Читать книгу Dynamit unter dem Huf - Glenn Stirling - Страница 6

1

Оглавление

Sie sind drei Tage unterwegs.

Ihre Pferde sind abgetrieben, verschwitzt und vom Alkalistaub wie paniert.

Doch die Packtaschen an den Sätteln sind prall gefüllt, und das ist es, was die vier Reiter

vorwärtstreibt, weiter und weiter, auf der Flucht vor zwei Sheriff-Possen.

Sie sind eine Stunde lang den Little Zuni River entlanggeritten. Nach dem letzten Regen führte er noch Wasser.

Vielleicht haben sie die Spuren verwischen können, vielleicht ist die Posse des einen Sheriffs

nicht mehr so dicht hinter ihnen.

Jetzt, in der schmalen langen Schlucht, halten sie an, sehen sich wie auf ein Kommando um, doch es ist niemand hinter ihnen zu sehen, niemand zu hören.

Stechend brennt die Sonne in die Schlucht hinab, die Luft hier unten ist stickig und backofenheiß.

Tom Vickers, der die Gruppe führt, schiebt sich den Hut ins Genick. Sein sehniges, ausgemergeltes Gesicht entspannt sich.

„Gut, jetzt haben wir eine Atempause. Aber sie werden wiederkommen, werden uns wieder einholen. Die Beute muss weg. Und wir teilen uns dann. Es ist die einzige Chance. Larry, du reitest ein Stück zurück und passt auf, während wir die Beute vergraben! Schnall vorher die Packtaschen ab!“

Die anderen schweigen, sie nicken nur, denn sie begreifen, dass Tom Vickers die einzig mögliche Entscheidung gefällt hat. Es ist viel Hartgeld dabei, und es wird für die Pferde eine zu große Last. Diese Last muss weg. Die Pferde schaffen das nicht mehr.

Während Larry, dieser fahlgesichtige schlanke Bursche, zurückreitet, sitzen die anderen ab. Der bärtige, untersetzte Jackson Wimes heftet seinen Blick auf den Boden und meint:

„Hier wimmelt es von Wildpferden. Die halten sich hier auf. Muss eine ruhige Ecke sein, wo selten oder nie einer lang kommt.“

„Also, dann die beiden Spaten heraus. Dort drüben den Stein weg, darunter graben wir!“ Tom Vickers nimmt seine Packtaschen vom Pferd und schleppt sie in den Schatten der steil aufragenden Felswand,

Der bullige Jackson Wimes und der Mestize Ringo beginnen zu graben. Ringo, dem die Hitze wohl um besten bekommt, arbeitet wortlos und unverdrossen. Der Boden ist hart und steinig.

„Der Teufel hole es, hier ein Loch zu graben!“, schimpft Jackson Wimes. „Man quält sich und kommt doch nicht voran.“

„Im Steinbruch hast du dich auch nicht beschwert“, erwidert Tom Vickers spöttisch. „Tiefer, Jackson, tiefer!“

Endlich haben sie das Loch fertig. Alle Packtaschen werden hineingelegt, dann schaufelt der Mestize zu. Zuletzt rollen sie den schweren Stein wieder auf die Stelle und verwischen die Spuren.

Jackson Wimes schnallt seinen Spaten an den Sattel und wischt sich den tropfenden Schweiß von der Stirn. „Wir sollten eine Lageskizze machen, Tom!“

„Nur Narren tun das. Merke dir genau, wo es liegt. In genau drei Wochen sehen wir uns an dieser Stelle wieder, um es zu holen. Wer früher auf diese Idee kommt, hat immer die drei anderen im Nacken. Daran müsst ihr denken.“

„Und wenn es einer findet, der gar nicht zu uns gehört?“, fragt Jackson Wimes lauernd.

„Dann jagen wir den. Aber so leicht findet das kein Fremder. Es sei denn, einer von euch quatscht.“

„Dummes Zeug“, brummt Jackson Wimes, und er denkt daran, dass sie seit Monaten immer zusammen sind. Zusammen in Yuma, zusammen im Steinbruch, schwer bewacht von den Posten des Gefängnisses, zusammen ausgebrochen, zusammen den Raubzug durchgeführt, um die Kasse des Bahnhofes in Flagstaff zu plündern. Schlimm ist, dass ihnen ein Mann in die Quere geriet, den Tom erschoss. Jetzt hängt ihnen auch Mord an, und das macht die Sheriffs so verrückt.

„Aufgepasst, Larry winkt!“, sagt Ringo mit der für Mexikaner typischen heiseren und kehligen Stimme.

Die beiden anderen sehen hin. Jetzt kommt Larry auf sie zugeritten. Er treibt sein Pferd an, und da wissen sie Bescheid. Sie sitzen auf und warten nur noch, bis Larry nahe genug ist.

„Keine Sorge, es sind nur zwei Cowboys. Aber sie kommen direkt auf die Schlucht zu. Sieht aus, als wollten sie jagen.“

„Trotzdem wollen wir weiter. Kommt, Jungs, besser, die Cowpuncher treffen uns hier nicht!“ Tom treibt seinen Rappen an und reitet los. Die anderen drei folgen.

Als sie aus der Schlucht heraus sind, teilt sich die Reitergruppe zu je zwei Reitern. Tom Vickers reitet mit dem Mestizen Ringo, Larry, der schmächtige Junge, bleibt bei Jackson Wimes.

„In drei Wochen in der Schlucht!“, ruft Tom Vickers noch, und Jackson Wimes nickt nur. Dann reitet er mit Larry in Ostrichtung, wahrend Tom Vickers einen Bogen nach Norden schlägt.

„Wohin reiten wir?“, fragt Larry.

Jackson Wimes krault sich den Bart und lacht leise. „Tja, Junge, eine bessere Idee konnte Tom gar nicht haben. Wir werden jetzt drei Wochen lang ein Leben wie die Waisenknaben führen. Erinnerst du dich, wie ich dir von Henry Mark erzählt habe.“

Larry sieht ihn ein wenig verständnislos an und scheint sich nicht zu entsinnen.

„Du weißt doch, es ist der, mit dem ich zusammen im Kriege war. Ein prächtiger Bursche. Ich habe ihn damals in Fredericksburg aus der Tinte gezogen. Wäre bestimmt draufgegangen, der Junge. Na, später waren wir auch noch zusammen als Treibherdenboys. Und was glaubst du, wo Henry jetzt ist? Ganz nahe von hier auf der Dwight-Ranch. Ist dort Vormann. Und ihn werden wir besuchen, mein Sohn. Er wird uns in seine Mannschaft stopfen, und wir sind dann ehrbare Cowpuncher.“

„Aber ich verstehe doch gar nichts von Rindern und …“

Der Bärtige lacht schallend. „Das lernst du schon. Bin ja bei dir. Und was Henry angeht, dem darfst du nie sagen, was wir getan haben. Nie, hörst du! Der hat einen Knall in dieser Beziehung. Dem sagen wir, dass wir zufällig in eine Banditenhatz geraten sind und von der Posse für Banditen gehalten wurden. Nichts anderes. Dabei sind wir doch grundehrliche Burschen, was?“ Er lacht wieder schallend und schlägt sich übermütig auf die Schenkel.

Larry fühlt sich offenbar nicht ganz wohl bei dieser Zukunft. „Ich weiß nicht, Jackson, aber die suchen uns doch, und es gibt doch Steckbriefe und …“

Jackson nickt. „Gibt es. Aber ich werde Henry da schon die passenden Worte sagen. Der schickt uns in ein Herdencamp, und dort lassen wir uns von der Sonne bescheinen. Schließlich habe ich ihm das Leben gerettet, und Henry Mark vergisst so was nie.“

Der Abend kommt, und die Sonne leuchtet als Feuerball dicht über dem Horizont. Die Schatten der beiden Reiter eilen schmal und lang vor ihnen her.

Weit voraus blitzt es rötlich auf, und Jackson Wimes bemerkt trocken: „Na, und dort ist schon die Ranch. Was kann uns jetzt schon noch passieren? Und außerdem. Larry, merk dir das: die Aufgebote folgen todsicher Tom und Ringo, denn bisher haben wie vier nie bewohntes Gebiet aufgesucht. Die Verfolger werden denen nachreiten, die weiter durch die Wildnis fliehen, nicht uns, die wir geradewegs auf eine Ranch zuhalten.“

„Hoffentlich“, brummt Larry, und ihm kriecht es kalt den Rücken hinauf bei dem Gedanken, auf der Ranch von einer Posse überrascht zu werden. Vielleicht weiß man auf der Ranch schon Bescheid, vielleicht reiten sie beide genau in eine Falle.

Er wirft einen scheuen Blick auf Jackson, doch der scheint guten Mutes zu sein und pfeift vor sich hin. Er sieht so harmlos aus, dieser Jackson Wimes. Niemand würde jetzt denken, dass er ein gefährlicher Sattelpirat ist, der in Yuma einen Aufseher niederschlug, der später im Steinbruch brutal zwei Wärter niederschoss, als die Flucht der vier abrollte. Larry weiß, dass Jackson ein gefährlicher reißender Wolf sein kann, so friedlich er jetzt auch aussehen mag.

Aber auch Larry ist nicht der milchgesichtige Junge, als der er einem erscheint. Er war in Yuma, weil er eine Ranchersfrau überfiel und die Ranchkasse raubte. Ein Coyote, dieser Larry, und dennoch gefährlich, gerade, weil er ein Coyote ist.

Diese beiden Wölfe reiten auf die Dwight-Ranch zu, eines der prächtigsten Anwesen im Lande.

Die Abendsonne reflektiert in den Fensterscheiben der Ranch. Der alte Rancher sitzt vor dem Haupthaus auf der Bank und stopft sich seine Pfeife. Neben ihm serviert seine Tochter Rosalie auf einem Tablett den Dämmerschoppen des Alten, eine Karaffe Rotspon. Schwerer mexikanischer Rotwein aus Tehuantepec, ein kleines Vermögen wert. Es ist der einzige Luxus, den sich der alte Dwight leistet.

Der alte Mann sieht seine blonde Tochter an, mustert sie stolz, weil sie nicht schlecht geraten ist und denkt daran, dass sie recht bald schon einen Mann finden wird, der sie heiraten will. Finden wird? Ihm ist, als habe sie ihn schon gefunden.

„Kind, hast du Henry schon gesagt, dass er auf ein Glas kommen soll?“

Sie lächelt, und dabei sieht sie noch hübscher aus. Nein, sie ist keine ausgesprochene Schönheit, dazu ist ihr Aussehen viel zu herb und gesund. Sie ist hübsch, und wenn sie lacht, übersieht sie kein Mann.

„Er kommt, Dad, und wenn er sagt, dass er kommt, ist er auch pünktlich.“ Sie blickt gegen die Sonne, hält die Hand schirmend über die Augen und nickt: „Ich glaube, da ist er schon.“

Aber er ist es nicht. Das sieht der Alte noch früher als seine Tochter. Er blinzelt gegen die Sonne, sein Gesicht wird dadurch noch faltiger und erscheint im Sonnenlicht feuerrot. „Es sind Fremde, Kind. Auf ihren Pferden kann einer seinen Hut aufhängen, so mager sind die. Geh ins Haus, Mädchen!“

Gehorsam nimmt sie das Tablett und geht. Als die beiden Reiter in den Hof kommen, tritt Jim Harkinson in die Tür des Haupthauses. Er kaut und scheint gerade aus dem Anrichteraum zu kommen, wo die Mexikanerin Benita mit dunkler Stimme singt.

„Hallo, dürfen wir absitzen?“, ruft der vorderste Reiter, ein bärtiger, bulliger Mann.

Rancher Dwight mustert den Fremden und sagt dann halblaut über die Schulter zurück zu Jim Harkinson: „Sehen nicht sehr vertrauenerweckend aus, die beiden, wie?“

„Was wollt ihr?“, fragt Jim Harkinson mit Bassstimme. Diese tiefe Stimme passt zu seiner Hünengestalt. So lässig er jetzt auch in der Tür lehnt, man sieht ihm trotzdem an, dass bei seinen zweieinhalb Zentnern kein überflüssiges Fett dabei ist.

„Wir wollen Henry Mark besuchen“, erwidert der bärtige Jackson Wimes. „Er ist ein alter Freund von mir, damals, als noch Krieg war …“

„Name?“, fragt Jim Harkinson barsch.

„Jackson Clay“, erwidert Wimes, denn früher hat er wirklich so geheißen. Den Namen Wimes legte er sich erst später zu. Aber das ist eine besondere Geschichte.

Jim Harkinson wird plötzlich freundlich. „Dann bist, du der Bursche, der Henry in Fredericksburg drei Meilen durch den Sumpf geschleppt hat?“

Jackson Wimes nickt. Diesmal kann er wahrheitsgemäß nicken, weil das kein Märchen ist. „Ich bin der Mann“, sagt er rau.

Harkinson wendet sich an den alten Rancher, der ratlos von einem zum anderen blickt. „Dieser Mann dort hat im Kriege unserem Henry das Leben gerettet. Ich glaube, wir sollten ihn bitten, hier Gast zu sein.“

Der Alte erhebt sich schwerfällig.

„Sitzen Sie ab, Mr. Clay! Sie sind herzlich eingeladen.“

Nun winkt Jackson seinen Begleiter nach vorn und sagt: „Ich denke, das gilt auch für meinen Bruder Larry, wie? Wir beide sind zufällig hier vorbeigekommen, und da dachten wir …“

Larry macht ein komisches Gesicht, und Jackson lacht plötzlich, winkt ab und sagt ein wenig leiser: „Na, eigentlich ist alles ganz anders. Wir wollten nach St. Johns und uns dort einer Treibherdenmannschaft anschließen. Unterwegs, etwa beim Little Zuni River, kommen auf einmal so ein paar Verrückte an, knallen herum wie die Narren und wollen uns hopsnehmen. Na, als ich dann sage, dass sie einen Vogel haben müssten, weil wir ja schließlich keine Rustler sind, da taucht einer mit ‘nem Sheriffstern auf und behauptet, wir hätten irgendwo einen Überfall gemacht. Nimmt der uns doch glatt fest. Aber nachts sind wir ihm ausgerückt. Schließlich haben wir keine Lust, uns wochenlang für andere einsperren zu lassen. Womöglich sehen wir den wahren Tätern ähnlich, was weiß ich. Jedenfalls kenne ich das, wenn die einmal einen festnehmen. Oft werden sie noch ganz verrückt und hängen einen für einen anderen auf. Deshalb sind wir also getürmt. Und da sind uns diese Lackel nach. Jetzt wollten wir Henry bitten, uns ein wenig in die Wüste zu schicken, bis diese Narren ihre wirklichen Lumpen gefunden haben. Das kann ja nicht so lange dauern, möchten wir hoffen.“

Der alle Dwight blinzelt zu Jackson hin, und auch Jim Harkinson sagt eine Weile nichts. Dann fragt er ruhig: „Wer war denn dieser Sheriff? Otters aus St. John?“

„Keine Ahnung. Sie nannten ihn Bill, und er war groß, blond und hatte eine vernarbte Nase.“

„Sheriff Wilcox aus Holbrock. Verstehe ich nicht. Der ist doch sonst ein verflucht tüchtiger Bursche. Na, schließlich irrt jeder einmal. Sitzen Sie ab, Gentlemen. Henry Mark kommt sicher gleich. Wir erwarten ihn schon.“

Jim Harkinson pfeift, und zwei Mexikanerjungen tauchen im Bunkhouse auf und übernehmen auf einen Wink hin die Pferde.

Indessen ruft der Alte nach seiner Tochter. Und als sie kommt, erklärt er ihr, wer die beiden sind. Larry begrüßt das Mädchen ein wenig linkisch verlegen, während Jackson sie ungeniert und keck von unten bis oben mustert, sie angrinst und sagt: „Sauber, sauber! Von so was träumt ein Cowboy nur.“ Er kneift ein Auge zu und hätte Rosalie wohl am liebsten die Hand jovial auf die Schulter geschlagen, wie er es bei einer gewissen Sorte Frauen gewohnt ist.

Jim Harkinson hat ihn währenddessen aus den Augenwinkeln heraus beobachtet und macht sich seine eigenen Gedanken.

Der edle Dwight scheint es gar nicht bemerkt zu haben und sagt zu Rosalie: „Serviere den beiden im Küchenhaus das Abendessen. Ich denke, dass Henry da ist, wenn sie damit fertig sind.“

„Hauen Sie nur ordentlich auf die Teller, Darling, wir können‘s vertragen“, meint Jackson, und Rosalie errötet, weil er sie Darling nennt. Wenn Henry das hören würde …

Es genügt, dass Jim es hört.

„Miss Dwight ist nicht Ihr Darling, Mr. Clay. In der Beziehung verstehen wir hier wenig Spaß.“ Er sagt es so, dass ein Widerspruch den offenen Kampf herausfordern würde.

Jackson begreift. „Tut mir leid, Mister, so war‘s nicht gemeint.“ Dann lächelt er so unterwürfig, dass es Jim sogleich leidtut, ihn so angefahren zu haben. Vielleicht hat sich dieser Bursche wirklich nichts Böses gedacht, sagt er sich.

Jackson und Larry verschwinden im Küchenhaus, Rosalie geht in die Küche, um der Mexikanerin Benita ihre Anweisungen zu erteilen. Fünf Minuten später taucht Henry Mark auf.

Sein Pferd ist staubbedeckt, aber es schwitzt nicht. An den Hufen klebt der rot-gelbe Lehm, den es nur an einer Stelle in diesem Gebiet gibt, im Flussbett des Little Zuni River. Jim Harkinson sieht es sofort, wie er das auch bei den beiden abgehetzten Tieren von Jackson Wimes alias Clay und Larry gesehen hat.

Henry sitzt ab, ein kräftiger, wettergesichtiger Mann, dem man vom Äußeren her glaubt, dass er Dwights bester Reiter ist. Er setzt seinen Hut ab, wischt sich übers blonde Haar, das im Widerschein des roten Himmels kupfern leuchtet.

„Hallo, ich komme zu spät, Boss, was?“ Er führt sein Pferd zum Windrad, unter dem die Pumpe Wasser ins Becken sprudelt. Und hier sattelt er ab, während sein Pinto säuft.

Einer der beiden Mexikanerjungen kommt herbei und übernimmt die Zügel. Henry nickt dem Jungen zu und sagt: „Ich sehe nach, ob du richtig abgerieben hast, Tinny!“

Nun nähert er sich der Veranda, und seine Schritte sind ein wenig steif vom langen Ritt und so kurz, wie es Cowboys eigen ist.

Er sieht dem Rancher ins Gesicht, erkennt dessen Unruhe und fragt: „Sind die beiden Reiter, deren Spuren ich gesehen habe, auf der Ranch?“

„Besuch für dich, Henry. Alter Freund, der eine“, sagt Jim Harkinson und lacht. „Wirst du nicht erraten.“

„Für mich?“, fragt Henry verblüfft. „Wüsste nicht, wer …“

„Ein gewisser Jackson Clay. Sitzt drinnen mit seinem Bruder und stopft soviel in sich hinein, dass man denken muss, er hat seit vier Wochen nichts gehabt. Du wirst dich erinnern, ja?“

„Jackson Clay? Prima. Aber wie kommt er hierher?“, fragt Henry Mark überrascht. Er lässt sich neben dem Rancher nieder, der ihn stumm beobachtet. „Ich habe die Spuren gefunden, weil ich nach einem Puma suchte. Dieser Puma hat letzte Nacht wieder ein Kalb gerissen. Wir müssen uns nächstens einmal nach diesem Vieh aufmachen, Jimmy. Der Schaden, den uns diese Bestie macht,

ist beträchtlich. Ja, ich war also im Redmoon Canyon, und dort sah ich die Spuren von vier Pferden. Kurz danach tauchte eine Posse auf mit Sheriff Wilcox. Sie suchten nach einem Kerl namens Toni Vickers, der mit drei Kumpanen in Flagstaff die Transportkasse der Station überfallen hat. Er war nicht ganz sicher, auf der der richtigen Spur zu sein und folgte dann zwei Pferdespuren, die nach Norden führten. Ich aber bin dann auf zwei andere gestoßen, die auf die Ranch zuliefen. So also war das. Jetzt bin ich nur gespannt, was los ist. Ich kann mir nicht denken, dass Wilcox recht hat. Jackson Clay würde niemals an einem Überfall mitmachen.“

„Möchte ich auch nicht hoffen, dass er das tun würde, Henry“, sagt Dwight trocken und hebt sein Glas. „Trink einen Schluck mit, Junge, die beiden sind sicher noch beim Essen.“

„Trotzdem solltest du dir noch vorher die Pferde der beiden ansehen, Henry“, erklärt Jim. „Es würde sich lohnen.“

„Was soll das heißen?“

Auch Dwight sieht auf. „Ja, Jimmy, was soll das heißen?“

Jim Harkinson lächelt über sein breites Gesicht. „Es heißt, dass man nicht weiß, was ein Mann inzwischen zu tun imstande ist, den man seit zehn Jahren nicht gesehen hat. Und seine Pferde können uns gut verraten, woher sie stammen. Ich habe die Brandzeichen gesehen. Aber Henry soll sich das mal besser selbst angucken.“

Henry blickt Jim mürrisch an. „Hört sich an, als hättest du etwas gegen Jackson Clay?“

Jim zuckt die Schultern. „Ich weiß es selbst nicht, Henry“, murmelt er.

„Er hat mir das Leben gerettet, und das zählt bei mir, Jimmy!“

„Bei mir auch, sonst wäre er nicht hier, Henry.“

„Hört auf, Streit ist sinnlos!“, fährt Dwight auf. „Geh, sieh dir die Gäule an, dann weißt du mehr. Gleich sind die beiden sowieso wieder hier.“

Henry geht zum Stall, wo beide Pferde im Langstand stehen und fressen. Hinten in der Gasse reibt der Junge gerade Henrys Pinto ab.

Es ist ziemlich düster im Stall, und Henry muss ein Streichholz anreißen, um das Brandzeichen an der linken Hinterhand des einen Pferdes erkennen zu können. Ein Kreis mit einem S darin: S-im-Kreis-Ranch. Die liegt in der Nähe von Fort Verde. Eine der wenigen Ranches, die noch im großen Stil Pferde züchten, seit aus dem Osten die Pferde billig herangebracht werden.

Henry weiß noch mehr, als er vorhin gesagt hat. Er weiß es, und es beschäftigt ihn viel mehr, als er zugeben kann. Jackson Clay muss bei diesem Hit dabei gewesen sein. Dass die Pferde aus dem Gebiet von Fort Verde stammen, passt auch genau ins Bild, denn dort sind die Räuber auf der Flucht nach dem Überfall vorbeigekommen. Jackson Clay, dem er sein Leben verdankt, ein Bandit?

„Tinny, komm ‘rüber!“, befiehlt Henry.

Der Junge nähert sich und grient Henry an. Trotz der Dämmerung erkennt Henry die blitzenden Zähne des Jungen.

„Si, Capataz?“

„Tinny, du nimmst dir ein Pferd aus dem Corral, dann reitest du mit genügend Vorrat zur S-im-Kreis-Ranch. Frag dort danach, ob zwei Pferde in letzter Zeit verkauft wurden oder ob man zwei Tiere gestohlen hat. Sag ihnen, wenn sie dich fragen, da wären nämlich zwei Reiter hier vorbeigekommen, die Pferde von der S-im-Kreis geritten haben. Die beiden hätten verdächtig ausgesehen. Sag aber nicht, dass wir sie hier auf der Ranch haben, claro?“

„Si, Capataz!“ Der Junge nickt und deutet auf Henrys Pinto. „Der soll noch fertig?“

„Ja, und mach nicht soviel Aufhebens, wenn du reitest, verstanden?“

Der Junge grinst und meint trocken: „Ich verschwinde wie Klapperschlange, ganz leise.“

Als Henry aus dem Stall kommt und zur Veranda geht, wird es schon dunkel. Aber er erkennt dennoch Jackson Clay. Der ist älter geworden, denn zehn Jahre gehen an niemandem spurlos vorüber. Den anderen kennt er nicht. Das soll Jacksons Bruder sein? Hat Jackson nicht einmal damals erzählt, sein einziger Bruder sei im Krieg gefallen? Und jetzt gibt es noch einen Bruder?

„Hallo, Henry, alter Junge!“ Jackson Clay kommt ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. „Verdammt, gleich schlage ich dir die Faust zwischen die Rippen, so freut es mich, dein Galgenvogelgesicht wiederzusehen!“

„Hoppla, Jackson!“

Jackson umarmt Henry, doch der weicht ihm etwas betroffen aus. Dann drücken sie sich die Hand, und nur die Dunkelheit verdeckt Henrys wenig begeistertes Gesicht über diese ihm ungewohnte Zutraulichkeit.

Natürlich waren sie zusammen im Krieg gewesen, und natürlich verdankt Henry dem Bärtigen sein Leben. Doch so enge Freunde sind sie nun auch nicht, wenn von Freundschaft überhaupt gesprochen werden kann. Für Henry hat es immer diese Verpflichtung gegeben, die Verpflichtung nämlich, sich bei Jackson für das zu revanchieren, was er für Henry getan hatte. Nach dem Krieg war Henry deshalb bemüht gewesen, Jackson eine Stelle zu verschaffen. Es gelang in einer Treibherdenmannschaft, aber später hatte sich Jackson einen – wie er damals sagte besseren Job gesucht. Seitdem waren zehn Jahre vergangen.

Hatte Jim Harkinson etwa recht, wenn er meinte. Jackson könnte sich verändert haben. Und dann diese erstaunliche Geschichte mit der Verfolgung.

Ich bin gespannt, denkt Henry, was er mir weismachen will.

„Setzt euch, Jungs“, ruft der alle Rancher. „Wir wollen keinen Stehkonvent beginnen. Der Wein ist gut, das sagt sogar dein Freund Mr. Clay, Henry.“

„O ja, er ist ausgezeichnet, ein Trank für Heldensöhne. Komm, alter Knabe, es ist gut, dich wiederzusehen.“ Jackson Clay setzt sich und weist dann auf Larry, der gerade eine Zigarette ansteckt. „Das ist übrigens mein Bruder Larry. Na, sicher habe ich dir von ihm erzählt, nicht?“

Henry will es erst hinunterschlucken, doch dann sagt er trocken: „Ich weiß nur, dass dein Bruder gefallen ist, Jackson. Ist er doch zurückgekommen?“

Jackson lacht, reißt ein Zündholz an und hält es Larry vors Gesicht. „Narr! Sieh ihn dir an! Er war ein Kind, als der Krieg ausging. Es ist mein zweiter Bruder. Im Krieg war er ein kleiner Kerl. Siehst ihm ja auch die Hungerjahre au. Dieser verdammte Krieg!“

„Tja, daran kauen wir alle noch“, meinte auch Dwight.

Rosalie, die hinter dem Vater steht, fragt leise: „Soll ich Tee kochen?“

„Tu das, Kind, tu das!“, brummt der Alte. Dann wendet er sich wieder an Jackson Clay: „Sie sollten Ihre Geschichte einmal in Ruhe mit Henry besprechen, Mr. Clay. Ich nehme stark an, dass dieser Sheriff Wilcox morgen auch hier aufkreuzt. Täte mir leid, wenn Sie nochmals mit ihm zusammenprallen. Er hat einen ziemlich dicken Kopf und recht eigene Ansichten.“

Jim Harkinson lacht schallend. „Wenn er meint, dieser und jener ist sein Mann, dann geht er schwer davon ab – und bisher hat er sich selten getäuscht.“ Den Nachsatz spricht er etwas langsamer und eindringlicher.

Jackson Clay reagiert sofort. „Mir scheint, Henry, dieser Mr. Harkinson hat etwas gegen Leute, die durch Zufall in ein Pech geraten sind. Am besten ist, ich warte hier auf diesen komischen Sheriff Wilcox. Sonst glauben Sie am Ende, Mr. Harkinson, ich wäre wirklich bei diesem Bahnüberfall dabei gewesen.“

„Zum Teufel, Jimmy, nun hör auf, Mr. Clay zu beleidigen!“, brüllt Dwight, dass die Gläser klirren. „Er hat da wirklich Pech gehabt, scheint mir. Du hast ja gehört, dass Henry ihm sein Leben verdankt. Banditen pflegen anderen wohl kaum das Leben zu retten.“

„Danke. Mr. Dwight“, sagt Jackson ehrerbietig und deutet eine Verbeugung an. Sogar Rosalie glaubt jetzt an seine Unschuld, obgleich Jackson Clay ihr als Mann nicht sympathisch ist. Sie geht ins Haus, um Benita aufzutragen, Tee zu brühen.

Henry steht unschlüssig vor den anderen. Sein Verdacht regt sich immer mehr, aber gleichzeitig pocht die Erinnerung an sein Gedächtnis. Damals in den Sümpfen, damals im Krieg, was Jackson dort getan hat, kann nicht einfach vertuscht werden. Ohne Jackson stünde ich nicht hier, überlegt er. Was Jackson auch getan haben mag, er fordert Hilfe, und ich muss sie ihm gewähren, Ich muss. Jackson hätte damals auch einfach davonlaufen können wie die anderen. Und keiner würde es ihm heute vorwerfen. Er hat sein Leben riskiert, als er blieb, als er sich entschloss, den schwer verwundeten Henry Mark aus dem Feuer der Geschütze zu schleppen bis zum Verbandsplatz. Kann man mehr riskieren als sein Leben?

Wenn er einen Raub verübt hat, denkt Henry weiter, ist er ein Verbrecher. Aber so ganz durch und durch schlecht ist er nicht. Kann er nicht sein. Er hatte damals einen guten Kern, das wird vielleicht noch immer so sein. Ich muss ihm helfen.

Jackson erhebt sich. „Komm, Henry, reden wir ein paar Worte unter uns. Ich hoffe, Mr. Dwight wird es mir gestatten.“

Der Rancher lacht. „Nur keine übertriebene Höflichkeit. Mr. Clay. Es ist Ihr gutes Recht, mit Ihrem Freund allein zu sein. Gehen Sie nur, und denken Sie daran, dass unsere Benita einen guten Tee macht. Lassen Sie den nicht kalt werden!“

Henry und Jackson gehen schweigend hinüber zum Windrad, das unaufhörlich knarrt und ächzt, was die Leute auf der Ranch gar nicht mehr hören. Es ist das typische Geräusch aller Südstaaten-Ranches, die ohne diese Windradpumpen nicht existieren könnten.

Ein Stück weiter befinden sich Büsche und wucherndes Gras. Die nahe Feuchtigkeit lässt im Umkreis vom Brunnen alles sprießen und wachsen.

Eine Bank steht zwischen den Hecken. Oft hat Henry hier mit Rosalie gesessen, jetzt setzt er sich mit Jackson hierher.

„Romantisch, nicht?“, meint Jackson. Er lacht leise und streckt die Beine weit von sich. „Ah, man müsste sich wirklich irgendwo vier Pfähle in den Boden schlagen und ein sesshafter Mann werden. Ein Stück Heimat, das ist doch sehr viel, was?“

„Kann sein“, stimmt Henry zu. „Du bist in Schwierigkeiten, und du sagst, es ist alles Zufall. Ich denke, Jackson, es ist alles wahr, und du hast wirklich an dem Hit teilgenommen. Ich helfe dir trotzdem …“

Jackson räuspert sich, wartet noch eine Weile, ehe er antwortet. Es klingt rau und wild, als er sagt: „Du verstehst nichts. Du sitzt hier in deinem warmen Nest, einen bunten Vogel auf der Ranch, lauter fette Maden im Umkreis, du hast kein bisschen Ärger, keine Sorgen, alles ist so sauber und rein, wie du es brauchst. Es riecht geradezu nach Anstand und guter Sitte. Mein Leben ist anders verlaufen, nicht so kerzengerade. Und ich hatte eben nicht immer den Nerv, eintönig zu leben wie du. Ich liebe die Aufregung, die Gefahr, ich bin ein Wolf, Henry. Damals im Krieg war alles erlaubt, da bekam ich noch einen Orden dafür und wurde befördert. Nach dem Krieg machte es noch Spaß, solange wir die verrückten Trails nach Norden machten. Und jetzt … Henry, es wird wenig Sinn haben, wenn du versuchst, aus mir den Kerl zu machen, den du einmal in mir gesehen hast. Ich bin es nicht mehr. Aber hilf mir jetzt, und du wirst mich nie wiedersehen. Das ist ein Versprechen.“

Henry schweigt und denkt an damals. Als sie noch den letzten Krümel Tabak miteinander teilten, als sie noch zusammen in irgendeinem verlausten Loch lagen, gemeinsam hungerten, gemeinsam froren. Mit in Lumpen gehüllten Füßen, weil die Konföderierte Armee keine Stiefel mehr zu verteilen hatte. Und es war Winter. Kalter Winter. Das alles sind Erlebnisse, gemeinsame Erlebnisse, die lassen sich doch nicht aus der Erinnerung schneiden, können doch nicht einfach übersehen werden. Das zählt doch!

„Jackson, ich weiß nicht, wie schlimm die Sache ist, die du mitgemacht hast, aber eigentlich kann sie doch nicht so schlimm sein, dass man sie nicht wieder gutmachen könnte. Oder irre ich mich. Hast du jemanden …“

„Beim Überfall nicht. Aber vorher, bei der Flucht aus Yuma.“

„Yuma? Warst du im Zuchthaus?“

Jackson lacht bitter. „Zuchthaus, Steinbruch. Das sind Dinge, die du nur vom Hörensagen kennst. Wenn man es erlebt hat, ist man kein Mensch mehr, Henry. Keiner, der noch in diese Welt passt. Das vergisst einer nie. Davon träumt er immer, und daran wird er vor allem dann denken, wenn der Mann vor ihm steht, mit dem er durch Dreck und Hunger, durch Gefahr und Not ging. Damals waren wir einer wie der andere. Aber seitdem ist bei mir vieles anders gelaufen. Du bist noch wie früher. Und ich nicht mehr, das habe ich sofort gesehen.“

„Trotzdem zählt das noch von damals.“

Jackson nickt. „Richtig. Es zählt noch, wird immer zählen. Aber ich würde es dir nicht übelnehmen, wenn du jetzt sagst, dass du nicht mitmachst. Ich kann es sogar verstehen. Nur, Henry, ich sitze abgrundtief in der Patsche, wenn du mich jetzt fallenlässt …“

„Ich bringe dich zur Nordweide, dort sind Mike und ein paar Boys …“

„Nein!“ Jackson legt die Hand auf Henrys Schulter. „Nein, Henry. Larry und ich müssen allein sein, besser noch, irgendwo an einer Stelle, wo kein Mensch ahnt, dass dort einer sein könnte.“

„Gut. Ich würde sagen, es geschieht morgen früh. Warte hier!“ Henry geht zum Stall und sieht den Jungen, der gerade mit einem Sattel ankommt.

„Chico, du brauchst nicht zu reiten. Gib den beiden Pferden mit dem S-im-Kreis-Brand gequetschten Hafer, dann kommen sie schneller wieder zu Kraft.“

Er wartet die Antwort des überraschten Jungen nicht ab und geht zu der Bank zurück. Dort sitzt Jackson und raucht seine Zigarette. „Also morgen früh?“

Henry nickt. „Morgen früh, auf euren Pferden. Die müssen auch hier weg, denn den Brand kennt hier jeder.“

Jackson lacht. „Sie sind ehrlich gekauft, keine Sorge. Aber du hast recht, die müssen auch weg. Übrigens“, er dämpft die Stimme, „ist die Kleine, die niedliche Rancherstochter, schon vergeben? Könnte mir gefallen, das Baby.“

„Sie ist meine Braut, vergiss es besser nie!“, erwidert Henry eisig.

Jackson lacht leise. „Nicht so aufgeregt, Señor! War ja nur ‘ne Frage. Also reiten wir morgen früh. Du kommst mit?“

„Ja, ich komme mit.“

Jackson lacht wieder vor sich hin und steht auf. „Vielleicht kommen wir beide noch ins Geschäft. Gute Nacht, Henry, wird Zeit, dass ich mich hinlege, ist da im Bunkhouse etwas frei für Larry und mich?“

„Die beiden Betten neben der Tür sind frei. Gute Nacht, Jackson!“

Als Henry am nächsten Morgen mit Jackson und Larry losreiten will, sind die beiden verschwunden. Und mit ihnen die beiden besten und schnellsten Pferde der Ranch.

Jim Harkinson flucht, als Henry es ihm mitteilt.

„Sei froh, damit sind wir die beiden Galgenvögel ein für allemal los. Und was die Pferde angeht, das wäre noch das kleinere Übel.“

„Der Alte wird überschäumen. wenn er es erfährt“, meint Henry und wirft einen besorgten Blick auf den geschlossenen Fensterladen am Haupthaus. Rancher Dwight ist noch im Bett. Aber bald schon, vielleicht in einer halben Stunde, wird er in Pantoffeln auf dem Hof herumschlurfen und seinen morgendlichen Gang zum Corral antreten. Dann wird er es sehen.

„Tja, sagen wir es ihm am besten, wenn er herauskommt“, schlägt Jim vor. „Aber auffressen wird er uns ja nicht unbedingt.“

„Das besorgt der da!“ Henry zeigt zum Hoftor hin, wo drei Reiter auftauchen.

Jim sieht hin und ruft überrascht: „Na, der hat sich aber beeilt!“

Einer der drei Reiter ist Sheriff Wilcox. Ein großer blonder Mann mit einer brandroten Narbe über Nase und Wange. Sein Gebiet liegt woanders, aber er ist auf Banditenjagd, und da gibt es bei bestimmten Verbrechen auch für einen Sheriff keine Countygrenzen.

Langsam reitet er heran, seine beiden Geführten halten auf den Brunnen zu.

„Guten Tag! Können wir näher kommen?“, ruft er Henry zu.

Henry nickt und tippt mit zwei Fingern an den Hut.

„Willst du‘s ihm sagen?“, raunt Jim.

„Abwarten, er wird schon Fragen stellen.“ Henry verschränkt die Arme und beobachtet den Sheriff.

Bill Wilcox ist ein harter Bursche, der in seinem County mit dem Gesindel fertig geworden ist und wenig Sinn für Sentimentalitäten hat, Verbrecher sind für ihn der allerletzte Abschaum, und ihn ärgert immer wieder die Milde der meisten Richter. Wenn es nach Sheriff Wilcox ging, gehörten alle Banditen nach Yuma.

„Ein seltener Besuch, Sheriff“, sagt Jim Harkinson und winkt dem Stalljungen, dass er des Sheriffs Pferd übernehmen und zum Tränken führen soll.

Der Sheriff sitzt ab, wirft dem Jungen die Zügel zu und tritt vor die beiden Cowboys hin. Sein zerknittertes Narbengesicht entspannt sich.

„Ja, Jungs, da sind also die beiden schon wieder weg hier, was?“

„Welche beiden?“, fragt Jim Harkinson. Er hätte das nicht sagen sollen.

Sheriff Wilcox wird ernst und äugt misstrauisch auf Jim. „Hm, damit habe ich allerdings nicht gerechnet. Denkt Dwight auch so?“

Dwight kommt gerade in Pantoffeln aus dem Haus. Jetzt ist es zu spät, denkt Henry, ihm die Sache vorsichtig beizubringen.

Doch dann geschieht etwas Erstaunliches.

Dwight kommt näher, nickt dem Sheriff freundlich zu und sagt, ohne Henry und Jim überhaupt zu beachten: „Gut, dass Sie da sind, Bill. Kommen Sie nur herein, ich muss dringend mit Ihnen reden.“

„Moment, Mr. Dwight, da ist noch …“, will Jim Harkinson sagen, doch Dwight winkt ab.

„Ich weiß längst, dass die beiden fort sind. Ein alter Mann schläft nicht so fest wie ihr junges Volk. Ich habe die beiden noch ertappt und mit ihnen gesprochen. Kommen Sie, Bill!“

Wilcox nickt nur und folgt dem Alten ins Haus.

Jim Harkinson bildet Henry überrascht an und meint trocken: „Na, der hat uns aber prächtig vernascht.“

Die beiden Begleiter des Sheriffs haben ihre Pferde angebunden und kommen vom Brunnen her auf Henry und Jim zu. Es sind zwei untersetzte, kräftige Männer aus Holbrock, die Henry gut kennt. Beide arbeiten als Cowboys bei einem kleinen Rancher.

„Hallo, Jungs, das ist mal ‘ne Abwechslung, auf Posse reiten, was?“, fragt Jim. „Ihr habt heute sicher nicht ausgeschlafen, Mac?“

Mac ist ein schwarzhaariger Bursche, dem man ansieht, dass irgendeine Großmutter oder ein Großvater von ihm Indianer gewesen sein muss.

„Ah, das ist kein Spaß. Wir haben diesen einen, den Toni Vickers, und einen anderen erwischt. Zwar konnten wir Vickers verwunden, und den anderen wahrscheinlich auch, aber von uns sind fünf Mann verletzt. Zwei mussten die Verletzten zurückbringen, und nun sind gerade noch wir drei übrig.“

„Dann habt ihr also Tom Vickers?“, fragt Henry.

Mac schüttelt den Kopf. „Sind beide entkommen. Aber fast hätten wir sie nochmals gefasst. Drüben im Wildpferd Canyon. Da spielte sich heute morgen in der Dämmerung ein Duell ab. Wir hörten die Schüsse. Unser Lager war gar nicht weit …“

Der andere Cowboy, ein etwa fünfundzwanzigjähriger Rotschopf, räuspert sich und unterbricht:

„Ich war schon vorher munter geworden, weil ich Stimmen gehört hatte. Und gerade als ich Wilcox wecken wollte, krachten zwei Schüsse. Wir also auf und zu Fuß hin. Wir finden gerade noch den einen Kerl, der uns gestern durch die Lappen gegangen ist. Ich nehme an, dass er schon verwundet war. Jetzt aber lag er tot da. Erschossen. Und ich wette, dass sein Mörder Tom Vickers heißt. Den sahen wir auch noch, wie er hinter einem Stein aufspringt, auf sein Pferd hechtet und davonjagt. Dummerweise hat er auch das Tier seines Kumpanen mitgenommen, sonst hätten wir ihn verfolgen können. Immerhin sind wir ihm nachher noch auf der Spur geblieben, und diese Spur führte merkwürdigerweise auf diese Ranch zu. Etwa auf halbem Wege bog die Spur aber scharf nach Norden zu ab. Zwei weitere Spuren, die von der Ranch herführten, kamen hinzu. Tom Vickers hatte sich also mit zwei anderen Reitern getroffen. Der Sheriff meinte, da brauchten wir nicht lange zu rätseln. Wir mussten aber dennoch die Verfolgung vorerst aufgeben, weil unsere Pferde nicht durchgehalten hätten. Nun sind wir hier und wollen sehen, ob wir von Dwight frische Pferde bekommen.“

Dwight und Sheriff Wilcox kommen aus dem Haus. Wilcox macht ein ernstes Gesicht, während Dwight lacht und dem Sheriff auf die Schulter klopft. Henry hört, wie der Rancher sagt: „Soviel Geld möchte ich mal auf einem Haufen sehen.“

Sheriff Wilcox nickt dem Rancher zu und ruft seinen Leuten zu: „Fangt uns frische Pferde im Corral. Wir reiten dann sofort weiter.“ Als er bei Henry und Jim ankommt, blickt er Henry eindringlich an und sagt rau: „Vielleicht solltest du wissen, Henry, dass der Wächter, den Jackson Wimes erschossen hat, drei Kinder hinterließ – und eine junge nette Frau. Es wäre nicht klug von dir, so einem Menschen zu helfen, selbst wenn er früher einmal dein Freund und Kamerad gewesen ist.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, geht der Sheriff weiter. Er geht, um Tom Vickers, Jackson Wimes und Larry zu fangen. Er wird aber keinen dieser drei je zu fassen bekommen; das kann er allerdings nicht wissen. Er wird die drei Banditen auch nicht zu Gesicht bekommen – nicht in den nächsten Wochen. Auch das ahnt er nicht.

Denn niemand kann in die Zukunft sehen. So weiß keiner der Menschen hier, wie eng das Schicksal Jackson Wimes‘ mit ihrem eigenen verknüpft ist. Aber zunächst scheint es, als wäre der Besuch von Jackson Wimes und Larry auf der Ranch eine kurze Episode, an die man sich höchstens noch schwach erinnern würde. Und doch hängt alles miteinander zusammen, all das, was in den nächsten Tagen geschieht, nachdem Sheriff Wilcox weggeritten ist und schon nach dreißig Stunden die Verfolgung aufgeben wird, weil er die Spur verliert.

Dynamit unter dem Huf

Подняться наверх