Читать книгу Der Steckbrief zeigt dein Gesicht: Texas Wolf Band 61 - Glenn Stirling - Страница 6

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Alles, was Mike Drawer brauchte, war ein frisches Pferd, Wasser für die nächsten vierundzwanzig Stunden und etwas Proviant.

Was er fand, als er die armselige Hütte unten am fast ausgetrockneten Arroyo betrat, war eine verzweifelte, von Geburtswehen gepeinigte Frau. Und niemand war da, um ihr beizustehen.

Mike Drawer hatte schon Hunderten von Kühen beim Kalben geholfen, hatte Stuten in schwierigen Geburtssituationen beigestanden, aber bei der Geburt eines Menschen war er noch nie dabei gewesen.

Er begriff zwei Dinge. Die Frau brauchte Hilfe. Das Kind schien in Steißlage geboren zu werden. Und zum zweiten: Half er der Frau, würde all sein Vorsprung vor den Verfolgern zum Teufel sein … und ihm damit der Galgen sicher.

Sie lag keuchend und schweißgebadet auf einem primitiven Bett. Das blonde Haar hing ihr strähnig im Gesicht. Ein Gesicht, das nach Drawers Meinung ebenso gut zwanzig wie fünfzig Jahre alt sein konnte, so sehr hatten es die Qualen gezeichnet.

Sie empfand nur noch Not, keine Scham, keine Furcht, und sie wehrte sich nicht, dass ein Fremder zu ihr kam.

Vorhin, als er hereingekommen war, hatte sie den Namen James gerufen. Aber dann, als er vor ihr stand, da sagte sie nur: „Oh, ich hatte gedacht, mein Mann wäre … Das Kind kommt schon. Ich weiß nicht weiter. Es kommt mit einem Bein …“

Mensch, dachte Drawer, Cadburn und der Alte sind mir auf den Socken. Wenn ich nicht schleunigst mache, dass ich hier verschwinde, holen die den siebenstündigen Vorsprung auf, und dann sitze ich denen auf der Pelle. Cadburn ist stur, der schleppt mich tatsächlich zu Richter Collins, und der kennt nur ein Urteil. Für den steht alles felsenfest. Verdammt, o Hölle, was mache ich?

Sie hat ein Kind in Steißlage. Klar, jetzt nimmt sie die Decke weg. Zum Kuckuck, das habe ich noch nie gesehen. Sie bekommt ein Kind, ein Bein ist zu sehen, ein winziges Bein … Wie ist das denn bei Menschen? Ich habe doch, o Himmel hilf!, noch nie bei einem Menschen bei der Geburt geholfen. Ich weiß doch nicht, wie das geht. Ich … Stopp, Mike, alter Junge, stopp und ganz ruhig. Ein Mensch ist soviel anders als eine Kuh oder ein Pferd doch nicht. Und wenn bei einer Kuh das Kalb zuerst mit dem Hinterbein kommt, dann musst du eingreifen, ja hineingreifen, das Kalb drehen. Mike, wozu bist du vierzehn Jahre als Cowboy geritten? So etwas weißt du doch!

„Helfen Sie … helfen Sie mir und meinem Baby!“, flehte die Frau.

Er sah sie an, diese Augen, diese inständige Bitte, diese Not!

Wie soll ich das denn machen? Eine Frau. Ich kann doch nicht einfach so tun, als wäre sie eine Kuh oder eine Stute? Zum Donnerwetter, aber irgendwas muss ich doch machen!

Die geht drauf, wenn ich nichts tue, dachte er. Ich muss, muss, muss was tun. Aber was?

Er hatte Hemmungen, dieses winzige Bein in seine hornigen Pranken zu nehmen. Aber er tat es und überwand auch seine innere Abwehr, weil dieses Bein glitschig und schleimig war. Und dann versuchte er mit seinen riesigen Fingern das zweite Bein zu erwischen. Wieder diese Hemmungen, weil sie eine Frau war und er so etwas noch nie gesehen hatte.

Stell dir vor, dachte er sich, es wäre eine Stute. Stell dir das nur vor und sonst nichts!, hämmerte er sich ein.

Sie bekam wieder eine Austreibungswehe und schrie, ächzte, wimmerte. Sie presste, aber es war sinnlos. Er merkte, dass sie das Kind so nicht gebären konnte. Irgendwie hing es fest.

Klar, sagte er sich, so geht das bei keinem Tier und auch bei keinem Menschen. Ruhig, Mike, mach es, wie du es bei einer Stute machen würdest. Fisch das andere Bein heraus, dreh aber erst ein wenig den Körper des Kindes. Du musst auch auf dem Leib der Mutter leicht mitdrücken. Ja, so geht es, das ist der Kindesrücken.

Die Frau schrie gequält auf, und diese Schreie kannte er von keinem Tier. Es irritierte ihn, er hielt inne.

Sie aber begriff, dass er ihr nur helfen konnte, wenn er sich weiter bemühte. „Machen Sie doch! Machen Sie weiter! Achten Sie nicht auf mich! Bitte!“, flehte sie keuchend.

Er begann wieder, den Kindeskörper dadurch zu drehen, dass er mit der Linken den Kindesrücken, den er spürte, von der Bauchseite der Mutter her ein wenig nach unten schob, das Bein des Kindes mit der Rechten sanft drehte. Dann langte er vorsichtig in die Vagina der Frau und erwischte tatsächlich das linke Bein des Kindes am Fußgelenk. Er zog es behutsam heraus, als wieder eine Presswehe einsetzte, zog mit beiden Händen an den Füßen des Kindes und hatte es dann bis unter die Achseln heraus.

Er wusste von den Pferden und Kühen her, dass dort die Sache verloren war, wenn es nicht gelang, die Vorderbeine mitsamt dem Kopf herauszubekommen.

Geduld!, sagte er sich. Mit Hast geht nichts. Ich muss an die Stuten denken. Nur mit einer Presswehe zusammen kann ich weitermachen.

Die Wehen waren schwach; Folge dieses harten Geburtskampfes. Doch jetzt kam wieder eine.

Er zog, bekam den Kopf fast heraus, auch die Arme hingen bis an die Ellenbogen, aber dann saß wieder alles fest.

O Himmel steh mir bei!, flehte er. „Nochmal!“, keuchte er. „Pressen Sie!“

Sie war fix und fertig, und eine neue Wehe kam noch nicht. Sie schrie, als diese Wehe dann endlich kam, und das machte ihn wieder fast verrückt. Wenn ich das Kind nicht bald heraus habe, wird es ersticken. Verdammt, wenn mir doch einer sagte, wie ich es richtig machen muss! Wenn mir, in aller Welt, mir das einer sagen könnte!

Es war ihr erstes Kind, sie war einundzwanzig. Er wusste das nicht. Er wusste auch nicht, dass sie ihren Mann losgeschickt hatte, beim Nachbarn Hilfe zu holen. Gestern schon. Er war so wenig gekommen wie die Frau des Nachbarn, die dreißig Meilen entfernt wohnte. Und seit dem frühen Morgen quälte sie sich. Ahnungslos, weil sie selbst so etwas nie erlebt hatte. Zuerst war alles so schnell und scheinbar leicht gegangen. Schon in den Minuten zwischen Nacht und Tag war die Fruchtblase zersprungen, viel eher als sonst bei einer Erstgebärenden hatten nach den Eröffnungswehen die Presswehen eingesetzt. Eine Empfindung, die diese junge Frau nicht kannte und daher nicht einmal genau begriff, was eigentlich mit ihr vorging. Aber als Frau ahnte sie instinktiv, woran sie war. Und dann ging nichts mehr, stattdessen wurden die Schmerzen immer größer, die Angst, hier allein umzukommen, war ins Uferlose gewachsen und hatte die Frau in nackte Panik gebracht. Das Erscheinen des Mannes war wie eine Hilfe vom Himmel für sie gewesen. Für sie, die sonst so sensibel in Schamfragen war, die sich nicht einmal ihrem eigenen Mann nackt gezeigt hatte und sich nur im Dunkeln umzog. So prüde sie sonst war, jetzt wischte die Todesfurcht all das einfach weg. Nun fühlte sie sich nur noch als Kreatur, als gequältes Wesen, das nicht sterben will.

Drawer dachte in diesen Sekunden an Cadburn, der ihn erbarmungslos seit Tagen jagte, so gut Drawer auch versuchte, seine Spur zu verwischen. Immer hatte der Schwarztimber des Rangers die Spur wiedergefunden. Und dann war noch dieser alte Fuchs. Oh, Drawer wusste genau, wie raffiniert und schlau dieser alte Joe war. Schließlich kannte er sie beide gut, seit Cadburn damals vor drei Jahren die Rinderherde von Texas nach Dodge gebracht hatte, ohne sich von einer stattlichen Schar von Banditen aufhalten zu lassen. Old Joe hatte den Herdenkoch gemacht, und außer Cadburn und ihm waren nur vier Cowboys gewesen, die den Mut gehabt hatten, die Herde zu treiben. Denn da hatte doch einer der Bandenbosse gedroht, dass er jeden erschießen lassen wird, der Slaughters Herde nach Dodge treiben hilft. Er, Mike Drawer, hatte sich einen Teufel um die Drohung gekümmert und die fünfzehnhundert Stück Vieh durch tausend Höllen in die Verladestadt mitgetrieben.

Aber nun war aus dem Freund Cadburn von da an ein Jäger geworden, der einen Steckbrief in der Tasche trug, ausgestellt von Bezirksrichter Collins in Menardville.

Sie bekam wieder eine Wehe, stöhnte, wimmerte, schrie.

Jetzt oder nie!, dachte er und fasste die Fußgelenke des Kindes. Drehen, überlegte er, drehen, das haben wir immer bei den Bullenkälbern gemacht, wenn sie festhingen. Aber vorsichtig, beim Himmel, ganz vorsichtig! Jetzt kommt es. Da, jetzt muss ich den einen Arm fassen, herausziehen. Hoppla! Das hat ja geklappt.

„Es wird“, sagte er mit heiserer Stimme, die ihm selbst ganz fremd vorkam. Mann, ich habe Durst bis unter die Ohren. Mein Pferd wird sich im Arroyo was gesucht haben, da ist ja noch etwas Wasser.

Der Arm ist heraus. Welcher ist das? Ah, der linke. Jetzt der andere, was … ja, den Ellenbogen … Oh, jetzt zieht alles wieder zurück. Gut, ich werde auf die nächste Wehe warten. Was ist das? Schon wieder! Da, sie presst. Teufel, warum schreit sie so? Ich werde verrückt, wenn ich eine Frau schreien höre. Wenn sie doch still sein könnte, beim Johnny! Der Arm ist frei, der Kopf muss heraus, er muss! Ich kann noch nicht mehr ziehen. Ich reiße dem Kind ja das Genick … noch etwas, Frau, noch ein wenig! Oh, warum ist das alles so verdammt eng? Mach doch!

„Pressen, zum Kuckuck, pressen!“, hörte er sich schreien. Und sie presste, und … Der Kopf! O Himmel, der Kopf, jetzt ist er fast heraus, die Schläfe fassen, unten die andere Hand vor den Damm. Hat doch Prewitt immer gesagt: Jungs, bei der Kuh den Damm gegenhalten! – Ja, der Prewitt, alter Cowpuncher, der! Wo der wohl jetzt stecken mag, wie? – Heh, heraus ist der Kopf! Alles heraus!

Da lag das Kind glitschig, ein wenig mit Blut beschmiert, die Nabelschnur einmal um den Leib, aber nur locker.

Aus dem Aufschrei der Frau war ein Stöhnen geworden wie nach einer schweren Arbeit.

„Es ist da, Frau, ein Junge? Nee, Madam, ein Mädchen! Weiß ich alter Esel schon nicht mehr, was ein Mädchen ist, was? Zum Glück war der Kopf klein, und es ist ganz schön am Leben. Ich muss noch abbinden. Tut mir leid, wenn ich das wie bei einem Kalb mache, Madam, aber anders verstehe ich das nicht. Komm her, du kleines Weib! – Warte, den Mund wische ich dir noch aus, siehst du, da quäkst du schon. Hast vorher gar keine Luft bekommen, was? Ein Weib, das keine Luft zum Schreien hat, wie? Hoppla, jetzt binden wir erst eine Handbreit vor dem Bauch von dir kleinem Frauenzimmer ab. Siehst du? Lederriemen, Rohleder ist das. Wenn du wüsstest, woher dieser dünne Riemen ist, wie? Ist von Chowapeeh, dem Sohn des Häuptlings. Ein Riemen von einem Apachenhäuptling, meine kleine Fee. – So, jetzt noch einmal ein Stück weiter, und nun das Bowiemesser … so, abgetrennt. Genau zwischen beiden Abschnürungen. – Bravo, kleine Miss! Sieh mich aus deinen Augen nicht so an … Was ist das, sind die Augen blau oder …“

In diesem Augenblick hörte er den Hufschlag. Aber er sagte sich, dass Cadburn und der Alte das keinesfalls sein konnten. „So, jetzt muss ich Wasser aufsetzen, Wasser, um die Kleine zu waschen. Warten Sie, vielleicht können Sie die Kleine inzwischen etwas halten und dabei abwischen?“

Die Frau sah ihn sehnsüchtig an und streckte ihm die Hände wortlos entgegen. Er gab ihr das noch immer nicht ganz saubere, aber in ein Tuch gehüllte Kind. Sie nahm es hastig, legte es sich dann aber behutsam auf die Brust und lächelte so glückselig, dass Drawer sich gar nicht vorstellen konnte, dass dieselbe Frau eben noch solche Pein erlitten hatte.

Ein Pferd wieherte draußen. Dann näherte sich ein leichter Schritt mit gleichzeitigem Sporenklirren. Drawer hätte seit dem Treiben damals von Texas nach Dodge diesen Schritt unter Hunderten herausgekannt.

Verdammt!, dachte er. Das darf doch nicht wahr sein. Sie sind schon da. O Hölle, dieser Teufel von einem Ranger muss Flügel haben. Ein Teufel mit Flügeln? Aber ein Engel, nee, ein Engel ist Cadburn nicht.

Der Wolf heulte draußen. Kein Zweifel, Cadburn war da. Und nun schrie auch noch das Maultier von Joe. – Alle Schrecken der Wüste, wie haben die das fertiggebracht? Sieben Stunden Vorsprung aufgeholt! Und ich, sagte sich Drawer weiter, sitze astrein in der Tinte. Und das nicht nur bis zum Hals.

Er dachte daran, dass hier noch nicht alles vorbei war. Flucht hatte keinen Sinn mehr. Aber womöglich spielt Cadburn verrückt und ballert herum oder versucht etwas anderes. Ich muss mich melden.

„Eh, Cadburn, ich bin hier!“, schrie Drawer. Er blickte auf die Frau, lächelte ihr aufmunternd zu und rief dann in Richtung aufs Fenster: „Eine Frau liegt hier und hat eben ein Kind bekommen. Spielt bloß nicht die Helden.“

Eine Weile verging, Schritte tappten, dann heulte der Wolf auf, und schließlich sagte eine sonore Stimme draußen vor dem Haus: „Pass auf, Mike, wenn das ein Trick ist, dann bestimmt dein letzter. Schnall schon da drinnen ab, komm heraus, die Hände erhoben und mach keine Zicken!“

„Wer … wer ist das“, fragte die Frau ängstlich. Besorgt presste sie ihr kleines Würmchen an sich.

„Ein Texas-Ranger, der mich unbedingt zu einem Richter schaffen will, und das, weil dieser Richter sich einbildet, ich hätte einen Store geknackt und den Besitzer flügellahm geschlagen. Verdient hatte dieser mistige alte Geizhals es ja, aber ich war es nun wirklich nicht. Cadburn ist das allerdings ziemlich egal. Er tut, wie er das nennt, seine verdammte Pflicht. Also will er mich zu Collins schaffen, und der fällt ein Urteil, das für ihn schon seit Langem feststeht. So ist das also, aber mit Ihnen hat das nichts zu tun …“

„Sie dürfen nicht gehen! Bleiben Sie, Fremder, bleiben Sie!“, bat sie. „Ich habe … wir haben Ihnen soviel zu verdanken. Wenn mein Mann kommt, wird er Ihnen auch helfen und …“

Drawer kannte Cadburn. Der ließ sich auf Sonderregelungen nicht ein. Konnte der ja gar nicht, wohin käme er da?

„Ich komme!“, rief Drawer.

„Fremder, bleiben Sie, gehen Sie nicht! Ich werde dem Ranger sagen, wie Sie mir geholfen haben!“, rief die Frau mit noch vom Schreien heiserer Stimme.

Drawer hatte seinen Gurt gelöst und fallenlassen. Er sah die Frau und dann das Kind lächelnd an. „Ich sorge für heißes Wasser. Cadburn ist kein Unmensch, so ist das nicht. Er ist nur Ranger, und das ist sein Job. Leider hat er einen Steckbrief von mir. So ist das eben …“

Er ging hinaus, hob, als er durch die Tür trat, die Arme und blinzelte gegen die Sonne.

Er brauchte ein paar Augenblicke, bis er sie sah. In der Mitte stand der alte Joe. Er hielt seine furchterregende Hawken-Büchse schussbereit in den Händen. Eine richtige Kanone von einem Gewehr.

Hinter Old Joe stand mit hängendem Kopf das Maultier. Es schlabberte noch, also hatte es bereits Wasser bekommen.

Von Cadburn war nichts zu sehen, dafür von seinem Wolfsblut. Schwarz, die Fänge geöffnet und hechelnd stand der Halbwolf da und ließ Drawer keine Sekunde aus den Augen, bereit, sofort anzugreifen, wenn Drawer nun etwas Missverständliches tun würde oder wenn Cadburn einen Befehl zum Angriff gab.

Thunder, der Blauschimmelhengst, kam vom Wasser heraus. Die abgekämpfte Stute von Drawer folgte ihm. Dieses Weibsstück!, dachte Drawer. So fertig ist sie nun auch wieder nicht, dass sie nicht noch diesem Hengst nachlatschen kann, was?

Wo, zum Teufel, steckt Cadburn?, fragte sich Drawer.

Plötzlich hörte er ihn schräg hinter sich, fuhr herum und sah den blonden, ganz in Schwarz gekleideten Texas-Ranger mit hartem Lächeln an der Hüttenwand.

Weiß der Teufel, dachte Drawer verblüfft, wo der hergekommen ist, und gehört habe ich auch nichts. Typisch für diesen Satansbraten!

„Steh ganz still, Mike, ich will nachsehen, ob es wahr ist, was du uns verkaufen wolltest“, sagte Tom Cadburn, nickte kurz in Old Joes Richtung, und der grauhaarige alte Haudegen nickte zurück.

Der muss ja sechzig sein oder noch älter, dachte Drawer. Dieser alte Joe, der tausendundeinen Trick kennt, ausgekocht bis dahinaus. Wie ein Goldgräber sieht er aus, aber tatsächlich ist er nicht nur das. Er kennt den ganzen Westen, hat Jim Bridger zum Freund, kann es wie ein Bruder mit einer Reihe von Indianerhäuptlingen, und hat Cochise in Arizona das Pokern beigebracht und ihm ein Pferd abgeluchst. Hunderte von Geschichten gibt es über ihn zu erzählen. Und der liebe Kuckuck weiß, warum dieser alte Lederbeißer jetzt hinter mir her ist, als wäre das auch seine Sache. Er ist doch kein Ranger. Aber ein Kerl, der so was wie eine Geburt beim Menschen kennt. Der hätte nur früher kommen sollen, wo sie nun sowieso da sind, was! Hätte helfen können.

„Eh, Joe, warum bist du nicht eher gekommen? Drinnen, die Frau, die hätte deine Tricks brauchen können. Es war eine Steißlage.“

Cadburn war schon drinnen. Sam, der schwarze Wolfshund, knurrte drohend, obgleich er sich doch noch an Mike Drawer von damals her erinnern musste, als sie die Herde nach Dodge gebracht hatten. Da war Sam auch dabei gewesen.

Sam erinnerte sich wirklich, aber er hatte gelernt, dass ein Bekannter von gestern nicht unbedingt ein Freund von heute sein musste. Tatsächlich war ihm Mike nicht unsympathisch. Mike gehörte nicht zu den Menschen, die ein Tier wie Sam entweder fürchten oder aber wie einen Plüschteddy herumwursteln wollen. Angefasst zu werden mochte Sam nur von Tom und Old Joe.

Tom Cadburn war ins Haus getreten, erfasste mit einem Blick die ganze Armseligkeit der Einrichtung im Zimmer, sah die Frau mit dem noch ungewaschenen Baby im Arm und begriff, dass ihn Mike nicht angelogen hatte.

„Hallo, Madam, alles klar?“

„Tun Sie ihm nichts!“, sagte die Frau aufgeregt. „Er ist ein guter Mensch. Ohne ihn wäre ich gestorben … und mein Kind auch.“

„Keine Sorge, Madam, ich schicke Ihnen einen alten Mann, einen Freund, der fast so gut ist wie ein richtiger Doktor. Die Indianer haben ihn noch lieber als einen Doktor. Er wird sich um Sie kümmern … und um das Kind.“ Er trat zurück, ging dann hinaus und rief Old Joe zu: „Steck deine Haubitze ein und geh ins Haus. Ich lasse dich hier, bis sie Hilfe bekommen hat. Ich schicke jemand her. Dann kannst du nach kommen. Behalte Sam hier. Der Marsch durch die Wüste wird ihm sowieso keinen Spaß machen. Ich bringe Mike allein weg.“

Old Joe blickte verkniffen in Drawers Richtung, spie dann aus und meinte: „Meine Meinung kennst du, Tom. Ich will diesem Pferdebetrüger nicht die Freude machen, sie hier noch mal zu wiederholen. – Was ist mit der Frau?“ Jetzt kam er, den Lauf der Hawken zum Boden gesenkt, auf Drawer zu.

Mike Drawer erzählte ihm, was er erlebt hatte und vor allem, wie er die Situation zu meistern versuchte. Der Alte hörte zu, nickte und meinte trocken: „Für einen, den sie wegen Totschlags haben wollen, hast du das ziemlich gut gemacht. Ein Mensch ist geboren, Mike! Du hast einen erschlagen. Und nun hast du geholfen, einen auf die Welt zu bringen. Ist dir da nicht alles wie ein Wunder vorgekommen?“

„Es ist wie ein Wunder, so einen kleinen Menschen zu sehen, der eben noch im Mutterleib war. Und sie lebt, die Kleine … Aber ich habe keinen umgebracht. Es ist Lüge.“

„Sagen alle“, rief Tom Cadburn. „Ich habe selten einen, der sagt, dass er dies oder das gemacht hat, dass er ein Mörder, Brandschatzer oder Räuber ist.“

„Es ist eine Lüge.“ Drawer sah Cadburn schon an, dass der zweifelte.

Cadburn war zu Sam getreten, hatte ihn am Hals gekrault und sagte leise ein paar Worte zu ihm. Sam fiepte bekümmert, wedelte traurig mit gesenkter Rute und trottete dann zu Old Joe.

„Los, Mike, streck die Hände vor, ich lege dir Handschellen an!“, befahl der Texas-Ranger, als er auf Mike Drawer zukam.

„Du weißt, dass wir hier nicht mehr in Texas sind“, sagte Mike. „Du hast hier gar keine Befugnisse.“

Cadburn schlug mit der Hand an seinen Revolver. „Das ist ein Argument, Mike. Aber es gibt noch ein zweites. Ich habe einen Haftbefehl, den ein US Marshal unterschrieben hat. Er gilt auch für New Mexico.“ Er zog mit der Linken etwas aus der Westentasche, schüttelte das gefaltete Papier auf und hielt es so, dass Drawer es lesen konnte.

„Aber du fragst nicht, ob Collins, dieser Mistkerl von einem geschmierten Richter, wirklich Recht sprechen wird, was?“, knurrte Mike.

Cadburn lächelte. „Daran habe ich gedacht, Mike. Ich habe mir auch überlegt, dass er womöglich nicht so korrekt ist, wie er sein sollte. Aber sein Haftbefehl ist okay, Mike. So sehr okay, dass dir, wenn ich dich wirklich sausen ließe, bald sämtliche Marshals, Sheriffs und Rangers auf den Socken kleben. Daher habe ich mir gedacht, dass du die Sache hinter dich bringen solltest. Notfalls eben bei einem anderen Gericht und …“

Drinnen schrie die Frau schrill auf. Mike zuckte erschrocken zusammen, Cadburn blickte starr auf Mike, sein Gesicht wirkte dabei verzerrt.

„Mensch, bringt Old Joe sie um?“, platzte Mike heraus und lief auf das Haus zu. Er erwartete, von Cadburn zurückgerufen zu werden, aber da hörte er schon die Schritte des Texas-Rangers hinter sich. Als Mike in den Raum trat, sah er den Schwarztimber hechelnd in der Ecke stehen, wo sich der Kamin befand. Vorn am Bett beugte sich der alte Joe über den Unterleib der Frau und schien mit seinen Fäusten ihren Bauch zu pressen.

„Heh, du verdammter alter Coyote, was machst du mit ihr?,“ rief Mike aufgeregt.

Die Frau warf den Kopf herum und sah ihn mit schmerzlichem Lächeln an. „Es ist … ist schon gut … Er hat mir doch … doch nur geholfen.“

„Alles heraus“, sagte der Alte. „Die Nachgeburt ist da, alles klar, Madam.“ Jetzt drehte er sich um, blickte verwundert auf Mike und brummte mürrisch: „Du weißt wohl auch noch nicht, wie so etwas zugeht, was? Denkst, mit dem Baby ist alles vorbei. Sieh mal nach, ob das Wasser endlich warm ist, ich muss das Kind waschen.“

Mike blickte zum Kamin. Da brannte Feuer. Der Kessel hing über den zuckenden Flammen. Das Wasser dampfte noch nicht einmal.

Tom Cadburn unternahm nichts, um Mike zurückzuhalten. Dem waren die Hände vorn mit Handschellen gefesselt, aber den Wasserkessel konnte er damit vom Feuer heben, wenn es soweit war.

Die Frau sah jetzt die Handschellen und rief erbost: „Sie tun es ja doch! Und er hat gesagt, Sie wollten nur sein Bestes!“ Sie machte eine kurze Kopfbewegung auf Old Joe zu.

Tom Cadburn nickte. „Wir wollen wirklich sein Bestes, Madam. Man würde Mike zu Tode hetzen, wenn wir ihn nicht mitnehmen und vor ein korrektes und objektives Gericht bringen. Und das wird in Pecos sein.“

Mike ruckte herum, als habe sich unter ihm der Boden bewegt. Er starrte Cadburn an und fragte verdutzt: „Pecos? Das ist doch das Gericht von Richter McGrew!“

„Natürlich, und er wird dich völlig unbeeinflusst behandeln. – Siehst du nun endlich ein, dass wir es wirklich gut mit dir meinen?“, fragte Tom Cadburn, wandte sich dann sofort an Old Joe und erkundigte sich: „Wie geht es ihr?“

„Die Plazenta saß ziemlich fest, aber nun ist alles bestens. – Ist das verdammte Wasser immer noch nicht warm?“

In diesen Sekunden fuhren Tausende von Gedanken durch Mike Drawers Kopf. Erst einmal war er drauf und dran, nachzugeben und sich wirklich nach Pecos bringen zu lassen. Der Weg durch die Wüste war hart, aber das, was Cadburn vorhatte, hörte sich fair an. Richter McGrew galt tatsächlich als ehrenwerter und gerechter Mann. Aber dann dachte Mike an die verschlagenen Tricks der Burschen in Menardville, die einen Schuldigen brauchten und dafür Dutzende von Meineiden zu schwören bereit schienen. Collins war viel zu sehr mit denen verstrickt, hatte seine Tochter mit dem größten Grundbesitzer verheiratet und war der Schwager des Mannes, der geschworen hatte, in Mike den Totschläger erkannt zu haben. Eine ganz einfache Sache, wie es schien, und das würde sicher auch McGrew annehmen, wenn er sich die Unterlagen aus Menardville schicken ließ. Er würde den Meineid-Zeugen ebenso glauben, wie es Collins zu gerne tat. – Nein, wenn ich mich nicht verdünnisiere, bin ich geschmissen.

Das war der Moment, wo er die alte Schrotflinte sah, eine einläufige Jesska, wie sie russische Fallensteller oben im Norden verwandten. Der Teufel mochte wissen, wie die hierher nach New Mexico gekommen war. Aber Mike hatte zufällig schon einmal so eine Einlaufflinte in der Hand gehalten. Die Dinger besaßen ein gewaltiges Kaliber, reichten aber nicht sehr weit. Auf kurze Entfernung war die Wirkung schlimm.

Wenn ich nur wüsste, fragte sich Mike, ob sie geladen ist. – Quatsch, dachte er weiter. Ich kann im Ernstfall ja nicht auf die beiden schießen. Dafür sind wir einfach zu lange nebeneinander geritten.

Nicht schießen? Aber die werden dich nach Pecos schaffen. Und dieser McGrew steckt dich in gesiebte Luft, vielleicht sogar in die Hanfkrawatte. Cadburn kann mich da nicht mehr herausholen. Der denkt am Ende auch, dass alles richtig ist, was sie mir anhängen wollen.

Ich will nicht mit diesen Handschellen neun Tage durch die Wüste reiten, und ich will auch nicht in gesiebte Luft. Der Teufel soll Cadburn und den Alten holen. Sorge der Himmel dafür, dass die Jesska geladen ist.

Er handelte sofort, als die beiden nicht auf ihn achteten. Nur der Schwarztimber sah ihn, knurrte wütend und sprang von seinem Platz am Kamin auf.

Da hatte Mike schon die Jesska gepackt, heruntergerissen und auf Sam gerichtet.

Cadburn wirbelte auf dem Absatz herum, Sam zuckte zurück. Beide wussten, dass ein Schuss den Schwarzen töten würde. Und Mike war klar, dass Tom Cadburn zu sehr an Sam hing, um ihn einfach preiszugeben.

„Nimm das Wolfsblut zurück, sonst stirbt es!“, drohte Mike.

Die Frau sah jetzt von ihrem Lager aus, dass Mike die Flinte in den Händen hielt und schrie: „Sie ist geladen, o Mann, sie ist mit Hackschrot geladen! Mein Mann hat es selbst getan. Machen Sie sich nicht unglücklich!“

Mike hörte nicht hin. Er war durch die Handschellen nicht so behände, aber die Flinte vermochte er gut und gefährlich genug zu halten.

„Sam, hierher!“, befahl Cadburn.

„Ich habe keine Hemmungen, Tom“, sagte Mike. „Es geht um meinen Kopf, und der ist mir mehr wert, als ihr glaubt. – Joe, mach du bloß keinen Mist. – Tom, den Schlüssel von den Handschellen! Wirf ihn nicht weg, sondern leg ihn dort auf den Sims.“

„Du wirst doch diesen Rosstäuscher nicht …“, wollte Old Joe protestieren, aber Tom Cadburn unterbrach ihn. Er wusste, wann einen Mann die Verzweiflung gepackt hielt. Nur so, wie sich Mike das vorstellte, würde er einmal nicht weit kommen und zum anderen kein Recht bekommen, sondern womöglich bis zum bitteren Ende ein Gejagter bleiben.

„Nichts, Joe, nichts machen wir. Hier ist der Schlüssel“, sagte Tom und legte ihn auf den Sims, hielt dann die Hände weit vom Revolver und fragte: „Du wirst Proviant und Wasser brauchen und ein frisches Pferd haben wollen. Mehr ist nicht drin. Wir bekommen dich, Mike, oder besser gesagt, ich bekomme dich.“

„Abwarten!“, brummte Mike unschlüssig, sah die Frau an, und die rief: „Im Schrank ist zu essen.“

Er nahm sich, was er brauchte, aber er sah die Armut dieser Leute hier und blieb sehr bescheiden. Dann ging er nach draußen. Bei der Gelegenheit hätte Cadburn ihn erschießen können. Auch nachher, als Mike auf das Pferd der Farmersleute seinen Sattel legte, hätte Cadburn ihn töten können. Doch er tat nichts dergleichen. Die Frau war da, und ein Schuss hätte sie und das Kind unnötig aufgeregt. Tom wusste, dass Mike durch die Wüste musste, so oder so. Und der Weg war lang. Tom wollte diesen Mann nicht verletzen oder töten. Er wollte ihn ohne Kampf, und er war überzeugt, dass er nur Geduld genug haben musste, dann würde er Mike wie einen reifen Apfel, der vom Baum fällt, bekommen.

Doch in der Wüste konnten sich, und das wusste Tom auch, die Gesetze der Logik auch umkehren.

Tom hatte, als Mike losritt, eine dumpfe Ahnung, dass es womöglich ganz anders ausgehen könnte, als er sich das jetzt dachte.

Ich sollte mal Joe fragen, was der darüber denkt, überlegte er. Joe besaß den feinen Instinkt eines alten Bären und spürte Gefahren lange voraus. Vielleicht, dachte Tom noch, sollte ich mich den Teufel um Mike kümmern. Damals auf dem Treiben nach Dodge war er ein prächtiger Bursche. Aber eben darum sollte ich ihn nach Pecos bringen, genau darum!

Sie würden ihn wirklich wie einen Hasen jagen, zumal dieser Collins, den ich auch nicht ausstehen kann, alle Hebel in Bewegung setzen wird.

Wenn man nur wüsste, was er tun wird, wenn man das nur wüsste!, sagte sich Tom, während er nachdenklich dem davonreitenden Mike nachsah. Auch jetzt noch hätte Tom den Flüchtenden mit Joes weittragender Hawken stoppen können. Anderthalb Meilen weit trägt dieser Vorderlader. Auf gut eine Meile kann man noch damit genau treffen. Mike hätte nicht den Schimmer einer winzigen Chance gehabt. Und eigentlich, sagte sich Tom, hätte Mike das auch wissen müssen.

Sollte Mike wirklich darauf vertrauen, dass ihn alte Freunde von einst auch jetzt niemals aus dem Sattel holen würden?

Der Steckbrief zeigt dein Gesicht: Texas Wolf  Band 61

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