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Der Samstag vor 19 Jahren

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Sobald ich eine Frau gefunden hatte, die mir auf Anhieb gefiel, schaltete sich mein Kopf aus, das Herz ging an, die Gefühle zerstoben in tausend Teile und alles andere war mir egal. Vielleicht liegt es daran, dass ich vom Sternzeichen Krebs bin? Ich hatte in meiner Vergangenheit einige Freundinnen, die mich alle auf irgendeine Art geprägt haben.. Viele dieser Frauen haben mein Vertrauen missbraucht, mich verletzt oder mir Kummer bereitet und sind von mir fortgegangen. Doch als ich am Boden zerstört war, nicht mehr weiterwusste, hatte ich tief in mir so eine kleine Hoffnung, irgendwann doch noch eine Person zu treffen, die zu mir steht, mich akzeptiert, respektiert und bei mir bleibt. Denn das Beste kommt immer zum Schluss, so lautet doch das Sprichwort?

In einem Buch für Horoskope steht über den Krebs-Mann:

„Wenn der Krebs in der Liebe enttäuscht wird, so kann er ein launenhafter Schürzenjäger und ein unglücklicher Herzensbrecher werden.“

Es gab eine Zeit in meinem Leben, da steckte ich in der Haut eines Menschen, dem ich eigentlich gar nicht ähnelte. Frauen waren nur Trophäen für mich, ich wollte ihnen das Gleiche antun, was sie mir angetan hatten. Doch dadurch fühlte ich mich auch nicht besser; ich konnte mich schnell davon befreien und habe wieder zu mir selbst gefunden.

Es gibt nicht viele Frauen, die mir gefallen, sie müssen dieses gewisse Etwas haben. Worauf ich persönlich achte, sind diese banalen Kleinigkeiten, die normalerweise als selbstverständlich in einer Beziehung gelten. Ob sie mir zuhört, mich in den Arm nimmt oder einfach nur küsst oder mir einen liebevollen Blick zuwirft. Sobald sie mich spüren lässt, dass ich ihr wichtig bin, sie mich respektiert und mir das Gefühl gibt, dass ich der Auserwählte für sie bin, dann ist nichts mehr unmöglich für mich. Egal, welchen Wunsch sie hat oder was auch immer sie glücklich macht – ich tue es als Zeichen meiner Dankbarkeit. Nun zu der Frau, bei der alles anders gelaufen ist, wie ich es bis dahin kannte.

Ich war 17 Jahre alt, als Malena in mein Leben trat.

Leider bin ich jemand, der mit einer beachtlichen Leidensfähigkeit ausgestattet ist, und ich danke meinem besten Freund Emilio, der mich in dieser Zeit immer wieder aufmunterte. Ein weiteres Danke dafür, dass er mich damals in jene Disco mitgenommen hat, in der die Geschichte begann.

Unser Heiliger Gral, der Samstagabend! Bereits am frühen Morgen ist die Vorfreude so groß, dass man gar nicht lange schlafen kann. Alles, was ansteht, wird möglichst schnell erledigt, und zur Abenddämmerung wächst die Freude weiter an, denn das ist die Zeit, auf die man die ganze Woche gewartet hat. Es ist schon fast ein Ritual, das sich nach und nach eingeschlichen hat. Schnell duschen, das Parfüm darf nicht fehlen, sich anschließend ein cooles Outfit zurechtlegen, in der Regel eine Jeans, ein Hemd und je nach Witterung ein Jackett oder eine andere Jacke. Per Handy wird mit den Freunden eine Uhrzeit und ein Treffpunkt ausgemacht. Vorher aber noch ein Abstecher an die Tanke, ein paar Dosen Smirnoff Ice und vor allem Kaugummis dürfen nicht fehlen. Kaum ist man im Jugendzimmer des Kumpels angekommen, werden schon zur Begrüßung die ersten Dosen geöffnet und die alkoholischen Getränke in sich hineingeschüttet. Die Lautstärke der Musik wird zum Warmmachen noch etwas aufgedreht und die Stimmung steigt mit jedem Schluck weiter. Nach einer Weile gehts los. Die Zeit ist gekommen, es ist kurz nach 23:00 Uhr und man will nur eins: feiern und die restliche Woche hinter sich lassen, Mädels kennenlernen und einfach den Abend genießen. Die Fahrt dauert keine zwanzig Minuten, über die Autobahn und noch ein wenig durch die Stadt. Der Hauptstraße folgend wird nach Parkplätzen Ausschau gehalten, man wird schnell fündig. Den Wagen geparkt, bis auf Geld und den Wagenschlüssel haben wir nichts mehr dabei. An der Tür ist bereits der dumpfe Klang der Musik zu hören. Zwei weiße Gorillas stehen vor der Tür, nicht ganz helle in der Birne, bewegen sie ihre Arme wie Roboter entlang unserer Körper und tasten sich durch. Passend zum Alkoholpegel erlaube ich mir die Frage, ob er nach einem Date sucht, da er mich so zärtlich anfasst?! Diese Frage kommt nicht so gut an, sein Blick wird düster und man merkt, wie sein kleines Hirn die Frage verarbeitet. Bevor er diese ausgewertet hat, erlöse ich ihn und gebe ihm zu erkennen, dass das nur ein kleiner Spaß war. Daraufhin schiebt er uns mit einem Arm durch und wendet den Blick bereits den Nächsten zu. So, geschafft. Wir sind drin.

Sofort suchen meine Augen nach weiblichen Geschöpfen, innerhalb von zwei Minuten hat man fast alles gesehen, was sich im Eingangsbereich tummelt, scheint es. Doch dann, in einer halben Millisekunde, sieht man etwas, was so faszinierend ist, dass man es am liebsten nicht mehr aus den Augen lassen möchte. Diese zuckersüße, leicht gebräunte Haut, die leicht im Licht schimmert, diese goldenen, schulterlangen, glänzenden Haare, die durchs Gesicht streifen, und dazu dieser kleine, zierliche, wohlgeformte Körper. Ich frage mich, wie kann Gott immer wieder solche herrlichen Geschöpfe erschaffen?! Plötzlich ist es im Raum ganz leise, das Drumherum völlig uninteressant, das Herz fängt an, schneller zu schlagen, rasend schnell bildet sich ein Kloß im Hals, ich erkenne mich selbst nicht mehr. Was ist bloß los? Und schon fangen die kleinen Rädchen im Kopf an zu rattern, Vorstellungen, die zu schön sind, um wahr zu werden. Die Analyse startet und verschiedene Fragen kommen auf. Was-wäre-wenn-Szenarien durchlaufen den Kopf wie eine Kinofilmrolle. Hat sie einen Freund? Ich suche nach dem Kerl der jeden Moment zu ihr kommen könnte und sie küsst oder zum Tanzen auffordert. Doch nichts passiert. Sie bleibt auf ihrem Platz sitzen, lacht mit den Freundinnen. Es ist ein wahrer Genuss, ihr beim Lachen zuzuschauen. Ein Bein über das andere geschlagen, die rot glänzende Hose schmiegt sich an die straffen, sportlichen Beine. In der rechten Hand hält sie eine Zigarette und zieht nach einer Weile daran. Die Bewegungen sind fließend, einfach alles passt in diesem Moment zusammen, obwohl mich Frauen, die rauchen, eher abstoßen. Doch ich verdränge dieses dämliche Laster. Durch das Farbenspiel der wechselnden Discobeleuchtung gibt es Licht- und Schattenspiele auf ihrer Haut. Ich erkenne rote Lippen, dazu passend lackierte Fingernägel, offene Schuhe und ein weißes, enges Oberteil. Ein leichtes Dekolleté lässt weitere Formen zum Vorschein kommen. Mein Blick geht zur Decke und ich bedanke mich beim lieben Gott, dass er so einen guten Geschmack hat. Ich stelle fest, dass der Blick nach oben doch für Aufmerksamkeit sorgt, da sich einige Personen, die an mir vorbeilaufen, umdrehen und auch nach oben schauen, als ob dort etwas hängen würde. Ich fange mich wieder und blicke auf das perfekte Abbild einer Frau. Wir stehen einige Meter von ihr entfernt. Mein „Zwilling“ besorgt gerade die nächsten Getränke an der Bar. Mit dem Rücken zu mir gedreht, sieht er nicht, wie ich sie mustere. Dann kommen meine Ellenbogen in Spiel, man könnte fast meinen, dass mein Kumpel am nächsten Tag den Arm voller blauer Flecken haben wird, weil ich ihn ständig anstupse, nur um ihm zu signalisieren: Da ist jemand, den man mit Worten nicht beschreiben kann. Mein Kopf wird von einem Gedanken-Tsunami überschwemmt und immer verrücktere „Bagger-Sprüche“ durchlaufen das Gehirn, aber nichts scheint passend für diese Frau. Was soll ich tun?

Wir ziehen Richtung Tanzfläche, um die Blicke auf uns zu ziehen. Da die Tanzebene noch relativ leer ist und alle drumherum stehen und warten, bis die Ersten den Tanz eröffnen, entschließen wir uns, genau das zu tun. Eigentlich habe ich dabei keine Scheu und etwas Rhythmusgefühl habe ich auch, aber an diesem Abend machen meine Beine, was sie wollen, sie tanzen in Richtung der Blonden, mein Inneres sträubt sich dagegen, aber ich bin machtlos. Dazu kommt noch die Lieblingsmusik ins Spiel, bei der ich auf keinen Fall aufhören kann zu tanzen. Wir hören am liebsten R’n’B. Der Abstand zwischen der Blonden und mir wird immer kleiner, meine Augen starren sie an und vergeblich hoffen sie, auch von ihren Augen gesehen zu werden. Sie scheint aber ganz aufs Feiern konzentriert zu sein, kein Blick, der zur Männerfront geht. Sie hört einfach der Musik zu, lässt den Kopf unten und schaukelt nach links und rechts. Sieht eigentlich ein wenig komisch aus, aber egal. Sie bleibt weiter sitzen und wippt mit dem Fuß. Enttäuschung kommt in mir auf, ich rede mir ein, dass sie zu hübsch für jemanden wie mich ist. Oder steht sie vielleicht auf Frauen?! Hätte ich nicht so gute Freunde, die mich anspornen, die Blonde weiter anzubaggern. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen, gehe mit schnellen Schritten auf sie zu. Mit jedem Schritt, mit dem ich ihr näherkomme, wächst auf einmal meine Schüchternheit so an, dass ich ungefähr einen Meter vorm Ziel stehen bleibe, mich zur Seite drehe – und an ihr vorbeigehe. Als ob ich eine Grenze passieren würde. Schön peinlich, meinen Kumpel im Nacken, der alles mit angesehen hat und sich sichtlich über mich amüsiert. Was für eine Blamage, sonst so cool und nun ein kleiner Feigling. Das hätte auch eine Szene aus einer schlechten Komödie sein können.

Der Weg endet wieder an der Theke und weiterer Nachschub wird besorgt. Die Verzehrkarte wird dabei munter durch die Barkeeper gelocht. Wie viel zu zahlen ist, weiß ich gar nicht. Ist aber auch irrelevant, der Abend ist noch jung. Mut muss ich mir antrinken, so mein Gedanke. Ein Glas auf ex und die anderen bringe ich meinem Kumpel mit. Also, was tun?

Es wird wieder das Tanzbein geschwungen. Die Fläche um mich herum wird deutlich kleiner, immer mehr bewegen ihre Körper zu Puff Daddy und Co. Na ja, manche versuchen es zumindest. Das Lachen können wir uns nicht immer verkneifen, besonders komisch ist es, wenn Frauen ihre Arme und Beine nicht ganz unter Kontrolle halten können. Aber na ja, was soll man machen? Manche Männer sind auch nicht besser. Ich versuche, meine Aufmerksamkeit wieder der Blonden zu widmen, aber sie ist weg. Ich suche vergebens den Raum nach ihr ab. Laufe hin und her, aber keine Spur von ihr. Niedergeschlagen gehe ich wieder zur Bar, bestelle bei einer nett aussehenden Brünetten weitere Drinks, mein Blick geht etwas nach links, da sehe ich in der Mitte der Bar einen kleinen Durchgang. Helles Licht scheint heraus. Sieht aus wie ein Getränkelager. Mit einem Blick entdecke ich die blonde Mähne, gebunden zu einem Zopf. Sie wirkt hektisch und verärgert, ich wende mich zu der Tür. Ich erkenne zwar, dass sie mit irgendjemandem diskutiert, kann aufgrund der Geräuschkulisse jedoch nichts hören. Aus meiner Position kann ich nur sie sehen. Kurz darauf stürmt sie heraus und geht hinter der Theke entlang zum Durchgang. Ein Typ kommt hinter ihr her. So ein Kanisterkopf mit breiten Schultern, ca. 1,90 m groß und mit ordentlich Wut im Gesicht. Die Haare wie bei einem Schaf auf zwei Millimeter geschoren, das Shirt zu eng, es ist deutlich zu erkennen, dass er nur auf Masse trainiert. Er packt sie am Arm, reißt sie zu sich herum und schreit sie an. Ihr ist anzumerken, wie unangenehm ihr diese Situation ist. Doch niemand unternimmt etwas. Selbst ich beobachte das Ganze nur aus der Ferne. Dieses Schauspiel geht eine kurze Zeit so weiter, bis sie sich schließlich aus seinem Griff befreit und entnervt weiterzieht. Meister Propper geht in die entgegengesetzte Richtung und so trennen sich ihre Wege. Sieht so aus, als ob das ihr Freund wäre, denke ich mir. Nun ja, dann weiß ich Bescheid. Es wird nicht leicht, sie kennenzulernen. Ich erkenne das Problem, habe aber noch keine Lösung parat. Ich will den Abend aber auch nicht so enden lassen.

Im Verlauf des Abends kommen noch andere Freunde vorbei und ich beschließe, mich mit ihnen in die Menge zu werfen, getreu dem Motto „Schwitzen mit Freunden und Fremden“. Irgendwann bin ich genauso voll wie meine Verzehrkarte – oder umgekehrt. Gefühlt hat der Abend in diesem dunklen Raum zwei Stunden gedauert, doch als ich nach Hause komme, ist es 5:30 Uhr am Morgen.

Im Bett fing das Karussell an sich zu drehen. Wer hat noch nicht, wer will noch mal, sagte meine innere Ansagerstimme. Der Schädel pochte und es gelang mir nicht einzuschlafen. Mal hatte ich Gedanken ans Kotzen, mal an die Blonde. Doch zu guter Letzt schlief ich doch über der Kloschüssel ein. Ließ mir mehrmals alles durch den Kopf gehen und dehnte so meinen Ausnüchterungsschlaf bis 16:00 Uhr aus, mein Vater war so freundlich und hievte mich irgendwann morgens vom Klo in mein Bett. Der Tag war gelaufen.

Erst nach 17:00 Uhr war ich wieder halbwegs unter den Lebenden und rief Emilio an. Ihm ging es nicht besser, was mich zum Lachen brachte. Wir schafften es, uns gegen 20:00 Uhr zu treffen und fuhren auf einen Burger. Wir saßen eine Weile im Laden, ließen den vergangenen Abend Revue passieren. Nun ja, viel wussten wir nicht mehr, aber das Wichtigste war die Blonde, die hatte ich nicht vergessen. Alles andere war Nebensache. Wir diskutierten – Fragen über Fragen, jedoch keine Antworten. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf den nächsten Samstag zu warten und zu hoffen, sie wiederzusehen. Der Montag war zum Greifen nah und die Woche startete schon kurz darauf wieder durch.

Die fünf Tage vergingen sehr zäh, wartend, dass der Samstagabend anbricht, mit der Hoffnung, sie wiederzusehen. Die Sehnsucht wurde so groß, dass ich schon ein paar Tage vorher darüber nachgrübelte, wie sie wohl heißen mochte. Anna, Eva, Klaudia? Doch kein Name schien mir passend. Deshalb blieb sie die erste Zeit „die Blonde“ für mich. War jetzt nicht der Knaller, mir fiel aber nichts anderes ein.

Endlich war der Samstag da. Nach dem Einlass in die Disco machten wir uns gleich an die Haupttheke, um etwas zu bestellen. Siehe da: Es stellte sich heraus, dass sie in der Disco als Barfrau arbeitete! Also versuchte ich, nur noch bei ihr zu bestellen, klappte nicht immer, aber ich versuchte jedes Mal, dabei mit ihr ins Gespräch zu kommen, doch bei meinem Glück kam es höchsten zur Bestellung der Getränke. Nun ja, die Erfolgsquote war nicht sonderlich hoch.

Es vergingen zwei lange, sehr lange, wirklich unendlich lange, sagenhafte zwei Jahre, die ich so verbrachte, stets in der Hoffnung, sie irgendwie kennenzulernen. Aber es geschah: nichts. Und so machte ich mir ernsthaft Gedanken, nach etlichen abgespulten Kopffilmen verließ mich der Glaube und die Hoffnung, mich ihr zu nähern, herauszufinden, wer und was sie war. An dieses Gefühl musste ich mich erst gewöhnen, musste auch die Gewohnheit ablegen, ständig dort hinzugehen. Mein Kumpel und ich hatten nach so langer Zeit auch langsam die Schnauze voll von all den Gesichtern, die wir jedes Wochenende dort sahen – schon paradox, dass man keinen davon wirklich kannte. Wir verbrachten so viel Zeit mit diesen Fremden, dass wir sogar erkannten, wer schon wieder die gleichen Klamotten anhatte. Eigentlich bekloppt, oder?!

Also erkundeten wir neue dunkle Räume mit lauter Musik. War auch zwischenzeitig sehr witzig und cool, Neues zu sehen. Hin und wieder fiel der Name Pilsudski, jedoch ging es dabei nicht um den Staatsmann, sondern um die Disco, in der die Blonde arbeitete. Ab und an dachten wir daran, mal wieder dort hinzugehen, hielten uns aber doch eine Weile zurück, diesen Schritt zu tun. So bereisten wir im Umkreis von 200 km alle Disco-Sehenswürdigkeiten, ich glaube, wir haben keine ausgelassen. Doch es kam, wie es kommen musste, und wir landeten wieder da, wo das Spiel begonnen hatte.

Natürlich geht der erste Blick wieder an die Bar, doch sie ist nicht da. Einerseits bin ich erleichtert, andererseits kommen gewisse Stimmen in mir hoch … Na ja, ich will das Thema abschließen, wir wollen feiern – doch plötzlich traut mein Verstand meinen Augen nicht! Da ist sie, steht in direkter Blickrichtung zu mir. Schlagartig geht es mir gut, gleichzeitig kehrt die Sehnsucht zurück, sie kennenzulernen. Ich mustere sie von Kopf bis Fuß. Blaue, enge Jeans, ein weißes, ärmelloses Top. Die leicht gebräunte Haut glänzt, die Farben der Discokugel spiegeln sich in ihrer Kleidung und dem blonden Haar. Sie scheint glücklich und gelöst zu sein, tanzt ausgelassen mit ihren Freundinnen. Keine Ahnung, wie es geschieht, aber irgendwie tanzt sie direkt neben mir. Ich atme ihren Duft ein. Ich würde ihn am liebsten konservieren und nie wieder verfliegen lassen, wie der bekloppte Typ aus dem Buch Das Parfum . Leicht süßlich, mit einer Kopfnote, die sofort in der Nase hängen bleibt. Unsere Blicke treffen sich ab und an, doch eher unbewusst ihrerseits. Meine hingegen sind schon mehr als gezielt. Ich beobachte ihren Tanzstil, nach einigen Schritten können mein Kumpel und ich ihn nachtanzen. Im Rhythmus eingetaucht, machen wir eine Weile mit. Das kommt gut an, denn sie und ihre Freundin lächeln uns zu. Es läuft Hot In Here von Nelly, unsere Blicke werden immer tiefer und wiederholen sich in immer kürzeren Abständen, sodass wir die Hälfte des Liedes einander zugewandt sind. Ich muss sie ansprechen, komme, was wolle. Diesmal muss ich mich trauen! Aber wiederum: wie??? Ich habe nichts zu verlieren. Die Chance meines Lebens, also trete ich einen Schritt näher … und näher …, bis ich direkt vor ihr tanze.

Alle möglichen Satzanfänge gehen mir durch den Kopf – und dann das: „Hi, wie heißt du?“ Mir fällt spontan nichts anderes ein. Da die Musik so laut ist, muss ich ganz nah an sie heran, um zu fragen, und sie natürlich auch wieder ganz nah an mich heran, um zu antworten. Sie wirft mir kurz einen zögernden Blick zu und sagt mit einer hohen und zarten Stimme: „Malena.“

Da ist er nun, der Name. Erlösend speichert er sich sofort im Hippocampus ein, und von da an ist es nicht mehr einfach nur „die Blonde“. Wir kommen ins Gespräch, Fragen meinerseits und ihrerseits werden gestellt und beantwortet. Alles ist zu schön, um wahr zu sein, der Abend kann nicht übertroffen werden. Doch schon kurze Zeit später platzt die Seifenblase, ein großer Kerl in dunkler Tarnjacke wirft seinen Schatten über uns. Dieser Gesichtselfmeter scheint nicht gerade glücklich zu sein, er schaut mich mit grimmigem Gesichtsausdruck an und schiebt sich direkt in mein Sichtfeld. Packt sie am Arm, schleppt sie zur Seite und schubst mich dabei weg. Da er ca. einen halben Meter größer ist als ich, neigt er nur seinen Kopf zu mir, droht mir mit Schlägen und verschwindet mit ihr von der Tanzfläche. Ihr Blick wendet sich von mir weg. Sie dreht sich zum Gang und geht vor ihm her. Schlagartig ist das gute Gefühl weg. Was soll ich machen? Mich mit dem Typen anlegen? Nun ja, er ist einer der Türsteher, und davon gibt es ein paar in diesem Laden. Ich habe sie schon mehrmals in Aktion gesehen. Alle Pros und Kontras gehen mir durch den Kopf, doch bevor ich überhaupt reagieren kann, sind sie schon weg. Perplex stehe ich da, verstehe kurz die Welt nicht mehr und mache mich vor lauter Frust auf den Weg zur Theke. Ehrlich gesagt bin ich immer noch schockiert. Mit dieser Situation habe ich gar nicht gerechnet. Was ist sie, etwa sein persönliches Eigentum?! Wie kann sie das nur zulassen? An dieser Stelle zweifele ich an ihrer Charakterstärke, aber auch an meiner, denn wirklich was unternommen habe ich nicht. Hätte ich mich doch bloß auf die Schlägerei eingelassen.

Ich stehe eine ganze Weile an der Theke, will unbedingt bei ihr bestellen, doch sie ist mit anderen Kunden beschäftigt. Stur ignoriert sie mich, als ob ich der Schuldige für die eben abgelaufene Szene wäre. In der Zwischenzeit fragen mich einige andere Barkeeper, was ich möchte, ich bedanke mich und behaupte, dass ich schon bestellt habe. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie mich ebenfalls beobachtet. Nach einiger Zeit kommt sie auf mich zu und fragt, was ich haben will. Mir geht nur eine einzige Antwort durch den Kopf: „Dich!“ Doch alles, was ich sage, ist: „Was war das da gerade?“ Sie erwidert, dass sie mit dem Bruder von diesem Türsteher zusammen sei. Ein Schlag auf die Nase ist nichts dagegen. Alter, tut das weh! Frust kommt in mir hoch. Um kein Aufsehen zu erregen, bestelle ich nur noch einen Wodka Red Bull. Sie sieht die Enttäuschung in meinem Gesicht, wendete sich ab, macht mir den Drink, doch bei der Übergabe der Verzehrkarte berührt sie meine Hand mit einem Streicheln. Der Tacker durchbohrt die Karte, sie gibt sie zurück und sagt: „ Sorry!“ Beim Blick auf die Karte bemerke ich, dass sie gar nicht richtig gelocht hat. Das ist dann wohl ein Wiedergutmachungsdrink?! Aber wieder gut wird an diesem Abend gar nichts mehr …

Ich musste irgendwie all die Fragen, die in mir aufkamen, bewältigen. Wieso hat sie überhaupt mit mir getanzt und mir ihren Namen verraten? Doch eine Antwort fand ich nicht. Eine Zeit lang blieb es zwischen uns bei einem einfachen „Hallo“. Aber ein Virus hatte mich infiziert. Sie ging mir ständig durch alle Hirnwindungen und Nervenzellen. Eine Aussicht auf Heilung gab es nicht. Während des normalen Alltags lief sie mir vor meinem inneren Auge entgegen. Oft erwischte ich mich dabei, wie ich darüber nachdachte, was sie den Tag über machte oder welchen Beruf sie ausübte. Dabei blieb auch der Gedanke nicht aus, dass sie mit diesem Typen zusammen war. Ich redete mir ein, dass sie mit ihm nicht glücklich sein konnte, wenn sie doch mit mir getanzt hat und sich auch so eindeutig für mich interessierte. Das ist zumindest meine Einschätzung. Doch ich war zu schüchtern, um noch mal auf sie zuzugehen, wenn wir uns sahen. Noch nie hatte mir ein Mädel so den Kopf verdreht, ich verstand nicht, was da mit mir passiert ist an jenem Abend. Meine Kumpels sagten, dass ich mich verschossen hätte! Aber wie soll das gehen, wenn man die Person gar nicht kennt? L**** auf den ersten Blick? Nee, daran glaubte ich nicht!

Einige Wochen später sind wir wieder einmal in dem Club. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt, wir feiern ausgelassen und im Bruchteil einer Sekunde steht sie in meiner Nähe. Sie sieht mich an, kommt herüber. Streckt mir ihre Hand entgegen und fragt: „Wie gehts?“ Ich erwidere nur: „Gut, aber wo ist denn dein Bodyguard?“ Der hat seinen freien Tag, erfahre ich, und so kommen wir diesmal ungestört miteinander ins Gespräch. Wir verstehen uns auf Anhieb. Es folgen die üblichen Fragen wie „Was machst du so beruflich? Woher kommst du?“ usw.

„Physiotherapeutin“, antwortet sie, sie ist noch in der Ausbildung. Da sie leider nicht in Dortmund, ihrer Heimatstadt, angenommen wurde, besucht sie nun die Schule in Minden. Dort wohnt sie auch die Woche über, am Wochenende ist sie zu Hause und arbeitet nebenbei in der Disco. Spaßeshalber meine ich zu ihr, dass ich sie in Minden besuchen komme. Daraufhin gibt sie mir ihre Handynummer und die Adresse der Schule.

Ich muss meine Wahrnehmung glätten, nüchtern, sachlich die Ereignisse sacken lassen und erst mal verstehen, was gerade passiert. Es ist surreal – aber da ich große Sprüche gemacht habe, muss ich auch Wort halten. Was mir nichts ausmacht, im Gegenteil. Ich freue mich tierisch. Als ich den Zettel mit der Nummer und der Adresse in der Hand halte, kann ich es gar nicht fassen. Es ist, als ob ich einen Test bestanden und als Belohnung ein Zertifikat erhalten hätte! Eine Welle von Glück, Freude und allem, was man so fühlt, wenn einem so etwas passiert, überschwemmt mich. Zu meinem inneren Jubel kommt eine flammende und eiserne Entschlossenheit, sie tatsächlich zu besuchen, sie näher kennenzulernen.

Einige Tage später saß ich bei Emilio und wir zerbrachen uns den Kopf, was ich machen könnte, damit sie unser erstes Date nicht vergessen würde. Meine Gedanken stolperten übereinander, doch nach einer Weile stand fest, was wir tun.

Nun ja, zunächst habe ich mich aber die ganze Woche über nicht bei ihr gemeldet. Das war Schritt eins des Plans. Der zweite Schritt folgte am Freitag: Das war der Tag, auf den ich seit zwei Jahren wartete.

Anstatt zur Uni zu fahren und mir Mathe reinzuziehen, fahre ich morgens um 8:00 Uhr nach Minden. Schließlich liegen ca. 190 km vor mir und ich will nicht zu spät ankommen. Es ist gegen 9:30 Uhr, als ich da bin. Mit leeren Händen will ich sie nicht besuchen, das macht man einfach nicht, also halte ich nach einem Blumengeschäft Ausschau. In der Altstadt finde ich einen kleinen Laden, der Gott sei Dank bereits geöffnet hat. Die freundliche Dame verkauft mir eine rote Rose, die sie in Klarsichtfolie einhüllt. Ich glaube, sie weiß, dass es ein kleines Geschenk sein soll. Anschließend fahre ich zur Schule, stelle den Wagen in einer Parkbucht vor dem Gebäude ab – und warte.

Ich bin in diesem Moment das Musterbeispiel eines Paradoxexemplars. Auf der einen Seite fühle ich mich lebendig, glücklich, über das ganze Gesicht strahlend, und auf der anderen Seite zerfällt mein Inneres in tausend Stücke, ach, es verflüssigt sich alles in mir. Doch nun nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, steige aus dem Wagen und bewege mich auf den Haupteingang der Schule zu. Dort angekommen, gehe ich einen langen, breiten Flur entlang. Doch ich stehe vor einem Problem: Ich weiß doch gar nicht, wo sie sich gerade befindet! So viele Etagen, so viele Gänge, so viele Türen. Ich kann doch nicht von Tür zu Tür laufen, das kann ich nicht bringen! Da mache ich mich doch zum Volldepp!

Die Pause muss gerade beendet worden sein, nehme ich an, denn egal, wohin ich meinen Blick wende, alles ist wie ausgestorben. Wie der Zufall es will, kommt ein Typ die Treppe herunter. Sieht aus wie ein Schüler, relativ jung, dunkle Haare und eine Joggingbuxe an. Ich halte die Rose in der Hand, ich sehe ihn, doch bevor ich fragen kann, fragt er: „Ist die für mich?“

Ich grinse, erwidere: „Nur, wenn du eine Malena kennst. Eine kleine hübsche Blondine, ca. 1,60 m groß.“

„Ja, die kenn ich, die sitzt im zweiten Stock. Du musst die Treppe rauf, erste Tür rechts“, sagt er lachend.

„Korrekt, besten Dank, Alter!“

Und so ziehe ich schnurstracks an ihm vorbei, nehme dabei immer zwei Stufen auf einmal. Und da bin ich nun, stehe vor einer hellgrauen, alten Holztür mit Verzierungen. Ich halte ein Ohr an das Türblatt, lausche, ob da überhaupt Unterricht stattfindet. Ich weiß ja nicht, ob der Typ mich nicht verarschen wollte! Ich beginne zu zittern, die Hände werden unruhig, mein Magen dreht sich. Die Gedanken spielen verrückt. Ehrlich gesagt, bin ich so nervös, dass ich abhauen will. Dann denke ich nur noch: Wenn du da jetzt nicht reingehst, wirst du es dein Leben lang bereuen! Los gehts, eins, zwei, drei … In der linken Hand die Rose, die rechte balle ich zur Faust, hebe sie, will gerade mit meinen Handknöcheln gegen die Tür klopfen – da geht plötzlich links von mir eine Tür nach außen auf. Ich bin in diesem Moment wie erstarrt, sehe zur Tür. Eine junge Frau kommt heraus. Ich weiß gar nicht mehr, wie sie aussah. Sie blickt mich mit einem Lächeln an, sagt nichts und verschwindet hinter meinem Rücken die Treppe hinunter. Die Schweißperlen auf meiner Stirn werden noch größer. Ich trete wieder einen Schritt zurück, atme tief durch, reiße mich zusammen, sage mir: „Scheiß drauf, geh jetzt da rein, entweder ist sie da drin oder halt nicht!“ Mein Puls ist, glaube ich, auf 280, so kurz vor der dem Überdrehen. Wenn ich noch länger warte, falle ich um vor Nervosität.

Ich lausche wieder an der Tür, auf einmal ist es da drin sehr laut, was mich auch nicht ruhiger macht. Dann geht alles ganz schnell: Ich klopfe dreimal schnell an der Tür, packe mit einem Ruck die Türklinke und reiße die Tür auf, gehe durch in den Raum und begrüße die Klasse mit einem lachenden „Guten Morgen zusammen, Blumendienst! Ist hier eine Malena?“.

Mein erster Blick richtet sich nach vorne, wo die Lehrerin gerade etwas erklärt. Ich meine, sie hat so eine Art Knochen in der Hand. Neben ihr ist eine Massageliege aufgebaut. Ich komme mir echt komisch vor, aber egal, ich muss jetzt liefern und die Aktion durchziehen. Als sie mich erblickt, verstummt sie schlagartig, sieht mich mit einem Lächeln an und erwidert mein „Guten Morgen“.

Zu meiner Linken sitzen die Schüler, es sind so etwa fünfzehn. Allesamt mucksmäuschenstill, die Augen und Münder aufgerissen. Meine Augen scannen alle Gesichter. Die Erste, die etwas sagt, ist die Lehrerin: „Ach, wie süß.“

In der zweiten Reihe werde ich fündig, ein breites Grinsen, das Gesicht knallrot angelaufen, schlägt sie die Hände vor den Mund, als ob sie niesen müsste. Schüttelt leicht den Kopf. Ich lache sie an, tue so, als ob ich ein einfacher Blumenlieferant wäre. Doch Malena steht wie in Zeitlupe auf, fragt die Lehrerin, ob sie kurz mit hinaus könne. Sie kommt mir entgegen und ich übergebe ihr die Rose, dabei halte ich mich an der Tür fest, um nicht umzukippen. Wir gehen gemeinsam auf den Flur. Ich wende mich mit einem Lachen noch mal der Klasse zu, da fangen alle an zu klatschen. Das ist echt schön, finde ich, richtig cool von ihnen.

Ich schließe die Tür und da meint sie nur zu mir: „Damit habe ich absolut nicht gerechnet, du bist echt verrückt!“ So, wie sie es sagt, ist das wie Schokolade, einfach zuckersüß, meine Blonde Schokolade .

Wir unterhalten uns nur kurz. Ich bin nur am Grinsen und sie ist sichtlich geschockt, aber positiv. Nach ein paar Minuten verabreden wir uns für die nächste Pause. Diesmal öffnet sie die Tür. Sie ist nicht einmal ganz drin im Raum, da fangen ihre Klassenkameraden wieder an zu klatschen. Als sich die Tür schließt, bin ich einfach nur happy. Ich könnte die ganze Welt umarmen! Es dauert noch einen Augenblick, bis ich mich von der Tür abwende und zum Auto gehe. Nach ca. 40 Minuten höre ich den Schulgong, springe aus dem Auto und laufe Richtung Schule.

Wir treffen uns im Flur, gehen gemeinsam in so einen Gruppenraum oder Aufenthaltsraum im Keller. Er ist mit älteren Ledersesseln im englischen Stil und einfachen Tischen bestückt. Wir setzen uns und sie fängt direkt an zu erzählen, aber ich bekomme kaum etwas mit, weil ich sie erst mal von oben bis unten mustere. Sie trägt eine sportliche, etwas weitere beige Hose, dazu schwarz-weiße Puma-Schuhe und ein weißes Oberteil. Darüber hält sie eine schwarze Daunenjacke warm. Es ist schließlich noch Winter. Wenn man mich dagegen ansieht, sehe ich aus wie ein Sommeridiot, Shirt und eine einfache, hellblaue, zerrissene Jeansjacke mit passender Jeanshose und weiße Sneakers. Aber ich glühe so sehr, dass ich schon fast schwitze. Die Kälte nehme ich gar nicht wahr. Doch zurück zu Malena. Die goldenen Haare sind zu einem Zopf gebunden, das Gesicht ist ungeschminkt und der Duft wieder so süß, aber diesmal empfinde ich es noch intensiver. Ich schaue sie einfach nur an, dabei kann ich nicht fassen, wie hübsch sie ist.

Während der Pause unterhalten wir uns weiter, und als ich sie frage, wie lange sie denn noch Unterricht habe, meint sie glücklich: „Dank dir habe ich eine Stunde eher frei. Ich soll dir von meiner Lehrerin ausrichten, dass du ein ganz Süßer bist!“

Als ich das höre, werde ich ein wenig verlegen und schäme mich, aber es schmeichelt mir auch. Ziel erreicht, denke ich mir. Ich bin so froh, das alles getan zu haben.

Da läutet der Schulgong, der Unterricht fängt wieder an. Sie geht hoch.

Ich gehe zum Bäcker und gönne mir in Ruhe einen Kaffee und ein Brötchen. Die letzte Wartestunde vergeht wie im Flug. Ich sitze bereits im Auto, als sie herauskommt. Ich gehe ihr sofort entgegen, nehme ihr die Sporttasche ab und lege sie auf die Rückbank. Die Rose aber hält sie die ganze Zeit in der Hand. Als ich sie frage, ob sie die Blume nicht auch nach hinten legen wolle, verneint sie nur kurz und hält sie die ganze Fahrt über fest. Bevor wir losfahren, soll ich, so trägt mir Malena auf, der Lehrerin ein Zeichen geben, dass alles in Ordnung sei. Also hupe ich ein paarmal und wir fahren los Richtung Heimat.

Auf der zweistündigen Heimfahrt unterhalten wir uns gut, lernen einiges voneinander kennen. Ich empfinde die gesamte Fahrt als sehr entspannt, dabei fällt mir auf, dass wir sehr viel lachen. Ich fahre absichtlich langsamer, ich würde am liebsten einfach weiter und weiter fahren. Für mich müsste dieser Tag niemals enden. An der Haustür angekommen, bedankt sie sich noch mal bei mir für die Überraschung, die Fahrt und den ganzen Tag. Meine Sinne sind monopolisiert, alle Gedanken drehen sich nur um sie, während der ganzen Fahrt habe ich versucht, alle Eindrücke und Bewegungen, ihre Ausstrahlung, Mimik und ihr ganzes Wesen aufzusaugen, um in der nächsten Zeit davon zu zehren. Polaroidbilder schieße ich mit meinen Augen, das entwickelte Bild wird sofort im Hirn gespeichert. So kann ich, wann immer ich will, in meinem geistigen Fotoalbum stöbern und mich an diesen gelungenen Tag erinnern.

Es war so gegen 16.30 Uhr, als ich zu Hause ankam, meine Mutter wunderte sich, warum ich schon so früh da war, denn normalerweise gingen meine Vorlesungen bis 18:00 Uhr. Ich konnte nicht an mich halten und musste ihr von Malena und diesem Tag erzählen, zwar nicht alle Details, aber schon einiges. Sie hielt mich auf für total bekloppt und schüttelte nur den Kopf. Ich muss gestehen, dass ich wirklich dankbar dafür bin, dass ich mit meiner Mutter über viele Themen sprechen kann. So nahm ich ihre Reaktion mit einem Lachen entgegen, was sollte ich denn auch sonst machen? An diesem Tag hätte mich nichts aus der Bahn werfen können.

Gegen Abend schrieb ich Malena eine SMS, doch sie reagierte nicht. Lange Stunden des Wartens folgten, aber mein Handy rührte sich nicht. Vielleicht hätte ich doch nicht schreiben sollen? Vielleicht war auch etwas passiert? Komisch fand ich das schon, aber ich wollte sie nicht stalken, und so entschloss ich mich, nichts weiter zu unternehmen. Am darauffolgenden Tag, kurz vor dem Abend, kam eine Nachricht von Malena. Sie hatte einen Autounfall, es war aber nur ein harmloser Bagatellschaden, schrieb sie. Ich fragte nach einem Treffen, doch sie war schon mit einer Freundin verabredet. Nun gut, es ist, wie es ist, dachte ich mir. Dennoch fand ich die ganze Situation etwas eigenartig. Ich erzählte Emilio davon, er konnte das alles auch nicht so ganz nachvollziehen.

So verging eine ganze Woche ohne Kontakt. Am Samstag traf ich sie in der Disco – wo denn auch sonst?! –, dort war sie wieder wie ausgewechselt, lachte viel und wir unterhielten uns. Die Getränke waren dank ihrer freundlichen Mithilfe schon teilweise gratis. Alles wirkte, als habe sie tatsächlich auch Interesse an mir.

Derweil war die Jahreszeit fortgeschritten, es war tiefer Winter, es wurde immer kälter, die Tage wurden kürzer, die Nächte länger. Es ging auf Weihnachten zu. Sogar Schnee lag auf den Straßen. Unser Kontakt beschränkte sich komplett auf die Discobesuche, keiner von uns beiden meldete sich beim anderen, teilweise war er auch vollständig unterbrochen. Ich versuchte bei jedem Besuch in der Disco, sie zu meiden. Keine Bestellungen, keine Unterredungen mehr, nichts mehr. Ich versprach Emilio, sie zu vergessen, mich nicht verrückt zu machen, aber keins dieser Versprechen konnte ich halten. Es war wie verhext. Schuld daran war auch, dass wir ständig in diesen scheiß Laden gingen. Mein Drang nach Alkohol ging in dieser Zeit stetig gegen null, so war ich meistens derjenige, der uns nach Hause fuhr. Im nüchternen Zustand konnte ich mich nicht dazu überwinden, zur Theke zu gehen und meine Kontaktversuche zu starten. Ich hatte auch irgendwie keinen Bock mehr. Ich bin doch kein kleiner Hund, der ihr hinterherläuft, das habe ich mehr als genug gemacht, das reicht nun, dachte ich mir.

Dann war es kurz vor Heiligabend, meine Birne spielte mir Streiche, ließ mich nicht mit dem Thema in Frieden. So beschloss ich, doch noch einen Versuch zu wagen. Es ließ mir keine Ruhe, also unternahm ich einen wirklich letzten Versuch. Das versprach ich Emilio, der mich mittlerweile als vollständig hirnlos diagnostizierte. Ich musste ihm aber auch zugutehalten, dass er mich nie im Stich ließ. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich und akzeptierte mich so, wie ich war. Als Dank zerrte ich ihn ins Auto und wir fuhren zu einem Bastelladen. Dort besorgte ich mehrere rote DIN-A3-Kartons und einen schwarzen 3000er-Edding. Es war kurz vor acht, das Geschäft war kurz davor zu schließen. Wir erhielten die benötigten Utensilien in letzter Sekunde. Derart ausgerüstet fuhren wir anschließend nach Minden.

Auf der halben Strecke fing es an zu schneien, das kam bei mir besonders gut an, denn meine Reifen waren nicht mehr die besten, und so fuhren wir mit ca. 80 km/h auf der grauweiß bedeckten Autobahn.

Ich musste mich auf die Straße konzentrieren und dabei gleichzeitig kreativ sein. Da Männer nicht so geübt im Multitasking sind, hielten wir irgendwann an einer Raststätte. Dort überlegten wir zum ersten Mal, was wir überhaupt machen sollten. Emilio ließ mich nicht hängen, er strengte sich an, mit mir etwas Besonderes zu basteln. Im Nachhinein ganz schön bescheuert, aber so war es nun mal.

Als Malena und ich nach unserem ersten Treffen noch in Kontakt standen, schaffte ich es, mich noch einmal mit ihr in Minden zu treffen. Dieses Mal außerhalb der Schulzeit. Wir gingen in ein Café und hatten wieder eine schöne und lockere Unterhaltung. Da wir uns diesmal direkt in der Stadt getroffen hatten und sie kein Auto dabei hatte, fuhr ich sie zu ihrem Studentenwohnheim. Wie sie mir erzählte, teilte sie sich dort ein Zimmer mit einer Kommilitonin, was für mich total O. K. war. Wir saßen noch eine ganze Weile im Auto. Das war das erste Mal, dass ich den Wunsch verspürte, sie zu küssen. Am liebsten hätte ich sie an ihrer Jacke gepackt und sie einfach an mich gezogen, doch natürlich war es so nicht. Ich war voller Angst, ich hatte diesbezüglich zu viele negativen Gedanken. Ich fürchtete mich davor, irgendwas kaputtzumachen. Ich Feigling!

Zurück zum dritten Trip nach Minden. Wie gesagt, wir standen an der Tanke und überlegten und überlegten … Ein Gedicht sollte es werden. Maßgeschneidert auf die ganze lächerliche Situation, in die ich mich hineinmanövriert hatte. Das war wahrlich keine leichte Aufgabe. Zwei Jungs im Auto, Schnee, Tanke. Alles keine guten Voraussetzungen, um in eine romantische Stimmung zu kommen und ein paar Verse zu schreiben. Es wurde zu einer Herausforderung. Wir konnten schließlich nicht die ganze Zeit dort an der Tanke stehen und warten, bis uns was einfiel. Also fuhren wir weiter, und nach und nach kamen uns die ersten Ideen.

Rechtzeitig, besser gesagt, gerade so fertig geworden mit dem Beschriften des Papiers, kommen wir am Studentenwohnheim an. Es ist schon kurz nach halb elf. Ich will nicht länger warten und nicht zu spät bei ihr aufschlagen. Ich mache mich auf den Weg zu dem Gebäude, doch es scheint, als ob ich schon an der Eingangstür scheitere. Keine Namen, nur Nummern. Die Tür verschlossen. Es soll doch eine Überraschung werden, also was tun?

Entweder einmal quer alle Klingeln drücken und hoffen, dass ich ihre erwische, oder warten, bis vielleicht jemand herauskommt? Das scheint aber auch unwahrscheinlich, da es schon so spät ist. Aber bekanntlich ist das Glück ja mit den Doofen, keine zwei Minuten später kommt ein Bursche den Gang entlang und will gerade rausgehen. Emilio bleibt im Auto, ich nutze die Gelegenheit und gehe hinein. Aber wie finde ich sie? Ich schaue auf die Briefkästen an der Wand. Es sind gefühlte hundert Namensschilder samt Nummer. Ich suche Malenas Zimmernummer und gehe drauflos.

Da stehe ich nun wieder vor einer Tür, die roten Kartonbögen in der Hand. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich klopfe. Sie ist zu Hause, ruft durch die geschlossene Tür, wer da sei. Aber ich antworte nicht, sondern klopfe erneut, solange, bis sie zur Tür kommt und öffnet. Sie starrt mich verdutzt an, will gerade etwas sagen, aber ich halte meinen rechten Zeigefinger vor meine Lippen und zische nur: „Pst!“ Sie schlägt die Hand vor den Mund. Der Flurbereich ist dämmrig. Ich werde nur von dem Licht, das aus ihrem Zimmer dringt, angestrahlt. Ich halte die Bögen in Augenhöhe, damit sie sie gut sehen kann, und sie fängt an zu lesen.

Psssst!

Vor Jahren noch unerreichbar,

jetzt so nah und doch so fern!

1000 Worte und Jahre reichen nicht aus,

um deine Schönheit aufs Papier zu bringen.

Nun steh ich hier vor dir mit zitternden Beinen,

schwitzenden Händen und

einem durchgeknallten Herzen!

Nur um dir eins zu sagen:

Ich würde und werde bis ans Ende der Welt gehen,

nur um dich für einen Augenblick zu sehen!

Denn für mich bist du was Besonderes.

Du fragst dich bestimmt, weshalb ich das tue?

Um es im Leben nie zu bereuen …

… versucht zu haben, dein Herz zu erobern!

Pssst! Behalte den heutigen Abend in deinem …

Sie sagt nichts! Ihr Gesicht ist rot angelaufen, sie schüttelt den Kopf und findet das alles unfassbar, so sagt sie es zumindest. Nun bin ich der Coole und sie zittert am ganzen Körper, man sieht es ihr richtig an. Nach einem Moment sage ich, dass ich jetzt wieder fahre. Da starrt sie mich an, fasst sich an die Stirn und meint nur: „Für zehn Minuten bist du extra 200 km gefahren?“

„Ich würde sogar um die ganze Welt fahren, nur um dich einen Augenblick zu sehen.“ Erst will sie die Bögen haben, doch ich will sie ihr nicht geben. Doch sie schafft es, mich zu überreden, na ja, ich kann ihr den Wunsch nicht verweigern. Als sie das Gedicht in den Händen hält, schaut sie es sich noch mal genau an, doch ich verabschiede mich und gehe los. Innerlich hoffe ich natürlich, dass sie mich aufhält oder mir nachruft, aber sie tut es nicht, und so gehe ich zum Auto zurück. Von Weitem sehe ich meinen Begleiter im Wagen sitzen, der mich neugierig anschaut und es kaum erwarten kann, bis ich mich endlich neben ihn setze und ihm alles erzähle. Mir geht so viel durch den Kopf, dass ich erst mal gar nicht in der Lage bin, überhaupt zu sprechen. Ich muss erst mal alles verdauen.

Auf dem Rückweg hielten wir bei McDonald‘s, bestellten etwas zu essen, erst dann konnte ich so langsam von den zehn Minuten erzählen. War ja eigentlich nicht viel. Das ging relativ schnell. Die Gedanken drehten sich nonstop um sie, ich hätte zu gern gewusst, worüber sie jetzt sprach, was sie dachte, was sie machte. Weil ich so in Gedanken war, fuhr Emilio. Ich starrte alle zwei Minuten auf das scheiß Handy, doch es kam nichts. Kaum stieg ich aus dem Wagen und ging zur Haustür, bekam ich eine SMS von ihr. Sie bedankte sich vielmals bei mir – und beteuerte, dass ich verrückt sei. Das war die letzte Nachricht, von da an kam nichts mehr von ihr.

Ich redete mir ein, dass ich wohl nicht ihr Typ war oder sie einfach kein Interesse hatte, mich näher kennenzulernen, und es mir nicht ins Gesicht sagen wollte oder konnte. Mein Versprechen gegenüber Emilio habe ich dann auch gehalten und mich nicht mehr bei ihr gemeldet. Nach und nach verschwanden die Bilder, Wünsche und Träume vor meinen Augen und schließlich auch aus meinem Kopf. Ich gab es einfach auf. Nichtsdestotrotz grüßte ich sie höflich, wenn wir uns in der Disco sahen, dabei blieb es dann aber auch. Das Schlimme für mich persönlich war im Grunde, dass sie mir keine ehrliche Antwort gegeben hat. Ich hatte keinen blassen Schimmer, woran es gelegen hat, dass sich aus der Situation nicht mehr entwickelte. Ich hatte damit wirklich eine Weile zu kämpfen. Um ehrlich zu sein, habe ich auch versucht, mit allen Mitteln die Sehnsucht nach ihr zu betäuben, mit Gorbatschow und seinen Genossen. Hinzu kamen noch seine Kameraden Jack, Jim und Johnnie, doch keiner von ihnen konnte meine Gedanken und Gefühle ertränken, sie hatten immer noch Luft zum Atmen. Ich wollte sie mir tatsächlich aus dem Kopf trinken. Gott sei Dank konnte ich diesem therapeutischen Ansatz nicht lange standhalten und brach ihn frühzeitig ab. Nach einer Weile verflüchtigten sich die Gedanken wie Schleierwolken am Himmel und es wurde mit der Zeit besser und besser. Heute kenne ich den Grund für ihr Verhalten.

Blonde Schokolade Vol.1

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