz wirkte. Genauso wie sie ihn kennen gelernt hatte… sie kniff ihre Augen zusammen. Sie konnte sich nicht entscheiden… irgendwie mochte sie dieses Gemälde nicht und doch… doch hatte der Maler seine Augen, die Tiefen in denen sie einen grauen Schimmer ausgemacht hatte, so lebendig getroffen. „Alexander John Arthur“ formten ihre Lippen fast lautlos. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon davorgestanden hatte, doch sie musste sich davon losreissen. Sie schritt von der Galerie und folgte dem langen Gang im ersten Stock in den viele kleine Seitengänge mündeten. Sie ging ihn entlang und bog beim vierten Gang rechts ab. Vor der riesigen Eichentür blieb sie stehen und blickte sich nochmals um. Weiter oben war gerade eine Tür geschlossen worden, aber niemand war zu sehen. Sie lehnte sich mit ihrer ganzen Körperkraft gegen die Tür, schob sie auf und trat in den hohen Raum, den duzende Regale säumten. Rundherum verliefen die Regale und liessen nur hie und da Platz für die grossen Holzfenster. Der Geruch war angenehm, dass hiess, wenn jemand diesen mochte. Jedes einzelne Buch, jede Schriftrolle, jede Fibel und jeder Gedichtband schien eine eigene Geschichte zu erzählen. An den hohen Regalen stand auf der linken Seite, gerade neben einem Holzfenster, eine verschiebbare Leiter. Sie reichte bis in die obersten Regalplatten. Rose schloss die Tür, ging Richtung Kamin und zur Sitzecke in welcher der braune Ohrensessel stand. Sie nahm ein paar Holzscheite und stapelte sie im Kamin zu einem Dreieck, warf ein wenig Schwarzpulver über die Scheite, schlug mit dem Feuerstein auf das Schlageisen und entzündete somit das Feuer. Die Wärme breitete sich nur zögernd in dem übergrossen Raum aus. Sie liess ihren Blick über die Regale schweifen und fand bald darauf was sie suchte. Sie holte die Leiter schob sie zum gewünschten Regal und kletterte die Stufen hinauf. Oben angekommen liess sie ihren Zeigefinger über die Rücken der Bücher fahren und formte tonlos mit den Lippen die Titel. Sie fand das Buch über die Reisen von John Maundevylle und als sie weiter suchte stolperte sie über die Legenden von Alexander dem Grossen. Sie kramte noch weitere Bücher hinaus und setzte sich dann mit einem Stapel in den Ohrensessel, der dem Kamin am nächsten war.
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Alec stieg von seinem Streitross und tätschelte Aracs Flanke. Er hatte ihn vor vier Jahren einem sarazenischen Händler abgekauft und ihn selbst zugeritten. Nur Alec selber konnte auf Arac reiten, jeden anderen hatte er bisher abgeworfen. Er war ein stolzer schwarzer, etwas zu gross geratener Araber, aber das war für Alec mit seiner Grösse eher ein Vorteil. Er drückte die Zügel dem Stallburschen in die Hand und sagte
„Wasch ihn gut ab, trockne ihn und gib ihm eine grosse Portion Hafer. Es waren anstrengende Tage“. Er warf einen Blick in den Himmel und ging Richtung Haupthaus. Er hatte nicht beabsichtigst so lange unterwegs zu sein, doch der häufige Regen und die Rekrutierung eines Heeres beanspruchten mehr Zeit als er gedacht hatte. Wenigstens hatte er jetzt ein Bataillon erstellt und mit seinem Bruder Richtung Carlisle reiten lassen. Nun war er erschöpft und wollte sich ein Bad gönnen, denn er stand vor Dreck und stank fürchterlich. Er ging ins Haupthaus, da kam ihm auch schon Carson entgegen
„Mylord, ich habe schon eine Wanne für sie bereitstellen lassen. Molly wird ihnen nachher noch ihr Abendmahl servieren“. Alec nickte dankend und ging in den dritten Stock. Seine Gedanken schwirrten noch immer um das Bataillon und die unausweichlich bevorstehende Schlacht, als er sich in die schützende Wärme seiner Wanne begab. Er wusch sich den Schlamm von der Haut und massierte seine muskulösen Schenkel. Die letzten drei Wochen waren anstrengend gewesen, so dass er nur ab und zu im Arbeitszimmer seines Vaters den Papierkram erledigen konnte und dann sein Bett aufsuchte, um noch ein, zwei Stunden schlafen zu können. Aber die Alpträume gewährten ihm auch jetzt keine Ruhe. Schon seit Jahren war es nun so. Er wusch sich sein Haar und wollte gerade aus der Wanne, als es an der Tür klopfte. Da sah er schon den Kopf seiner Halbschwester Elaine. Er bedeckte seine Blösse mit einem Tuch und stieg aus dem Zuber. Elaine kam lächelnd auf ihn zu und warf sich in seine Arme
„Ich dachte schon ich würde dich gar nicht mehr wiedersehen, bevor ich nach Cornwall reise“ sagte seine Halbschwester stürmisch. Er legte einen Arm um sie und drückte sie gegen sich. Seine Halbschwester war der reinste Sonnenschein. Sie war erst junge vierzehn und hatte, wie die meisten in ihrem Alter, eine blühende Phantasie. Sie war gross, wie alle in der Familie. Sie hatte langes braunes Haar, wie ihre Mutter und veilchenblaue Augen. Ihre Haut war leicht gebräunt, die Nase war schlank und gerade und ihre Lippen waren eher schmal als üppig. Sie war ihm das Liebste hier. Wenn sein Vater sterben würde, dann wollte er seine Halbschwester zu sich nehmen.
„Warum? Denkst du, dass ich dich einfach nach Cornwall lasse, ohne dass ich mich verabschieden kann?!“ meinte Alec in einem gespielt verärgerten Ton. Seine Halbschwester lächelte ihn an und meinte
„Du warst in der letzten Zeit sehr beschäftigt, dass Mutter und ich dich gar nicht zu Gesicht bekommen haben. Ich dachte ich müsse versauern bei den Veranstaltungen von Mutter, du weisst, dass ich diese Damengesellschaften nicht ausstehen kann“
„Elaine… du solltest dich nicht so ausdrücken, dass ziemt sich nicht für eine Lady“ mahnte sie Alec. Elaine warf ihm einen bösen Blick zu und Alexander fing an zu lachen. „Oh junge Dame, ich weiss, dass du diese Gesellschaften nicht magst, aber es gehört nun mal dazu. Auch bei Tante Catherine wird es ausschliesslich diese Art von Vergnügungen geben. Der Winter ist vorbei. Du weisst, dass du im September in die Gesellschaft eingeführt wirst. Dies bedeutet, dass Tante Catherine und Mutter dich nun über die Sommermonate auf dein Debut vorbereiten werden“
„Bedeutet das du wirst ebenfalls dabei sein?“ fragte Elaine nun wieder ein wenig erleichtert. Alec lächelte sie an
„Es tut mir leid Elaine. Wichtige Verpflichtungen werden mich vermutlich hier aufhalten, meine liebe Schwester“ sagte Alec langsam und sah seiner Halbschwester in die Augen. Ihre Augen verdunkelten sich und sie sah in eine andere Richtung
„Ich bin erwachsen und ich weiss, dass du viele Pflichten hast… aber die Familie ist genauso wichtig Alec. Ich habe dich Jahre nicht gesehen, bevor Vater…“ sie brach ab und schluckte „Also sehe ich dich diese Woche noch? Mutter und ich werden in zwei Wochen zu Tante Cathy fahren“. Elaine küsste ihn auf die Wange und ging zur Tür. Als sie die Tür öffnete, kam gerade Molly hinein und brachte das Nachtessen für Alec. Er bedankte sich bei Molly und fing an lustlos mit seinem spitzen Dolch getrocknetes Fleisch aufzuspiessen. Er schob das Tablett auf die Seite und schlüpfte in Hemd und Hose. Er musste sich die Pläne ansehen, die sie in der Bibliothek aufbewahrten. Möglicherweise müsste er neue anfertigen. Er schlenderte in den ersten Stock und bog in den vierten Gang. Vor der dicken Tür roch er den Duft von verbrennendem Holz. Er runzelte die Stirn, stiess sie auf und blickte in Richtung des alten Kamins. Ein Ohrensessel war gegen den Kamin gedreht, er konnte nicht erkennen wer in dem Stuhl sass.
„Elaine?“ fragte er zögerlich. Aber seine Schwester oder seine Stiefmutter konnten es nicht sein und sein Vater war immer noch bettlägerig. Zumindest hatte er nichts anderes vernommen bis zu diesem Zeitpunkt. Hatten sie jetzt schon Eindringlinge, ohne dass man sie bemerkte? Als er den Stuhl schon fast erreicht hatte, erkannte er eine weibliche Gestalt, die zusammen gesunken im Sessel lag und zu ihren Füssen stapelten sich einige Bücher. In der Hand hatte sie noch ein aufgeschlagenes Werk. Erst jetzt erkannte er die Person. Es war Rose, das neue Dienstmädchen. Ihr dunkles Haar fiel über ihre Schulter und die Armlehne des Stuhles. Es berührte beinahe den Boden. Im Schein des Feuers hatte es einen leicht roten Stich. Es schimmerte, als wäre es aus Samt. Bevor er es bewusst bemerkt hatte, war er hingekniet und eine ihrer Locken fand sich zwischen seinen Fingern wieder. Er roch daran und schloss seine Augen. Ein blumiger mit Asche vermischter Duft gab die Locke wider. Dieses winzige Detail liess ihn schmunzeln und er öffnete seine Augen wieder. Zwei grüne, weit aufgerissene Augen starrten ihn an. Die Dienstmagd sprang vor Schreck auf und sah ihn verängstigt an
„Es tut mir leid Mylord, ich... ich das ist mein freier Arbeitstag...und ich...“ stammelte sie. Noch immer benommen von dem Duft ihrer Haare, konnte er ihre Worte gar nicht richtig aufnehmen. Es schien, als würde eine Ewigkeit vergehen, bis er einen Schritt auf sie zu trat und dann dicht vor ihr stehen blieb. Ihre Augen blickten verwirrt und sie atmete ganz flach. Seine Hand hob sich und berührte ihre Wange. Die grünen Augen fesselten ihn und schienen ihn aufzufordern näher zu kommen. Er strich mit dem Daumen über ihre Wange bis hinunter zu ihren halb geöffneten Lippen. Ihre Haut war so unglaublich zart. Er sah ihre vollen Lippen und der Gedanke, an ihren auf seinen, liess ihn schwer Schlucken. In diesem Moment brach die gesamte enthaltsame Zurückhaltung aus ihm heraus. Er sah, wie sie erschauerte und merkte, dass sie widersprechen wollte. Doch diese Gelegenheit wollte er ihr nicht geben. Er senkte, mit einem letzten tiefen Blick in ihre Augen, seine fast trockenen Lippen auf ihre. Das Kribbeln in seinen Lippen liess nach, aber es fegte wie ein Sturm über seine Lenden, als er ihre zarte Haut unter sich spürte. Ihre Lippen schmeckten so süss, als bestünden sie aus dem vollkommensten Honig. Er wollte jeden Winkel auskosten und fuhr mit seiner Zunge vorsichtig über sie. Gleichzeitig liess er seine Hand an ihrem Körper hinuntergleiten und erkundete sanft ihre wohlgeformten Rundungen. Er agierte, wie ein Tier das keine Anleitung benötigte, sondern rein seinen Sinnen vertraute. Er hatte keine Kontrolle. Er musste ihren Mund erkunden. Mit seiner Zunge bahnte er sich behutsam einen Weg in ihre warme, feuchte Höhle und sie liess ihn, zu seinem Erstaunen, gewähren. Damit hatte er nicht gerechnet. Das Gefühl, dass deshalb in ihm aufstieg, zog ihn in einen Strudel der Ektase. Er schlang unbändig seine Arme um sie und sie liess sich gegen ihn fallen. Dieses Vertrauen, dass sie ihm zu schenken schien, liess seinen Körper aufs Schärfste reagieren. Der Kuss liess ihn alles vergessen. Die Zeit schien still zu stehen und er wollte sich nie wieder aus dieser warmen und weichen Umarmung lösen.
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Als er vor ihr gestanden hatte, hatte sich ihr Herzschlag beschleunigt. Dieser Engländer war verwirrend gutaussehend und einnehmend! Als er nichts erwidert hatte, wurde sie nervös. Sie war angewurzelt stehen geblieben und als er einen Schritt auf sie zu machte, konnte sie nur in seine dunklen Augen blicken, die sie so sehr fesselten. Seine grosse harte Hand hatte unglaublich sanft an ihrer Wange entlang gestrichen. In ihren kühnsten Träumen hätte sie sich nicht vorstellen können, dass dieser Hüne so zärtlich sein könnte. Sie hatte etwas entgegnen wollen, doch es war zu spät. Seine weichen Lippen hatten die Ihren berührt und sie war gefangen. Isabella, mahnte sie sich selbst, du solltest ihn aufhalten! Doch als er seine Zunge über ihre Lippen gleiten liess, öffnete sich ihr Mund von alleine und hiess ihn willkommen. Was würde jetzt nur ihre Anstandsdame entgegnen?! Sie würde sie, ob diesem sündigen Verhalten schelten und es ihrem Onkel kundtun. Dieser würde sie ohne zu zögern hart betrafen, wenn nicht gar einsperren lassen! Aber sie war jetzt weit weg von seinem Einfluss und musste sich auch nicht mehr vor seinem Jähzorn fürchten. Ganz selbstverständlich schlossen sich ihre Lieder und sie liess ihre Vorsicht sinken. Ihre Hände gehorchten ihr nicht mehr, sie legten sich behutsam auf seine Brust. Seine Muskeln waren angespannt und hart. Sie konnte ihre Finger spreizen und hatte noch nicht einmal einen Teil seines abenteuerlichen Oberkörpers erkundet. Sie liess forsch ihre Hände über seine muskulösen Formen gleiten. Er indes verstärkte seine Umarmung, in der sie gefangen schien. Sie konnte sich nicht erinnern, wie lange sie dagestanden hatten, aber plötzlich erzitterte die Bibliothekstür und die grossen Flügeltüren schlugen auf. Der seidenweiche Traum zerplatzte und Isabella stiess den Lord von sich, während sie sich hastig mit dem Handrücken über ihren Mund wischte. Was war soeben vorgefallen? Was hatte sie getan?! Ihr Blick flog zu der Tür. Eine erstaunte Amelia stand auf der anderen Seite der Bibliothek. Isabella sah, wie Amelia neugierig und mit einem hochroten Kopf von einem zum anderen blickte, doch sie wagte es nicht eine von ihren Tiraden in der Anwesenheit des Lords los zu lassen. Isabella fühlte, wie eine zarte Röte in ihr Gesicht schoss. Ihre Verwirrung war endlos und nur allmählich kehrte ihr Verstand zurück. Sie warf ihm einen hastigen Blick zu. Und zum ersten Mal sah sie ein verschmitztes Lächeln in seinem ernsten Gesicht. Es liess ihn um Jahre jünger und sorgenfreier aussehen… aber Isabella wusste, was für ein Lächeln das war! Es war das Lächeln eines Triumphes! Die Verwirrung schwand und an dessen Stelle trat Zorn. Was hatte dies alles zu bedeuten?! War er nur hinter dem nächsten Dienstmädchen her und war Amelia, diejenige vor ihr gewesen? Schien Amelia deshalb beinahe zu platzen? Sie sah von Amelia erneut zu ihm. Sein Lächeln war verschwunden und er sah wieder so undurchdringlich aus, wie am ersten Abend ihrer Begegnung. Wie konnte er es wagen sie einfach so zu überfallen und ihr dann auch noch so ein verwogenes Lächeln zu schenken, als sie dabei ertappt wurden?! Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu und am liebsten hätte sie ihm seine Dreistigkeit vorgeworfen, doch sie musste sich zurückhalten. Amelia stand immer noch, vor Hass sprühend, in der Tür und sagte schliesslich
„Mylord, ihre Frau Mutter möchte sie gerne in ihren Gemächern sprechen“. Sie blinzelte kokett, machte einen kleinen Knicks und warf einen vernichtenden Blick in Isabellas Richtung. Nicht, dass sie bisher gemeinsam ihren Nachmittagstee eingenommen und belanglos über das Wetter geplaudert hätten, doch nun schien eine solche Zukunft ein für alle Mal hinfällig. Amelia würde nun zweifellos noch mehr Gehässigkeiten an den Tag legen und dies konnte nur bedeuten, dass sie auf der Hut sein sollte. Alexander de Warenne antwortete mit der Gelassenheit eines Löwen
„Geh und teil meiner Stiefmutter mit, dass ich komme, sobald ich meine Angelegenheiten geregelt habe“. Mit einem Wink seiner Hand entliess er Amelia. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, dass sah ihr Isabella an, aber es blieb Amelia nichts anderes übrig, als der befohlenen Bitte nachzugehen und so drehte sie sich um und verliess die Bibliothek. Isabella fühlte nur eines; sie wollte seinen Argusaugen entfliehen. Sie hob sämtliche Bücher auf, die sie durchstöbert hatte. Als sie die Bücher in den Regalen verstaut hatte, drehte sie sich um und sah, dass der Engländer in der Nähe der Tür stand und sie aufs genauste beobachtete. Ihr Herz pochte wie wild gegen ihre Brust, als wollte es ausbrechen. Sie versuchte sich zu beruhigen und ging hocherhobenen Kopfes auf die Tür zu. „Wohin gedenkt ihr zu gehen?“ fragte er beiläufig. Sie blickte ihm direkt in die Augen und meinte, ebenfalls so beiläufig wie möglich
„Ich verlasse die Bibliothek, um meine Kammer auf zu suchen Mylord“. Er runzelte die Stirn und musterte sie
„Vorerst bist du entlassen… doch erklär mir noch was dich an deinem freien Tag in die Bibliothek bewegte? Kannst du lesen?“ Sie konnte sich ein wenig beruhigen und antwortete etwas kalter als möglicherweise gewollt
„Ja Mylord, auch wir Gesindel haben zwei Augen und einen klaren Kopf um Bücher zu lesen… und abgesehen davon, schätze ich es nicht, wenn man mir eine solche Aufwartung entgegenbringt. Ich bin nicht eines dieser Mädchen Mylord!“ Damit drängte sie sich an ihm vorbei und verliess raschen Schrittes die Bibliothek, den Gang und floh in ihre Kammer. Verdammt! Ihr Temperament hatte die Oberhand gewonnen! Sie hatte sich nicht im Zaum halten können und sie hatte mit ihrem Akzent gesprochen! Wenn er es bemerkt haben sollte, dann wäre alles vorbei, alles! Sie schlug auf ihr Kissen ein und sank dann verzweifelt mit dem Gesicht voran aufs Bett. Wann würde sie sich endlich daran gewöhnen… sie war jetzt eine normale Dienstmagd! Für solche Frechheiten würden an einigen Orten schlimmere Dinge mit ihr angestellt werden, als dieser Kuss! Nach einer Weile in der sie versucht hatte diesen Kuss aus ihren Gedanken zu verbannen, erhob sie sich und zog ihr Nachthemd über. Sie verspürte keinen Hunger und würde nicht in die Küche zum Abendessen gehen. Der Gedanke ihm heute noch einmal über den Weg zu laufen, auch wenn es noch so unwahrscheinlich wäre, ängstigte sie bis ins Mark. Sie fand in dieser Nacht nur schlecht Schlaf. Sie wälzte und windete sich auf ihrer Strohmatratze. Sie ertappte sich mehrmals bei dem Gedanken an ihre weiche federgefüllte Matratze zuhause und als sei dies nicht genug, tauchte immer wieder ein gut gebauter, dunkelhaariger Engländer vor ihrem inneren Auge auf. Sie wusste nicht warum er sie in ihren Gedanken heimsuchte und wieso die Stelle kribbelte in Erinnerung an die zärtliche Berührung seiner weichen Lippen.
Am Sonntagmorgen, ganze zwei Wochen nach diesem verwirrenden und äusserst absurden Aufeinandertreffen, wovon sie mittlerweile gänzlich überzeugt war, dass sie einen Anfall erlitten hatte, erreichte sie die Eingangshalle in der das reinste Wirrwarr herrschte. Gepäckstücke standen herum, blockierten die Hälfte der Treppe und den Eingangsbereich. Dienstboten wuselten zwischen den Gepäckstücken herum und in der Mitte standen Carson und Molly, die versuchten dem Chaos Herr zu werden. Die grosse Doppelflügeltür stand speerangelweit offen und Isabella konnte die reichlich ausgestattete Kutsche der de Warennes sehen. Eine Truhe war bereits aufgebockt und auf dem Dach wurden soeben zwei kleinere Taschen festgezurrt. Als Isabella Molly nach der Ursache fragte, erfuhr sie, dass ihre Ladyschaft nicht mit zu Tante Catherine nach Cornwall fuhr, sondern hierbliebe. Von der Lady war aber nichts zu sehen. Isabella fragte sich, ob sie vielleicht auch Krank geworden war, wie ihr Gatte. Molly hatte aber nie erwähnt, dass es eine ansteckende Krankheit war, die den Earl ans Bett fesselte. Einige Stunden später, als die Gepäckstücke wieder getrennt waren und Elaine de Warenne schon auf dem Weg nach Cornwall war, war Isabella auf dem Weg in Richtung Küche, als sie Draussen im Hof ein bekanntes Gesicht entdeckte. Dina. Der Weg hatte sie also tatsächlich hierhergeführt. Sie schnaubte ein wenig genervt, bahnte sich einen Weg in die Küche und bereitete mit Emil dem Koch das Mittagessen zu. Wie sich später an diesem Tag herausstellte, war Dina eingestellt worden. Missmutig nahm sie dies zur Kenntnis und sah wie Amelia die Aufgabe auf sich genommen hatte Dina einzuarbeiten. Isabella vermied es allerdings tunlichst ihnen in den Korridoren oder sonst irgendwo im Haus alleine über den Weg zu laufen. Aus diesem Grund hatte sie sich heute den Blauen Salon im ersten Stock vorgenommen. Er gehörte zu den Zimmern, die der Earl des Hauses stets benutzt hatte, bevor er erkrankte. Sein Sohn gebrauchte im ersten Stock nur das grosse Arbeitszimmer und um einiges häufiger die Bibliothek. Lady de Warenne schien hingegen niemals auf dem ersten Stock zu verweilen. Also waren die restlichen Räume auf diesem Stock schon seit langer Zeit unbenutzt. Neben diesem Salon gab es noch zwei kleinere Arbeitszimmer, eines war immer verschlossen, und noch ein Kaminzimmer. Der richtige Ort also, wenn man niemandem begegnen wollte. Den Salon hatte sie kräftig gelüftet, die Kissen zurecht gezupft, den Teppich ausgeklopft, die Fenster gereinigt und mit dem Staubwedel die Möbel abgewischt. Ebenso gründlich hatte sie die Gobelins entstaubt und mit ein paar Tropfen Rosenwasser beträufelt. Dies sorgte für einen angenehm frischen Duft ohne das der Salon täglich benutzt werden müsste. Stolz begutachtete sie ihr Werk. Sie schloss die Terrassentür und verliess den Salon mit besserer Laune als zuvor. Sie lief den Korridor entlang um zur Dienstbotentreppe zu gelangen. Das Gemäuer des Hauses hatte an den Aussenwänden Nischen und Kuhlen von denen aus man einen guten Blick über das Gelände hatte. Die kühle Brise kroch durch die Mauerritzen und der Wind sauste durch die Gänge, es klang wie ein Flüstern. Sie lauschte den wispernden Lauten, die sie an Zuhause erinnerten. Beinahe blind folgte sie dem Gang, den Stimmen, und war in Gedanken meilenweit von hier entfernt an einer Küste. Sie bog den nächsten Korridor ab und ohne Vorwarnung wurden ihre Hände gepackt und fremde starke Finger umschlangen ihre Taille. Rüde wurde sie an die Wand gedrückt und die eiskalten Steine der Mauer pressten sich in ihren Rücken. Die Person, die sie in die Nische gezogen hatte, lag halb im Schatten. Sie sah meeresfarbene Augen und blitzend weisse Zähne
„Wohlan, meine wunderschöne Maid, wir wurden uns noch gar nicht vorgestellt. Nennt mich Rickard. Ich bin der zweite Sohn des Earls“. Er zwinkerte ihr mit einem solch entwaffneten Lächeln zu, dass es Isabella für einen Moment die Sprache verschlug. Rickard de Warenne hob seine Hand und fuhr durch ihr Haar. Sie konnte es nicht leugnen, er war ein unglaublich attraktiver Mann und sein Lächeln hatte bestimmt schon vielen Frauen Freude und natürlich auch Leid gebracht. Er war etwas kleiner als sein Bruder, aber auch er hatte muskulöse Arme und Schenkel, welche sie durch ihren Rock deutlich fühlen konnte.
„Rickard“ donnerte es von der Seite. In der Mitte des Ganges stand Alexander de Warenne und schaute mit einem unnachgiebigen Blick auf die Beiden hinunter. Er erschien grösser als sonst und wirkte noch furchteinflössender. Rickard wandte sich halb von ihr ab und lächelte seinen Bruder an. Isabella fand das in Anbetracht der eisigen Stimmung, die nun herrschte, ziemlich mutig.
„Ach mein lieber Bruder, ich hatte die Absicht dich zu suchen, doch dann wurde ich von diesem wunderschönen Geschöpf aufgehalten“. Darauf drehte sich Rickard wieder Rose zu. Rose rümpfte die Nase und stiess ihn von sich. Der arrogante und widerliche Narzissmus schien hier sein Zuhause gefunden zu haben, dachte sie grollend und schürzte die Lippen. Waren den hier alle so eigenartig?! Doch bevor Rose etwas erwidern konnte, knurrte Alexander
„Du solltest deinen Kopf lieber für etwas anderes gebrauchen, als Dienstboten in dunklen Nischen zu überfallen! Wenn es dir nach Jezebels gelüstet, dann geh in die Freudenhäuser, aber lass unser Personal ihre Arbeit tun“. Sein Blick streifte Rose und blieb dann an Rickard hängen. Rickard richtete sich auf
„Sei nicht so verstockt Bruder, ich wollte sie mir nur ansehen. Du kannst einem auch jeden Spass verderben. Besser du würdest die Freudenhäuser aufsuchen“ sagte er herausfordernd. Alexanders Blick blieb unnachgiebig
„Was hast du hier eigentlich zu suchen?!! Ich habe dir vor fast einem halben Monat einen Auftrag von höchster Wichtigkeit erteilt“. Rickards lächeln verschwand
„Deshalb war ich auf dem Weg zu dir… ich habe dem fähigsten Mann die Führung überlassen und kam zurück, um dir eine Nachricht zu überbringen… von Jackson. Er lässt ausrichten, dass er gegen Ende dieses Jahres hierherkommen wird, um dir wichtige Dokumente und Informationen auszuhändigen… Nur deshalb bin ich zurückgekehrt“. Rickard blickte seinen Bruder an. Alexander entliess ihn mit einem Nicken
„Wir sehen uns gleich im Arbeitszimmer Rickard“. Rickard zuckte mit den Schultern, drehte sich um und lief den Gang hinunter. Isabella hatte absolut keine Lust mit dem Engländer alleine zu sein und wollte sich gerade aus der Gefahrenzone bringen. „Halt!“ Sie raffte ihren Rücken und drehte sich wieder zu ihm um. Sein Gesicht war ausdruckslos. Sie konnte nicht erkennen was in seinem Kopf vorging. Mit zwei grossen Schritten war er bei ihr. Fasste ihr roh in den Nacken, griff nach ihrem Haar. Isabella hielt vor Schreck den Atem an. Wollte er sie jetzt dafür verprügeln? Er bog ihren Hals leicht nach hinten und küsste sie heiss auf ihren Mund. Sein Kuss war fordernder als jener in der Bibliothek. Er raubte Isabella den Atem und sie stiess ein Keuchen aus. Wie konnte sie ein Kuss nur so aus der Fassung bringen? Ihr fast den Verstand rauben? Sie hatte schon Küsse bekommen. Früher als ihre Eltern noch lebten und Feste und Bälle veranstaltet hatten. Dort hatte sie ab und an einen jungen Gentleman gefunden, der mit ihr die Kunst des Küssens erprobte, doch keiner dieser Küsse hatte sie jemals so aus der Bahn geworfen und sie in diesen schwächelnden Zustand versetzt. Diese Küsse waren unschuldig gewesen und das konnte sie bei diesem nicht behaupten. Ohne dass sie es bewusst wollte, hob sie ihre linke Hand und fuhr durch sein Haar. Es war so weich. Er trug es länger als die meisten Engländer. Seine Haut war leicht gebräunt. Er musste die meiste Zeit des Tages draussen in der Natur verbringen. Ebenfalls ungewöhnlich für einen Engländer. Plötzlich fühlte sie eine Hitze in sich aufwallen, die ihr unerklärlich schien in dem alten gelöcherten Gemäuer. Doch bevor sie dieses Gefühl weiter erforschen konnte, stiess de Warenne sie unerwartet grob von sich weg. Er sah sie abschätzend an und kehrte sich um, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen ging er Richtung Eingangshalle. Ihr Herz donnerte und sie fühlte sich als wäre sie soeben gerannt. Die Hitze erlosch und der Wind im Korridor liess sie beinahe frösteln. Was war soeben geschehen? Was hatte sie getan? Hatte sie wirklich sein Haar gestreichelt und sich ihm ergeben? Sie schlang hastig ihre Arme um sich. War sie vor ihm überhaupt noch sicher? Doch eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte etwas ganz anderes. Aber Isabella erstickte die feine Stimme sofort.
Sie wusste nicht, wie lange sie schon so dastand, aber als Amelia und Dina den Gang entlangkamen, war es bereits dunkel. Die Beiden entzündeten gerade alle Kerzen. Amelia schenkte Isabella nur einen verächtlichen Blick und meinte dann halb laut
„Dina das ist Rose“. Dina sah sie prüfend an und nickte. Es sah nicht so aus, als würde sich Dina noch an sie erinnern. Amelia hatte Dina überdies bestimmt mit genügend Klatschgeschichten über sie zu geschüttet. Doch ihr war es egal, sollten sie doch über sie herfallen.
Die Sommermonate waren ruhig. Im Juni und Anfang Juli hatten sich die meisten Bediensteten darauf konzentriert den Frühjahrsputz im Gesamten Haus zu organisieren. Lord Blackheat hatte danach den meisten Hausangestellten erlaubt Nachhause zugehen. Molly hatte sich schon die ganze Zeit darauf gefreut ihre Schwester in Nottinghamshire besuchen zu können. Sie war völlig aus dem Häuschen, als es endlich soweit war. Schlussendlich waren nur noch Rose und Carson da, die sich um das Haus kümmerten und um die de Warennes. Emil kam einmal im Tag zu ihnen hinauf, um das Essen zu zubereiten, damit die Herrschaften auch gut verpflegt waren. Als sie ihm wieder einmal in der Küche zur Hand gegangen war, hatte ihr Emil seine Geschichte erzählt. Der Earlerbe hatte ihm ein Stück Land zur Verpachtung gegeben, damit er und seine Familie sich ein Haus bauen konnten und um Felder zu bestellen. Emils Frau und deren Schwester übernahmen diese Arbeit sehr gerne, hatte ihr Emil erzählt und er war äusserst dankbar, dass der junge Earl so gutmütig gewesen war. Gutmütig hatte sich Rose dabei gedacht… Bis jetzt hatte sie nur eine rohe, hochwohlgeborene und arrogante Seite von ihm kennengelernt, dass er allerdings ein so feines Auge zu seinen Untertanen hatte, war ihr neu. Molly hatte ihr erzählt, dass wenn Emil kein Land bekommen hätte, seine Familie wohl verhungert wäre. Mittlerweile erfreuten sie sich aber bester Gesundheit und seine Frau erwarte das dritte Kind. Konnte es sein, dass sie bis jetzt nur eine kleine Facette von ihm kennen gelernt hatte? Sie erinnerte sich daran, wie zärtlich er sie an ihrer Wange berührt hatte… Bei diesem Gedanken berührte sie automatisch dieselbe Stelle. Sie spürte ein Kribbeln von ihrem Bauch hinauf bis zu ihren Brustspitzen. Verlegen schüttelte Isabella sich und ging weiter ihrer Arbeit nach.
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Zwei Augen folgten ihr. Alexander stand an der Balustrade und rieb sich seine Schläfen. Seit er sie in den Armen seines Bruders gesehen hatte, hatte er so gut es ging vermieden ihr über den Weg zu laufen. Dafür ertappte er sich immer wieder dabei, wie er ihr heimlich nachsah oder seine Augen suchend umherschweifen liess, wenn er durch die Korridore ging. Seine Gedanken wanderten immer wieder zu dieser einen Situation zurück. Am liebsten hätte er seinem Bruder eine verpasst, sodass er zu Boden gegangen wäre. In diesem Moment hatte sich ein wildes Tier in ihm geregt, das schrie nein ich will sie für mich haben! Das war ihm vollkommen unvertraut. Er war immer ein eiskalter Stratege gewesen, plante jeden Schachzug schon im Voraus. Alles verlief nach einem gut strukturierten Plan. Gefühle liess er sich nie in die Quere kommen, er konnte sie kontrollieren oder besser gesagt, hatte er bezahlt und dafür Erleichterung erhalten. Jedenfalls hatte er das gedacht… aber bei diesem Geschöpf, war es etwas anderes. Jedes Mal brachte sie ihn aus der Verfassung. Wenn er nur in ihre Augen starrte und dann diesen unbändigen Blick in ihnen sah… konnte er kaum widerstehen. Warum in Gottes Namen hatte sich in seinen Kopf dieses Weibsbild eingebrannt?! Das anfängliche Necken wurde mehr und mehr zu einem Zwang. Fast in jeder freien Minute durchzuckten Bilder von ihren zwei Küssen seine Gedanken. Er wollte ihre zuckersüssen Lippen auf seinem Körper fühlen, ihr nach Rosen duftendes Haar in die Hände nehmen, um sich an deren Duft zu berauschen und schlussendlich in ihr zu vergraben. Den dort, so schien es ihm, war der einzige Ort an dem er Erlösung finden würde. Gedanken, in denen sie sich zu einem anderen Mann oder gar seinem Bruder in die Laken legte, verfluchte er. Sie hatte ihm gesagt, dass sie nicht eines dieser Mädchen sei, doch sie konnte unmöglich leugnen, dass ihr diese heimlichen Küsse gefallen hatten. Mit schier unbändigem Willen redete er sich ein, dass er sich dieses Verlangen nach ihr nur einbildete. Er hatte sich nach dem Vorgang im Korridor geschworen, dass es ihn nicht weiter aus der Fassung bringen würde. Er fluchte leise vor sich hin… zum Teufel mit ihr, am besten sollte sie doch das Bett mit seinem Bruder teilen, dann wäre es für ihn mit der Anziehung vorbei. Er würde nicht eine Frau besteigen, die schon sein Bruder geritten hatte. Er hörte Röcke rascheln und drehte sich um. Vor ihm stand seine Stiefmutter; hochmütig und doch tödlich schön, wie immer dachte er sich. Er machte eine Verbeugung und nahm ihre dargebotene Hand
„Mutter, welch eine Ehre. Was führt euch in die Flure?“ Sie blickte ihn ruhig an und erwiderte
“Bonjour Alexander, ce n’est pas bon? Ihr könnt ruhig sagen, wenn ich euch im Weg bin. Leider langweile ich mich schrecklich und weiss nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen soll“. Sie lächelte ihn gewinnend an. Oh er kannte seine gallische Stiefmutter, nichts war ihr wichtiger als dass sie unterhalten wurde. Er hatte sich schon oft gefragt, warum sein Vater sie als zweite Ehefrau gewählt hatte. Sie war so anders, als seine Mutter. Selbstverliebt, arrogant und nicht zu vergessen ihre Liebe zum Münzbeutel. Andererseits hatte sich sein Vater seit dem Tod seiner Mutter Sinead, vor bald zwanzig Jahren, völlig verändert. Es war eine schwere Zeit für sie alle gewesen, doch sein Vater hatte sich in die Arbeit gestürzt und sich mit Dunkelheit umgeben, während er seine Jungen auf Schulen ausserhalb geschickt hatte. Rickard und er waren ihm einfach im Weg gewesen oder erinnerten ihn zu fest an seine verstorbene erste Frau. „Und deshalb“ begann Alice gemächlich „mein lieber Sohn, habe ich mir überlegt, dass ich nächsten Frühling im Mai eine Ball Woche veranstalten sollte. Ich finde, dass ein wenig Abwechslung bezaubernd wäre. Und dann hättet ihr und Rickard gleich die Gelegenheit euch wegen einer geeigneten Gattin umzusehen. Es gab schon seit Ewigkeiten keinen Ball mehr in Surrey, n’est pas?“ Sie hackte bei ihm ein und zog ihn die ganze Balustrade entlang. Er musste sich alles anhören, über das Dinner, welches sie servieren wollen würde, welche Tischdecken wohl am schönsten aussehen würden und welche Woche die geeignetste wäre. Er konnte ihren Worten nicht vollends folgen, aber das spielte keine Rolle, sie tat sowieso nur das was sie wollte. Er nickte ab und an und liess sie ihre, dass wusste er, einstudierte Rede vortragen. An den richtigen Stellen glänzte sie mit ihren Augen und täuschte ihre Freude darüber vor. Alec wusste egal was sie ihm erzählte, schlussendlich ging es ihr darum die gesellschaftliche Stellung, die sie seit ihrer Hochzeit mit seinem Vater hatte, nicht zu verlieren. Sie wollte ihre Freundinnen beeindrucken und erreichen das man wieder über sie sprach und das nicht nur im Zusammenhang damit, dass ihr ehrenwerter Gatte angeblich im Sterben lag. Den eines, das wusste Alec, wollte seine Stiefmutter niemals; dass man Mitleid mit ihr hatte, nein sie war erst dann wieder zufrieden, wenn die Damen der Peerage sie mit neidischen Blicken bedachten. Sie waren bei ihrem Spaziergang bis zum Blauen Salon gekommen und seine Stiefmutter wartete bis er die Tür öffnete. Alec ersparte sich zu erwähnen, dass der Salon nicht hergerichtet war, da er selbst ihn niemals nutzte. So war er umso erstaunter als er eintrat und keine Leinentücher und keine Staubschicht ausmachen konnte. Verblüfft geleitete er seine Stiefmutter zur Chaiselongue und half ihr beim Hinsetzen. Als er aufblickte, sah er das Objekt seiner Begierde, wie sie gerade dabei war den Salon ordnungsgemäss zu säubern. Seine Stiefmutter musste seinem Blick gefolgt sein, denn sie keifte „Mon Dieu! Wo sind die Manieren unseres Gesindels geblieben?!“ Rose, die von dem Wirbel anscheinend nichts bemerkt hatte, drehte sich um und sah die Countess of Surrey an
„Mylady, Mylord … Verzeihung. Ich war in Gedanken“. Doch die Countess machte keine Anstalten sie ausreden zu lassen
„Jetzt bezahlen wir dieses nutzlose Gesindel auch noch dafür, dass sie während der Arbeit in ihren Gedanken versinken können! Scandaleuse! Alexander, habt ihr das vernommen?!“ Sie sah ihn mit grossen Augen an und wartete auf seine Zustimmung. Er gab sie ihr jedoch nicht und sie fuhr fort „Geh in die Küche und bring uns gefälligst Wein und Gebäck! Oh Alexander“ jammerte sie. „ich habe mich zu lange nicht um den Haushalt kümmern können, euer Vater… es war einfach zu viel. Doch nun versuche ich meine Tätigkeit als Herrin des Hauses wiederaufzunehmen“ sagte sie dramatisch und Alec sah, wie die Dienstbotin aus dem Salon schlüpfe. Er war wütend, wütend auf seine Stiefmutter, dass sie sich so unmöglich verhielt und wütend auf sich selbst, weil er ihr keinen Einhalt gebot. Doch sie war eine Frau. Ein zartes Gemüt und zudem die Countess dieses Hauses und die zweite Frau seines Vaters. Er kannte sie schon seit er fünfzehn war und er wusste ganz genau, dass sie ein listiges kleines Biest war. Obwohl sie nur drei Jahre älter war als er, hatten sie ganz andere Ansichten und Wertvorstellungen. Auch wenn sie eine Frau war und sicher eine gute Partie heiraten musste, um ihr Überleben zu sichern, verstand er sie dennoch nicht. Nun wunderte es ihn, warum sie sich überhaupt so lange in ihre Gemächer zurückgezogen hatte und wieso sie sich ausgerechnet heute dazu entschieden hatte, wieder in den Korridoren umher zu wandern. Er wusste, dass ihre persönliche Kammerzofe vor einigen Tagen zu ihrer Familie gegangen war, weil ihre Mutter im Sterben lag. Doch dies konnte unmöglich alleine der Grund sein? Er nahm in einem Sessel ihr gegenüber Platz und musterte sie. Sie wirkte wie eh und je. Die Blässe ihrer Haut war wie sie zu sein hatte, die gefärbten roten Wangen und der schwarze Kohlestrich über ihren Augen sass. Er konnte nichts an ihrem Wesen ausmachen, dass ihn stutzen liesse. Zumindest nicht mehr als sonst. Was spielte es den schlussendlich für eine Rolle? Sie wollte den Ball veranstalten und das würde sie auch tun, egal was Alec einzuwenden hätte. Er lehnte sich in seinem Sessel nach hinten. Es war sogar gut, empfand er. Je schneller Alice die Tätigkeiten wieder komplett übernahm und sich in der Gesellschaft wieder einfügte, desto schneller würde er auf seine Ländereien zurückkehren können. Natürlich würde sie die Geschäftsbücher nicht verwalten, aber dafür könnte er einen Verwalter einsetzen oder vielleicht würde auch Eagan Larraby diese Arbeit übernehmen, immerhin arbeitete er schon Jahrelang für die de Warennes. Er machte sich zu viele Gedanken. Von einem Gefühl geleitet fragte Alexander
„Ist Vater wieder einmal zu sich gekommen?“ seine Stiefmutter blickte ihm gerade in die Augen
„Jetzt wo ihr es erwähnt… Er hat wieder phantasiert“. Alexander blickte seine Stiefmutter an
„Worüber?“ Alice sah ihn an, hob eine Augenbraue in die Höhe
„Ich weiss nicht. Ich bin es leid“ schluchzte sie „seinen Phantasiegeschichten nachzugehen oder sie mir anzuhören. Es schmerzt mich zu tiefst… “ sie tupfte sich theatralisch mit einem weissen Tüchlein, welches sie aus ihrem Ärmelaufschlag gezogen hatte, die Augen ab. Alexander versuchte keine Miene zu verziehen, bei ihrem gekonnt aufgeführten Theaterstück. Er hatte bis jetzt die Contenance bewahrt, er wollte nicht, dass er diese nun verlor. Seit sein Vater nicht mehr ansprechbar war, kam es öfters vor, dass er von seiner verstorbenen Frau Sinead sprach. Alec und sein Bruder hatten schon früh gelernt, dass sie in Anwesenheit der neuen Frau ihres Vaters lieber nicht von ihrer geliebten Mutter sprachen. Aber sein Vater war wirr, er konnte nicht wissen, wie sehr er Alice damit zu kränken schien. Alec erwiderte nichts, er wurde nicht hierher zitiert, um über die Vergangenheit oder den Charakter seiner Stiefmutter zu beraten. Nein, er war der älteste Sohn und musste sich um wichtige, bedeutende Dinge kümmern, anstatt über die unliebsame Jugend, die er hier erlebt hatte zu sinnieren. Alice, die sich wieder beruhigt hatte, blickte ihn an. Die Tür des Salons ging auf und Carson trat herein
„Mylady, Mylord“ sagte er steif „Norman der Wirt aus der Taverne Georges in Spelthorne ist unten in der grossen Halle. Sie haben mich gebeten, dass wenn er wieder bei uns ist, ich sie sofort darüber in Kenntnis setzten soll Mylord“. Alexander froh, dass er eine Ausrede hatte zu entfliehen, stand auf, machte eine Verbeugung und sagte
„Madam, eine äusserst wichtige Angelegenheit, die nicht warten kann. Ich bitte euch um Verzeihung“. Alice blickte ihn wohlwollend an und erwiderte grossmütig
„Natürlich Alexander, ihr habt Pflichten, in diesem Falle muss ich wohl die Meinungen meiner Freundinnen einholen, was die Planung der Veranstaltung betrifft? Ca n‘est pas un problem“. Das war wohl eher eine Feststellung, als eine Frage dachte sich Alec, aber ihm war es nur recht so
„Es wäre wohl das Beste Madam“ sagte er und ging zur Tür. Als Alec die grosse Marmortreppe erreicht hatte, sah er unten vor der Eingangstür Norman ungeduldig seine Kappe zerknüllen. Er musste unwillkürlich daran denken, wie offiziell Carson wohl gesagt hatte, dass er Norman noch sprechen wolle.
„Wohlan Norman, schön dich zu sehen. Wie steht es um dein Wohl?“ Norman drehte sich um und sagte
„Danke Mylord, alles ist prächtig. Der Sommer ist beinahe vorbei, ich habe alle Hände voll zu tun und deshalb auch ein wenig eingelegtes Fleisch zu den Herrschaften gekarrt. Ich hoffe die Familie mag es“. Alexander musste ein wenig schmunzeln, er wusste zwar, dass er Menschen Angst einjagte, aber einem solchen Bullen wie Norman… das war etwas Neues.
„Vielen Dank Norman, ich weiss das sehr zu schätzen. Lass uns doch bitte kurz hinausgehen zu deinem Einspänner“. Alec öffnete die Tür und eine Windböe blies ihnen direkt entgegen. Norman setzte seine Mütze auf und sie gingen hinaus. Sie liefen Richtung Stall, wo Norman sein Pferd kurz untergestellt hatte. Im Stallgebäude herrschte eine drückende Wärme, es roch nach Pferden, Heu und Hafer. Norman lief zu seinem Pferd und gab ihm ein Stück Rübe für den Weg nach Hause. „Norman“ begann Alec „ich muss dir eine wichtige Frage stellen. Hast du das Dienstmädchen Rose zu uns gebracht, entspricht das der Wahrheit?“ Norman löste seinen Blick von seinem Pferd
„Richtig Mylord. Warum, ist dem Mädchen etwas zugestossen?“
„Nein es geht ihr gut“ denke ich „Nein es geht darum, hast du ihr ein Paket überreicht, welches für mich bestimmt war?“ Norman erbleichte
„Jawohl Mylord, hat sie deswegen Schwierigkeiten? Ich schwöre Mylord, dass ich das Paket von einem vertrauenswürdigen Herrn erhalten habe, der mir versicherte, es von einem ihrer Männer zu haben. Er sagte mir, ich solle es ihnen bringen. Ich habe gedacht, ich kann es ihr gleich mitgeben“. Alexander erwiderte deutlich erleichtert
„Das war schon recht Norman. Dieselbe Schilderung hat sie mir wiedergegeben. Somit weiss ich, dass ihr beide vertrauenswürdig seid. Ich danke dir Norman. Geh jetzt lieber nach Hause, bevor die Nacht herein bricht“. Sie war also keine Spionin. Dies war eine grosse Erleichterung, denn schliesslich erledigte sie ihre Arbeit ausgezeichnet und war nach Molly eine unersetzliche Hilfe. Aber er wusste, irgendetwas stimmte mit diesem grünäugigen Mädchen nicht. Es gab gewisse Ungereimtheiten. Seit wann konnten Dienstmägde lesen? Hatte sie es sich im Selbststudium beigebracht?! Und seit wann drückten sich die Hausangestellten so förmlich aus? Ach… verdammt! Er sollte endlich seine Lust und Gier befriedigen, damit er seine Gedanken nicht mehr mit ihr füllte! Alexander verliess den Stall, nahm eine Laterne mit und ging wieder Richtung Haus. Er musste endlich aufhören jeden zweiten Gedanken mit ihr zu verschwenden, er hatte weiss Gott wichtigeres zu tun! Er entschied sich kurzfristig, durch die Gartenanlage zu gehen und einen Blick in den Garten seiner Mutter Sinead zu werfen. Er war schon seit einer Ewigkeit nicht mehr in ihrem Garten gewesen. Es dunkelte langsam und Alec hielt die Lampe nach vorne. Er erinnerte sich noch lebhaft an das letzte Mal, als er ihn in voller Pracht gesehen hatte. Er hatte seinem Vater zu gesehen, wie er den ganzen Garten, bis auf die letzte Blume, zerschlug. Nach diesem Erlebnis, hatte er den Garten nicht mehr betreten können und als seine neue Stiefmutter hier einzog, wurde der Garten abgesperrt. Nun, da fast zwei Jahrzehnte verstrichen waren, fühlte er sich stark genug den Anblick der Überreste des geliebten Gartens zu ertragen. Früher als Kind, hatte er den Garten immer mit seiner Mutter besucht. Sie pflanzte liebevoll die verschiedensten Arten von Blumen. Jedes Mal hatte seine Mutter geglüht vor Freude, wenn er sich eine neue Art merken konnte. Erinnerungen waren schon eine merkwürdige Sache, sie kamen meist dann, wenn man am wenigsten mit ihnen rechnete. Alec öffnete die kleine Holztür, die den Garten seiner Mutter vom Rest der Anlage trennte. Er ging drei Steinstufen hinunter und war vollkommen verblüfft. Er konnte seinen Augen nicht trauen. Der Garten war voller Pflanzen, links sah er die verschiedensten Rosenarten und Veilchen, rechts Lilien. Viele Blumen waren vertreten. Die zerstörten Bänke und Holzverkleidungen, die damals herum lagen, waren beiseite geschafft worden. Der zerstörte kleine Brunnen, in der Mitte des Gartens, war wieder aufgestellt, die abgebrochenen Verzierungen waren befestigt worden. Keine Verwüstung. Wer hatte den Auftrag geben den Garten zu erneuern? Seine Stiefmutter ganz bestimmt nicht, sein Vater konnte es auch nicht gewesen sein, war es Rickard? Es war ihm schleierhaft, wer den Garten wieder hergerichtet haben konnte. Doch für den Moment wollte er es für sich behalten… nun hatte er einen Ort an den er sich zurückziehen konnte und dafür war er endlos dankbar. Als er sich umdrehte, sah er im Schutz eines Baumes die kleine Bank stehen, auf der seine Mutter seinem Bruder und ihm immer eine Geschichte erzählt hatte. Es war eine Bank aus Zedernholz. Sie besass feine Schnitzereien an den Geländern und in der Mitte der Banklehne hatte es ein grosses Herz. Er ging auf die Bank zu. Leider war sie von der Witterung ziemlich mitgenommen. Er fuhr mit seiner Hand über die Herzschnitzung und fühlte noch ganz fein, was er gesucht hatte. Die Namen. Die Namen seiner Familie. Sinead, John, Rickard und Alexander. Dann fiel ihm ein, dass noch irgendwo in diesem Baum eine Schaukel sein sollte. Auf der Bank sitzend sah er in die Äste des grossen Eichenbaumes hinauf. Nur noch die Henkel an denen die Schaukel einmal aufgehängt war, waren zu sehen. Als er den Blick senkte, bemerkte er das kleine Gartenhäuschen in dem seine Mutter all das Werkzeug aufbewahrt hatte. Es fröstelte ihn ein wenig. Das Dunkel der Nacht war nun vollends über ihn hereingefallen. Einen kurzen Blick wollte er dennoch riskieren. Er öffnete die kleine Tür. Sie quietsche in den Angeln, liess sich aber öffnen. Er hob die Laterne und leuchtete ins pechschwarze Innere. Die Werkzeuge hingen vorbildlich in ihren Halterungen und wie schon damals, war zuhinterst an der Wand die Chaiselongue aufgestellt, nur das jetzt ein weisses Laken sie bedeckte. Damals hatte er sich als kleiner Junge immer gefragt, was seine Mutter bloss mit einer Sitzgelegenheit im Gartenhaus wollte, die fast ein halbes Bett war. Nun wusste er es und musste schmunzeln. Seine Mutter und sein Vater hatten sich innig geliebt, daran bestand kein Zweifel.
Ω
Das Haus der de Warennes lag still und herrschaftlich auf dem Hügel und die heisse Sonne des Sommers zerrte am Tage an der Fassade und liess das Haus aufstöhnen. Meist wurden die grossen Flügelfenster und Türen früh morgens geöffnet, damit genug frische kühle Luft durch die stickigen Gänge fliessen konnte. Vor der Mittagshitze wurden alle Fenster und Türen geschlossen und die Gobelins schützend hervorgezogen, damit die Sonne ihre heissen Strahlen nicht allzu tief in das Haus werfen konnte. Das Haus schien dann wie verlassen, da die Hausherrin sich in ihre Gemächer zu ihrem Gatten zurückzog und der älteste Sohn des Earls war meist eh nicht im Haus anzutreffen. Diese ruhige Zeit wurde von den letzten verbliebenen Hausangestellten emsig genutzt, um ihre Aufgaben zu erledigen, bevor am späten Nachmittag die morgendliche Prozedur wiederholt wurde, um die am Tag angesammelten Hitzequellen wieder aus dem Gemäuer zu vertreiben. Nur Carson, ein neuer Diener ihrer Ladyschaft Moris und Isabella waren momentan im Haus beschäftigt. Moris sprach fast ausschliesslich Französisch, was die Aufgabe des Einarbeitens ziemlich schwierig gestaltete. Selbstverständlich konnte sie Französisch, allerdings durfte sie diesen Aspekt nicht preisgeben, da ihre Maskierung sonst misslingen würde. Moris jedoch wusste davon nichts und liess keine Gelegenheit aus über sie herzuziehen, wenn sie versuchte ihm etwas zu erklären. Sie fragte sich immer mehr, wieso sie sich eigentlich die Mühe machte ihm die Vorgehensweisen zu erläutern, da die Ladyschaft ihn ständig abkommandierte und Moris dann stundenlang nicht zurückkehrte. Bevor Molly abgereist war, hatte sie ihr alle Aufgaben übergeben und Isabella führte sie genau so aus, wie Molly es ihr beigebracht hatte.
Isabella ging gerade durch den Dienstbotentrakt, um die Post zu holen. Es waren nie viele Poststücke, die meisten waren an Lord Blackheat adressiert. Auch heute war es nicht anders. Sie machte sich auf den Weg in die Eingangshalle und wollte in den ersten Stock, wo sich das Arbeitszimmer des Earls befand und hoffte inständig, dass sie seinen ältesten Sohn auch heute nicht im Arbeitszimmer antreffen würde. Als sie aber die Treppe hinauf wollte, kam ihr Carson entgegen, er war kreidebleich, und noch bevor sie sich versah, stürzte er die gesamte Marmortreppe hinunter. Isabella liess einen unterdrückten Schrei los. Die Poststücke liess sie achtlos zu Boden fallen und rannte zu Carson. Sie beugte sich zitternd über ihn. Er musste sich den Kopf aufgeschlagen haben. Blut floss in Strömen aus einer noch unbekannten Wunde. Sie tastete Carson ab, konnte aber nichts Weiteres entdecken. Sie zog ihre Schürze aus und wickelte sie provisorisch um seinen Kopf. Isabella schaute sich um, doch niemand war da dem sie hätte rufen können.
„Carson hören sie mich, bitte sie müssen zu sich kommen!“ Er gab nur ein Stöhnen von sich. „Daingead1! Reiss dich zusammen Isabella!“ rief sie. Es war niemand da, sie konnte sich das Rufen sparen. Sie presste ihre Schürze auf die Stelle, wo sie die Wunde vermutete und sprach weiter zu Carson, aber er reagierte nicht. Sie musste einen Doktor holen! Hastig stand sie auf, warf noch einmal einen sorgenvollen Blick zu Carson, der reglos am Boden lag und rannte dann in die Küche. Eiligst suchte sie ein Stück Pergament und einen Kohlestift, kritzelte hastig ein paar Worte auf den Zettel und rannte dann so schnell es ihre Füsse erlaubten hinüber zum Stall. Vielleicht war schon einer der Stallknechte da. Das Glück war ihr Hold, der junge Knecht, der Sohn von Pächter Welby, Walther war bereits im Stall zu gange.
„Walther Gott sei Dank bist du hier!“ Walther lächelte ihr zu
„Ich komme jeden Tag so früh, damit ich genug Zeit habe, mich mit den Pferden anzufreunden“. Er brach ab, als er ihr ernstes Gesicht sah „Miss, alles recht?“
„Nein Walther leider nicht“ ächzte sie und hielt sich die Seite „du musst unbedingt zu Doktor O’Leary reiten und ihm diese Nachricht bringen. Carson ist gestürzt, kannst du das?“ Isabella schnappte nach Luft und sah ihn verzweifelt an, er war doch erst elf, konnte sie das von ihm verlangen? Sie würde selber gehen, aber sie musste sehen, wie sie Carson helfen konnte. Walther sah sie an und nahm den Zettel in die Hand
„Ja Miss, ich werde so schnell ich kann zu Doktor O’Leary reiten. Ich verspreche es Miss!“
„Gut dann geh sofort los“. Isabella raffte ihren Rock und rannte zurück ins Haupthaus. Sie warf ihr gesamtes Gewicht gegen die doppelte Flügeltür und stiess sie auf. Carson lag immer noch am Boden und bewegte sich nicht. Schnell entschied sie sich die Wunde genauer in Augenschein zu nehmen und war schon wieder auf dem Weg in Richtung Küche. Sie kramte einen Eimer mit Wasser aus dem Vorratsraum, Verbandszeug und etliche Salben die Molly und sie im Juni zusammen gemischt hatten. Molly war erstaunt gewesen, dass sie sich so gut damit auskannte, war aber nicht weiter in sie eingedrungen. Der Eimer war bis oben hin gefüllt als sie sich auf den Weg zurück zu Carson machte. Er lag immer noch an derselben Stelle als Isabella neben ihn hinkniete
„Ciamar a tha sibh2?“ Diesmal bemerkte sie es. Zum Glück hatte sie niemand gehört! Sie räusperte sich und wiederholte „Wie geht es ihnen Carson? Können sie mich hören?“ Nichts kam von ihm. Sie legte ihre Hände auf seinen Brustkorb und tastete ihn ab. Sie konnte keine weitere äussere Verletzung ausmachen. Er fühlte sich warm an und sie sah wie er fein atmete. Dann behutsam nahm sie seinen Kopf in Augenschein. Mit einem nassen Lappen wischte sie das Blut, welches über seine Stirn geflossen war, ab. Vorsichtig drehte sie Carson auf die Seite. Ihre Schürze war komplett mit Blut vollgesogen. Sachte nahm sie die Schürze weg und dann sah sie woher das viele Blut kam. Er hatte sich eine klaffende Wunde hinter dem linken Ohr zugezogen. Mit neuen Tüchern tupfte sie die Wunde gründlich ab, salbte ihn mit einer selbsthergestellten Salbe ein und verband seinen Kopf. Wunden versorgen konnte sie gut, dass hatte sie seit ihrer Kindheit gelernt. Es hatte zu ihren Pflichten gehört. Ihre Mutter hatte sie viele Dinge gelehrt und darauf hatte sie besonderen Wert gelegt; Isabella du musst deine Mitmenschen versorgen können, es gehört zu deinen Pflichten… Sie musste schmunzeln. Sie atmete wehmütig aus, es war schon zu lange her. Sie sah nochmals nach, ob Carson auch regelmässig atmete und eilte dann in den obersten Stock, wo sich das Arbeitszimmer des Earls befand. Sie klopfte leise gegen die Tür. Sie konnte keinen Laut vernehmen und öffnete daraufhin die Tür. Schliesslich ging es hier um Leben oder Tod. Das Arbeitszimmer war leer, zu ihrem Verdruss. Das hiess, dass sie nur noch in seinen Privatgemächern nachsehen konnte, ob er hier war, wenn nicht dann wäre er vermutlich bereits wieder unterwegs. Sie hastete aus dem Arbeitszimmer und stolperte in den dritten Stock hinauf. Oben angekommen war sie ausser Atem, lief jedoch sofort zur Zimmertür, wo sein Gemach lag. Sie klopfte. Nichts. Sie klopfte noch einmal. Nichts. Das konnte nicht sein, war er wirklich schon wieder unterwegs?! Vor lauter Verzweiflung hämmerte sie auf das dunkle Holz seiner Gemachstür ein. Daraufhin hörte sie ein Poltern und Fluchen. Er war hier! Eigentlich hätte sie ein schlechtes Gewissen haben sollen, doch sie hatte es nicht. Im Gegenteil sie fand es eher amüsant, wahrscheinlich musste dieser arrogante Engländer jetzt seine Geliebte verlassen, die bestimmt in seinem Bett lag. Die Tür öffnete sich. Doch auf das was ihre Augen nun erblickten, hätte sie nichts vorbereiten können. Er stand vor ihr, nur mit einer Hose bekleidet. Er sah vollkommen verschlafen aus, sein Haar war zerzaust und er hatte frische Bartstoppeln. Sie starrte ihn überrascht und mit einem verrückt pochenden Herzen an. Diese verruchte Wildheit gab ihm beinahe etwas Unwiderstehliches. Seine breiten Schultern waren gebräunt, er hatte definierte Brustmuskeln und einen stahlharten Bauch. Vom Nabel her führten kurze schwarze Härchen Richtung Hosenbund. Isabella musste sich zusammenreissen. Sie riss ihren Blick von dieser sündigen Stelle fort und versuchte sich daran zu erinnern, was sie hergeführt hatte.
„Mylord… entschuldigen sie die Störung, aber Carson ist gestürzt und er ist seit mehr als zehn Minuten nicht bei Bewusstsein“ sagte Isabella atemlos und so ruhig sie konnte. Wobei sie sich eingestehen musste, dass nicht mehr die Treppen an ihrer Atemlosigkeit schuld waren. Sie sah ihm an, dass er sofort wach war. Er strich sich mit den Händen übers Gesicht und sagte
„Einen Moment“. Jetzt nahm sie den schalen Geschmack von Brandy war. Er lief zurück ins Zimmer an seine Waschschüssel. Isabella war sich nicht sicher, ob sie warten sollte. „Wurde schon Jemand zu Doktor O’Leary geschickt?“ Sie hörte, wie er sich Wasser ins Gesicht spritze. Dann kam er wieder an die Tür und knöpfte gerade ein frisches Hemd zu. „Was genau ist passiert? Wo hast du ihn gefunden?“ Isabella lief mit ihm in Richtung Marmortreppe und antwortete
„Er kam die Treppe hinunter in der grossen Halle, ist wohl gestolpert und stürzte hinab. Dabei hat er sich eine ziemlich schwere Kopfwunde hinter dem linken Ohr zugezogen. Ich habe dann Walther im Stall gefunden und ihn mit einer Nachricht zu Doktor O’Leary geschickt. Leider ist Carson aber nicht ansprechbar“.
Sie hasteten die Stufen abwärts, bis sie Carson sahen. Er lag immer noch neben der untersten Stufe und hatte sich kaum bewegt. Der Lord kniete zu ihm hinab
„Der Puls ist schwach, aber noch da“. Er hob Carson vom Boden hoch und lief Richtung Dienstbotentrakt. Zuerst war ihr nicht klar wohin er mit ihm wollte, doch dann sah sie, dass er ihn in Carsons Zimmer trug. Alle Zimmer der Dienerschaft waren im Tiefgeschoss, nur Carson und Molly hatten separate Räume im Erdgeschoss. Er legte ihn behutsam auf sein Bett, zog ihm Schuhe und Hose aus. Wobei Isabella sich um drehte und versuchte die Kerze anzuzünden. Als sie den Blick wieder auf Carson richtete war er schon unter der Decke. „Hast du ihm die Wunde verbunden?“ er sah sie an.
„Ja natürlich, sonst ist niemand hier, Mylord“. Sie blickte rasch weg. Warum gab er ihr so oft das Gefühl, als wäre sie nicht viel Wert? Natürlich gab es nur wenige Hausangestellte die Lesen konnten, aber es gab sie. Meist schwang in seinem Blick und in seinem Ton eine Art der Missbilligung mit, die sie sich nicht erklären konnte. Da stand er nun und musterte sie aufmerksam. War es für ihn denn so undenkbar, dass eine Frau sich mit diesen Dingen beschäftigte oder taten dies englische Frauen überhaupt nie? Isabella blickte an ihm vorbei auf Carson. Es war wohl so, dass er nur die jungen Damen seiner Gesellschaft kannte, die sich mit Musizieren und Sticken die Zeit vertrieben und nicht mit Dingen, die ihren Geist wecken könnten. Aber musste er sie denn gleich dafür verurteilen, dass sie nicht in Ohnmacht fiel, wenn ein Mann blutete? Er schien der Typ Mann zu sein, der alles, auch die Frau an seiner Seite, unter Beobachtung behalten musste. Er setzte sich auf den Rand von Carsons Bett.
„Carson wachen sie auf mein alter Junge“ sagte er fast liebevoll zu seinem Diener. Dann wandte er sich um und sagte „Kannst du nicht etwas Wasser holen und vielleicht eine Flasche Riechsalz?“ Isabella nickte nur und rannte einmal mehr zur Vorratskammer. Als sie zurück im Zimmer war, gab sie ihm das Riechsalz und stellte den Krug Wasser auf den Nachttisch. Er schwenkte das Riechfläschchen unter der Nase von Carson hin und her. Ein völlig verwirrter und benommener Carson öffnete flatternd die Augen. Er verzog sein Gesicht schmerzhaft und fasste sich an den Kopf.
„Ahh Sir, Mylord“ krächzte er „was… was ist geschehen?“ De Warenne stellte das Riechfläschchen auf den Tisch und sagte
„Carson sie sind gestürzt, könnt ihr euch noch erinnern?“ Es sah nicht danach aus, als ob Carson verstanden hatte, wonach der Lord gefragt hatte, denn er antwortete
„Ge… gestürzt? Nein nichts… nichts ist gestürzt… oder zerbrochen. Nichts passiert… ich meine…“. Isabella sah Carson an und sagte
„Beruhigen sie sich Carson, versuchen sie sich etwas auszuruhen, der Doktor wird jeden Moment eintreffen“. Carson sah sie verdattert an, als würde er sich fragen, warum sie hier sei. Sie wandte sich dem Lord zu „Am besten gehe ich in den Hof und halte Ausschau nach Doktor O’Leary und Walther, es kann nicht mehr allzu lange dauern“. Damit ging Isabella zur Tür und lief Richtung Hof, um dort die Beiden zu erwarten. Sie wartete nicht lange, als sie zwei Reiter entdeckte, die auf das Haus zu galoppierten. Nervös verharrte sie auf dem Vorplatz und blickte sie gespannt an. Die Beiden machten vor ihr halt und stiegen ab. Doktor O’Leary kam auf sie zu
„Miss Grey nicht wahr?“ Isabella nickte
„Doktor O’Leary gut, dass sie hier sind. Carson hat sich verletzt. Ich habe die Wunde erstversorgt, aber er spricht leider verwirrt. Bitte folgen sie mir. Walther, kannst du die Pferde in den Stall bringen? Danke“. Sie führte Doktor O’Leary direkt zu Carsons Zimmer.
„Sei gegrüsst Alec. Wie steht es um Carson?“ Die Beiden schüttelten sich die Hände.
„Bruce guten Morgen, gut das du so schnell kommen konntest. Ich weiss nicht, er ist zu sich gekommen mit dem Riechsalz, aber dann schlief er wieder ein“. Bruce O’Leary beugte sich über seinen Patienten, er zog die Decke nach unten und tastete seinen Körper ab
„Hmm zwei Rippen sind bestimmt gebrochen“ er fuhr mit seiner Begutachtung fort „und wie es aussieht auch noch sein linker Knöchel“. Isabella verfolgte Doktor O’Learys Bewegungen genau. De Warenne und er schienen sich schon länger zu kennen. Bruce O‘Leary hatte kastanienbraun rotes Haar, welches er kurz trug und hellblaue Augen. Sein Körperbau war dem von de Warenne ziemlich ähnlich, jedoch mit einigen Unterschieden. O’Leary war ein paar Handbreiten kleiner, als der Lord und seine Schultern waren schmäler, auch waren sie weniger muskulös und seine leicht ergrauten Seitenhaare liessen erkennen, dass er älter war, als de Warenne. Im Allgemeinen betrachtet, war er aber ansehnlich. Es war von Isabella etwas unfair ihn mit diesem Hünen von einem Engländer zu vergleichen. Neben diesem würden gar die von Dichtern hochgelobten, ansehnlichsten Schönlinge verblassen. O‘Leary deckte Carson wieder zu und begutachtete nun seinen Kopf. Er löste das Verbandszeug. „Es sieht aus, als müsste ich mit ein paar Stichen nähen. Bringt mir Alkohol und neues Verbandszeug“ er drehte sich fragend um „Wer hat ihm den Verband angelegt? Ist eine ordentliche Arbeit“. Isabella antwortete
„Danke Doktor O’Leary, ich sehe es als ein Kompliment, dies von einem Mediziner zu hören. Ich werde ihnen die Sachen gleich bringen“. Wieder hastete Isabella zum Vorratsschrank und holte die gewünschten Utensilien. Als sie zurück war, lag Carson auf der Seite und der Doktor hatte seine Tasche geöffnet.
„Miss Grey, ich benötige eine Assistentin, können sie mir meine Bestecke in den Alkohol legen und sie mir dann reichen, wenn ich sie darum bitte? Denn der Alkohol sorgt dafür das sich Wunden in der Regel nicht entzünden, das habe ich auf meinen zahlreichen Lehrreisen gelernt“
„Selbstverständlich“ sagt sie und übergoss das Besteck mit Alkohol. Das stimmte, sie selbst hatte davon auch schon gehört und das diese Vorgehensweise Leben retten konnte. Ausserdem hatte bereits ihre Mutter sie immer ermahnt bei Kranken vorsichtig, sauber und genau zu arbeiten. Sie sah ihm neugierig zu. Zuerst wollte er eine Rasierklinge, damit er die lästigen Haare auf der Wunde beseitigen konnte, die er anschliessend mit einer Tinktur beträufelte. Der Faden und die Nadel wurden aus dem Alkohol genommen und er nähte Carsons Wunde mit fünf Stichen.
„So Miss Grey, nun dürfen sie die Wunde verbinden“. Doktor O’Leary stand auf und machte ihr Platz. Sie strich ihre Salbe wieder auf die Wunde und verband sie sorgfältig. „Interessant“ meinte O’Leary „was ist das für eine Salbe, die sie ihm aufgetragen haben?“ Isabella verschloss die Schatulle
„Es handelt sich um ein altes Familienrezept. Wurzeln und Salbeiblätter, wirkt Wunder und hinterlässt keine grossen faltigen Narben“. Bruce O’Leary lächelte sie an und packte seine Sachen zusammen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er beim Gehen leicht hinkte, vermutlich eine alte Verletzung, die nie richtig ausgeheilt wurde.
„Miss Grey, gerne würde ich eine solche Salbe mein Eigen nennen. Würden sie mir erlauben eine von ihren Salben mit zu nehmen?“ Isabella erhob sich vom Bett und sagte
„Doktor O’Leary, es wäre mir eine Freude, wenn sie eine Salbe mitnehmen würden. Könnten sie mir dann auch ihre Meinung darüber anvertrauen?“ Alexander de Warenne, der bis anhin still in einer Ecke gestanden hatte, sagte
„Ich danke dir Bruce, trinkst du noch einen Kaffee oder lieber ein Ale mit mir in meinem Arbeitszimmer?“ Bruce sah ihn an und nickte. Sein Ton war nicht ärgerlich, aber etwas daran klang angespannt.
„Gerne Alec, und Miss Grey ich werde ihnen Schreiben, was ich von der Salbe halte. Vielen Dank“. Damit verliessen die beiden Herren das Schlafzimmer von Carson und gingen ins Arbeitszimmer. Isabella rauschte in die Küche und setzte eine Kanne für das braune Gold auf, holte etwas Kaffeepulver, eine Salbe vom Vorratsschrank und einen Krug Ale. Mit klapperndem Tablett ging Isabella Richtung Arbeitszimmer. Sie klopfte leise und trat ein. Bruce O’Leary und de Warenne sassen beim Arbeitstisch. Sie ging auf die beiden Herren zu, die verstummt waren seit sie eingetreten war, setzte ihr alltägliches Lächeln auf und stellte das Tablett ab.
„Kaffee oder Ale?“ Bruce O’Leary entschied sich für Ale. Alexander de Warenne nahm einen Kaffee. Isabella nahm die Salbe vom Tablett und überreichte sie Bruce O‘Leary.
„Sollten die Herren noch etwas wünschen, ich bin in der Küche“.
Zwei Wochen nach dem Sturz von Carson verbesserte sich sein Zustand von Tag zu Tag. Seine Gedächtnislücken und Sprachaussetzer kamen nicht mehr so häufig vor und er hatte auch wieder mehr Farbe im Gesicht. Es war eine intensive Zeit gewesen, denn Carson wollte partout nicht dem Rat von Doktor O’Leary folgen und brachte sich selbst in Gefahr, indem er schon einen Tag nach seinem Sturz die Arbeit wieder aufnehmen wollte. Die Verletzung machte sich auch gleich bemerkbar und Carson sank zu Boden, wobei die Naht aufplatze und Doktor O’Leary erneut gerufen werden musste. Danach hatte de Warenne persönlich Carson eingebläut das Bett zu hüten und ihm gar gedroht, falls er es verlassen sollte, ehe der Doktor sein Einverständnis gab, würde er ihn sofort entlassen.
Isabella stand gerade in der Küche und bereitete das Frühstückstablett für Carson vor. Heute war der erste Tag an dem Doktor O’Leary Carson erlaubt hatte, einen kleinen Spaziergang im Garten zu unternehmen und ihn aber zugleich dringlich ermahnte es gemächlich anzugehen. Als Isabella an die Tür von Carsons Zimmer klopfte, öffnete ihr de Warenne, etwas verdutzt trat sie ein und stellte das Tablett ab.
„Also wie gesagt Carson, ich verlasse mich auf sie“ sagte de Warenne. Isabella ging wieder hinaus, doch noch bevor sie die Tür verschliessen konnte, kam auch de Warenne hinaus. Isabella versuchte ihm nicht in seine dunklen Augen zu starren und unternahm einen weiteren Versuch seiner Person wieder einmal zu entkommen, doch sie kam nicht weit. „Miss Grey, darf ich euch kurz sprechen?“ Isabella rann es eiskalt den Rücken hinunter. Doch sie blieb stehen, drehte sich um und setzte ein Lächeln auf
„Jawohl Mylord, was kann ich für sie tun?“ Alexander liess seinen prüfenden Blick über sie wandern und sagte
„Ich werde heute Abend nach Cornwall aufbrechen, da ich an den Feierlichkeiten meiner Tante teilnehme. Ich werde aber am Sonntagabend, wenn es vorbei ist, zurückreiten. Bis dann trägst du die Verantwortung. Es treffen zwar nach und nach wieder alle Dienstboten hier ein, doch Molly wird erst Anfang September wieder hier sein. Wenn irgendetwas ist, wende dich an Carson, ich habe ihn instruiert. Und ach ja, bevor ich es vergesse… behalte Carson im Auge, sonst wird dieser wieder Übermütig“. Er verstummte und eine knisternde Stille legte sich im Korridor nieder. Isabella schluckte, er stand noch immer vor ihr und sah tief in ihre Augen und bevor Isabella etwas erwidern konnte, kam er sachte auf sie zu und strich ihr zart über ihre Wange. Seine Hand war so sanft, als würde eine Gänsefeder über ihr Gesicht streifen. Seine Augen liebkosten ihr Gesicht und verharrten in ihrem Blick. Er sah durch ihre Augen hindurch, fast so als könnte er ihr Innerstes erblicken und all ihre Geheimnisse entlocken. Isabella wurde es abwechselnd heiss und kalt, doch sie sah sich ausser Stande einen Schritt zu tun. Sie wusste, er würde sie erneut küssen und obwohl sie sich einredete, dass sie von diesem Hünen nichts wollte, so wurde ihr doch klar, dass sie sich insgeheim diesen Kuss herbeisehnte. Er senkte langsam sein Haupt hinab und legte sanft seine Lippen auf die ihren. So weich und warm. Isabella gehorchte den stummen Befehlen, die seine Lippen gaben. Sie öffneten sich und boten sich dar… seine Zunge wanderte in ihre Höhle und streichelte ihre. Isabellas Brustspitzen wurden hart, stellten sich auf und fingen an heiss zu glühen. Sie stützte sich auf seinen harten Brustkorb und ihr Körper lechzte danach seine Haut zu fühlen… Seine Hände wanderten zu ihrem Gesäss und umfingen es. Er umfasste ihr Hinterteil und drückte es an sich, damit Isabellas Schenkel die Seinen berührten. Isabella konnte nicht glauben was sie da fühlte. Seine harte Männlichkeit spürte sie deutlich an ihrem Bauch pochen. Er küsste sie noch wilder und leidenschaftlicher und zog sie wieder in dieses wohlig warme Gefühl. Schmetterlinge schienen in ihrem Bauch herumzuflattern und wollten nicht wieder ruhen. Langsam entliess er sie aus seiner Umarmung. Isabella wollte sofort protestieren gegen dieses Verlustgefühl, welches sich in ihr auszubreiten schien. Doch sie war eine Lady… so etwas tut eine Lady nicht… und in diesem Moment wurde ihr deutlicher als zuvor bewusst, dass sie zum Teufel keine Lady mehr war! Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und liess ihre Zunge in seine Höhle wandern. Er öffnete die Augen und sie sah sein brennendes Verlangen. Doch dann schob er sie von sich weg… sie stand vor ihm, ohne zu Atmen… sie sah seine Augen, die von brennendem Verlangen in Verachtung umschlugen. „Ich spiele nicht den Ersatz für meinen Bruder!“ dann rauschte er an ihr in Richtung Treppe vorbei. Isabella schnappte nach Luft. Was zum Teufel hatte er damit gemeint?! Dachte er etwa, dass sie mit seinem Bruder das Bett teilte?! Das konnte er doch nicht ernsthaft annehmen! Isabella hatte Rickard de Warenne seit dem Vorfall im Gang nicht mehr gesehen. Die Dienstboten hatten sich erzählt, dass Alexander de Warenne seinen Bruder noch am selben Tag nach Cornwall zu seiner Schwester geschickt hatte und er anscheinend Fuchsteufelswild gewesen war. Die Dienstboten waren sich einig gewesen, dass es aufgrund dessen geschehen war, weil er den Befehl missachtet hatte. Isabella jedoch hatte ein ungutes Gefühl, dass nicht nur dies der Auslöser gewesen war…
Vor seiner Abreise hatte sie ihn nur noch aus dem Fenster über der Eingangshalle gesehen, als er auf seinem Araber durch das Eingangstor ritt. Isabella war wütend… wie konnte er nur denken, dass sie sich seinem Bruder an den Hals warf und dann noch behaupten, dass er ihn nicht ersetzen würde?! Wo war sie hier nur hineingeraten! Sie konnte sich nicht erinnern, dass so ein Benehmen je bei ihnen Zuhause vorgefallen war… Doch schon wurde sie in ihren Gedanken, ihn zu verachten, herausgerissen, den ihre Ladyschaft kam gerade die Balustrade entlang, als Isabella die Gobelins abhängte, um sie zu reinigen.
„Lass die Kutsche für mich einspannen und bring mein Gepäck nach unten. Eine Tasche kannst du für dich mitnehmen. Eine Kleine“ sagte die Countess im vorbei gehen. Sanfte Röte verfärbte Isabellas Hals, ihr war dieses Benehmen zuwider, wie konnte eine Hochwohlgeborene sich so grob und unzivilisiert verhalten?!
„Verzeihung eure Ladyschaft, aber wohin soll es gehen? Ich kann nicht länger, als einen Tag ausser Haus verbringen, da Carson der Butler mich braucht“. Isabella war auf die Reaktion gefasst.
„Sind meine Anweisungen missverständlich?! Ich will, dass du das Gepäck nach unten bringst und die Kutsche bereitstellen lässt! Wir fahren nach Cornwall! Ich will an dem Ball meiner Schwägerin teilnehmen. Carson ist alt genug, um sich um seine Wehwehchen zu kümmern. Ich dulde keine weiteren Widerworte“. Diesen letzten Satz zischte sie mehr, als dass sie ihn aussprach und verschwand um die Ecke. Isabella wusste nicht was sie davon halten sollte, doch sie liess von ihrer Arbeit ab und ging in den Stall. Dort war, wie sie gehofft hatte, Walther.
„Walther ein Segen dich hier anzutreffen!“
„Miss Grey… ist etwas geschehen?“ fragte Walther besorgt und sah sie an.
„Keine Sorge Walther, alles wie es soll. Nein, ihre Ladyschaft wünscht nach Cornwall zu reisen. Ich muss dich bitten die Kutsche vorzubereiten und nach Mister Howell zu schicken, damit er sich unverzüglich hier einfindet. Und ach ja… bitte bring Emil diesen Zettel. Er muss unbedingt während meiner Abwesenheit nach Carson sehen und natürlich nach dem Earl of Surrey persönlich. Molly kommt erst Anfang September wieder zurück und kann sich erst dann um alles kümmern. Ich würde sie ungern früher aus ihrer freien Zeit holen lassen“ sagte Isabella etwas verzweifelt. Es war ihr schleierhaft, weshalb die Countess sie um sich haben wollte, aber ein Befehl war ein Befehl, sie konnte ihn unmöglich verweigern, wenn sie diese Stellung noch eine Weile behalten wollte und das hatte sie vor.
Als sie wenig später mit der Kutsche durchs Tor fuhren, war sich Isabella nicht sicher, was sie von der ganzen Situation halten sollte. Zuerst hatte die Countess darauf bestanden, dass Isabella neben dem Kutscher platz nahm, doch dieser beanspruchte die gesamte Sitzfläche, so dass sie unmöglich neben ihm sitzen konnte. Somit musste die Lady sie wohl oder übel mit sich in der Kutsche fahren oder sie zuhause lassen. Dies würde wohl nur der Anfang einer äusserst unangenehmen und lästigen Reise bedeuten! Die Lady schlief jedoch kurz nach der Abfahrt ein. Das gab ihr die Gelegenheit sie einmal genauer zu betrachten. Sie war eine gemeinhin ansehnliche Frau. Sie besass braunes langes Haar, das nun unter einem eleganten Hut zusammengesteckt war. Im Allgemeinen hatte sie schlanke Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und eine zarte sehr helle mondscheinfarbene Haut. Wenn sie so schlief und man sie betrachtete, würde man niemals davon ausgehen, dass sie ein Biest war. Sie war relativ gross und das konnte den einen oder anderen Mann wohl durchaus einschüchtern. Isabella lenkte ihren Blick nach draussen. Sie fragte sich, was für ein Mensch wohl der alte Lord war. War er wie seine Söhne oder hatte er mehr Ähnlichkeit mit seiner Frau? Seit sie hier angefangen hatte, vor ungefähr fünf Monaten, hatte sie nur einige Kleinigkeiten mitbekommen. Der Lord war immer noch Krank und wenn sie den Hausangestellten gehör schenkte, stand es wirklich schlecht um ihn. Eigentlich war es schon ein Wunder, dass er jetzt noch unter den Lebenden weilte. Zuerst war Isabella davon ausgegangen, dass dies der Countess sehr nahe ging, da sie Wochenlang nie zu sehen war und wenn sie umherwanderte, dann machten sich alle Angestellten aus dem Staub, suchten buchstäblich das Weite. Doch Isabellas Gefühl sagte ihr, dass zwischen ihrem Gemahl und ihr keine Liebe oder ein Gefühl der tiefen Verbundenheit bestand. Es gab vielleicht höchstens Verständnis, mehr nicht. Natürlich sah sie nur die Seite der Countess. Doch Trauer einer liebenden Frau sah anders aus. Naja was kümmerte es sie, ob es Liebe war oder nicht. Die meisten Ehen wurden zweckmässig geschlossen. Warum sollte es bei den Engländern anders sein? Sie schüttelte sich innerlich und liess von diesen Gedankengängen, die sie überhaupt nichts angingen, ab. Vor der Abfahrt hatte Isabella Carson einen Besuch abgestattet. Dieser meinte, dass es ihm nichts ausmache und er selbst schon wieder seiner Tätigkeit nachgehen könne. Doch sie konnte ihn davon überzeugen, dass er sicher noch zwei Tage Bettruhe brauchte und dass Emil nach ihm sehen werde. Jedoch war Isabella überzeugt, dass Carson bestimmt jetzt schon auf den Beinen stand, um nach dem Rechten zu sehen. In der Zeit für die sie Carson zur Seite gestanden hatte, hatte sich eine solide Freundschaft entwickelt. Carson war ein typischer Butler, er lebte diese Arbeit. Er verkörperte sie vollkommen. Er war durch und durch Butler in allen Fasern seines Herzens. Durch Carson an ihrer Seite hatte Isabella einen weiteren Verbündeten neben Molly, wodurch sie die empörten Blicke, Tuschelaien und unangebrachten Bemerkungen von Amelia und Dina ertragen konnte. Sie sah aus dem Fenster. Mittlerweile hatte es schon ein gedunkelt und die Lady hatte ausdrücklich befohlen die ganze Nacht durch zu reisen. Die Reise würde ungefähr drei Tage beanspruchen, sofern die Wege passierbar waren. Nun verspürte auch Isabella ein wenig Müdigkeit, sie schloss die Augen.